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Höllenritt in Killmore - eine Rutger&Rowena- Story

 

 

 

 

 

 

Parallelweltroman – Steampunk-Detektivstory   von

Holger Döring

 

Einleitung: Rutger ist Privatdetektiv in Killmore, der Hauptstadt von Bretonia. Seine Partnerin ist Rowena, die Kämpferin. Die Macht in der Stadt liegt bei den Mönchen von Ludd nach dem antitechnischen Aufstand – aber Königin Kelmorie hütet einige verborgene Schätze der Technik, die sie ihrem unterdrückten Volk heimlich wieder vererben will. Doch der Speicherkristall mit den Daten darauf, ihr persönlicher Diamantring, wird gestohlen. Sie beauftragt Rutger, ihn wiederzubeschaffen, um diskret zu bleiben und nicht Scotland Yard, die von Ludditen durchsetzt sind … die Spur führt ihn ins alte, ehemalige Industrieviertel der Stadt, in den ehemaligen Tempel des Arianus, darüber hinaus in die südliche Wildnis vor der Stadt und bald wird die Suche ein wahrer HÖLLENRITT.

 

Dramatis personae:

1. Die Guten

Rutger, freier Detektiv in Killmore,

Rowena, seine Partnerin, nicht nur beruflich,

Frye Zoff, der Geheimdienstchef der Königin,

Leichengraf, sein freier Mitarbeiter,

Gelehrter aus Oxbridge,

Barong Quist von Oldlay,

Mitglied der königlichen, geheimen Kampftruppe,

Scuderi, ebenso,

Stoll, technischer Dampfingenieur.

2. Die Bösen

Ludd und seine Schergen,

Skull Jonk, der Oberscherge,

Pronk Atzenglatz, der obere Unterscherge,

Sharrn Zeck, der untere Unterscherge,

viele hundert Ordinärschergen,

die Dummheit, die Faulheit und die Langeweile.

3. Die Neutralen

Bracko Spacko, der Ringdieb,

der Daemon vom Daewwon, Drache,

Königin Kellgarie, auch Kellmorie genannt.,

Muli, der Pferdehändler,

Crawl Monterey, ein Zuträger,

Klondyke-Kate, eine Straßenarbeiterin,

Skinnie-Minnie, die Moorhexe,

einige Wirte und andere nicht minder wichtige  Personen.

 

...

dazu viele Monster, Ungeheuer, Skelette und anderes Unheil. Aber auch gutes Bier, Portwein und schottischer Whisky, trinkbar.

Anhang (im gedruckten Buch): Vier Karten

I Bretonia, das Land

II Killmore, die Hauptstadt

III die fremde Welt

IV der Turm von Ludd

 

 

Teil I: 1. Das Industrieviertel - Aufbruch und Recherche

 

 Rutger musterte sein Zimmer oberhalb der Spelunke „Grünspan“. Ein Bett, ein Schrank, ein kleiner wackliger Tisch mit einem dreibeinigen, alten Holzstuhl. Nichts, auf dass er nicht verzichten könnte. Seufzend stand er auf, trank den letzten Rest Ersatzkaffee, schüttelte den Kopf wegen des Bitterkeit und machte sich bereit. Er öffnete den Schrank, holte die langläufige, große Browner-Luger heraus... diese Waffe war eine Spezialanfertigung für ihn vom Büchsenmacher Jackman Hollston, dem Waffenschmied der Königin.Die Wumme war recht leicht für ihre Größe. Sie besaß einen langen, gezogenen, ziselierten Lauf, und war als besonders treffsicher bekannt, wenn Rutger sie verwendete. Sie besaß eine doppelte, seitliche Dampfpumpe. Außerdem war ihre Durchschlagskraft beachtlich. Keine echte BeeEffGee, aber immerhin das Beste, was man bekommen konnte, wenn es noch in eine Manteltasche passen sollte, ohne Löcher hineinzureißen. Die Löcher konnte die Waffe dann in die passenden Zielsubjekte stanzen. Die Wumme wurde übrigens „Iron Mag “ genannt, oder die „eiserne Lady“! Rutger ließ nie verlauten, warum er die Waffe so nannte. Wer am falschen Ende des langen Laufes stand, hatte eben Pech gehabt und keine Zeit, danach zu fragen. Alle Anderen interessierte es nicht. Eine herrliche, doppelläufige Bronzepistole.

Rutger zog den schweren Ledermantel an, ohne den er fast nie unterwegs war und öffnete die knarrende Tür. Das Zimmer war jetzt leer. Bis auf kalten Rauch hatte er hier nichts hinterlassen. Er ging die knarzende, krumme Treppe herab und betrat den kleinen Gang, der zum Schankraum führte. Noch war Polizeistunde und die Theke war leer. Die Ludditen achteten zwar nicht das Gesetz aber die Macht der Gewohnheit galt immer noch … Der Wirt, Poor-Joe, ein dicker Mann, der wenig redete ,aber die Augen offen hielt … und die Hände auch, nahm das Mietgeld für die drei Tage, die Rutger hier verbracht hatte, mit strahlenden Augen entgegen. Rasch zählte er die fleckigen Schillinge und ließ sie unter der Schürze in der Brusttasche verschwinden. „Noch einen Kurzen auf den Weg?“ fragte er leutselig. Da sagte Rutger nicht nein, stellte sich an die Theke und der Wirt goss das Gesöff ein. Nicht der beste aller Whiskies, aber man musste heutzutage froh sein, überhaupt an vernünftige Getränke zu gelangen. Die Ludditen verboten zwar nicht den Alkoholkonsum, aber oft genug zerschmetterten sie zu weit entwickelte Destillierapparate, die nicht DEN REGELN entsprachen. Rutger stürzte das Getränk hinunter, es brannte erfreulich im Magen und er wandte sich ab, um hinauszugehen. Er hatte seine Spur … und wusste, wo sie ihn hinführen würde … aber erst musste er noch mit einem seiner Informanten reden, das würde den Weg, den er zu nehmen hatte, kanalisieren.

