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Leseprobe

CATE EDGE

 

 

Playing with Disaster

Gefährliches Verlangen

 

 

Dark Romance

INHALT

 

 

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Copyright: Cate Edge,

2021, Deutschland.

 

Coverfoto: ©  https://casandrakrammer.de

Korrektorat: http://www.swkorrekturen.eu

 

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwendung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

 

Cate Edge

c/o AutorenServices.de

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36037 Fulda

 

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Vorwort

 

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

 

In diesem Roman wird es schmutzig und heiß hergehen. Manches davon ist vielleicht nachahmungswürdig, manches eher nicht. Entscheide selbst.

Aber das Wichtigste ist:

ES IST FI(C)KTION.

Solltest du also an der ein oder anderen Stelle ein Kondom vermissen, liegt es daran, dass dies Fantasien und Träumereien sind und du den Verstand kurz ausschalten darfst.

Viel Spaß beim Lesen wünscht dir

 

 

Deine Cate

Kapitel 1

 

Amelia

 

DAS MESSER DRANG tiefer in meinen Körper ein. Schmerz flammte in mir auf, und ich befürchtete, ohnmächtig zu werden.

Er strich mir das Haar zurück und zischte von hinten in mein Ohr: »Ich hatte dich gewarnt, Amelia. In mir sieht es so viel dunkler aus, als du dir vorstellen kannst. Dunkler als die längste Nacht, die du je erlebt hast. Es ist eine eisige, endgültige Dunkelheit, die alles um sich herum vernichtet.«

Lauf! Verschwinde von hier, brüllte alles in mir.

Meine Beine waren wie versteinert. Reglos starrte ich auf meine Hände. Blut rann hinunter, tropfte von den Fingerspitzen. Ich zwang mich, den Blick zu lösen und nach vorn zu sehen.

Doch da war noch mehr Blut.

O Gott! Nein! Nein!

So viel Blut.

In der sich ausbreitenden Pfütze lag ein lebloser Körper.

Ich schreckte auf und sah mich verwirrt um. Schon wieder war ich in meinem Bürostuhl eingenickt. Ob man wohl eine Koffein-Resistenz entwickeln konnte? Die Kaffeemaschine war in den letzten Monaten gezwungen gewesen, ebenso lange Nachtschichten zu schieben wie ich. Verschlafen rieb ich meine Augen und nahm einen kräftigen Schluck aus der Tasse. Tapfer würgte ich die lauwarme Brühe hinunter und wartete darauf, dass sie ihre Wirkung entfaltete.

Ich zog Fotos aus einer Mappe und beäugte sie kritisch. Zähneknirschend gestand ich mir ein, dass sie nicht zu den besten Aufnahmen zählten, die ich in meiner Karriere geschossen hatte. Verwackelt und unscharf, wie die einer Anfängerin. Dennoch aussagekräftig genug, um vor Gericht Bestand zu haben. Das erste Bild zeigte einen Mann, der in einer überfüllten Bar saß und vertraute Blicke mit einer Frau austauschte. Sie sah definitiv nicht wie die Jenige aus, die mich engagiert hatte, um ihren Ehemann zu beschatten. Auf dem nächsten Foto lag seine Hand auf ihrem Oberschenkel, während er ihr ins Ohr wisperte, und das letzte zeigte, wie sie sich innig küssten.

Dieser Job war leicht verdientes Geld, da ich im Gedränge der Bar kaum aufgefallen war. Mit einem Stadtplan in der Hand und einer Designer-Bauchtasche über meiner Jacke hatte ich mich diesmal in eine Touristin verwandelt, die New York erkundete und dabei Fotos mit ihrem Smartphone schoss. Ein Selfie hier, ein Video für einen imaginären Modeblog da. Sowohl mein süßliches Lächeln als auch der Schmollmund hatten echt ausgesehen. Das gequietschte Hallo meine Lieben am Anfang des Videos hatte die Performance abgerundet.

Mr. Schumacher hatte mich keines Blickes gewürdigt, während er seine Geliebte fröhlich weiter betatschte. Niemand in New York beachtete Touristen. Ebenso wenig Kellner, Reinigungskräfte oder Verkäufer. Schlüpfte ich in deren Rolle, war ich nahezu unsichtbar.

Es war zu leicht gewesen. Der alternde Politiker hatte jedes Klischee bedient und nervte mich mit seiner Einfallslosigkeit. Wenn das nicht ausreichte, damit seine Frau eine profitable Scheidung durchziehen konnte, wusste ich es nicht.

Ich hatte Abzüge machen lassen und sie per Kurier zu meiner Auftraggeberin nach Manhattan geschickt. Spätestens morgen würde sie die schmerzhaften Zeugnisse über den Verrat an ihrer Ehe in den Händen halten und mir missmutig mein Gehalt überweisen müssen. Kein Kunde zahlte gern für die unangenehme Wahrheit. Aber das war nun mal mein Job: Menschen zu beobachten, sie auszuspionieren und ihr geheimes Verhalten zu dokumentieren, um sie zu überführen. Eine Arbeit, die sich positiver auf meinen Kontostand auswirkte als die vorherige Stelle im Polizeidienst. Meistens reichte es, um die horrende Miete für meine Wohnung in den Brooklyn Heights aufzubringen. Ein Kompromiss war das Wohnzimmer, das einen Ausblick über die Brooklyn-Bridge besaß. Es stellte den Empfangsbereich der Detektei dar. Wenn es jedoch so weiterging, würde ich mir demnächst ein Penthouse in Manhattan leisten können. Die Flut der Aufträge war schier überwältigend. So lukrativ es auch war, reizte es mich kaum, Versicherungsbetrüger und Ehebrecher zu entlarven.

Unmotiviert zupfte ich an der Ecke einer weiteren Akte, die aufgeschlagen unter dieser lag. Ich zog sie hervor und gähnte herzhaft beim Anblick der Fotos. Zu sehen war ein Paar, das sich in verschiedenen Positionen durch ein Hotelbett vögelte. Zu welchem Fall gehörten diese Bilder noch mal? Allmählich hatte ich den Überblick verloren. Es waren zu viele Papiere und Dokumente, die seit Wochen darauf warteten, organisiert zu werden.

Schon während meiner Zeit beim NYPD hatte ich es gehasst, Berichte zu schreiben und sie rechtzeitig abzuliefern. Damals war es der Captain gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass ich meinen Papierkram erledigte. Ansonsten hätte ich riskiert, einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu kassieren. Außerdem war ich früher ehrgeiziger gewesen, da ich kurz vor der Beförderung zum Detective First Grade gestanden hatte. Doch dann hatte sich schlagartig alles verändert.

