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Anfang vom Ende

© Mia Grieg 2016

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Anfang vom Ende

Immer wieder blicke ich auf die Uhr. Draußen ist es längst dunkel geworden. In den Fensterscheiben spiegelt sich das Flackern der Kerzen. Frustriert blase ich die Flammen aus und räume die Rosenblätter vom Tisch. Die Idee mit dem festlich gedeckten Tisch war sowieso bescheuert. Viel zu kitschig, mein Freund steht nicht auf so etwas. Ich beiße mir auf die Zunge, um die Tränen zu unterdrücken, die gegen meine Augenlider drücken. Ich will nicht heulen.

Der Appetit ist mir vergangen. Einen Moment bin ich versucht, das Essen komplett in den Mülleimer zu schmeißen, obwohl es mich Stunden gekostet hat, es zu kochen. Ich bin extra zu dem Hofladen gefahren, in dem Frau Schreiber, die Haushälterin meiner Eltern, immer einkauft, weil Gemüse und Eier direkt vom Bauern einfach besser schmecken als aus dem Discounter, in dem mein Freund meist einkaufen geht. Stattdessen verpacke ich die gefüllten Maispoularden und das Gemüse in Frischhaltedosen und stelle sie in den Kühlschrank. Beim Kampf mit der Frischhaltefolie spüre ich die ersten Tränen, die meine Wange entlangrinnen. Ich bin so ein Weichei. Kein Wunder, dass Mirko den Abend lieber mit seinen Kumpels verbringt als mit mir. Solange es nur Kumpel sind, kann ich noch hoffen, dass er zu mir zurückkommt. So ein Quatsch. Mirko kann jeden Kerl haben, den er will, warum also sollte er ausgerechnet mit einem Krüppel zusammen sein wollen? Nachdem ich endlich die durchsichtige Folie zum Abdecken des selbstgemachten Mousse au Chocolat über der Schüssel  festgezurrt und die Creme weggestellt habe, lösche ich das Licht und gehe ins Bett.

 Mechanisch löse ich die Prothesen und stelle meine Beine neben den Nachttisch. Meinem Freund zuliebe behalte ich sie inzwischen meist auch zu Hause an. Mirko beteuert zwar immer wieder, dass es ihm nichts ausmacht, wenn ich daheim auf dem Boden umherrutsche, aber ich glaube ihm nicht. Nicht mehr, denn in den letzten Monaten hat er sich verändert. Er fühlt sich nicht mehr wohl mit mir, das spüre ich doch. Immer seltener kommt er pünktlich nach Hause und wenn wir miteinander schlafen, ist er nicht richtig bei der Sache. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass es vielleicht vorbei ist. Ich liebe ihn, doch gerade deshalb werde ich ihn nicht festhalten, wenn er von mir weg will.

Mein Versuch zu schlafen scheitert kläglich. Ich liege wach im Bett und starre an die Decke. Der Wind bewegt die Baumkrone vor dem Fenster und lässt den Schatten tanzen. Ich lausche auf die Geräusche der Straße. Wir wohnen in einer verkehrsberuhigten Zone, aber je nach Windrichtung hören wir sowohl die Züge von der Bahnstrecke in der Nähe als auch die Autos von der benachbarten Hauptstraße. Nach all den Jahren in der vornehmen Villengegend, in der ich mit meiner Familie gelebt habe, ist es schon eine Umgewöhnung, mitten in Stadt zu wohnen. Der Lärm und die fehlenden Jalousien vor den Fenstern, die das Zimmer auch nachts taghell erleuchten, weil direkt vor dem Eingang eine Straßenlaterne steht, sind Dinge, an die ich nicht gewöhnt bin. Nur mit Mirko an meiner Seite kann ich gut schlafen. Vielleicht muss ich mich nun bald daran gewöhnen, wieder allein zu sein. Dabei habe ich mich so gefreut, dass wir endlich zusammen wohnen können.

Es ist nach Mitternacht, als ich das bekannte Knattern des Motorrollers höre. Mein Freund schließt die Wohnungstür auf und wirft seinen Schlüssel auf die Kommode im Flur. Ich lausche seinem Weg durch die Wohnung. Wenig später drückt er die Klinke zum Schlafzimmer hinunter. Ich schließe die Augen und atme ruhig und gleichmäßig. Mirko schließt leise die Tür. Er dreht sich um und betrachtet mich. Ich spüre seinen Blick auf mir, auch wenn ich ihn nicht sehe. Ein Kribbeln zieht über meinen Körper und für einen winzigen Augenblick glaube ich, dass alles wieder gut wird. Ich will ihn in meine Arme ziehen und mich an ihn kuscheln, ihn küssen und mit ihm schlafen. Ich öffne die Augen einen Spalt, als sein Blick auf der Bettdecke verweilt, genau dort, wo meine Beine enden. Es tut weh zu sehen, dass ich recht habe. Zum Glück löst er den Blick und geht um das Bett herum auf seine Seite. Er zieht sich leise aus und legt sich hin. Es fällt mir schwer, weiter zu tun, als ob ich schlafe, zumal die Tränen wieder ungehindert fließen und mein Kissen schon ganz nass ist.

