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Prolog

 

Bellas POV




Ich dachte wirklich, dass ich dieses Kapitel meines Lebens für immer hinter mir lassen könnte.

Ich mag nicht mehr an diese Zeit zurück denken, da ich vor allem mit meinem jetzigen Schmerz zu kämpfen habe. Ich habe meinen Seelenverwandten verloren. Ich habe IHN verloren.

Besonders jetzt fällt es mir schwer, damit zurecht zu kommen, da ich IHN immer sehe. Obwohl ich weiß, dass dieser ein anderer ist, trifft mich jedes Mal der Schmerz aufs Neue, wenn ich in seine goldenen Augen schaue.

Eine schlechte Idee




Bellas POV


(Reguläres Universum)




Tick Tack, Tick Tack, Tick Tack.
Die Uhr schlug. Wie spät es nun war, konnte ich nicht sagen. Beim besten Willen nicht. Warum auch? Alles ist bedeutungslos geworden, nachdem ER gegangen war. ER hatte alles fort genommen. Mein Herz und meine Seele. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran, wie ER einst gesagt hatte, dass er glaubt, seine Art habe keine Seele.

Tja, obwohl ich kein Vampir bin und dies auch niemals mehr werden kann, hatte ich seit dem 16. September keine Seele mehr. Denn sie gehörte ihm, schon als er mich damals das erste Mal angesprochen und meinen Namen gesagt hatte, ohne, dass ich es auch nur ahnte.

ER war meine Seele. Und wenn die Seele einen verlassen hat, was war man da noch? Ohne IHN war und bin ich nichts. Nur eine leere kaputte Hülle.

"Bella? Bella, ich rede mit dir!" Die Stimme meines Vaters unterbrach somit die Stille in meinem Kopf. Ich schaute zu ihm auf, ohne wirklich etwas zu sehen. Erst jetzt wurde mir tatsächlich bewusst, dass Charlie mit mir gesprochen hatte. Mein Verstand arbeitete in letzter Zeit etwas langsamer.

"Was ist?", fragte ich leise.

"Bella, es wird Zeit, dass du wieder versuchst dein Leben weiter zu leben. Ohne ihn." Ich zuckte zusammen, doch Charlie sprach weiter.

"Es ist jetzt über einen Monat her und ich kann es einfach nicht mehr mit ansehen, wie du dich verhältst. Ich habe gewartet und gehofft, dass es sich bessern würde, doch so war es leider nicht. Du vegetierst nur noch dahin und machst überhaupt nichts mehr in deiner Freizeit. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. Vielleicht wäre es gut, wenn du zu einem Psychologen...“.

Als ich dieses Wort hörte, kam seit langer Zeit wieder Leben in mir zum Vorschein. Es war mir so fremd geworden, dass es sich sehr eigenartig anfühlte. Jetzt musste ich ihn einfach unterbrechen.


„AUF GAR KEINEN FALL!“, schrie ich ihn wütend an. Nie im Leben würde ich zu einem Psychologen gehen und über meine Probleme reden. Ganz abgesehen davon, dass mir sowieso niemand glauben würde, wenn ich die Wahrheit über die jüngsten Ereignisse erzählen sollte. Ich wusste, dass er mir den Vorschlag auch deshalb unterbreitet hatte, damit ich nicht nur über IHN mir alles von meiner „Seele“ reden sollte.

„Bella, bitte versuch‘ es wenigstens.“, bat Charlie.

„Ich muss jetzt zur Schule.“, antwortete ich immer noch leicht gereizt.

Ich zog mir meine Jacke an und ging hinaus in den Nieselregen. Während ich in meinem Transporter zur Schule fuhr, überlegte ich was ich machen könnte, damit Charlie mich nicht wieder mit seiner Idee konfrontierte. Ich beschloss Jessica zu fragen, ob sie mit mir ins Kino gehen würde. Doch ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte. Wegen meines „Verhaltens“ hat sich Jessicas Einstellung gegenüber mir geändert.

Sie war beleidigt und verbrachte ihre Zeit nun meist mit Lauren, die mich seit meinem ersten Tag sowieso nicht besonders mochte. Ich stand auf dem Parkplatz an der Schule, saß aber immer noch in meinem Transporter und überlegte fieberhaft, wie ich das Gespräch mit Jess‘ meistern sollte. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich mich sogar beeilen musste, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Als ich in den Raum kam und mich auf meinen Platz setzte, war Jessica bereits da. Da nun der Unterricht begann, konnte ich kein Wort mit ihr wechseln.

Während des Unterrichts wurde ich immer unsicherer, was meinen Plan betraf. Ich schauderte nämlich leicht in der ganzen Stunde, da ich Jessicas „kalte Schulter“ spüren konnte. Mich verließ der Mut und ich traute mich nicht mehr sie zu fragen. Selbst in der Mittagspause, als ich mit den anderen (Angela, Ben, Jessica, Mike, Eric und Lauren) am Tisch saß, ließ ich es unversucht. Meistens blendete ich alles aus, doch manchmal drangen Gesprächsfetzen zu mir durch und mir wurde bewusst, dass sie auch über mich redeten, als ob ich nicht da wäre und mich geflissentlich ignorierten. Naja, hauptsächlich redeten Lauren und Jessica abfällig über mich, wenn ich doch genauer hin hörte. Doch eigentlich war es mir egal.

Der Rest des Schultages raste an mir vorbei und ich wunderte mich, als ich wieder in meinem Transporter saß. Ich wollte jetzt aber nicht nach Hause fahren. Ich musste irgendetwas unternehmen, damit Charlie besänftigt war, egal ob mit oder ohne Jessica. Ich holte mein Handy aus meiner Schultasche und rief Charlie auf dem Polizeirevier an, bereitete mich innerlich darauf vor und atmete noch einmal tief durch, bevor er abhob.

„Chef Swan?“

„Hallo Dad, ich bin‘ s.“

„Bella? Ist etwas passiert.“
Charlie klang besorgt, wie immer in letzter Zeit, dachte ich.

„Nein Dad. Alles in Ordnung. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich nach Port Angeles fahre und mir dort etwas die Zeit vertreibe. Ich habe Jessica gefragt, doch sie hat leider abgesagt. Und ich muss doch mal wieder raus, findest du nicht?“

Ich hoffte, dass er die kleine Lüge von mir nicht durchschaute.

„Klar, natürlich Bella!“, sagte Charlie nun etwas vergnügter, auch wenn ich immer noch die Sorge heraus hörte. „Es ist gut, dass du mal wieder auf andere Gedanken kommst. Aber beim nächsten Mal wäre es besser, wenn jemand mit kommen würde.“

Als Charlie dies gesagt hatte, wusste ich, dass ich nicht nochmal alleine irgendwo hinfahren konnte. Dies war also eine einmalige Sache. Trotzdem war ich froh darüber, dass er damit einverstanden war.

„Also dann, Bella. O.K. Aber bitte komm‘ nicht zu spät nach Hause. Und mach dir keine Gedanken wegen des Abendbrots. Ich werde Pizza mitbringen. Ich wünsch‘ dir viel Spaß. Bis dann.“, sagte Charlie und beendete unser Gespräch.

Ich startete den Motor und fuhr nochmal kurz nach Hause um meine Handtasche zu holen, die ich sehr selten benutzte. Auf dem nach Port Angeles machte ich mir darüber Gendanken, wie ich nur die Zeit totschlagen könnte. Ich beschloss erstmal etwas zu essen, sozusagen ein verspätetes Mittagessen, da ich heute noch nicht viel gegessen hatte. Mir war natürlich klar, dass ich auch jetzt nicht viel essen würde, aber wenigstens war ich mit etwas beschäftigt.

Als ich in Port Angeles angekommen war und geparkt hatte, ging ich in das nächste Restaurant hinein, das ich sah und setzte mich an einem freien Tisch.

„Guten Tag“, sagte die Kellnerin.

Ich sah zu ihr auf und versuchte sie anzulächeln, was gar nicht so einfach war, da ich es schon ewig nicht mehr getan hatte. Es fühlte sich genauso seltsam an wie der Wutausbruch, den ich heute Morgen bei Charlie hatte. Sie sah mich kurz merkwürdig an, lächelte mir freundlich zu und zündete die Kerze auf den Tisch an und wollte mir die Karte überreichen.

„Danke. Aber ich weiß schon, was ich möchte. Eine Cola und die Pilzravioli, bitte.“

Kaum hatten diese Worte meinen Mund verlassen, bereute ich sie schon. Sie kamen ganz automatisch heraus, ohne dass ich überhaupt wirklich nachgedacht hatte.

„Gut. Ihr Getränk kommt gleich.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich die Kellnerin und ging davon. Als ich sie in der Küche verschwinden sah, hatte ich sie schon vergessen.

Ich verstand mich selbst nicht mehr. Warum hatte ich das nur gesagt? Plötzlich kamen all‘ die schmerzhaften Erinnerungen wieder hoch, die ich immer zu unterdrücken versuchte.

Als ich mit IHM auch in einem Restaurant gesessen hatte und mich bat etwas zu essen, weil er dachte, ich würde einen Schock bekommen. Wie ER dann versuchte, sich mir gegenüber zu öffnen und mir erzählte, wie er mich gefunden und gerettet hat. Wie ich seine kalte harte Hand berührt habe. Und seine goldenen Augen, die an diesem Tag so hell leuchteten, wie ich sie noch nie gesehen hatte.

Ich schauderte und umklammerte meinen Körper damit ich nicht auseinander fiel. Der Schmerz traf mich mit voller Wucht und ich schnappte etwas nach Luft.

„Ist Ihnen kalt?“, fragte die Kellnerin, die ein Tablett trug auf denen die Getränke standen. Darunter auch meine Cola.

„Nein, mir geht es gut.“, sagte ich etwas verspätet und leiser.

Ich wusste, dass ich nicht überzeugend war, doch noch ohne ein Wort zu sagen stellte sie die Cola vor mir ab und ging zum nächsten Tisch. Ich hatte mich nun wieder beruhigt und wartete auf mein Essen. Als die Kellnerin mir mein Essen brachte und wieder ging, sah ich auf mein Essen hinunter, als wäre es irgendetwas, das nicht von dieser Welt sei. Mir kam auf einmal ein neuer Gedanke und nun begann ich mich richtig im Restaurant umzusehen.