Ich schüttelte diesen Gedanken ab, streckte mich und schaute aus dem Fenster. Die Lichter der Brooklyn-Bridge leuchteten in der Finsternis und ich sah deutlich mein eigenes Spiegelbild in der Scheibe. Die schwarzen Haare sahen aus wie ein chaotisches Rabennest. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal geschlafen hatte. Trotz der vergleichsweise entspannten Schnüfflertätigkeit kreisten meine Gedanken nachts wie wild, und ich fragte mich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, die Karriere an den Nagel zu hängen.

Der Bürostuhl knarrte, als ich aufstand, um das Licht auszuschalten, sodass nur noch die Schreibtischleuchte brannte. Ich hatte keine Lust mehr, Beweisfotos von Managern und Frauen in kompromittierenden Situationen anzusehen. Ehemänner, die ihre Sekretärinnen in billige Hotels brachten, um sie dort heimlich flachzulegen. Wie hatte es so weit kommen können, dass ich mich hauptberuflich mit fremdvögelnden Menschen beschäftigte?

Gut, ich hatte es ja so gewollt: einen Job mit einem wesentlich überschaubareren Risiko und eine Arbeitsstelle, bei der ich nicht täglich mit den traumatischen Ereignissen des vergangenen Jahres konfrontiert wurde. In Momenten wie diesen fehlte mir das NYPD gewaltig. Doch für das, was ich vorhatte, konnte ich meine Kollegen nicht gebrauchen.

Frustriert begutachtete ich das sich vor mir auftürmende Durcheinander und beschloss, dass es an der Zeit war, mir die Arbeit zu versüßen. Ich suchte meine aktuelle Lieblingsplaylist, drehte die Lautstärke auf und griff blind in die unterste Schreibtischschublade. Die Whiskyflasche war leerer, als ich erwartet hatte. Momentan häuften sich Nächte wie diese, die mich dazu verleiteten, von meiner Notreserve Gebrauch zu machen, weil die Geister der Vergangenheit mich heimsuchten.

Mein Blick wanderte über den Inhalt der Schublade und fiel auf einen albernen Smiley, der mich von einer verknitterten Grußkarte aus angrinste. Ich hatte sie in die hinterste Ecke verbannt, weil ich nicht an damals erinnert werden wollte. Auch wenn die Karte gut gemeint gewesen war, hasste ich sie aus tiefstem Herzen. Sie löste ein beklemmendes Gefühl in mir aus.

Ich riss ein Fenster auf. Fröstelnd atmete ich ein und konzentrierte mich auf die kalte Luft, die in meine Lungen strömte.

Besser. Viel besser.

Mit zittrigen Händen schenkte ich mir Whisky ein, nahm einen Schluck und beäugte die Karte argwöhnisch, als würde sie mich jeden Moment anspringen. Ich drehte und wendete sie in meiner Hand, bis ich mich dazu durchrang, sie aufzuklappen.

 

Liebe AJ,

 

wir wünschen dir gute Besserung. Komm schnell zurück, du fehlst hier!

 

PS: Warte nicht zu lang. Ansonsten plündert Hightower deinen gesamten Weingummi-Vorrat ;-)

 

Darunter hatten meine engsten Kollegen unterschrieben. Obwohl die Nachricht nicht besonders einfallsreich oder kreativ war, wusste ich, dass sie von Herzen kam.

Einige hatten nach dem Vorfall versucht, mich anzurufen, doch ich ging nicht ans Telefon.

Um genau zu sein, war ich nirgendwo mehr hingegangen, sondern war bloß in meinem Bett geblieben. Antriebslos hatte ich vor mich hingedämmert.

Es war so gewesen, als hätte ich beschlossen, einfach liegen zu bleiben. Vielleicht für immer.

Alle Gefühle waren dieser Leere gewichen. Nichts war zu mir durchgedrungen, bis Suzanne bei mir aufgekreuzt war und mich gezwungen hatte, mich meinen Dämonen zu stellen.

Kurz darauf hatte ich den Dienst wieder angetreten. In den Gesichtern meiner Kollegen hatte ich exakt den Ausdruck gesehen, vor dem ich mich wochenlang erfolgreich versteckt hatte. Was hätte ich dafür gegeben, diesen Mitleidsmienen aus dem Weg zu gehen. Fürs Erste war ich in die hinterste Ecke des Reviers geflüchtet, die nicht nur den Vorteil hatte, dass sie vor neugierigen Blicken schützte, sondern auch, dass sich die Kaffeemaschine dort befunden hatte. Koffein und Ruhe. Mehr hatte ich nicht benötigt. Leider hatte ich meine Rechnung ohne Helen, der guten Seele, und laufenden Klatschzeitung des Reviers, gemacht. Sie kümmerte sich um die Asservatenkammer und war häufig gelangweilt, weshalb sie für jede Art von Ablenkung dankbar gewesen war.

Sobald sie mich erkannt hatte, ließ sie ihren Keepsmiling-Becher links liegen. Mit dem Blick einer gestrandeten Robbe hatte sie ihre fleischigen Arme ausgebreitet und mich fest an ihre Brust gedrückt. Die Luft war aus meinen Lungenflügeln gewichen und ich hatte aufgestöhnt.

»O Liebes! Entschuldige. Hast du noch Schmerzen?«

Unwillkürlich hatte ich die Stelle unter meinem Schlüsselbein berührt, in der das Messer gesteckt hatte, und schüttelte den Kopf.

»Wie dumm von mir«, hatte Helen gesagt und betreten zu Boden gesehen.

Ich war mit meinem Finger über die Narbe gestrichen, die zurückgeblieben war. Gepresst hatte ich eingeatmet und versucht, an irgendwas Angenehmes zu denken. Es war mir nicht gelungen.

»Es ist in Ordnung«, hatte ich gelogen.

Ich hatte gebetet, dass sie mich damit davonkommen ließ, und hatte ihr ein dünnes Lächeln zugeworfen.

»Amelia, du musst wissen, dass wir alle hinter dir stehen. Zweifelst du etwa daran? Liebes, das darfst du nicht.«

Bei diesen Worten war ich zusammengezuckt und hatte mich vor Unbehagen gewunden. Sie war die Einzige bis auf meine Mom gewesen, die mich Amelia genannt hatte.

Und ihm natürlich. Ein eiskalter Schauer war mir den Rücken hinunter gelaufen bei der Erinnerung daran, wie er meinen Namen ausgesprochen hatte.

Ich hatte stur zur Kaffeemaschine gestarrt, um ihrem verständnisvollen Blick auszuweichen, und hatte die Tränen weggeblinzelt. Mir war nicht klar gewesen, wie meine Kollegen mich für unschuldig hatten halten können. Denn ich wusste es besser. Ich hatte mich täuschen lassen. Bloß aus diesem Grund war Paul nicht mehr am Leben.

