„ … Und fürchthet die Finsterniß, sage ich euch, denn es ist ja nicht nur allein die phüsische Schwärtze, die in den dunklen Schatten der würcklichen Weltt lauert, sondern die Verzweifflung der Menschen, wenn sie ihre Vernunfft ablegen und sie mit den Ängsten ihres Inneren konfronthieren. Am schlimmsten sind nämlich die Schrecken, so das wahre Innere des Menschen sich verbündet mit der Dunkelheit in den Ecken der wirckenden Welt und der Wahn des Grauens über die im Geißte hinweggeschobene Vernunfft triumphieret. Dann werrden die finßteren Mächtte der Urzeitt erwecket ...“
Menachem Ben Zaroar : Schriften über die Alten Götter
Der Donner grollte, ein Blitz raste herab und fuhr krachend in die Stirnwand der hohen Felsen. Ich zuckte erschrocken zusammen, als Gesteinssplitter auf mich herunterregneten. Unwillkürlich duckte ich mich etwas zusammen.
Nun war ich doch in diesen Orkan geraten.Ich befand mich gerade auf dem Weg nach Arkham, als der Sturm begonnen hatte. Mein Name ist Zadik Cruck Zacken. Ich bin Gelehrter der okkulten Künste am Miscatonic College in Massachussetts.. Leichtsinnigerweise hatte ich gedacht, im Sommer zu Fuß durch den Wald gehen zu können. Von der Außenstelle der Miscatonic-Universität in Fulham wollte ich durch den dunklen Tannenwald und die Wolfsschlucht eine Abkürzung nach Arkham nehmen, wo ich meine Studien fortsetzen wollte. Zu dieser Zeit beschäftigte ich mich als Privatgelehrter gerade mit den Mythen aus der Vorzeit, die in verfremdeter Form auf die Menschen gekommen waren. Insbesondere war ich dabei, das pnakotische Manuskript zu verstehen, zu entschlüsseln und in für Menschen verständliche, halbwegs moderne Sprachen wie Griechisch oder Latein zu übersetzen. Daraus würde sich dann vielleicht sogar eine englische Version transkribieren lassen. Zum Glück besaß die Abteilung für Fremdmythen in Arkham eine Abschrift davon,die ich einsehen wollte, um sie mit meiner eigenen, eher unvollständigen Schriftrolle zu vergleichen.
Aber jetzt war ich in diesen Sturm geraten. Das machte mich sehr ärgerlich, denn ich war zu Fuß unterwegs und besaß keinen Regenschutz, hatte ich doch gedacht, ich würde recht schnell wieder in einer zivilisierten Umgebung sein. Wer aber die großen, dunklen Wälder aus Nadelbäumen in Massachusetts kennt, der weiß, wie ich mich fühlte, als die ersten Blitze über den dunklen Himmel zuckten und die schwarzen Wolken der Nacht sich über mir ballten. Noch begann es nicht zu regnen und ich machte mich eiligen Schrittes auf dem schmalen Wanderweg voran. Doch im nächsten Moment musste ich geblendet zurücktaumeln, denn der rote Blitz schlug direkt vor mir in die Wände der Wolfsschlucht ein, brach ein paar Felsen rüttelnd los, die polternd heruntertaumelten und wuchtig auf den engen Pfad krachten. Der nächste Blitz fuhr krachend in die Schluchtkante und weitere Brocken polterten herab und türmten sich vor mir auf. Ich musste mich ducken, denn einige Steinsplitter schwirrten herum und schlugen klatschend neben mir in den Schlammboden ein. Vor mir türmte sich jetzt eine fünf Meter hohe, steile Gesteinsmauer, die ich unmöglich überklettern konnte. Ja, ich hatte nicht einmal Griffmöglichkeiten an dieser schroffen Felswand, die plötzlich den weiteren Weg nach Arkham versperrte. Dieser Weg, der mich zunächst als Trampelpfad und dann durch die enge Schlucht geführt hatte, war nämlich nur einen knappen Meter breit. Im Wald hätte ich ja trotz der dicht stehenden Tannen und Fichten noch seitlich ausweichen können. Doch hier, in der Wolfsschlucht, wo mich hohe, steile Wände auf beiden Seiten umgaben, gab es nun kein Vorankommen mehr. Sollte ich umkehren? Doch die dunklen Wolken hatten sich bereits herangeschoben und der Regen begann, sich stetig beschleunigend, wie das bei Gewittern so ist, herabzutropfen. Noch waren erst wenige der vertikalen Wassermengen unterwegs, doch ein plötzliches Unwetter, wie man es aus Massachussetts nur zu gut kennt, wollte ich eigentlich nicht im Freien verbringen.