Rutger trat auf die Straße hinaus, eine kleine, krumme Gasse im East-End von Killmore. Hier machte sich der Abschaum breit, aber irgendwo mussten die Leute ja unterkommen, die auf der Flucht vor den Ludditen waren. Das war der eigentliche Abschaum...aber sie hatten eben im Moment die Macht. Rutger hoffte, dass es nicht so bleiben würde. Er knirschte leise mit den Zähnen und ging rasch vorwärts gegen den schneidenden Wind und den Nieselregen, der die Leute schon seit vier Tagen zermürbte. Beruhigt spürte er die lange Luger in der Seitentasche des bequemen Ledermantels. Er bog um eine Ecke und betrat eine noch engere Gasse, deren schiefer Abtritt kaum zu begehen war. Vorn in einer Nische neben einer schmutzigen Tür bewegte sich etwas. Das war Klondyke-Kat. Sie war eine seiner besten Nachrichtenquellen … denn ihre Kunden quatschten oft … wer würde schließlich schon auf eine Nutte hören. Doch Rutger schätzte ihre Aufmerksamkeit, die sie den eingehenden Nachrichten gab und er hatte sich schon so manche Information bei ihr geholt. Er trat näher. Klondyke-Kat schnippte den Zigarettenstummel weg, den sie aufgeraucht hatte, und den ihr irgendein spendabler Freier geschenkt hatte, ebenso wie Alkohol war auch Tabak rar heutzutage. Die Ludditen blockierten die Häfen und ließen nur die Waren ins Land, die sie wollten. Das war der Wirtschaft des südlichen Königreiches auf der großen Insel nicht gerade zugänglich. Aber man musste eben zurechtkommen. Sie nickte ihm zu und sagte mit ihrer dunklen, rauchigen Stimme; „Man munkelt von einem Deal aus dem Schloss und die Sore ist bereits weitergewandert … wohin? Na, was glaubst Du denn? Ins alte Industrieviertel natürlich!“ Auffordernd blickte sie Rutger aus ihren kecken Augen an. Doch er war jetzt nicht auf Spielchen ausgelegt. Bedächtig nickte er und verarbeitete die bereits erwarte Information. Dies hier war nur eine weitere Bestätigung dessen, was er bereits geahnt hatte. Die Ludditen steckten dahinter oder jemand in ihrem Auftrag. Egal, er hatte seinen Kontakt mit der Königin und würde ihn erfüllen, komme, was da wolle. Rutger hatte sich noch nie vor irgendetwas oder jemandem gefürchtet ...a uch nicht vor der Überzahl der Kanalratten, die Ludd mobilisieren konnte.

„Danke!“ erwiderte er knapp, doch Klondyke-Kat wusste schon, wie es gemeint war. Zerstreut reichte er ihr einen größeren Schein und sie griff beinahe gierig danach, doch schnurrte fast dabei: „Erfreut! Klondyke-Kat kriegt immer ihre Mäuse!“ Rutger nickte zustimmend und ging weiter die hohle Gasse hinunter und ließ sie bei ihrer Arbeit zurück.. Der Wind pfiff jetzt noch stärker und er musste sich gegen den Strom desSturms stemmen. Hastig schloss er den Mantel und steckte den Kragen hoch.

Dann nahm er den Weg, den er gehen musste. Das ehemalige Industrieviertel lag noch einige Meilen voraus, doch er erkannte bereits die schmutzigen Ruinen, die abgebrochenen schwarzen Zähne der ehemaligen Schlote, das dunkelbraune Ziegelrot, das von Wind und Wetter abgegriffen war. Umgeben war das Areal von einer alten Mauer aus Bruchziegeln, die nur wenig Durchgang boten, denn die Ludditen hatten das Betreten verboten und bewachten im allgemeinen die wenigen Eingänge recht gut. Die offiziellen Eingänge. Doch Rutger kannte sich hier aus, er wusste, wer hier einst malocht hatte und ein Gebiet von mehreren Quadratmeilen kann man mit ein paar faulen Fußlatschern allein auch nicht lückenlos überwachen. Also machte er sich auf den Weg durch die krummen, engen Gassen der Altstadt, bis die rotbraune Ziegelmauer vor ihm aufragte.

 

 

2. Das alte Viertel - bess're Industrie war nie

 

 Rutger ging die schmale Straße entlang und musterte die Wand der Mauer genau. Dann hatte er gefunden, was er suchte. Eine schmale Stahltür befand sich hinter einem Altan, in einer Seitenwand. Sie war unbewacht, denn die Horden der Ludditen, die hier herumlungerten, begnügten sich mit dem Bewachen der großen Tore, durch die früher die Stahlarbeiter ins Industrieviertel geströmt waren … als das Land noch eine Zukunft zu haben schien … als noch Licht über Bretonia schien … und der Weg in die Zukunft klar wirkte.