Soeben konnte ich mit erstickter Stimme ein Danke herauswürgen, ehe ich gespürt hatte, wie Tränen meine Wangen hinuntergelaufen waren. Rasch hatte ich mich von Helen abgewandt und mir eine Tasse Kaffee eingeschenkt.

»Sorry, Helen, ich muss los. Wir reden ein anderes Mal.«

Mit diesen Worten hatte ich sie stehen gelassen und mir fest vorgenommen, dass es ein anderes Mal unter keinen Umständen geben würde.

Eine Woche hatte ich durchgehalten, in der ich es kaum ertragen konnte, den leeren Schreibtisch meines Partners – Ex-Partners – täglich gegenüber zu sehen. Allerdings hatte ich mich nur so lange zusammenreißen können, bis eines Morgens ein anderer Polizist auf Pauls Platz gesessen hatte und sich mir als mein neuer Partner vorstellte. Da hatte mein Entschluss endgültig festgestanden: Ich musste das NYPD verlassen. Nicht noch einmal konnte ich mit jemandem zusammenarbeiten. Nicht noch einmal konnte ich riskieren, eine Person durch meine bloße Anwesenheit in Gefahr zu bringen. Meine Fehleinschätzung hatte uns in Lebensgefahr gebracht. Ich war davongekommen. Aber Paul … Ich hatte ihm beim Sterben zugesehen. All das Blut, seine Verzweiflung. Und meine Hilflosigkeit.

Das Klingeln des Handys holte mich zurück in die Gegenwart. Suzanne rief zum dritten Mal heute an. Mir war nicht nach reden zumute. Wieder drückte ich sie weg, stürzte einen weiteren Schnaps hinunter und zerknüllte die Karte, bevor ich sie in den Papierkorb warf.

Kapitel 2

 

Sean

 

DAS FRISCH GEZAPFTE Kilkenny schwappte über und tropfte auf die Holztheke, als ich es Charly zuschob. Der schaute versonnen drein, trank einen Schluck Bier und grinste mich an.

»Junge, Junge! Die heißen Bunnys haben deinen Laden ganz schön aufgemischt. Meinst du, die schauen bald wieder rein?«

Seine Augen glänzten hoffnungsvoll, und es widerstrebte mir, die Träume eines alten Mannes zu zerstören. Jedoch bezweifelte ich, dass in naher Zukunft ein weiterer Junggesellinnen-Abschied hier stattfinden würde.

Es war eine amüsante Abwechslung gewesen, als vor ein paar Wochen eine Horde betrunkener Playboy-Bunnys hier eingefallen war. Die Mädels waren harmlos gewesen und hatten Schnäpse im Austausch gegen Küsse verteilt. Eines der Häschen hatte mich ausgewählt. Ich hatte mitgespielt, ihr einen hollywoodreifen Kuss gegeben und den Applaus ihrer kreischenden Freundinnen dafür geerntet. Ich war mir sicher, dass Charly nur zu gerne meinen Platz eingenommen hätte, und auch ich hätte dankend Rollen getauscht. Denn obwohl ich einem Scherz gegenüber nie abgeneigt war, hatte mir der Kuss nichts bedeutet.

Mittlerweile hatte ich diesen Abend schon wieder vergessen. Charly hingegen nicht. Er war immer noch hin und weg und hoffte darauf, dass sich ein paar hübsche Ladys hierher verirrten. Auch heute Nacht blieben seine Gebete unerhört. Ich läutete die letzte Runde ein, woraufhin mein Husky sein Körbchen verließ und schwanzwedelnd auf mich zukam. Er wusste, dass es endlich nach Hause ging. Bowie mochte zwar die Bar, da ihm die Gäste Streicheleinheiten und Leckerlis schenkten, freute sich aber jeden Abend auf zuhause.

»Du bist ein Spielverderber. Vielleicht kommt ja noch eine vorbei«, nörgelte Charly.

»Ganz bestimmt. Dann entschuldige ich mich hiermit offiziell, dass ich dir die Chance deines Lebens versaut habe.«

Um das Murren der Gäste zu übertönen, drehte ich die Musik lauter.

Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie sich Mickey und John ein paar Dollarscheine zuschoben.

Verdammt! Verbindungen zur irischen Mafia hin oder her – es reichte. Ich musste etwas unternehmen, ehe sie mir den Rest meiner Kundschaft vergraulten, der nicht wusste, für wen ich mal gearbeitet hatte.

Bevor ich die beiden erreicht hatte, hörte ich Mickey brüllen: »Ich frage dich zum letzten Mal: Wo ist der Rest? Hast du dir einen kleinen Vorschuss gegönnt?«

John, der von Mickey immer weiter bedrängt wurde, ließ seine Hand in die Hosentasche gleiten und zog ein Messer. Shit! Wenn das so weiterging, würde Blut fließen. Ich machte einen Satz nach vorn, packte John am Handgelenk und verdrehte ihm den Arm so, dass er sich nicht rühren konnte und das Messer zu Boden fiel.

»Scheiße, Mann! Was soll das? Kümmere dich um deine Angelegenheiten!«

Wütend starrte er mich an.

»Es ist meine Angelegenheit. Mein Laden, meine Regeln. Und jetzt raus hier«, grollte ich, wobei ich ihn zum Ausgang schob.

»Verpiss dich!«, brüllte John und versuchte mich wegzustoßen.

Sobald er feststellte, dass ich mich keinen Zentimeter bewegt hatte, probierte er eine andere Taktik.

»Du warst einer von uns. Du weißt, wie wir so etwas regeln.«

»Richtig, ich war einer von euch. Macht eure Geschäfte woanders. Verschwindet und schlaft euren Rausch aus.«

Ich setzte den verdatterten John auf die Straße.

Bowie baute sich vor dem Eingang auf und knurrte den Streithahn an. Seine Nackenhaare standen zu Berge, wodurch er beeindruckend groß erschien. John trat fluchend den Rückzug an. Ich durchquerte den Raum und sah Mickey, der sich an die Theke gesetzt hatte, als sei nie etwas gewesen. Kommentarlos packte ich von hinten seinen Hals, zerrte ihn rückwärts vom Barhocker und schleifte den strampelnden Idioten zum Ausgang. Vor der Tür ließ ich ihn los. Röchelnd schnappte er nach Luft.

»Du weißt nicht, mit wem du es dir verscherzt hast«, keuchte er.

»Du bist nicht der Fürst der Finsternis. So viel steht schon mal fest«, erwiderte ich amüsiert.