Da ich nicht vorangehen konnte, musste ich dennoch umkehren, aber ich wollte nicht in den Wald zurück, denn vorhin war mir auf dem Weg eine Stelle in der Randmauer der hohen Rinne aufgefallen, die ich nur deshalb nicht weiter beachtet hatte, weil ich schnell nach Arkham kommen wollte. Mein Unterbewusstsein musste sie aber registriert haben, denn jetzt erinnerte ich mich an dieses Loch in der Schluchtwand. Während ich also mit langen Schritte zurückeilte, die kleine Laterne mit dem flackernden Licht darin in der Hand, dachte ich über diese Bruchstelle nach.
Warum diese Schlucht nach Wölfen benannt war, wusste keiner in Arkham mehr, denn an diesem Ort in Massachussetts waren seit über zweihundert Jahren keine Wölfe mehr gesehen worden.
Aber es hatte einmal eine Familie von Schmugglern im nächsten Dorf hinter dem Wald gegeben, die Wulfen hieß. Es waren die üblichen sozial und gesellschaftlich herabgekommenen, leicht degenerierten Nachkommen einst höherer Siedler, wie man sie oft in diesen verkommenen, entlegenen Gebieten des Staates antrifft. Eine zwielichtige Gruppe düsterer Gestalten, die irgendwelchen gesetzwidrigen Umtrieben nachgingen, zu denen sicher die üblichen wie Wilderei und Schwarzbrennen gehörten. Aber auch Schmuggelgut sollte unterwegs gewesen sein und man munkelte in der Umgebung, dass die Wulfens sich mit unlauteren Mächten aus den Tiefen der kosmischen Finsternis eingelassen hätten. Das war natürlich etwas, was ich damals für völligen Unsinn hielt. Bald aber sollte ich hier eines Besseren belehrt werden.
Während ich so darüber nachdachte, wie die Wolfsschlucht eigentlich zu ihrem Namen gekommen war, war ich, ohne es zu bemerken, ein gutes Stück den Weg zurück gekommen. Seitlich ragte das gefranste Loch in der Gesteinswand empor, das mir bereits vorhin auf dem Weg aufgefallen war.. Da dies der einzige Weg war den ich nehmen konnte, wenn ich mich nicht bei diesem starken Unwetter im dunklen Wald verirren wollte, musste ich durch diese Öffnung gehen. Einige Krüppelkiefern versperrten mir zwar den Zugang, doch ich konnte mich mühsam hindurchwinden, nicht ohne meinen guten Überrock dabei an zwei Stellen leider zu zerreißen. Die harten Dornen der Scharfbüsche hinter den krüppligen Bäumen waren wirklich spitz. Doch endlich war es geschafft und ich konnte die Tunnelhöhlung betreten. Ein echter Tunnel war es nicht, denn auch hier war die Seitenschlucht nach oben hin offen, und der Regen begann langsam, auf mich herabzuprasseln, doch ich hatte immerhin den sehr engen Pfad vor mir, der gewunden durch die hohen Gesteinswände führte. Nach drei Minuten Fußweg, bei dem ich einmal über einen umgestürzten Baum stolperte und einmal beinahe gegen die jäh seitlich umschwenkende Feldwand rannte, was meine kleine Laterne mit ihrem nur matten Schein mich nicht hatte rechtzeitig sehen lassen, war ich hindurch.Vor mir öffnete sich eine kleine Ebene. Auch sie war zwar von hohen Felswänden eingefasst und mit verkrüppelten Nadelbäumen gesäumt, doch glaubte ich in einiger Entfernung eine Hütte zu erkennen.Vielleicht besaß sie ja noch ein intaktes Dach und ich könnte während des Orkans dort unterkommen. Also machte ich mich guten Mutes auf den Weg. Inzwischen raste der Regen breit herunter, ich konnte kaum noch den Blick erheben und sah nicht weiter als etwa einen Meter, doch schien eine dunkle Wand vor mir zu dräuen, was ich als die Außenmauer der Hütte interpretierte. Zwar war ich bereits völlig durchnässt, doch machte ich mich nun mit raschen Schritten auf den Rest des Weges und kam wirklich bei einer