Cover

Prolog



Ruhig wie immer ging ich in mein Zimmer. Mama würde wieder nichts bemerken, wie bei den letzten malen auch nicht. Ich hatte es bestimmt schon vier, fünf mal gemacht. Genau wusste ich es nicht mehr, ich bin ja noch jung und da vergisst man solche Sachen. Mama durfte aber wirklich nichts merken, sonst bekomme ich kein neues und ich brauche ein neues, wenn das alte weg ist.
Ich hatte schon früh meine Kälte bemerkt. Meine Gefühle sind wie auf Eis gelegt. Ich empfinde Freude, wenn ich andere beim Leiden zusehe. Manchmal oder eigentlich immer treibe ich es zu weit und ich brauche ein neues Opfer. Ich schloss die Tür hinter mir ab, damit auch niemand reinkam. Das Quieken von meinem Bett ließ mich grinsen, ein Grinsen, wie es immer bei den Mördern in Filmen gezeigt wird.
„Es wird Zeit, Sparki. Du hast schon lange genug gelebt“, sagte ich eher zu mir, als zu dem Tier. Er kam auf mich zu und wollte an meinem Hosenbein hochklettern, doch ich trat auf ihn drauf. Ich spürte jedes mal, wie sich meine Augen verändern müssten, aber sehen konnte ich es nicht. Ich – der perfekte Killer. Meine zahme Ratte war nun tot. Wie die anderen Tiere vor ihr auch. Und es wurde immer brutaler. Gefühllos hob ich den noch warmen Körper vom Boden auf. Mir reichte es nicht mehr sie nur sterben zu sehen. Ich wollte mehr. Ich wollte sie aufschneiden, in sie rein gucken, sie auseinandernehmen. Es wäre aber noch reizender es zu tun, wenn das Tier noch lebte. Ich wollte es richtig leiden sehen. Vielleicht hatte ich ja zufällig eine Schere oder so etwas rum liegen.
„So, da haben wir so doch!“ Froh über meinen Fund lächelte ich den schon schlaffen kühlen Körper meiner Ratte an. Eigentlich wollte ich den Tieren nie Namen geben, tat es aber dann meiner Mama zu liebe oder eher gesagt weil sie mich gezwungen hatte. Ich setzte die Schere an und schnitt den Körper vom Kopf an auf. Das rote Blut, das langsam an Wärme verlor lief mir über die Finger und tropfte auf meinen Teppichboden, wo ein feuchter Fleck entstand. Also, das war ja mal total langweilig! Beschissenes totes Vieh! Ich brauche etwas neues. Aber zuerst muss ich das hier los werden. Ein paar Taschentücher, ein alter Schuhkarton und fertig. Ist nur noch der Fleck auf dem Boden. Ach, das kriege ich schon hin! Erst einmal ein T-Shirt drauf und dann kümmre ich mich Morgen darum.
„Samu, es ist halb neun! Du weißt, was das heißt!“, schrie meine Mama vom Wohnzimmer aus. Das ist der einzige Nachteil am klein sein, man muss schlafen gehen ohne müde zu sein.

Ein nicht ganz normaler Tag



Ich legte das Skalpell beiseite, das ich gerade abgewischt hatte. Es war eindeutig nichts schlimmes. Oder ich bildete mir nur ein, dass mein Arm nicht abgefallen war. Wieso musste mir auch die Kugel mitten in den Arm fliegen und nicht mehr raus fallen? Zum Glück hatte ich die Blutvergiftung noch früh genug bemerkt und dieses dumme Geschoss entfernt. Wer weiß, was hätte passieren können. Normale Menschen wären einfach zu einem Arzt gegangen, aber ich war nicht normal und dann erkläre einem Arzt mal wieso man eine Kugel im Arm stecken hat.
„Meine Schuld wars ja nicht. Die haben mich gestört und mussten natürlich sofort schießen“, erklärte ich meinem Hund, der mich beobachtete. Ich hatte aufgehört den Tieren Namen zu geben, nachdem meine Mutter gestorben war. Traurigkeit oder andere Gefühle hatte ich nicht empfunden – wie immer. Der Hund bellte einmal und verschwand dann aus dem Zimmer. Er war eigentlich das einzige Lebewesen mit dem ich Kontakt hatte. Würde ich mit anderen Menschen zusammen sein, würde ich es irgendwann nicht mehr aushalten und sie alle einfach töten. Ja, das war meine Masche. Ich kille einfach irgendwelche Lebewesen, sei es Tier oder Mensch. Bei Pflanzen hatte es keinen Reiz, da sie sich nicht wehrten oder ähnliches.
„Gestern wurde der unbekannte Mann wieder gesehen. Sein Opfer war diesmal eine einfache Straßentaube. Wie die Einwohner von Stockholm ihn liebevoll den 'Killer“ nannten, auch wenn es bis jetzt nur Tiere waren. Jedes mal werden seine Taten außergewöhnlicher und wer weiß wie lange er sich noch mit Tieren zufriedengeben wird?“
Die Nachrichtenfrau durfte sich ja nicht ihre Themen aussuchen, aber ist Stockholm wirklich so arm dran, dass sie schon von jemandem berichten müssen der eine Taube umgebracht hat? Und Zufälligerweise war ich dieser 'Killer'. Aber wieso müssen die Polizisten sofort auf einen schießen? Die fühlen sich doch nur ach so cool mit ihren Pistolen.
„Ja, wenn die von mir berichten bist du sofort wieder da. Komm lass uns raus gehen.“

Der Hund war der einzige Grund für mich vor die Tür zu gehen, ich wollte ja nicht in seiner Scheiße leben. Dennoch tat mir die frische Luft auch gut. Nachts oder bei Dämmerung ging ich gelegentlich mal durch die Straßen, wenn ich einige Bedürfnisse stillen musste, die aber etwas anders als bei normalen Leuten waren.
Freundlich lächelten mich die Frauen an, wenn ich an ihnen vorbeilief. Aus Höflichkeit zwang ich mir auch ein Lächeln ab, das die Frauen noch mehr zum Lächeln brachte. Vielleicht fanden die mich einfach anziehend. Meine Mutter hatte einmal gemeint, dass alle auf meine von Natur aus weißblonden Haare und auf meine dunklen blauen, stahlgraue – ich konnte die Farbe nicht beschreiben - Augen fliegen würden. Wahrscheinlich sahen sie alle Wärme in meinen Augen, die da absolut nicht vorhanden war.
„Oh, Entschuldigung! Ich sollte besser auf meinen Hund achten“, sagte ich mit vorgetäuschtem Schamgefühl. Wieso sollte ich mich davor schämen, dass mein Hund einen Typen mit einer Bratwurst anspringt? Der provoziert den Hund sogar.
„Ach, das ist nicht so schlimm. Aber nächstes mal sollten Sie wirklich besser aufpassen.“ Die Frau neben dem Mann boxte ihm an die Schulter.
„Sie nicht so unhöflich! Und der Hund ist doch voll süß!“, zischte sie ihm zu, sie waren wohl ein Paar. „Darf ich ihn streicheln?“, fragte die Frau mich nun.
„Ja, klar!“ Ich war schon mit diesem kleinem Gespräch überfordert. Ich wusste nicht, was ich antworten oder wie ich auf die Personen reagieren sollte. Alles kam bei mir gleich kühl raus.
„Wie heißt er denn?“, fing die Frau wieder an mich auszuquetschen. Wenn er denn einen Namen hätte, würde ich ihn auch sagen. Das Problem war aber, dass er keinen hatte.
„Er hat keinen.“
„Wieso das denn?“, mischte sich der Mann mit einem gereiztem Unterton wieder ein.
„Ich pfeife nach ihm oder rufe ganz normal nach ihm und er kommt auch immer. Wieso sollte ich ihm dann auch noch beibringen auf einen Namen zu hören?“ Der Mann zuckte mit den Schultern und drehte sich wieder zu seiner Freundin.
„Wir sollten langsam mal gehen“, drängte er sie. Es war ihm nur unangenehm, dass seine Freundin mich zu mögen schien. Die Frau sah ihn nur entgeistert an und streichelte den Hund wieder.
„Was hast du denn noch vor, dass wir uns nicht noch ein bisschen unterhalten können oder bist du eifersüchtig auf den Hund?“, neckte sie ihn. Für sie schien es ganz normal zu sein sich zu ärgern. Die menschlichen Gefühle waren schon kompliziert.
„Nein, das nicht, aber...“
„Nichts aber, Eric! Guck dir doch mal diese Augen an!“, spielte sie wieder auf den Hund an. Ja, der Hund hatte schon faszinierende Augen. Um wieder auf die Frauen im Allgemeinem zurück zu kommen: Erst verlieben sie sich in meine Augen und dann in die des Hundes.
„Wie heißen Sie?“, redete die Frau mich wieder an.
„Samu. Und Sie?“, fragte ich nur aus reiner Höflichkeit zurück und sah ihr dabei direkt in die Augen.
„Charlie und das ist Eric“, stellte sie auch sofort ihren Freund vor, der es von allein wohl nicht getan hätte.
„Schön euch kennenzulernen“, gab ich beiden mit einem aufgesetztem Lächeln die Hand.

„Und was machst du so im Berufsmäßigem?“, hatte Charlies Ausfrage-Runde noch nicht geendet. Wir sind noch gemeinsam in ein Café gegangen und hatten jetzt alle ein Wasser vor uns stehen. Eigentlich war mein Tag nicht so geplant gewesen, aber egal. Ich mied jeglichen Kontakt nur, weil wenn es zu viel gab könnte das ein nicht so schönes Ende bedeuten. Im Moment war aber alles noch in geregelter Ordnung.
„Nichts.“
„Wieso das denn?“, sagte dieser Eric zur Abwechslung mal etwas. Ich zuckte nur mit den Schultern, sie mussten ja nicht alles über mich wissen und lügen wollte ich eigentlich auch nicht.
„Was macht ihr denn?“ Ich fragte immer zwei Personen, doch nur eine antwortete immer. Dieser Eric kam mir etwas misstrauisch rüber. Er ist bis jetzt der einzige, der wohl nicht auf meine Fassade reinfällt.
„Ich bin Tänzerin. Meistens tanze ich Standard, deswegen wird auch nicht so ein Rummel über mich gemacht. Aber denke jetzt nicht, dass ich eine langweilige Oma bin!“ Jetzt versuchte sie auch noch witzig zu sein.
„Nein, das tue ich ganz sicher nicht“, kommentierte ich das mit einem lachen. Erwartungsvoll und mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich zu Eric rüber, der mich nur finster anblickte.
„Jetzt tu doch nicht so unwissend! Als ob es hier jemanden geben würde, der mich nicht kennt!“
„Und eingebildet bist du auch nicht und stell dir vor, diese Personen gibt es wirklich!“
„Eric!“, zischte Charlie ihren Freund an. Dieser hob abwehrend die Hände.
„Charlie, jetzt sag nicht, dass es in Schweden jemanden gibt, der noch nicht von mir gehört hat!“
„Es gibt genug Erics hier. Ich kenne deinen Nachnamen nicht und ich bin nicht so versessen darauf, zu wissen wie jeder Kerl, der hier rum läuft, aussieht. Also, könntest du mir vielleicht sagen, was du jetzt hast?“
„Ich bin Sänger“, grummelte er genervt.
„So, was war daran denn so schwer?“
„Nichts!“, zischte er mich an. Er mochte mich eindeutig nicht. Aber seine Freundin war ganz nett. Sie sah auch ganz hübsch aus, aber ich werde die beiden wahrscheinlich nie wiedersehen.
„Sei doch ein bisschen netter zu ihm“, meckerte Charlie ihn an.
„Er ist aber auch nicht gerade nett zu mir!“
„Wie soll er denn nett sein, wenn du so ekelig zu ihm bist?“ Ich schaltete bei ihrem kleinen Streit ab und musste in mich hinein grinsen. Ich konnte andere auf die Palme bringen, ohne es absichtlich zu wollen – das ist witzig! Nach einiger Zeit holte mich Charlie aus meinen Gedanken und wollte sich verabschieden, da sie ihren Freund zu peinlich fand.
„Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder“, rief sie mir noch hinterher.
„Vielleicht aber auch nicht...“, sprach ich meine Gedanken aus, die die beiden zum Glück nicht mehr hören konnten, da sie schon zu weit weg waren.