Rutger blieb stehen, untersuchte kurz das Schloss und stemmte die Tür dann mit seiner wuchtigen Schulter auf. Sie war nicht verschlossen, sondern klemmte nur in den Angeln durch den Rost, der die Bewegungsstrukturen bereits halb zerfressen hatte. Kreischend öffnete sich die kleine Tür und er musste sich sogar bücken, denn sie war wohl nur für kleinere Personen als er konzipiert. Rasch trat er hindurch und drückte sie wieder ins Schloss. Na also, jetzt war er drin, Nun würde man weitersehen. Über das Geräusch machte er sich keine Illusionen, das war nicht zu vermeiden gewesen … und ebenso wenig zu überhören. Früher oder später würde eine Ludd-Patrouille hier entlang kommen. Er hatte also die Wahl der Konfrontation oder konnte sich verdrücken. Genau genommen, war Rutger das egal. Er nahm, was kommen würde.

Er schmiegte sich in eine Ecke, denn schon hörte er rasche Schritte. Die übliche Zwei-Mann-Patrouille wahrscheinlich.

Er streckte das Bein aus und der erste Fanatiker, der um die Ecke stürmte, fiel über seinen schwarzen Stiefel und knallte zu Boden, wobei er den Holzknüppel verlor, den er trug. Schlitternd flog dieser über den Boden und kam vor Rutger zu liegen. Rasch ergriff er die Stange und gab dem Ludditen einen harten Schlag über den Kopf. Schon kam der andere der Gauner um die Ecke gerannt und lief direkt in den Knüppelschlag hinein. Dieser traf ihm im Nacken und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die Wand, an der er mit einem lauten, knirschenden Geräusch heruntersank. Rutger nickte zufrieden, Gut! Ammo gespart und zwei Schädel geknackt. Zwei der Arschlöcher vom Ludd-Orden weniger. Er bückte sich kurz und durchsuchte die Kadaver schnell. Bis auf ein Drogenstäbchen und einen langen Bronzeschlüssel fand er nichts. Den Schlüssel nahm er mit, die Drugstange zertrat er achtlos unter dem Stiefel. Blut lief aus dem Riss auf dem rasierten Schädel des toten Fanatikers. Rutger zuckte die Achseln und schob den Schädel mit dem Stiefel zur Seite.Verkrümmt blieb der Kadaver liegen. Mit langen Schritten ging er dann in das Gewirr der Gassen hinein, das zur ersten der großen, alten Fabrikhallen führte.

 

 

Es war nicht so, dass das alte Industrieviertel gänzlich leer war. Einige Ratten mit zwei Beinen entgingen den Ludditen immer und es gab Einzelgänger, die sich scheu herumdrückten, vom Fledern lebten oder es turnten herumplündernde Banden. Herum. Nichts, das offiziell gelobt wurde, aber von den Ludditen stillschweigend übersehen. Alles, was die Überreste der Industrie weiter zerstörte, war schließlich in ihrem Sinn.Wer auch immer es durchführte und warum. Nach Motiven fragten auch die Ludd-Anhänger nicht, wenn in ihrem Sinne gehandelt wurde.So war das heutzutage in Killmore. Rutger war all dieser Dreck herzlich gleichgültig. Er hätte lieber einen florierenden Staat gehabt, ein Land, in dem der Gesellschaftsvertrag noch funktionierte, die Wirtschaft sich entwickelte. Aber die Ludditen erlaubten nur Handarbeit, einfaches Handwerk, keine höherwertigen Maschinen wie etwa Watts große Dampfpumpe. Rutger schüttelte sich und ging weiter. Die Gassen wurden breiter und endlich mündete eine in einen kleineren, freien Platz ein, an dessen anderem Ende der Eingang zu einer der alten Industriehallen war. Rutger ging näher, provozierend über die Mitte der Plaza, doch außer einigen versteckten Bewegungen am Rande seines Wahrnehmungsfeldes bemerkte er nichts. Noch nicht.Das waren nur die Kanalratten, die natürlich sensitiv waren gegenüber Geräuschen und Bewegungen, sich selbst aber lieber, Ärger möglichst vermeidend, im Dunkel und somit bedeckt hielten. Das war Rutger nur recht.