Mit Schrecken erkannte ich die gleiche Szene, die sich vor einigen Monaten zugetragen hatte. Ich saß in genau dem gleichen Restaurant mit der gleichen Bestellung wie damals. Doch etwas Entscheidendes fehlte. ER war diesmal nicht da. Keiner saß mir gegenüber, würde mit mir reden und mich beobachten.


Wieder durchfuhr mich der Schmerz und zitterte. Ich wollte wieder automatisch meine Arme um meine Brust legen, doch mir wurde bewusst, dass ich nicht allein war. Ich unterdrückte diesen Drang und hätte sofort los schreien können, als der Schmerz meinen Körper schüttelte. Doch natürlich schrie ich nicht.


Ich wollte nicht die anderen Gäste belästigen und ihnen keinen Grund geben, mich als verrückt und gestört abzustempeln. Wenn sie jetzt noch einen Krankenwagen wegen mir rufen würden, dann wäre Charlie nur noch besorgter um mich, falls das überhaupt noch möglich war.


Denn dann würde er mich wohl oder übel zwingen zu einem Psychologen zu gehen und das wollte ich auf gar keinen Fall riskieren. Als ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, war ich erstaunt, dass ich nicht ohnmächtig geworden oder vom Stuhl gefallen bin oder sonst was. Ich starrte wieder auf mein Essen und verfluchte diese Idee, je nach Port Angeles gefahren zu sein und hasste mich selbst dafür.

Halluzinationen





Bellas POV


(Reguläres Universum)




Doch nun war ich einmal hier und musste mich damit abfinden. Ich nahm mein Glas Cola und trank. Ich merkte gar nicht, dass ich so durstig war und trank etwas mehr als die Hälfte aus. Ich seufzte, nahm die Gabel und begann in meinem Essen herumzustochern. Nacheinander spießte ich Pilze auf und schob sie mir in den Mund. Jedoch ließ ich mir sehr viel Zeit beim Kauen, da ich ja noch viel Zeit zur Verfügung hatte. Während dieser Zeit hing ich meinen Gedanken nach.


Es gab so viele Restaurants in dieser Stadt. Warum musste ich ausgerechnet hier hinein gehen? Und noch viel Wichtiger: Warum bestellte ich genau dieses Gericht, wo es doch noch ganz andere Sachen zu essen gibt? War das alles Schicksal? Und wenn ja, warum hat es mich hierher geführt? Wollte man mich daran hindern IHN mehr und mehr zu vergessen, auch wenn mich diese Aktion wieder schmerzhafte Erinnerungen kostete?


Irrsinn!
Ich brauchte nicht zu vertrauten Orten gehen, damit die Erinnerung lebhaft blieb. Ich kann sie so oder so hervor holen, wann immer ich es will. Naja, allerdings kann von Wollen bei mir keine Rede sein. Die Alpträume erinnern mich jede Nacht an den Schmerz und somit auch an IHN. Ich verfluchte mich und diese ganze Situation hier und war froh, wenn ich wieder auf den Weg nach Hause war.


Als sich bei mir langsam das Sättigungsgefühl einstellte, nahm ich meinen Teller wieder wirklich war. Ich hatte zwar nicht alles geschafft zu essen, jedoch war der Teller mehr als nur halb leer. Ich wunderte mich selbst. Soviel habe ich seit langer Zeit nicht mehr gegessen. Dafür gab es einen einfachen Grund. Ich verspürte nicht den Drang etwas zu mir zu nehmen. Eigentlich verspürte ich überhaupt keinen Impuls zu irgendetwas. Meistens aß ich nur – auch das war nicht besonders viel – damit Charlie nicht noch mehr Angst um meine körperliche Gesundheit zu haben brauchte.


Ich legte die Gabel zur Seite, wischte mir den Mund mit der Serviette ab und rief die Kellnerin, damit sie mir meine Rechnung brachte. Als sie kurz darauf wieder kam, betrachtete ich sie genauer. Nein. Erleichtert atmete ich auf. Es war nicht die gleiche wie… damals. Ich bezahlte mein Essen, stand auf und zog mir meine Jacke über.


Als ich endlich draußen war und die Luft einatmen konnte, ging es mir etwas besser. Ich war froh, den Erinnerungen entkommen zu sein. Vorerst zumindest. Mein erster Gedanke war, zurück zu meinem Transporter zu gehen. Was sollte ich auch sonst tun? Ins Kino gehen oder in einen Buchladen? Ausgeschlossen. Ohne IHN hatte jede Kleinigkeit keine Bedeutung mehr in meinem Leben. Aber andererseits? Soll ich den Rest der Zeit in meinem Transporter sitzen und darauf warten, dass die Zeit vergeht? Das war keine Option. Schließlich ging es darum, Zeit hier zu verbringen, auch wenn ich es eigentlich nicht wollte.


Ich beschloss, nach vielem Hin- und Herüberlegen, durch die Stadt rumzulaufen und nach einem Buchladen Ausschau zu halten. Schließlich könnte ich eine für mich neuere Ausgabe von „Sturmhöhe“ gebrauchen, auch wenn ich es nicht mehr lesen würde. Jedoch würde dies einige Zeit in Anspruch nehmen und ich hatte etwas, dass ich Charlie erzählen konnte. Ich ging los und versuchte mich auf meine Suche zu konzentrieren. Anfangs achtete ich auch auf fast jeden Laden, den ich sah, aber ein Buchladen war nie darunter. Mit der Zeit verlor ich meine Idee aus den Augen und achtete immer weniger darauf wo genau ich eigentlich hinlief. Als ich die immer kälter werdende Luft spürte, sah ich zum ersten Mal seit langem wieder zum Himmel. Es war schon dunkler geworden und die Sonne würde bald ganz am Horizont verschwinden.


Ich sah mich um und versuchte mich zu orientieren. Nach ein paar Sekunden glaubte ich zu wissen wo ich war und wusste, wie ich wieder zu meinem Transporter zurück finden würde. Plötzlich hörte ich Musik und Männerstimmen. Auf der anderen Straßenseite war eine Bar, die den Namen „Pipeline“ trug. Außerhalb der Bar, waren Tische und Stühle, auf denen die Männer saßen und sich etwas lautstark unterhielten. Ich starrte die Männer gebannt an und konnte meinen Blick nicht von ihnen abwenden.


„Hi, Süße.“, sagte einer der Männer.

Als ich diese Worte hörte musste ich wieder an die Vergangenheit denken. Damals war ich auch in Port Angeles alleine unterwegs und bin einigen Männern über dem Weg gelaufen, die sich mit mir einen Spaß erlaubt und mich getrieben hatten. Damals hatte auch einer der Männer „Süße“ zu mir gesagt.


Plötzlich wurde mir die Ähnlichkeit dieser beiden Situationen tatsächlich klar und ich spürte wie sich mein Puls beschleunigt hatte. Ein merkwürdiges Gefühl. Seit langer Zeit verspürte ich etwas. Durch diese etwas unheimliche Situation spürte ich, dass ich wirklich lebte, nicht nur existierte. Als ich dies erkannte, fühlte ich den Drang zu den Männern hinzugehen. Die Bedrohung, die von diesen Männern auszugehen schien, übte einen Reiz auf mich aus. Ich gab ihm nach und machte einen Schritt auf die Bar zu.


„Bella, was machst du da?“


Das war keine Stimme der Männer. Wie auch, ich hatte ihnen nicht meinen Namen gesagt. Nein diese samtweiche Stimme gehörte IHM. Es war die schönste Stimme, die ich je gehört hatte. Ich staunte, dass ich sie hören konnte, ohne vor Schmerz auf der Straße zusammen zu brechen. Sie war außerdem viel deutlicher und hörte sich so echt an, als wäre ER wirklich hier, um mich davon abzuhalten, zu der Bar hinzugehen. Ich fühlte keinen Schmerz, nur Trauer, dass die Stimme wieder verschwunden war.


Mir kam die Idee und ich ging noch einen Schritt weiter. „Bella, kehr um und fahr nach Hause! Vergiss nicht, was du mir versprochen hast!“ Ich atmete erleichtert auf und war sogar imstande leicht zu lächeln.


„Hallo.“, sagte ich etwas schwach zu dem Mann, der mich angesprochen hatte.


Der Mann schien sich ermutigt zu fühlen, wahrscheinlich weil er dachte, ich hätte seinetwegen gelächelt.


„Komm doch her und trink was mit uns. Wir laden dich ein.“, sagte er freundlich zu mir.

„Tut mir leid. Ich bin noch zu jung.“

Ich musste etwas sagen und erklären, warum dann überhaupt zur Bar gehen wollte.

„Ich dachte, ich hätte einen Bekannten von mir bei euch sitzen sehen. Da hab ich mich wohl geirrt. Tut mir leid.“, sagte ich noch einmal.

„Kein Problem. Dann trink doch was Alkoholfreies.“

„Nein, ich muss wieder los. Entschuldigung.“


Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging wieder zum Transporter. Ich ging zügiger als vorhin zurück. Denn auch wenn es vielleicht nicht solche Typen wie damals waren, hatte ich es doch als meine Pflicht angesehen, auf IHN zu hören. Endlich war ich bei meinem Transporter wieder angelangt, stieg ins Fahrerhaus ein und verschnaufte ein paar Minuten, um mich wieder zu beruhigen. Ich musste mir klar machen, was da gerade passiert ist.


Ich hatte SEINE Stimme gehört, obwohl er nicht da war. Die erste Möglichkeit war, dass ich nun selbst den Beweis hatte, der erklärte, dass ich verrückt geworden bin. Schnell schob ich diesen Gedanken beiseite. Die andere Möglichkeit war, dass diese Art Halluzination aus meinem Unterbewusstsein kam. So gab mir mein Unterbewusstsein das, was ich brauchte. Die Illusion, dass es IHM wichtig wäre, dass ich lebe und er mich beschützen würde, wenn ich IHM etwas bedeuten würde. Diese Variante erschien mir sinnvoller.


