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Teamwork


Sie saßen wieder bei Warren im Wohnzimmer und dachten über ihre Aufgabe nach. »Es ist doch eigentlich erstaunlich, dass wir seit einer Woche nichts mehr von unserer liebsten Feindin gehört haben, oder? Ob sie aufgegeben hat?« Julia sah ihre Freundin lächelnd an. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Ich fürchte, das ist nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Aber wir haben auch lange nichts mehr von Carry gehört. Ist bei ihr alles in Ordnung, Helaku?« Helaku, der quer in seinem Sessel lag, schloss kurz die Augen. »Carry geht es gut. Sehr gut sogar. Ich habe bei ihr noch nie eine so fröhliche Aura gespürt. Aber offenbar ist sie wegen irgendetwas extrem aufgeregt in den letzten paar Tagen.« Julia sah ihn erstaunt an, doch plötzlich lachte sie. »Naja, ich kann mir schon denken, weshalb. Daran …« In diesem Augenblick klingelte ein Telefon. Sie sahen einander verwirrt an, doch dann schlug Mika sich mit der Hand vor die Stirn. »Das ist mein Handy! Das habe ich im Sommer von meinen Eltern zum Geburtstag bekommen.« Er zog ein supermodernes Handy aus der Tasche. “Ja? … Oh, Frau Wagner! Ja, sie ist bei mir. Sekunde! …” Er reichte das Telefon an Julia weiter, die es mit hochgezogenen Augenbrauen entgegennahm. “Mum? … Und deshalb machst du so einen Aufstand? … Achso! … Was? Aus Australien? Ist ja der Hammer! … Ja, klar komme ich!” Sie beendete das Gespräch und sah triumphierend in die Runde. »Wenn man vom Teufel spricht! Meine Oma kommt zu Besuch - und sie hat 2 Verwandte aus Australien im Schlepptau. Und jetzt ratet mal, wer das sein wird?« Die anderen sahen sie mit großen Augen an. »Jetzt sag uns bloß nicht, dass du Carry meinst!« Julia lächelte vergnügt. »Aber sicher doch, Warren. Mum erzählte zwar nur was von Verwandten aus Australien, aber soweit ich weiß habe ich nur noch Carry und Sidney in Australien.« »Moment mal!« blinzelte Kane verwirrt. »Du bist mit Carry verwandt? Und das hast du gewusst?« Julia nickte. »Wir haben da gar nicht mehr drüber gesprochen, nicht wahr? Das wollte ich euch schon nach unserem Australien-Einsatz erzählen. Ich habe dir doch erzählt, dass einer meiner Vorfahren in diesem Haus, in dem Carry aufgewachsen ist, gelebt hat. Naja, Carrys Oma und meine Oma sind dort zusammen groß geworden. Nur dass meine Oma eben, als sie noch jung war, nach Deutschland ausgewandert ist.« »Verrückt! Weiß Carry das auch?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Sanura, ich fürchte, sie hat keine Ahnung.« Sie zwinkerte ihrer Freundin zu. »Und jetzt will ich sehen, dass ich nach Hause komme. Mum klang so aufgeregt, als ob die 3 in fünf Minuten vor der Tür stünden. Vielleicht kommen wir nachher noch mal vorbei, vielleicht aber auch nicht. Kommt darauf an, wie Carry reagiert.« Sie sah nachdenklich auf Mikas Handy, das sie achtlos auf den Tisch gelegt hatte. »Ich glaube, wir sollten uns alle ein Handy anschaffen. Es wird auf Dauer etwas anstrengend und zeitraubend sein, wenn Helaku jeden einzelnen von uns per Gedankenbotschaft erreichen muss.« Kane sah sie mit großen Augen an und stöhnte. »Warum bin ich noch nicht auf die Idee gekommen? Ich kümmere mich darum, Julia.« »Danke, Kane! Also dann … bis demnächst!« Sie griff kurz nach San Tanadina und war auch schon verschwunden nur um Sekunden später auf einem Hochsitz mitten im Wald wieder aufzutauchen. Gewandt kletterte sie hinunter und lief den letzten Kilometer nach Hause. Das Auto von ihrer Oma stand bereits vor der Tür und als sie die Haustüre öffnete, platzte sie mitten in die Begrüßung. “Grandma!” Sie flog - ungeachtet der beiden Menschen, die sie eigentlich gar nicht kennen sollte - ihrer Oma um den Hals und sah sich erst anschließend nach dem anderen Besuch um. Carry hatte sie offensichtlich sofort erkannt und starrte sie mit großen Augen an. “Sorry, I haven’ t seen Grandma for month.” Sie lächelte die beiden Australierinnen gewinnend an. “Wie ich sehe, hast du dich angestrengt und endlich englisch gelernt, Julia.” Grandma Wagner lächelte. »Nun, Julia, dies hier sind Sidney und Carry. Sidney ist die Tochter meiner jüngsten Schwester. Und Carry ist die Tochter wiederum von Sidneys Schwester.« Julia schüttelte erst Sidney und dann Carry die Hand. »Was meinst du, Carry, wollen wir beiden nach oben in mein Zimmer gehen? Hier unten wird es sicher gleich tödlich langweilig.« Sie zwinkerte ihrer Oma vergnügt zu und die lächelte. »Das ist eine gute Idee, Julia. Na, geht schon! Die Jugend gehört zur Jugend.« »Also? Auf geht‘ s! Bis später!« Sie winkte den Erwachsenen fröhlich zu und stieg die Treppe halb hoch, doch Carry blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie unverwandt an. Sidney schob sie sanft zur Treppe. »Na, geh schon, Liebes!« Langsam setzte Carry sich in Bewegung und folgte Julia die Treppe hinauf. »Komm rein, Carry - und bitte sieh mich nicht so an als wolltest du mich gleich beißen.« Sie lächelte und setzte sich auf einen Sessel während Carry in der Tür stehen blieb. »Was beschäftigt dich, Carry?« »Du hast gewusst, dass ich komme!« Sie klang noch genauso abweisend, wie bei ihrem letzten Treffen. Julia seufzte. »Ja, das habe ich!« »Hat dieser Indianer in meinen Gedanken spioniert? Ja?« »Nein, Carry, das hat er nicht. Helaku hat genauso erst vor 15 Minuten erfahren, dass ihr kommt, wie ich.« »Deine Oma hat am Telefon weder Namen noch einen Ort genannt. Kannst du mir mal verraten, wie du daraus wissen wolltest, dass ich das bin?« Carry sah sie feindselig an, doch Julia lächelte sie ruhig an. »Das ist ganz einfach. Ich wusste, dass wir beiden verwandt sind und ich wusste auch, dass ihr in Australien keine nähere Verwandtschaft mehr habt. Da war es sehr nahe liegend anzunehmen, dass du und Sidney kommt.« Carry schnappte nach Luft. »Woher zum Teufel weißt du das? Und seit wann? Hast du das schon gewusst, als du mich entführt hast?« Julia seufzte. »Ich würde es zwar nicht als Entführung bezeichnen, Carry, aber nein, zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung davon. Ich habe es herausgefunden, als wir diese brandschatzende Horde in deiner Heimat aufzuhalten versuchten und dabei auf dem Hof deiner Tante landeten.« »Du hast dieses Arschloch da rausgeholt?!?« zischte Carry aufgebracht, doch Julia sah sie nur ruhig an und nickte. »Ich weiß, dass du ihn nicht ausstehen kannst, Carry. Um ehrlich zu sein, ich mochte ihn auch nicht sonderlich, aber bis ich das Haus betreten habe, habe ich nicht mal geahnt, dass ich mit den Leuten, die darin lebten verwandt sein könnte, geschweige denn, dass du darin lebtest. Das habe ich alles erst viel später erfahren.« Sie sah Carry an. »Und jetzt tu mir einen Gefallen. Ja? Komm herein und setz dich zu mir.« Sie stand auf und trat an einen Schrank aus dem sie 2 Gläser nahm und auf den Tisch stellte. »Weißt du, eigentlich hatte ich gehofft, wir beide könnten einfach noch mal von vorne anfangen. Für mich ist es genauso neu, plötzlich Verwandte zu haben, wie für dich - auch wenn die Verwandtschaft schon etwas weitläufiger ist.« Sie nahm eine große Flasche Cola aus ihrem Kühlschrank, stellte sie ebenfalls auf den Tisch und setzte sich wieder. “Ist alles in Ordnung bei euch?” Julias Mutter stand am Fuß der Treppe. “Braucht ihr etwas?” “Nein, Mum! Alles in Ordnung. Wir brauchen nichts!” rief Julia zurück und sah dabei Carry traurig an. »Warum bist du nur so abweisend, Carry. Es ist niemand hier, der dir etwas Böses wollte. … oder bin ich dir so unsympathisch? Wenn es an mir liegt, sag es mir! Vielleicht kann ich was ändern?« Endlich trat Carry ein und setzte sich auf den Sessel Julia gegenüber. »Es liegt nicht an dir, Julia!« Sie schluckte. »Es ist nur … naja …« Julia sah sie mitfühlend an. »Du hast Angst, oder? Ich habe gesehen, wie die Männer bei dir zu Hause auf die bloße Erwähnung deines Namens reagiert haben. Das haben alle anderen in der Umgebung bestimmt auch übernommen. Oder?« Carry nickte. »Ja. Sobald ich jemanden getroffen habe, dem es egal war, dass alle Welt mich einfach gemieden hat, haben die Jungen gleich irgendwelche Schauermärchen über mich erzählt und ihn wieder vertrieben. Ich habe einfach gelernt, dass ich niemandem vertrauen kann. Das ist alles.« »Ich könnte es verstehen, wenn du trotz allem bei deiner Tante bleiben möchtest, aber wenn du möchtest, können wir bestimmt einen Neuanfang für dich organisieren. Irgendwo weit weg von diesen Menschen. Grandma weiß, wie man so etwas macht.« Carry sah sie skeptisch an. »Wieso sollte ich bei meiner Tante bleiben wollen? Die ist genauso gemein zu mir, wie alle anderen auch.« »Das glaube ich nicht!« rief Julia überrascht und sofort verschloss sich Carrys wieder. »Entschuldige, Carry, ich wollte damit nicht sagen, dass ich dir nicht glaube, aber ich hatte eigentlich den Eindruck, dass sie dich abgöttisch liebt. Diesen Eric liebt sie aber leider auch. Deshalb sieht es für dich wahrscheinlich tatsächlich so aus, als wäre sie gemein zu dir. Aber glaub mir, sie leidet genauso unter der Situation wie du. Wenn du hier bleiben wolltest, würde sie dir sicher keine Steine in den Weg legen, aber glücklich wäre sie auch nicht.« »Bist du sicher?« fragte sie zweifelnd, doch Julia nickte ernst. »Völlig sicher! Würdest du einen Neuanfang wollen?« »Du meinst einen Neuanfang hier mit dir und den Kriegern des Lichts?« Julia lächelte. »Nein, das meinte ich nicht. Natürlich wäre es schön, wenn du deinen Platz in unserer Gruppe einnehmen würdest, aber jetzt geht es erst mal allein um dich, Carry. Du musst erst mal dich selbst finden, ehe du dich entscheiden kannst, ob du zu uns gehören willst oder nicht. Ich habe in meinem Leben selbst wenig genug Freunde gehabt, um zu verstehen, wie einsam du dort bist.« »Und du willst mir wirklich helfen?« Julia nickte ernst. »Du brauchst nur etwas zu sagen und ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dir zu helfen. Aber das musst du ja nicht sofort entscheiden. Ihr werdet sicher ein paar Tage hier bleiben.« Carry nickte. »Wir haben eine Aufenthaltsgenehmigung für ein paar Wochen. … « Plötzlich leuchteten ihre Augen auf. »Glaubst du, jetzt, wo wir schon mal hier sind, können wir auch was von Deutschland sehen?« Julia lachte. »So gefällst du mir schon besser! Klar können wir das. Allerdings nur wir beiden. Deine Tante können wir nicht überall mit hinnehmen. Und ich glaube kaum, dass du mit dem Zug durch Deutschland gondeln möchtest mit deiner Tante.« Carry starrte sie ein wenig enttäuscht an. »Mit dem Zug?« »Weißt du was? Ich muss zwar morgen wieder zur Schule, aber nachmittags könnten wir trotzdem an den Strand gehen. Vielleicht auf Sylt. Und dann arbeiten wir uns ganz langsam wieder nach Süden durch - eine richtige Sightseeing - Tour quer durch Deutschland. Wie würde dir das gefallen?« »Aber wie soll denn das gehen, wenn du zur Schule gehst?« »Aber das ist doch gar kein Problem! Nachmittags habe ich ja frei. Also, wo wollen wir hin?« Carry sah nachdenklich an Julia vorbei. »Mal angenommen, ich würde hier bleiben … Ich glaube, da hätte ich ein Problem. Ich spreche nämlich kein Deutsch.« Julia lächelte. »Ich glaube, das Problem ist gar nicht so groß. Erinnerst du dich an unser erstes Zusammentreffen?« Carry nickte düster. »Ah ja, ich gebe zu, ich habe Fehler gemacht, Carry, aber war es wirklich so schlimm?« Einen Moment noch sah Carry sie genauso düster an, doch dann lachte sie plötzlich. »Nein, Julia, nicht wirklich! Ich glaube, die einzige, die sich wirklich daneben benommen hat, bin ich. Entschuldige!« Julia lächelte erleichtert. »Ich bin froh, dass du mir diesen Überfall doch noch verziehen hast.« Carry sah verlegen zu Boden. »Naja, nach dem, was ich danach angestellt habe, muss ich froh sein, wenn ihr mir verzeiht!« Julia lächelte. »Nur halb so wild! Du konntest nichts dafür.« Carry sah sie überrascht an. »Aber du weißt doch noch gar nicht …« Julia nickte ernst. »Doch! Ich weiß zwar nicht, wer diese Typen waren und wie sie es gemacht haben, aber offensichtlich haben sie es geschafft, dich ganz geschickt zu manipulieren und deine Gabe zu aktivieren.« »Woher weißt du das?« »Naja, da ich nicht genau wusste, wo du wohnst, habe ich mir bei diesem Überfall Sorgen um dich gemacht und Helaku gebeten nach dir zu suchen.« »Und er hat mich mitten unter ihnen gefunden!« »Nun … ja.« Carrys Augen weiteten sich in plötzlicher Erkenntnis. »Dann war er das? Diese Stimme?« Julia nickte stumm. »Danke!« »Bedank dich nicht bei mir, sondern bei ihm, Carry. Das war seine Idee.« »Und du bist sicher, dass mir das keiner mehr übel nimmt?« »Ganz sicher. Bei unserem ersten Zusammentreffen waren die anderen allerdings weniger verständnisvoll, wie ich zugeben muss, aber das ist nicht so schlimm. Sie werden dich verstehen.« Julia sah auf die Uhr. »Komm, gehen wir runter und schauen, ob wir Mum beim Abendessen helfen können.« Carry runzelte die Stirn. »Deine Mum versteht kein Englisch, oder?« »Nein, sie kann noch weniger Englisch als ich bis vorige Woche.« Sie gingen hinunter und erkannten erstaunt, dass die Erwachsenen bereits fast fertig waren mit ihren Vorbereitungen für das Abendessen, also ließen sie sich neben ihrer Großmutter an den Tisch sinken während Frau Wagner und Sidney die letzten Teller auf den Tisch stellten und sich ebenfalls setzten. Sie sprachen wenig beim Essen, da zum Teil die Sprachbarriere einfach zu groß war - naja, und zum anderen war man noch nicht vertraut genug miteinander, um viel zu plaudern. Als also nach dem Essen der Tisch abgeräumt und das Geschirr abgewaschen war, beschlossen die beiden Mädchen, dass ihnen ein bisschen frische Luft sicher gut tun würde. “Ist gut, ihr Lieben, macht ruhig noch einen Spaziergang, aber kommt nicht zu spät nach Hause, Julia! Du musst morgen wieder zur Schule.” »Klar, Mum!« Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. »Was uns wieder auf mein kleines Sprachproblem zurückbringt.« Julia sah nachdenklich zur Uhr. Es war 19 Uhr. Für Kane war es sicher noch zu früh, aber die anderen saßen sicher noch zusammen. »Ich glaube das Problem haben wir schneller …« In diesem Augenblick begann San Tanadina zu glühen und Mika platzte in ihre Gedanken. »Julia! Wir haben ein Problem!« Erschrocken blieb Julia stehen und griff nach San Tanadina. »Was ist passiert?« »Warren hatte gerade Besuch von der Polizei aus L A. Die haben offenbar Wind von unserem Einsatz hier im Hotel bekommen und wollen, dass wir ihnen bei einem anderen hochkarätigen Entführungsfall helfen.« »Aber das ist doch kein Problem, Mika!« »Nein, das Problem ist, dass diese Gang, die Carry in der Mangel hatte auch wieder unterwegs ist.« »Scheiße!« entfuhr es Julia. »Das ist ein Problem.« Sie überlegte fieberhaft. »Na gut. Ihr drei Jungen übernehmt die Entführung. Wir Mädchen übernehmen diese andere Bande. Kane lassen wir am besten schlafen.« »Ist gut. Wir machen uns also auf den Weg ins sonnige Kalifornien.« Julia sah zu Carry hinüber, die sie verständnislos anstarrte. »Bitte warte eine Sekunde. Ja? Ich muss jemanden für eine dringende Einsatzbesprechung abholen.« Noch ehe Carry begriff, was sie meinte, war sie auch schon verschwunden, um nur eine halbe Minute später mit diesem dunkelhäutigen Mädchen wieder aufzutauchen, das sie schon bei ihrer 1. Begegnung mit den Kriegern des Lichts gesehen hatte. Verwirrt starrte sie von einem zum anderen. Das ging alles viel zu schnell für sie. »Entschuldige, Carry. Sanura kennst du ja schon. Dann können wir gleich zur Sache kommen. Mika hat mich gerade kontaktet. Wir haben ein Problem, deshalb diese Hast. Zum einen haben die Krieger des Lichts offenbar einen Auftrag von offizieller Seite in Kalifornien - die Jungen sind bereits bei der Arbeit. Zum anderen sind aber auch diese Typen aus deiner Heimat wieder unterwegs. Ich hoffe da auf deine Hilfe, Carry, weil du die Typen kennst.« Carry nickte schaudernd. »Glaubst du, du hast deine Gabe jetzt im Griff?« Carry nickte wieder nur. Julia wandte sich an Sanura. »Wo sind sie und wie habt ihr davon erfahren?« »Es kam in den Nachrichten. Dieselbe Gegend, aber diesmal haben sie offenbar ein Kind in ihrer Gewalt.« »Lissy?« fragte Julia alarmiert und Sanura nickte. »Aber warum meldet sie sich nicht? Wenn sie unsere Hilfe braucht und an uns denkt, müsste San Tanadina reagieren.« »Sie weiß nicht, dass sie in Gefahr ist. Sie haben sie irgendwie manipuliert.« »Kronos hat ein Kind entführt? Wozu?« »Da er ausgerechnet das einzige Kind genommen hat, das von unserer Existenz weiß, will er wahrscheinlich uns haben - oder vielmehr das, was wir bewachen.« »San Tanadina!« Carry wurde blass. »Ist San Tanadina eigentlich tatsächlich so mächtig, wie es sich anhört?« Julia nickte düster. »Ich glaube schon. Was weißt du über diese Typen.« Carry hob kurz die Schultern. »Nicht viel. Ihr Anführer heißt Kronos und sie nennen sich die Titanen. Sie haben ihr Hauptquartier in den alten Minen.« Julia runzelte die Stirn. »Kronos? Titanen? Irgendetwas klingelt da bei mir.« Sie schloss kurz die Augen, wie um nachzudenken, tatsächlich befragte sie aber ihre Ahnen. »Verflucht! Wisst ihr, mit wem wir es hier zu tun haben? Mit Göttern! Die Titanen waren die Vorfahren der griechischen Götter. Kronos ist der Vater des griechischen Göttervaters Zeus, der ihn und die anderen Titanen schließlich verbannt hat. Irgendwie haben die offenbar einen Weg hinaus gefunden.« Sanura starrte sie entsetzt an. »Götter? Aber wie sollen wir gegen Götter kämpfen?« »Ich habe keine Ahnung, Sanura! Tapfer nehme ich an.« Sie schauderte. »Also, gehen wir ‘s an!« Sie streckte den beiden ihre Faust entgegen und Sanura legte sofort ihre Hand darauf. Carry zögerte 2 Sekunden, doch dann trat ein entschlossener Ausdruck auf ihr Gesicht und sie tat es Sanura gleich. Sekunden später erinnerte nichts in dieser Straße mehr daran, dass hier eben noch 3 junge Mädchen Kriegsrat gehalten hatten.