Er marschierte auf das schmutzige, schwarze Tor zu und verhielt kurz davor. Mit dem Lederhandschuh drückte er dagegen und das Tor schwang leicht auf. Natürlich schon lange nicht mehr verschlossen; es gab ja auch nichts mehr zu holen hier. Dennoch blieb er vorsichtig beim Eintreten; wachsam und aufmerksam. Kampfbereit. Die trübe Dunkelheit der großen Werkhalle wurde durch schummriges Licht aus den zerbrochenen Seitenfenstern leicht erhellt. Schmutz auf dem Boden, Unrat, alte Holzbretter, mitunter ein paar vergilbte Zeitungsblätter. Rutger sah, dass sogar noch Werkbänke an den Seiten des Saales standen, allerdings natürlich leer, abgenutzt, zerschnitten und mit Ruß und Dreck bedeckt. Eine der Bänke besaß sogar noch die metallenen Backen zum Einpassen eines Schraubstockes. Rutger ging leise weiter und wich den größten Pfützen von undefinierbarer Flüssigkeit am Boden aus. Wasser, Öl, Pisse, oder Sonstiges, er wollte gar nicht wissen, was das war. Trocken kam er vorwärts und erreichte bald das Ende der Halle.Seine schweren Stiefel stampften leise über den Boden. Auch hier befand sich eine große, schwarze Tür aus rostigem Altmetall, schmutzig und verdorben. Obszöne Grimassen waren mit scharfen Messern in das Metall geritzt, dumpfe Parolen standen daneben. Rutger hörte ein leises Quieken hinter sich, aber er wusste, dass das nur die Ratten waren, die echten, kleinen, widerlichen Viecher, nicht die zweibeinigen. Keine Gefahr. Er öffnete die Tür und trat hinaus ins Dunkel der Nacht. Der innere Verteilerplatz lag vor ihm. Etwas klirrte und er bückte sich, sah ein helles, metallenes Blinken im Mondlicht und griff nach dem Gegenstand. Schau an, ein alter, verrosteter Schraubendreher. Ein Werkzeug! Das hatten die Ludditen wohl übersehen auf ihrem Autodafe-Feldzug. Vom alten Holzgriff war die Farbe abgeblättert und der metallene Schaft war verrostet bis auf eine noch blinkende Stelle, auf die das blitzende Mondlicht gefallen war und von dort war es Rutger ins Auge gefallen. Er hielt kurz an, memorierte die Umgebung, aber alles war ruhig, also wischte er den Dreher mit seinem Allzwecktaschentuch sauber. Der Rost ging leicht ab und die Metallstange mit ihrer kantigen, abgeflachten Spitze kam wieder zum Vorschein. So gut wie neu! Nur der Griff müsste wieder lackiert werden. Rutger schob das nützliche Werkzeug in den Ärmel. Von dort würde es leicht herausgleiten, falls er ein Ludd- Gehirn damit perforieren müsste. Dann musterte er den großen Verteilerplatz. Vier kleine, flache Straßen mündeten hinein und ein Wegweiser in der Mitte verkündete die Kurse zu den einzelnen, ehemaligen Werkhöfen. Rutger las, was noch zu erkennen war auf den vergilbten, verschmutzten Schildern mit ihrer abblätternden Farbe. Links: Walzwerk, rechts: Grobschmiede, nach vorn in nordwestlicher Richtung: Werkzeugmacher, rechts nordöstlich: Feinwerkzeuge.

Ein Weg war so gut wie der andere, aber Rutger, obwohl in der Altstadt als der Mann fürs Grobe bekannt, bevorzugte auch gern die feinere Klinge. Darum ging er zuerst nach Nordosten …

Die Werkstraße war nur etwa fünfzig Meter lang, gesäumt von rußigen, schmutzigen Ziegelmauern, bedeckt mit obszönen Aufforderungen und zweimal hörte Rutger ein Klingen und Rascheln hinter den Wänden, aber darum musste er sich jetzt nicht kümmern. Vielleicht später … mal sehen. Er ging weiter und kam bald zur Halle für die Herstellung von Feinwerkzeugen. Dies war ein niedriger, gedrungener Bau, einst vielleicht weiß gewesen aber schon lange schmutzig heruntergekommen, mit Löchern in den Wänden, geschlagen von aufgebrachten Ludditen und ihren tumben technikfeindlichen Anhängern.

Er trat durch eine Seitentür ein … und schon war er von einer Plündermeute umzingelt. Heulend fielen sechs Mann über ihn her. Rohe Knüppel und rostige Messer drohten. Eine Kette wirbelte durch die Luft, doch sie verfehlte ihn. Abgerissene Kerle in dunklen Ludd-Klammottenresten und zerrissenen Fetzen. Hier hatten sie sich aber mit dem Falschen angelegt.

Rutger riss den Schlagring aus der linken Manteltasche und ließ die Faust in eine heranrasende Fresse fliegen. Es knackte laut und der Lümmel sank zu Boden. Der Detektiv trat rasch aus, sein stahlnagelbeschlagener Stiefel traf eine empfindliche Stelle mit voller Wucht und der zweite Plünderer ging erst einmal zu Boden. Inzwischen hatte Rutger den Schraubendreher aus der rechten Tasche gezogen und rammte ihn einem Typen durchs Auge ins Gehirn. Wumm! Er zog ihn wieder heraus. Das ging ganz leicht.Gleich ein zweiter. Der bekam ihn beinahe durch die Nase in den Kopf. Doch auch er fiel um. Damit waren schon vier ausgeschaltet. Jetzt hatte er Luft. Rutger kam gern ohne die Schusswaffe aus, die er nur in wirklichen Notfällen zog. Darum rammte er dem Einen, der mit gezogenem Messer heranraste, den Stiefel ins Gesicht und schmetterte ihn so zu Boden. Der letzte lief davon und Rutger warf ihm das Messer seines Kumpels hinterher, traf ihn damit am Oberarm. Sollte der Plünderer ruhig damit abziehen. Es gehörte ja sowieso der Bande.“Vergiss' Dein Messer nicht!“ rief er darum hinterher. Rutger musterte die Körper um ihn herum. Zwei waren definitiv erledigt, echte Kadaver jetzt, die übrigen würden wieder aufwachen, nur etwas lädiert und mit Kopf-und Körperschmerzen. Das hatten sie eben davon. Sollten etwas vorsichtiger sein, mit wem sie sich anlegten. Er schüttelte sich kurz, fegte etwas Schmutz vom Kragen, stellte ihn auf und rückte den schwarzen Ledermantel zurecht. Dann ging er weiter. Dreher und Schlagring steckte er wieder ein. Jetzt hatte er Zeit sich umzusehen. Die Plünderer würden sich erst einmal davonmachen und die Nachricht weiterverbreiten, dass hier jemand war, mit dem man sich besser nicht einließ. Oder sie würden mit Verstärkung zurückkommen, das war ihm auch egal.Er nahm es mit jedem auf.

