Latein war für mich eigentlich eine total sinnlose, weil tote Sprache. Da ich aber nicht ganz wusste, ob ich es nicht doch irgendwann einmal beruflich brauche - mit 13 hatte ich noch so hohe Ziele, wie "die Welt retten" und "Medizin studieren", habe ich mich trotzdem daran gewagt.
Wenn ich mir aber zu dieser Sprache Rolands Zitat ansehe:
"Da viele Ärzte als Kellner jobben müssen,
hilft das "Große Latinum"
dir eines Tages vielleicht dabei,
überall auf der Welt ein
"Wiener Schnitzel" bestellen zu können.
(Roland Voß)
so kann ich ja froh sein, dass ich keine Medizin studiert habe (abgesehen davon, dass ich wie Karl ebenfalls Probleme habe, das Wort Schnitzel ins Lateinische zu übersetzen).
Gut, es sollte als Wahlfach also Latein sein, wohl überlegt damals - als 13 jährige! Latein ? Es wurde mir ja schmackhaft gemacht, wie wichtig diese Sprache sei und französisch, spanisch oder italienisch würde mir viel leichter fallen, wenn ich nur diese eine Sprache beherrsche. (Heute weiß ich, DER SATZ WAR NICHT GELOGEN. Aber beherrschen tue ich diese urtümliche Sprache bis heute noch nicht. Doch das Auswendiglernen der Vokabeln trägt heute noch Früchte.)
Wie fast erwartet quälte ich mich also durch den Latein-Unterricht. Nichtmals Mathematik und Physik waren mir so verhasst, wie dieser Unterricht. Ich verstand nur Bahnhof. Wobei es diesen Begriff im Lateinischen nicht mal gab. Ok ich war erfindungsreich in Sachen Spickzettel. ;)
Ich hatte trotz allem, keine Chance in diesem Fach nur annähernd auf einen bräunlichen oder gar grünen Zweig zu gelangen. Es frustrierte mich. Ich hatte kein Problem die Vokabeln auswendig zu lernen. Wenn ich was schwarz auf weiß habe oder sogar einmal selber geschrieben, so war es im Kopf abrufbereit. Nur zur Lateinischen Sprache fehlte mir, der Bezug und der Sinn.
Die Geschichten waren langweilig. Ok es war viel Historie dabei, ich tat also quasi ganz nebenbei etwas für die Allgemeinbildung. Aber schon in Politik und Geschichte wurden diese Dinge abgehandelt und ich bin der Überzeugung, dass man nicht alles x mal Wiederkäuen muss.
Kurz: Ich sah keinen Sinn in dieser Sprache, weil ich diese Sprache nicht wirklich irgendwo nutzen konnte. Selbst die Tatsache, dass es ja für meinen damaligen Berufswunsch wichtig war, konnte mich nicht wirklich motivieren dieser Sprache irgendetwas abzugewinnen. Es lag nicht mal an meinem Lateinlehrer. Der war klasse. Verfolgte nicht nur den sturen Unterrichtsplan. Ließ auch Fünfe gerade sein - und versuchte diese Sprache vom Lehrbuch her so lebendig wie möglich zu verkaufen. Doch keine Chance: für mich war dieses Sprache tot. Und somit sinnlos sie zu lernen. Nicht mal in der damals großen Pen-Pal Gemeinschaft, gab es Leute, die Brieffreunde suchten, die in Latein schrieben. (Die Möglichkeit diese Sprache auszuwählen war sogar vorhanden.) Nein - Latein war für mich so gar nicht greifbar.
Es musste sich was tun, denn auch wenn ich in anderen Fächern ohne Mühe durchkam, so zogen mich diese miesen Noten in Latein so richtig runter. Mag überheblich klingen, in den anderen Fächern fiel mir das Wissen zu - ohne, dass ich großartig etwas dafür tun musste. Hätte ich da mehr gebüffelt, wäre der Notendurchschnitt besser gewesen, aber wer fragt heute noch wirklich nach meinen Noten in der 7 oder 8 Klasse? Doch bei Latein kam nix bei rum, hier schrieb ich lauter ungenügend obwohl ich lernte.