Als ich den Motor startete, um mich auf dem Weg nach Hause zu machen, sah ich, dass die Sonne nun ganz verschwunden war und es der Himmel sehr dunkel war. Ich schaute auf die Uhr, die 18. 52 Uhr anzeigte. Je näher ich Forks kam, umso mehr entspannte ich mich. Ich dachte darüber nach, wie ich es schaffen könnte, wieder eine Halluzination hervorzurufen. Eigentlich wusste ich, dass es ziemlich dumm war so etwas zu tun. Ich brauchte sie. Wie eine Droge. Ich zuckte leicht zusammen, da ich mich daran erinnerte, von wem ich diese Worte schon einmal gehört hatte.


Das Problem war, dass ich nicht wusste, wodurch diese Erscheinung ausgelöst wurde. Dann kam mir eine Idee. Aber ob sie gut war, wagte ich zu bezweifeln. Vielleicht, wenn ich Orte aufsuchen würde, die mit IHM in irgendeiner Weise in Verbindung stehen, könnte ich wieder SEINE Stimme hören. Natürlich war mir auch der Schmerz bewusst, der vielleicht folgen würde, aber ich musste es einfach riskieren. Ich sehnte mich zu sehr nach dieser Stimme.


SEIN Haus. Ja, das wäre so ein Ort. Ich fasste den Entschluss morgen nach der Schule dort hinzufahren. In mir keimte etwas Hoffnung auf. Natürlich mit seinem ständigen Begleiter: Die Verzweiflung.


Kurz nach acht Uhr erreichte ich unser Haus und schloss die Tür auf.


„Bella?“

„Ja Dad, ich bin’s.“

Er stand vom Sofa aus, kam auf mich zu und umarmte mich. Ich erwiderte seine Umarmung und wunderte mich über Charlie. Solche Gefühlsausdrücke war ich nicht von ihm gewohnt.


„Und, wie war dein Tag?“, fragte er mich bemüht fröhlich, nachdem er mich losgelassen hatte.

„Naja, ganz in Ordnung. Zuerst war ich im Restaurant etwas essen, da ich großen Hunger hatte. Danach habe ich einen ich Buchladen gesucht, um mir eine Ausgabe von „Sturmhöhe“ zu kaufen. Du weist ja, dass meine schon sehr kaputt ist. Ich bin die ganze Zeit herum gelaufen und habe einen Buchladen gesucht. Allerdings konnte ich keinen finden, also bin ich zurück gegangen und fuhr dann auch gleich zurück, da es ziemlich spät geworden ist.“


Ich versuchte ihn anzulächeln und auch er lächelte etwas schüchtern zurück. Ich war mir aber sicher, dass ich ihm nichts vormachen konnte.


„Naja, etwas schade. Aber es freut mich, dass du mal unterwegs warst. Beim nächsten Mal fahr aber bitte nicht alleine, ja?“


„O.K. Dad. Ich bin ziemlich müde und gehe gleiche ins Bett.“

„Nacht, Bella.“


Ich nickte ihm zu ging die Treppe hoch in ins Bad, um mich fertig zu machen. In dieser Nacht schlief ich wieder nicht besonders. Die Alpträume, oder vielmehr der immer gleiche Traum, ließ mich schreiend erwachen. Jede Nacht. Anfangs war Charlie noch in mein Zimmer gekommen, um nach mir zu sehen. Doch er hatte sich daran gewöhnt und kam nicht mehr.


Als ich am nächsten Morgen in die Küche hinunter kam, war Charlie schon unterwegs. Insgeheim war ich sehr froh darüber. In der Schule lief es genauso ab wie gestern. Ich konnte mich auf niemanden wirklich konzentrieren, da ich nur mein Vorhaben im Blick hatte. Als die Schule aus war und ich im Transporter saß und bereit war loszufahren, wurde ich nervös.


Was, wenn ich das Haus nicht finden würde? Was, wenn nicht das passiert, was ich mir erhoffe? Mit diesen Zweifeln startete ich den Wagen und fuhr los. Je näher ich zum Haus fuhr, desto deutlicher wurde der Weg zu ihm. Es schien mir fast so, als würde es nach mir rufen. Obwohl es einige Zeit dauerte fand ich das Haus. Drum herum war der Boden mit Fahnen durchsetzt und das Gras ist höher gewachsen. Man konnte erkennen, dass man sich hier rum nicht mehr gekümmert hatte.


Ich stieg aus und betrachtete das Haus. Es war zwar da, eindeutig ein Beweis, dass ER in mein Leben getreten war. Jedoch war es nicht mehr das gleiche. Die Leere schrie förmlich aus dem Haus. Ich zuckte unweigerlich bei diesem Anblick zusammen. Ich trat einen Schritt vor.


Nichts geschah.


Ich schritt immer weiter voran, bis ich an der Veranda angekommen war, doch ich hörte nichts. Keine Stimme war in meinem Kopf. Ich sackte zusammen und spürte den Schmerz, der mich jetzt einholte. Mir schien es, als sei er noch viel schlimmer als gestern. Ich schlang die Arme um meine Brust und betete, dass der Schmerz bald vorüber sei. Es war also eine ganz schlechte Idee hierher zu kommen. Das musste ich mir bei meiner Enttäuschung letztendlich eingestehen.


Ich staunte über mich selbst, als ich irgendwann die Kraft fand, wieder auf die Beine zu kommen. Ich dachte wirklich, ich müsste zum Transporter zurück kriechen. Ich stand da und starrte wieder das Haus an und merkte, dass ich Tränen in den Augen hatte. Ich schluchzte ein paar Mal, ehe ich mich von diesem Anblick losreißen konnte. Ich drehte mich um und war schon ein paar Schritte in Richtung meines Transporters gelaufen, als ich eine Stimme hörte.


(Paralleluniversum)




„Halt. Bist du Isabella Marie Swan?“, fragte eine weiche Stimme, die mir bekannt vor kam.


Ich wusste aber sofort, dass diese Stimme nicht meinem Unterbewusstsein entsprang. Mir fiel auf, dass mein Transporter nicht mehr da war, wo ich ihn abgestellt hatte. Als ob er verschwunden wäre. Merkwürdig. Ich blieb stehen und drehte mich langsam – noch langsamer als sonst – um. Und dann sah ich 7 Gestalten auf der Veranda stehen und mir fielen sofort die Vampirmerkmale auf:


Die goldenen Augen und die blasse Haut.


Dann im nächsten Moment traute ich meinen Augen nicht mehr. Ich sah IHN, wie er mich neugierig musterte. Aber irgendetwas war komisch an SEINEM Blick. Ich merkte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich und meine Augen sich vor Schreck weiteten. Ich erstarrte und meine Muskeln verkrampften sich.


Schließlich wurde alles schwarz vor meinen Augen.

Verwirrung




Bellas POV


(Paralleluniversum)




Ich spürte eine kalte Hand an meinem Handgelenk. Dann hörte ich Stimmen, die nach und nach immer lauter wurden.

„Ja, ich bin mir ganz sicher. Dieses Mädchen ist Isabella Marie Swan, die schon seit 11 Jahren vermisst wird.“

„Unglaublich.“

„Aber was uns mehr interessieren sollte ist, wie sie hierher gefunden hat. Schließlich weiß doch niemand,
wo wir wohnen.“

„Das stimmt. Auch ist es merkwürdig, woher sie auf einmal gekommen ist. Es schien, als sei sie aus dem Nichts aufgetaucht. Oh, sie wird jetzt aufwachen.“


Meine Augenlieder flatterten und ich schlug die Augen auf. Ich sah, wie sich jemand über mich beugte und nach einem Herzschlag begriff ich, wer es war. Es war Carlisle. Mich durchfuhr die Freude, als ich sein schönes Gesicht vor mir sah, doch dann zog ich die Augenbrauen zusammen und stutzte. Carlisles Haar war nicht blond, so wie ich es in Erinnerung hatte, sondern es war rötlich gefärbt. Weinrot, schoss es durch meinen Kopf.


„Isabella, schön, dass du wach bist. Mein Name ist Carlisle Cullen. Wie geht es dir jetzt?“, fragte er mit seiner schönen Stimme.


Wieder stutzte ich? Warum nannte Carlisle mich Isabella? Als ob wir uns noch nie begegnet wären. Und warum war er mit seiner Familie zurück in Forks? Natürlich war ich irgendwo froh, dass sie wieder zurück waren, dennoch verstand ich den Sinn dahinter nicht? Was sollten sie hier wieder wollen? Für sie gab es doch keinen Grund nach Forks zu kommen.


„Ja mir geht es besser, danke Carlisle. Ich bin nur ohnmächtig geworden. Aber warum nennst du mich Isabella? Du tust ja so, als würden wir uns überhaupt nicht kennen.“


Nun sah Carlisle verwirrt aus.


„Wir haben uns noch nie getroffen. Wenn wir uns kennen würden, dann wüsste ich das.“


Ich verstand die Welt nicht mehr. War das alles so eine Art Spiel? Warum? Ich setzte mich auf dem Sofa auf und sah nun die anderen Cullens. Esme, Emmett, Rosalie, Alice, Edward. Ich zwang mich den Namen zu denken, auch wenn mich wieder der Schmerz durchfuhr und ich zusammen zuckte. Doch da stand noch jemand, den ich noch nie gesehen hatte.


Sie hatte die gleiche Blässe und die goldenen Augen, wie die anderen. Sie war auch ein Vampir, daran bestand kein Zweifel. Aber ich konnte mich an keine weitere Frau, die zu den Cullens gehörte, erinnern. Ich sah sie mir genauer an. Neugierig erwiderte sie meinen Blick. Sie war eine unglaublich schöne junge Frau mit langen glatten Haaren, die ihr bis zur Taille gingen. Sie hatte eine blaue Jeans und eine weiße Bluse an. Ich schätzte sich Anfang 20. Moment, da war etwas, was mir ins Auge stach. Ich betrachtete nochmals ihre Haare und sah mir deren Farbe sehr genau an.


Dann wechselte mein Blick zwischen Ihr und Edward - ich musste einmal schwer schlucken – hin und her. Schließlich sah ich die Ähnlichkeiten. Diese schöne junge Frau hatte ähnliche Gesichtszüge wie ER und auch hatten die Haare der beiden den gleichen eigenartigen Bronzeton. Wenn man die beiden so nebeneinander stehen sieht, könnte man denken, dass die beiden „echte Blutsverwandte“ sind. Seltsam. Mein Blick schweifte im ganzen Raum umher und ich sah die Vampire der Reihe nach wieder an. Carlisle, der neben mir am Sofa stand, Esme ein kleines Stück dahinter und die anderen etwas abseits von den beiden. Alle sahen mich neugierig und etwas verwirrt an.