3. Die erste Spur

 

 Die große Halle war nicht leer. Er erkannte einige ehemalige Werkbänke, roh zerschnitten, geschändet von aufgebrachten Fanatikern. In der Ferne befanden sich sogar die Reste einiger Werkzeugmaschinen. Rutger trat näher, ging um den Dreck und den rohen Müll auf dem Boden herum und musterte die Überreste der Drehmaschinen. Nur das schwere, metallene Gehäuse stand noch; die Innereien und feineren Arbeitsmaschinen waren zerschlagen, zertrümmert, oder weg, von Plünderern abmontiert und irgendwo verlorengegangen. Er betrachtete das Innere einer der Apparate genauer. Am Boden sah er etwas blinken. Ein einsames Zahnrad. Grinsend hob er es auf und steckte es ein. Jetzt war auch er ein Plünderer. Es wog schwer in der Tasche, aber er ließ es dort. Eine nette Erinnerung.

Rutger ging weiter, an den Trümmern der Maschinen vorbei und betrat den leeren Raum dahinter. Vorn erkannte er ein ehemaliges Lager. Die Scheiben waren zwar zersplittert und nur noch zackige Reste staken roh in den Fassungen der Fensterrahmen, aber er erkannte einige Regale im Inneren, die noch Inhalte zu haben schienen. Die Tür an der Seite war natürlich halb zerfetzt, aus den Angeln gerissen und hing schief im Holzrahmen der Zargen.

Rutger zwängte sich durch die schräge Öffnung und musterte die Reste in den Regalen. Nützliches war hier sicher nicht mehr zu finden; die Plünderer und Ludd-Fanatiker hatten sicher schon alles zerstört oder mitgenommen.Er musterte die Regalbretter … Zerrissene Schleifscheiben, einige zerbrochene Bohrstängel, sonst nichts. Papier, wohl ehemalige Blaupausen, vergilbt, nichts mehr erkennbar. Doch Rutger witterte hier etwas. Er sah noch einmal genauer hin. Hinter einem alten, halbvermoderten Zeitungsstapel schien ein Loch in der Wand zu sein. Rutger wollte den Stapel anheben, doch dieser war mit einem abgebrochenen Bohrgestänge an das Holz des Regalbrettes genagelt. Das machte ihn erst recht misstrauisch. Er griff stärker zu, zog und endlich konnte er das staubige Papier beiseite schieben. Dahinter war wirklich ein Loch. Rutger griff hinein. Er fühlte ein Stück Pappe oder hartes Papier. Mehr nicht. Aber er zog es heraus. Dann ging er einen Schritt zur Seite und versuchte, bei dem schummrigen Naturlicht zu erkennen, was auf dem Zettel stand. Viel konnte er nicht entziffern, doch er bemerkte einige Worte und Zahlen, die wohl einer alten technischen Zeichnung nachträglich hinzugefügt worden waren.: 3A-18.HELA.

Das schien eine Art Ortsbezeichnung zu sein. Daneben war ein Zahnrad abgebildet, etwas krumm mit der Hand gezeichnet. Rutger ahnte langsam, womit er es zu tun hatte.

Das mussten die Techniker sein, sie hatten vielleicht eine Untergrundorganisation gebildet … die kümmerlichen Reste gut ausgebildeter Leute, die es noch geben mochte, nach den Verfolgungsjagden, die Ludd auf alle Köpfe unternommen hatte, die etwas wussten.

Rutger ging weiter, den Hallengang entlang zurück, denn im Lager würde er nichts mehr finden. Aber jetzt hatte er erst einmal eine Zieladresse. Mal sehen, was sich dort ergeben würde. Er ging zum rückwärtigen Rand des großen Raumes zurück, suchte und fand einen alten Lageplan, der vergilbt und zerrissen an der Wand hing. Diesen verglich er mit den Zahlenangaben auf dem Zettel, mit den Daten, die er vorn im Lager gefunden hatte.

Er musterte die Karte und suchte den vorläufigen Zielort. 3A-18 war wohl am anderen Ende der großen Industrieanlage zu finden, denn er fand immerhin 2A-17 verzeichnet. Ein Pfeil zeigte zum Rand der Karte. Dort könnte es also weitergehen. Rutger griff zu seinem Schraubendreher und löste das Blatt vorsichtig von der Wand. Er faltete es zweimal ein und steckte es in die Brusttasche des Ledermantels. Das Papier war etwas brüchig. Nun hatte er den Weg klar vor sich. Er memorierte den Kurs und steuerte auf den kleinen Seiteneingang am Rande der Halle zu.

