In einer Gesellschaft, in der wirklich alles und jeder vermarktet werden kann, fehlen die Idole, um der neuen Generation ein Ziel zu geben. Ché Guevara auf Markenklamotten und Ghandi als Actionfigur.
Von TOBIAS STADLER
„Kinder tragen einen Superman-Pyjama, Superman trägt einen Chuck-Norris-Pyjama!“, oder „Chuck Norris schläft nicht, er wartet!“, sind zwei der vielfältigen und meist ebenso schlechten Chuck-Norris-Witze, die gerade durch das Internet kursieren.
Chuck Norris ist ein alternder Schauspieler aus den USA, der für den ganzen Rummel gar nichts kann, der einfach ein unfreiwilliges Opfer der Netzkultur wurde. Für die meisten einfach eine lustige Randerscheinung, aber objektiv betrachtet ein Armutsgeständnis. Hat die heutige Jugend keine anderen Idole?
Wenn Ché Guevara von jedem zweiten T-Shirt herunterblickt und von Leuten vor der Brust getragen wird, die gerade mal wissen, wie der Typ heißt, stellt sich die Frage nach dem Sinn und der Botschaft solcher Shirts. Früher trug man sie als junger, linker Revoluzzer und wusste wenigstens die Grundzüge seines Wirkens, man wusste, warum man ihn trug. Heute ist er Symbol der Pop-Kultur und wird von ausgebeuteten Taiwanesen auf ihren ärmlichen Marktständen verkauft. „My greatest goal as a socialist revolutionary was my face printed on the t-shirts of rich, white kids!“, ist ein Ausspruch, den der Revolutionsführer zwar selbst nie getätigt haben wird, die Lage aber ganz gut beschreibt. Die Industrie ist nicht auf den Zug „Revolution“ aufgesprungen. Nein, der Revolution wurde eine überteuerte Fahrkarte für den Zug „Industrie“ verkauft.
Ein weiteres gutes Beispiel sind die Palästinenser-Tücher, die man heute als nettes Accessoire zum wilden Look mit den abgeflachten, rosa Nieten am Slipknot-Rucksack trägt. Warum beachtet fast niemand, der solche Tücher trägt, dass man das ursprünglich als Zeichen der Sympathie zum unterdrückten Volk der Palästinenser trug? Warum weiß niemand, dass Yasser Arafat solche Tücher trug, zum Beispiel als er, mit dem Pistolengürtel umgeschnallt, vor der UNO Generalversammlung sprach? Ist es egal, dass Selbstmordattentäter in Israel solche Tücher auch tragen?
Würde ich heute mit einem solchen Tuch demonstrativ durch die Straßen von Jerusalem gehen, könnte ich doch gleich mit der SS-Uniform im Stechschritt durch Berlin marschieren...
Wieder hat ein Konzern die glorreiche Idee gehabt, etwas, das eigentlich „gegen das System“ ist, zu vermarkten. Was kommt als nächstes? Verwestlichte buddhistische Mönchskutten, die ein Symbol der Sympathie für die coolen revolutionären Mönche in Burma? (Oder Myanmar, wenn man den Anordnungen des herrschenden Militärregimes folgt...)
Bestimmt liegt schon ein Entwurf auf irgendwelchen Planugstischen.
Doch wohin soll man sich wenden, wenn man ein ideologisches Vorbild will? An Musiker? Kurt Cobain mag zwar vielleicht von einem guten Musikgeschmack zeugen, aber ist wieder nur ein Ausverkaufs-Symbol: Ein Musiker, der im Drogenrausch seine Seele an die Musikindustrie verkaufte und nach einem wirklich guten Undergroud-Grunge Album (Bleach) ein gut vermarktbares Kommerzprodukt (Nevermind) hinkotzte ist doch kein wirkliches Idol. Er hat in seinen Texten zwar alles und jeden beschimpft, aber getan hat er sonst auch nichts.
Man kann der Band zwar zu Gute halten, dass sie mit ihrem letzten Album zwar wieder von der Pop-Grunge-Welle runter sind, aber das Album ging in seinem Selbstmord unter. Der ließ sich allerdings wiederum sehr gut vermarkten...
Auch kein Ausweg: Es fehlt die Bewegung, die die heutige Jugend aufweckt und mobilisiert. Chuck Norris ist das beste Beispiel für diese verkorkste Internetkultur: Man schafft sich ein Vorbild, weil man keines hat, und macht sich gleichzeitig darüber lustig, weil man keine Farbe bekennen will, möglichst nirgends eine Meinung haben, die man verteidigen müsste. Was bleibt ist ein fader Geschmack im Mund und kein Ausweg aus der Situation. Es sei denn man wird sein eigenes Vorbild.
Tag der Veröffentlichung: 05.06.2008
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