Sie tauchten genau dort wieder auf, wo sie Lissy zuletzt verlassen hatten und verschafften sich durch die Fenster einen groben Überblick. Polizei war in dieser Straße nicht zu sehen, doch überall um sie herum brannte es. Carry sah sich schaudernd um und sammelte ihre Kräfte. Doch Julia spürte es und hielt sie zurück. »Warte, Carry! Spar dir deine Kräfte. Ich fürchte die Häuser hier sind ohnehin verloren. Und sieh mal wer da mitten in den Flammen steht!« Sie kniff die Augen zusammen. »Oh, mein Gott! Er hat Lissy bei sich!« »Wir müssen etwas unternehmen!« knurrte Sanura wütend. Wie konnte er nur dieses unschuldige Kind schutzlos in den Flammen stehen lassen? »Ich weiß! Gehen wir runter. Je eher wir Lissy da rausholen desto besser.« Sie gingen die Treppen hinunter und traten ihrem Gegner gegenüber. Er musterte sie abschätzig. »So, und ihr wollt die Krieger des Lichts sein? Das ich nicht lache!« Sein Blick blieb an Carry hängen. »Sieh an, unsere Überläuferin ist auch da!« Carry ballte die Fäuste. »Überläuferin! Ja, ich bin … ich war eine Überläuferin! Aber nur weil du mich dazu gemacht hast, Kronos! Du hast mich manipuliert! Sonst hätte ich nie bei euch mitgemacht!« Carry war so wütend, dass sie in Flammen zu stehen schien. Julia sah sie erschrocken an. »Carry! Pass auf! Halte deine Gabe unter Kontrolle!« Verwirrt sah sie sich um und dann - den Blicken ihrer Freundinnen folgend - an sich hinunter und erschrak. Hastig unterdrückte sie die Flammen um sich herum wieder. »Also schön! Jetzt hast du deinen Spaß gehabt. Lass das Kind gehen!« »Oh, das Kind - eure liebe Lissy - will gar nicht gehen. Sie ist absolut freiwillig bei mir.« »Ja, sicher!« knurrte Carry. »Genauso freiwillig, wie ich es war!« Julia trat unter den spöttischen Blicken von Kronos zu dem kleinen Mädchen. »Lissy, erinnerst du dich an mich?« »Ja, du bist unsere Feindin!« Mit verächtlicher Mine schubste sie Julia von sich fort, dass sie meterweit flog. Etwas benommen setzte sie sich auf, während Sanura hastig zu ihr lief. »Julia! Bist du in Ordnung?« »Ja … ja, alles in Ordnung, Sanura. Danke!« Sie sah Kronos mit zusammengekniffenen Augen an. »Ist es möglich, dass Lissy von eurem Ambrosia genascht hat?« »Aber natürlich! Das trinkt bei uns jeder!« Er lachte, doch Julia ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Wie hatte Helaku Carry geheilt? Er hatte sie irgendwie an ihre guten Seiten erinnert … Aber sie war nicht Helaku! Sie kannte die guten Seiten ihres Gegners nicht. Sie konnte Helaku auch nicht holen. Der war ja selbst in einem wichtigen Einsatz. Was sollte sie nur machen. Fieberhaft überlegte sie, was sie machen sollte. Welche gute Seite hatte jeder Mensch? Was hatten alle Menschen gemeinsam? Gefühle! Jeder Mensch hat Gefühle! Diese Menschen vor ihr waren gerade besessen von dem Gefühl Hass. Aber Lissy hatte doch gar keinen Grund jemanden zu hassen! Sie hatte Eltern, die sie liebten. Ja, natürlich! Liebe! Das war die Lösung! Sie musste die Liebe in Lissys Herz zurückbringen! Und plötzlich wusste sie auch, wie sie das machen sollte. Sie schloss die Augen und versuchte jeden anderen Gedanken als den an die Liebe zu verbannen. Aber das war gar nicht so einfach. Immer wieder drangen ihr Gedanken ins Bewusstsein, die manchmal nicht einmal was mit ihrem Einsatz zu tun hatten. Sie kämpfte sie nieder. Niemals durfte das Böse siegen! Einige Minuten lang stand sie völlig bewegungslos da. Alle starrten sie an, wussten nicht so Recht, was sie von ihrem Benehmen halten sollten. Dann griff sie nach San Tanadina und plötzlich begann sie sanft zu leuchten. Kronos trat erschrocken einen Schritt zurück. Julia öffnete die Augen, nahm San Tanadina aus seiner Scheide und streckte ihn über sich in die Luft. Das Leuchten breitete sich immer weiter aus. Zuerst erfasste es Sanura, dann Carry, die sich plötzlich entspannte und milde lächelte, und schließlich erreichte es auch Lissy, die Julia die ganze Zeit mit aufgerissenen Augen angestarrt hatte. Und plötzlich sah Lissy sich verwirrt um. Sah die Flammen um sich herum, sah Kronos und dann wieder Julia an, die noch immer leuchtete. Langsam zog sich das Leuchten wieder zurück, als Julia sich wieder entspannte. Lissy fing an zu weinen und rannte zu Julia. Sachte nahm Julia sie in die Arme. »Jetzt ist alles wieder gut, Liebes. Du bist jetzt in Sicherheit!« Sie wandte sich an Carry. »Carry, würdest du jetzt bitte diese Feuer löschen? Ich glaube nämlich nicht, dass Kronos das freiwillig selbst tun wird.« Sie sah zu dem Gott hinüber, der sichtlich geschockt vor ihnen stand. »Wer seid ihr, dass ihr solche Macht habt?« »Wir sind die Krieger des Lichts, die Auserwählten der Heiligen Tania!« Langsam fing der Gott sich wieder. »Die Auserwählten der Heiligen Tania also? Nun denn, Krieger des Lichts, glaubt aber ja nicht, dass ihr mich wirklich besiegen könntet! Ihr wisst ja nicht wen ihr vor euch habt!« Julia stand auf und nahm das Kind bei der Hand. »Natürlich wissen wir das! Und irgendwie werden wir einen Weg finden, euch wieder dorthin zurückzubringen, wo ihr hergekommen seid. Sicher nicht heute, vielleicht auch noch nicht morgen oder in den nächsten paar Wochen, aber irgendwann werden wir es schaffen.« Kronos lachte. »Was soll das sein? Eine Drohung?« Julia schüttelte ruhig den Kopf. »Nein. Ich drohe nicht. Das ist nur ein Versprechen!« »Mach besser keine Versprechen, die du nicht halten kannst!« Und dann verschwand Kronos von einer Sekunde zur anderen. Die Mädchen sahen einander an. »Naja, so viel also dazu!« Julia hob kurz die Schultern. »Ist nicht so schlimm, Sanura. Wir haben erreicht, was wir wollten. Hauptsache Lissy ist wieder in Sicherheit.« Sie hockte sich hin und sah das Mädchen ernst an. »Wie ist das passiert?« Lissy schluchzte. »Ich weiß nicht!« Carry trat näher und kniete sich zu den beiden auf den Boden. »Du musst etwas getrunken haben. Etwas das aussieht wie Milch, aber irgendwie süß ist.« sagte sie freundlich. Lissy sah sie an und riss die Augen angstvoll auf. »Ich kenne dich! Du bist die Hexe vom Darlinghof!« Sie wich zurück. Carry schloss einen Augenblick die Augen und eine einzelne Träne kullerte ihre Wange hinunter, aber ihrer Stimme war nichts davon anzumerken, wie sehr es sie auch nach all den Jahren noch verletzte, wenn sie jemand so nannte. »Du brauchst keine Angst zu haben, Lissy. Ich werde dir nichts tun.« »Du …« zögernd trat das Kind wieder auf Carry zu. »Du weinst ja!« Sie tupfte die Träne mit ihrem Finger ab. »Wenn du weinst, kannst du gar nicht so böse sein wie alle sagen.« Sie legte ihre Arme um Carrys Hals und drückte sich fest an sie. Hilflos legte Carry ihre Arme um das Mädchen. »Danke, mein Schatz!« krächzte sie heiser und eine weitere Träne rann ihre Wange hinab. Julia lächelte und legte ihre Hand auf ihre Schulter. »Das ist doch ein Anfang! Nun, Lissy? Hast du so etwas getrunken?« fragte sie sanft. Lissy löste ihre Umarmung und nickte. »Ja, Mama und Papa haben gestern eine Flasche davon mitgebracht und wir haben alle davon getrunken.« Julia und ihre Freundinnen sahen einander alarmiert an. »Was war das für eine Flasche? Weißt du, wo deine Eltern sie her haben?« Lissy zuckte mit den Schultern. »Es war eine braune Flasche. Mama hat gesagt, das ist Steinzeug. Sie hat sie im Supermarkt gekauft. Die gibt es überall.« Carry riss die Augen auf. »Die kenn ich! Die gibt es seit ein paar Tagen. Onkel Eric hat auch so eine gekauft bevor wir abgereist sind. Das Zeug heißt auch ganz offen Ambrosia!« Julia sah nachdenklich vor sich hin. »Naja, wer kommt schon auf die Idee, dass es sich um echtes Ambrosia handeln könnte! Mir wäre es jedenfalls bis vor ein paar Minuten nicht in den Sinn gekommen.« Sie sah wieder Lissy an, die noch immer ganz dicht bei Carry stand. »Hör zu, Lissy. Du musst mir versprechen, dass du nie wieder davon trinkst. Dieses Ambrosia ist gefährlich für normale Menschen wie dich und mich.« »Aber du bist doch gar nicht normal! Du bist wie Supermann!« Julia musste lächeln. »Na gut, vielleicht bin ich nicht ganz normal, Lissy, aber ich bin ein Mensch. Ambrosia ist das Getränk der Götter. Das ist nichts für uns.« Carry legte ihre Hände auf Lissys Schultern. »Das Ambrosia war schuld daran, dass du bei diesem bösen Menschen gelandet bist, Lissy. Du wirst zu einer willenlosen Puppe für ihn, wenn du das trinkst. Wir wollen nicht, dass du noch einmal in seine Hände gerätst, deshalb musst du uns versprechen, nie wieder davon zu trinken.« »Wenn es dir so wichtig ist, will ich es versprechen.« Julia nickte zufrieden. »Danke, Liebes. Das beruhigt mich sehr. Wir werden uns jetzt wieder auf den Weg machen. Wir werden in einem anderen Teil der Welt erwartet. Denk daran - wenn du in Gefahr gerätst, ruf mich - wir werden dir helfen. Und jetzt lauf zurück zu deinen Eltern.« Lissy umarmte Carry noch einmal und dann Julia. »Ich hab euch lieb.« Julia nickte lächelnd. »Wir haben dich auch lieb, Lissy. Und jetzt lauf. Deine Eltern vermissen dich bestimmt schon.« Lächelnd sahen sie dem kleinen Mädchen nach, als es die Straße entlang lief. Schließlich seufzte Julia. »Also gut, Mädels, diese Schlacht hätten wir gewonnen. Lasst uns nach Hause gehen und hören, was die Jungen so machen.« Sie streckte den Freundinnen die Hand entgegen und eine Minute später standen sie in Warrens Wohnung, wo noch niemand war. Carry sah sich unsicher um. »Wo sind wir hier?« »Oh, das hier ist Warrens Wohnung. Zurzeit unser Hauptquartier.« »Warren?« Sie dachte angestrengt nach. Wer war Warren? »Du erinnerst dich bestimmt an ihn: dieser charmante Amerikaner, dem sogar das Wetter gehorcht.« Carry starrte Sanura noch immer etwas zweifelnd an. »Dazu haben wir später Zeit, meine Lieben. Die Jungen brauchen unsere Hilfe. Das Kind ist offenbar verletzt, steckt aber noch irgendwo in einem brennenden Haus fest.