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Es war kalt. Also ich meine nicht eine „Kühle-Brise-im-Sommer-Kälte“, sondern einen echten „mir-frieren-trotz-Winterstiefel-meine-Zehen-ab-Frost“. Es war wirklich nicht angenehm, glaub mir. Thomas stapfte durch den vom Schneepflug auf den Gehsteig geschobenen Schneematsch, verzweifelt versucht, seine Hose weiter hochzuziehen. Was er nicht schaffte, sie rutschte zurück in das gräuliche Eiswasser. Seufzend gab er auf und nahm das bisher unter den Arm geklemmte, sorgsam mit Schleifen verzierte Paket wieder in die Hände. Es war einer dieser Tage, an denen du dir wünschst, niemals aus dem Haus gegangen zu sein. „Lechtalweg 10, 11,...ah hier.“ Er stieg in den Fahrstuhl und wählte das dritte Stockwerk. Während der Lift ruckelnd in Fahrt kam, versuchte Thomas noch verzweifelt seine Hosenbeine und die Frisur zu retten. Vergeblich. Beide waren klitschnass. „Verdammt, unbedingt bei einem Date! Und noch dazu riecht es hier nach...“ Er musste sich den Mund halten. War er das? Es roch eindeutig nach Schimmelkäse. Der widerlichste Gestank auf Erden. Es kann ja sein, dass viele Leute den Geruch von Roquefort, Bavaria Blue und wie sie alle heißen genießen, doch dem einunddreißigjährigen Bankangestellten stellten sich nur beim Gedanken an diese sogenannte „Köstlichkeit“ alle Haare zu Berge. Er und der Käse hatten einfach eine viel zu bewegte Vergangenheit, um sich jemals wieder verstehen zu können. Es war vor vielen Jahren gewesen, doch er konnte sich noch genau an den Tag erinnern. Er war acht Jahre alt und kurz davor, bei den „wilden Piraten“ aufgenommen zu werden. Das war damals die coolste Bande von Jungen, jeder Fürchtete sie, jeder achtete sie, und jeder wollte bei ihnen dabei sein. Er musste nur noch eine Mutprobe bestehen, dann würde er nie mehr gehänselt werden. Nie mehr nur „der kleine da“ sein, nie mehr den größeren Platz machen müssen. Sie saßen zu zehnt um eine Mülltonne, alle hatten ihre feierlichste Miene aufgesetzt. Dann erhob sich der älteste. „Wir wollen auch wissen, ob du würdig bist, einer von uns zu werden. Hier also deine Aufgabe.“ Er hob einen Holzstecken auf, stocherte im Müll und zog am Ende ein großes Stück ranzigen Blauschimmelkäse heraus. „Iss das.“
Was danach passiert ist, kannst du dir ja schon sicher vorstellen. Und ich will dir hier lieber die Details ersparen. Auf jeden Fall wachte er nach drei Tagen mit einer schweren Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus auf. Er aß nie wieder Schimmelkäse.
Mittlerweile stand er nun vor ihrer Tür. „Wirklich, war er das, der hier so stank? Der Geruch schien ihn regelrecht zu verfolgen. Diana riss ihn aus den Gedanken. Sie lehnte in einem bezaubernden weinroten Abendkleid am Türstock. „Hallo, schön dich zu sehen! Komm ruhig rein.“ Er nickte nur stumm und betrat ihre Wohnung. „Nett eingerichtet“, murmelte er abwesend. „Oh, danke! Komm doch mit rüber ins Wohnzimmer, das Essen ist gleich fertig.“ Das Essen war wirklich herausragend. Als erstes gab es Fenchelsalat mit Orangendressing, dann Steinpilzrisotto und am Ende selbst gemachtes Erdbeereis. Schon allein am Essen hätte jeder gemerkt, dass Thomas Diana eindeutig wichtig war. Sie hatte dafür fast 3 Stunden in der Küche gestanden, war nur zu höflich um das zuzugeben. Und leider war auch niemand zur Stelle, der Thomas darauf hinweisen konnte, er war weiterhin damit beschäftigt, den Grund für die Geruchsbelästigung zu finden. Ihr fiel gottseidank nichts auf, außer dass Tom, beide male als er von der Toilette zurückkam, auffällig nach Seife und ihrem WC-Duftspray roch. Außerdem schien es, als würden ihre Worte nicht einmal richtig durch die stickige Luft zu ihm durchdringen. Nun kannst du dir, werter Leser, sicher vorstellen, wie sich Diana gefühlt hat. Naja, um ehrlich zu sein, war sie schon immer der Typ von Mensch gewesen, der das Leben leicht nimmt. Sie war in dieser Situation zwar etwas verunsichert, beschloss aber, dass es sicher nicht an ihr lag.
Sie waren am Ende der Gänge angelangt. Diana beschäftigte sich mittlerweile damit, die Brösel mit dem Finger vom Tisch aufzulesen.