Als mein Blick wieder IHM begegnete, fragte ich mich warum er mich so seltsam betrachtete. Neben Neugier und Verwirrung, sah ich auch die Frustration in seinem Blick. Jedoch war sie nicht so dominant wie damals, an meinem ersten Tag an der Forks High School. Halt. Da fehlte doch jemand. Wo war Jasper? Ist er verschwunden, als sie mich in ihr Haus ließen, damit mir nicht das gleiche passierte, wie an meinem 18. Geburtstag. Wahrscheinlich war es so. Trotzdem ich sie alle sah, auch die Vampirfrau, die ich nicht kannte, fühlte ich mich wieder etwas besser. Dennoch konnte ich ein leichtes Gefühl von Unbehagen nicht abschütteln. Ich glaubte, dass es etwas mit Jasper zu tun hat. Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken neu zu ordnen. Ich sah Carlisle wieder an.


„Natürlich kennen wir uns. Wir begegneten uns das erste Mal im Krankenhaus, als du mich untersucht hattest. Es war der Tag als Edward mich vor dem Van und mir somit das Leben gerettet hat. Hast du das wirklich vergessen?“, fragte ich ihn ungläubig.


Als ich SEINEN Namen ausgesprochen hatte, brannte er mir ein wenig im Hals. Ich spürte die Erinnerung an die Schmerzen, doch ich versuchte sie zu unterdrücken.


„Wie bitte?“, fragten alle gleichzeitig und sahen mich noch verwirrter an.


„Moment mal, woher kennst du denn meinen Namen?“, fragte ER mich.


Als ich diese Worte hörte, spürte ich so einen heftigen Schmerz, der meinen Körper zeriss. Ich zuckte zusammen, schlang die Arme um die Brust und versuchte zu atmen. Carlisles Blick wurde sofort besorgt, doch ich achtete nicht darauf. Als ich mich wieder beruhigt hatte, schaute ich IHN wieder an.


„Was soll das? Warum fragst du mich so was? Ich gehe auf die Forks High School und ich kenne euch alle, seit meinen ersten Tag. Du hast neben mir im Biologie-Unterricht gesessen. Ich habe dir doch damals erzählt, dass ich von Phoenix hierher gezogen bin. Was soll das alles? Warum seid ihr nach Forks zurück gekehrt und warum tut ihr alle so, als würdet ihr mich nicht kennen? Wo ist Jasper und wer ist diese Frau?“ Ich deutete auf sie. Während ich das alles sagte, brach meine Stimme immer wieder und ihr merkte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Die Cullens sahen sich untereinander an. Es schien wirklich so, als würden sie nicht verstehen, was ich sagte.


„Nun beruhige dich, Isabella. Es tut mir wirklich leid, aber wissen alle nicht, wovon du redest. Ich bitte dich, dies genauer zu erläutern, was du mit deinen Worten meinst. Natürlich nur, wenn du dich dazu in der Lage fühlst.“, sprach Carlisle zu mir.


Ich nickte, wischte mir die Tränen mit dem Ärmel meiner Bluse ab und atmete tief ein. Auch wenn es mir sehr schwer fiel, fing ich an zu erzählen.


„Ich kam am 18. Januar dieses Jahres nach Forks, um bei meinem Vater Charlie Swan zu leben. Er ist hier als Polizist tätig. Als ich dann zur Schule ging, sah ich euch das erste Mal in der Cafeteria. Naja, außer diese Frau da.“ Ich machte eine Handbewegung zu Alice, Rosalie, Emmett, dieser Frau und IHM. „Besonders fiel mir Edward auf, seine schwarzen Augen und deren hasserfüllter frustrierter Blick auf mich. Nach der Mittagspause ging ich zum Biologie-Unterricht. Neben Edward war der einzige freie Platz. Ich setzte mich neben ihm und versuchte ihn zu ignorieren. Während der ganzen Stunde hielt er die Hand vor dem Mund und war angespannt. Wahrscheinlich hatte er während der ganzen Zeit nicht einmal geatmet.“


Jetzt konzentrierte ich mich hauptsächlich auf IHN, als ich weitersprach.


„Dann, als du nach einer Woche wieder zum Unterricht gekommen bist, fingst du an, dich mit mir zu unterhalten. Mir sind dabei deine goldenen Augen aufgefallen und es war mir ein Rätsel, wie diese Farbänderung zustande kam. Du wolltest jedes Detail aus meinem Leben erfahren. Warum ich hergezogen bin und so was. In den folgenden Wochen hast du dich immer an einem freien Tisch, abseits von deinen Geschwistern hingesetzt und hast mir angeboten, mich zu dir zu setzen. Wir unterhielten uns und du machtest immer seltsame Andeutungen, die ich nicht verstand. Dann passierte der Unfall, den ich vorhin schon erwähnt habe, wie ihr wisst.


Ich wollte von Edward die Wahrheit erfahren, wie er es geschafft hat, einen Van anzuheben, damit ich nicht zerquetscht wurde. Du sagtest mir, dass du neben gestanden hast. Das glaubte ich dir aber nicht. Dann hast du mir ein zweites Mal das Leben gerettet. Das war in Port Angeles, als ich in einer Gasse von Typen bedroht wurde. In dieser Nacht hast du mir von deiner Fähigkeit erzählt und wie sie funktioniert. Du sagtest mir, dass du von jeden Menschen die Gedanken hören kannst, außer von mir.“

Ich sah wie ER seine Augen zusammen kniff.


„Ich erzählte dir, wie ich hinter euer Geheimnis gekommen bin. Ich habe mir von einem Freund der Familie, der dem Quileute-Stamm angehört, Legenden über die „kalten Wesen“ erzählen lassen. Er hatte euch erwähnt und das ihr Tiere jagen würdet und keine Menschen. Das ihr somit anders seid. Naja, somit verbrachten ich und du immer mehr Zeit miteinander und allmählich hast du mir den Grund für dein Verhalten an meinem ersten Tag erklärt. Du sagtest, mein Geruch wäre deine Lieblingsdroge und das es dir sehr schwer fallen würde, deinem Durst zu widerstehen. Aber du hast geschafft.


Dann sagtest du mir…“, ich hatte einen riesen Kloß im Hals, „…das du dich in mich verliebt hast. Als wir uns dann das erste Mal geküsst hatten, wurde unsere Beziehung noch enger und du hast mich deiner Familie vorgestellt. Dann hast du mir noch ein drittes Mal das Leben gerettet, als ein Vampir namens James Jagd auf mich gemacht hatte. Er hatte mich gebissen, doch du hast das Gift herausgesaugt. Als ich wieder gesund war, bat ich dich, mich zu verwandeln. Aber du meintest, dass du meine Seele nicht zerstören willst.


Dann an meinem 18. Geburtstag hatte Alice eine Party für mich bei euch organisiert. Doch als ich ein Geschenk auspacken wollte, schnitt ich mir in den Finger. Jasper, dein Bruder, überkam der Durst und wäre über mich hergefallen, wenn ihr ihn nicht aufgehalten hättet. Dieses Ereignis gab den Ausschlag und drei Tage später, sagtest du mir, dass du mich nicht mehr wolltest und hast mich mit deiner Familie verlassen. Dies ist jetzt über einen Monat her.“


Somit beendete ich meine Erklärungen. Soviel hatte ich seit diesem Tag nicht mehr gesprochen. Es tat mir weh, dass ich das alles nochmal erleben musste. Wieder spürte ich den Schmerz kommen, doch ich riss mich diesmal zusammen. Die Cullens sahen mich verblüfft an, aber immer noch war die Verwirrung ihnen deutlich anzusehen.

Carlisle sah mich an und sprach: „Das ist ja eine merkwürdige Geschichte. Du weißt also was wir sind?“


Ich nickte.


„Es tut uns leid Isabella, aber du warst nie an der Forks High School und auch noch nie hier im Krankenhaus.“


Es dauerte eine Weile, bis diese Worte in mich einsanken. Was hatte das alles zu bedeuten?

„Was? Das kann doch nicht sein? Das verstehe ich nicht? Bitte erkläre mir, was hier vor sich geht. Und bitte hör‘ auf, mich Isabella zu nennen. Ich heiße Bella.“, antwortete ich mit schwerer und etwas belegter Stimme.


„Also gut, Bella. Ich weiß nicht wie du auf diese Geschichte kommst aber ich kann dir nur das erzählen, was ich weiß.“

Er warte auf eine Antwort.


„O.K.“, sagte ich.


„Bella, du bist nicht seit Januar diesen Jahres in Forks. Du bist seit 11 Jahren verschollen. Dein Vater, Charlie Swan, war früher bei der Polizei in Forks tätig, wie du schon sagtest. Nachdem du verschwunden warst, hat deine Familie nichts unversucht gelassen dich zu finden. Aber nach ein paar Jahren gab deine Mutter auf und trennte sich von ihm. Doch dein Vater konnte dich einfach nicht aufgeben und hat sich zum Polizeipräsidenten des Staates Washington hoch gearbeitet. Heute ist er schon eine richtige Berühmtheit. Und bis zum heutigen Tag lässt er immer noch nach dir suchen.“


Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Ich seit 11 Jahren verschollen? Und Charlie soll Polizeipräsident sein?


Fassungslos starrte ich Carlisle weiter an und hing an seinen Lippen.

Ähnlichkeiten und Unterschiede





Bellas POV


(Paralleluniversum)




„Somit ist all das nie passiert, von dem zu gerade erzählt hast. Auch haben wir keinen Mann namens Jasper, der zu unserer Familie gehört.“, sagte Carlisle ruhig.


„Doch, natürlich!“, erwiderte ich etwas perplex. „Jasper Hale. Nun ja, ich weiß nicht wie sein richtiger Nachname ist. Ihm fällt es besonders schwer, Menschenblut zu widerstehen und er kam aus einer anderen Familie. Somit hast du ihn nicht verwandelt.“


Daraufhin blickten die Cullens alle erstaunt. Carlisle schüttelte langsam den Kopf. Langsam glaubte ich, den Verstand zu verlieren. Die Cullens ohne Jasper? Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Ich überlegte einen Moment und versuchte mit fester Stimme zu sprechen.