« Carry wurde blass, reichte Julia aber ohne zu zögern die Hand, so dass sie Sekunden später direkt neben Mika in Sichtweite der Flammen standen. »Was ist passiert?« Mika hob kurz die Schultern. »Die Kidnapper haben die Nerven verloren, als die Polizei hier auftauchte und das Haus umstellt hat. Dabei haben wir noch gesagt, dass die Einsatztruppen zu auffällig sind. - Na, egal. Die Feuerwehr schafft es jedenfalls nicht, die Feuer von außen zu löschen.« »Wo sind Warren und Helaku?« »Sie suchen einen Weg nach oben, der noch nicht von Flammen blockiert ist. Wir hatten ein bisschen Angst, dass wir mit San Tanabea irgendwo landen, wo wir lieber nicht so plötzlich auftauchen sollten.« »Wie geht es dem Kind?« »Es ist zwar verletzt, aber nicht in direkter Gefahr - zumindest nicht solange der Kasten nicht zusammenbricht.« »Wie viele Menschen sind da noch drin?« »Schwer zu sagen, aber wahrscheinlich viele. Es handelt sich um ein Wohngebäude.« »Verd … also gut, Carry glaubst du, du kannst uns mitten durch dieses Inferno bringen, ohne dass jemand sieht, dass du das Feuer beherrscht?« Angst spiegelte sich in ihren Augen, aber sie nickte entschlossen. »Gut, dann los!« Gemeinsam gingen sie auf das brennende Haus zu, ohne sich um die Beamten an den Absperrungen zu kümmern. Sie hatten jetzt Wichtigeres zu tun, als sich um irgendwelche Idioten zu quälen, die ihr Handwerk nicht verstanden. Sie mussten dieses Kind retten und die Kidnapper dingfest machen. Im Eingang blieben sie kurz stehen und holten tief Luft, während Julia kurz Kontakt zu Helaku aufnahm. »Habt ihr einen Weg gefunden?« »Nein, irgendein Trottel hat sämtliche Feuerschutztüren abgeschlossen. Wir kommen nicht hinein und die Leute nicht heraus.« »Ich habe Carry mitgebracht. Sie wird mir einen Weg mitten durch die Hölle bahnen. Wenn wir irgendwo etwas ausrichten können, dass die Menschen hinauskommen, sagen wir euch bescheid.« »Alles klar!« »Also los! Suchen wir erstmal das Treppenhaus. Hoffentlich ist es aus Stein!« Sie traten in die Flammen. Doch es war, als würden die Flammen vor ihnen zurückweichen. Carry blieb stehen und schloss einen Moment die Augen. Langsam sanken die Flammen zusammen und sie konnten sehen, wo sie hinlaufen mussten. Direkt vor ihnen gähnte eine offene Tür, die ins Treppenhaus führte. Soviel also zum Feuerschutz in diesem Haus. Verschlossene Fluchtwege und fehlende Feuerschutztüren zu den Treppenhäusern. Zum Glück waren die Treppenhäuser tatsächlich aus Stein, so dass das Feuer dort bisher noch keine größeren Schäden angerichtet hatte. Sie rannten die Treppen hinauf. Im ersten und zweiten Stock schien es unmöglich noch jemanden zu retten. Die Fluchtwege waren versperrt. Aber im dritten Stock fanden sie eine Menge Menschen, die verzweifelt gegen eine verschlossene Tür liefen, die nach draußen führen musste. Julia bahnte sich einen Weg bis zur Tür und sah sich das Schloss an. Sie war sich sicher, dass sie das Schloss mit Hilfe von San Tanadina öffnen könnte, aber sie brauchte eine Ablenkung für die Menschen. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie wandte sich an die Menschen um sie herum, die in Panik versuchten irgendwie an diese Tür zu kommen. »Bitte bleiben sie ganz ruhig, meine Herrschaften. Ich kann diese Tür öffnen und dann können sie alle ins Freie, aber bitte bleiben sie ruhig. Hat eine der Damen eine Haarnadel dabei, oder etwas Ähnliches?« Aber die Panik war schon zu groß. Die Leute reagierten nicht mehr - und die wenigen, die noch reagierten machten sich mit wüsten Beschimpfungen gegen Julia Luft, so dass sie schließlich aufgab und gerade zu San Tanadina greifen wollte, als Carry ihr die Hand auf den Arm legte. »Warte! Sieh mal dieser Herr dort!« Sie wand sich durch die Menge zu einem Mann mit Schlips und Kragen, der ruhiger zu sein schien, als die anderen und an seiner Krawatte herumfingerte. »Bitte, dürfen wir ihre Krawattennadel benutzen? Das ist der einzige Ausweg!« »Wer seid ihr?« »Bitte machen sie schnell! Das Feuer kommt immer näher.« Carry drängte zur Eile, doch der Mann behielt die Nadel in der Hand und wiederholte die Frage. Julia hatte sich inzwischen auch zu ihnen durchgekämpft. »Wir gehören zu einer Spezialtruppe für schnelle Kriseneinsätze. Leider war die hiesige Polizei offensichtlich nicht bereit auf unsere Vorschläge einzugehen und hat ein paar Kidnapper nervös gemacht. Das Feuer ist das Ergebnis. Und jetzt geben sie mir bitte die Nadel. Die Zeit wird knapp.« Endlich gab er ihr die Nadel. Julia ging zur Tür zurück und hatte sie in Sekundenschnelle geöffnet. Mit Mühe konnte sie die Festigkeit der Feuertreppe prüfen, bevor die Menschen an ihr vorbeidrängten. »OK, wenigstens die Feuertreppe ist in Ordnung.« Sie schloss kurz die Augen. »Helaku. Im dritten Stock haben wir den Weg hinaus auf die Feuertreppen geöffnet. Sie scheint einigermaßen sicher zu sein.« »Ich habe es gesehen. Wir kommen zu euch runter.« Sie öffnete die Augen. Carry stand noch immer bei dem Mann mit der Nadel. Sie trat zu ihnen. »Danke!« Sie hielt ihm die Nadel hin, doch er reagierte nicht. »Hey, Mister! Ist alles in Ordnung mit ihnen? Kommen sie, sie müssen hier raus!« »Er hat Angst, Julia! Ihn quält die Erinnerung an sein Versagen bei der Feuerwehr.« »Helaku! Gut, dass du da bist! Kannst du dich um ihn kümmern?« Helaku nickte. »Kommen sie, Mister, sie können hier nichts tun.« Julia winkte Carry und Warren mit hinauf in den nächsten Stock. »Warren, konntet ihr herausfinden, wo das Kind ist?« »Im 5. Stock!« Sie standen schon wieder vor einer Wand von Menschen vor einer verschlossenen Tür. »Man sollte den Verantwortlichen für diese Schlamperei zur Rechenschaft ziehen!« Sie griff nach San Tanadina und hielt einen Moment später ein Brecheisen in der Hand. »Warren, tu mir einen Gefallen und breche die Tür einfach auf. Carry und ich gehen inzwischen in die nächste Etage.« »Wartet, ich komme mit! Die Kidnapper bewegen sich nach oben. - Oh, mein Gott, diese Idioten! Sie benutzen den Fahrstuhl!« »Helaku! Haben sie das Kind noch bei sich?« »Nein, anscheinend nicht. Ich kann es nicht orten. Beeilen wir uns!« Sie rannten die Stufen hinauf und stießen wie erwartet auf eine weitere Wand aus Menschen. »Ich kümmere mich darum! Geht ihr weiter.« Carry drängte sich zur Tür durch und Julia konnte etwas aufblitzen sehen, dann knallte etwas und die Tür sprang auf. »Was hast du gemacht?« Carry grinste. »Ich beherrsche das Feuer. Erinnerst du dich? Es gab eine kleine Explosion im Schloss.« »Also weiter! Helaku, du kümmerst dich um die Kidnapper, wir suchen nach dem Kind. Wo hast du es zuletzt gespürt?« »5. Stock irgendwo an der Westseite.« »OK, bis später!« »Warte, Julia, ich kann es wieder orten. Ich werde dich führen.« »Aber …« »Die Kidnapper sind sicher auf dem Dach angekommen. Um die können wir uns später kümmern.« »Nein! Wenn wir uns nicht beeilen, bricht das Haus zusammen. Ich kann es spüren. Bringt ihr das Kind in Sicherheit!« Julia rannte weiter die Treppen hinauf. Wieder stand sie vor verzweifelten Menschen. Sie verschnaufte eine Sekunde und plötzlich war Warren wieder an ihrer Seite. Keuchend drängte er sich zur Tür und brach sie geschickt auf. »Komm weiter!« »Danke, Warren!« Sie sah zur Tür. »Hast du das schon mal gemacht?« »Klar! Zwei Stockwerke weiter unten!« Sie lächelte müde. »Nein, ich meine davor.« »Nö, aber es macht Spaß. Auf diese Weise kann man so richtig seine Wut auslassen.« Wider Willen musste sie lachen. »Du bist lustig!« Er runzelte die Stirn und blieb vor der letzten Tür auf ‘s Dach hinaus stehen. »Lustig? Das war gar nicht lustig gemeint!« »Ich weiß, mein Freund, ich weiß!« Sie stießen die Tür zum Dach auf, doch es war niemand zu sehen. Sie sicherten das ganze Dach, doch sie fanden niemanden. Die Kidnapper waren entwischt. Erschöpft lehnte Julia sich an eine Wand und schloss die Augen. »Helaku? Wie sieht ‘s bei euch aus?« »Wir haben das Kind und sind jetzt auf der Feuertreppe. Beeilt euch. Carry meint, das Haus bricht gleich zusammen.« »Ist gut. Wir nehmen San Tanadina.« »Julia, lass uns hier verschwinden.« Sie nickte und streckte ihm ihre Hand entgegen. »Sollten wir nicht lieber? Ich meine …« Er sah zur Tür hinüber, aber sie schüttelte nur den Kopf. »Zu spät! In dem Chaos da unten wird es niemandem auffallen, wenn wir auftauchen.« Er nickte wenig überzeugt und ergriff ihre Hand. Sekunden später standen sie dicht bei Mika, der Julia in letzter Sekunde vor einem Sturz bewahren konnte. »Julia! Was ist mit dir?« »Alles in Ordnung, Mika. Ich bin nur erschöpft.« »Ich bringe dich nach Hause!« Sie lächelte matt. »Nein, das wirst du nicht! Du wirst hier das Kommando wieder übernehmen.« »Ich kann dich doch so nicht alleine lassen!« »Das tust du doch auch gar nicht. Ich habe doch Carry bei mir.« Er sah sie zweifelnd an. »Bist du sicher, dass das gut geht? Ich meine …« »Vertrau mir!« »Ich vertraue dir, Julia, aber ihr nicht.« Sie lächelte. »Wir sprechen morgen noch mal darüber. OK? Bis dahin genügt es, wenn du meinem Urteil vertraust. Du - und die anderen auch. Wo ist Sanura?« »Ich bin hier, Julia!« Sie sah Julia ins Gesicht und schnitt ihr erschrocken das Wort ab, als sie etwas sagen wollte. »Um Gottes Willen, Julia, du setzt dich sofort hierher!« Sie wandte sich zu Warren um. »Und du bringst sofort Carry hierher. - Nein, alles was du sagen willst, kannst du uns auch morgen sagen, Julia. Du musst ins Bett und zwar dringend!« In diesem Augenblick traten Helaku und Carry wieder zu ihnen. Carry warf nur einen Blick auf Julia und nickte. »Stimmt! Wir haben keine 5 Minuten mehr, um an deiner Mum vorbei in dein Zimmer zu kommen.« Julia seufzte. »Also gut, Freunde. Bis Morgen!« Sie legte ihre Hand an San Tanadina und keine 2 Sekunden später waren sie und Carry verschwunden.