Rutger trat hinaus in die Nacht und folgte schweigend dem langen Rundkurs, dessen schmale Bodenlinie aus grauem Beton in die Nähe des neuen Ortes führen sollte. Dunkel und ruhig lag das Industrieviertel um ihn herum, nur ab und zu raschelte es in der Ferne hinter den Mauern. Das störte Rutger kaum. Sollten die Kanalratten ruhig herumziehen, ihn würden sie schon in Ruhe lassen. Er folgte stumm dem schmalen Weg und glitt leise über den rauhen Steinboden zwischen den Betonwegen. Einmal musste er die Karte zu Rate ziehen, doch dann hatte er sich wieder orientiert und konnte weitergehen. Stumm ragten die braunen Ziegelmauern um ihn herum auf und die Bachcksteinwände schienen ihn klagend anzusehen. Er zuckte unwillkürlich die Achseln … schließlich konnte er nichts für den Ludditenaufstand. Er war schließlich nur ein Privatdetektiv, wenn auch im Moment im Auftrag der Königin. Nahm er zumindest an. Der Vermittler, der ihm den Auftrag zuschanzte, war bei Hofe bekannt, wie Rutger wusste und hatte stets von einer hochgestellten Persönlichkeit gesprochen … wer anders sollte das sein, als die Königin Kelgarie selbst. Der Vorschuss war immerhin nicht schlecht gewesen, ein gehöriger Batzen.Eine ordentliche Menge Schillinge. Rutger hatte angenommen … außerdem wollte er etwas bewirken, um diesen Ludditenabschaum zurückdrängen zu können. Dabei tötete er als friedlicher Mensch nur dann, wenn er angegriffen wurde. Rutger zuckte mit den Achseln: auf einen groben Klotz gehörte eben ein grober Keil. Wenn man in die Ecke gedrückt wurde, dann teilte man eben aus.

 

4. Der Weg führt weiter

 

 Er blieb stehen. Hier hatte er die gesuchte Halle schon beinahe gefunden. 2A-17 stand an der Wand der gelben Ziegelmauer, auf einem vergilbten, grauen Schild, verwittert und im Mondlicht kaum erkennbar, doch Rutger konnte die Buchstaben so gerade noch entziffern.

Er betrat den Raum vorsichtig. Aufmerksam, denn die Tür knarrte nicht, sie schien kürzlich gut geölt worden zu sein. Er sah sich um. Dunkel, aber das war zu erwarten. Ein eher kleiner Raum. Stapellager für schwere Maschinenteile, vermutete er. Jetzt natürlich beinahe leer, bis auf ein paar Trümmer in der Mitte und Schmutz und Dreck in den Ecken. Viel glaubte er hier nicht zu entdecken, doch er hoffte auf eine Spur, wie es weitergehen sollte. Deshalb sah er sich im Schummerlicht aufmerksam um. Er ertastete ein altes Wandregal und bemerkte einen Kerzenstummel im Halter, der halb versteckt in einer Ecke stand Sogar drei Streichhölzer lagen noch daneben. Rutger strich eines an der kahlen Mauer an und hielt es an den Stummel. Die Flamme wuchs empor.Immerhin drei Zentimeter Wachs waren noch vorhanden. Das genügte ihm. Nun leuchtete er mit der trüben Funzel die Wände ab. Vielleicht fand er hier den nächsten Plan.Doch die Wände schienen alle leer, schmutzig braun starrten sie ihn höhnisch an. Rutger stellte die Kerze auf dem Boden ab und untersuchte den Trash in der Mitte des Raumes. Dieser wirkte seltsam künstlich, beinahe malerisch, als hätte ihn jemand dorthin drapiert, dabei handelte es sich doch nur um alten Ramsch, Müll, Trümmer und den üblichen Schrott, der sich so ansammelte. Rutger hockte sich vor den Haufen Müll und begann vorsichtig, ihn auseinander zu pflücken.

Alte Zeitungen, zerrissen und feucht, leere Konservendosen, halb zerquetscht, zwei schmale Bretter mit rostigen Nägeln, eine leere Glasflasche, war wohl mal Bier drin gewesen, immerhin noch ganz, doch Rutger konnte sie nicht gebrauchen. Er kramte weiter in dem Müll herum. Ein alter Stoffetzen, ein undefinierbar zusammengeknüllter Haufen Blechstreifen … doch endlich: Darunter lag ein Zahnrad auf einem Stück Papier. Rutger nahm das kleine gezähnte, kreisrunde Objekt schweigend auf, steckte es in die Außentasche und griff nach dem Zettel. Na also, hier fand er den Folgeplan. Deutlich war der Pfeil am Rand des Blattes zu sehen und die Zahlen 3A-18. Dahinter war ein Rechteck eingezeichnet, gekennzeichnet mit HELA. Das musste das Ziel sein. Lautlos erhob er sich, rückte den Müll wieder in die Mitte und blies die Kerze aus, die er wieder in die Ecke stellte, neben die zwei Streichhölzer.

Dann verharrte er kurz und stumm neben der Ecke, denn er hörte den Marschtritt einer Ludditenpatrouille draußen über den Beton schrammen. Rutger drückte sich geduckt in den Schatten. Er würde dieser faulen Bande von gemeinen Nichtstuern niemals aus dem Weg gehen, aber manchmal war es besser, leise voranzuschreiten, als ein paar Köpfe einzuschlagen. Einer Konfrontation würde er natürlich nicht ausweichen, aber hier war es besser, abzuwarten. Nach drei Minuten wurde es still, die Bande schien sich verzogen zu haben. Er erhob sich geschmeidig und verließ den Schuppen mit leisen Schritten.Dann folgte er dem nächsten Zementpfad und erkannte bald einen größeren Schrottplatz, der auf seinem Weg zum Ziel lag. Hier verharrte er kurz, um die Umgebung zu mustern, aber es schien keine Gefahr zu geben.Nur der große Schrottplatz ragte vor ihm auf. Hier schien eine Art Zentrum der Ludd-Aktivitäten zu sein, denn sie hatten alle technischen Teile, die sie nur zertrümmern konnten, hier wie ein negatives Mahnmal aufgetürmt und ausgebreitet.