»Wenn Mooney davon erfährt, wirst du schon sehen, was passiert.«

»Sicher. Und das wird exakt gar nichts sein. Richte ihm einen Gruß von mir aus.«

Ich wandte mich ab, ging wieder hinter die Theke und rief Bowie, der zurück zu mir trottete.

»Guter Junge«, lobte ich ihn und kraulte sein Ohr.

Die meisten Gäste waren mittlerweile gegangen, da sie in wenigen Stunden wieder in der Lage sein mussten, diversen Jobs zu erledigen, die bei der irischen Mafia anfielen.

Mooney pflegte immer zu sagen: Kein Wochenende, kein Feierabend, kein Gerede. Leb damit. Ansonsten hast du den falschen Beruf erlernt.

Schon damals hatte ich das für Schwachsinn gehalten, da es keinen Berufsberater auf der Welt gab, der eine Ausbildungsstelle zum Laufburschen für die irische Mafia vermittelte. Doch genau der war ich zu lang gewesen.

Nachdem mir James Mooney bei der Sache mit meinem Stiefvater geholfen hatte, schuldete ich ihm etwas und hatte in seinem Namen alles erledigt, was oder wer anfiel. Angefangen bei der Entsorgung von Beweismitteln und Tatwaffen, bis hin zur Einschüchterung von Zeugen und Personen, die Mooney schaden konnten. Die ein oder andere Leiche hatte ich verschwinden lassen und zur Not hatte ich in seinem Namen getötet. In der Regel hatten sie es verdient und mein Mitleid hatte sich somit in Grenzen gehalten.

Seitdem Mooney mit den Italienern kooperierte, war er unberechenbar geworden und hatte sich wie einer von ihnen aufgeführt. Zu Thanksgiving hatte er gönnerhaft Truthähne unter den Armen verteilt und sich dafür feiern lassen. Gleichzeitig war er skrupelloser denn je und hatte Spaß daran gefunden, Menschen zu zerstückeln. Das war nicht mein Stil gewesen. Effizienz hatte bei mir immer an erster Stelle gestanden.

Damals war mir bewusst geworden, dass ich etwas ändern musste.

Nach einem langen Arbeitstag hatten wir bei James im Büro gesessen. Die anderen Jungs waren gerade verschwunden. Mooney hatte mein Glas aufgefüllt und mit mir angestoßen.

»Wir sind uns ähnlich. Du hast denselben Killerinstinkt, dieselben Alpha-Tier-Gene wie ich, bist keins von diesen Weicheiern.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte ich skeptisch.

Gemächlich hatte sich Mooney aus seinem Ledersessel erhoben. Fast lauernd hatte er den Schreibtisch umrundet und sich auf den freien Stuhl neben mir gesetzt.

In vertraulichem Ton war er fortgefahren: »Ich respektiere dich, Sean. Es wird Zeit, dass du mehr Verantwortung übernimmst. Ich möchte, dass du meine zweite Reihe wirst.«

Das konnte nicht wahr sein. Ich war im Begriff gewesen, den Job hinzuschmeißen, und Mooney bot mir eine Beförderung an.

»Danke, ich weiß dein Vertrauen zu schätzen. Aber ich kann das Angebot nicht annehmen.«

James hatte aufgelacht.

»Du lehnst ab?«

Seine Miene war mit einem Mal versteinert.

»Du wirst meine rechte Hand. Ende der Diskussion.«

»Eigentlich wollte ich schon länger mit dir reden. Ich möchte aussteigen, eine Bar eröffnen.«

Damit hatte ich gefährliches Terrain beschritten und tastete mich langsam vor. Nur eine falsche Bewegung und mir wäre der Boden unter den Füßen weggebrochen.

Mooney hatte geschwiegen, seinen Drink in einem Zug geleert und das Glas so hart auf die Tischplatte geknallt, dass ich befürchtete, es würde bersten.

»Hast du die Konsequenzen im Blick? Für dich … für deinen Bruder?«

»Du drohst mir?«

»Ich verdeutliche lediglich meinen Standpunkt.«

Er hatte auf seine Armbanduhr getippt.

»Ich gebe dir Bedenkzeit. Willige ein und alles ist in bester Ordnung. Andernfalls wird deine kleine heile Welt aus den Fugen geraten. Dein Bruder wird nicht erfreut sein, die Wahrheit zu erfahren.«

Mooney und ich hatten etwas Unaussprechliches getan, was uns für immer verband. Da er grundsätzlich kein Nein akzeptierte, hatte ich gewusst, dass er seiner Drohung Taten folgen ließ und Connor verriet, was vor ein paar Jahren geschehen war.

»Hey, Sean, machst du mir ein Kilkenny?«

Charly schwenkte sein leeres Glas demonstrativ vor meiner Nase hin und her.

»Teil es dir gut ein. Ist das letzte für heute.«

Ich konnte vorhersagen, was als Nächstes kam, da es jedes Mal das gleiche Spiel mit ihm war.

Ehe er widersprechen konnte, ergänzte ich: »Bowie muss ins Bett. Ich schmeiß euch in fünf Minuten raus.«

Ich deutete auf den Husky, der zufrieden hinter der Theke lag und einen Mini-Basketball zerkaute. Der Ball war ein Souvenir gewesen, das mein Bruder und ich vor Monaten bei einem Spiel der Knicks gekauft hatten. Wir hatten uns früher die NBA-Finals zusammen angeschaut und trafen uns regelmäßig mit ein paar Jungs zum Basketballspielen. Deshalb hatten wir die Karten von James Mooney zu gerne angenommen. Am Morgen danach hatte er mich in sein Büro gerufen.

Sowie ich die Tür geöffnet hatte, empfing er mich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.

»Wie war das Spiel? Hattet ihr Spaß?«

Seine Miene hatte kalt gewirkt und sein Lachen war aufgesetzt gewesen.

»Danke für die Karten. Die Knicks haben gewonnen«, hatte ich sachlich berichtet. Ich war auf der Hut gewesen.

»Freut mich zu hören. Hast du über mein Angebot nachgedacht?«

»Dein Angebot? Wie gütig! Kurz hatte ich geglaubt, die Karten wären ein Versöhnungsangebot und du würdest mich in Frieden lassen.«

»Du solltest es besser wissen. Ich bekomme immer, was ich will.«

Seine Miene hatte mir verraten, dass er nicht einen Moment zögern würde, meinen Kopf rollen zu lassen.