alten, baufälligen Hütte an, die, halb aufgerissen, schief an eine Gesteinswand gelehnt stand. Der Sturm frischte weiter auf, und so sprang ich einfach hinein,um einen Dachschutz zu bekommen, der mir endlich gegen den lästigen Starkregen helfen würde. Ich konnte die Hütte dabei leider nicht genauer betrachten. Das vordere Ende der alten Kate war leider offen, doch im zweiten Raum dahinter schien das Dach noch intakt zu sein. Schief stand die Zwischentür offen und knarrte laut, als ich mich durch die schmale Öffnung zwängte, doch hatte ich endlich einen Unterschlupf gefunden. Zunächst atmete ich einmal durch, stellte die kleine Laterne auf den staubigen Holzboden und begann, meine Kleidung auszuwringen und zu trocknen. Der Übermantel war völlig durchnässt, ebenso die Hosenbeine, doch waren meine Stiefel immerhin noch dicht, denn im allgemeinen achtete ich auf gutes Schuhwerk. Das benötigt man auch in diesen wilden Gegenden hier draußen um Arkham herum, vor allen Dingen, wenn man wie ich, viel zu Fuß unterwegs ist..
Ich war jedenfalls froh, diesen Unterschlupf gefunden zu haben, denn das Unwetter ging draußen jetzt erst richtig los. Die Blitze zuckten herab, trafen die hohen Wände der Schlucht, wenn vorstehende Felszacken ihre Ladungen konzentrierten und ich hörte das überlaute Donnergrollen, das von den dünnen Wänden der Hütte nur unwesentlich abgedämpft wurde, vermischt mit dem Dröhnen, wenn wieder eine Gruppe Steine aus den hohen Wänden der felsigen Rinne abgelöst wurde und rumpelnd auf den Boden der Schlucht polterte. Vor mir rann der Regen draußen rauschend herab und der Wind pfiff in gewaltigen Böen um die Bäume. Kein Wunder, dass sich die Krüppelkiefern hier am Boden duckten. Irgendwie hatte dieser Ort hier etwas Unheimliches, dabei waren wir nur etwa zwei Stunden zu Fuß von Arkham entfernt. Im ersten Raum vor mir tropfte das Nass nun durch die Löcher in der Decke herein und begann, kleine Pfützen auf dem Boden zu bilden, doch brauchte ich mir noch keine Sorgen zu machen, denn mein Raum blieb noch trocken. Das Dach war hier dicht: rohes Holz, doch eng mit Stroh und Werg verstopft, darüber lange hölzerne Dachplatten, die, wiewohl arg verrottet, doch noch ihren Zweck zu erfüllen schienen. Jedenfalls hielten sie den Regen einwandfrei ab.
Während der Regen draußen herunter prasselte und die Winde unheimlich um das alte baufällige Haus heulten, sah ich mich im düsteren Schimmer meiner kleinen Laterne um, denn ich hatte ja hier im Augenblick nichts Anderes zu tun. Der kleine Raum war ziemlich leer, soweit ich das im Lampenschein erkennen konnte. Es handelte sich eben um eine typische Hütte eines Hinterwäldlers, wie sie für diese uralte, leicht heruntergekommene ländliche Gegend von Massachussetts typisch waren. An der Wand lehnte krumm ein Holzregal mit drei Brettern. Auf dem obersten lag eine metallene Brechstange von beträchtlicher Länge, die ich gleich ergriff. Sie war recht schwer aber lag gut in der Hand. Deshalb behielt ich sie, steckte das Ding jedoch seitlich in den Gürtel, den ich deshalb etwas enger schnallen musste. Auf dem mittleren Brett befand sich eine zusammengerollte, leicht staubige, dunkelgrüne Plane. Ich nahm das Tuch heraus und öffnete es. Ein etwa zwei Quadratmeter großer Streifen entrollte sich vor meinen Augen. Es handelte sich um schweres Wachstuch. Vielleicht sollte damit einmal das Dach geflickt werden; dafür wäre der grobe Stoff wirklich gut geeignet gewesen, aber jetzt kam mir das Tuch als nützlicher Schutz gegen den Starkregen gut zupass, wenn ich wieder nach draußen musste..