Wenn Vorsätze nicht mehr zählen



Aufgebracht schlug ich wieder auf den Sandsack ein, den ich in meiner Wohnung hängen hatte. Ok, es war nicht gerade ein Wohnung, sondern ein leerstehendes Lagerhaus. Das bedeutet viel Platz, hohe Decken und die ständige Gefahr von der Polizei rausgeschmissen zu werden, weil das alles hier illegal war. Und dann könnten die mich gleich verhaften, weil ich so was wie ein kleines Labor hatte, auch wenn es vielleicht erlaubt war, würden die mich als den 'Killer' erkennen, gegen den ein Haftbefehl steht. Wieso weiß ich nicht. Was mache ich denn? Ein paar Straßentieren das Leben nehmen. Nur die haben wohl nicht daran gedacht, dass die meisten überfahren werden und sterben werden die egal ob früher oder später. Der Schweiß tropfte auf den Betonboden und langsam hatte ich keine Lust mehr meine kalte Wut an irgendeinem schwingenden Sack, den Boxer zum trainieren benutzten, auszulassen.
„Die kapieren das einfach nicht!“, fluchte ich und wusch mir das Blut von den Händen. Manche würden sagen ich sei muskulös, andere meinten ich würde nur angeben wollen und hinter den Muskeln würde keine Kraft stecken. Eins kann ich sagen, angeben will ich nicht und ich hatte nie vor so zu werden, wie ich es jetzt war. Muskeln waren aber immer ein Vorteil anderen gegenüber. Diese so genannten 'Looser' wurden sofort ängstlich und taten alles, was man ihnen sagte. Die 'Coolen' zettelten immer eine Schlägerei an, und zwar der 'Angeber' gegen die Gang. Früher in der Schule hatte ich das oft miterlebt. Ich war einer der 'Looser' und wurde von allen schikaniert, bis ich meine Wut einfach in ein Training umwandelte. Dann hatte sich niemand mehr getraut mich zu beleidigen oder ähnliches. Ich hatte das nie im Sinn gehabt, dass die Leute so auf mich reagieren würden und mir war es eigentlich auch egal gewesen. Die Mädchen sind darauf total auf mich abgefahren. Sie fanden es immer ach so toll, dass ich helle Haare und dazu dunkle Augen hatte. Als das dann noch mit den Muskeln dazukam konnte man sie nicht mehr von mir fern halten. Ich wollte sie nicht, keine einzige von denen, nie wollte ich ein Mädchen haben. Da waren nicht die Gefühle gewesen und wenn sie gewesen wären hätte ich nicht mit ihr zusammen sein können, da Kontakt nicht gut für mich war. Das war auch der Grund warum Schule so eine Qual für mich war. Überall hockten mir die Menschen auf der Pelle und ich konnte nicht fliehen. Dieses ständige Gefühl einfach jemandem qualvoll zu töten pochte in meinem Kopf und ich hatte es so gut es ging versucht zu unterdrücken. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aushalten und habe angefangen zu schwänzen. Den Rest der Geschichte kann man sich schon denken. Ich bin nicht nur schulisch abgerutscht, sondern auch psychisch. Ich wollte da nicht jemand anderem das Leben nehmen, sondern mir. Es war auch zu schade, dass sich meine Mutter um mich zu schützen auf mich geworfen hat und die Schere, die ich in der Hand hatte genau ihren Hals aufgeschlitzt hatte.
„Schon traurig, oder? Da hätte sie besser leben können. Alle hatten auf mich eingeredet, dass es ein Unfall und nicht meine Schuld war. Auch wenn ich ihnen immer sagte es ginge mir gut und ich hätte keine Schuldgefühle. Wie sollte ich diese denn auch haben? Ja, schau mich nur an wie ein Auto! Ich rede mit einem Hund, schon klar!“ Der Hund gähnte einmal und verzog sich in seine Kiste. Ja, mein Hund hatte kein Körbchen, er hatte eine Kiste. Eine Pappkiste um genau zu sein. Aus dem einfachen Grund, dass es billiger war. Den Hund stört es doch nicht worin er schlief.

Grüne Bäume und Büsche rasten an mir vorbei oder ich lief an ihnen vorbei, wie man es will. Der wirklich einzige Grund mich fit zuhalten war der Hund. So ein Husky braucht schon Bewegung und dann war er noch nicht mal ein Jahr alt. Eigentlich war das schon ziemlich lang für Tiere, die bei mir lebten. Aber den Hund mochte ich irgendwie, ich wollte den noch nicht aufgeben. So zwei, drei Jahre kann der ruhig noch bleiben. Ich verlangsamte meinen Schritt und ging jetzt anstatt zu joggen. Der Park und das Grün beruhigten mich, aber nicht viel. Wir waren an der Hundewiese angekommen, ich ließ mich auf eine Bank fallen und deutete dem Hund mit einem Kopfnicken, dass er abhauen durfte. Ich hatte noch nie einen Hund gehabt, das so auf mich gehört hatte ohne Worte. Ich sah dem Hund zu, wie er neugierig auf die anderen Hunde zu rannte und anfing mit ihnen zu spielen. Wenn ich doch nur so sein konnte wie der Hund. Offen, neugierig und kontaktfreudig. Ich war das genaue Gegenteil von ihm. Ganz in meiner eigenen Welt bemerkte ich nicht, wie sich jemand neben mich setzte.
„Was für ein Zufall das doch ist!“, löste mich die Stimmer der Person neben mir aus meinen Gedanken. Ich sah die Person neben mir an und erkannte die Frau von Gestern in ihr. Diese Charlie.
„Ja, manchmal gibt’s so etwas wenn man in der gleichen Stadt wohnt!“
„Was machst du hier so alleine?“, fragte sie interessiert.
„Ich bin mit dem Hund da. Er spielt dort drüben“, erklärte ich ihr. „Aber wieso bist du so allein hier? Was ist mit deinem Freund, Eric?“ Antrainierte Höflichkeit, über die Jahre perfektioniert.
„Ach der!“, schlug ihre anfängliche Freude in Wut um.
„Was ist mit ihm, hattet ihr Streit?“
„Der will nicht, dass ich mit dir Kontakt habe. Aber wie du siehst kann der mir das nicht verbieten“, lachte mich Charlie an. Mich hatte sie aber nicht gefragt, ob ich etwas gegen das Verbot hatte. Ausmachen würde mir das nichts. „Deiner ist der shokobraune, richtig?“ Charlie zeigte auf meinen Hund und ich nickte. „Der Hund ist so ein krasser Kontrast zu dir. Er hat eisblaue Augen, fast weiß und dunkelbraunes Fell. Bei dir ist das genau anders herum.“
„Viele meinen ja Hund und Herrchen sähen sich ähnlich...“
„Die lügen! Wenn die euch sehen würden.“ Und wieder bestätigte sich mein Gefühl, dass Charlie ganz nett war.
„Sag mal, Charlie ist doch nicht dein richtiger Name, oder?“
„Nein, aber Samu ist auch nicht dein richtiger Name. Charleen ist er eigentlich, aber ich mag den Namen nicht besonders.“ Ich schmunzelte darüber, dass sie sofort bemerkt hatte, dass mein Name auch anders war. „Was ist denn so witzig? Ich weiß, dass der Name doof ist.“
„Nein, dein Name ist nicht doof, ich mag ihn irgendwie“, gab ich zu.
„Ach, das sagst du doch nur!“
„Nein wirklich.“ Vielleicht sollte ich doch mehr Zeit mit anderen Leuten verbringen, vielleicht lerne ich mit meinem Drang zu eben oder ihn ab zu trainieren.
„Jetzt musst du aber auch deinen Namen verraten!“ Charlie stupste mir leicht an die Schulter. Etwas erschrocken schaute ich auf meine Schulter. Die Berührung war so überraschend, unerwartet und plötzlich, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Mich hatte nur meine Mutter berührt und es ist schon einige Zeit vergangen seit sie es nicht mehr tat.
„Und? Was ist dein Name?“, holte mich Charlie wieder in die Realität zurück.
„Samuel“, brachte ich hervor. Charlie fing an zu lächeln. Ihr Gesicht strahlte einfach und ich wusste nicht warum oder wie ich reagieren sollte. Ich hatte immer versucht mir die menschlichen Gesten an zu trainieren und darauf zu reagieren, doch bei ihr wusste ich einfach nicht weiter.
„Und der Hund hört wirklich nur auf pfeifen?“
„Soll ich es dir zeigen? Ich müsste sowieso wieder weiter.“ Charlie nickte und wartete gespannt. Ich pfiff, der Hund schaute sofort zu mir rüber und kam angerannt. Er bellte einmal als er vor mir stand, ich streichelte über seinen Kopf und bemerkte Charlies Blick.
„Mach schon“, erlaubte ich ihr den Hund zu streicheln. Freudig streckte sie die Hand aus und berührte das weiche Fell des Hundes, der zufrieden bellte.
„Sein Fell ist so weich!“, schwärmte sie. Mein Hund hatte also eine neue Verehrerin.
„Er ist ein Husky, was erwartest du?“
„Weiß nicht. Ich habe noch nie einen Husky gestreichelt“, zuckte sie mit den Schultern.
„Gestern hattest du ihn doch gestreichelt“, erinnerte ich sie.
„Aber da habe ich nicht darauf geachtet.“ Ich musste darüber lächeln und merkte, dass es echt war, das Lächeln. Charlie machte, dass ich lächelte. Sie schaffte etwas, was meine Mutter ihr ganzes Leben versucht hat. Was stimmte nicht mit mir? Verwirrt schaute ich zu ihr rüber und bemerkte zum ersten mal, dass sie ganz hübsch war. Was hatte ich vorhin nochmal von Mädchen erzählt? Mir war es nun scheiß egal, was ich gesagt hatte! Blieb nur noch ihr Freund, dieser Eric...

Erst handeln dann denken ist der falsche Weg



Wozu Internet nicht alles nützlich ist. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe diesen Eric gegooglet und er ist hier eine ziemlich große Nummer. Er wird von Mädchen und auch Frauen angehimmelt. Doch das war mir nicht wichtig. Ich wollte sein Leben, nicht sein Karriere. Manche Sachen konnte man ja noch herausfinden, wie Alter und Geburtstag. Der Rest brachte mich nicht weiter. Ich wollte auch mehr über Charlie erfahren, aber diese konnte ich einfach fragen. Vorhin hatte ich mich seit langem wieder richtig unterhalten und das mit einer so zu sagen Fremden. Mir kam der Rest des Tages so unendlich lang vor ohne Charlie. Was passierte nur mit mir?
„Ich brauche Ablenkung, nicht wahr? Komm sag doch etwas!“, ließ ich meine Wut an dem Hund aus. Woher diese Wut so plötzlich kam konnte ich nicht sagen. Der Hund quiekte auf und verschwand in eine andere Ecke. So war ich nun mal. Ich konnte mich nicht kontrollieren und so lange ich das auch nicht kann, will ich niemandem zumuten mit mir Zeit zu verbringen. Manchmal fühle ich mich in meiner Haut einfach gefangen, als ob ich nicht in diesen Körper gehören würde.
„Scheiß drauf!“, schrie ich aus mir und stürmte zur Tür. Ich musste hier raus.