„Das ist sehr seltsam. Ihr kennt also Jasper nicht? Aber wer ist diese Frau? Sie habe ich noch nie gesehen.“ Ich warf einen Blick auf sie. Dann ergriff sie zum ersten Mal das Wort und ich hörte ihre wunderschön klingelnde Stimme.


„Ich bin ein Mitglied dieser Familie und heiße Elizabeth Cullen. Allerdings habe ich keine großen Probleme, mit menschlichem Blut, wie dieser Jasper.“


Ich war mir ziemlich sicher, dass die Cullens, die ich kannte, nie eine Elizabeth auch nur erwähnt hatten. Mir kam eine Frage in den Sinn, die ich ohne Bedenken an sie richtete.


„Hast du auch eine besondere Fähigkeit, die über die normalen eines Vampirs hinaus gehen? Du weißt schon, was ich meine. Das Edward Gedanken lesen oder Alice in die Zukunft sehen kann.“


Alices Augen weiteten sich bei dieser Bemerkung.


„Ja.“, antwortete sie zögerlich. „Ich besitze die Fähigkeit, die Gefühle anderer Leute aufzunehmen und diese zu beeinflussen. Warum fragst du?“


Ihre Augen brannten vor Neugier, als sie zu Ende gesprochen hatte.


„Naja, Jasper ist ebenfalls in der Lage, die Gefühle zu beeinflussen. Das hat er immer dann bei mir gemacht, um mich wieder zu beruhigen.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Mir kommt es fast so vor, als hättest du seinen Platz in der Familie eingenommen. Moment mal. Aber wenn ihr Jasper nicht kennt, wer ist dann Alices Gefährte? Mir hat Edward damals erzählt, dass sie Jasper gefunden hat, aufgrund einer Vision und dann mit ihm zusammen auf der Suche nach euch war. So kamen sie in die Familie.“


Nun sprach Alice zu mir. „Nein nicht ganz. Als ich ein Vampir wurde, sah ich die Cullens in einer Vision und machte mich allein auf dem Weg zu ihnen.“


Ich sah, wie ER zu Alice trat und sie in die Arme nahm. Als ich das sah, spürte ich wieder den Schmerz in mir, den ich aber ignorierte. So wie die beiden ineinander verschlungen da standen, sah es so aus – ich zwang mich den Gedanken zu Ende zu denken – als wären die beiden ein Paar. Alice und Edward ein Paar? Wieder etwas, was mir sehr schleierhaft war. Sicher, die beiden hatten immer schon eine sehr enge Beziehung zueinander gehabt. Aber eine, die über Geschwisterliebe hinaus geht? Mir schwirrte der Kopf. Ich fand meine Stimme wieder.


„Entschuldige, wenn ich euch das frage.“ Ich sah die beiden an. „Bist du mit Edward? Ich meine, seid ihr ein Paar?“, fragte ich etwas ungläubig. Obwohl ich die Antwort eigentlich schon wusste, schnitt sie mir doch ins Herz.


„Ja. Seitdem sie zu uns gestoßen war, sind wir zusammen.“, antwortete er klar und deutlich. Ich schnappte nach Luft und konzentrierte mich darauf, zu atmen. Carlisle trat wieder ein Schritt zu mir und fragte mich besorgt: „Bella, was hast du?“ Es dauerte eine Zeit, bis ich mich wieder im Griff hatte und antwortete ihm, dass es mir gut ginge. Er sah mich misstrauisch an, sagte jedoch nichts weiter.


Nun stellte ich die letzte Frage, die mir auf der Seele brannte, obwohl ich mir fast sicher war, die Antwort zu kennen. Jedoch war sie wieder etwas, was unmöglich war. Ich versuchte mich zu konzentrieren und sah Elizabeth an. Ich traute mich nicht, IHM die Frage zu stellen. Es war zu schmerzhaft, IHM in die Augen zu sehen.


„Tut mir leid. Eine Frage hätte ich noch an dich. Kann es sein, dass du mit Edward wirklich verwandt bist? Mir sind die Ähnlichkeiten zwischen euch aufgefallen.“


Sie lächelte mich schüchtern an und antwortete mir. „Ja, da hast du recht. Mein richtiger Name war Elizabeth Masen. Ich bin Edwards ältere Schwester. Ich war damals 20, als Carlisle mich 1918 mit Edward zusammen verwandelt hat. Den Edward, den du meinst du kennen, hat nie eine ältere Schwester erwähnt, oder? Deshalb kennst du mich als einzige aus der Familie nicht.“


Ich nickte langsam und versuchte das eben Gesagte zu verarbeiten. Es stimmte. ER hatte nie eine ältere Schwester erwähnt, als er mir von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Vielleicht hatte er sie vergessen, dachte ich. Doch schnell verwarf ich diesen Gedanken wieder. Er erzählte doch von seinen Eltern und ich erinnerte mich, wie Carlisle mir damals von Edwards Mutter berichtet hatte. Sie bat ihn, Edward unter allen Umständen zu retten. Ich weiß mit vollkommener Sicherheit, dass Carlisle nie von einer Tochter der Masens sprach.


„Ich weiß, dass sich das jetzt total verrückt anhören mag. Aber mir kommt es so vor, als wäre ich in einer ‚anderen Welt‘. Da wo ich herkomme, hat Edward keine Schwester, es gibt stattdessen Jasper, der mit Alice zusammen ist. Und du, Carlisle, hast keine roten, sondern blonde Haare. Jedenfalls kenn ich dich so.“ Sie sahen mich alle neugierig, jedoch schien es nicht so, als hielten sie mich für verrückt.


„Eine interessante Theorie“, meinte der rothaarige Carlisle nachdenklich. „Aber eine andere Erklärung würde mir auch nicht einfallen, ehrlich gesagt.“


„Und weißt du was echt komisch war?“ Emmett sprach nun zu mir. „Du bist einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Nicht einmal unsere kleine Hellseherin konnte das voraus sehen.“ Er warf Alice einen belustigen Blick, den sie etwas frostig erwiderte. „Eine andere Welt? Das hört sich wirklich etwas verrückt an, Kleine.“, sagte Emmett und lachte.


Dann grinste er mich und zeigte dabei seine makellosen weißen Zähne. Als er mich so ansah, wurde mir bewusst, wie sehr ich auch ihn und seine witzige Art vermisst habe. Er war einfach immer unbekümmert und steckte Leute mit seiner guten Laune an. Ich lächelte etwas schüchtern zurück und merkte, dass es sich seit langer Zeit wieder richtig anfühlte. Auch sah ich, wie Rosalie leicht lächelte, was mir sehr komisch vorkam. Wenn ich immer in der Nähe war, traf mich immer einer ihrer gleichgültigen und manchmal hasserfüllten Blicke.


Nun trat Esme in mein Blickfeld, die mich liebevoll ansah. Das hat sich also nicht verändert, dachte ich. „Nehmen wir an, du hättest mit all dem, was du uns erzählt hast, recht Liebes.“ Sie lächelte leicht und ich merkte, wie sich mein Herz bei diesen Worten etwas erwärmte. „Wie bist du dann in diese Welt zurück gekommen? Und wie kam es überhaupt, dass du in eine andere Welt damals verschwunden bist?“


Ich überlegte und antwortete nach einer kleinen Weile: „Ihr meint also wirklich, ich komme ursprünglich aus dieser Welt? Naja, scheint wohl so zu sein. Ich weiß leider nicht, wie ich damals von hier verschwunden bin. Ich war damals erst 7 Jahre, nachdem was ihr mir erzählt habt. Und wie ich hierher gekommen bin, kann ich euch leider auch nicht sagen. Ich bin mit meinem Transporter zu eurem Haus gefahren. Als ich wieder gehen wollte, hörte ich deine Stimme, Carlisle.“


Esme und Carlisle sahen nachdenklich und verwirrt aus. „Wir haben keinen Motor gehört und draußen steht auch kein Transporter.“, antwortete er.


„Was?“, sagte ich und stand vom Sofa auf. Ich ging hinaus auf die Veranda, schaute mich um, sah jedoch keinen Wagen. Ich erinnerte mich. Kurz nachdem ich die Stimme hörte, registrierte ich, dass mein Transporter verschwunden war.


„Das ist ein Beweis dafür, dass ich eindeutig in einer anderen Welt bin.“, sagte ich leise.


„Ich glaube da hast du recht“, sagte Carlisle.


Als ich mich umdrehte, standen alle Cullens hinter mir. Sie waren mir gefolgt und ich hatte es nicht bemerkt. Ich erschrak leicht.

„Oh, entschuldige bitte.“

„Macht nichts. Ich bin es ja gewohnt, dass alle schneller sind als ich.“, sagte ich gespielt empört.

Da hörte ich Emmetts lautes Lachen und nacheinander stimmten wir alle in sein Lachen ein. Ich traute meinem Gehör nicht. Ich lachte. Ich lachte tatsächlich. Komisch, nach über einem Monat die Lachmuskeln wieder zu benutzen. Ich dachte wirklich, dass ich nie wieder lachen könnte. Nachdem wir uns alle wieder beruhigt hatten, schaute Carlisle mich ernst an.


„So Bella. Nachdem nun deine Theorie bestätigt wurde, mehr oder weniger, wird es Zeit, dass du zu deinem Vater zurück kehrst. Er wartet schon zulange auf dich.“

Mir wurde etwas unbehaglich.

„Ich weiß doch nicht wo er wohnt?“

„Er wohnt noch immer hier in Forks. Das hat sich wohl in den letzten 11 Jahren nicht geändert.“

„Wirklich?“ Das Erstaunen in meiner Stimme war kaum überhörbar.

„Ja. Ich denke, es ist jetzt das Beste, wenn dich Elizabeth nach Hause fährt.“ Er warf ihr einen Blick zu.


„Komm Bella, dann wollen wir mal.“, sagte sie lächelnd zu mir und nahm etwas zögerlich meine Hand.