So konnte ich mich trotz des überstarken Rauschens zur Not hinauswagen, denn die Plane würde mich recht gut gegen das herabströmende Wasser abschirmen, das noch immer die Hohlkehle der Schlucht und in der näheren Umgebung herunterprasselte..
Sonst befand sich nichts weiter auf dem krummen Regal, das wohl einer der alten Schluchtbewohner hier selbst in Handarbeit hergestellt hatte, denn die Holme waren schief und die Bretter nur grob mit der Axt abgehobelt. Aber für eine solche Waldhütte genügte es. Ich sah mich weiter um, doch abgesehen von einem alten, wackligen Stuhl ohne Sitzfläche befand sich nichts weiter in dieser Stube. Vorn im ersten Raum, wo das Dach aufgerissen war, plätscherte noch immer der Regen stark herab, von den Resten des Daches nur unzulänglich abgeschirmt. Doch ich fasste Mut, stülpte mir die Plane über den Kopf, so dass ich nun von außen betrachtet selbst wie ein grünes Gespenst aussehen musste und wagte mich wieder in den vorderen Raum.
Unter der Plane geschützt suchte ich auch dieses Zimmer ab. Die großen Löcher im Dach, durch die sich der Regensturm hereingoss, erschwerten meine Erkundung etwas, aber das Zimmer war nicht groß, so dass ich es bald durchsucht hatte. Zwar war die Sicht schlecht, denn das flackernde Licht meiner kleinen Laterne, die ich im hinteren Zimmer auf dem Boden stehen gelassen hatte, damit sie nicht ausginge, reichte kaum bis hier vorn. Doch drang genügend diffuse Helligkeit durch das halboffene Dach und auch durch die Löcher in der seitlichen Vorderwand.
Der Raum war leer, wie ich feststellte – bis auf das Skelett.
Schräg in der Ecke saß nämlich sauber abgenagt ein menschliches Skelett und bleckte mich grinsend mit glatten, gelben Zähnen an. Ich musste es vorhin beim schnellen Einstieg in diese Kate, als ich nur so in schnellem Tempo durch den Eingang gehuscht war, um mich endlich trocken unterstellen zu können, übersehen haben. Ruhig hockte ich mich vor den Knochenmann und zog meinen Hut, denn ich war damals noch ein recht pietätvoller Mensch. Zum Glück hatte ich ja die Plane über, so dass ich nicht nass werden konnte. Das Skelett saß so auf dem Boden, wie ein Mensch das eben tut. Mit leicht ausgestreckten, etwas gekrümmten Beinen an den Knien, die Hände leicht seitlich ausgestreckt. Irgendwie wirkte der Knochenmann verkrampft, als hätte er, damals als er noch lebendig war, etwas Schreckliches erlebt oder gesehen. Ich sah noch einmal schärfer hin und erkannte einen blinkenden Gegenstand zwischen den Beckenknochen. Rasch griff ich hinein, das Skelett hatte sicher nichts dagegen, dass ich es berühren musste, ich selbst war nicht sehr heikel in solchen Dingen und zog einen alten Colt-Revolver hervor. Er war leicht rostig, doch sonst noch gut in Schuss. Ich öffnete die Trommel, und prüfte den Inhalt, es handelte sich um einen alten Achtschüsser. Vier Patronen waren verbraucht, eine steckte noch im Lauf, wie ich vorsichtig erkannte. Also waren fünf Schuss vorhanden. Eine durchaus noch nützliche Handwaffe, die ich vielleicht gebrauchen konnte. Denn noch immer wimmelte es hier in der Nähe von Arkham von Raubtieren, speziell in der Nacht, wenn auch in diesen Tagen üblicherweise keine Wölfe darunter waren.