Dunkelheit umgab mich. Nur ab und zu leuchtete eine Laterne auf, die auch nicht viel Licht spendeten. Keine Menschenseele war noch unterwegs, nur noch ich, der Blödmann, der mitten in der Nacht um zwölf Uhr eine Sonnenbrille trug. Als ich ging war es noch hell und ich wollte einfach nicht, dass ich angestarrt wurde und hatte dennoch nur das Gegenteil erreicht. Es war still auf den Straßen, doch langsam hörte ich etwas Lärm durchdringen. Die Clubs hatten gerade Hochbetrieb und grölende Leute bahnten sich den Weg nach Hause oder in den nächsten Club.
„Hey, du da! Komm mal her!“, grölte eine Stimme von hinter mir. Ich kümmerte mich nicht weiter darum und ging meinen Weg ins Unbestimmte weiter. Die Schritte hinter mir wurden lauter und kamen näher.
„Hast du nicht gehört? Du sollst stehen bleiben!“
„Wieso sollte ich auf dich hören?“, fragte ich ohne meinen Gang zu verlangsamen.
„Weil ich es gesagt habe!“, brüllte die Stimme nun etwas wütend. Die Schritte verstummten und ich spürte, wie mich eine Hand am Arm festhielt. Ich riss mich los und ging weiter. Ich wollte keinen Ärger anfangen, dazu war ich nicht raus gegangen.
„Du verstehst mich wohl nicht!“
„Ich bin nicht taub oder etwas dergleichen. Ich will mich einfach nicht mit dir abgeben“, sagte ich ganz ruhig. Vielleicht war meine Stimme ruhig, aber ich war es ganz und gar nicht. Ich durfte dem Kerl einfach nicht zeigen, dass er geschafft hatte was er wollte.
„Weißt du überhaupt mit wem du es zu tun hast?“
„Das ist mir egal.“
„Ist es dir bestimmt nicht und dir ist auch nicht egal mit wem ich mein Leben verbringe!“ Ok, der ging einfach zu weit. Stumm wandte ich mich dem Kerl zu und meine Wut stieg um so einiges in die Höhe.
„Hallo, Samu.“ Zischte mich der Mann hasserfüllt an und ehe ich mich versehen konnte landete seine Faust in meinem Gesicht. Ich stolperte ein paar Schritte zurück bevor noch ein Faust in meinem Körper landete und ich auf den noch vom Tag warmen Asphalt fiel. Wie aufs Wort fing es an zu regnen. Das Wasser prasselte nur so auf mich, dass meine Kleidung in binnen von Sekunden durchnässt war. Ich war nur leicht oder luftig bekleidet, wie man es nimmt. Fast hätte ich diesen Typen vergessen, würde da nicht dieser Schmerz pochen und ich auf dem Boden liegen. Und schon spürte ich den nächsten Angriff, ein Tritt in die Seite. Ich gab keinen Laut von mir, sondern lies es einfach über mich ergehen. Ich hatte das verdient, ich hatte auch anderen weh getan, jetzt war ich mal dran.
„Wehr dich, du Weichei!“, brüllte mich der Mann wieder an und zerrte mich am Arm hoch. Taumelnd versuchte ich einen festen Stand zu bekommen und musterte die Person vor mir. Auch seine Klamotten klebten durch den Regen an seinem Körper und seine zuvor wohl mit Mühe gemachten Haare teilten das gleiche Schicksal wie seine Klamotten.
„Ich lass mich von dir nicht auf dein Niveau runter ziehen. Was hab ich dir eigentlich getan?“ Leider regnete es so stark, dass ich nur noch einen Umriss des Körpers vor mir erkennen konnte und so nicht wusste wer da vor mir steht.
„Was du mir getan hast!? Das fragst du auch noch?“, wurde seine Stimme wieder aggressiver.
„Hast du doch gehört, dass ich es gefragt hab und komm mal etwas runter.“
„Du hast mir bis jetzt noch gar nichts getan, aber ich sehe es kommen und will es verhindern! Und wie ich mich zu verhalten hab hast du nicht zu bestimmen!“ Der Mann kam näher zu mir und schubste mich weiter zurück. Ich war kurz davor mich einfach umzudrehen und zu gehen, aber das konnte ich jetzt nicht bringen. „Komm, jetzt schlag schon! Ich weiß doch, dass du es willst!“
„Ich brauche mich nicht zu schlagen, ich hab da einige andere Möglichkeiten.“
„Und welche? Anderen die Freundin ausspannen, das tust du!“ Auf einmal machte es klick in meinem Kopf und ich wusste wer vor mir stand - es war Eric, Charlies Freund.
„Ach so ist das! Du bist eifersüchtig auf mich, weil Charlie sich mit mir unterhalten wollte und nicht nach deiner Pfeife tanzt!“, sagte ich belustigt.
„Lach nicht!“ Eine weitere Faust landete in meinem Gesicht und erstickte mein Lachen. Schmerz erfüllte meinen Körper. Doch es war kein körperlicher Schmerz. Mir tat es weh zu wissen mit wem Charlie da zusammen war und nicht wusste, wozu dieser Freund imstande war.
„Ist ja gut, ist ja gut. Was soll ich tun?“ Ich tat einen Schritt auf ihn zu,breitete meine Arme aus und demonstrierte somit, dass ich ihn ausgeliefert war.
„Wehr dich!“, brachte er durch seine zusammengepressten Zähne hervor.
„Du willst also verprügelt werden? Du machst einfach so deine Männlichkeit zunichte indem du von jemandem verlangst dich zu schlagen? Wie armselig, aber na gut“, waren meine letzten Worte bevor ich ihm einen Schlag in die Leber gab. Keuchend sackte er auf dem Boden zusammen und versuchte wieder aufzustehen, was ihn nicht so ganz gelang. Meine Mundwinkel unwillkürlich zuckten nach oben. Er war mir so hilflos ausgeliefert. Langsam richtete er sich wieder auf, nur um wieder auf dem Boden zu landen, da ich ihm die Beine weg trat. Dumpf knallte sein Kopf zuerst auf die Straße und nun lag er da. Er wollte es so.

Pumpen, Samu, nicht ablenken lassen, pumpen. Schweiß tropfte an mir runter und ich konzentrierte mich nur auf die Klimmzüge, dich gerade machte. Neuer Tag, neues Training. Jeden Tag schlug ich so meine Langeweile kaputt, was sich an meinem Körper zeigte. Gestern, die Begegnung mit Eric, hatte alles geändert. Er würde um Charlie kämpfen und das nicht ganz gewaltlos. Er hatte wohl noch nicht begriffen, dass es da nicht zu kämpfen gab, denn ich wollte sie ihm nicht weg nehmen. Bei mir würde es ihr noch schlechter gehen, als bei ihm. Ich ließ die Stange los und griff nach dem Handtuch, das auf dem Boden lag, um mir den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen.
„Es würde ihr gut gehen bis zu einem bestimmten Punkt. Wie bei dir. Irgendwann wird es dir bei mir auch nicht mehr so gut gehen, weißt du. Denk aber nicht, dass es meine Schuld wär. Es ist die Schuld von dem der mich so gemacht hat, ich kann nichts gegen meine Natur tun“, redete ich wieder einmal mit dem Hund. Dieser störte sich nicht an mir und blieb bewegungslos auf der gleichen Stelle liegen. Nur um die Stille zu vertreiben schaltete ich das Fernsehgerät an. Wahllos zappte ich durch die Programme und blieb bei einer Nachrichtensendung hängen. Mich hinderten nur Charlies tränen erfüllten grüne Augen daran umzuschalten. Was machte sie in einem Nachrichtenbeitrag?
„Eric Saade musste in der Nacht in ein Krankenhaus geliefert werden. Niemand weiß, wie es zu der Kopfverletzung kam oder wer es verursacht hat. Saades Freundin besteht darauf, dass er einfach nur wegen dem Regen ausgerutscht ist und sich so den Kopf aufgeschlagen hat, aber ich bin mir da nicht so sicher. Wieso sollte man ihn nicht angreifen, ich meine es gibt genug, die das gerne tun würden. Wo es Fans gibt, gibt es auch Hater. Wir berichten weiter für sie“, beendete die Nachrichtenfrau ihren Beitrag. Endlich hatten die mal ein anderes Thema, als mich, was aber durch mich verursacht wurde. Zum anderen muss ich mich nicht schuldig fühlen, der hatte es gewollt und er lebt noch, was will der mehr? Diese Nachrichtenleute sind ganz schön schnell, wenn es um die Stars geht und nicht nur um die. Reporter haben eine Story immer noch brühwarm und schon in der Welt verbreitet. Wie die doch nerven können. Ich muss zu Charlie. Ich muss sie sehen, will sie trösten und es ihr erklären, vielleicht. Leider wird sie danach nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.

Irgendwann kommt jedes Geheimnis raus



Ich lief jetzt schon zwei Stunden in der Hoffnung ganz zufällig Charlie zu treffen in den Straßen rum. Sie wird bestimmt bei ihrem Freund sein. Der hatte doch nur eine stinknormale Kopfverletzung, nichts weiter. Gerade als ich um die nächste Ecke biegen wollte hörte ich eine Stimme nach mir rufen.
„Ich hatte dich schon gesucht, Samu. Bitte warte, ich muss mit dir reden“, rief mir Charlie so leise es ging zu. Ich blieb stehen und wartete bis sie neben mich getreten war um dann etwas langsamer als vorher weiter zu gehen.
„Worüber willst du denn reden?“ Ich sah zu ihr runter und zum Glück konnte Charlie nur die unverletzte Seite meines Gesichtes sehen. Komischerweise hatte Eric immer auf die gleiche Stelle geschlagen und somit einen riesigen Bluterguss verursacht.
„Naja, ich … Also du, wir..“, setzte sie an, doch ich unterbrach sie.
„Charlie, ich muss dir zuerst etwas erklären“, sagte ich schnell und stellte mich ihr in den Weg. Charlies Augen weiteten sich, sie streckte vorsichtig ihre Finger nach meinem Gesicht aus und berührte ganz sanft die schmerzende Stelle unter meinem Auge.
„Wer war das?“, brachte sie nur ein flüstern zustande. Ihre Augen fingen an verdächtig zu glitzern.
„Das wollte ich dir jetzt erklären, aber du wirst mich nach der Geschichte hassen.“
„Wie kommst du auf das? Ich könnte dich nie hassen“, stritt sie sofort ab. Sie hatte ihre Finger immer noch auf meinem Gesicht liegen, doch ich nahm ihre Hand in meine und führte sie runter.
„Lass mich erst erzählen und dann kannst du sagen, ob du mich hasst oder nicht.“ Ich machte eine kurze Pause und fing an von meiner Begegnung mit Eric zu erzählen. „Es ist meine Schuld“, endete ich meine Erzählung. Charlie erwachte aus ihrer Starre und schlug mich. Ich wusste, dass das kommen würde.
„Ist es nicht! Eric hatte angefangen, du konntest nichts dafür!“ Sie versuchte nicht einmal ihren Freund zu verteidigen.
„Ich hätte gedacht, dass du deinen Freund verteidigen würdest.“
„Und das wollte ich dir erzählen. Ich weiß nicht, ob da noch was zwischen mir und Eric ist“, gab sie zu.
„Von seiner Seite sieht das ganz anders aus. Der wird kämpfen“, stellte ich fest.
„Wenn ich nicht mehr will, kann der so lange kämpfen wie er will und wird trotzdem verlieren.“ Irgendwie machten mich diese Worte glücklich, warum weiß ich nicht. Lächelnd ging ich neben Charlie her und wusste nicht, was ich tun sollte. Wir liefen jetzt bestimmt schon zehn Minuten durch die Straßen ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Was war das nur für ein komisches Gefühl? Ich hatte das noch nie zuvor gehabt, aber jetzt war es einfach da. Und ich hatte noch nicht einmal einen Freund um ihn danach zu fragen.
„Wo gehen wir eigentlich hin?“, fragte ich nur um das Schweigen zu brechen.
„Weiß nicht. Wohin wolltest du vorhin eigentlich?“
„Ich hatte dich gesucht.“
„Oh. Ich dich auch. Vielleicht sollten wir mal unsere Nummern austauschen“, schlug Charlie vor.
„Warte ich gebe dir sofort meine“, murmelte ich und kramte nach meinem Handy. Eigentlich wollte ich sie schon lange nach ihrer Nummer fragen, aber wusste nicht wie ich es anstellen sollte. Nun wurde mir das ja abgenommen. „Hier.“ Sie tippte meine Nummer ab und gab mir dann ihre. Ich weiß nicht wieso, aber ich fühlte mich als ob ich in so einem schnulzigen Liebesfilm gelandet wäre.
„Ich sollte langsam wieder nach Hause gehen“, meinte Charlie dann mit einem traurigen Unterton.
„Okay, wir werden uns bestimmt nochmal über den Weg laufen und wenn nicht, ich hab ja deine Nummer“, sagte ich mit einem Lächeln.
„Ja, bis dann, Samu. Ich melde mich bei dir“, lächelte sie mich auch an und gab mir zum Abschied eine Umarmung. Ich war natürlich unvorbereitet gewesen und zuckte leicht zusammen, ich hoffe nur, dass Charlie das nicht bemerkt hatte. Berührungen waren noch zu ungewohnt für mich, als dass ich sie einfach so hinnehmen konnte. Ich sah Charlie noch hinterher, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwand.

