© Mia Grieg 2015
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Dicke Regentropfen prasseln gegen die Scheibe. Der Himmel ist so grau wie meine Stimmung. Mein Handy läutet erneut. Der lächerlich fröhliche Klingelton nervt mich noch mehr als das Klingeln selbst, aber mir fehlt die Energie, ihn zu ändern. Warum stelle ich das verdammte Teil nicht auf lautlos oder schalte es aus, damit es mich nicht mehr ärgert?
Die Gedanken in meinem Kopf drehen sich seit Tagen nur um ein einziges Thema. Seit dem Moment, als ein einziger Satz den Traum meines Lebens wie eine Seifenblase zerplatzen ließ. „Du wirst nie mehr Basketball spielen können.“ Immer wieder höre ich die Worte des Arztes und versuche sie zu verstehen. Es gelingt mir nicht. Seit ich als Kind angefangen habe, Basketball im Verein zu spielen, war es mein Traum, ein berühmter Spieler zu werden, der es bis in die NBA schafft. Die amerikanische Profiliga ist das Höchste, was ein Sportler erreichen kann, wenn man von Titeln bei Welt- und Europameisterschaften oder Olympischen Spielen absieht. Doch hierfür braucht man nicht nur einen guten Spieler, man braucht eine Mannschaft. Nur wenige deutsche Spieler haben es bis in die internationale Spitze gebracht und die Chance erhalten, in den USA zu spielen. Ich hatte dieses Ziel und nichts schien mich aufhalten zu können. Zwei Jahre spiele ich schon erfolgreich in der Bundesliga und ich weiß, dass ich eine gute Möglichkeit habe, den Weg über den großen Teich zu schaffen. Hatte … ich hatte die Chance, denn seit drei Tagen hat meine Welt aufgehört, sich zu drehen.
Ein Donnergrollen schreckt mich aus meinem Schlummer, gefolgt von einem grellen Blitz. In meinem Wohnzimmer ist es dunkel, obwohl erst früher Nachmittag ist. Schwerfällig setze ich mich auf. Wie auf Bestellung klingelt das Handy schon wieder. Nach kurzer Zeit springt die Voicemail an. Als das Gerät endlich ruhig ist, nehme ich es in die Hand. Acht verpasste Anrufe und ebenso viele Nachrichten. Lustlos scrolle ich durch die Anrufliste. Meine Mutter, mein Bruder, der Trainer und fünf Mal eine unbekannte Nummer. Ich kann mir denken, wer sich dahinter verbirgt. Der Doc hatte gleich nach seiner Äußerung, die mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat, einen guten Rat für mich. Doch ich habe nicht zugehört. Die einzigen Worte, die immer wieder durch meinen Kopf liefen waren: nie mehr … nie mehr … nie mehr…
Ich hole mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und lasse mich wieder aufs Sofa fallen. Beim Laufen achte ich nicht mehr auf das Humpeln, das ich so lange versucht habe zu verbergen. Wenn ich eh nie wieder spielen werde, ist das auch egal. Der Alkohol betäubt den Schmerz … im Knie und in meinem Herzen.
Ein schrilles Klingeln an der Tür durchbricht mein erneutes Schwelgen im Selbstmitleid. Ich ignoriere es, doch kurz darauf folgt ein stürmisches Klopfen.
„Mach auf, Mirko! Ich weiß, dass du da bist.“ Die Stimme meines Bruders dringt durch das Holz und den langen Flur bis zu mir. Die Schläge werden energischer und härter. Ich kenne Ben. Wenn er in diesem Zustand ist, wird er nicht aufgeben. „Mirko, verdammt … komm her oder ich trete die Tür ein!“
Dummerweise befürchte ich, dass dies keine leere Drohung ist. Wobei es auch wesentlich weniger rabiat ginge, schließlich hat er auch einen Schlüssel. Notgedrungen erhebe ich mich und gehe zur Tür. Als ich die Klinke hinabdrücke, fliegt die Tür mir entgegen und ich blicke in das wütende Gesicht meines kleinen Bruders. Klein in mehrfacher Hinsicht. Ben ist drei Jahre jünger und ein gutes Stück kleiner als ich. In all den Jahren, die ich dem Sport allein gewidmet habe, ist mein Bruder mein Vertrauter gewesen. Die wenigen Freunde, die ich hatte, habe ich vergrault, weil ich nie Zeit für sie hatte. Mein kleiner Bruder hat sich nicht wegschicken lassen. Er klebte wie eine Klette an mir, bewundernd und immer mein größter Fan.
„Mirko…“ Ben stürmt hinein und zieht mich in eine stürmische Umarmung, bevor er sich von mir löst und mich aufmerksam mustert. „Du siehst scheiße aus“, bemerkt er trocken. „Deine Bude stinkt und du wirkst wie ein Penner, der seit Ewigkeiten kein Wasser mehr gesehen hat.“
Danke für die Blumen. Ich denke mir meinen Teil und trotte stumm zurück zur Couch. Als ich zur Flasche greife, um einen weiteren Schluck zu nehmen, wird sie mir entrissen.