“Um Gottes Willen, Mädchen! Wisst ihr, wie spät es ist?” Julia stand - von Carry gestützt - im Flur und sah ihrer Mutter entgegen, die beim Klang der Haustür aus dem Wohnzimmer gestürzt kam. “Sorry, Mum. Ich hatte unterwegs einen kleinen Schwächeanfall.” “Du hattest was?” Frau Wagner legte ihrer Tochter die Hand auf die Stirn. “Du glühst ja! Du gehst sofort ins Bett. Ich komme gleich mit dem Fieberthermometer.” Julia biss sich auf die Lippen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. “Mir fehlt weiter nichts, Mum. War sicher nur der Blutdruck.” “Keine Widerrede, Kind!” Julia seufzte und sah Carry an, die jedoch nur mit den Schultern zuckte. »Na, komm, gehen wir nach oben.« Langsam kletterten sie die Treppe nach oben und Carry half ihr beim Umziehen, so dass sie schließlich glücklich ins Bett fiel und die Augen schloss. Carry setzte sich besorgt zu ihr auf die Bettkante und legte ihr die Hand auf die Stirn. Mühsam öffnete Julia die Augen und griff nach ihrer Hand. »Danke, Carry!« »Wofür?« Julia lächelte schwach. »Dafür, dass du dich so lieb um mich kümmerst.« Carry sah traurig zu Boden. »Dafür musst du dich nicht bedanken, Julia. Wenn sich hier irgendjemand bedanken muss, dann bin ich das. Du hast mir damals das Leben gerettet - und alles was ich getan habe, war dich zu beschimpfen. Du hast dich um mich gesorgt, als Kronos und seine Titanen das erste Mal auftauchten - und ich habe nicht mal bemerkt, dass ihr es wart, die mich da rausgeholt habt. Du hast meiner Tante den Mut gegeben mit mir über dieses Problem zu reden und hierher zu kommen - und alles was ich getan habe, war wieder dich zu beschimpfen, obwohl du mich so lieb aufgenommen hast. Nicht ein einziges Mal ist ein Wort des Dankes über meine Lippen gekommen. Und jetzt bedankst du dich für etwas … für so eine Lappalie?« Eine Träne kullerte ihr über die Wange, doch Julia wischte sie ihr weg. »Nicht weinen, Carry. Das ist alles völlig OK so.« »Aber …« »Nein, Carry, bitte denke da nicht mehr drüber nach. Das ist längst vergessen und vergeben. - Wir sind doch jetzt Freunde. Oder nicht?« Carry nickte. »Wenn du mich noch zur Freundin willst?« Julia lächelte. »Natürlich will ich das. Ich habe auch nie daran gezweifelt, dass wir Freundinnen würden.« »Danke!« “So, meine Lieben. Das ist ja alles ganz schön und gut, hat aber Zeit bis morgen. Jetzt wird erst mal Fieber gemessen und dann geschlafen. Frau Wagner drückte ihrer Tochter das Fieberthermometer in die Hand und verscheuchte Carry von der Bettkante. Sidney tauchte in der Tür auf. »Komm, Liebes, du schläfst hier drüben bei mir.« »Nein! Ich will bei Julia bleiben!« »Carry, Julia muss schlafen!« »Bitte, Sidney, lass sie bei mir bleiben, wenn es ihr so wichtig ist. Katrin hat mir erzählt, was sie bei euch erlebt hat. Und da finde ich es toll, dass wir schon so weit sind, dass …« Sie brach erschöpft ab, als das Thermometer sich zu Wort meldete und ihre Mutter das Ergebnis sehen wollte. Julia warf einen kurzen Blick darauf und gab es lächelnd ihrer Mutter. “Alles halb so schlimm, Mum. Morgen bin ich wieder fit.” “Halb so schlimm? Mein liebes Mädchen, das ist die Untertreibung des Jahres! Du hast fast 40 °C Fieber. … So, und jetzt raus hier!” Sie versuchte Carry raus zu schieben, doch die blieb hartnäckig. “Bitte, Mum, lass sie bei mir schlafen.” “Aber sie wird sich anstecken!” “Nein, Mum, das wird sie nicht. Wenn es ansteckend ist, hat sie sich längst angesteckt.” Frau Wagner seufzte resigniert. “Also gut, wir holen das Bett rüber.” “Danke, Mum!” Sie sah Carry an. »Nebenan steht ein Notbett. Das kannst du dir hier rüberholen und dich hier einrichten.« Carry nickte nur. Eine einzelne Träne, die in ihren Augen glitzerte, verriet, warum sie nichts sagte. Sie verließ den Raum hinter den Erwachsenen und als sie mit ihrem Bettzeug und dem Notbett wieder herein kam, schlief Julia schon tief und fest. Leise schlug sie das Bett auf, zog sich um und kuschelte sich mit einem letzten besorgten Blick auf Julia in ihre Kissen. Traurig dachte sie darüber nach, wie dumm sie sich bisher gegen Julia benommen hatte, und dass sie trotzdem bereit war ihr zu helfen. Plötzlich schrak sie auf. »Bitte erschrick nicht, Carry.« Carry atmete auf. »Schon zu spät.« dachte sie lächelnd und hoffte, dass er das Lächeln auch erkennen konnte.»Du bist Helaku, nicht wahr?« »Ja. Entschuldige, habe ich dich sehr erschreckt?« »Nein, nicht so schlimm. Habt ihr noch was gehört, wie es dem Kind geht?« »Es geht ihm gut. Was ist mit Julia? Wir hatten alle auf eine Nachricht gehofft, dass ihr gut angekommen seid.« »Ich glaube, das konnte sie nicht mehr. Wir sind kaum noch die Treppen hinauf gekommen. Sie hat Fieber.« »Fieber? Wieso das? Sie machte heute Nachmittag gar nicht den Eindruck, als würde sie krank werden.« »Keine Ahnung, wo das her kommt, aber vielleicht hat sie Recht, wenn sie sagt, dass sie morgen wieder fit ist.« »Vielleicht … Schläft sie?« »Wie ein Murmeltier.« Sie stand leise auf und trat zu ihr.»Sie ist auch nicht mehr ganz so heiß, wie vorhin.« »Du bist noch bei ihr?« Das klang überrascht. »Ich werde ein paar Tage bei ihr wohnen.« »Das ist gut. Oh, das wollte ich vorhin schon sagen: Herzlich willkommen in der Familie der Krieger. Schön, dass du doch noch zu uns gestoßen bist.« Sie wurde rot.»Danke.« Sie fühlte, wie er lächelte. »Also dann: Gute Nacht!« »Gute Nacht!« dachte sie ein bisschen abwesend zurück, doch plötzlich fiel ihr noch etwas ein. »Oh, Helaku?« »Ja?« »Danke, dass du mich neulich von Kronos‘ Bann befreit hast.« »Kronos?« »Naja, dieser Feuergott in Alice Springs. Julia hat gesagt, dass du es warst, der mich befreit hat.« »Ach das … eigentlich hatte ich sie gebeten, das für sich zu behalten. Bitte verzeih, Carry. Ich musste ein bisschen in deinen Gedanken lesen, sonst hätte ich dich da unmöglich rausholen können.« »Oh, das hast du? Weißt du, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber ich glaube nicht wirklich, dass du viel gesehen hast. Du warst so vorsichtig …« »Du bist mir nicht böse?« »Nein, bin ich nicht.« »Danke, Carry. … eines ist mir wichtig, dass du es weißt: ich werde nie wieder in deinen Gedanken lesen, außer in denen, die du direkt an mich denkst, so wie jetzt.« »Ich weiß.« dachte sie ernst. »Du hast mein Vertrauen. … würdest du den anderen von mir sagen, wie leid es mir tut, wie ich mich am ersten Tag benommen habe? Ich werde es selbst noch tun, wenn wir uns wieder sehen, aber es ist mir wichtig, dass sie es schon wissen. Es tut mir wirklich leid.« Einen Moment schwieg Helaku und Carry dachte traurig er würde nicht mehr antworten. »Danke für dein Vertrauen, Carry. Ich werde es ihnen sagen.« »Danke!« »Gute Nacht!« »Gute Nacht!« Sie kehrte in ihr Bett zurück und fühlte sich plötzlich unendlich viel besser. Ja, sie würde ein neues Leben anfangen. Hier bei Julia, wenn es sich machen ließ, aber egal, wo auf der Welt sie landen würde - endlich hatte sie Freunde gefunden - Freunde, die mit ihren seltsamen Fähigkeiten, von denen sie ihr Leben lang nichts geahnt hatte, leben konnten. Endlich schlief sie ein und wurde erst geweckt, als Julias Mutter am Morgen hereinkam, um nach ihrer Tochter zu sehen. »Guten Morgen! Wie geht ‘s ihr?« Sie sprang aus dem Bett und bemerkte Frau Wagners fragenden Blick. Richtig! Sie verstand ja kein Englisch. Sie überlegte fieberhaft, wie sie ihr klar machen sollte, was sie wissen wollte, als ihre Tante ihr unerwartet zur Hilfe kam. “Sie möchte wissen, wie es Julia geht, Liesbeth.” “Oh!” Ein Lächeln glitt über Frau Wagners Gesicht. “Es scheint ihr schon viel besser zu gehen. Wenigstens glüht sie nicht mehr so wie gestern Abend.” Sidney übersetzte lächelnd. »Du kannst Deutsch? Das wusste ich ja gar nicht!« »Nein, Liebes. Ich habe selbst nicht gewusst, dass so viel hängen geblieben ist damals.« »Du musst es mir beibringen, Tante Sidney!« Sidney lachte. »Nein, das lasse ich lieber bleiben, meine Liebe. Ich glaube, Julia kann dir viel mehr beibringen, wenn sie erst wieder auf den Beinen ist.« Sie wandte sich wieder an Julias Mutter. “Lass sie schlafen, Liesbeth. Das wird ihr gut tun.” Seufzend nickte sie und wandte sich zum Gehen. “Ich werde dann mal in der Schule anrufen.” »Wie spät ist es denn?« Alle fuhren herum und starrten Julia an, die sich eben im Bett aufsetzte. “Julia!” Carry lachte erleichtert auf und sah auf die Uhr. »Es ist gleich acht.« Julia nickte. “Prima, dann komme ich doch noch fast rechtzeitig.” Die beiden Erwachsenen sahen sie schockiert an. “Oh, nein, meine Liebe! Das wirst du nicht! Du wirst schön zu Hause bleiben und dich gesund schlafen.” Carry hatte zwar kein Wort verstanden, konnte sich aber bei dem Tonfall ausrechnen, worum es ging. »Julia, tu nichts Unüberlegtes. Der Mensch bekommt nicht umsonst Fieber. Das solltest du doch am besten wissen. Oder?« Aller Augen richteten sich auf Carry. Einen Augenblick lang war Julia sprachlos, doch dann lächelte sie. »Du hast Recht, Carry. Ich war so lange nicht krank, dass ich gar nicht mehr wusste, was das bedeutet. Danke!« Sidney sah ihre Nichte stolz an. Endlich bewies das Mädchen seine Intelligenz. Viel zu lange war sie stumm durch die Welt gegangen und hatte an nichts Interesse gezeigt. “Ein kluges Mädchen hast du, Liesbeth. Nicht viele Menschen können einen Fehler zugeben.” Sie zwinkerte Julia zu. Frau Wagner musterte ihre Tochter kurz stolz, ging aber nicht weiter auf das Lob ein. “Nun, was haltet ihr Mädchen davon, wenn wir erst mal frühstücken?” »Frühstück ist eine fantastische Idee, Mum. Ich sterbe vor Hunger!« Julia sprach zwar englisch, aber das verstand sogar ihre Mutter. Sie lachte. “Ich glaube, wenn ihr noch ein paar Wochen bleibt, lerne sogar ich noch englisch.” Sidney sah verlegen zu Boden. “So lange, wollte ich euch eigentlich nicht belästigen. Wir bleiben ein paar Tage und dann verschwinden wir wieder.” Frau Wagner stutzte, winkte dann aber ab. “Ach, papperlapapp! Ihr wollt euch Deutschland ansehen, das verstehe ich, aber euer Hauptquartier bleibt bei uns solange ihr in Deutschland seid. Das ist ja wohl klar!” “Das ist lieb von dir, aber wir wollen euch nicht auf den Wecker fallen.” Julia hatte dem Disput mit Spannung zugehört, doch dann fiel ihr Blick auf Carry, der man auf einen Blick ansah, dass sie nur die Hälfte mitbekam obwohl sie vorhin so gut reagiert hatte. Sie winkte sie zu sich heran und übersetzte schnell, was die Erwachsenen stritten. “Auf den Wecker fallen? Ihr fallt niemandem auf den Wecker! Wir haben euch gerne hier! Oder was sagst du dazu, Julia?” »Ich fände es auch schade, wenn ihr schon so schnell wieder abreisen würdet. Carry und ich haben uns doch gerade erst so schön angefreundet!« Frau Wagner schüttelte den Kopf und sah ihre Tochter an. “Kind, wo hast du nur auf einmal so toll englisch gelernt? Vor den Ferien war dein Lehrer nicht recht begeistert von deinen Leistungen.” “Uh …” Julia wand sich. Das hatte ja kommen müssen. “Naja, mein Freund Mika hat einen Freund. Ja, und der hat mir Nachhilfe gegeben.” Frau Wagner sah sie skeptisch an. “Nachhilfe? Einfach so?” Julia rollte die Augen gen Himmel. “Nein, Mum, nicht einfach so. Er spricht kein deutsch, also mussten wir englisch reden. Das ist alles.” “Und wieso spricht der Freund von deinem Freund - den ich übrigens immer noch nicht kenne - kein deutsch?” Julia sah ihre Mutter einen Augenblick irritiert an. “Naja, weil er nicht von hier kommt! Er ist Japaner.” Frau Wagner seufzte und sah schulterzuckend zu Sidney. “Die Jugend ist eben international heutzutage. Was soll man da machen? Na, kommt, Mädchen! Wir wollen endlich Frühstücken.” Die beiden Frauen verließen das Zimmer und Julia sprang aus dem Bett. »Geht es dir wirklich schon so viel besser?« Carry sah sie zweifelnd an. »Nein, Carry, nicht wirklich. Ich fühle mich tatsächlich noch etwas schlapp und ich bin ganz sicher nicht wirklich in der Lage zur Schule zu gehen, aber ich wollte eigentlich heute Nachmittag zu den anderen und das geht jetzt natürlich nicht.« Sie befestigte San Tanadina an ihrem Gürtel. »Woher wusstest du eigentlich vorhin worum es ging? Wir haben alle deutsch gesprochen.« Carry hob kurz die Schultern. »Ich hab ‘s mir einfach gedacht. Naja, und das Wort Schule kenn selbst ich.« Sie grinste. »Super! Das nenne ich Kombinationsgabe. Weißt du eigentlich wie stolz deine Tante auf deine Reaktion vorhin war?« »Nein, wieso?« »Sie ist geplatzt vor Stolz. Ihr war es nämlich - im Gegensatz zu meiner Mutter - durchaus bewusst, dass du kein Wort deutsch kannst.« Carry schnaufte unwillig. »Wenn sie so stolz auf mich ist, wäre es schön, wenn ich da auch mal was von merken würde.« »Bitte versteh sie nicht falsch, Carry. Sie liebt dich abgöttisch und sie ist wahnsinnig stolz auf dich, aber sie durfte es dir nie zeigen. Denk doch mal an eure Männer zu Hause. Was denkst du wohl, wie die reagieren würden?« Carry senkte den Kopf. »Du hast Recht, Julia. Das wäre nicht gut gegangen. Woher weißt du das alles bloß?« Julia lächelte. »Nun, das ist Teil meiner Gabe. Ich besitze die Weisheit und das Wissen meiner sämtlichen Vorfahren - und zum Teil eben auch der deinen. Schließlich waren deine und meine Oma Geschwister.« “Wo bleibt ihr beiden denn?” “Wir kommen gleich, Mum!” »Na komm, gehen wir - ehe Mum wirklich ungeduldig wird.«