„Das ist nicht normal, wirklich nicht! Wie sollte das normal sein, wenn ich das noch nie hatte?“, überlegte ich laut, als ich wieder zu Hause war. Dieses komische Gefühl in Charlies Nähe. Es war nicht etwa das Gefühl sie quälen zu müssen oder irgendetwas in diese Richtung, sondern genau das Gegenteil. Ich wollte sie glücklich machen. Vielleicht war es liebe, aber liebe durfte ich in meinem Leben nicht zulassen. Ich würde der Person, der ich meine Liebe schenke nur verletzen und mich dann selbst hassen. Ich nahm mir den nächstbesten Gegenstand und warf ihn wütend gegen die Wand. Der Teller fiel klirrend in tausend Scherben zerbrochen auf den Boden. Ich würde bald wieder Rückfall haben, da war ich mir sicher.
„Scheiße!“, fluchte ich. „Wieso hab ich nur diese brutalen Gefühle!“ Eigentlich stimmte diese Aussage nicht ganz, denn ich fühlte für Charlie etwas anderes. Dennoch würden sich diese Gefühle ändern und ich würd ihr weh tun. Immer versuche ich diese Sache zu vergessen und zu unterdrücken, aber heute Nacht wird es wohl nicht klappen, mein Fassade ist kurz davor zu brechen und ich will nicht wissen, was ich dann machen werde.

Ungeduldig und ganz hibbelig lief durch die Dunkelheit. Den Hund hatte ich ihm Lagerhaus gelassen, der musste nicht unbedingt dabei sein. Immer wieder schlichen sich Gedanken voller Gewalt in den Kopf. Wie sollte das nur weitergehen? Hoffentlich treffe ich nicht auf einen anderen Menschen. Die eventuelle Begegnung würde nicht so schön enden. Eigentlich versuchte ich mich immer mit Sport etwas zu beruhigen und meine Triebe zu unterdrücken, doch manchmal habe ich einfach keinen Nerv dazu. Es war aber totenstill. Einfach zu still. Ich kam mir wie in einem von diesen schlechten Horror-Filmen vor und ich war das Opfer, das gleich voller Angst um ihr Leben rennt. Ich würde aber nie um mein Leben laufen, da mein Leben es einfach nicht wert war. Und wie es nicht anders hätte sein können hörte ich ein Auto von hinten näher kommen. Von außen gelassen ging ich den Weg weiter und beachtete das Auto nicht, doch es kam neben mich gefahren und ich erkannte einen Streifenwagen. Die fragen sich natürlich was ein Mann ganz alleine mitten in der Nacht Draußen macht.
„Guten Abend, Officers“, grüßte ich, da sie das eine Fenster runter gelassen hatten.
„Guten Abend. Was machen Sie denn noch hier?“
„Etwas spazieren, sehen Sie das nicht?“
„Alleine?“, wollte der mir einfach nicht glauben. Man kann aber auch übertreiben! Sehe ich irgendwie auffällig aus?
„Nein, ich bin mit meiner imaginären Freundin unterwegs. Natürlich alleine!“ Konnte man das als Beamtenbeleidigung sehen? Der Wagen hatte angehalten, aber ich ging unbeirrt weiter.
„Hey, warten Sie!“, schrie mir der etwas dickere der beiden Polizisten hinterher.
„Was habe ich denn getan? Nichts! Was haben Sie mir vorzuwerfen?“
„Bis jetzt noch nichts konkretes, also kommen Sie zurück!“ Ich wollte nicht riskieren, dass die mich noch verhaften, also ging ich genervt zurück. Die haben sich keine leichte Beute gesucht.
„Und was wollen Sie nun von mir? Ich hab nichts eingenommen, wenn Sie das vermuten“, wollte ich die doch noch überreden mich gehen zu lassen.
„Das behaupten alle!“, sagte der etwas schlankere und bat mich in so ein dummes Gerät zu pusten. Ich tat es einfach, da ich ja nicht zu befürchten hatte.
„Was hab ich ihnen Gesagt! Suchen Sie sich jemand andern den Sie mit aufs Revier nehmen können!“, meckerte ich, wollte mich umdrehen und weiter gehen, doch ich wurde am Arm festgehalten. „Hey!“ Ich riss mich los. Die hatten nicht das geringste Recht mich anzufassen!
„Ich lass Sie nicht einfach so gehen. Hände auf die Motorhaube“, befahl er. Widerwillig tat ich was er sagte.
„Schönes Veilchen. Hat der andere so ein abbekommen?“, zog mich der dickere auf, während der andere mich ziemlich lang warten ließ.
Ich lachte auf und antwortete: „Nein, hat er nicht. Er hat dafür eine schöne Platzwunde vom auf den Boden fallen bekommen!“ Der Polizist zog nur seine Augenbrauen hoch und sagte weiter nichts.
„Und wer war der glückliche?“, fragte der andere, während er anfing mein erstes Bein abzutasten. Die beiden hatten echt Glück gehabt, dass ich mich doch noch zusammenreißen konnte.
„Das ist nicht von Bedeutung.“
„Wenn Sie das so sagen ist es doch von Bedeutung“, meinte der dickere klug zu scheißen.
„Auch wenn es von Bedeutung wäre ist es für Sie nicht wichtig es zu wissen“, sprach ich gezielt nur den dickeren an. Wieder zog er nur seine Augenbrauen hoch und sagte nichts mehr. „Sind Sie jetzt endlich mal fertig da unten?“
„Wenn Sie mir sagen würden was das in Ihrer Hosentasche ist, ja“, antwortete er nur. Mist!
„Ja, also das...“
„Sind es Drogen?“
„Meinen Sie das ernst? Als ob ich es nötig hätte Drogen zu nehmen, so tief sinke ich nicht!“
„Übertreiben Sie es nicht“, ermahnte mich der dickere. „Was ist das jetzt?“
„Nichts von Bedeutung.“ Ich wollte gerade einfach gehen und die Polizisten Polizisten sein lassen, als mir der eine in die Hosentasche griff.
„Haben Sie noch alle Tassen im Schrank!?“, regte ich mich natürlich darüber auf, doch es war schon zu spät. Erstaunt nahm der dickere das Messer in seine Hand und begutachtete es.
„Ich könnte das jetzt als Beleidigung sehen, aber da mir heute morgen eine Tasse raus gefallen ist, habe ich nicht alle im Schrank. Was hatten Sie dann schönes mit dem Messer vor?“
„Nichts“, murrte ich. Natürlich musste ich immer ein Messer dabei haben wenn mir so zumute war, wie vorhin. Man kann schließlich nie wissen, was einem begegnet.
„Das glaub ich Ihnen jetzt einfach mal nicht. Also, was hatten Sie vor?“

Die Meinung einer Oma



„Verdammt noch mal Sie wollen uns jetzt doch nicht im Ernst sagen, dass es normal wäre so ein Kampfmesser mit sich rum zu schleppen!“, brach die Geduld des dickeren Polizisten. Sie hatten es doch für nötig gehalten ich mit aufs Revier zu nehmen.
„Denken Sie etwa, dass ich jemanden umbringen wollte? Sehe ich aus wie ein Mörder?“ Ich war ein Mörder, das war mir nur zu gut bewusst. Aber die Polizei muss ja nicht alles wissen und erst recht nicht, wenn sie nach ihrem 'Killer' suchen.
„Man kann Leute und ihre Vorhaben nicht nach ihrem Aussehen verurteilen“, meinte der dünnere klug zu scheißen.
„Wenn Sie nicht reden könnten wir Sie verhaften“, erinnerte mich der dickere.
„Also, ich habe einen Hund bei mir zu Hause, um den ich mich kümmern muss. Da kann man mich nicht einfach so verhaften.“
„Sie haben bestimmt eine nette Freundin die das gerne übernimmt.“
„Ich lebe alleine“, murrte ich. „Und ich soll hier von meinen nicht vorhandenen Mordversuchen erzählen. Das ist doch schwachsinnig! Ja, ich hatte ein Messer bei mir und nein, ich hatte nicht vor jemandem etwas damit anzutun!“
„Wieso sollte ich das ihnen glauben?“, fragte der dickere. Ich mochte den andren lieber, der stellte nicht immer so blöde Fragen. Doch der stellte auch blöde Fragen, aber die von dem dickeren waren noch blöder.
„Schauen Sie mir in die Augen und sagen Sie mir, warum Sie es nicht tun sollten.“ Langsam kochte Wut in mir auf. Diese Situation war doch unnötig. Die beiden hatten mir rein gar nicht vorzuwerfen, die hatten nicht das Recht mich hier festzuhalten. Ich konnte die beiden nicht ruhig und gelassen ansehen, so sehr ich mich auch anstrengte. Ich schlicht und einfach mit zu vielen Personen in Kontakt getreten und dazu regten die beiden auch noch ziemlich auf. Tatsächlich versuchten sie in meinen Augen den Beweis einer Lüge zu finden, doch sie erschraken nach einigen Sekunden. Minimal zuckten sie zusammen und guckten schnell woanders hin. „Und?“
„Ja, ist gut. Hau ab“, sagte der schlankere nach einer Bestätigung des dickeren. Das ließ ich mir natürlich nicht noch einmal sagen, stand auf und ging zur Tür raus.
„Das war nicht normal, Carl“, sagte einer der Polizisten. Ich wollte nicht lauschen oder so, aber die redeten einfach so laut.
„Hast du seine Augen gesehen? Die waren nur blau!“
„Ich bin nicht blind. Gibt es überhaupt solche Augen ohne ...Pupille?“
„Ich bin mir ganz sicher, dass er zu Anfang noch welche hatte, aber sie sind verschwunden.“

Ein Morgen, wie jeder andere auch. Still und unbrauchbar. Was soll ich an einem Morgen schon machen? Noch dazu hatten diese dummen Polizisten mir mein Messer abgezogen! Und sie wissen über meine Augen bescheid. Die zwei hatten echt Glück gehabt. Vielleicht finde ich heute noch etwas Zeit dazu mal wieder etwas auf zu räumen. Das war schon längst überfällig. Aber zuerst sollte ich mal mit dem Hund spazieren gehen. Also stand ich von der Couch auf, nahm die Leine und wartete auf den Hund, der auch sofort kam.
Ich steuerte sofort auf den Park zu. Dort könnte ich den Hund frei laufen lassen und etwas nachdenken, über was das weiß ich noch nicht. Es war ziemlich leer noch im Park, da es Samstagmorgen war. Samstags schliefen die meisten noch länger und ging somit auch erst später aus dem Haus. Als ich bei meiner gewohnten Bank angekommen war machte ich den Hund los und setzte mich auf die Bank. Einige Zeit saß ich einfach so da und tat nichts, was sich schnell als langweilig herausstellte. Nur was kann man machen, wenn man alleine mit einem Hund spazieren ist? Genau in diesem Moment setzte sich ein ältere Dame neben mich auf die Bank.
„Du hast ein hübsches Gesicht, Junge“, sagte sie. „Das Mädchen, das mit dir lebt kann sich wirklich glücklich schätzen. Ich finde es schade, dass du hier so alleine sitzt. Hast du keine Freundin?“, fragte sie interessiert drauf los.
Ich lächelte sie nett an und sagte: „Nein, ich hab keine Freundin.“
„Dann schaff dir eine an“, kommentierte sie prompt. „So, ich muss dann auch mal weiter und wenn ich dich irgendwann noch mal wieder sehe will ich eine Freundin sehen.“ Bevor ich noch etwas sagen konnte stand sie auf und ging weiter. Das war mal was! Hoffentlich werde ich die Dame nicht wieder sehen, denn ich würde keine Freundin haben. Ich werde nie eine Freundin haben. Ich sah nach meinem Hund und stellte mit erstaunen fest, dass er sich bei einem anderen Menschen streicheln ließ. Er war bei einer Frau mit dunklen braunen Haaren, die ihr bis auf die Mitte ihres Rücken reichten. Mir kam die Frau bekannt vor, nur war ich schlecht Menschen aus der Entfernung zuzuordnen. Aber irgendetwas sagte mir, dass es Charlie war. Etwas unsicher stand ich auf und ging zu meinem Hund und der Frau.
„Ach, hey, Samu. Ich habe deinen Hund gesehen und...“, sie brach ab. Es war Charlie. Zufälle gibt es aber auch.
„Er mag dich. Wie geht es dir?“, fragte ich mit einem Lächeln.
„Ganz gut soweit. Nur Eric nervt etwas.“
„Ihm geht es aber wieder besser, oder?“
„Ja, aber du weißt doch wie Männer sind, meckern über alles mögliche“, beschwerte sie sich. „Aber ich will nicht weiter von Eric reden. Wie geht es dir?“
„Auch gut. Mir ist nur gerade eine Oma begegnet, die meinte, dass ich mir eine Freundin anschaffen sollte, weil sie meinte, dass ich hübsch wäre“, erzählte ich von meiner Begegnung. Das mit den Polizisten ließ ich lieber mal aus. Charlie fing an herzhaft zu lachen und wollte einfach nicht mehr aufhören. „Was ist daran so witzig?“
„Es hat sich nur so witzig angehört wie du das erzählt hast“, erklärte sie. Mir war zwar nicht nach lächeln zumute, aber ich lächelte sie täuschend echt an. Plötzlich verstummte Charlie und starrte an eine Stelle hinter mir.