Wahrscheinlich fragte sie sich, wie ich auf ihre Kälte reagieren würde. Es war zwar einige Zeit her, seit ich diese kalte Haut gefühlt habe, sie war mir aber dennoch vertraut. Ich zuckte nicht zusammen und wich auch nicht vor ihrer Kälte zurück. Ich lächelte zurück und ich konnte ihr anmerken, dass sie erstaunt und froh über meine Reaktion war. Ich spürte eine tiefe Welle der Ruhe und Gelassenheit, die mich einhüllte.
Sie hatte also ihre Fähigkeit auf mich angewendet. Ich verabschiedete mich von den anderen und fragte mich, ob ich je wieder mit ihnen zu tun haben würde.
Auch sah ich IHN an und versuchte meinen Schmerz zu verbergen. Schließlich konnte dieser Edward ja nichts dafür. Doch ich war mir sicher, dass er mich durchschaute. Dennoch ließ er sich nichts anmerken und zauberte genau das gleiche schiefe Lächeln auf sein Gesicht, das ich nur allzu gut kannte. Es war, als würde mein Herz in Stücke zerfallen und ich atmete tief ein. Daraufhin wurde sein Blick besorgt, aber ich achtete nicht darauf.


Ich verließ mit seiner Schwester – es war immer noch merkwürdig, dass überhaupt zu denken – das Haus und sie führte mich in die Garage. Wir machten bei einem silbernen VW halt. Es war wahrscheinlich eines der neusten Modelle, die es überhaupt auf der Welt gab. Er sah ziemlich sportlich aus. Natürlich, dachte ich. Alle Vampire lieben ja die Geschwindigkeit. Ich schüttelte den Kopf.

„Ist das dein Auto?“, fragte ich sie überflüssigerweise.

„Ja. Ist das nicht ein toller Wagen?“

„Ja, natürlich.“, antwortete ich enthusiastisch, da ich sie nicht kränken wollte.
„Aber fahr bitte nicht zu schnell! Wir wollen ja schließlich heil ankommen.“


Sie lachte und gab mir ein Zeichen, dass ich einsteigen sollte.

„Wie ich sehe, kennst du unseren Fahrstil bereits.“, antwortete sie schmunzelnd.

„Sicher. Ich sitze ja nicht das erste Mal mit einem Vampir im Auto.“, antwortete ich trocken.


Ihr Blick wurde wieder ernst. Sie startete den Motor und fuhr los. Natürlich viel zu schnell. In wenigen Minuten waren wir am Haus angekommen. Ich starrte aus dem Fenster und betrachtete es. Es sah har genauso aus, wie jenes, das ich aus der anderen Welt kannte. Ich machte aber keine Anstalten auszusteigen und merkte, wie ich mich anspannte. Ich merkte wieder, wie die Ruhe mich erfasste, doch diesmal half es nicht.

„Bella. Ich weiß, dass es dir sehr schwer fallen muss, nach so vielen Jahren zurück zu kommen. Besonders nach all dem, was du in letzter Zeit durchgemacht hast. Bitte atme ein paar Mal tief durch und versuche dich etwas zu entspannen.“, sagte sie mitfühlend.

Ich kam ihrer Bitte nach und versuchte es, aber trotzdem blieb ich immer noch sitzen. Eine Weile war es still.

„Bella?“, fragte Elizabeth leise.

„Mmhh?“

„Kannst du mir bald noch mehr von dir erzählen und den anderen Cullens erzählen? Natürlich nur, wenn du die Kraft dafür hast und bereit dafür bist.“

Ich zuckte zusammen, drehte mich aber nicht zu ihr um. Einerseits wollte ich nicht darüber reden. Andererseits würde ich vielleicht so wieder mit den Cullens in Kontakt kommen, auch wenn sie anders waren. Außerdem schien es sie wirklich zu interessieren und ich spürte eine Verbindung zwischen uns. Vielleicht, dachte ich, könnten wir irgendwann sogar Freundinnen werden. Ich drehte mich zu ihr um.


„Klar, wenn du möchtest.“

Ich lächelte leicht und sie drückte lächelnd meine Hand. Ich seufzte. Ich drehte mich wieder um und hatte die Hand am Türgriff und war kurz davor auszusteigen.

„Bella?“, fragte sie wieder. Wieder wendete ich meinen Kopf zu ihr.

„Ja?“

„Ich komme bald mal nach dir sehen.“, versprach sie und lächelte mich ähnlich an, wie ihr Bruder es immer tat. Oder tut. Ich nickte ihr dankbar zu und stieg aus den Wagen.

„Tschüss, bis bald.“, sagte ich.

Sie lächelte, winkte wir zu und fuhr erstaunlicherweise nicht mit quietschenden Reifen davon. Als ob sie ganz absichtlich so leise wie nur möglich abfuhr, damit auch nichts meine Ankunft ankündigen würde. Ich ging bis zur Haustür und wollte anklopfen, als ich in der Bewegung verharrte und inne hielt. Wie würde Charlie auf mein Auftauchen nach über 11 Jahren reagieren. Wie würde ich auf ihn reagieren? Schließlich kannte ich diesen Charlie so gut wie nicht, auch wenn ich wirklich seine leibliche Tochter war.


Ein absurder Gedanke. Die ganzen letzten Jahre hatte ich mit einem Charlie und einer Renee verbracht, die in Wirklichkeit gar nicht MEINE Eltern waren. Ob sie genauso aussehen würden, wie die anderen beiden? Ich schüttelte den Kopf, um ihn wieder frei zu bekommen. Dann fiel mir ein, dass ich den Schlüssel für Charlies Haus bei mir habe. Ober er auch für dieses Schloss passen würde? Bei diesen Gedanken musste ich innerlich leicht schmunzeln.


Als ob ich einfach so die Tür aufschließen und sagen würde: „Hallo Dad, ich bin’s. Ich bin wieder Zuhause.“ Das würde ich natürlich nicht tun. Denn auch, wenn das wirklich MEINE Welt ist und hier geboren wurde, war ich dennoch eine Fremde.


Ich atmete noch einmal tief durch und klopfte zaghaft dreimal an die Tür.

Willkommen daheim




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich hörte Schritte näher kommen und ermahnte mich selbst ein halbwegs frohes Gesicht aufzusetzen, auch wenn ich doch etwas aufgeregt war. Ich wusste nicht, wie ich aussah, konnte es mir aber denken. Das erste Wiedersehen mit meinem wirklichen Vater sollte nicht so anfangen, dass er in ein halb gestörtes Gesicht schaut. Die Klinke wurde runter gedrückt und die Tür öffnete sich.


Im ersten Augenblick, da er mich sah, weiteten sich seine braunen Augen und er ließ den nassen leeren Teller fallen, den er halb mit einem Tuch bedeckt in der Hand gehalten hatte. Er fiel zu Boden und zerbrach. Dieser Mann sollte mein Vater sein? Er sah dem Charlie, den ich kannte ähnlich. Er hatte ebenfalls die etwas lockigen Haare, die die gleiche Farbe hatten wie meine. Allerdings waren sie mit grau-weißen Haaren durchsetzt, was ihn älter wirken lies. Auch in seinem Gesicht erkannte ich einen Unterschied. Tiefe Falten hatten sich an den Mundwinkeln gebildet, die seinem Gesicht einen traurigen Ausdruck verliehen. Als ich nun kurz den Blick über seine ganze Erscheinung schweifen ließ, sah ich, dass er wesentlich muskulöser und durchtrainierter war. Er hatte keinen kleinen Bauch, wie der andere Charlie.


Ich starrte ihn an und er starrte zurück. Keiner von uns sagte etwas. Wahrscheinlich wusste er genauso wenig wie ich, was er sagen sollte. Es vergingen ein paar Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Dann rührte sich Charlie und umarmte mich so fest, dass ich dachte, mir würden die Knochen brechen. Ich hörte ein Aufkeuchen, dann ein Schluchzen und dann weinte er so laut, dass mir das Herz weh tat. Er weinte so dicke Tränen, die nie zu versiegen schienen. Nun merkte auch ich, dass ich angefangen hatte zu weinen. Doch mein Schluchzen war kaum zu hören, da es von Charlie übertönt wurde. Es vergingen ein paar Minuten bis er etwas ruhiger wurde, mich auf Armeslänge von sich hielt und durchdringend ansah. Dann schlang er wieder seine Arme um mich und ich erwiderte seine Umarmung. Als er mich wieder frei gab, sprach er mich an.


„Oh mein Gott! Bist du es wirklich, Bella?“, fragte er mit schwer belegter Stimme, während immer noch mehr Tränen über seine Wangen liefen.


„Ja, Dad. Ich bin es wirklich.“, antwortete ich weinend. Eigentlich lag mir „Charlie“ auf der Zunge, da er ja in gewisser Weise wie ein Fremder für mich war. Aber ich brachte es einfach nicht über mich, ihn so zu nennen. Was wäre ich denn für eine Tochter, die ihren Vater, der 11 Jahre lang nach ihr gesucht hatte, mit seinem Vornamen anspricht. Das ist und wäre einfach zu unpersönlich für diese Situation. Schließlich wollte ich ihn nicht auch noch verletzen, nachdem er den Schock des Wiedersehens überwunden hatte.


„Ich kann es noch gar nicht fassen. Nach so vielen Jahren bist du endlich nach Hause gekommen. Aber ich wusste immer, dass du irgendwann zurück kommen würdest. Ich habe immer daran geglaubt und dich nie aufgegeben. Bis heute nicht. Oh Gott! Was ist nur mit meinem kleinen Mädchen passiert? Du bist so groß geworden. Ich kann gar nicht glauben, dass du wirklich und wahrhaftig vor mir stehst.“, sagte er voller Freude und Trauer in der Stimme. Er drückte mich wieder an sich.


„Ja, Dad. Ich freue mich auch dich wieder zu sehen.“, erwiderte ich.


Und ich freute mich wirklich. Seit ich hier in diese Welt zurück gekehrt bin, hatte ich wieder das Gefühl der Freunde verspürt. Doch nun war dieses Gefühl viel intensiver und es durchströmte mich so heftig, dass mein Herz schneller schlug. Wieder vergingen ein paar Minuten, während wir uns umarmten. Ich fühlte mich wieder glücklicher als früher und als er sich von mir löste, lächelte ich ihn freudestrahlend an. Er erwiderte mein Lächeln und es tat so gut das bei ihm zu sehen. Ich sah ihn an, dass er schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr aus vollen Herzen gelächelt hatte. Es war für ihn sicherlich sehr ungewohnt.


„Willkommen daheim, Kleines.“, sagte er mit fester Stimme obwohl er immer noch weinte.