Sie waren noch nicht ganz mit dem Frühstück fertig, als es an der Tür läutete. Frau Wagner stand auf und öffnete die Tür. “Entschuldigen sie, Frau Wagner. Mein Name ist Kiyoshi Mijako Jatsushiro. Ich bin ein Freund von Julia. Ich wollte nur mal hören, wie es ihr heute geht, nachdem sie uns gestern umgekippt ist.” “Es geht ihr schon besser, aber komm doch rein, Mika.” “Danke, Frau Wagner!” “Wir sind noch beim Frühstück. Möchtest du auch noch etwas mit uns essen?” “Nein, danke, Frau Wagner. Ich habe nicht viel Zeit. Ich muss gleich zur Schule.” Sie betraten die Küche. “Mika! Was machst du denn hier?” “Ich wollte nur mal schauen, wie es dir heute geht, Julia.” Er sah zu Carry und ihrer Tante hinüber. “Hallo, Carry. Mrs. Darling!” “Hallo, Mika.” Carry wurde rot. Sie wusste, dass Mika ihr noch nicht wirklich vertraute. “Das ist aber lieb von dir, dass du kommst.” Julia stand auf und trat zu ihm. “Danke, Mika! Morgen bin ich wieder auf dem Damm. Versprochen!” Sie küsste ihn kurz. “Kommst du heute Nachmittag noch mal vorbei?” Er nickte lächelnd. “Sicher, Liebes. Soll ich die anderen mitbringen?” “Das wäre schön, Mika.” Sie griff an ihren Dolch. »Für Sanura und Warren solltest du dich aber um eine Illusion kümmern. Mum muss sie nicht unbedingt wieder erkennen. Und sicher ist es … nein, egal bei unserem ersten Australien-Einsatz hatten wir deine Illusionen ja schon. Sidney hat mich auch nicht wieder erkannt. Aber bitte sage Kane, dass er auf keinen Fall deutsch sprechen darf.« Er sah sie fragend an, aber sie lächelte nur und schob ihn hinaus. “Ich habe Mum gesagt, dass ein Freund von dir mir Englisch-Nachhilfe gegeben hat, weil er kein deutsch spricht.” “Aber das muss doch nicht Kane gewesen sein.” Schon, aber was glaubst du wie viele Japaner hier in der Stadt sind? Mum glaubt uns nie, dass da noch ein anderer ist. - Und warum sollen wir es unnötig kompliziert machen?” “Also gut, Liebes. Bis nachher!” Er küsste sie. “Bis nachher!” Sie schloss die Tür hinter ihm und kehrte in die Küche zurück. “Ich glaube, ich gehe doch gleich wieder ins Bett. Was habt ihr denn heute vor?” Sie sah Sidney an. “Du musst zur Arbeit, nicht wahr, Liesbeth?” Frau Wagner nickte. “Dann werde ich hier bei dir bleiben, Julia. Ich möchte nicht, dass du alleine bleibst.” Julia lächelte. “Das ist lieb gemeint von dir, aber das brauchst du nicht. Ich komme schon klar.” “Ich weiß, Julia, aber es ist mir wichtig.” Julia nickte mit einem kurzen Seitenblick auf Carry. “Ich verstehe! Aber bei dem schönen Wetter macht trotzdem einen Spaziergang. Ja?” Sie zwinkerte kurz und begann den Tisch abzuräumen, doch ihre Mutter ging dazwischen. “Du gehst wieder nach oben, Julia und legst dich wieder hin. Das hier werde ich machen! … Mit wie viel Besuch müssen wir eigentlich rechnen heute Nachmittag?” “Danke, Mum! Fünf Leute, wenn alle Zeit finden.” Frau Wagner schüttelte den Kopf. “Du hast dich ganz schön verändert, Julia. Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals so viele Freunde gehabt hast.” Julia lächelte. “Stimmt! Es hat sich in den letzten drei Wochen einiges verändert bei mir. Das habe ich alles Mika zu verdanken.” Frau Wagner seufzte. “Muss die Liebe schön sein! … Na los, verschwind schon ins Bett!” Julia lachte. “Ich gehe ja schon!” Sie sah zu Carry, die natürlich von allem nichts verstanden hatte. “Kommst du mit hoch?” “He, ich denke, du wolltest schlafen!” “Ja, sicher, aber doch nicht sofort!” Die beiden Mädchen gingen nach oben. »Sag mal, geht deine Tante arbeiten?« »Ja!« Carry klang etwas giftig. Julia lächelte schuldbewusst. »Entschuldige, Carry, ich habe eben absichtlich deutsch gesprochen, wegen Mum. Und zum Anderen hätte ich gerne eine unabhängige Antwort von dir, wenn ich wissen möchte, was ihr heute vor habt.« »Also, es ist mir egal, was Tante Sidney macht. Ich bleibe jedenfalls bei dir!« Julia nickte. »Bist du ihr immer noch böse?« »Nein, aber ich kann einfach nichts mit ihr anfangen. Ich bin mein Leben lang immer irgendwie alleine gewesen.« »Hast du schon darüber nachgedacht, was du in Zukunft mit deinem Leben anfangen willst?« Carry trat ans Fenster. »Ich will fort von zu Hause. Egal wohin - nur fort.« »Bist du sicher, Carry? Ich gewinne nämlich immer mehr den Eindruck, dass du bei deiner Tante bleiben solltest und wir stattdessen versuchen, die Kerle loszuwerden.« »Nein!« »Weißt du, was deine Tante heute macht? Sie wird heute hier bleiben - damit ich nicht alleine bin. Das hat natürlich mit mir eigentlich gar nichts zu tun. Sie tut das, weil das etwas ist, das sie gerne für dich getan hätte, Carry.« »Das ist mir egal!« Sie schluchzte auf und Julia legte ihr einen Arm um die Schultern. »Das ist OK, Carry. Möchtest du es ihr sagen? Oder soll ich es tun?« »W … würdest du das wirklich für mich tun?« »Aber natürlich! Wir sind doch Freundinnen. Oder nicht? … na, siehst du! Und Freundinnen sind dazu da, um einander zu helfen. Also soll ich mit ihr reden?« Eine Weile sagte Carry gar nichts, doch dann nickte sie endlich. »Ja, bitte sprich du mit ihr. Ich würde es, glaube ich, nicht übers Herz bringen.« Julia lächelte. »Weißt du, das ist genau das, was ich an dir mag. Du bist trotz allem immer ein herzensguter, liebevoller Mensch geblieben.« Carry wurde rot. »Das ist doch gar nicht wahr!« Julia wandte sich lächelnd ab und setzte sich auf ihr Sofa. »Denk darüber nach, Carry. Du wirst feststellen, dass ich Recht habe.« Sie gähnte herzhaft und legte sich hin. »Und dann mach dir auch gleich Gedanken darum, wo du hin willst. Die ganze Welt steht dir offen.« »Da muss ich nicht lange überlegen! Ich bleibe hier, bei dir!« »Bitte, Carry, keine übereilten Entschlüsse! Ich würde mich bestimmt darüber freuen, wenn du hier bliebest, aber bitte denke kurz über deinen Berufsweg nach, ehe du dich endgültig entscheidest.« Julia wechselte zur geheimen Sprache. »Es ist nämlich so, dass wir alle so eine Art Doppelleben führen müssen und wir im offiziellen Leben nicht allzu schnell vermisst werden dürfen. Ich zum Beispiel war mir bisher sicher, dass ich Medizin studieren würde, aber mal ehrlich: Welche Chance hätte ich als Ärztin im Krankenhaus, unbemerkt in einen Einsatz zu gehen? - Gar keine! Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich groß, dass ich direkt nach der Schule in die Staaten auswandere und in der Anonymität versinke.« »Wie bitte?« »Naja, wir werden so eine Art Geheimagententruppe sein und ich glaube nicht, dass sich das auf Dauer mit einem normalen Berufsleben vereinbaren lässt.« »Aber du … und deine Mum!« Julia lächelte traurig. »Ja, meiner Mum wird es das Herz brechen - und mir auch, weil ich Mum über alles liebe, aber ich habe eine Aufgabe.« »Aber ist das wirklich ein Grund, seine Familie zu verlassen?« »Weißt du, Carry, Warren hat das, was man sein Familie hätte nennen können, verloren. Und Helaku hat seinen Vater in einem Auffanglager bei seiner verstorbenen Mutter zurückgelassen, um ihn nie wieder zu sehen. Warum sollte es mir besser ergehen als meinen besten Freunden?« Plötzlich begann San Tanadina zu glühen. Erschrocken griff Julia danach. »Mika! Was ist?« »Erinnerst du dich an unseren Freund aus der Schmugglerhöhle von Mombasa? Er ist wieder aufgetaucht. Und zwar hier! Die Schule brennt. Hier herrscht das totale Chaos. Ich brauche Hilfe!« »Wir kommen!« »Verdammt! Ich habe schon zu lange gewartet!« Sie sah auf die Uhr. Ihre Mutter musste das Haus längst verlassen haben. »Wir müssen deine Tante hier wegbringen. Sonst ist es vielleicht ihr Ende. Wir müssen ihr reinen Wein einschenken. Komm mit!« Julia rannte die Treppe hinunter - San Tanadina schon fest in der Hand. Carry folgte ihr verwirrt. »Sidney! Wo bist du?« Sie fanden sie im Wohnzimmer. »Was ist eigentlich los, Julia!« keuchte Carry. »Jemand hat den Höllenhund auf diese Stadt losgelassen. Und wenn ich Höllenhund sage, dann meine ich auch Höllenhund. Carry, du musst Mika helfen. Folge dem Lärm und dem Feuer, dann wirst du ihn finden. Ich bringe deine Tante in Sicherheit und hole dann die anderen Krieger des Lichts!« Sie trat auf Sidney zu, die wie gelähmt im Wohnzimmer stand. »Nun mach schon, Carry! Mika braucht dringend deine Hilfe! Und pass auf den Schwanz auf - der ist giftig! … Gib mir deine Hand, Sidney!« Sidney war noch immer nicht fähig sich zu bewegen, also griff Julia nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Bitte San Tanadina bringe uns in die alte Jagdhütte!« Sekunden später standen sie in der Jagdhütte. »Julia!« Endlich konnte Sidney reagieren. »Carry ist nicht die Einzige mit seltsamen Fähigkeiten, Sidney!« erklärte Julia. »Unten in der Stadt herrscht das absolute Chaos. Ich bitte dich: bleibe hier oben in der Hütte bis alles vorbei ist. Verlasse die Hütte nicht - auf keinen Fall - das ist wichtig!« Sie ließ Sidney los und schloss in höchster Konzentration die Augen. »Bitte San Tanadina lege einen Schutz auf diese Hütte, so dass nichts Böses hier eindringen kann.« »Ich komme wieder, sobald der Kampf vorüber ist.« Damit verschwand sie und nahm Verbindung mit Helaku auf. »Helaku? Wo seid ihr?« »In unserer Wohnung. Wir haben Mikas Notruf gehört und warten auf dich. Mika hat sich bereits Kane geholt.« »Wunderbar, Freunde! Kannst du Sanura bescheid sagen, dass sie sich bereithalten muss?« »Schon passiert!« »Sehr gut! Dann erst ihr!« Sie streckte ihnen die Hand entgegen und Sekunden später standen sie mitten im Chaos. »Passt auf euch auf! Und denkt an den Schwanz! Ich bin gleich wieder da!« Die beiden Jungen sahen einander an. »Was meinte sie mit - denkt an den Schwanz -?« »Egal! Wir müssen uns erst mal zu Mika durchkämpfen.« »Warte, da ist Carry!« »Hallo, Jungs! Wie sollen wir bei diesem Chaos Mika finden?« »Ich kann ihn orten. Er ist da drüben irgendwo.« »Prima! Und was bitte machen wir mit den anderen beiden Bränden?« »Wie groß sind diese anderen Feuer?« »Etwa gleichgroß!« »OK, wir trennen uns. Ich gehe und helfe Mika und ihr nehmt euch schon mal eins von den anderen vor. Ich schicke Julia und Sanura zu euch.« Carry und Warren nickten entschlossen und rannten los. »Woher weißt du eigentlich, wo du hin musst? Ich sehe nichts!« »Ich auch nicht, aber ich fühle es. Ich kann das jetzt nicht erklären.« »Das brauchst du auch nicht! Hauptsache, du weißt, was du tust. Wo sind die Feuer?« »Eines ist direkt vor uns. Entfernung 1 Meile.« Sie blieb schwer atmend stehen. »Wir sind hier etwa …« Sie sprang erschrocken zur Seite. Unmittelbar vor ihr waren Julia und Sanura aufgetaucht. »Gutes Timing, Carry. Danke. Ich hatte etwas Schwierigkeiten, dich anzupeilen, solange du dich bewegt hast.« »Das ist der beste Treffpunkt, den ich bieten konnte. Wir sind hier genau im Zentrum eines gleichschenkeligen Dreiecks an dessen Eckpunkten die Feuer brennen. Mika und Helaku kämpfen an dem in dieser Richtung.« Sie wies in die Richtung aus der sie gekommen waren. »Die Entfernung beträgt etwa 1 Meile.« Julia nickte. »Ich habe zwar keine Ahnung, wie viel 1 Meile in Kilometern ist, aber das ist jetzt auch egal. Warren, du kommst mit mir. Wir nehmen uns das Feuer am westlichen Ende vor. Sanura, du gehst mit Carry. Und wenn ihr Mum sehen solltet, tut mir einen Gefallen und bringt sie in Sicherheit. Ich will sie noch nicht verlieren.« Die beiden Mädchen nickten stumm und machten sich auf den Weg. Endlich standen sie vor dem Feuer und sahen sich keuchend um. »Julia mag es ja nicht interessieren, aber wie viel Kilometer sind eine Meile?« »Etwa 1,5. Was ist das?« Sie wies auf eine Stelle hinter dem Feuer, die viel dunkler war als die Flammen darum. »Das Tor zur Hölle! Von da kommt unser Problem.« Sanura sah sich um. Die Menschen um sie herum rannten in Panik davon, aber was war mit den Menschen, die in dem Haus über dem Höllenschlund waren? Sie sah die Häuserfront hinauf. »Super! Das ist ein Museum! Da drin sind Waffen!« »Das ist das Museum? Julias Mum arbeitet im Museum!« Sanura stöhnte. »Das auch noch! Also los, suchen wir uns erstmal einen anderen Eingang.« “Carry!” »Tante Liesbeth! Verflucht, wenn ich jetzt deutsch könnte!« Frau Wagner stürmte in Begleitung eines jungen Mannes auf sie zu. “Carry! Was machst du hier? Du musst verschwinden!” Carry schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ihr beiden kommt jetzt mit uns. Das ist zu gefährlich für euch!« »Sie können ja englisch! Wie wunderbar! Wir können nicht mitkommen. Wir müssen hier erst noch was erledigen, aber dazu müssen wir ins Museum. Wie kommen wir da rein?« »Seid ihr wahnsinnig? Ihr könnt da jetzt nicht rein!« »Wir müssen!« Sie sah sich um. Hinter ihr brüllte etwas. Sie wurde blass. Das hatte Julia also mit Höllenhund gemeint! »Das ist die einzige Möglichkeit, das unschädlich zu machen!« »Das werdet ihr schön den Spezialisten überlassen!« Frau Wagner fasste beide Mädchen an den Handgelenken und versuchte sie mit sich zu ziehen. »Tante Liesbeth! Nein! Wir sind die Spezialisten! Nur wir können das hier beenden!« Sanura verlor die Geduld. »Verflucht! Wir müssen diese Diskussion beenden! … Carry! Er springt uns an!« Mit aller Kraft sprang Sanura gegen Julias Mutter und den Mann, der vermutlich ein Kollege von ihr war und warf sie zu Boden - keine Sekunde zu früh. Der Höllenhund verfehlte sie nur knapp. »Kümmere du dich darum, dass die beiden in Sicherheit kommen. Ich kümmere mich um ihn.« »Ohne Waffen? Das ist Wahnsinn!« »Ich habe dieses hier. Das muss reichen!« Sie zog einen kleinen Dolch aus ihrem Stiefel. »Sanura! Das ist Wahnsinn! Du kannst doch nicht mit so ‘nem kleinen Messer …« »Doch!« knirschte Sanura während sie den Höllenhund mit zusammengekniffenen Augen beobachtete. »Ich habe schon einmal mit ihm gekämpft und diesmal wird er sicher nicht so glimpflich davonkommen.« Carry wandte sich Julias Mutter und dem Mann zu. »Bringen sie sich in Sicherheit! Laufen sie hoch zur alten Jagdhütte, da wollte Julia Tante Sidney hinbringen.« »Hast du schon mal was von Geheimhaltung gehört?« knurrte Sanura wütend. »Unsere Tarnung ist längst aufgeflogen! Pass auf. Ich versuche ihn zu blenden. Vielleicht kommst dann für einen Augenblick besser dran.« »Mehr brauche ich auch nicht. Versuch alle drei Köpfe gleichzeitig zu treffen.« »Ist gut!« Carry schloss für einen Moment konzentriert die Augen. Plötzlich schien sie Feuer in den Händen zu halten. »Duck dich!« Im selben Moment warf sie in schneller Folge drei Glutbälle gegen die drei Köpfe des Ungeheuers, das sich wütend aufbäumte und Sanura Gelegenheit gab ihr Messer in seine Brust zu rammen. Blitzschnell tauchte sie unter dem tödlich verwundeten Tier hinweg und sah grimmig zu, wie es unter qualvollen Schreien zusammenbrach und zu Staub zerfiel. Carry konzentrierte sich bereits wieder und löschte die Feuer um sie herum. »Wie verschließen wir das Tor?« »Ich habe keine Ahnung! Beim letzten Mal sind wir einfach abgehauen.« »Wie nennt Julia noch diese Sprache? Die geheime Sprache der Götter?« »Ja, warum? Was hat das hiermit zu tun?« Statt einer Antwort trat Carry vor das Tor und rief mit klarer Stimme: »Tor der Unterwelt, ich bitte dich verschließe dich!« Als nicht sofort etwas passierte, drehte sie sich mit einem Schulterzucken um. »Einen Versuch war es wert.