»Du könntest Tausende dieser Abende mit deinem Bruder erleben. Oder du kannst darauf hoffen, dass er dir irgendwann vergibt. Es liegt bei dir. Bist du dabei oder soll ich ihm erzählen, was du getan hast?«

»Ich lasse mich nicht erpressen. Ich bin raus.«

Sobald ich mich abgewandt hatte, um sein Büro – und damit die irische Mafia – zu verlassen, hatte ich gewusst, dass ich im selben Augenblick auch Connor verlor. Er war der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen.

Beim Hinausgehen hatte ich gehört, wie Mooney heiter in den Telefonhörer sprach: »Hallo, Connor! Komm so schnell wie möglich hierher. Es gibt da etwas, was du wissen solltest.«

In wenigen Minuten würde die Wahrheit alles zerstört haben. Mein Bruder war die einzige Konstante in meinem Leben gewesen. Bis jetzt …

Auf dem Weg zu meinem Motorrad war es mir plötzlich so vorgekommen, als stürzten die Wolkenkratzer auf mich nieder. Meine Brust war wie zugeschnürt gewesen und es fiel mir schwer, zu atmen. Der Drang zu flüchten hatte die Kontrolle übernommen. Wie ferngesteuert hatte ich mein Bike gestartet und manövrierte es durch den dichten Verkehr. Den Stau im Holland Tunnel hatte ich ignoriert, jede Lücke genutzt, die sich mir geboten hatte, und mich an den hupenden Autos vorbeigeschlängelt. Die Interstate 78 hatte mich in eine ländliche Gegend geführt, und ich war gefahren, bis mein Tank leer war. Ich hatte den Schmerz verdrängt, hatte ihn irgendwo in den Straßen von New York abgeschüttelt.

»Bowie sieht doch fit aus. Komm schon. Eine Runde noch«, lallte Charly und beäugte kritisch meinen Hund.

Der stand auf und lief freudig wedelnd um die Theke herum, um sich ausgiebig kraulen zu lassen. Mieser Verräter! Für ein paar Streicheleinheiten opferte er unseren dringend benötigten Schlaf.

»Siehst du? Bowie möchte nicht, dass wir gehen. Du könntest dich zu uns gesellen, dir ein Bierchen schnappen und entspannen. Wir sind doch Freunde.«

Nein, das waren wir definitiv nicht. Wir waren Bekannte, wovon der eine das Bier verkaufte, das der andere trank. Exakt so sah unser Verhältnis aus.

Die Anzahl meiner Freundschaften war recht übersichtlich. Jahrelang war ich mit Ryan befreundet und mit ihm durch dick und dünn gegangen. Sein Spirituosenhandel florierte, da Gin, Whisky und Co. angesagt waren. Dementsprechend war mein Bedarf angestiegen, und wir sahen uns mindestens einmal pro Woche, um Getränke zu verkosten, dazu ein paar Sandwiches zu verdrücken und um übers Geschäft sowie Privates zu reden.

Und da war Connor gewesen. Ich vermisste die Männerabende, da es niemanden gab, mit dem ich lieber abhing. Oft waren wir an den Wochenenden vor Sonnenaufgang mit unseren Bikes in Richtung Küste aufgebrochen, um vor allen anderen auf der Straße zu sein. Wir hatten meistens nicht viel geredet. Es war nicht nötig gewesen, da wir uns blind verstanden. Ob es damit zu tun hatte, dass wir als Kinder hatten zusammenhalten müssen, um eine Chance gegen unseren wahnsinnigen Stiefvater zu haben, oder ob wir gleich tickten, konnte ich nicht sagen. Scheiße, er fehlte mir.

Gelegentlich erzählten mir ehemalige Kollegen von ihm, während sie am Tresen saßen und ein Bier tranken. Es war komisch, die Jungs Abend für Abend zu sehen und zu wissen, dass ich nicht mehr dazugehörte. Ich wurde geduldet und immer noch respektvoll behandelt. Nach all den Jahren hatte ich mir einen gewissen Ruf erarbeitet. Für meinen Bruder lief es offenbar ganz gut. Er war mittlerweile ein ebenso angesehenes Mitglied der irischen Mafia, wie ich es gewesen war. Jedoch war er, im Gegensatz zu mir, unberechenbar. Das war auch der Grund dafür gewesen, warum Mooney mich damals dafür vorgesehen hatte, in der Hierarchie aufzusteigen.

Durch die Fensterscheiben des Pubs beobachtete ich, wie auf der anderen Straßenseite das Licht in der Bäckerei eingeschaltet wurde, und ich wusste, dass es verdammt spät geworden war. Um genauer zu sein: Es war früh. Eine weitere Gnadenfrist würde ich Charly und seinen Saufkumpanen nicht gewähren. Ich drehte mich um und startete Bugger off!, den Rausschmeißer-Song meiner Playlist. Der Refrain ertönte, und die letzten Schnapsleichen lallten gemeinsam im Chor, wobei sie allmählich hinausstolperten. Ich schloss die Tür ab, schaltete das Licht aus und ging mit Bowie die Treppen zu meinem Loft hinauf. Sowie ich oben angekommen war, machte mein Hund plötzlich kehrt und rannte winselnd wieder hinunter. Es konnte sich nur um eine Person handeln, die Bowie so begrüßte.

»Bonjour, Nachbar. Haben sie dich erst jetzt gehen lassen?«

Rens französischer Akzent klang warm und beinahe echt. Hätte ich nicht gewusst, dass sie ihn einstudiert hatte, wäre ich glatt drauf reingefallen.

»So sieht’s aus. Und was ist mit dir? Warst du wieder als Madame Dumaine auf einer Séance?«

Ren stemmte mit gespielter Empörung ihre Hände in die Hüfte und zog eine Grimasse.

»Nenn es nicht so! Ich habe dir schon einmal erklärt, dass man es sich nicht mit den Geistern verscherzen sollte«, ermahnte sie mich.

Ren und ich hatten uns bei einem Job kennengelernt, den wir für Mooney erledigen mussten. Damals war ich zu Ren gefahren, um einen USB-Stick abzuholen. Bei dieser ersten Begegnung hatte ich einen Witz über den Hokuspokus gemacht. Sie hatte ihre Augen verdreht und mir gedroht, mich mit einem Fluch zu belegen. Dann hatte sie mich auf eine Tasse Tee zu sich eingeladen und wir waren ins Gespräch gekommen.

Im Grunde hatte Ren mit Voodoo genauso wenig am Hut wie ich. Bevor Katrina ihr Leben zerstört hatte, war Ren eine Eventmanagerin in New Orleans gewesen. Ehe sie als Projektleitung, für die wichtigste Konzertreihe der Stadt engagiert worden war, hatte sie nebenbei als Fremdenführerin gearbeitet, um sich finanziell über Wasser zu halten. Als besonders lukrativ hatte es sich herausgestellt, die Klischeevorstellungen der Touristen zu bedienen. So hatte sie eine Voodoo-Priesterin gemimt, während sie Führungen über den Friedhof im French Quarter und Geisterbeschwörungen in Marie Laveaus Haus durchführte.