Dann endlich lies Thomas den Gestank Gestank sein und kehrte sich wieder seinem Date zu. "Ach ja, das hab ich ja ganz vergessen... Alles Gute zum Geburtstag! Hier, für dich." Ihr Gesicht erhellte sich schlagartig. "Oh, vielen Dank! Stört es dich, wenn ich es gleich öffne?" "Mach nur."
Und jetzt kommt die Pointe der Geschichte, also pass gefälligst auf, lieber Leser. Tom war nämlich überzeugt, Diana einen Rotwein zu schenken, dessen Flasche die Form eines Herzens hatte.
Elegant, und trotzdem romantisch. Die perfekte kombination.
Sie öffnete das Geschenk einen Spalt breit und lugte hinein. Diana starrte Tom an. "Du hast mir einen Käse geschenkt?"
Sie öffnete das Paket, und wirklich. Schön eingepackt lag ein mittelgroßes Stück Schimmelkäse vor ihnen auf dem Tisch (Thomas musste einen Übelkeitsanfall unterdrücken).Diese desintressierten, schlechtbezahlten Angestellten im Supermarkt um die Ecke hatten anscheinend die Pakete vertauscht. Jetzt, zur Weihnachtszeit, waren diese noch desinteressierter und gestresster, wenn das überhaupt möglich war. Er schwor sich, dem Personalchef einen der wütendsten Beschwerdebriefe seines Lebens zukommen zu lassen. Der würde sich noch wundern. Eine Frechheit war das, nun war das ganze Date versaut. Vielleicht könnte er ja die Supermarktkette verkl.... "Och und noch dazu meinen Lieblingskäse! Woher wusstest du das nur?"
Der Bankier war Sprachlos. "Ich hol uns schnell mein Käsemesser." Freudig hüpfte sie auf, warf Tom einen flüchtigen Kuss auf die Wange und eilte in die Küche. Der Mann traute sich endlich wieder zu atmen, war aber peinlichst darauf bedacht, nichts von dem tödlichen Gestank in die Nase zu bekommen. Okay, die Frau musste vollkommen von Sinnen sein. Aber er würde das hier durchstehen. Er würde mit ihr noch eine nette Konversation führen (und sie den Käse essen lassen), dann nebenbei erwähnen dass er morgen früh aufstehen müsse, sich herzlich bei ihr bedanken und dann... Oh mein Gott. Der Kuss. Das, worauf beide die ganze Zeit gewartet hatten. Die Krönung des Abends. Er würde sie küssen müssen, sie mit ihrem widerlich stinkenden Käsemaul.
Sie setzte sich wieder. "Ich wusste gar nicht, dass du auch ein Käsefan bist", sagte Diana und Schnitt eine Scheibe von dem (seiner Meinung nach etwas radioaktiv anmutenden) Käse ab und bot sie ihm an. "Weißt du, ich hab heute schon so viel gegessen..." Schulterzuckend schob sie sich das Stück in den Mund. Matsch. Matsch. Entsetzt beobachtete Tom das Geschehen. "Weißt du, als ich ein Kind war, hab ich Käse nie so gemocht. Doch dann, irgendwann in meinem Studium,...." Wieder einmal hörte Thomas ihr nicht zu, sah nur , wie sich ihr Kiefer bewegte. Gerade, als er den dritten Fluchtplan ausarbeitete, bemerkte er, dass sie in der Zwischenzeit den ganzen Klotz Käse verspeist hatte. Zufrieden betrachtete sie den Teller. "Es war wirklich köstlich, vielen Dank." Er schluckte. "Das kann ich nur zurückgeben, das Essen war fantastisch.", fiepte er. Sie versuchte, Blickkontakt herzustellen. Langsam hielt Thomas es hier nicht mehr aus, das ganze Zimmer war bedrückend, die orangene Tapete, die vielen Möbel, die schweren Gardinen. "Also...ich muss morgen früh raus..." sagte er und stand auf. "Oh, okay... Es freut mich dass du da warst." Sie stand ebenfalls vom Tisch auf und ging auf ihn zu. Eine Wolke ätzendes Gestanks wehte ihm entgegen. "Ähm ja, es war wirklich toll. Müssen wir mal widerholen." Sie kam noch einen Schritt näher. Schluck. Gerade als er sich umdrehen wollte und möglichst schnell die Wohnung verlassen, nach Hause gehen und sich mit seinem Lieblingsparfüm von Kopf bis Fuß einsprayen, sah er den Blick in ihren Augen. Es war eine Mischung aus Angst, Zärtlichkeit, Verunsicherung und unendlicher Zuneigung. Diesen Blick hatte er bisher noch bei niemandem gesehen. Seine Hände wurden feucht. Was sollte er tun? Wenn er sie nun küssen würde, würde er sich sicherlich übergeben. Doch war es wirklich besser, einfach so zu verschwinden? Er könnte ihr eine Lüge von einer vor kurzem verunglückten Freundin erzählen und dass er noch nicht so weit sei... Aber natürlich konnte er das Mädchen mit den wundervollen Augen nie belügen. Er ging einen Schritt auf sie zu. Schluckte noch einmal, schloss die Augen und vergaß alles außer den blaugrünen Augen.

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Tag der Veröffentlichung: 09.02.2012

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