« Doch Sanura starrte an ihr vorbei. »Einen Versuch war es wert!? Carry! Das war die Idee des Jahrtausends! Sieh!« An den Seiten des dunklen Schlundes tauchten riesige Säulen auf und zwischen ihnen schlossen sich riesige steinerne Tore mit Schriftzeichen in dieser geheimen Sprache. »Hel, Göttin der Unterwelt und der Totenreiche, wir bitten dich, nimm die Seelen unserer Toten in dein Reich auf und sei ihnen gnädig.« Sanura schüttelte sich. »War das unheimlich! Wer ist Hel?« Carry hob die Schultern. »Unwichtig! Wir müssen zu Julia! Sie ist noch nicht wieder fit genug für so einen Kampf!« Sie sah sich um und entdeckte Julias Mutter immer noch dort sitzen. Sie stand offenbar noch immer unter Schock. »Tante Liesbeth! Hier ist die Gefahr vorerst vorüber, aber ich bitte euch: Geht trotzdem zur Jagdhütte!« Sie sah, dass der Mann übersetzte und nickte Sanura zu. »Auf geht ‘s! Wir haben ein paar Kilometer vor uns!« Frau Wagner rief ihnen hinterher, doch sie ignorierten den Ruf. Fünf Minuten später standen sie keuchend neben Julia, die bis zum Umfallen erschöpft war. Warren kämpfte allein mit dem dreiköpfigen Untier und hatte keine Chance. »Julia, setz dich hierher. Du musst dich ausruhen. Wir machen das schon. Kannst du mir ein Messer besorgen? Meins ist dem anderen Höllenhund zum Opfer gefallen.« Julia nickte erschöpft, legte ihre Hand an San Tanadina und hatte einen Augenblick später ein Messer mit einer langen, spitzen Klinge in der Hand, das sie Sanura gab. »Danke! … Carry, bist du soweit? Das hat vorhin fantastisch geklappt!« Carry nickte. »Ich bin schon da! … OK, Warren, ruh dich aus, wir übernehmen!« Wortlos überließ Warren ihnen das Feld und ging zu Julia hinüber, die erschöpft auf einem Auto saß und die Straße hinunter starrte. »Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie nickte. »Ja, alles OK, Warren. Danke! … Komm bitte mal mit. Ich will mich vergewissern, dass es Mikas Eltern gut geht.« Langsam, sich gegenseitig stützend, gingen sie die Straße entlang. »Mikas Eltern?« »Ja, der Antiquitätenladen hier gehört ihnen.« Sie betraten den Laden. “Herr Jatsushiro?” “Der Laden ist geschlossen! Bitte haben sie Verständnis!” Julia folgte der Stimme in die hinteren Räume. “Bitte, Herr Jatsushiro, entschuldigen sie. Wir sind Freunde von Mika. Wir wollten uns nur vergewissern, dass es ihnen gut geht.” “Oh, Entschuldigung! Dann ist es etwas Anderes. Kommt herein.” “Ist bei ihnen alles in Ordnung?” “Meine Frau steht unter Schock. Sie war gerade auf der Straße, als dieses Ungeheuer auftauchte.” Julia nickte. “Das kann ich mir vorstellen! Und das war nur einer von dreien.” Herr Jatsushiro starrte sie alarmiert an. “Was heißt das? Einer von dreien?“ Sie legte ihre Hand an den Dolch. »Mika? Wie sieht es bei euch aus?« »Der Hund ist tot. Wir kämpfen noch mit den Flammen.« »Alle unverletzt? Ich möchte deine Eltern gern beruhigen.« »Meine Eltern? Was ist mit ihnen?« »Eins von den Viechern ist direkt vor den Augen deiner Mutter aufgetaucht. Sie steht unter Schock. Vielleicht ist es an der Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Carrys Tante weiß jedenfalls bereits erheblich mehr, als sie ursprünglich sollte.« Er seufzte. »Vielleicht hast du Recht! Aber erst müssen wir die Tore irgendwie verschließen.« »Ist gut, wir beraten uns sobald Carry und Sanura diesen hier erledigt haben.« Sie ließ seufzend die Hand sinken. “Naja, einer von diesen Hunden ist irgendwo in Richtung Museum aufgetaucht und noch einer in der Schule.“ Sie seufzte. “Ein Glück, dass diesmal niemand verletzt wurde. - Bis jetzt jedenfalls! … Also gut, Warren, kehren wir zu den anderen zurück. … Oh, Entschuldigung, ich wollte ihnen noch sagen: Mika geht es gut. Er hat seinen Hund schon erledigt.” Sie warf einen kurzen Blick auf Mikas Mutter, die käsebleich auf dem Sofa lag und schloss kurz die Augen. “Bitte besorgen sie ihrer Frau einen guten Beruhigungstee aus der Apotheke und etwas Arnika und Belladonna auf homöopathischer Basis - am besten in Potenz D 12. Davon geben sie ihr 5 Kügelchen und lassen sie dann schlafen. Von den Belladonna dürfen sie auch 2 Kügelchen nehmen. Das wird sie beruhigen.” Mikas Vater sah sie ungläubig an. Sie lächelte müde. “Wir werden nachher alles erklären. Bis dahin bitte ich sie, mir zu vertrauen. Ich sehe zwar nicht so aus, aber ich bin Heilerin!” Sie ging wieder hinaus und konnte gerade noch beobachten, wie das Höllentor sich verschloss. »Wie habt ihr das denn geschafft?« Sanura lächelte erschöpft. »Carry ist einfach beigegangen und hat das Tor gebeten sich zu verschließen und dann ist es passiert. War ganz schön gruselig. Ich glaube deine Mum steht immer noch unter Schock.« »Meine Mum? Ist sie OK?« »Ansonsten ja, aber wir hatten keine Möglichkeit mehr unser Geheimnis vor ihr zu wahren.« Julia nickte. »Das habe ich befürchtet. Carrys Tante weiß auch schon mehr, als eigentlich gut für sie wäre. … Also schön! Gehen wir zu den anderen. Wir müssen auch das letzte Tor noch verschließen.« Carry sah sie skeptisch an. »Eigentlich gehörst du wieder ins Bett!« Julia lächelte. »Ich weiß, Carry, aber ich will einmal sehen, wie du das Tor verschließt. Naja, und dann fürchte ich, müssen wir jemandem eine Menge erklären.« »Kann Helaku nicht alles vertuschen?« Julia schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein. Ich habe Presse hier gesehen und konnte nichts daran ändern, dass sie uns gefilmt haben. Fremde werden uns vielleicht nicht erkennen, aber wer uns gut genug kennt …« Sie hob kurz die Schultern. »Also kommt, lasst uns gehen. Ich fühle mich tatsächlich nicht besonders gut.« Sie streckte ihre Hand aus und Sekunden später standen sie neben Mika, der vor Anstrengung schwer atmete. Carry sah sich um. Das Untier war offenbar erledigt, aber da war noch immer Feuer. Wirklich fit fühlte sie sich zwar auch nicht mehr, aber sie musste es beenden. Sie atmete tief durch. Verbissen kämpfte sie die letzten Flammen nieder. »Wie verschließen wir jetzt die Tore?« Julia lächelte. »Das wird Carry erledigen. Sie hat offenbar einen Weg gefunden. Lass sie einen Moment ruhen. Sie hat zusammen mit Sanura schon 2 Kampfplätze aufgeräumt. Warren und ich sind mit unserem Hund nicht fertig geworden. Die beiden müssen fix und fertig sein.« Carry schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als ihr!« Sie atmete noch einmal tief durch und trat dann vor das Tor. »Ich bitte dich, Tor der Unterwelt, verschließe dich!« Das Schauspiel wiederholte sich. Langsam schälten sich die beiden Säulen aus dem Dunkel heraus während sich dazwischen die steinernen Tore verschlossen. »Hel, heilige Göttin der Unterwelt und der Totenreiche, wir bitten dich, nimm die Seelen unserer Toten in dein Reich auf und sei ihnen gnädig.« Mika und Julia sahen einander an. »Hel? Wer ist Hel?« »Ich habe keine Ahnung, Freunde. Ich hab ‘s nur abgelesen. Aber vielleicht weiß deine Mum das. Sie arbeitet doch im Museum.« »Schon, aber doch nur in der Verwaltung!« »Dann fragen wir die Heilige, aber jetzt sollten wir hier schleunigst verschwinden.« Er deutete die Straße entlang. »Die Presse ist wieder da!« Julia rollte mit den Augen. »Also gut! Gehen wir bis zur nächsten Ecke und springen dann zu mir nach Hause. Dann kannst du deinen Vater holen. Deine Mutter lass besser da wo sie ist. Sie sah tatsächlich nicht besonders gut aus.” Sie sah Mika nachdenklich an. “Wahrscheinlich hat dein Vater nicht getan, worum ich ihn gebeten habe. Gib mir mal deine Hand. Ich glaube alleine habe nicht mehr die Kraft es entstehen zu lassen.” Mit gefurchter Stirn reichte er ihr die Hand und legte seine andere um San Tanabea. Beide schlossen ihre Augen. Plötzlich hielt Julia zwei kleine Fläschchen in der Hand, die mit vielen kleinen Kügelchen gefüllt waren. “Das sind Homöopathische Medikamente, die deiner Mutter helfen werden, mit dem Schock fertig zu werden. Gib von beiden je fünf Kügelchen und dann soll sie schlafen. Zur Nacht kann sie noch mal die gleiche Dosis bekommen und morgen früh auch. Von den Belladonna soll dein Vater auch 2 Kügelchen nehmen. Das ist nur, um die Nerven ein bisschen zu beruhigen. Ich kümmere mich um Mum und Sidney. Wir schulden ihnen eine Erklärung!« »Kann Helaku nicht …« Julia schüttelte bestimmt den Kopf während sie vorsichtig um die Ecke sah. Mit einem erleichterten Seufzer streckte sie den Freunden ihre Hand entgegen. Sekunden später fanden sie sich im Wohnzimmer der Wagners wieder. »Wie willst du deinen Eltern die Bilder erklären, die vermutlich schon um die ganze Welt gehen? Nein, das Versteckspiel ist vorüber, Freunde. Dafür hat der Feind gesorgt.« Sie sah sehnsüchtig auf den Sessel im Wohnzimmer, aber dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, wenn ich mich jetzt hinsetze, schlafe ich sofort ein. Kane, könntest du mir noch einen Gefallen tun und den anderen mit mir Deutsch beibringen? Das hat bei mir mit dem Englischen so gut geklappt, dass ich das gerne mal ausprobieren möchte.« Kane nickte und trat zu Julia, die den Dolch vom Gürtel löste und Carry zu sich rief. Julia legte ihre Hand auf den Kristall am Knauf San Tanadinas. Carry legte ihre auf Julias und Kane die seine auf Carrys Hand und alle schlossen die Augen. Carry schrie überrascht auf. »Es funktioniert!« Begeistert löste Carry ihre Hand und trat beiseite, um Sanura Platz zu machen. Nacheinander bekamen alle einen kompletten Sprachkurs im Kurzformat und schließlich machten sich Mika und Julia auf den Weg, die Erwachsenen zu holen.

Sidney lief nervös in der Hütte auf und ab. Sie erschrak heftig, als Julia plötzlich hinter ihr auftauchte. »Alles OK! Ich bin ‘s nur. Die Gefahr ist vorüber. Wir können jetzt zurück nach Hause.« »Was ist mit meiner Carry?« Julia lächelte müde. »Carry hat fantastisch gekämpft - und es geht ihr gut. Sie ist höllisch erschöpft, aber es geht ihr gut. Komm, gib mir deine Hand. Ich bringe dich zu ihr. Wir müssen nur erst Mum abholen. Ich bin mir nicht sicher, ob es ihr genauso gut geht. Sie ist mitten ins Zentrum der Geschehnisse geraten.« Zögernd reichte Sidney ihr die Hand. Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Hab keine Angst. Wir werden es euch später erklären.« Sie lächelte Sidney beruhigend zu, dann legte sie ihre Hand an San Tanadina und schloss kurz die Augen. Einen Augenblick später standen sie mitten in der Stadt. Julia sah sich um. Das Museum war völlig zerstört. Sie wurde blass. Im Museum war ein Tor zur Hölle gewesen. Und ihre Mutter war jeden Tag direkt daneben gewesen - hatte täglich in beträchtlicher Gefahr geschwebt! “Mum?” Sydney - bleich wie der Tot - legte ihr eine Hand auf die Schulter. “Julia! Dort!” Julia sah in die Richtung, in die Sidney wies und stürzte mit einem Aufschrei zu ihrer Mutter, die in der Nähe an einer Hauswand saß. “Mum! Ist alles in Ordnung?” “Julia! Geht es dir gut? Wo ist Carry?” Julia lächelte. “Uns geht es gut, Mum. Alles in Ordnung.” Sie sah zu dem Mann, der neben ihrer Mutter saß. Er saß seltsam steif da. “Oh mein Gott! Mum, ist Herr Hansen mit dem Hund zusammengestoßen?” Sie nickte. “Er hat einen Schlag mit dem Schwanz abbekommen. Was ist mit ihm? Er rührt sich schon eine Weile nicht mehr.” Julia stöhnte. “Das kann er nicht, Mum. Der Schwanz von diesem Höllenhund ist giftig.” Sie sah auf die Uhr. Es dürfte nicht mehr als eine halbe Stunde her sein, dass das Gift zu wirken begonnen hatte. “Heilige Tania, ich werde eure Hilfe brauchen!” Ihre Mutter starrte sie an. “Heilige Tania?” “Das erkläre ich euch später. Wir gehen erst mal nach Hause. Herrn Hansen müssen wir mitnehmen. Das nützt nichts. Mum, Sidney, gebt euch mal die Hände.” Die beiden Frauen sahen sich etwas verwirrt an, taten es aber. Julia setzte ein Knie auf das Bein von Herrn Hansen und legte eine Hand auf die Hände von ihrer Mutter und Sidney während sie die andere an San Tanadina legte. »Bitte, San Tanadina, bring uns nach Hause.« Einen Moment später standen sie mitten in ihrem Wohnzimmer. Erschöpft ließ sie die Hände sinken. “Mika, könntest du ein Notbett aufstellen? Wir haben hier ein Giftopfer.” “Julia! Du willst doch nicht …! Du bist sowieso schon völlig am Ende!” Sie nickte. “Ich weiß, Mika, aber mit dir an meiner Seite, werde ich es schon schaffen.” “Worum geht es hier eigentlich?” “Bitte gedulden sie sich noch etwas, Herr Jatsushiro. Im Augenblick geht es hier um Leben und Tot dieses armen Mannes. Es gibt nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt, der ihm noch das Leben retten kann.” Mika griff nach San Tanabea. “Danke, Kane!” Einen Augenblick später stand in einer Ecke ein Notbett. “Kommt, Jungs, fasst mal mit an!” Mit vereinten Kräften legten sie den gelähmten Mann auf das Bett und machten dann Platz für Julia. Nur Mika blieb neben ihr stehen. Während sie konzentriert ihre Hände über dem Körper des Mannes schweben ließ. Schließlich murmelte sie: “San Tanadina gib mir Kraft!” Mika legte ihr eine Hand auf die Schulter, die andere fest um San Tanabea geklammert und die Augen in voller Konzentration geschlossen. Nach einigen Minuten ließ Julia erschöpft die Hände sinken. “Er wird es schaffen. … Alles in Ordnung, Mika?” Er lächelte schwach. “Ich bin OK, Liebes! Das kam alles von San Tanabea.” Sie lächelte. “Danke! Ohne deine Hilfe hätte ich es nicht mehr geschafft. … Glaubst du, du könntest uns allen noch einen Tee zaubern? Ich glaube, wir können alle einen gebrauchen.” Er nickte und sie wandte sich an ihre Mutter. “Könntest du ihm ein bisschen zur Seite stehen, Mum? Ich möchte nicht, dass er uns gleich umfällt. Wir haben alle ein paar anstrengende Minuten hinter uns.” Frau Wagner nickte und begleitete Mika in die Küche. Julia setzte sich auf einen Stuhl. “Nun, Freunde, unsere Tarnung ist aufgeflogen. Wenn wir jetzt schon mal dabei sind: Sollen wir deine Mutter, Sanura, dazu holen? Dasselbe gilt für deinen Vater, Helaku und natürlich auch für deinen Onkel, Kane.” Die drei sahen sich an. “Ich möchte es meiner Mutter lieber in einem ruhigeren Augenblick sagen. Außerdem beherrscht sie weder deutsch noch englisch. Kane kann nicht für alle gleichzeitig übersetzen.” “Das selbe Problem gilt für meinen Vater. Ich werde ihn morgen besuchen, wenn mich einer von euch beiden begleitet.” Julia nickte. “Natürlich werden wir das tun, Helaku. Sollen