Ludger musterte den riesigen Schrotthaufen. Er wanderte etwas um ihn herum, wie um zu sehen, ob niemand dahinter kauern würde, um ihm aufzulauern.

Plötzlich bemerkte er eine Art kleine Metalltür, die künstlich in den Haufen eingepasst zu sein schien. Sie war kaum zu erkennen hinter einem großen, verdrehten und zerfetzten Metallbolzen, doch Rutger erschien die Platte als zu glänzend, zu sauber. Er hob den Fuß und wollte schon mit dem Stiefel dagegendonnern, als sich die Wand von selbst öffnete. Herausgekrochen kam ein kleiner, dicklicher Junge. Nur ein blöder Bengel, schmutzig, verlottert und in zerrissene Lumpen gekleidet, mit wirrem, braunem Haarschopf. Doch irgendwie hatte er es geschafft fett zu werden in diesen düsteren, mageren Tagen. Seltsam! Ächzend erhob sich der Junge von den Knien auf die Füße und sah sich ängstlich um, trotz seiner Fettheit wirkte er verhärmt, aber irgendwie auch aufgedunsen. Rutger winkte ab. „Ruhig!“ zischte er. „Es sind keine Ludditen in der Nähe!“ Der Bengel äugte ängstlich umher, beruhigte sich aber auf seine Worte hin.„Schnell!“ rief er Rutger leise zu: „Ich weiß, was sie suchen. Mein Name ist Ju-Jo und sie wollen zu den Technikern. Die Reste der Gilde finden sie bei ...“ Rutger unterbrach den fetten , schmutzigen Bengel: „... bei HELA“ sagte er ruhig. „Weißt Du, wo das ist?“ Das Gesicht des dicken Jungen hellte sich auf unter dem Schmutz. „Ich bringe sie hin.“ Rutger nickte. „Gut!“ Er warf dem Jungen einen Schilling zu, den dieser gierig auffing. Dann huschte er trotz seiner Fettheit erstaunlich flink am Boden entlang wie eine Ratte auf der Spur dreier Fragezeichen und zeigte Rutger den Weg. Bedächtig folgte der Detektiv der menschlichen Kanalratte Ju-Jo. Irgendwie hatte der Bengel unter all dem Schrott seine Agilität bewahrt.Erstaunlich. Rutger ging mit gemessenen, leisen Schritten hinter dem menschlichen Wiesel her. Sein Mantel schleifte leicht auf dem Boden und wirbelte ein wenig grauen Staub auf. Die beiden verschwanden hinter einem Stapel Schrott: ein Mann und sein Hund.

Die schmutzige, kleine Ratte glitt fast lautlos vorwärts, dicht über dem dreckigen Grund, fast schnüffelnd den Kopf nach vorn gebeugt und Rutger folgte aufrecht aber ebenso leise.

Einige Schrottberge waren zu überwinden, möglichst ohne großes Geräusch, zwischen anderen Trümmerhügeln konnten sie sich auf bereits vorhandenen Trampelpfaden hindurchwinden. Der kleine Junge schien in seinem Element zu sein. Hier zwischen den Abbruchanhäufungen kaputter technischer Teile und alter rostiger Maschinen schien er sich zu Hause zu fühlen. Rutger folgte dem Bengel lautlos. Endlich schien das Ziel erreicht zu sein. Ein weiterer, verwitterter Verschlag hinter einem Müllberg mit stählernen Fragmenten hochwertiger Maschinen war erreicht. Rutger tat diese nutzlose Verschrottung in der Seele weh, welch eine Vergeudung von Talenten aber jetzt musste er sich auf die Gegenwart konzentrieren. Die Ludditen würden ihr Fett schon noch wegbekommen. Schon jetzt konnten sie sich nur mühsam halten. Ihre Gefolgschaft schwand dahin im Sinne des Wortes, denn überall im Untergrund bildeten sich Splittergruppen des Widerstandes, Aufstände der Vernunft, die dafür sorgten, dass die Anzahl der Ludd-Anhänger radikal ausgedünnt wurde.Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Terrormacht von Ludd gebrochen war. Vielleicht konnte die Macht der Technik im Dienste des Menschen wieder erstehen. Rutger grinste freudlos: „Der Schlaf der Unheheuer gebiert die Vernunft!“ murmelte er.

Dazu aber benötigte Ludd den Diamanten der Königin. Dort drin war der Weg fokussiert, der zu den alten Schätzen des Wissens führte: eine kryptographische Anweisung zu einer alten Bibliothek der technischen Universität, die irgendwo im Untergrund noch existieren sollte, rechtzeitig von weitsichtigen Ingenieuren in Sicherheit gebracht, damals, als der Sturm losbrach.