Bad End



Verwirrt musterte ich ihre steinharte Mine und musste mit Mühe dagegen ankämpfen mich nicht einfach umzudrehen. Ihre Augen wurden immer größer und mir kam es so vor, als ob sie sich hinter mir versteckte. Doch allen Anschein nach half es nichts, denn ich wurde grob an den Schultern gepackt und von Charlie weg gezerrt.
„Was soll das!?“, brüllte eine sehr aufgebrachte Stimme Charlie an. Schnell begriff ich, dass Charlie von ihm bedrängt wurde und versuchte sofort den Mann von Charlie weg zu drängen, was erstaunlicherweise auch klappte.
„Charlie, wer ist das?“, fragte der Mann nun etwas ruhiger.
„Ein Freund“, antwortete Charlie mit zittriger Stimme.
„Ein Freund oder dein Freund?“
„Du hast sie schon verstanden und jetzt hau ab!“, mischte ich mich jetzt auch ein und schlang meine Arme beschützend um Charlie.
„Ok, ich hab schon verstanden. Nie kannst du dich für einen entscheiden. Er ist bestimmt nur wieder dein nächstes Opfer“, sagte der Mann noch und verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Was war das denn? Ich nahm ein leises Schluchzen an meinem Ohr war – Charlie weinte.
„Nicht weinen. Komm wir gehen und dann ist alles wieder gut“, versuchte ich sie zu trösten.
„Es wird nie alles wieder gut werden, Samu“, flüsterte sie. Sanft aber bestimmend schob ich aus dem Park und auf mein Heim zu. Der Hund folgte uns, auch wenn er ein paar Meter hinter uns her lief.

„Wer war das?“ Charlie hatte sich jetzt schon etwas beruhigt.
„Er war mal ein guter Freund.“
„Und was ist passiert, dass er so geworden ist?“
„Irgendwann hatte er sich in mich verliebt, aber ich empfand nicht das gleiche für ihn. Er hatte mich geküsst, doch ich wollte das und habe ihn weggestoßen und bin weg gerannt. Er hat mich immer so ein bisschen verfolgt und tut es immer noch, wie du siehst. Jetzt meinte er ich könnte mich nie für einen Typen entscheiden, weil er ja auch was von meiner Beziehung mit Eric mitbekommen hatte.“ Sie verstummte. Ich konnte Charlie irgendwie verstehen. Aber es war schon komisch, dass dieser Typ Charlie so verfolgte.
„Wie heißt er?“
„Kevin.“
„Du brauchst keine Angst mehr vor ihm haben. Du kannst immer zu mir kommen wenn etwas ist.“
„Danke“, sagte sie mit ehrlicher Dankbarkeit. Charlie lächelte mich sanft an und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Mich wunderte es, dass Charlie nichts zu dem Lagerhaus sagte. Der Hund hatte sich auch in eine andere Ecke verzogen und Charlie und ich waren ganz alleine. Wir saßen bestimmt Stunden so, zu mindestens kam es mir so vor. Charlie sah so friedlich und unbeschwert aus, wenn sie schlief. Sie ist an meiner Schulter eingeschlafen. Meine Haut fing an zu brennen, dieser ganze Körperkontakt tat mir nicht gut. Vorsichtig stand ich auf, ohne Charlie zu wecken.
„Ich kann nicht mehr“, stieß ich durch meine zugebissenen Zähne hervor.

Blut spritzte mir ins Gesicht und lief an meinen Händen runter. Mein weißes T-Shirt war nun rot durchtränkt und klebte mir am Körper. Ich wusste, dass dieser Moment mal kommen würde, doch so früh hätte ich es nicht erwartet. Ich muss mich mehr von den anderen Menschen abschotten, jeden Kontakt abbrechen, sonst passiert es wieder. Nicht, dass ich Reue für meine Taten empfinden würde, für mich war es das normalste der Welt. Ich stach immer noch auf den leblosen Körper vor mir ein, der auch schon blutüberströmten war. Alles war rot. Ich, der Boden unter mir, die Wände um mich herum, der Tisch und auch der Hund, der auf dem Tisch lag. Kälte strömte durch meinen Kreislauf, nicht auf zu tauendes Eis pulsierte in meinen Adern. Doch das schlimmste war, dass Charlie jederzeit wach werden könnte und mich entdecken könnte, da ich nur einen Raum weiter war.
„Das wars dann wohl mit dir, Hund“, murmelte ich. Ich hatte nur eine Ausrede, die mir immer sagte, dass es in Ordnung wär Tiere oder gar Menschen zu töten – ich würde mir sonst selbst etwas antun. Auch wenn dies eigentlich keine Ausrede war. Meine Ausrede bekräftigt nur, dass es das Falsche ist. Wenn ich doch mit meinem Leben nicht klar kam, wieso sollte ich anderen dafür ihr Leben nehmen und mein beschissenes Leben weiterführen? Jetzt war es auch zu spät, um mich darüber zu ärgern. Manchmal sollte man bevor man handelt so denken, wie man es nachher tun würde. Noch ein letztes Mal rammte ich das Messer in den Hund und ging. Ja, ich hatte jetzt ein totes Tier in einem Raum, der über und über mit Blut gesprenkelt war, liegen. Vielleicht sollte ich duschen gehen und mein T-Shirt in den Müll befördern, da ich es eh nicht mehr retten konnte. Ich zog mir das nasse Shirt über den Kopf und schmierte auch noch meine Haare mit Blut voll. Ich könnte jetzt einfach so in einen Horrorfilm als Darsteller eintreten, ohne auch nur durch die Maske zu müssen. Wenn ich Glück habe schläft Charlie noch und kriegt nicht mit, aber in solchen Situationen hat man gewissermaßen nie Glück.
„Was soll ich ihr dann sagen?“ Ja, wie sollte ich mein Verhalten erklären, verstehen würde sie mich nicht. Und wie es nicht anders kommen konnte war mein Bett leer, in das ich Charlie zuvor gelegt hatte. Etwas Panik machte sich in mir breit und ich bereitete mich auf das schlimmste vor. Ich hörte etwas hinter mir klappern. Sofort schnellte ich um und sah Charlie, wie versuchte die abgeschlossene Tür aufzustemmen. Als sie es nicht schaffte lief sie einfach an mir vorbei, legte sich circa drei Meter vor mir auf den Boden und schlief allen Anscheins nach wieder. Passierten mir heute auch nur komische Sachen? Ist mir jetzt auch egal. Ich will duschen und dann auch schlafen.

Ich hätte den Vorfall von Gestern schon fast vergessen, wenn Charlie nicht gewesen wäre. Sie lag immer noch friedlich schlafend auf dem Boden. Und ich muss den Hund noch entsorgen. Lieber mach ich das jetzt noch, bevor Charlie aufwacht. Ich schmiss ihn einfach auf die gegenüberliegende Straßenseite ins Gebüsch. Vielleicht wird er entdeckt, vielleicht auch nicht.
„Samu?“, hörte ich hinter mir fragen. Natürlich ist Charlie wach geworden. Ich ging zu ihr rüber und zog sie in eine Umarmung, die sie sofort begierig erwiderte. Wollte ich nicht jeglichen Kontakt abbrechen? „Was hast du gemacht?“
„Nur etwas Luft geschnappt, Charlie“, log ich und streichelte zur Bekräftigung meiner Worte über ihr Haar. Charlie drückte ihr Gesicht fester an meine Brust und sah unschuldig zu mir hoch.
„Wieso lag ich auf dem Boden? Bin ich wieder schlafgewandelt?“
„Ja, sieht wohl so aus. Ich habe selbst schon geschlafen.“ Charlie nickte nur und schloss ihre Augen dabei. Meine Haut fing wieder so wie gestern an zu berennen. Vielleicht hatte das gar nichts mit meiner Neigung des Tötens an sich. Aber was könnte es denn sonst sein? Verliebt haben darfst du dich nicht! Das würde für beide Seiten nicht schön enden und es gab da ja auch noch Eric. „Lass uns wieder rein gehen.“
„Samu, darfst du eigentlich in dem Lagerhaus wohnen?“
„Nein.“
„Und wieso tust du das dann?“
„Weil ich nicht besseres und günstigeres finde.“
„Wie sollst du denn etwas billigeres finden, wenn du hierfür nichts bezahlst?“
„Gar nicht.“ Charlie fing an zu lächeln und trat in das Lagerhaus ein, um sich sofort auf die Couch zu schmeißen, was ich ihr gleich tat. Mit Charlie war alles unbeschwert und einfach. Doch wenn man an ihre und meine Probleme dachte war alles nicht mehr so einfach. Meine Probleme waren schon genug für mindestens drei Leute und dann kamen auch noch die von Charlie dazu, die nicht weniger schlimm waren – ok, vielleicht ein bisschen. Ich schaltete eine Nachrichtenshow an in der gerade ein Bericht über Eric Saade anmoderiert wurde. Das Leben muss mich auch immer bestrafen! Schnell schaltete ich um, was Charlie auch nur recht war. Bei den beiden war wohl die Luft raus. Schlecht für mich. Das könnte echt gefährlich werden. Charlie soll nicht so enden, wie der Hund.

Nicht mehr lange



„Du bist wo!?“, hörte ich die Stimme aus dem Handy. Nicht, dass ich am Handy wäre, nein, ich stand gut zwei Meter entfernt und wartete darauf, dass Charlie ihrem Freund erklärte, warum sie die Nacht über weg war.
„Du hast schon richtig gehört, Eric, ich bin bei Samu.“
„Bei diesem Mistkerl mit dem Hund aus dem Park!?“
„Wie oft denn noch, ja“, bestätigte sie wieder. Eric sprach wohl wieder etwas ruhiger, denn ich konnte ihn nicht mehr hören, nur noch wie Charlie sagte, dass sie sofort kommen würde. Sie drehte sich zu mir um und sah mich entschuldigend an.
„Wenn du denkst, dass ich dich jetzt alleine zu ihm gehen lasse, hast du dich echt in mir getäuscht.“
„Und du denkst es wird besser laufen, wenn du auch noch dabei bist, was ihn noch mehr reizen würde? Ganz sicher nicht, Samu! Du bleibst hier.“
„Und wenn ich gerade zufällig spazieren gehen möchte und in die gleiche Richtung wie du muss?“
„Dann ist das einfach ein ziemlich blöder Zufall mit dem Eric klar kommen muss.“ Sie wollte gar nicht alleine gehen. Sie hatte Angst vor Eric, das sah ich in ihren Augen. Auch wenn sie das nicht zu geben würde. Sie hatte Angst vor Kevin und vor Eric und ich musste sie beschützen. Charlie ging schon langsam zur Tür, drehte sich aber noch mal zu mir um und wartete, bis ich neben ihr stand.
„Danke, dass du mitkommst.“

Zum erstem Mal sah ich das zu Hause von Charlie. Leider war es aber auch das zu Hause von Eric. Natürlich wohnten die beiden nicht in einem Lagerhaus, so wie ich. Sie hatten eine ganz normal e Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Es sah ziemlich neu und modern aus, wie nicht alles in Stockholm. Meistens waren die Häuser noch alt. Aber das änderte sich in letzter Zeit immer mehr. Ich kann mich noch daran erinnern, als Früher alles mit diesen alten Häusern zugebaut war. Alles war bunt gewesen und jetzt ist alles nur noch grau. Charlie und ich wechselten kein einziges Wort miteinander, sondern Charlie führte mich im Treppenflur zur richtigen Tür und sperrte auf.
„Ich dachte du würdest nie kommen!“, brüllte auch gleich eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung. Und schon trat er um die Ecke. Ein verwöhnter Arsch wie jeder andere auch. „Was will der hier!?“ Natürlich musste er sofort aggressiv reagieren, als er mich sah. Was sollte ein mickriger Möchtegern-Sänger denn auch sonst machen?
„Er begleitet mich“, sagte Charlie selbstbewusst. Eric schnaubte kurz auf, stapfte auf Charlie zu und presste seine Lippen auf ihre. Dass er nicht mal merkt, dass Charlie das absolut nicht wollte. Eigentlich hätte ich mich jetzt auf Eric stürzen sollen und ihn von Charlie weg zerren sollen, aber ich wollte es nicht. Charlie sollte nichts von erwarten was ich nicht erfüllen kann. Charlie versuchte verzweifelt Eric von sich weg zu drücken, was ihr natürlich nicht gelang. Eric schien wohl zu vergessen, dass ich genau neben ihnen stand. Charlie hatte schon Tränen in den Augen. Ich konnte das einfach nicht länger mit ansehen.