Insbesondere von größeren Schrecknissen war ganz zu schweigen, gegen die ein Revolver vielleicht nicht helfen mochte, doch immerhin beruhigend in der Hand lag. Nächtens und in den Wäldern war immer damit zu rechnen, auf Unbekanntes zu treffen und man musste hier draußen in der Wildnis um Arkham herum außerhalb der zivilisierten Städte immer damit rechnen, auch Wesen der Finsternis unverhofft zu begegnen. Aber im Moment bedrohte mich hier nichts Bösartiges, so schien es zumindest.
Was das Skelett betraf, so ließ ich ihn liegen, dort wo er saß. Wer er einmal gewesen war, darüber ließ sich nun trefflich spekulieren, vielleicht ein einsamer Wanderer so wie ich oder der letzte der Schmuggler und Hinterwäldler, die hier ihr Dasein einst gefristet hatten, ich wusste es nicht. Jedenfalls war er harmlos, denn tot ist tot. Nun ja, meistens, denn im Zusammenhang mit der Erforschung okkulter, antiker Schriften und Mythen hatte ich natürlich auch schon andere Dinge erlebt, über die ich jetzt aber nicht sprechen wollte oder mich akut daran erinnern.
Der Knochenmann konnte mir nicht weiterhelfen, also ließ ich ihn in Ruhe in seiner Ecke sitzen.
Jedenfalls schien das Skelett einem erwachsenen Menschen gehört zu haben. In einer spontanen Anwandlung beschloss ich, ihn Algernon zu nennen, ein hier draußen in Neu-England damals noch weit verbreiteter Name. Der Knochenmann hatte nun also ein Gesicht, er war eine Person, kein gesichts- und namenloser Niemand mehr.Schließlich neigen wir Menschen ja dazu, uns durch die Benennung der Dinge eine gewisse Macht über sie anzueignen, indem wir Begriffe für die Phänomene hervorbringen, sie in unseren Sprachschatz einordnen und somit auch in unser Erfahrungsbild der äußeren Welt einfügen.
Dennoch verließ ich nun den Raum über die wacklige Stiege, begab mich nach draußen in den strömenden Regen um die Umgebung zu erkunden, denn ein Art heißhungrige Unternehmungslust hatte mich gepackt und ich konnte nicht einfach still herumsitzen und auf das Ende des Unwetters warten. So ist es manchmal mit dem Menschen, wenn sie nichts wirklich Nützliches zu tun habe, dann ergreift sie eine Art von planloser Hektik.. Draußen, nachdem ich die drei klapprigen Holzstufen überwunden hatte, sah ich mich erst einmal gut um. Der Schlammboden vor mir war bis zur Schluchtwand mit niedergeduckten Dornensträuchern und verkrüppelten Kiefern dicht bepackt. Doch troffen ihre Nadeln nun vor Nässe und machten sie glänzen. Hinter der Hütte stand seitlich ein altes, hölzernes Wasserfass, nun beinahe bis zum Überlaufen mit Regenwasser gefüllt. Ein paar verfaulte Bretter lehnten daneben an der Wand. Sonst schien es hier nichts Interessantes zu geben, doch als ich den Kopf hob, hellte mein Blick sich auf, denn in einiger Entfernung erkannte ich noch eine weitere Blockhütte. Zusammengeduckt und krumm schien sie dazustehen, sich halb versteckt gegen den Boden neigend, als wolle sie darin versinken, um sich gegen das Unbill zumindest des hiesigen Wetters oder der äußeren Welt allgemein zu schützen und zuverkriechen. Verborgen hinter einem Gewirr von Krüppelkiefern versteckte sich die alte Kaschemme geduckt und dunkel.
Vorsichtig ging ich näher heran; umging einige der tückischsten Dornenbüsche, übersprang einige große Schlammpfützen und kam so endlich in die Nähe der zusammengekrümmten Bauernkate.