"Scire me nihil scire!" Ja den Satz den verstand ich - aber für bessere Noten allein reichte diese Erkenntnis nicht aus. Das macht Verdruss – glaubt mir und der Frust übertrug sich auf die anderen Fächer.
Nun habe ich das Glück, dass mein Onkel, der in der Nachbargemeinde wohnt, ebenfalls Lehrer war. Er war Oberstudienrat am Gymnasium in der Nachbarstadt und sprach fließend Latein. Seine Kinder ebenfalls. Nur meine Tante nicht, aber auch bei ihr waren ein paar Grundkenntnisse, dank des Vokabeltrainings vorhanden. Gut, werdet Ihr jetzt denken, also gab es Nachhilfe Unterricht. Ja anfangs, war das auch der Gedanke. Meine Cousine 3 Jahre älter als ich durfte sich als meine Latein-Nachhilfelehrerin versuchen. Sie gab sich wirklich alle Mühe. Ich bewundere Sie auch heute noch, dass sie scheinbar mühelos diese Wörter hintereinander brachte. Trotzdem – meine Gedanken schweiften überall hin. Meine Verwandtschaft wohnt mitten im Wald. Das nächste Haus ist zwar zusehen, aber den Hügel rauf doch sehr weit entfernt. Eher siehst Du Füchse, Rehe oder Wildschweine dort im Vorgarten, als eine Menschenseele. Und so starrte ich meist vollkommen gedankenverloren aus dem Fenster. Meine Cousine kannte meine Leidenschaft stundenlang durch die Wälder zu streifen und irgendwelche Bäume, Kräuter oder sonst etwas zu entdecken. Also erklärte sie mir, dass es doch schön wäre, wenn ich die lateinische Bedeutung der Pflanzen irgendwann mal könne. Und auch hierfür wäre Latein wichtig. JA.. wozu das denn? Heute sehe ich das anders, aber ich war damals 13 und fand nicht, dass das wirklich wichtig wäre. Wir haben nach drei Nachhilfestunden aufgegeben. Mein Onkel setzte sich mit an den Tisch und fragte, wo denn nur das Problem liegt. Er verstand es nicht, da ich ansonsten ohne Lernen einfach durch die Schulfächer zog. (Klar hatte er sich bei meinem Klassenlehrer erkundigt, die beiden kannten sich von früher und so war es nicht verwunderlich, dass er trotz verschiedener Orte und Schulen bestens informiert war). Das Problem? Ja, das Problem war wirklich die Sprache selbst. Nicht die Vokabeln, aber wofür soll diese Sprache bitte nützlich sein? Kein Mensch redet wirklich Latein. Oh, da hatte ich was gesagt. Nun war es damals noch so, dass wir samstags Unterricht hatten, abgesehen vom 1. Samstag im Monat. Zumindest war das an meinem Gymnasium so. Und ich hätte also, das nächste Wochenende genug Zeit, war seine Überlegung, auch wenn mein Onkel, mein Cousin und meine Cousine zum Unterricht mussten.
Mein Onkel zog die Stirn kraus, man sah richtig, wie er nachdachte. Ich mag es auch heute nicht, wenn mein Onkel mir gegenüber sitzt und auf seine recht eigentümliche Art und Weise das Gesicht verzieht und dann ganz langsam und gedehnt seine Gedanken in Sätze fasst. Und so saß er mir gegenüber, die Stirne in Falten, den Kopf leicht schräg und sagte: "Mhh, das Problem ist, dass DU der Ansicht bist, diese Sprache spricht kein Mensch? Ich glaube, da habe ich eine Lösung." "Eine Lösung für mein Latein-Problem?" Wie wollte er mich überzeugen, dass Latein eine interessante und durchaus lebhafte Sprache sei? "Nuuuuunnnnnn", meinte er, "das nächste Wochenende habt Ihr am BGL ja Euren freien Samstag. Also wirst Du Freitagmittag, nach der Schule direkt hier hergebracht. Ich klär das mal mit Deinen Eltern", sprach er und verschwand in seinem Büro. Dem kleinen Raum, den ich als kleines Kind schon immer bewundert hatte, weil er statt Tapete rundum mit Bücherregalen voll war - Bücher bis unter die Decke. Mir stand ein Fragezeichen auf der Stirn. Ich bin gern bei meiner Verwandtschaft am Sassenscheid. Die Gespräche machen Spaß und die Nähe zum Wald liegt mir. Aber wie sollte mir nun ein Kurzurlaub bei meinem Latein Problem helfen?