wir dich auch begleiten, Sanura?” Sanura lächelte. “Danke, Julia, es ist nicht nötig, dass ihr dabeibleibt.” “OK, Kane?” “Oh, mein Onkel ist jetzt in einer wichtigen Besprechung. Da kann ich ihn unmöglich rausholen. Ich werde es ihm morgen erklären.” In diesem Augenblick kamen Mika und Frau Wagner ins Wohnzimmer zurück. “Ah, wunderbar! Vielen Dank!” Sie nippte an dem heißen Tee, den Mika ihr reichte, und fühlte sich sofort etwas besser. Als alle eine Tasse in der Hand hatten, sah sie sich um. “Jetzt wird’s ernst. Wir alle haben das Chaos, das die Ungeheuer aus der Hölle angerichtet haben, einigermaßen gut überstanden und sie, Herr Jatsushiro - und ihr natürlich auch, Mum und Sidney - haben ein Recht auf eine Erklärung. Wir fangen am besten bei den aktuellen Ereignissen an. Keiner von uns weiß, wer diese drei Höllentore in der Stadt geöffnet hat. Wir können nur vermuten, dass es nicht diejenigen waren, die vor kurzem Alice Springs in Schutt und Asche gelegt haben - obwohl ich es ihnen durchaus zutrauen würde. Es muss die Frau gewesen sein, die sich bisher noch nicht offen gezeigt hat, von der wir aber wissen, dass sie die Gedanken der Menschen sehr geschickt manipulieren kann und dass sie sich in zumindest verschiedene Tiere verwandeln kann. Einen Namen konnten wir bisher nicht herausfinden. Sie verkörpert das absolut Böse auf dieser Welt. Wenn wir sie nicht aufhalten, wird sie die absolute Finsternis über unsere Welt bringen. Die drei Höllentore waren nur ein Anfang. Sie will die Weltherrschaft.” “Und was habt ihr Kinder damit zu tun? Ich will meinen, dass da andere für zuständig sind!” Das klang verächtlich und Mika begann zu kochen. Julia jedoch blieb ruhig und sachlich. “Ja, das sollte man meinen, aber glauben sie wirklich, dass staatliche Kräfte in der Lage gewesen wären, diese Höllenhunde - und es handelte sich hierbei tatsächlich um Höllenhunde wie wir ihn aus der griechischen Mythologie kennen, das waren keine Illusionen oder etwas Ähnliches - zu vernichten und die Tore wieder zu verschließen? Ich habe jedenfalls nirgends Polizei gesehen, während wir mit den Höllenhunden gekämpft haben. Was ich damit sagen will, ist, dass die Menschen nicht in der Lage sind, auf derartig übernatürliche Kräfte zu reagieren.” “Aber ihr könnt das?” Julia lächelte über den Spott in Herrn Jatsushiros Stimme. “Ich weiß, es klingt unglaublich, Herr Jatsushiro, aber wir können es tatsächlich, weil wir sieben zusammen über die gleichen Möglichkeiten verfügen, wie unser Gegner. - Ich würde sogar behaupten, dass wir mehr haben, denn wir können nicht nur zerstören, wir können auch Leben retten. … Mika, erzähl doch bitte noch mal von der alten Legende, die uns zusammengeführt hat.” Mika erzählte, doch als er die Geschichte beendete, schnaufte sein Vater nur. “Was für ein Unsinn! Ihr lest zuviel. Kommt mal wieder zurück in die Realität!” Julia nickte. “Ich habe es zuerst auch für Unsinn gehalten, Herr Jatsushiro, aber ich konnte mich schließlich nicht vor den Tatsachen verstecken. Es gibt diese Dolche tatsächlich.” Sie löste San Tanadina von ihrem Gürtel und hielt ihn in die Höhe. “Und schließlich, Vater,” warf Mika hitzig ein, “wie sind wir eben hierher gekommen? Hast du dafür eine bessere Erklärung?” Julia lächelte ihrem Freund zu. “Ja, auf die Erklärung wäre ich auch gespannt. Ich habe keine gefunden, aber sie sind viel klüger als ich, vielleicht haben sie eine?” Mikas Vater schluckte. “Nein, da habe ich auch keine Erklärung für.” sagte er leise. Julia nickte. “Letztendlich ist es so, dass wir alle keine Erklärung haben, die in unsere Welt gepasst hätte, wie wir sie gekannt haben. Tatsache ist aber, dass wir alle gewisse Fähigkeiten haben - und zwar von Geburt an - die wir zur Rettung der Welt einsetzen sollen. Mika ist unser Illusionist, wie wir vor ein paar Tagen festgestellt haben. Er kann uns alle bestimmte Dinge sehen lassen und kein normaler Mensch wäre in der Lage, zu erkennen was Wirklichkeit ist und was nur eine Illusion.” Mika wurde rot. “So gut bin ich aber noch nicht!” Julia lächelte. “Erinnerst du dich noch an unser Gespräch über Bescheidenheit, mein Freund?” Sie zwinkerte ihm zu und sah dann Sanura an. Das Mädchen nickte. “Es sieht so aus, als wäre das der richtige Augenblick, dass wir Krieger des Lichts uns direkt vorstellen. Mein Name ist Sanura Zareb. Ich komme aus Mombasa. Ich bin sozusagen für den Kampf mit Waffengewalt zuständig. Ich kann mit jeder Waffe, die jemals erfunden wurde, problemlos umgehen - selbst wenn ich sie niemals zuvor in der Hand gehabt habe - und sehe im Kampf 10 Sekunden in die Zukunft. Das könnte ich allerdings nicht mehr behaupten, wenn Julia nicht wäre. Ohne Julia wäre ich nicht mehr am Leben.” Julia wurde rot. “Ah, Sanura, das stimmt nur bedingt.” Sanura lächelte. “Ich weiß, die Heilige hat dich zu mir gebracht, aber du hast mich geheilt - wie die meisten von uns.” Mika nickte. “Das stimmt, Julia. Du bist diejenige, die uns ständig das Leben rettet.” Er zwinkerte ihr zu. “Wo wir gerade beim Thema falsche Bescheidenheit waren.” Sie lächelte. “Also gut, ich bin also die Heilerin, aber jetzt zählt bitte nicht jede kleine Lebensrettung einzeln auf. - Das gilt auch für dich, Kane!” Kane grinste. “Naja, drei Lebensrettungen bei meiner Wenigkeit - und das in einem Zeitraum von höchstens drei Wochen in denen wir uns kennen - sind ja auch völlig nebensächlich, nicht wahr?” Er zwinkerte ihr zu. “Na gut, zurück zum Thema. Mein Name ist Kane Kawashiri. Ich komme aus Hiroshima. Naja, und ich bin der Dolmetscher. Ich spreche jede einzelne Sprache dieser Welt.” “Ja, ihm verdanke ich die Tatsache, dass ich jetzt alles verstehe und endlich auch deutsch beherrsche.” “Carry!” Sidney starrte Carry überrascht an. “Meine Carry!” Julias Mutter starrte Carry finster an. “Ja, deine Carry! Deine Carry wirft mit Feuer um sich!” “Oh, tut sie das? Dann beherrscht du endlich deine Gabe, Carry? Nicht mehr deine Gabe dich? Das ist wunderbar!” “Du hast es gewusst?” Sidney lächelte. “Aber natürlich habe ich es gewusst, Liesbeth. Ich konnte es nicht übersehen. Carry hat schon als Baby jedes Feuer gelöscht - allein durch ihre Gegenwart.” “Und … und so etwas …” Hastig unterbrach Julia ihre Mutter. “Stopp, Mum! Sag jetzt nichts Unüberlegtes! Wir sind eine Familie und ich möchte, dass wir das auch bleiben. Carry beherrscht das Feuer, Mum, ja, aber das ist doch nichts Schlimmes!” “Und sie spricht eine unheimliche Sprache! Sie hat dieses Tor geschlossen.” “Richtig, Carry hat das Tor - um genau zu sein alle drei Tore - geschlossen. Geschlossen - nicht geöffnet. Das ist entscheidend wichtig. Naja, und was diese unheimliche Sprache betrifft: die beherrschen wir alle sieben. Es ist die Sprache der Götter. … Wo wir gerade bei den Göttern sind: Weiß jemand, wer Hel ist? Sie vielleicht, Herr Jatsushiro?” Er schüttelte den Kopf. “Nein, nie gehört.” “Schade! Na, egal, das Rätsel werden wir auch noch lösen. Helaku würdest du fortfahren?” Helaku nickte. “Mein Name ist Helaku Orson Scott. Ich komme aus den Unglücksgebieten in Südamerika, in denen erst vor drei Wochen die Überschwemmungen tausenden von Menschen das Leben gekostet haben.” Er schwieg einen Augenblick, als er an seine Mutter dachte. “Ich lese die Gedanken der Menschen und kann Menschen auch auf große Entfernungen orten.” Warren hatte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter gelegt. Jetzt übernahm er das Wort. “Ja, und ich heiße Warren T. Petersen. Ich komme aus der Gegend von Atlanta / Georgia, habe aber inzwischen gemeinsam mit Helaku das Hotel meines verstorbenen Onkels in Miami übernommen. Ich beherrsche das Wetter.” Julia seufzte. “Ja, nun kennt ihr also unser Geheimnis!” “Ich habe immer noch nicht ganz begriffen, warum ausgerechnet ihr …” Julia lächelte. “Das wissen wir auch nicht, Mum. Wir tun nur, was nötig ist. Wir haben diesen Krieg nicht begonnen, aber wir werden ihn beenden. Nicht wahr, Freunde?” Sie sah in die Runde. Alle Jugendlichen nickten nur Mika starrte sie nachdenklich an. “Jetzt, wo wir das geklärt haben, hätte ich da noch eine Frage an dich.” Er stand auf und trat vor Julia, die ihn gespannt ansah. “Ich weiß, es ist eigentlich nicht die richtige Gelegenheit, aber es sind gerade alle da, und ich kämpfe schon länger damit.” Er sah ihr in die Augen, sank auf die Knie und griff nach ihren Händen. “Julia könntest du dir vorstellen, an meiner Seite zu leben?” Er schluckte kurz ehe er weiter sprach. “Willst du mich heiraten?” Julia schnappte überrascht nach Luft. Sie und alle anderen Anwesenden auch. Einen Moment herrschte Stille doch endlich, als Mika schon enttäuscht aufstehen und gehen wollte, griff sie nach seiner Hand. “Mika! Bitte bleib.” Sie lächelte. “Aber steh’ vom Fußboden auf. Ja? Komm setz dich hierher.” Sie zog einen zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor. “Du hast Recht. Das war kein gutes Timing, aber du sollst deine Antwort bekommen. Ich habe nicht übers Heiraten nachgedacht - bis eben - aber ich habe von Anfang an gewusst, dass wir füreinander bestimmt sind. Deshalb kann meine Antwort eigentlich nur Ja lauten. Ja, Mika, ich kann mir ein Leben an deiner Seite vorstellen. Und ja, ich will dich heiraten!” Eine einzelne Träne fand ihren Weg über ihre Wange. Er stand auf und zog sie in seinen Arm. “Julia!” Sie küssten sich. Ihre Freunde strahlen und freuten sich für sie beide, aber die Erwachsenen machten finstere Gesichter. “Meint ihr nicht, dass das ein bisschen zu früh ist?” Julia sah ihre Mutter an. “Bei jedem anderen Jungen, der mich das gefragt hätte, hätte ich dir zugestimmt, Mum. Drei Wochen sind zu wenig, um einander genug kennen zu lernen für eine solche Entscheidung. Aber es war Mika, der mich das gefragt hat und in diesem einen besonderen Fall: Nein, es ist nicht zu früh. Wir hätten es längst klären sollen, aber das letzte Mal, als wir darüber sprachen, dass wir zueinander gehören, bin ich vor dieser Konsequenz geflohen.” “Kiyoshi Mijako Jatsushiro, ich verbiete dir, dieses Mädchen zu heiraten!” Mika zuckte zusammen. Seine Stimme klang plötzlich genauso kalt wie die seines Vaters. “Warum? Weil du sie für verrückt hältst? Weil du diese ganze Geschichte, in die wir hier geraten sind, noch immer für Unfug hältst? Weil du nicht an Magie glaubst? Nein, Vater, du kannst mir vieles verbieten, aber du kannst mir weder verbieten meine Aufgabe zu erfüllen, wie es einst dein Vater getan hat, noch dass ich das Mädchen heirate, das ich über alles liebe. Noch vor ein paar Wochen hast du mich ermutigt, ihr die Wahrheit zu sagen - und jetzt das?” Julia legte ihm ihre Fingerspitze auf die Lippen. “Mika! Beruhige dich. Dein Vater ist ein Mann, der mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Realität steht und unsere Geschichte klingt tatsächlich etwas - fantastisch. Lass ihm Zeit.” Sie wandte sich an seinen Vater. “Ich bitte sie, Herr Jatsushiro, denken sie noch einmal darüber nach. Sehen sie sich in dieser Welt um. Sehen sie sich an, was in diesen Tagen passiert und dann denken sie noch mal über das nach, was wir ihnen heute erzählt haben. Vielleicht denken sie dann anders über unsere Entscheidung.” Abrupt stand Herr Jatsushiro auf und packte seinen Sohn beim Handgelenk. “Wir gehen!” Mika sah erst Julia in die Augen und dann seinem Vater ins Gesicht. “Nein, Vater, ich komme nicht mit.” “Mika! Aber natürlich tust du das! Die Familie ist das Wichtigste, was wir haben!” Mika schloss einen Augenblick die Augen. “Julia, du bist immer die Vernünftigere von uns beiden gewesen und ich war immer bereit auf dich zu hören, aber diesmal nicht. Du bist mir zu wichtig, als dass ich jetzt einfach nachgeben würde.” Er sah seinen Vater an. “Halte das nicht für irgendeine dumme Laune, Vater. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich liebe euch, Vater, aber mit Julia möchte ich mein Leben teilen - wenn es sein muss, auch ohne deinen Segen.” Kalte Wut in den Augen ließ Herr Jatsushiro seinen Sohn los und schlug ihn ins Gesicht. Erschrocken sah Julia den Mann an. “Helaku?” Helaku nickte nur und schloss die Augen. Einen Moment später öffnete er sie nickend wieder. “Du hast Recht, Julia. Es ist wie bei Carry.” Sie sah ihn überrascht an. “Ambrosia? Ich hatte jetzt etwas anderes erwartet!” Plötzlich erinnerte sie sich an die Nebenwirkungen von Ambrosia und wurde blass - wie Mika, der mit aufgerissenen Augen neben ihr stand und schwankte. “Oh, mein Gott, Mika! Alles in Ordnung?!” “Nicht wirklich! Mir dreht sich alles.” Sanura sprang auf. Zu zweit bugsierten sie ihn die zwei Meter bis zum Sessel. Herr Jatsushiro versuchte auch Julia zu schlagen, doch Sanura blockierte den Schlag mit einem Schmerzschrei. “Helaku, bitte unternimm etwas. Stell ihn ruhig. Ich muss mich erst um Mika und Sanura kümmern. Sie stellte sich hinter Mika und ließ ihre Hände über seinem Kopf und Hals kreisen. “Das habe ich befürchtet. Da ist ein Halswirbel gebrochen.” “Um Gotteswillen! Dann muss er sofort ins Krankenhaus!” Julia lächelte. “Nein, Mum, das muss er nicht. Ich habe Warrens Schädelbasisbruch hinbekommen, da werde ich das hier auch hinbekommen.” “Aber Julia! Du hast dich schon total verausgabt haute!” “Ich habe zwar nicht geschlafen, Sanura, aber ich habe zumindest körperlich geruht. Das muss genügen.” Sie schloss die Augen und alle starrten sie an, wie sie minutenlang bewegungslos verharrte, doch schließlich öffnete sie zufrieden die Augen. “Nun, Mika? Geht es dir jetzt besser?” Sie trat wieder um den Sessel herum und sah ihm in die Augen. Er rieb sich den Nacken. “Ja, ich glaube schon. Was ist eigentlich passiert?” Julia lächelte während sie Sanura stumm aufforderte sich an den Tisch zu setzen. “Dein Vater stand unter dem Einfluss von Ambrosia, als er dich geschlagen hat.” “Und was bedeutet das - mal abgesehen davon, dass er offenbar nicht zurechnungsfähig ist?” “Gestern Abend hat Lissy mich geschubst.” Sie wandte sich erklärend zu den Frauen um. “Lissy ist ein vielleicht 5-jähriges kleines Mädchen aus Alice Springs - und ich bin mehrere Meter weit geflogen. Ambrosia verstärkt die Kraft um ein Vielfaches. In Australien ist es offenbar frei verkäuflich.” “Ambrosia? Das ist doch die Speise der Götter! Das ist eine Legende!” Julia sah sich Sanuras Arm an, der in einem hässlichen Winkel abstand. “Will irgendjemand bestreiten, dass der gebrochen ist?” fragte sie fröhlich in die Runde. Doch alle wendeten sich nur mit blassen Gesichtern ab. “Das wird wehtun, fürchte ich.” Mit einem Ruck zog sie an Sanuras Arm und richtete ihn ein. Sanura schrie auf. “Tut mir leid! Ist gleich vorbei.” Sie umschloss die Bruchstelle mit ihren Händen und ließ ihre heilende Energie fließen. “Fühlt sich lustig an!” Julia lächelte, zog ihre Hände zurück und wandte sich wieder ihrer Mutter zu. “Mum, hast du vorhin in der Stadt dem Höllenhund der griechischen Sagen gegenübergestanden oder nicht?” Frau Wagner wurde rot. “Nun, … ja!” “Na, siehst du! Wenn du das glaubst, wirst du ja wohl auch daran glauben können, dass es tatsächlich Ambrosia gibt! Wir haben verschiedene Gegner. Und der eine davon ist Kronos. Den Namen wirst du auch schon mal gehört haben. Und Kronos hat es irgendwie geschafft, dass in Australien jeder problemlos Zugriff auf Ambrosia hat. Dummerweise hat das beim Menschen aber zwei ganz wichtige Wirkungen. 