„Was sollte das, Samu?“, schnauzte mich Charlie an. „Ich habe dich mitgenommen, damit genau das nicht passiert! Und was machst du, du stehst einfach daneben uns schaust zu!“
„Charlie, ich war doch selbst geschockt! Bitte, ich hab ihn doch von dir weggezogen.“
„Und ihn dann KO geschlagen und hier eingesperrt. Was ist eigentlich los mit dir?“
„Ich beschütze dich doch nur...“
„Indem du meinen Noch-Freund bei dir einsperrst? Das ist Freiheitsberaubung, Samu. Dafür kommt man in den Knast!“, versuchte sie mir weiß zu machen.
„Ich weiß und wenn du wüsstest, was ich schon alles getan hab“, ich brach ab. Sie musste nichts davon wissen. Charlie erstarrte in ihrer Bewegung.
„Was hast du getan, Samu?“ Nur wie sie das aussprach machte, dass ich flüchten wollte. Doch ich konnte nicht einfach wegrennen, dann müsste ich ihr wirklich erklären was los ist.
„Ach nichts. War alles nicht so schlimm“, versuchte ich sie abzuwimmeln.
„Nur nicht. Ich sehe doch, dass du lügst.“
„Wirklich? Woran siehst du das denn?“, versuchte ich vom eigentlichem Thema ab zu lenken. Charlie überwand die letzten Meter zwischen uns und stand nun genau vor mir.
„Wenn du lügst müsste du immer ein klein wenig lächeln, was ehrlich gesagt ziemlich süß aussieht.“
„Also findest du lügen süß“, stellte ich fest. Charlie wurde knallrot und wand den Kopf ab.
„Nein, nur das Lächeln.“
„Dann bin ich beruhigt“, waren meine letzten Worte. Ich drehte mich um und ließ Charlie mitten im Raum stehen. Samu, du wolltest den Kontakt abbrechen! Verdammt noch mal, hör endlich auf dich! Schritte hallten hinter mir und ich war mir sicher, dass Charlie mir hinterher kam. „Charlie, ich kann das nicht.“
„Was kannst du nicht?“
„Das hier so weiterführen. Ich konnte es noch nie und werde es auch nicht können. Es ist besser für alle, wenn ich alleine bin.“
„Das heißt jetzt du willst nichts mehr mit mir zu tun haben?“ Man könnte ihre Tränen förmlich hören.
„Nein, so ist es nicht. Es ist besser für dich, glaub mir. Ich will dich nicht verletzen.“
„Dann schick mich nicht weg!“ Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter. „Bitte, Samu.“
„Du verstehst es einfach nicht.“ Ich drehte mich um, um ihr in die Augen sehen zu können. Tränen rannen ihre Wangen hinunter und am liebsten hätte ich ihr einfach gesagt, dass sie die letzten fünf Minuten vergessen soll. Doch ich konnte nicht. Ich konnte so vieles nicht.
„Erkläre es mir“, flüsterte sie.
„Ich kann nicht.“ Ich weiß nicht, wie ich es schaffte ihr dabei fest in die Augen zu sehen. Charlie streckte ihre Hand nach mir aus und legte sie auf meine Wange. Lange schon hatte ich das Verlangen in ihr erkannt. Nur zulassen durfte ich es nicht.
„Samu...“ Ich sah zur Seite, hielt das einfach nicht mehr aus.
„Geh, Charlie. Geh einfach.“ Zu meiner Verwunderung tat sie auch, was ich gesagt hatte. Ohne ein weiteres Wort steuerte sie auf die Tür zu und ging.

Meine Welt brach zusammen. Ich hatte nichts mehr, auch wenn ich vorher nichts hatte jetzt hatte ich noch weniger. Charlie war weg und der Hund auch. Ich zündete eine Kerze an. Wieso auch immer ich eine hatte. Ich will einfach nicht mehr. Ich könnte ja ganz zufällig in meinem brennenden Haus ersticken oder ich rutsche aus und breche mir das Genick.
„Du bist so blöd, Samu!“ Ich ging energisch zu dem Raum in dem ich den Hund abgestochen hatte. Da drin müsste ich irgendwelche Messer und so was haben. Ich öffnete die Tür und sah einen zusammengekauerten Körper am Boden liegen. Erschrocken wendete er den Kopf zu mir und zuckte leicht zusammen. Ich hatte ganz vergessen, dass ich Eric hier abgelagert hatte.
„Dich hatte ich ganz vergessen. Aber gut, dass du da bist“, sagte ich monoton. Ängstlich folgte sein Blick meinem Körper. Ja, wieso war es gut, dass er da war? Ich nahm eins der Messer in meine Hände und betrachtete es von allen Seiten. Eric war noch zu geschockt, um etwas sagen zu können. Ich wäre wahrscheinlich nicht so perplex wie er, wenn ich in einem Raum voll mit Blut und Messern aufwache. Aber Eric war nicht wie ich , er war normal. Ich ging mit dem Messer in meiner Hand auf Eric zu.
„Was...?“, hatte er doch seine Stimme wiedergefunden. Ich hockte mich vor ihn und spielte mit dem Messer vor seiner Nase herum.
„Manches muss man nicht wissen, Eric. Und man muss es auch nicht verstehen.“

Gute und schlechte Momente



Sein Atem ging schneller und seine Augen waren erfüllt von Angst. Sollte er ruhig Angst haben. Mich amüsierte es, dass er dachte ich würde ihn jetzt gleich umbringen. Aber das war zu einfach und zu schnell. Ich stand wieder auf und entfernte mich etwas von Eric.
„Noch wirst du am Leben bleiben, falls dich das interessiert. Nur wie lange ist die Frage.“
„Du bist ein Psychopath“, murmelte er.
„Ich weiß“, gab ich zu und drehte mich dabei wieder zu Eric um. „Was denkst du wieso ich in einem Lagerhaus wohne und der Raum mit Blut beschmiert ist? Naja, bis jetzt ist es aber noch nicht von Menschen gewesen. Ich glaube es war erst Gestern, als mein Hund hier drin lag.“ Eric sah mich nur an. Er traute sich nicht sich zu bewegen, er hatte gerade noch genug Mut, um zu atmen. „Weißt du, eigentlich ist das hier alles nicht meine Schuld. Wenn du Charlie einfach in ruhe gelassen hättest, wärst du nicht hier. Aber wollen wir mal nicht dir die Schuld geben – meine Mutter ist schuld. Sie hat mich am Leben gehalten und ist selbst dabei gestorben, nur deswegen bin ich jetzt noch hier und muss mein verfluchtes Leben leben.“
„Wieso erzählst du mir das alles?“, fragte er mit zittriger Stimme.
„Dann wirst du noch ängstlicher und aus Angst entwickelt sich Panik und ich mag es andere leiden zu sehen“, erklärte ich ruhig. Ich ging um den Tisch herum wieder auf Eric zu, hockte mich wie zuvor vor ihn, immer noch mit dem Messer in der Hand. „Magst du dein Gesicht?“
„Nicht wirklich, aber wieso fragst du?“
„Dann wirst du nichts dagegen haben, wenn ich es noch mehr verunstalte.“ Ich nahm das Messer richtig in die Hand und ließ es über Erics Gesicht streifen, bevor er überhaupt merkte, wie ihm geschah. Er schrie auf und drückte seine Hände auf den stark blutenden Schnitt. „Das wird wohl eine Narbe geben“, bemerkte ich ohne wirkliches Interesse. Er kippte zur Seite und krümmte sich vor Schmerzen. Wie kann ein einziger Schnitt so weh tun? „So eine Memme. Ich glaub das hat dir noch nicht gereicht, oder?“
„Doch, doch. Es war nichts“, sagte er schnell und setzte sich wieder auf. Sein Gesicht und seine Hände waren beschmiert von dem Blut, das immer noch aus der Wunde strömte. Tränen rannen über seine Wangen und er presste seine Lippen aufeinander, als die salzige Flüssigkeit die Wunde erreichte.
„Wenn es doch nichts war hat das alles hier nichts gebracht.“ Eric rutschte immer weiter von mir weg, bis ihn die Wand in seinem Rücken aufhielt. Ich musste darüber grinsen, dass er schon jetzt so eine Angst vor mir hatte. Der ach so tolle Sänger ist ein Angsthase. Ich gesellte mich wieder zu Eric, der nun schweißgebadet war. Lachend ließ ich das Messer über seinen Gesamten Oberkörper gleiten und schnitt nicht nur sein Shirt auf. Wieder presste er seine Hände auf die nun neue Wunde. Wieso ließ er sich das eigentlich gefallen? Stand er unter Schock oder machte er das bewusst, damit ich weniger Spaß hatte? Das Blut durchtränkte die Reste des Shirts und hörte noch lange nicht auf zu fließen. „Ich werde wieder kommen und ich will, dass du noch am Leben bist. Also sieh gefälligst zu, dass du nicht abkratzt!“

Fünfzehn verpasste Anrufe und zwanzig Nachrichten und alles von Charlie. Wieso kann die sich nicht einfach damit abfinden, dass ich sie schützen will? Ihr ist das wohl alles egal. Sie denkt nur an sich und nicht an ihr Wohlbefinden. Ich löschte alles ohne zu gucken, was sie überhaupt von mir wollte. Oder sollte ich sie zurückrufen? Nein, Kontaktabbruch, weißt du noch? Irgendwann würde ich ihr eh wieder über den Weg laufen und sie wusste dazu auch noch, wo ich wohnte. Ich setzte mich auf die Couch und schaltete den Fernseher an. Wie erwartet nur Mist. Lange werde ich es so nicht aushalten. Ich brauche Action oder Schlaf. Ich entschied mich erst mal fürs schlafen. Nur noch schnell die Schlaftabletten suchen und los geht’s.

Hatte ich jetzt wirklich zwei ganze Tage nur geschlafen? Sieht wohl so aus. Und ich hatte einen Hunger! Also machte ich mir etwas zum Frühstück und bereitete auch was für meinen Gast vor – er sollte ja nicht verhungern. Nachdem ich gegessen hatte brachte ich das Tablett mit der Scheibe Brot und einer Flasche Wasser zu dem Raum in dem Eric war. Langsam öffnete ich die Tür und sah Eric friedlich schlafen. Er lag da wie ein Baby. Doch er hatte das zerschnittene Shirt ausgezogen. Er immer noch mit seinem Blut beschmiert, wie sollte er es denn auch abwaschen? Die Wunden bluteten zwar nicht mehr, aber geheilt war es noch kein Stück. Gut, dass es hier drin – warum auch immer – ein Waschbecken und eine Toilette gab. Er hätte sich doch abwaschen können. Naja, er musste ja so rum laufen. Ich stellte das Tablett und die Flasche auf den Tisch und verschwand schnell wieder. Gerade als ich die Tür schloss klingelte mein Handy.
„Hallo?“ Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht und auf den Display geschaut.
„Hey, Samu“, kam es etwas schüchtern aus dem Handy.
„Was willst du?“
„Mit dir reden. Das kann es doch nicht gewesen sein. Ich weiß doch, dass du das nicht so willst“, versuchte Charlie mich umzustimmen.
„Weißt du was? Ich lege jetzt auf und gehe spazieren!“ Sie soll damit leben. Ich schnappte mir noch meine Jacke und rannte aus der Tür raus.
„Samu!“, nahm ich gerade noch so die Stimme von der anderen Straßenseite wahr. Natürlich musste Charlie mir vor meinem Haus auflauern!
„Geh“, zischte ich sie an. Mit schnellen Schritten ging ich die Straße runter, rannte schon fast. Aber Charlie ließ sich nicht so einfach abwimmeln.
„Bleib verdammt noch mal stehen!“, schrie sie mir hinter her.
„Warum? Warum soll ich nicht den Kontakt abbrechen? Warum willst du das nicht?“ Sie hatte es geschafft. Ich blieb stehen und wartete auf sie.
„Weil ich bei dir bleiben möchte.“
„Niemand wollte bis jetzt freiwillig bei mir bleiben.“
„Dann bin ich halt die Erste.“
„Das ist aber nicht gut für dich“, versuchte ich sie doch wieder umzustimmen.
„Ich kann doch selbst entscheiden, was für mich gut oder schlecht ist, oder?“
„In diesem Fall nicht. Und frag nicht warum, es ist wegen mir. Wegen meinem Charakter und Verhalten. Du musst nicht wissen, was ich meine. Halte dich einfach von mir fern, wenn du weiterhin glücklich leben willst.“
„Um glücklich zu sein muss ich leider bei dir bleiben.“ Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter, die mich zu ihr umdrehen wollte. Langsam gewöhnte ich mich an leichte Berührungen, ich weiß nicht ob das gut oder schlecht war. „Und widerspreche mir nicht wieder. Ich weiß was ich will und brauche.“ Charlie trat noch einen Schritt näher an mich heran. Meine Haut fing wieder an zu brennen. Am liebsten würde ich einfach weg rennen.
„Charlie...“ Sie kümmerte sich nicht um mein Befinden und stellte das auch zur Schau. Ich weiß nicht, was sie da gerade tat, aber mir ging das eindeutig zu weit. Dennoch konnte ich nicht einfach weggehen oder sie von mir stoßen. Sie legte ihre Hände an mein Gesicht, zog es zu sich runter und legte ganz vorsichtig ihre Lippen auf meine.