Dann war der Hurrikan gekommen. Katrina hatte das Haus der Familie zerstört, wobei Rens Vater unter den Trümmern begraben worden war. Schließlich waren sie und ihre Mutter in einer Notunterkunft untergekommen, wo sie Plünderern zum Opfer gefallen waren. Was in jener Nacht geschehen war, hatte sie mir nicht erzählt. Doch die Ereignisse mussten Ren verändert haben. Sie bildeten das unselige Fundament, auf dem ihr neues Leben aufgebaut war.

Ren war nach New York geflüchtet und hatte ein profitables Angebot von James Mooney angenommen, der ihr ein Apartment über dem Pub und ein kleines Ladenlokal zur Verfügung gestellt hatte. Von da an hatte sie ihre Augen und Ohren überall, versorgte die Mafia mit Informationen und wusch Geld in ihrem Voodoo-Laden. Dafür wurde sie gut bezahlt, was ihr ermöglichte, ihrer Mutter Geld zu schicken. Jedoch hatte sie eine Seite an sich, die undurchsichtig war.

»Komm schon, du nimmst den ganzen Voodoo-Kram doch selber nicht ernst. Sogar dein Akzent ist Teil der Show.«

Der Stoff von Rens glänzendem rotem Kleid raschelte, als sich Bowie an ihre Beine drängte, um gekrault zu werden.

»Diesen treuen Augen kann ich nicht widerstehen. Ansonsten würde ich mit dir kein Wort mehr wechseln.«

»Danke! Freut mich, dass ich dir gefalle«, scherzte ich.

»Die von deinem Hund, du Idiot!«

Sie gab mir einen Stoß in die Rippen und lachte.

»Wann bringst du mir Bowie?«

Ren war die Einzige, bei der ich Bowie allein lassen konnte, ohne dass er stundenlang heulte, weil er mich vermisste. Vor zwei Jahren hatte ich ihn aus einem Tierheim geholt und seitdem war er mir nicht mehr freiwillig von der Seite gewichen.

»Wenn du mir versprichst, dass du ihn nicht den Geistern opferst, bringe ich ihn dir morgen früh.«

Schützend hielt sie meinem Hund die Ohren zu und flüsterte: »Sag so etwas nicht vor dem Hund! Er bekommt Angst vor mir.«

Vor Entrüstung hatte sie vergessen, ihren Akzent aufzulegen.

»Wie oft soll ich dir sagen, dass ich keine Tiere opfere? Ich arbeite ausschließlich mit Kunstblut. Eine Freundin, die in einem Filmstudio arbeitet, hat mir ein paar Requisiten verkauft, damit es echt wirkt. Im Grunde geht es um den Showeffekt und dass die Klienten es glauben. Aber manchmal bin ich es leid, die Erwartungen der Leute zu erfüllen.«

»Was meinst du?«

»Die Klischeevorstellungen, die vorgefertigten Meinungen.«

»Verstehe –«

»Wirklich?«, unterbrach sie mich. »Ich glaube nicht, dass du dir vorstellen kannst, wie es ist, permanent nach deiner Hautfarbe beurteilt zu werden. Und es sind nicht nur die irren Rednecks, die mit weißen Kapuzen und Fackeln losziehen, um dich brennen zu sehen. Nein, es sind die durchschnittlichen Menschen, die nach New Orleans reisen, um die Exoten zu bestaunen und anzugaffen.«

»Sorry, so habe ich es nie betrachtet.«

»Es ist verrückt zu denken, ich sei mystisch veranlagt oder ich hätte ein begnadetes Rhythmusgefühl, nur weil ich schwarz bin. Und es ist ebenso verkehrt zu denken, dass ich eine Voodoo-Priesterin sei, weil ich aus New Orleans stamme.«

»Warum machst du dann diese Show und bestätigst sie auch noch?«

»Das ist meine Art, damit umzugehen. Pragmatismus. Irgendwann habe ich beschlossen das Beste aus der Situation zu machen und habe den Menschen genau das gegeben, was sie sehen wollten. Wenn sie schon Vorurteile haben, kann ich wenigstens davon profitieren.«

»Und nebenbei verspritzt du Kunstblut und horchst sie ein wenig aus.«

»Nenn es, wie du willst. Voodoo-Rituale sind ein Werkzeug, das einem den Weg in die Köpfe der Menschen erleichtert.«

»Und was ist mit den Kunden, die Mooney zu dir schickt? Fließt da auch nur Kunstblut?«

Rens Gesicht verfinsterte sich.

»Sie reden alle früher oder später«, sagte sie schroff. »Ich kenne Mittel und Wege. Einige befreie ich von der Last ihrer Lügen. Es muss sich die Waage halten: Leben und Tod, Rache und Sühne. Manche haben es verdient …«

Sie unterbrach sich selbst und sah mich mit einer hochgezogenen Braue an.

Ren konnte gefährlich werden, das stand fest. Doch das beeindruckte mich nicht. Ich lebte unter den Biestern und teilte mit ihnen denselben Jagdgrund.

»Okay, guter Punkt. Du bist also nur halb-kriminell.«

»… sprach der Mafia-Prinz. Du kennst den Spruch mit dem Glashaus, oder?«

Herzhaft gähnte ich.

»Schlaf gut, Ren.«

»Du auch. An deiner Stelle würde ich mir das Kopfkissen genauer anschauen, bevor ich mich hinlege.«

Sie warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu und ergänzte beiläufig: »Ist bloß ein gut gemeinter Ratschlag.«

Damit verschwand sie in ihrem Loft und zog die Tür hinter sich zu.

Einen heißen Kaffee und eine Dusche später fiel ich todmüde ins Bett. Was war noch mal mit meinem Kissen? Ich schaltete das Licht ein und setzte mich auf, um darunter nachzuschauen, stoppte dann in der Bewegung und schaltete es wieder aus.

Schwachsinn!

Ich legte mich hin und schloss die Augen. Natürlich konnte da nichts drunter sein. Oder doch? Ich wälzte mich von links nach rechts und fand keinen Schlaf. Ich weigerte mich, dem Impuls nachzugeben und mein Bett zu untersuchen. Auf ihre Psycho-Tricks würde ich nicht hereinfallen.

Zweieinhalb schlaflose Stunden später warf ich das Kissen frustriert in die hinterste Ecke des Raumes und beschloss, in dieser Nacht ohne auszukommen.

Diese Hexe!