„Bist du bescheuert?“ Ben baut sich in seiner vollen Größe vor mir auf. „Mirko Schütze, du bist ein Idiot, ein Waschlappen, der sich hier im Dunkeln verkriecht, statt den neuen Weg zu gehen, der sich auftut, wenn ein alter sich schließt. Hast du mir das nicht immer gesagt? Wenn ich mal wieder aufgeben wollte und zu wenig Ausdauer hatte, hast du mich angetrieben und mir geraten, auf eine andere Art und Weise zu versuchen, mein Ziel zu erreichen. Jetzt liegst du Jammerlappen hier rum und bemitleidest dich selbst. Verdammt, Bruderherz, ich weiß, dass du nicht mehr spielen kannst. Aber die Welt dreht sich weiter und du bist ein helles Köpfchen, das bestimmt eine andere Aufgabe finden wird, die dich erfüllt.“ Das wütende Glitzern in Bens Augen erinnert mich an mich selbst. Im Moment sieht der Blick meiner Augen sicher so stumpf aus, wie ich mich fühle. Er zeigt mit dem Finger auf mich und dann in Richtung der Zimmertür. „Du gehst jetzt duschen und ziehst dich um. Wir haben noch etwas vor.“
„Haben wir das?“ Zum ersten Mal erhebe ich meine Stimme. Es ist mehr ein leises Krächzen als die Stimme, die ich kenne. „Du vielleicht, ich nicht.“
Der Versuch, mich dumm zu stellen, misslingt. Anscheinend weiß Ben, was auf dem Zettel steht, den der Doc, unser Vereinsarzt, mir bei dem Besuch in die Hand gedrückt hat. Ich habe ihn nach dem Lesen zerknüllt und in den Müll geworfen, doch ich kann mich noch an jedes Wort erinnern, das er zur Begleitung gesagt hat.
„Doch, genau du, Brüderchen. Der große Mirko Schütze, ein grandioser Basketballspieler, wird genau das tun, was er am besten kann, Basketball spielen. Du machst dich jetzt menschlich und dann bringe ich dich zum Training. Dein neues Team wartet schon auf dich.“
Mein neues Team … dass ich nicht lache. Eine Truppe von Krüppeln, die ein bisschen Bewegungstherapie macht. Was habe ich damit zu tun? Ach so, ich habe vergessen, dass ich nun auch zu den Krüppeln gehöre. Zwar stehe ich noch auf beiden Beinen, aber mehr als gemütliches Humpeln ist nicht mehr drin.
Ben zerrt mich nach oben und schiebt mich ins Badezimmer. „Duschen … Zähne putzen … anziehen…“
Ich gebe den Widerstand auf und folge seinen Anweisungen. Der Anblick meines fahlen Gesichts im Spiegel erschreckt mich selbst. Ich sehe aus, wie ich mich fühle. Bevor ich mich ausziehe, schütte ich mir mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Es erfrischt und der Nebel in meinem Gehirn lichtet sich ein wenig. Mein Bruder hat recht. Das Selbstmitleid, in dem ich mich gesuhlt habe, muss ein Ende haben. Mein Leben geht weiter und es liegt an mir allein, das Beste daraus zu machen.
Mit geschlossenen Augen lasse ich das warme Wasser über meinen Körper laufen. Ich versuche mir vorzustellen, endlich wieder einen Basketball in der Hand zu haben. In den letzten Wochen habe ich alles getan, was in meinen Möglichkeiten lag, um wieder gesund zu werden. Das erste Training mit dem Ball war der Traum, der mich angetrieben hat, wenn ich mich Stunde um Stunde in der Therapie gequält habe. Es war alles umsonst, aber es hilft niemandem, wenn ich mich verkrieche und den Rest meines Lebens als Einsiedler lebe.
„Bist du fertig? Wir müssen bald los und ich bin mir ziemlich sicher, dass du ewig nichts mehr gegessen hast. Stimmt’s? Flüssignahrung mag für Babys gut sein, aber das, was du in dich hineingeschüttet hast, war keine Muttermilch. Ich habe dir ein Brot gemacht. Das kannst du auf dem Weg essen. Sonst hältst du das Training nicht durch. Dein Doc hat mir versichert, dass es anstrengend für dich wird. Also los jetzt!“
Auf meinem Bett liegen frische Klamotten und die gepackte Sporttasche steht daneben, die gleiche Tasche, mit der ich früher jeden Tag zum Training gegangen bin. Langsam kleide ich mich an und folge meinem Bruder mit der Tasche über der Schulter. Vielleicht ist es doch gar nicht so schlecht, dem Ganzen eine Chance zu geben.
Während der Fahrt quasselt Ben ununterbrochen. Ich weiß seine Mühe mich abzulenken zu schätzen, obwohl die Worte an mir abprallen, ohne dass ich sie überhaupt wahrnehme. Die Lichter der Stadt rasen an mir vorbei. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir schon gefahren sind. Der Regen ist schwächer geworden. Lustlos knabbere ich auf dem Brot herum, das Ben mir aufgedrängt hat. Dabei hat sich mein Bruder Mühe gegeben und mir mein Lieblingssandwich gemacht. Ich wusste gar nicht, dass ich überhaupt noch etwas Leckeres im Kühlschrank habe.
Als der Wagen hält, nehme ich zum ersten Mal die Umgebung wahr. Meine Halle. Verdammt, das ist meine Halle. Hier habe ich endlose Stunden trainiert. Jetzt sammeln sich gerade einige Rollstühle vor der Eingangstür. Ich sehe sie und versuche mir vorzustellen, selbst in einem solchen Ding zu sitzen. Jede Sekunde, die ich nach der Operation in einem solchen Teil sitzen musste, habe ich gehasst wie die Pest, aber ich war mir immer sicher, dass es nur vorübergehend sein wird.
„Nun komm schon, Mirko. Ich habe vorhin mit Eric, deinem Trainer gesprochen. Der ist ein netter Kerl und wartet auf dich.“
Ein Kerl, der auf mich wartet. Die Wortwahl meines Bruders lässt mich zum ersten Mal seit einer langen Zeit schmunzeln.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Mia Grieg
Bildmaterialien: de.123rtf / Covergestaltung: Caro Sodar
Lektorat: Korrektorat: Natalie Wolfsberger
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0354-4
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