Auch meine Cousine und mein Cousin zuckten nur mit den Schultern. Die Ahnungslosigkeit lag glaube ich nicht daran, dass mein Onkel ein durchaus weiser und studierter Mann war, sondern auch für außergewöhnliche Ideen bekannt. Als er dann zurückkam, war die Stirn weder kraus noch wurde der Kopf zur Seite gelegt, stattdessen saß ihm der Schalk sprichwörtlich im Nacken. Er setzte sich und es kam ein langes gedehntes "SOOOOOO“, meine Lieben, ich habe da folgenden Plan: Voraussetzung ist natürlich, dass alle hier am Tisch mit spielen. Auch Du meine werte Gattin." "Oh Ha", dachte ich, "was kommt denn jetzt?" "Nun wir spielen ein wenig und ich lege die Regeln fest, quasi das Drehbuch. Wer sich nicht daran hält, dem werden fürchterliche Strafen auferlegt." Die Betonung die er auf fürchterliche Strafen legte also, irgendwie wurde mir ganz unwohl. "ähnlich wie im alten Rom werde ich denjenigen, der sich nicht an die Regeln hält sprichwörtlich den Tieren zum Fraß vorwerfen", klang es aus dem Munde meines Onkels. Ja mein Onkel, er neigte doch ab und an dazu ein wenig theatralisch zu sein.
"Ich habe mir folgendes überlegt:" fuhr mein Onkel fort ohne sich an unsere Fragezeichen auf der Stirn zu stören, "wir bilden hier von Freitag, wenn die Sonne am Zenit steht bis Sonntag nach Sonnenuntergang, das alte Rom nach. Und in dieser Zeit wird von allen hier nur Lateinisch gesprochen. Niemand, spricht eine andere Sprache. Ich bin der Herrscher dieses kleinen Reiches und ihr handelt alle so, wie ich es Euch befehle".
Mein Cousin Peter grinste übers ganze Gesicht und meinte: "klar, dass Du der Caesar bist. Ändert sich ja nicht viel an der üblichen Familiensituation. Du befiehlst und wir springen." Meine Cousine, absolutes Sprachentalent strahlte und fand das einfach nur genial. Ich saß da und irgendwie war mir noch nicht ganz klar, was da eigentlich geschehen sollte. Ein ganzes Wochenende nur lateinisch redend? DAS macht doch kein Mensch. Außerdem fiel mir dann ein, dass meine Tante ja nicht ganz so firm in Latein war wie die drei anderen am Tische. Ok, mir wurde auch gleich siedend heiß bewusst, dass Sie wohl mit den wenigen Grundkenntnissen besser auf das kommende Wochenende vorbereitet war wie ich. Trotzdem warf ich ein, dass meine Tante doch gar kein Lateinunterricht gehabt habe. Und das Ganze somit nicht durchzuziehen ist.