Kapitel 3

 

Amelia

 

Ich sah auf meine Hände hinab. Blut quoll zwischen den Fingern hervor, strömte über meinen Handrücken auf Pauls Hemd. Obwohl ich fest auf den Hals meines Partners drückte, ließ sich die Blutung nicht stoppen. Kieran musste seine Halsschlagader erwischt haben. Während ich um sein Leben kämpfte, trat mein eigener Schmerz in den Hintergrund.

Nein! Nein! Das durfte alles nicht wahr sein.

Er rang nach Luft.

»Halte durch, bitte. Der Notarzt wird jeden Moment da sein.«

Meine Hose hatte sich mit seinem Blut vollgesogen, da ich neben ihm auf dem Boden kniete. Er saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt und rutschte weiter herunter.

Mein Handy, mit dem ich den Notruf abgesetzt hatte, war blutverschmiert.

»Du musst sitzen bleiben.«

Verzweifelt zerrte ich seinen Oberkörper nach oben, um die Arterie zu entlasten, und versuchte dabei, den Druck auf die Wunde nicht zu verringern.

»Ist okay, Amelia. Ist okay.«

Pauls Stimme klang krächzend und dünn. Er verschwand vor meinen Augen.

»Bitte nicht …«

Panik kam in mir auf, als mir klar wurde, dass ich nichts gegen den Tod ausrichten konnte. Wo zum Teufel blieben meine Kollegen? Wo war der Arzt?

Zu lang … es dauerte viel zu lang.

Unsere Blicke trafen sich, und wir wussten beide, dass er keine Zeit mehr hatte. Ihm blieben Sekunden, maximal eine Minute. Meine Augen füllten sich mit Tränen.

»Nicht …«, setzte Paul an, ehe das Husten sein Flüstern unterbrach.

Er spuckte Blut.

»Streng dich nicht an, gleich kommt jemand.«

»Lügen«, brachte Paul mühsam hervor. »Alle.«

Er versuchte, mir etwas zu sagen. Doch sein Blick erstarrte und wurde leer.

Plötzlich packte von hinten jemand das Messer, das immer noch unter meinem Schlüsselbein steckte, und bohrte es tiefer in den Körper. Mich durchfuhr ein gleißender Blitz aus Schmerz und ich schrie auf.

»Du lebst, weil ich es so möchte«, sagte Kieran mit gedämpfter Stimme. »Du dachtest, ich sei geflohen? Um nichts in der Welt hätte ich mir dieses Schauspiel entgehen lassen. Die Erkenntnis in deinem Gesicht, als dir klar wurde, dass du verloren hast … unbezahlbar.«

Kieran musste im Treppenhaus gelauert haben, anstatt zu flüchten, wie ich es vermutet hatte.

Er lachte leise, wobei er das Messer in meiner Wunde drehte. Mit der anderen Hand tastete er mich quälend langsam ab. Er schien es zu genießen. Vor Ekel hätte ich beinahe gewürgt. Jedoch überlagerte der Schmerz jede andere Gefühlsregung. Schließlich fand er, wonach er suchte.

»Die brauchst du nicht mehr.«

Er zog meine Pistole aus dem Holster und bewegte die Klinge in der Wunde.

»Diese Narbe wird dich immer darin erinnern, wem du gehörst.«

Wimmernd krümmte ich mich, doch ich beschloss, nicht zu betteln. Wenn ich jetzt sterben musste, hatte ich es verdient.

Er sah auf die Uhr und schnalzte mit der Zunge.

»Schade. In circa zwei Minuten werden deine Kollegen hier eintreffen. Ich hätte gern ein bisschen mit dir gespielt.«

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Das durfte alles nicht wahr sein.

Kieran umklammerte schmerzhaft meinen Kiefer, zerrte mein Gesicht direkt vor seines und wisperte: »Du wirst mich nicht vergessen. Ich werde immer bei dir sein und darauf achtgeben, dass dir niemand zu nahe kommt. Und wenn dir ein anderer Mann zur Begrüßung nur die Hand gibt, wird er enden wie Paul.«

Er deutete auf meinen Partner, dessen lebloser Körper in einer Blutlache lag.

»Hast du mich verstanden?«

Als Antwort spuckte ich ihm ins Gesicht. Er holte gerade zum Schlag aus, da ertönten die Sirenen. Kieran ließ von mir ab, rannte zum Fenster am Ende des Flurs und drehte sich noch einmal um.

»Bis bald, meine Schöne.«

Ich hörte das Quietschen der Feuerleiter, danach stürmten die Kollegen vom NYPD den Flur. Wie gelähmt deutete ich bloß auf das geöffnete Fenster, während ich neben dem Leichnam meines Partners kauerte.

Sie kamen zu spät.

 

***

 

Ich schlug die Augen auf und starrte in das Gesicht einer Bulldogge mit Prinzessinnen-Krönchen. Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich noch immer träumte. Dann fiel mir wieder ein, dass mir Suzanne während meines Besuchs in der Forensik heute Morgen diese Tasse geschenkt hatte.

Ein unerfreulicher Arbeitstag lag hinter mir, an dem ich Ermittlungen für einen Sorgerechtsfall in der High Society durchgeführt hatte. Die Reichsten von New York wurden verbissen, wenn es um ihre Scheidung ging. Mein derzeitiger Klient zahlte mir eine horrende Summe, damit ich bewies, dass seine Noch-Ehefrau ihn betrogen hatte. Das Resultat davon war ein schreiendes, kleines Bündel, das ihn im anstehenden Scheidungsprozess mehrere Millionen Dollar Unterhalt kosten würde. Um schnelle Ergebnisse zu erzielen, hatte ich Proben für einen DNA-Abgleich zu Suzanne in die forensische Abteilung gebracht. Da sie die Beste war, arbeitete ich gern mit ihr zusammen. Dies blieb unser Geheimnis, da die ehemaligen Kollegen vom NYPD ungern mit Privatdetektivinnen kooperierten. Selbst wenn wir gut miteinander auskamen, sträubten sie sich, mir Informationen zu geben.

Im Laufe des Tages hatte ich der Millionärsgattin nachspioniert und einen Schnappschuss mit einem potenziellen Liebhaber machen können. Dafür hatte ich ewig vor ihrem Fitnessclub auf der Lauer gelegen. Danach hatten die Auswertung der Fotos und der übliche Papierkram angestanden. Kein Wunder, dass ich eingenickt war.

Seit Wochen hatte ich nicht freiwillig geschlafen, weil mich dieser Albtraum verfolgte. Ich durchlebte immer wieder die Ereignisse jener Nacht, in der mein Partner von Kieran kaltblütig ermordet worden war. Morgens aufzuwachen war das Schlimmste. Dieses verkaterte Gefühl, wenn einem bewusst wurde, dass es sich nicht bloß um einen furchtbaren Traum handelte, sondern die Realität zu solch einem Ort mutiert war.