Er konnte gar nicht aufhören mich anzulächeln. Als ich diese Worte und meinen Kosenamen aus seinem Mund hörte, schien es mir, als lächelte ich noch breiter. Er wischte sich mit seinem Hemdärmel die Tränen weg.


„Komm rein. Sonst erfrierst du mir noch.“, sagte er glucksend.


Während er mich ins Wohnzimmer führte, sah ich mich genau im Haus um. Es sah genauso aus wie das andere. Die Möbel und auch deren Einrichtung waren identisch. Als wir am Sofa im Wohnzimmer angekommen waren, schaltete er den Fernseher aus, der gerade ein Baseballspiel zeigte. Das ist also auch gleich geblieben, dachte ich. Wir sahen uns einen kurzen Moment an. Dann legte er los.


„Bella, kleines, ich bin ja so überglücklich, dass du wieder da bist. Wo warst du denn all‘ die Jahre? Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht, vor allem ich. Als du verschwunden warst, habe ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dich zu finden. Ich habe überall nach dir suchen lassen in ganz Washington. Ach, was sag‘ ich, noch in ganz Orten, die ich gar nicht alle aufzählen kann. Was hast du die letzten Jahre alles gemacht und wie bist du nach Hause gekommen? Und warum erst nach 11 langen Jahren? Du musst alles erzählen und lass‘ keine Kleinigkeit aus!“


Er nahm meine Hand und drückte so fest, dass es schon fast schmerzte.

„Ja, also…“, begann ich, „…ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll?“
Tolle Antwort, dachte ich bei mir. Ich seufzte.
„Kannst du mir vorher noch eine Frage beantworten?“, sagte ich…zu meinem Vater.


„Jede.“, antwortete er knapp.
Seine Augen strahlten pure Freude und Glückseligkeit aus. Noch immer waren sie etwas feucht, aber es flossen keine Tränen mehr aus ihnen.


„Kannst du mir mehr von meinem Verschwinden erzählen? Ich glaub‘, ich kann mich daran nicht mehr erinnern.“, sagte ich und sah ihn mit flehenden Blick an. Sein Gesichtsausdruck wurde wachsam und er schaute mich ernst an.


„Ja, sicher Bella. Wenn du es möchtest?“
Ich spürte, wie sich seine Hand in meiner verkrampfte. Sein Gesicht wurde schmerzverzerrt und ich bereute meine Frage sofort, als ich das sah.


„Ich erinnere mich noch har genau an diesem Tag. Ich werde ihn wohl nie bergessen können. Es war der 13. September 1994. Also dein 7. Geburtstag. Deine Mutter und ich hatten dir am frühen Morgen des Tages eine kleine Puppe geschenkt und du warst so glücklich, als wir dir dein Geschenk überreicht hatten. Ihr beide ward unzertrennlich und wir mussten dich schon von deiner Puppe weg zerren, damit du mit deinem Bruder endlich zur Schule gehen konntest.“


Er lachte kurz auf, als er dies gesagt hatte. Dann wurde sein Blick wieder ernst und tiefe Trauer spiegelte sich in seinen Augen. Ich hatte einen Bruder? Die Frage brannte mir Löcher in die Zunge, doch ich hielt den Mund, um ihn nicht zu unterbrechen. Wieder etwas, was in dieser Welt anders war.


„Heute wünschte ich, wir hätten euch nicht zur Schule gehen lassen. Sie war nicht weit von hier. Ihr beide seid immer zu Fuß zur dorthin gegangen und wir sagten euch fast jeden Tag, dass ihr sofort nach der Schule ohne Umwege nach Hause kommen sollt. Die ersten Male fuhren wir euch noch mit dem Auto dorthin. Aber eure Mutter war auf das Auto angewiesen und ich ebenfalls. Dann, als ihr angefangen habt, den Weg selbstständig zu gehen, folgten wir euch heimlich, damit wir auch sicher waren, dass ihr beide heil an- und wieder zurück kamt. Ihr hattet uns nie bemerkt.“


Er stockte und sein Redefluss brach ab. Er atmete ein paar Mal tief durch, um sich wieder zu beruhigen.
„Hätten wir das doch damals nur auch getan.“ Er seufzte.

„Am frühen Nachmittag kam dein Bruder von der Schule nach Hause. Du aber nicht. Wir fragten ihn, wo du seist, doch er antwortete, dass die Lehrerin ihn nochmal sprechen wollte und du seist schon vorgegangen. Er habe dich nicht mehr auf dem Weg nach Hause gesehen oder gar eingeholt, also dachte er, dass du schon daheim warst. So haben wir angefangen nach dir zu suchen. Tagelang. Dein Bruder weinte unaufhörlich jeden Tag und jede Nacht um dich und zog sich immer mehr zurück, bis er depressiv wurde. Er wurde immer blasser und sprach kaum noch.“


Als ich das hörte, zuckte ich zusammen. Das kam mir doch zu bekannt vor. Charlie schien meine Reaktion nicht zu bemerken und fuhr fort.

„Es war damals eine sehr schwierige Zeit für uns. Dein Bruder ging 2 Wochen lang nicht mehr in die Schule und half stattdessen überall Zettel von dir aufzuhängen. Aber Tag für Tag wurde er verzweifelter. Deine Mutter und ich stritten uns immer häufiger, sodass unsere Beziehung allmählich anfing zu zerbrechen. Deinem Bruder zuliebe, versuchten wir es noch ein paar Jahre. Aber es hatte keinen Zweck. Nach über 6 Jahren war deine Mutter endgültig am Boden zerstört und wollte die Suche nach dir abbrechen. Darüber stritten wir uns wieder. Ich konnte einfach nicht begreifen, wie sie dich so einfach aufgeben wollte. Ich arbeitete immer härter und war von der Suche nach dir besessen, sodass ich nur noch für meine Arbeit lebte und mich immer mehr von den beiden Menschen, die mir noch geblieben waren, entfernte.
Das tat unserer Beziehung nach all den Jahren nicht gut und deine Mutter konnte diesen Schmerz einfach nicht mehr ertragen. Somit verließ sie mich, nahm deinen Bruder mit und ließ mich hier allein zurück. Ich arbeitete weiterhin hart und wurde schließlich Polizeipräsident von Washington. Deine Mutter begann sich ein neues Leben in Phoenix aufzubauen und ist wieder verheiratet. Wir haben uns die letzten 5 Jahre nicht gesehen. Nur dein Bruder schaut ab und zu mal vorbei.“


Charlie beendete seine Erzählung. Ich starrte ihn gebannt an und es dauerte ein paar Minuten, bis ich wieder sprechen konnte. Mir war aufgefallen, dass er die ganze Zeit nie den Namen meines Bruders ausgesprochen hatte. Vielleicht, weil es einfach zu schmerzhaft für ihn war. Aber ich konnte mich nicht länger zurück halten. Jetzt musste ich ihn einfach fragen.


„Ich habe einen Bruder, wirklich?“ Charlie sah mich verwirrt und erschrocken an.

„Du hast vergessen, dass du einen Bruder hast?“, fragte er ungläubig.
Ich nickte.

„Wie heißt er?“, fragte ich ihn. Er atmete einmal schwer, doch dann entspannte er sich, sah mich wieder etwas fröhlicher an und drückte wieder meine Hand.


„Sein Name lautet Andrew Thomas Swan.“

Er lächelte mich wieder an, nachdem er dies gesagt hatte.

Wieder vereint




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Andrew Thomas Swan.“, wiederholte ich seine Worte.
„Ich habe einen Bruder. Ich habe WIRKLICH einen Bruder.“, sagte ich lauter. Ich konnte es nicht fassen. Was hält diese Welt noch für Überraschungen für mich bereit?


„Ja, hast du.“, bestätigte Charlie lachend.

Ich lachte ebenfalls und fiel ihm um den Hals. Kurz darauf, klopfte es an der Tür. Ich löste mich von ihm. „Wer kommt den jetzt?“, fragte ich. Charlie lächelte mich auf einmal verschmitzt an.


„Warum gehst du nicht hin und siehst selbst nach?“


Ich zog die Augenbrauen zusammen. Er grinste und versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Ich verstand ihn nicht. Also stand ich vom Sofa auf, ging zur Tür und meine Hand hatte schon fast die Klinke erreicht, als ich kurz inne hielt. Ich atmete aus, griff nach der Türklinke, drückte sie herunter und öffnete langsam die Tür. Ich stieß einen kleinen Schreckenslaut aus.


Dort stand ein Mann der mich – als ich die Tür geöffnet hatte – anlächelte. Nach meinem kleinen Laut verschwand sein Lächeln fast ganz. Aus seinen Augen strahlte nicht mehr nur die Freude. Ich sah auch Ernst in ihnen. Doch das, was mich leise aufschreien ließ, war nicht die Tatsache, dass ein fremder Mann vor mir stand, der vielleicht 10 bis 15 cm größer war als ich. Der Grund lag ganz woanders. Es war, als würde ich in einen Spiegel sehen.


Ich sah mich praktisch selbst vor mir stehen. Er hatte die gleichen braunen Augen und dieselbe Haarlänge und Haarfarbe wie ich. Seine Haare trug er offen und fielen ihm fast bis zur Taille hinab, genau wie bei mir. Er war schlank und muskulös, wirkte aber nicht zu bullig. Er hatte markantere Gesichtszüge als ich und seine Wangenknochen traten stärker hervor. Dennoch hatte ich das Gefühl, in mein eigenes Gesicht zu blicken.
Jetzt fiel mir auch auf, warum. Sein Gesicht wirkte schmaler und blasser als normalerweise. Jedenfalls nahm ich das an. Er hatte auch den gleichen käsigen blass-farbigen Hautton wie ich. In seinen Augen erkannte ich mich ebenfalls selbst wieder. In den tiefem Rehbraun spiegelte sich ein tiefer Schmerz, als sei ihm etwas sehr Wichtiges und Wertvolles aus seinem Körper gerissen worden.

Sein Blick ruhte auf mir. Er betrachtete mich, als würde er mich ebenso mustern und sich selbst in mir erkennen. Dann lächelte er mich wieder leicht an und streckte mir seine rechte Hand entgegen.

„Hallo Bella.“, begrüßte er mich freundlich.


Ich schaute ihm weiter in die Augen, nahm seine Hand und wollte gerade etwas sagen. Doch als sich unsere Hände berührten, war es, als würden Stromschläge durch meinen Körper gejagt. Ich sah Bilder in meinem Kopf, die so schnell kamen wie Blitze, sodass ich meiner inneren Wahrnehmung kaum traute.