Die alte Hütte besaß vorne zwei Fenster, doch waren diese hohl und leer, also ohne Glas und mit alten Brettern kreuzweise vernagelt. Dazwischen befand sich eine schwere Brettertür, die ich aufzubekommen versuchte, doch sie war verschlossen und der Riegel war fest, wie ich nach kurzem Prüfen feststellen konnte. Das große Schlüsselloch war mit Sand oder Erde verstopft und half mir auch nicht weiter. In diese Hütte hineinzukommen, gelang also wohl im Moment nicht. Darum ging ich um das alte Cottage herum, ob ich nicht einen anderen Eingang oder einen Hinweis finden konnte, wie dort hineinzugelangen war. Und wirklich, fand ich hinter der Hütte den Schlüssel. Er lag direkt an der Unterkante der Rückwand und hätte mich nicht ein goldenes Blinken aufmerksam gemacht, wohl ein Wassertropfen, der sich, für mich vorteilhaft, auf dem gelben, schmutzige gewordenen Metall festgesetzt hatte, so hätte ich diesen Schlüssel auch kaum entdeckt. So aber hob ich meinen Schatz ans schummrige Licht des Gewittersturms und befreite ihn von Dreck und Schlamm. Es handelte sich um einen langen Messingschlüssel mit großem Bart, wie sie früher im achtzehnten Jahrhundert üblich waren, der wohl genau in die Tür vorne hineinpassen würde. Also ging ich ganz um die alte Hütte herum. Jetzt konnte ich das Öffnen der Tür ausprobieren. Etwas Anderes blieb mir auch kaum übrig. Erneut vor der Tür aus recht stabilem Holz stehend, säuberte ich das Schlüsselloch so gut es ging von Erde und Sand und schob den schweren Schlüssel hinein. Mit etwas Druck gab der Rest des Faulschlammes im Schloss nach und ich konnte den messingnen Schlüssel hineindrücken. Es knirschte, als ich ihn drehte, und ich fürchtete schon, er würde abbrechen, doch dann kam der Bart herum und die Tür öffnete sich mit einem leisen Klicken. Rasch riss ich sie ganz auf und ging hinein. Nun war ich wenigstens wieder im Trockenen. Ich ließ die Plane herunter, zog die Tür hinter mir zu, um das schwere Wetter auszusperren und musterte das Innere auch dieser Hütte.
Ich ließ die nasse Plane im Vorraum zurück und trat durch die Innentür in das Hauptzimmer ein. Obwohl diese Baracke von draußen größer gewirkt hatte, besaß sie nur einen einzelnen Raum. Dieser war allerdings, wie ich schon von außen erkannt hatte, als ich durch die Lücken in den Brettern vor den Fenstern gespäht hatte, mit Möbeln angefüllt im Gegensatz zu der anderen Kate.
Es sah im Inneren trotz der Kargheit, die in einer Hinterwäldlerhütte zu erwarten ist, beinahe wohnlich aus. Ich musterte die Einrichtung. Ein Kamin, ein Wandregal, ein grober Holztisch mit einem Stuhl davor, schräg nach vorn gerichtet, ein weiterer lag hinter dem Tisch mit der Lehne auf die Tischkante gekippt. Zwei seltsame Manuskripte lagen, halb aufgerollt auf der groben Holzplatte. Eine Art blutiges, breites Beil steckte darin, hielt sie so auf dem Tisch und bewahrte sie durch das Festpinnen vor dem Herabrutschen. Das Blut schien bereits lange getrocknet, denn es rann nicht auf die Blätter herab und wirkte wie tiefroter Rost auf der Klinge des Beils. An der Wand lehnte eine weitere Papyrusrolle und als ich mich umdrehte, erkannte ich auch auf dem zweiten, kleinen Tisch am Kamin einige offene Bücher. Selbst das alte Holzregal dahinter war halb gefüllt. Es war schon erstaunlich, hier in diesem riesigen Waldgebiet mitten in der großen Hohlgasse der Wolfsschlucht Bücher und Manuskripte zu finden, als wäre ich in der wohlbestückten Zentralbibliothek der Miscatonic-University von Arkham und nicht mitten in der Wildnis eines dunklen Nadelwaldes..
Jetzt war ich doch neugierig geworden, und begann, mir die Werke anzusehen. Vorsichtig lehnte ich mich über den Tisch und versuchte, die Titel zu entziffern, ohne die Bücher zu berühren, denn aus Erfahrung wusste ich, dass man bei seltsamen alten Werken, die Mythen betreffen oder andere Schrecken aus der Urzeit der Menschheit, als die Schlangen noch auf zwei Beinen liefen, vorsichtig sein musste. Es gab genug Werke, die uns von den Altvorderen überkommen waren, in denen unselige Grauen aus der Vorzeit geschildert waren, die von den alten Göttern oder ihren minderen Knechten, den Shoggotten zum Beispiel, ausgeübt worden waren.