Ich griff zu dem Becher mit der Bulldogge und nahm einen großen Schluck Kaffee, nur um ihn augenblicklich wieder auszuspucken – er war eiskalt. Wie lang hatte ich geschlafen? Ich sah auf das Handydisplay: kurz vor zehn und ich hatte nicht einmal die Hälfte des bürokratischen Martyriums hinter mir. Zahllose Rechnungen musste ich nach Priorität ordnen und bestenfalls bezahlen. Das würde eine lange Nacht werden. Resigniert ging ich zur Kaffeemaschine, setzte eine weitere Kanne auf und zündete mir eine Zigarette an. Vor dem Midtown-Murder-Fall hatte ich mir das Rauchen abgewöhnt. Nach Pauls Tod hatte ich wieder angefangen. Mittlerweile hatte ich es geschafft, lediglich in Extremsituationen – die Auslegungssache waren – darauf zurückzugreifen.

Ich nahm einen tiefen Zug, spürte das vertraute Kratzen in der Lunge und entspannte mich.

Als ich mir eine frische Tasse Kaffee einschütten wollte, klopfte es an der Tür. Keine drei Sekunden vergingen und es klopfte erneut, diesmal energischer. Da schien es jemand verdammt eilig zu haben. Ich sah durch den Spion und konnte einen Fahrradkurier ausmachen, der zapplig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Sowie er seine Hand hob, um erneut gegen die Tür zu hämmern, öffnete ich. Schnell senkte er seinen Arm, vermutlich in der Hoffnung, ich hätte nicht bemerkt, wie er ins Leere geschlagen hatte.

»Amelia Jordan Walker?«

Der Kurier musterte mich unverhohlen und streckte mir einen Stift zum Quittieren entgegen, ehe ich die Gelegenheit fand, auch nur zu nicken.

Der hat mir gerade noch gefehlt, dachte ich, während ich kommentarlos unterschrieb. Es gab Tausende Fahrradkuriere in New York. Warum musste ausgerechnet der unfreundlichste bei mir landen? Ob es tatsächlich so war, dass man meine leicht soziophobe Stimmung witterte und mir deshalb alle versuchten aus dem Weg zu gehen? Aber wer konnte mir nach dem vergangenen Jahr verdenken, wenn ich Menschen gegenüber kritisch war?

Möglicherweise hatte Suzanne ja recht und ich sollte versuchen, mich zu öffnen und unter Leute zu kommen. Meine sozialen Kontakte beschränkten sich zurzeit auf die Klienten und Suzanne. Sie arbeitete als Gerichtsmedizinerin beim NYPD und hatte früher in Mordermittlungen mit mir zusammengearbeitet. Dabei hatten wir uns angefreundet und sie war zu meiner engsten Vertrauten geworden. Sie hatte mich nach der schief gegangenen Ermittlung gegen Kieran, dem Midtown-Mörder, unterstützt. Allerdings konnte auch sie nichts ausrichten, da er keinerlei Spuren hinterlassen hatte. Er war uns in jeder Hinsicht einen Schritt voraus gewesen.

»Ich brauche noch Ihren Waffenschein«, leierte der Kurier herunter.

»Warum?«

Misstrauisch beäugte ich ihn.

»Lady, ich habe keine Ahnung. Wenn Sie mir Ihren Schein nicht zeigen, darf ich Ihnen dieses Paket nicht aushändigen. Also was ist jetzt? Zeigen Sie mir Ihren Waffenschein, ja oder nein?«

»Wer hat Sie beauftragt?«

»Ich weiß es nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich die Route von einem Kollegen übernommen, der krank ist, und dachte, das wäre leicht verdientes Geld. Solche Sonderaufträge werfen mich ordentlich zurück.«

Genervt sah er auf seine Smartwatch und atmete geräuschvoll aus.

»Diese Nachtschichten bringen mich um.«

Ich holte die Papiere, hielt sie ihm so nah vor sein mürrisches Gesicht, dass er es kaum lesen konnte, und flüsterte dann: »Wissen Sie, eine Frau, die Ihnen einen Waffenschein unter die Nase hält, trägt in der Regel eine Waffe bei sich. Sie sollten beim nächsten Mal lieber etwas freundlicher sein. Ansonsten bringen Sie nicht die Nachtschichten um.«

Er starrte mich aus geweiteten Augen an.

Ich hielt ihm den Stift hin.

»Sie denken, Ihr Tag war mies, weil Sie ein paar Touren mehr haben? Ich habe ein verdammtes mieses Jahr hinter mir. Wenn ich meine Laune ausleben dürfte, hätte ich Ihnen bereits eine Kugel ins Bein gejagt. Hingegen reiße ich mich zusammen. Vielleicht gelingt es Ihnen ja auch?«

Verdattert nahm er den Stift, drückte mir eilig das Paket in die Hand und verschwand im Treppenhaus.

»Irre Bitch! Die ist ja völlig durchgeknallt!«, hörte ich ihn noch eine Etage tiefer fluchen.

Mir war bewusst, dass ich überreagiert hatte. Aber dieser arrogante, postpubertäre Idiot war das Letzte, was ich heute gebrauchen konnte. Mein Ärger über den Kurier hatte mich kurz von dem merkwürdigen Paket abgelenkt. Wer schickte mir eine Waffe?

Ich schüttete mir den dringend benötigten Kaffee ein, stellte die Tasse auf dem Schreibtisch ab und setzte mich. Da mir die ganze Sache verdächtig vorkam, zog ich Einweghandschuhe an, um keine Spuren zu zerstören, machte ein Foto vom Originalzustand des Pakets und trennte mit dem Brieföffner das Packpapier auf. Eine schwarze, samtige Kiste kam zum Vorschein. Ich hob den Deckel und erblickte eine Pistole. Eine SIG-Sauer. Behutsam hob ich die Waffe an und untersuchte sie genauer. Mein Blick fiel auf die Seriennummer. Es war meine SIG-Sauer.

Er ist zurück.

Der Satz zerschlug jeden klaren Gedanken. Als hätte ich mir die Finger verbrannt, ließ ich die Pistole fallen und machte einen hektischen Schritt rückwärts, wobei ich meine Kaffeetasse erwischte, die auf dem Boden zerbrach. Die gekrönte Bulldogge sah mich traurig mit einem Auge an. Die andere Hälfte ihres Gesichts dümpelte einsam in einer Pfütze vor sich hin. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, und zog immer schneller und tiefer

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.03.2022
ISBN: 978-3-7554-1034-8

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