"Papperlapapp", meinte mein Onkel nur, "Mach Dir keine Hoffnung, Sylvia, Hilla darf als Dienstmagd am Hofe des Caesaren sowieso nicht viel reden. Sie hat treu ihre Aufgaben zu erfüllen und für die kurzen Gespräche werden Ihre Sprachkenntnisse ausreichen", und mit einem Zwinkern zu meiner Tante fügte er hinzu "nicht wahr Weib?" Meine Tante antwortete nur lächelnd: "Stets zu Diensten, mein Gebieter." Ich schüttelte den Kopf. Bin ich wirklich gerne in dieser Familie? Das kann doch alles nicht wahr sein. Aber schon die Art und Weise, wie die jetzt schon auf das Spiel eingingen, indem Sie vollkommen andere Redewendungen verwendeten ließ mich nichts Gutes ahnen. Meine Cousine war total begeistert und meinte nur: "Das ist eine super Idee, Sylvia Du wirst sehen, das macht Spaß, haben wir schon mal gemacht, damit Mutter besser Englisch versteht."
Ok, Ok Englisch lass ich mir ja noch gefallen, aber Latein?
Ich konnte mich nicht so ganz mit der Idee anfreunden. Es wurde noch gemeinsam zu Abend gegessen – aber ich gestehe, an der munteren Diskussion, was man alles nächstes Wochenende machen könne, habe ich nicht wirklich tei lgenommen. Ich dachte nach, denn wir reden drei Tage nur Latein. Meine Verwandtschaft wohnt - zwar total herrlich gelegen - mitten im Wald und die nächsten Nachbarn sind nicht wirklich neben an. Man sieht zwar das Haus der Nachbarn auf dem Hügel, muss diesen aber erst mal hoch. Mit Smalltalk am Gartenzaun ist da nix. So weit, so gut. Ich musste mich auf den Deal einlassen. Was blieb mir auch als 13 Jährige anderes übrig? Diese Begeisterung, die selbst meine Tante an den Tag legte, konnte und wollte ich irgendwie nicht teilen. Und ich war froh, als mein Pa kam, um mich abzuholen. Eigentlich kann ich dort sonst nicht lange genug bleiben. Aber diesmal wollte ich doch eilends heim.
Eine Woche Schonzeit. Es ist ja noch so lang hin bis Freitag. Und ich war mir sicher, das machen die nie durchgehend von Freitag bis Sonntagabend nur Latein zureden. Oder doch? Nein - außerdem war ja sonntags immer Gemeindestunde. Wenigstens in der Zeit und Samstagsvormittag, wenn ich mit meiner Tante allein bin konnte ich Deutsch reden. Aber nicht ein komplettes Wochenende Latein, nein unmöglich. Meine Eltern nahmen mir dann jede Hoffnung. Sonntag - nein darauf konnte ich nicht zählen, war doch eine Veranstaltung außerhalb und so passte das schon ganz gut.
Meine Mutter meinte lächelnd: "Du musst Dir wirklich keine Sorgen machen, dass Du an dem Wochenende irgendeine andere Sprache sprechen musst. Nur Latein!"
Sorgen – ich?
Weil ich Deutsch oder Englisch brabbeln darf, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Nö - aber Latein? Ausgerechnet Latein?
Ok, irgendwie sagte mir mein Bauch, ich sollte noch ein wenig Vokabeln lernen. Ich tat es auch, man weiß ja nie. Und packte die Lateinbücher ein. Unsere Klassenstreberin erklärte mir noch auf der Heimfahrt an besagtem Freitag, wie sehr sie mich um diese tolle Gelegenheit beneidet.
Ich hätte gerne mit Ihr getauscht.
Mir selber war irgendwie nicht wohl bei dem Gedanken, da unten im Wald allein mit meiner lateinsprechenden Verwandtschaft das Wochenende zu verbringen. Irgendetwas sagte mir, dass die das ernst meinen und durchziehen.
Und so war es auch. Mein Vater brachte mich Freitagmittags zum Sassenscheid und ich kam mir irgendwie vollkommen allein vor.
An der Tür begrüßte mich meine Tante schon mit
"Ave Sylvia"
und als ich die Schwelle dann überschritt wusste ich, aus der Nummer kommst Du nicht raus.
Wir gingen durchs Arbeitszimmer meines Onkels in den Garten.