Ein nicht so gelungenes Versehen



Erschrocken riss ich die Augen auf. Schmerz durchströmte meinen Körper. Auch wenn diese Geste liebevoll gedacht war, war sie umso schmerzhafter für mich. Starr blieb ich stehen und konnte mich nicht mehr bewegen. Ich spürte wie mein Kopf anfing zu pochen. Was das etwas sehr schlechtes? Wahrscheinlich stand ich kurz vor einem Zusammenbruch, der nur durch einen kleinen Kuss ausgelöst wurde. Charlie wollte sich enger an mich schmiegen, doch ich wich wie in Trance von ihr. Starr und verwirrt sah sie mich an und ich konnte gerade noch erkennen, wie auch ihre Augen sich mit Tränen füllten – nur war es ein anderer Grund. Pulsierende Wellen fuhren durch mich, überall spürte ich diese unerträgliche Hitze. Wenn ein Kuss immer so abläuft werde ich getrost darauf verzichten. Ich konnte nicht mehr, fuhr herum und rannte einfach weg. Ich wusste nicht wohin ich rannte, ich wollte einfach weg von Charlie, weg von diesen ganzen Schmerzen. Die ersten Tränen die überhaupt durch Gefühle ausgelöst worden waren rannen mir nur so über die Wangen und wurden vom mir entgegen kommenden Wind weggeblasen.
„Was war das?“, fragte ich mich selbst. Noch nie hatte ich meine Stimme so zittern hören, noch nie war ich so verwirrt und verletzt gewesen. Und das alles nur wegen Charlie, die nicht auf mich hören wollte, die einfach nach meinem Kontaktabbruch wieder zu mir gekommen ist. Mein Körper sackte in das feuchte Gras - ich war im Park gelandet. Leute gingen spazieren oder beschäftigten sich anders, alle konnten mich sehen, wie ich hier dasaß und heulte, aber das war mir egal. Die alle wussten nicht, wie es ist so plötzlich mit Gefühlen zu konfrontieren und das dann beim ersten mal auch noch so intensiv. Ich muss mich jetzt zusammenreißen und wieder zurück zu meinem Lagerhaus gehen. Schließlich habe ich als Entführer auch meine Pflichten.

Ich erholte mich erstaunlicherweise ziemlich schnell von dem Kuss. Schon als ich ins Wohnzimmer trat war alles vergessen. Alles außer den Schmerz, den ich immer noch spürte. Es war so gewesen, als wollte mir der Kopf platzen. Ich hatte schon vor Augen gehabt, wie mein Gehirn in Brei verwandelt wurde und mir aus Ohren, Nase und Augen lief. Wieder einmal führte mich mein Weg zu Eric. Gesellschaft war das wichtigste.
„Du hast gegessen, gut“, sagte ich beiläufig. Eric brummte zustimmend.
„Ich werde ja doch gezwungen, wenn ich es nicht tue.“
„Wie recht du doch hast. Ich will ja nicht, dass deine Fans dich verlieren.“
„Aber du willst, dass sie mich mit Narben übersät sehen. Die werden eh schon nach mir suchen und Charlie wird der Polizei bestimmt von dir erzählen und dann werden die mich hier raus hohlen!“
„Spucke nicht so laute Töne! Du weißt gar nicht was gerade mit deiner Charlie abgeht. Es scheint nicht so, als ob sie noch Gefühle für dich hat und es für wichtig empfinden würde, dass du gerettet wirst“, zerstörte ich seine letzte Hoffnung auf Rettung. Entgeistert starrte er mich an.
„Du lügst“, flüsterte er.
„Dann sag mir wieso sie mich gerade einfach geküsst hat?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. Sein Blick verfinsterte sich und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich meinen können Eric würde gleich auf mich losgehen und mich umbringen. Doch leider war er zu schwach und die Verletzungen machten es ihm auch nicht einfacher. Ich dachte die Schnitte würden ihm nicht so viel Kraft rauben, aber anscheinend lag ich da falsch, was nur zu meinem Vorteil war.
„Das hat sie bestimmt nicht gewollt und du hast sie gezwungen!“ Er machte Anstalten sich zu erheben und ich zückte mein Messer.
„Wieso sollte ich jemanden küssen, ich? Ich habe keine Gefühle und das für niemanden und wenn ich doch welche habe sind es keine liebevollen.“
„Das merkt man“, maulte er. Ist lehnte mich gegen den Tisch und betrachtete die verschmierten Wände. Ich war irre, anders hätte man es nicht nennen können. Ich hörte das reiben von Stoff auf dem Boden und lies meinen Arm mit dem Messer in die Richtung schwenken, wo ich Eric vermutete. Er sollte ja nicht glauben, dass er mich angreifen konnte. Tatsächlich traf ich auf seinen Körper. Ich hörte ihn zischend ausatmen und kurz darauf sackte er zitternd am Boden zusammen. Ich blickte herablassend auf das Messer, das immer noch in seiner Brust steckte. Wenn ich jetzt Pech hatte habe ich mir alles versaut, nur weil ich nicht hingesehen habe. Ich weiß nicht, wie ich jetzt auf die Idee kam oder es überhaupt in Betracht gezogen hatte, doch ich zog mein Handy aus meiner Hosentasche und machte ein Foto.
„Es könnte ganz spaßig werden die Polizei aufzuschrecken. Ich hab dein Herz nicht getroffen, also stell dich nicht so an und bleib am leben“, murmelte ich. Ich zog mein Shirt aus und warf es neben Eric, vielleicht könnte er es gebrauchen, um die Blutung etwas zu stoppen. „Drück das da drauf.“ Tatsächlich hörte er auf mich, zog das Messer mit zitternden Armen aus seinem Körper, warf es in eine Ecke und presste den Stoff an sich.

Konnte man so etwas foltern nennen? Folterte ich Eric? Nein, ich spiele nur mit ihm. Wieso machte ich mir Gedanken darüber, wenn ich dabei war einen Drohbrief an die Polizei zu schreiben? Naja, ich sollte mich mehr konzentrieren. Noch einmal las ich den Brief durch, den ich am Computer geschrieben hatte, damit sie mich nicht an meiner Handschrift identifizieren konnten. Nur noch schnell das Foto von Eric darunter machen, ausdrucken und fertig. Eigentlich war es nicht einmal ein Drohbrief, ich drohte niemandem, ich habe lediglich gesagt, dass ich Eric Saade in meiner Gewalt hatte und es mir keine Umstände machen würde ihn sterben zu lassen. Das Bild würde ihnen schon genug Beweise liefern, um sich darum zu kümmern. Schließlich hatte er schon den Schnitt auf der Wange und über dem Oberkörper. Und das Messer in seiner Brust würde auch noch eine Hässliche Narbe hinterlassen. Ich wollte das alles nicht mehr, wollte meiner Umgebung keinen Schaden mehr zufügen und doch konnte ich es nicht unterlassen. Der Brief an die Polizei war nur ein weiterer verzweifelter Hilferuf, den niemand dahinter erkennen wird.
„Einen Versuch ist es wert.“ Ich schnappte mir den ausgedruckten Brief, zog Schuhe an und ging zielstrebig auf die nächste Wache zu, die nicht all zu weit entfernt war. Mit voller Gewissheit, dass ich von den Überwachungskameras erfasst wurde und ich nichts dergleichen trug, das mich hätte schützen können, würde ich ganz erkennbar sein. Ich ging auf die Rezeption zu. Die Frau, die dahinter saß wollte mich schon mit aufgesetzter Freundlichkeit grüßen, doch ich legte ihr wortlos den Umschlag auf den Tresen und verschwand sofort wieder. Ich konnte ihren verwunderten und verständnislosen Blick in meinem Rücken spüren und hörte gerade noch, wie sie das Papier aufriss.

Wenn Feinde Freunde werden



„Weißt du was mit Eric ist?“, war das erste, was ich aus dem Handy vernahm. Charlie konnte sich immer noch nicht damit abfinden, dass ich sie nicht mehr sehen wollte. Es war erst ein Tag vergangen und die Stadt ist mit dreifach so vielen Beamten ausgestattet. Die holten die alle aus den anderen Städten nur wegen einem Mann der gefunden werden muss. Ich hatte mich derseits im Lagerhaus versteckt, um das Spiel noch etwas seinen Lauf zu lassen. Eric konnte wieder normal sitzen und ich hatte ihm Medizin für die Wunde gegeben.
„Was soll denn mit ihm los sein?“
„Die Polizei hat bei mir angerufen und nach ihm gefragt. Sie wollte auch wissen, ob ich weiß, wo er sein könnte. Ich weiß selbst nicht, was mit ihm los ist und warum die das jetzt alles wissen müssen“, sagte sie mit ehrlicher Besorgnis.
„Du hast Angst um ihn“, das war keine Frage.
„Etwas schon... Aber hättest du das nicht?“
„Um ehrlich zu sein, nein.“ Mir war es egal, was sie jetzt von mir dachte und legte auf. Langsam wurde es wieder Zeit etwas zu essen, aber mir war gar nicht danach. Wieso geschah das alles jetzt? Vielleicht hätte ich ein halbwegs normales Leben führen können, aber natürlich musste bei mir immer alles schief gehen. Da ich nicht besseres zu tun hatte ging ich zu Eric. Er funkelte mich finster an, sagte aber nichts weiter.
„Charlie hat angerufen.“ Er wurde hellhörig und sah wieder kurz zu mir. „Sie hat nach dir gefragt, weil die Polizei nach dir sucht.“
„Wieso sucht die denn nach mir? Die haben sich doch sonst auch nicht für mich interessiert!“
„Hab ein Brief bei denen abgegeben mit einem Bild von dir von gestern.“ Ich musste grinsen. „Das macht es etwas lustiger.“
„Also könnte es sein, dass die hier jederzeit rein stürmen und mich befreien?“ Ich nickte. „Und wenn ich das nicht will? Ich meine vielleicht bin ich ja ganz zufrieden.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. Wie konnte er mit dieser Situation zufrieden sein? Er wurde verletzt und das nicht gerade schmerzfrei. Er hatte genug Geld, hatte ein so zu sagen perfektes Leben.
„Und bist du zufrieden?“
„Naja... Kommt drauf an, wie man es sieht. Vielleicht wenn ich etwas mehr Freiheiten hätte und du das mit dem Messer lassen würdest.“
„Würde ich ja gerne“, kam es schneller raus, als dass ich es aufhalten konnte.
„Wie jetzt?“
„Ich will das nicht. Ich will niemanden verletzen. Das ist wie in Zwang den ich erfüllen muss um ein halbwegs glückliches Leben zu haben.“ Ich machte eine Pause und sah Eric an, der mich auch ungläubig ansah. „Es ist wie mit Musikmachen. Man bekommt so ein Glücksgefühl, dass man irgendwann nicht mehr ohne es leben kann. So ist es bei mir auch, nur halt nicht in diese Richtung. Ich bin krank, Eric. Es tut mir sogar leid, dass ich das mit dir getan hab.“ Mir standen die Tränen schon in den Augen.
„Und wieso bist du dann noch hier?“, flüsterte er. Ich wusste irgendwie, dass diese Frage kommen würde.
„Weil sich meine Mutter auf mich geschmissen hat, als ich mich umbringen wollte und selbst dabei gestorben ist. Danach habe ich es nie wieder versucht.“
„Ach ja, das hattest du schon mal erwähnt“, erinnerte er sich. Ich ließ mich die Wand runter gleiten und legte meine Stirn auf meine Knie. So etwas war mich noch nie passiert, dass mein Geist zu zusammengebrochen ist, dass ich mich einer fremden Person geöffnet hatte.