Rutger wusste nicht, ob der Dieb nur einen kostbaren Edelstein stehlen wollte, oder ob er im Auftrag der Ludditen unterwegs gewesen war, um den technischen Schatz zu rauben und die Renaissance der technischen Welt zu verhindern. Ludds letzte Tat sozusagen, denn die Bewegung lag im Sterben, die letzten Zuckungen würden bald erfolgen. Rutger hatte bereits einen Teil dazu beigetragen in seinem letzten Fall über die Wasserpumpe. Aber das war eine andere Geschichte. Die würde er später einmal erzählen, bei einem guten Whisky. Nur in einigen Vierteln der größeren Städte konnten die Ludditen sich noch eben so an der Macht halten, indem ihre marodierenden Banden den Straßenterror verbreiteten. Vor allen Dingen hielten sie natürlich Killmore, die Hauptstadt von Bretonia fest in ihrem eisernen Terror-Grif.f

Rutger musterte aufmerksam die Umgebung. Die Bretterbude wirkte zunächst unscheinbar, zumindest von außen. Aber das mochte nichts besagen. Er betrachtete kalt den kleinen dreckigen Jungen, Ju-Jo, der neben der schmutzigen Wand vor sich hin zitterte und ditterte. „Da drin?“ fragte er skeptisch und der fette Bengel nickte nur. „Na schön. Danke!“ sagte Rutger ausdruckslos und ließ noch einen Schilling hinüberwirbeln, den der Junge stumm auffing. Er nickte bloß gleichgültig, duckte sich und verschwand plötzlich in der Dunkelheit des Schrotthaufens wie eine echte Kanalratte. „ Na, immerhin!“ murmelte Rutger anerkennend und öffnete die Tür, indem er gegen die Holzfassung drückte. Auch diese schien gut geölt zu sein, denn sie öffnete sich lautlos. Rutger trat skeptisch ein …

 

5. Die Wahrheit findet sich nur in der Tiefe

 

 Rutger betrat die Bretterbude und sah sich um. Hinter ihm stand die Tür leicht offen. Etwas Licht fiel durch den Mond zwar hinein, aber das Innere war erleuchtet. Das kleine Fenster geschwärzt, so dass kein Schein herausdrang, aber Rutger betrachtete staunend die Baulampe, die an einem Haken an der Wand hing und einen matten, gelben Schimmer verbreitete. Beinahe anheimelig. So eine nützliche Leuchte hatte er vor fünf Jahren zuletzt gesehen, und selbst diese war bereits kaputt gewesen, vom Ludd-Mob zerstört. Die verwendeten ja meist nur krumme Wachskerzen.

Er sah sich um. Eigentlich nur ein kleines Lager. Nichts Auffälliges. Wandregale, die kaum noch Einzelteile enthielten, da es nichts mehr gab an technischen Maschinen. Staub, eine alte Zeitung, hie und da ein Holznagel … die große Leere. Nichts sonst. Nur der Boden wirkte erstaunlich sauber und ziemlich freigeräumt. Keine Trümmer, keine Scherben Rutger prüfte den Nagel, an dem die Lampe hing. Dieser war fest angebracht … zu fest, wie ihm schien. Ziehen oder drücken brachte nichts, drehen auch nicht. Also schob er leise die Tür hinter sich mit dem Fuß zu und probierte erneut. Die Tür schwang lautlos ins Schloss. Ein leichtes Drücken auf den Nagel ließ diesmal ein schnarrendes Geräusch ertönen, etwas rastete leicht ein und er spürte plötzlich die Bewegung nach unten. Ein Lift. Ein guter, alter mechanischer Lift. Wahrscheinlich Zahnradantrieb mit Kettengehänge. Ein nützliches Prinzip. „Ein echter Otis!“sagte Rutger bewundernd. Es gab Zeiten vor dem Ludd-Aufstand, da fuhr jeder Mensch statistisch einmal pro Woche mit einem Aufzug. Insbesondere die Häuser neigten dazu, immer höher zu werden, dank dieses revolutionären Prinzips mit Selbstbremsung. Inzwischen hatten die Ludditen natürlich überall die Anlagen herausgerissen und Treppen und Rampen eingebaut … durch Handarbeit. Eine mühsame Art, um Waren und Menschen vertikal zu bewegen. Reinstes Mittelalter, gegen jeden Fortschritt.Zu Fuß gehen.

Rutger beobachtete amüsiert, wie der Lift langsam abwärts sank, keine Schutzwände natürlich. Unterhalb des kleinen Stauraumes des Lagers waren die Wände reines Zement, doch immerhin fein abgeschliffen.

Er musste nicht lange warten. Nach etwa zwanzig Metern setzte der Lift leise auf. Rutger sah empor und entdeckte, das sich eine sinnreich entworfene Deckschicht über die Liftöffung geschoben hatte und, zumindest von unten her, einen alten Holzboden vortäuschte. Rutger nahm aber an, dass dieses Bild auch oben zu sehen war. Er trat aus dem Lift in einen kleinen Vorraum hinaus. Eine gasgespeiste Lampe baumelte von oben herab! Sicher, nur eine Birne am offenen, isolierten Rohrkabel … aber immerhin. Diese Lampe blakte nicht, warf ihren Schein kreisförmig auf den hellen, sauberen Boden und beleuchtete eine große Halle hinter der kleinen Kammer. Eine echte Gaslampe. Auch so etwas hatte Rutger vor einigen Jahren zuletzt gesehen. Das es diese Dinge noch gab! Rutger beschirmte die Augen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Holger Döring
Bildmaterialien: Holger Döring
Cover: Holger Döring
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2017
ISBN: 978-3-7438-3639-6

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