1. Der Mensch wird aggressiv und weiß nicht mehr, was er tut und 2. wachsen seine körperlichen Kräfte um ein Vielfaches. So und jetzt wollen wir den Armen von diesem Bann befreien. Mika, ich brauche deine Hilfe.” Mika stand auf und trat zu Julia. “Nimm San Tanabea heraus und konzentriere dich fest auf deine Liebe zu deinem Vater. … Helaku, du kannst ihn jetzt entlassen. … OK, Mika, weiter so.” Mika schien zu leuchten. Jetzt nahm Julia San Tanadina aus der Scheide und konzentrierte sich ebenfalls. Plötzlich schien auch sie zu leuchten. Sie nahm Mikas Hand, ihre leuchtenden Auren verbanden sich miteinander und breiteten sich aus bis sie schließlich auch Mikas Vater einschloss, der plötzlich aus einem Traum zu erwachen schien und sich verwirrt umsah. Sein Blick blieb an seinem Sohn und Julia hängen, die noch immer Hand in Hand vor ihm standen und ein wenig leuchteten. Plötzlich traf ihn die Erinnerung an das Vorangegangene wie ein Schlag. “Mein Gott! Was habe ich getan?” Er legte seine Hand auf die Wange seines Sohnes, die von dem Schlag noch leicht gerötet war . “Verzeih, mein Sohn!” Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel. Auch Mikas Augen schwammen in Tränen als er seinen Vater umarmte. “Ist schon in Ordnung, Vater. Du konntest nichts dafür!” Julia stand lächelnd daneben. Der Vater löste die Umarmung und sah Julia an. “Und dir, meine Tochter, möchte ich danken für die Großmut gegen mich alten Mann und dafür, dass du mir meinen Sohn zurückgegeben hast, nachdem ich ihn so fortgestoßen habe.” Mika sah ihn mit großen Augen an. “Tochter? Heißt das …?” Der Vater nickte lächelnd. “Ja, meine Kinder. Ihr habt meinen Segen!” “Vater!” Mika warf sich seinem Vater mit Tränen in den Augen um den Hals. “Ich danke ihnen, Herr Jatsushiro!” Herr Jatsushiro lächelte. “Aber nicht doch, mein Kind! Ich heiße Hiroshi.” “Aber …” “Du darfst natürlich auch Vater, Papa, Dad oder so etwas zu mir sagen, wenn dir das lieber ist.” Er zwinkerte ihr zu. “Danke!” “Na, komm her, mein Kind, umarme deinen zukünftigen Schwiegerpapa. So japanisch bin ich nicht mehr, dass ich noch viel auf die steifen alten Traditionen geben würde.” Julia umarmte ihn kurz, bekam einen Kuss auf die Stirn und wurde dann wieder in die Arme von Mika gelegt. Herr Jatsushiro trat zu Julias Mutter. “Und sie, Verehrteste? Was sagen sie zu unseren Kindern?” “Ich bin etwas verwirrt, muss ich gestehen.” “Mum, bitte sag einfach ja! Gib uns deinen Segen. Bitte!” Sidney legte ihr eine Hand auf die Schulter. “Gib ihnen deinen Segen, Liesbeth! Ich glaube, sie haben ihn sich wirklich verdient.” Frau Wagner zögerte, aber dann nickte sie schließlich. “Du hast Recht, Sidney! Also kommt her ihr beiden. Lasst euch umarmen!” “Mum! Danke!” Sie warf sich ihrer Mutter um den Hals. “Hey, Liebes! Hätte ich denn wirklich etwas Anderes tun können?” Sie sah Mika an. “Na, komm, mein Junge, ich beiße nicht!” Sie umarmte Mika kurz und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. “Macht uns zu den glücklichsten Eltern auf der Welt, ihr beiden. Werdet glücklich miteinander!” Herr Jatsushiro nickte anerkennend. “Das haben sie schön gesagt!” Er reichte Frau Wagner die Hand. “Das Angebot gilt auch für sie: Hiroshi.” Frau Wagner reichte ihm verlegen die Hand. “Ich heiße Liesbeth.” “Ich würde dich gerne näher kennen lernen, Liesbeth. Wie wäre es wenn wir - du, meine Frau und ich morgen zusammen zu Mittag essen?” Er sah Sidney an. “Sie sind natürlich auch herzlich eingeladen.” Sie wurde rot. “Oh, vielen Dank!” “Ja, und ansonsten würde ich meinen, sollten wir alle ins Bett gehen. Ihr Kinder vor allem. Ihr habt heute einiges hinter euch.” Julia nickte. “Du hast Recht, aber erst muss ich mich noch um Herrn Hansen kümmern. Sie trat an das Notbett, das vergessen in einer Ecke stand und ließ ihre Hände über dem Mann kreisen. Vorsichtig senkte sie das Fieber und der Mann erwachte. Verwirrt sah er sich um. “Wo bin ich? Die Bestie …” “Es ist alles in Ordnung, Herr Hansen. Sie sind in Sicherheit. Sie waren ein paar Stunden bewusstlos. Es ist alles vorbei.” Langsam stand er auf und erblickte Frau Wagner. “Liesbeth!” Sie lächelte. “Willkommen unter den Lebenden! Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht, Klaus-Peter.” “Kommen sie, Herr Hansen, ich bringe sie nach Hause. … Was ist mit dir, Mika? Kommst du mit?” Mika sah von seinem Vater zu Frau Wagner und dann zu Julia. “Wenn ich darf, würde ich diese Nacht gerne bei Julia bleiben. Ich möchte sichergehen, dass sie auch den Schlaf bekommt, den sie braucht.” Herr Jatsushiro sah Frau Wagner an. “Liesbeth?” Frau Wagner nickte. “Sicher, ich habe nichts dagegen.” Sie sah sich um. “Wie kommt ihr eigentlich nach Hause?” “Ich werde sie nach Hause bringen.” Herr Jatsushiro nickte. “Also, bis morgen! Gute Nacht! … Na, kommen sie, junger Mann. Wo wohnen sie?” Sie hörten, wie die Haustür zufiel. Mika sah auf die Uhr. “Komm, Kane, du zuerst. Dein Onkel wird dich schon vermissen.” “Du hast Recht, aber zwei Minuten wird er schon noch warten müssen.” Kane stand auf und umarmte erst Mika und dann Julia. “Alles Gute, ihr Lieben! Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt.” “Danke, mein Freund!” Auch die anderen wünschten dem jungen Paar alles Gute bis Frau Wagner dem ein Ende bereitete. “Jetzt ist aber Schluss, Kinder! Ihr gehört jetzt alle ins Bett!” Kane nickte. “Sie hat Recht!” Er reichte Mika die Hand und die beiden verschwanden. Nur Sekunden später war Mika wieder da. “Warren, Helaku, ihr seid die nächsten.” Die beiden Jungen nickten und traten zu ihm. Julia lächelte und sah dann ihre beiden Freundinnen an. “Ich danke euch beiden! Ihr habt meiner Mum das Leben gerettet!” Die beiden Mädchen sahen sich an. “Aber ich bitte dich, Julia! Das war doch selbstverständlich!” “Für mich nicht, Freunde! … Oh, und noch etwas: Meinen Glückwunsch! Ich wart heute ein fantastisches Team!” Sanura lächelte. “Ja, das stimmt! Und das war sicher nicht mein Verdienst!” Sie reichte Carry die Hand. “Willkommen im Team!” Carry wurde rot. “Heißt das, ihr seid mir nicht mehr böse, wegen meines Auftritts am 1. Tag?” Sanura lächelte. “Weißt du, wir haben gestern Abend noch darüber gesprochen. Helaku hat uns deine Entschuldigung übermittelt und uns versichert, dass sie ehrlich und ernst gemeint war. Und in solchen Dingen habe zumindest ich das größte Vertrauen zu Helaku. Von daher: Vergessen und vergeben!” “Danke” Mika kehrte zurück. “Bist du soweit, Sanura?” Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn. Sanura sah ihn an und nickte schnell. “Sicher! Du bist ja fix und fertig!” Sie gab ihm die Hand und dann waren sie verschwunden. Julia seufzte. “Komm, Carry, gehen wir schon mal nach oben.” Sie warf einen Blick auf das Notbett, das noch immer im Wohnzimmer stand. “Das werden wir jetzt wohl oben brauchen!” Ein kurzer Griff nach San Tanadina und es war verschwunden. Die beiden Mädchen stiegen die Treppen hoch und zogen sich um. Julia lag schon in ihrem Bett als Mika wieder zurückkehrte und die Treppen heraufkam. “Ich geh wohl lieber nach nebenan!” Mika errötete leicht. “Nein, Carry, bitte bleib! Ich möchte, dass du bei Julia bleibst. Ich werde unten auf dem Sofa schlafen.” “Aber Mika! Das ist doch Unsinn!” Julia protestierte, aber Mika legte ihr sanft seine Fingerspitze auf die Lippen. “Mag sein, aber es ist auch Unsinn, wenn ich Carry jetzt von ihrem Platz an deiner Seite verdränge.” Er sah Carry an. “Entschuldige, Carry. Das war eigentlich nur ein Vorwand, um noch mal mit dir allein sprechen zu können - ohne die Erwachsenen.” Er schluckte krampfhaft. “Ich gebe zu, ich hab dir nicht getraut. Aber Helaku, Sanura und letztlich Julia haben mich schließlich überzeugt. Jetzt hast du mein Vertrauen! Bitte verzeih! Ich hätte dir niemals misstrauen dürfen!” Carrys Augen schwammen in Tränen. “Danke, Mika! Du glaubst gar nicht, wie wichtig es für mich ist, dass du mir vertraust - dass ihr alle mir vertraut!” Sie schluchzte und drehte sich zur Seite. Julia knuffte ihren Freund in die Seite. “Nimm sie in den Arm!” Er starrte sie ungläubig an. “Aber …” “Na los, ich glaube nicht, dass sie das falsch verstehen wird.” Unsicher legte er seine Arme um das schluchzende Mädchen. “Aber warum weinst du denn jetzt, Carry?” Sie klammerte sich an ihn und ihr Griff schien schmerzhaft zu werden. Mika verzog das Gesicht, sagte aber nichts. “Ich bin so froh, dass ihr mir nicht mehr böse seid! Das ist alles!” “Das ist alles?” Er lächelte verzerrt, als er vorsichtig ihren Klammergriff löste und sie bei den Schultern fasste. “Aber deshalb brauchst du doch nicht zu weinen!” Er zog ein Taschentuch hervor und wischte ihr sanft die Tränen fort. “Wir sind froh, dass wir dich jetzt bei uns haben, Carry!” Sie schluchzte noch mal auf. “Wirklich?” Er nickte. “Wirklich, Carry!” Er zog sie noch mal kurz an sich und umarmte sie fest. “So, und jetzt möchte ich, dass ihr beide schlaft. OK?” Carry nickte und kroch gehorsam unter ihre Decken. Julia lächelte ihrem Freund entgegen, als er zu ihr zurückkehrte. “Das hast du wunderbar gemacht, Liebster!” “Hast du eigentlich daran gedacht, was du mir damit antust?” flüsterte er rau. Sie wurde rot. “Nein. Entschuldige!” “Bis eben warst du das einzige Mädchen, das ich jemals so im Arm gehalten habe und Carry ist ziemlich attraktiv.” Sie umarmte ihn und er zuckte kurz unter ihren Händen zusammen ehe er seine Arme um sie legte und sie fest an sich drückte. “Ich verspreche dir, ich werde dich nie wieder so in Versuchung führen. Es war mir nicht klar, dass ich wirklich die erste für dich bin. Die anderen Jungen in unserer Klasse knutschen jeden Tag ‘ne andere.” “Und für so einen hältst du mich?” fragte er empört. “Nein, natürlich nicht! Aber du bist ein überaus attraktiver Mann, Mika. Ich war einfach davon ausgegangen, dass da zumindest 2 oder 3 andere vor mir waren in den vergangenen 2 Jahren. Entschuldige!” “Ist schon OK, Liebes! Ich danke dir für dein Vertrauen!” Sie lächelte. “Ich danke dir für deines, Mika. Du hattest von Anfang an berechtigte Bedenken - und hast es doch getan. Es kann nämlich durchaus sein, dass sie sich in dich verschossen hat. Für sie war es nämlich nicht die zweite sondern die erste Umarmung.” Mika schluckte. “Und ich dachte, du vertraust mir hundertprozentig! Aber offensichtlich geht es hier mehr um 1000 %. Danke, Julia!” “Wofür, Liebster? Wir sind doch ein Paar, oder?” Sie lächelte ihn an. “Soll ich die Blutergüsse behandeln? Das tut sicher sehr weh.” Er schüttelte den Kopf. “Nein, Liebes, schone deine Kräfte und schlaf jetzt erst mal. Für dich gibt es jetzt nichts Wichtigeres mehr!” Sie nickte. “Ist gut, Mika, aber morgen sehe ich mir das noch mal an.” Er legte ihr sanft seinen Finger auf die Lippen. “Sch, jetzt wird geschlafen!” Er drückte sie in ihre Kissen zurück, deckte sie liebevoll zu und küsste sie auf die Stirn. “Gute Nacht, meine Liebe!” Er löschte das Licht. “Gute Nacht, Mika!” Leise ging er zur Tür. “Mika?” Julias schläfrige Stimme hielt ihn in der Tür zurück. “Ja?” “Ich liebe dich!” Er lächelte. “Ich liebe dich auch!” Leise schlich er sich die Treppen hinunter und traf im Wohnzimmer auf Sidney und Frau Wagner. “Mika! Ich dachte, ihr schlaft längst!” “Die Mädchen schlafen auch, Frau Wagner. Ich werde zu Hause schlafen - wo ich hingehöre.” Frau Wagner lächelte. “Du bist ein überaus höflicher junger Mann, Mika. Darum lass dir zwei Dinge von mir alten Frau sagen: erstens behaupte ich, jetzt wo ihr beiden so gut wie verlobt seid, gehörst du nirgendwo anders hin als an Julias Seite.” Mika lächelte. “Sie haben natürlich vollkommen Recht, Frau Wagner, aber ich möchte mich vor der Hochzeit nicht unnötig selbst in Versuchung führen, deshalb werde ich die Nächte lieber weiterhin zu Hause verbringen. Wenn sie mich braucht, kann sie mich ohne Umwege und zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen. Dann bin ich sofort wieder bei ihr.” “Ich sehe, du bist dir deiner eigenen Entschlusskraft nicht halb so sicher, wie du es uns vorhin Glauben machen wolltest, mein Junge. Aber das ist gut so. Das heißt, du hast dein Herz genau da wo es hingehört. Dein Vater kann stolz auf dich sein. Aber jetzt lass mich dir noch diese zweite Sache sagen, die ich gerade erwähnte: Es mag sein, dass mein Name Wagner lautet, aber du wirst doch deine zukünftige Schwiegermama nicht bis zur Hochzeit siezen wollen? Wie ich vorhin schon sagte: Ich heiße Liesbeth.” Mika wurde rot. “Danke, Frau W … Entschuldigung, Liesbeth.” Frau Wagner lachte. “So, mein Junge, und jetzt sieh zu, dass du ins Bett kommst. Du siehst aus, als würdest du gleich umfallen.” Er schwankte leicht. Sidney trat schnell dazu. “Schon zu spät. Da fällt er schon!” “Auf ‘s Sofa!” Mika schlief schon bevor die beiden Frauen ihm das Sofa zurecht gemacht hatten. “Oben hätte er ‘s bei weitem bequemer gehabt.” seufzte Sidney. “Das ist jetzt egal, meine Liebe! Hauptsache er schläft sich gründlich aus. Na, komm, wir beiden wollen auch ein wenig schlafen.

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Tag der Veröffentlichung: 16.11.2009

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