Ich sagte dummerweise erst mal "Hallo" und schon ertönte die Stimme meines Onkels laut und deutlich:
"Solum Latinum".
Oh was gäbe ich dafür, mich in seinem Büro dort einfach lesend 3 Tage auf dem Sofa unter der Decke zu verkriechen. Ich würde auch freiwillig mein Lateinbuch lesen.
Aber das?
Ähm, ja "Ave" kam mir immerhin noch zaghaft über die Lippen, während meine Cousine und mein Cousin auf Latein radebrechten und ich nur Bruchstücke mitbekam.
Ich beschloss für mich einfach ruhig dabei zu sein.
Irgendwie werde ich dieses Wochenende auch überstehen. Irgendwie...
Dummerweise nur, hatten die sich ja alle vorgenommen mir diese Sprache bei zu bringen und so wurde ich natürlich immer öfter auch an den Gesprächen beteiligt. In dem man mich direkt ansprach.
Der Freitag war für mich einfach schrecklich.
Stellt Euch vor, man setzt Euch mit wenigen oder fast gar keinen Sprachkenntnissen einfach in einem fremden Land aus. So kam ich mir auch vor.
Ich beschloss, die Rolle, des Sklaven zu übernehmen, der nur redete wenn er gefragt wurde und wünschte mir sehnlichst, die würden mich nicht wahrnehmen.
Und keine Fragen stellen.
Schon gar nicht auf Latein.
Abends beim Einschlafen galt meine ganze Hoffnung dem Samstagvormittag.
Mein Onkel, der Caesar, genauso führte er sich auch auf, und mein Cousin und meine Cousine mussten ja zur Schule. Ich war mir eigentlich sicher, dass meine Tante die Gelegenheit nützen würde mit mir Deutsch zu reden. Nun gut. Mit der Hoffnung schlief ich dann auch ein.
Morgens am Frühstückstisch kam noch die deutliche Ansage des Caesaren, dass auch in seiner Abwesenheit "Solum Latinum" angesagt sei.
Toll.
Und meine Tante? Die zog das durch.
Und ich?
Nun mit der Intelligentia (Einsicht), dass ich das hier wohl irgendwie überstehen muss, folgte ich Ihr in den Garten. Ein geschickter Schachzug meiner Tante.
Mit ihren Kräutern kannte sie sich aus und wusste von jedem auch den botanischen Namen, der ja in lateinischer Sprache katalogisiert wird. Zwischen Borago officinalis (Borretsch), Petroselinum crispum (Petersilie) und Levisticum officinale (Liebstöckel) wurde mir so langsam bewusst, wie effizient die ganze Geschichte war.
Ob nun meine Tante oder meine Cousine und mein Cousin, sie zogen es rigoros durch, auch wenn wir alleine waren, mit mir Latein zu sprechen.
Als wir Samstagnachmittag dann draußen unter dem Kirschbaum (verzeiht Prunus Avium) saßen, sagte mein Cousin: "Ecce, vehiculum." Ok ein Auto fuhr den Waldweg herunter. "Besuch?" dachte ich? "Eine willkommene Abwechslung"
Ja es war Besuch.
Ein befreundetes Ehepaar meiner Verwandten aus Wales. Ich freute mich riesig.
War mir Englisch doch deutlich sympathischer als Latein. Und ich kannte sie doch auch von anderen Besuchen, auch wenn ich mit ihnen englisch reden musste, nein durfte. Ich folgte also meinem Onkel zur Einfahrt und wollte gerade zur Begrüßung ausholen, da klang mir auch schon ein:
"TACET"
ins Ohr.
Klar und deutlich war die Ansage und ich hielt schon meine Klappe und ging wieder zurück zu den anderen. Als die Drei sich dann lachend dem Prunus Avium näherten ahnte ich Böses. Ja, klar – irgendetwas dämmerte bei mir, in der Erinnerung. Waren ja beide ebenfalls Lehrer und des Latinums ebenfalls mächtig.