Und wirklich: als ich begann, die Titel der Bücher zu entziffern, bekam ich das kalte Grausen. Es waren da zum Beispiel der Cult des Ghoules des Grafen D'Arlette, das Malleus Malleficarum natürlich, der Hexenhammer. Dann weitere okkulte Bände, etwa Niders Formicarius, Reginald Scots The Discovery of Witchcraft oder D‘Erlettes berühmtes Buch: De La Demonamanie. Außerdem fand ich die Bände des berüchtigen, sagenhaften Lemegeton Clavicula Salomonis sowie ein zerlesenes, ausgefranstes, obskures Exemplar der Pseudomonarchia Daemonum aus dem Jahr 1563, Erstausgabe. Eigentlich vom Bibliophilen her ein recht wertvoller Band. Nur von dem berüchtigten Necronomicon des verrückten Arabers Abdu Al-Hazhred fand ich kein Werk vor, als ich das Regal und den Tisch musterte. Das wunderte mich zunächst etwas, gehörte ein solches Buch eigentlich der Vollständigkeit halber zu solch einer illustren Sammlung okkulter Schriften. Doch als ich den Blick zurückwandte zu dem großen Holztisch, auf dem die blutig angenagelten zwei Manuskripte lagen, wurde ich doch neugierig, setzte mich auf den alten Stuhl und löste vorsichtig das schwere Beil aus der Tischplatte, damit ich mir die unsauber bekritzelten Blätter näher ansehen konnte. Dann aber stutzte ich. Es waren gar keine unsauber geschriebenen Lettern eines ungebildeten,wilden Hinterwäldlers, wie vielleicht zu erwarten war. Vielmehr handelte es sich um eine uralte, bedrohlich aussehende Bilderschrift, die ich bereits einmal gesehen hatte, als ich in Arkham die dortige Abschrift des Necronomicon studiert hatte. Allein die gekrümmten Schriftzeichen mit ihrer seltsamen, unmenschlichen geometrischen Form flimmerten vor den Augen, verwirrten die Sinne und machten den Geist träge, ließen die Konzentration schwinden. Bilder erschienen mir im Kopf von trutzigen alten Gemäuern aus grünem Gestein, grob und gewaltiger, als Menschenwerk je werden könnte. Eine dunkle Wolke schien darin zu dräuen und ein Begriff drängte sich immer wieder in den Vordergrund: R'lyheh! Es kostete mich Mühe, meine Gedanken von der Schrift zu lösen, das Manuskript wieder auf den Tisch fallen zu lassen und zu mir zu kommen. Ich musste einige Minuten nach Luft schnappen und meinen Kopf klären. Meine Hand, die das Manuskript berührt hatte, zitterte. Zweifellos hatte ich hier einige Abschriften aus dem Necronomicon vor mir, die ich selbst noch nicht kannte, weil sie in der Kopie, die in der Universitäts-Bibliothek von Arkham lagerte, nicht enthalten waren.
Es musste sich um sehr frühe Schriften handeln, denn als ich die Manuskripte auf ihre Beschaffenheit prüfte, erkannte ich, dass sie alt waren. Zerrissen und vergilbt, gewiss. Auch der Aufenthalt in der typisch nassen Umgebung von Massachussetts hatte den Blättern nicht gut getan, doch schien eine Art innerer Widerstand dafür zu sorgen, dass sie sich nicht zersetzen konnten, denn das Pergament war noch immer fest bis auf einige Risse an den Rändern und eine verrußte Stelle, wo irgend jemand, vielleicht in einiger Verzweiflung versucht hatte, das Material zum Brennen zu bringen. Allein das Papyrus war zu schwer, zu fremd, um es anzünden zu
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Holger Döring
Bildmaterialien: Holger Döring
Cover: Holger Döring
Tag der Veröffentlichung: 25.11.2017
ISBN: 978-3-7438-4307-3
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch ist Pia gewidmet. Holy Shit, Mädchen!