Ich lachte. Ich lache aus ganzem Herzen und ehrlich. Wann hatte ich schon mal gelacht? Eric tat mir gut. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte hätte ich gemeint er könnte mich heilen. Aber das konnte niemand. Er war wie ein Freund, auch wenn er mich anfangs einigermaßen gehasst hatte.
„Wieso willst du denn bei mir bleiben?“, fragte ich, als ich mich wieder beruhigt hatte.
„Mir geht das alles auf die Nerven. Immer diese ganzen Termine und keine Zeit für mich. Ich einfach wie ein normaler Mensch leben. Nicht, dass ich das nicht wäre! Aber du weißt was ich meine, oder?“ Ich nickte und sah zur Seite. Eigentlich wollten Eric und ich das gleiche – ein normales Leben. Ich hatte Eric aus dem ekligen Zimmer raus geholt und er durfte sich frei bewegen. Er wollte aber nicht zu einem Arzt gehen, da er dann wieder zurück müsste. Auf lange Zeit gesehen wird das hier alles nicht klappen, aber man konnte es so lange versuchen wie nur möglich.
„Du bist der erste der keine Angst vor mir hat.“
„Echt jetzt?“
„Ja. Alle sind immer vor weggerannt und wollten nicht mit mir spielen“, lachte ich.
„Ich glaube Charlie steht auf dich.“
„Das zählt nicht!“
„Also stehst du auch auf sie?“
„Nein. Und wenn dürfte ich nicht mit ihr zusammen sein, da ich halt immer diesen Zwang in mir drin haben werde und ich würde es nicht aushalten, wenn ich einen Menschen den ich liebe verletze oder gar töte.“
„Auch wieder wahr.“ So unbeschwert es im Moment auch war, würde es nicht immer bleiben. Und wie aufs Wort hämmerte es gegen die Tür. Mit einem verwirrten Blick ging ich zur Tür und öffnete diese.
„Was fällt dir eigentlich ein einfach aufzulegen!?“, motzte Charlie mich wütend an.
„Ähm ja das. Sorry, wusste nicht was ich noch sagen sollte und hatte einfach nicht den Nerv noch zu reden“, redete ich mich schnell raus. Immer musste Charlie mich so überrumpeln. Ohne sich weiter an mich zu stören trat sie einfach ein und blieb wie versteinert mitten im Raum stehen.
„Hey, Charlie“, begrüßte Eric sie freudig. Ich ging an der immer noch versteinerten Charlie vorbei und ließ mich neben Eric auf die Couch fallen.
„Hattest du nicht gesagt, dass du nicht wüsstest wo er ist?“
„Dann hatte ich wohl gelogen.“
„Du weißt schon, dass die Polizei nach ihm sucht, oder!?“
„Jetzt solltest du dich mal fragen warum sie das tut“, legte ich ihr ans Herz.
„Und ich will nicht zurück.“ Charlie betrachtete Eric jetzt etwas genauer und schien den Kratzer auf seiner Wange zu erkennen. Aufgelöst trat sie näher zu ihm, bis sie ganz vor ihm stand und strich über die Verletzung.
„Woher ist das?“
„Ist wohl meine Schuld gewesen“, tat ich mit einem Schulterzucken ab. „Und wenn du das schlimm findest solltest du nicht den Brief den die Polizei bekommen hat sehen.“
„Wieso? Was ist daran so schlimm?“, fragte sie heiser.
„Ich hatte ein Messer in der Brust stecken“, lachte Eric. „Deswegen suchen die mich.“
„Und das findest du witzig!? Samu, wie konntest du das nur zulassen?“ Charlie standen schon Tränen in den Augen.
„Gerade wegen mir musste er das durchmachen. Aber jetzt bekommt er drei total coole Narben!“ Eric nickte zustimmend und ich konnte mir ein lachen nicht verkneifen.
„Was!?“ Eric zog sein T-Shirt hoch und Charlie sah ungläubig auf seinen Oberkörper.
„Siehst du und ich lebe noch. Was ist also so schlimm daran?“
„Das ist hässlich, Eric.“
„Was stört dich das denn, wenn du andere Kerle küsst?“ Nun fing Charlie an zu weinen. Wieso wusste ich nicht ganz, vielleicht war das einfach zu viel auf einmal für sie.
„Ihr seid solche Ärsche! Und jetzt weiß ich ja wo Eric ist und ich habe versprochen falls ich etwas erfahre sofort weiter zu geben.“

Game Over



„Wenn sie etwas erzählt hätte wären wir längst nicht mehr hier“, sagte Eric in die Stille.
„Einen Monat werden die sicher nicht warten und das zeigt auch nur, dass Charlie keinen Mumm hat ihren Ex zu verpfeifen.“
„Oder dich zu verlieren“, überlegte er.
„Ich will nichts von ihr, damit soll sie sich endlich abfinden.“ Eric zuckte mit den Schultern und sah zu mir rüber. In letzter Zeit kamen wir uns immer näher, etwas zu nah für meinen Geschmack, aber egal. Eric hatte mir schon sehr geholfen mein Problem unter Kontrolle zu bringen und das nur durch seine Anwesenheit.
„Sie kämpft. Sie gibt nicht einfach auf, wenn sie etwas wirklich haben will.“
„Aber dieser Kampf bringt nichts.“
„Sei dir da nicht so sicher, Samu, oder willst du dir gerade selbst einreden, dass du nicht für sie empfindet?“ Ich drehte mich vom schimmernden Wasser weg und ging ein Stück weiter auf die Wiese. Ich konnte wieder ohne große Bedenken frei auf der Straße rum laufen, wieso weiß ich nicht. Nach Eric wurde auch nicht mehr so stark gesucht, wie am Anfang, vielleicht dachten schon alle er wäre längst tot. Ich trat gegen einen Stein, der vor mir lag und traf in eine Pfütze die anfing zu platschen. Vielleicht hatte er recht, aber eben vielleicht auch nicht.
„Was hältst du davon schon als tot abgestempelt zu werden?“, versuchte ich das Thema zu wechseln.
„Mir ist egal, was die anderen denken.“ Er zuckte mit den Schultern. „Was würde es denn ändern tot zu sein? Rein gar nicht, außer, dass man endlich seinen Frieden gefunden hat.“ Dass er so darüber dachte hätte ich nicht gedacht. Jetzt verstand ich auch, warum er sich nicht gegen mich gewehrt hat, weil er nicht hatte, was ihm am Leben hielt. Er kam mit seinem Leben nicht mehr klar und wollte das alles eigentlich gar nicht mehr.
„So solltest du nicht denken.“
„Du denkst doch genauso!“
„Nein. Ich glaub nicht daran, dass ich meinen Frieden finden würde, aber der Tod würde alles um vieles einfacher machen. Bei dir aber nicht.“
„Und wieso bitte nicht?“
„Weil du etwas hast wofür es sich lohnt zu leben.“
„Pah!“ Er drehte sich um und ging. Ich weiß nicht wohin dieser Weg führte, aber er würde schon wieder kommen - das tat er immer. Sein Schatten verschwamm langsam mit der Dunkelheit und dem leichten Nebel, umso weiter er sich von mir entfernte. Ich verstand sein Problem nicht. Ich hätte genügend Gründe so zu reden und tat es doch nicht.
„Aufmerksamkeit suchend“, murmelte ich meinen Gedanken.

Er kam nicht. Er kam einfach nicht. Was bildet der sich eigentlich ein? Ohne ihn verfiel ich sofort wieder meinem alten Muster. Gleich würde ich ausrasten und sonst was anstellen. Wenn der jetzt nicht wieder kommt! Mit vor Wut geballten Fäusten rannte ich von einem Ende zum anderen des Lagerhauses. Ich halte das einfach nicht mehr aus, ich muss hier raus! Laut schlug ich die schwere Tür hinter mir zu und stürmte durch die Straßen in den Park von gestern. Einige Leute maulten mich an, was mir einfiel die einfach an zu rempeln, aber ich störte mich nicht daran. Ich war nur noch auf diesen Weg fixiert und Eric, der genau dort auf einer Bank saß.
„Was fällt dir eigentlich ein!?“, maulte ich ihn sofort an.
„Was?“
„Ja einfach so abzuhauen!“
„Ich bin nur einmal den Weg entlang und dann warst du weg.“
„Ich habe noch gewartet und niemand ist gekommen! Lüge mich nicht an, Eric!“ Mir war klar, dass alle Leute unseren Streit mitverfolgten. Sollten die doch. Sollten die alle wissen, was für ein Arsch Eric Saade sein kann, wenn er nur möchte.
„Reg dich doch nicht so auf. Lass uns das doch in ruhe besprechen“, schlug er gelassen vor.
„Ich will nicht ruhig sprechen! Ich weiß nicht wieso, aber jetzt kommt alles wieder raus. All das was du in mir drin vergraben hast. Ich dachte ich könnte echt lernen normal zu sein, aber es klappt nicht, Eric!“
„Was willst du mir jetzt damit sagen?“
„Dass all die unterdrückten Aggressionen an dir raus gelassen werden und du weißt wozu ich fähig bin!“ Sein Gesicht wurde blass und seine Augen ausdruckslos.
„Gut. Dann wird alles ein gutes Ende bekommen. Tu doch was du willst.“ Er starrte an eine Stelle hinter mir und wirkte abwesend.
„Du weißt, dass ich das eigentlich nicht will..“
„Aber ich will es so! Mach schon, oder hast du etwas Angst?“
„Ich hab keine Angst Leben zu beenden, aber du! Wieso lebst du denn sonst noch, wenn du alles so scheiße findest?“ Jetzt funkte Wut in seinen Augen auf. „Ich habe schon getötet und das weißt du. Und das waren nicht nur irgendwelche nervenden Insekten! Diesmal, Eric, werde ich richtig zielen und dann ist es für dich aus!“
„Gut! Toll! Mach doch! Ich hab nichts dagegen!“ Er hob seine Arme und sah mich immer noch wütend an. In der Ferne hörte ich Sirenen - irgendjemand hatte die Polizei gerufen. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie hier wären.
„Spucke nicht so laute Töne! Auch ein Superstar bekommt irgendwann Schiss und ich spüre es in dir, Eric. Die Angst ist das größte in dir. Du hast Angst vor allem. Aber am meisten vor deinem Beruf. Du könntest ja entführt werden. Ach, das ist ja schon passiert! Du könntest verletzt werden. Das ist leider auch schon geschehen! Du könntest in aller Öffentlichkeit blamiert werden. Tut mir leid, aber das passiert jetzt gerade. Deine Probleme hätte ich gerne!“ Wenn wir jetzt ein Cartoon wären, wäre Erics Kopf rot wie eine Tomate und ihm würde Dampf aus den Ohren kommen. Ich hörte schwere, schnelle Schritte, die sich uns näherten. Ich wusste, dass das die Polizei war, ohne zu schauen, wer es wirklich war. Eric sprang auf und wollte auf mein einschlagen, doch ich war schneller, packte das Messer in meiner Tasche und stieß ihm das Messer in den Körper. Diesmal wird er nicht überleben. Mit einem Zischen wich alle Luft aus seinen Lungen und er sackte auf dem Boden vor mir zusammen. Ein Polizist schoss gerade, als ich argwöhnisch in ihre Richtung lächelte. Ich spürte den stechenden Schmerz in meinem Kopf und spürte nicht mehr, wie ich dumpf auf den Boden knallte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.08.2012

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