Nun war ich nur noch halb so glücklich über den unverhofften Besuch.
Auch wenn dieser sogar bis Sonntagmittag bleiben würde.
Ihr ahnt es, es ist wirklich so, als wenn man mitten in einem fremden Land ist. Ein paar Bruchstücke der Sprache versteht man ja auch. Und wenn man diese öfter hört – bleibt ja irgendwie in den Gehirnwindungen, das Ein oder Andere hängen. Nun, war es ja so, dass ich ja schon fast sieben Monate versucht habe diese Sprache zu lernen. Ob ich wollte oder nicht, mir blieb gar nichts anderes übrig, als das Ganze anzuwenden.
Klar verstand ich vieles. Mit dem Reden, war ich anfangs zaghaft. Ich beteiligte mich dann aber mit den einfachen Floskeln. Quippe, non, fortasse (Ja, Nein Vielleicht)… Es waren die anfänglichen Antworten auf die Fragen, die mir gestellt wurden und so nach und nach fing ich tatsächlich an, nicht nur zu verstehen, sondern tatsächlich in ganzen Sätzen zu antworten.
OK, meine Sätze waren kurz.
Immer auf Nummer sicher, aber ich begann tatsächlich Latein zu sprechen.
Das was ich nie für möglich gehalten habe geschah.
Diese tote, für mich ausgestorbene Sprache wurde lebendig. Schon witzig, aber irgendwo hat es da oben Klick gemacht.
Und die Zeit bis Sonntag nach Sonnenuntergang verflog plötzlich im Nu. Als meine Eltern kamen, um mich abzuholen ging es irgendwie immer noch in Latein weiter. Und Nachhilfestunden brauchte ich nicht wirklich mehr.
Noch heute erinnere ich mich gerne an das Wochenende zurück. Auch wenn es anfangs für mich nicht wirklich nach einem tollen Zeitvertreib aussah. Ich denke ich würde heute nicht so einfach Menschen verstehen, wenn ich diese Sprache nicht kennen würde. Sind doch in vielen Sprachen Anlehnungen an diese „lebendige“ Sprache. Und so fällt es auch leicht, die Vokabel einfach auf eine andere Sprache zu übertragen.
Wir lachen heute noch oft darüber. Und irgendwie hat auch jeder seine Erinnerung daran. Mein hoffnungsvoller Blick - als der Besuch ankam, ist allen in Erinnerung geblieben.
Genauso die Enttäuschung, dass dieser ja auch der „toten“ Sprache mächtig war. Und es für mich kein Entrinnen gab.
"Non vitae, sed scholae discimus"– hatte Seneca gesagt,
ja richtig:
Non vitae, sed scholae discimus!
(also nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.)
Nicht anders herum.
Ich weiß, in der Schule wird daraus sehr häufig der Satz gemacht: non scholae, sed vitae discimus!
Und auch Eltern und Erzieher zitieren diesen gerne verkehrt herum.
Aber ist das wirklich so? Lernen wir in der Schule wirklich die Dinge, die wichtig sind, damit wir auf das Leben vorbereitet sind? Nun, das ist sicher eine andere Geschichte. Aber ich habe an dem Wochenende nicht nur endlich kapiert, dass Latein keine unsinnige Sprache ist, sondern auch eine Menge fürs Leben gelernt. Nämlich, dass es einfacher ist Dinge spielerisch zu lernen. Und man mehr Freude daran hat, wenn man einen Sinn dahinter sieht. Oder ein echtes Interesse daran hat.
Felix qui potuit rerum cognoscere causas. (Vergil) Glücklich ist, wem es gelang, den Grund der Dinge zu erkennen.
Und heute halte ich es auch mit der Grundeinstellung von Pythagoras:
Nil admirari – und wundere mich über gar nichts mehr. ;)
Texte: Sylvia Tubbesing
Bildmaterialien: Coverbild: "homeless", gif: free
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
"firma amicitia vincit horas et spatium"
Danke für Deine Zeit ;)