Bevor er sich zum Schlafen umdreht, presst Mirko einen zarten Kuss in meinen Nacken. „Schlaf gut“, flüstert er leise. Warum tut er das? Ich brauche meine Konzentration, um weiter ruhig zu atmen. Zum Glück ist Mirko ein Mensch, der sehr schnell einschlummert. Kurz darauf höre ich schon das leichte Schnarchen, das beweist, dass mein Freund eingeschlafen ist. Vorsichtig drehe ich mich um und rutsche ein wenig näher an ihn heran. Mirko riecht nach billigem Fett und Alkohol. Keine Ahnung, in welcher Kaschemme er sich herumgetrieben hat. Das ist nun schon das vierte Mal allein in der letzten Woche, dass er spät kommt und erbärmlich riecht. Ob er doch einen anderen hat? Warum redet er nicht mit mir?

 

Das Klingeln des Weckers holt mich unsanft aus einem wunderschönen Traum. Ungern  löse ich mich aus der Umarmung meines Freundes und schlage auf die Snooze-Taste. Vielleicht gelingt es mir, wenigstens noch zehn Minuten der Wirklichkeit zu entfliehen.

„‘n Morgen“, nuschelt Mirko neben mir. „Wie spät ist es denn?“

„Kurz nach sechs Uhr“, antworte ich schläfrig. „Ich muss bald los. Meine Schicht im Krankenhaus beginnt in einer Stunde.“

„Noch ein paar Minuten“, bettelt Mirko. Er rutscht an mich heran und küsst mich zärtlich. In diesen Momenten ist es wieder wie früher, als meine Welt noch voller Geigen hing. Die Finger meines Freundes wandern unter die Decke und streichen über meine Haut. Mein Körper reagiert sofort. Egal wie groß meine Zweifel an unserer Beziehung manchmal sind, so kann ich den Berührungen meines Freundes einfach nicht widerstehen. Ich liebe ihn und bin süchtig nach seinen Streicheleinheiten. „… nur ein paar Minuten…“ Eine feuchte Zunge wandert meine Ohrmuschel entlang und stupst hinein. Mirko saugt mein Ohrläppchen in seinen Mund, während Fingerspitzen ohne Zögern meine Schenkel entlangfahren, den Bund der Shorts hineinfahren und Finger sich um meine wachsende Erregung schließen. Ich bin Wachs in seinen Händen. Mein Atem beschleunigt sich und ich recke mich ihm entgegen. „Es tut mir leid, dass ich gestern so spät nach Hause gekommen bin, Eric. Du hast extra gekocht und ich bin mal wieder nicht dagewesen. Sorry.“

Ein paar harmlose Worte, die wie eine kalte Dusche auf mich wirken. Keine Ahnung warum, aber mit einem Mal verschwindet meine Lust schlagartig. Obwohl es mir schwerfällt, streife ich Mirkos Finger von mir und rolle mich aus dem Bett. Auf den Händen gehe ich ins Bad und mache mich fertig für meine Schicht. Die Worte meines Freundes hallen in meinem Kopf nach. Mirko hat nichts Schlimmes gesagt. Er hat sich sogar entschuldigt und doch hat es in mir etwas ausgelöst, das ich nicht erklären kann.

Als ich ins Zimmer zurückkehre, ist das Bett leer. Aus der Küche höre ich das Klappern von Geschirr und das Surren der Kaffeemaschine. Eigentlich habe ich keine Zeit mehr zum Frühstücken, aber ich weiß, dass Mirkos Aktion auch eine weitere Art seiner Entschuldigung ist. Irgendwie ist das süß und vielleicht ist es doch noch nicht zu spät für uns.

Ich schnalle die Prothesen an und schlüpfe in meine Hose. Gerade als ich das Hemd über den Kopf ziehe, weht ein köstlicher Duft in meine Nase.

„Mit warmer, aufgeschäumter Milch und ein bisschen Zucker“, sagt Mirko, indem er mir einen dampfenden Becher entgegenhält. „Ich habe dir noch deinen Reisebecher gefüllt und ein paar Brote geschmiert. Sicherlich nimmst du dir doch keine Zeit mehr zum Essen.“

Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass mir keine Zeit bleibt, wenn ich rechtzeitig im Krankenhaus sein will. Der Weg vom Parkplatz bis zu meiner Station ist lang und ich brauche noch Zeit zum Umziehen. Die Stationsschwester ist streng und kann Unpünktlichkeit nicht ausstehen. An ihr vorbeizukommen, ohne bemerkt zu werden, ist beinahe unmöglich. Ich bin froh, dass ich diese Stelle für mein praktisches Jahr bekommen habe. Die Anzahl der Bewerbungen ist jedes Semester riesig und viele Kommilitonen gehen leer aus oder müssen an ein kleines Krankenhaus. Der Name meines Vaters hat mir sicher geholfen bei der Auswahl, aber er ist auch eine Verpflichtung. Wenn ich mich nicht bewähre, fällt das auch auf ihn zurück. Bei der Arbeit selbst zählen weder der Holtmaier- noch der Behindertenbonus. Aber das will ich auch nicht. Ich will beweisen, dass ich ein guter Arzt bin.

„Ich muss los, wenn ich pünktlich sein will“, entgegne ich bedauernd. Unsere Finger berühren sich kurz, als ich den Becher in die Hand nehme. Der kleine Stromstoß, der durch meinen Körper fährt und ein Kribbeln hervorruft, zeigt mir deutlich, wie meine Gefühle noch immer sind für den Mann neben mir. „Danke“, sage ich leise und stehle mir einen Kuss von meinem Freund, der mit dem verwuschelten Haarschopf und dem noch müden Blick einfach zum Anbeißen aussieht. „Ich habe um 19 Uhr Schluss und morgen frei. Wollte endlich mal wieder beim Training vorbeischauen. Danach können wir

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Mia Grieg
Bildmaterialien: de.123.rf.com / Covergestaltung: Caro Sodar
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4791-3

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