Ich sah das Bild von 2 kleinen Kindern, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen. Ein Junge und ein Mädchen, wie sie zusammen spielten. Dann kam sofort das nächste Bild.
Die beiden Kinder, wie sie zusammen nebeneinander in der Schule saßen. Als nächstes sah ich nur den kleinen Jungen vor meinen inneren Augen, wie er bitterlich weinte. Der nächste Bildblitz zeigte wieder ihn, wie er mit leerem und ausdruckslosem Blick alleine auf der Schulbank saß.
Ein neues Bild.
Wieder sah ich den Jungen, nur war er diesmal vielleicht 10 Jahre älter. Es war der Mann, dem ich gerade die Hand schütteln wollte. Ich sah ihn durch den Schulflur laufen, doch sein Blick hatte sich kaum verändert. Es war der gleiche, wie im Bild zuvor.

Dann hörten die Stromschläge auf. Sie waren so plötzlich fort, wie sie gekommen waren. Mir war jetzt klar, dass das nicht nur einfache Bilder waren, die ich in meinem Kopf gesehen hatte. Es waren Erinnerungen. Seine Erinnerungen. Ich sah, dass er mich ansah und bemerkte seinen überraschten Blick. Ich wusste, dass ich bestimmt gerade genauso schaute wie er. Mir schien es, als wäre ihm gerade das gleiche widerfahren wie mir, nur dass er andere Bilder sah. Ich fragte mich, was ihm für Erinnerungsfragmente von mir gezeigt wurden.


„Wow.“, sagten wir beide gleichzeitig und ich zog meine Hand zurück. Wir schauten uns eine Weile unverwandt an ohne etwas zu sagen. Dann brach ich das Schweigen.


„Bist du etwa Andrew Thomas Swan, mein Zwillingsbruder?“, hauchte ich.


Dann lächelte er mich so breit an, dass man denken könnte, ihm täten die Wangen weh. Dann im nächsten Moment, ich hab es gar nicht richtig mitbekommen, war ich in seinen Armen und mein Kopf lag auf seiner linken Schulter. Er drückte mich fest an sich.


„Ja, kleine Schwester. Ich bin’s. Dein großer Bruder. Aber nenn‘ mich Andy, wie alle anderen. Das solltest du eigentlich wissen.“, sagte er lachend an meinem Ohr.
„Ich bin ja so froh, dass ich dich endlich wieder habe.“, sprach er weiter und umklammerte mich noch fester, dass es mir schwer fiel zu atmen. Ich dachte schon, er würde mich nie wieder loslassen, als wir eine Stimme hörten, die unser Wiedersehen unterbrach.


„Bella? Oh mein Gott! Bist du es wirklich?“


Andy – irgendwie genoss ich es seinen Namen auszusprechen, oder eher zu denken – ließ mich endlich los und trat zur Seite. Am Hauseingang kurz hinter ihm, stand eine Frau, die Renee vollkommen glich, jedenfalls äußerlich. Das ist also meine leibliche Mutter, dachte ich. Sie schaute mich mit ihren braunen Augen fassungslos an und ich sah, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie stürzte auf mich zu, nahm mich in die Arme und schluchzte an meinem Hals. Ich fing ebenfalls wieder an zu weinen und erwiderte ihre Umarmung.


„Mum, ist doch alles wieder gut. Ich bin wieder da.“, versuchte ich sie zu beruhigen, genauso wie ich es bei der anderen Renee immer tat.

„JA! Endlich bist du wieder, mein Schatz. Wie ist das nur möglich? Oh mein Gott, wie hab‘ ich dich vermisst! Ich kann gar nicht glauben, dass ich dich wirklich hier und jetzt in meinen Armen halte.“, sagte sie und ihre Stimme brach hin und wieder.


Wieder, so kam es mir jedenfalls wieder vor, verging eine kleine Ewigkeit, bis sich Renee, meine Mutter, wieder etwas im Griff hatte.

„Jaja, ich weiß, dass die Wiedersehensfreude unbeschreiblich ist. Kommt doch aber ins Haus, sonst werdet ihr alle gleich nass.“

Das war Charlies Stimme. Ja, er hatte recht. Ich spürte schon die ersten Regentropfen auf meinem Gesicht und es würde nicht mehr lange dauern, bis ein heftiger Schauer herunter kommen würde. Renee ließ mich los, griff nach meiner Hand und ging mit mir ins Haus. Auf dem Weg lächelte sie Charlie an und legte ihren freien Arm um seine Schulter. Er tat es ihr nach. Mir gefiel das Bild, was ich sah.
Ich sah meinen Bruder – ich könnte es immer noch nicht glauben – an und wir lächelten. Als wir im Haus ankamen, gingen wir in die Küche und setzten uns alle an den Tisch. Renee neben mir und Charlie und Andy uns gegenüber. Obwohl ich nicht die Begrüßung zwischen meinem Bruder und meinem Vater mitbekommen hatte, wusste ich, dass auch sie sich sehr freuten einander endlich wieder zu sehen.


Renee sah mich glückselig an und sprach zu mir: „Bella. Oh, du bist so groß geworden. Endlich bist du wieder bei uns. Wo warst du und was hast du die letzten Jahre gemacht, mein Schatz?“

Ich sah meine Familie nacheinander an und sah, wie sich in Andys Augen Tränen sammelten, die er versuchte zurück zu halten. Einige liefen jetzt doch über seine Wangen. Doch nachdem Renee ihre Fragen gestellt hatte, veränderte sich Andys Gesichtsausdruck. Er lächelte immer noch, aber nicht so stark wie vorhin. Ich sah in Andys Augen, meine Augen, und ich entdeckte etwas in ihnen. Es sah fast so aus, als spiegelte sich in ihnen Wissen und Vorsicht. Er nickte mir kurz unmerklich zu.


Seltsam. Was hatte das zu bedeuten? Wusste er etwa, wo ich die letzten 11 Jahre gewesen war und was in den letzten Monaten meines Lebens passiert war? Dann fiel mir wieder sein überraschter Blick ein, kurz nachdem ich seine Hand ergriffen hatte. War es möglich, dass er genau das in seinem Kopf sah? Der andere Charlie, die andere Renee, die anderen Cullens und IHN? Der Edward, der mich verlassen hatte? Mein Gefühl sagte mir, dass ich mich nicht irrte. Auch sein Blick verriet es. Er wusste es. Dessen war ich mir sicher. Er schien nun gespannt, wie Renee und Charlie, was ich ihnen jetzt erzählen würde. Nun war also die Zeit gekommen, ihnen alles zu erzählen. Nur die Vampire, und dass ich einen liebte, der mich verlassen hatte, ließ ich weg.

Ich erzählte Andy und Renee, dass ich vor kurzem hier vor der Tür stand und mir dann kurz darauf Charlie von der Zeit berichtete, als ich verschwunden war und was das für Folgen hatte. Beide nickten und ich fuhr fort. Ich erzählte ihnen, ich könne mich nicht mehr erinnern, was an diesem Tag passiert ist, dass ich in einer Parallelwelt aufwuchs, die identisch war, dennoch Unterschiede aufwies.

Daraufhin blickten mich alle an, als wäre ich geisteskrank. Alle, bis auf einer. Sie unterbrachen mich jedoch nicht. Ich erzählte weiter, dass ich bei der anderen Renee in Phoenix mit ihren neuen Ehemann Phil lebte und den anderen Charlie nur ab und zu besuchte, der ebenfalls in Forks lebt. Dann, wie ich beschloss, am Anfang dieses Jahres dauerhaft bei Charlie zu leben, damit die andere Renee die Möglichkeit hatte, mehr Zeit mit ihrem Mann zu verbringen.

Ich beendete meine Geschichte mit den Worten, dass ich nun auf die Forks High School gehe, um meinen Abschluss in meiner Geburtsstadt zu machen. Nachdem ich fertig war, war es für ein paar Sekunden still im Raum.


Es war, als wäre die Zeit eingefroren. Nur der Regen war zu hören, wie er gegen die Fensterscheiben peitschte.

Das Familientreffen




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich wartete auf irgendwelche Reaktionen. Renee, meine Mutter, war die erste, die ihre Stimme wiedergefunden hatte.


„Aber Bella, was redest du denn da für einen Unsinn! Geht es dir auch wirklich gut, mein Schatz?“


„Ich weiß, dass es sich verrückt anhört, aber es ist die Wahrheit. Oder hast du sonst eine Erklärung dafür, dass ihr mich nicht finden konntet?“, antwortete ich.

Renee sah bestürzt aus. Charlies Blick war ruhig und nachdenklich, genau wie Andys.

"Also ich glaube dir.“, sagte mein Bruder voller Überzeugung. Ich lächelte ihn an und er erwiderte es.

„Andrew!“, sagte Renee jetzt etwas aufgebracht. Andy stöhnte theatralisch und sah irgendwie genervt aus.


„Ach Mum, komm‘ schon! Hast du eine bessere Erklärung dafür? Akzeptiere doch einfach, dass es Dinge auf der Welt gibt, die übernatürlich sind. Dinge, die rational nicht erklärbar sind. Wie erklärst du dir denn dann, woher ich auf einmal wusste, dass Bella vor Dads Haus auftauchen würde?“


Ich blickte ihn überrascht an. Ja. Kaum als ich Charlie begrüßt hatte, stand er auch schon vor der Tür. Woher wusste er das? Mein Blick wanderte wieder zu Renee. Ihr schien unbehaglich zu sein und ich merkte, wie gern sie dieses Thema vermieden hätte.


„Nein! Nein, nein, nein, nein, nein! Andrew Swan. Bitte fang jetzt nicht wieder damit an. Ich hatte wirklich gedacht, dass ich dir in den letzten Jahren diesen Flausen im Kopf ausgetrieben habe!“, schrie ihn Renee jetzt laut an.

„Worum geht es?“, fragte ich Andy.

Ich sah, wie Renee ihn anblitzte und erschrak leicht. Ich hatte noch nie gesehen, dass die andere Renee jemanden so anfunkeln konnte. Ich wusste nicht mal, dass sie dazu überhaupt in der Lage war. Nun hatte ich die endgültige Bestätigung. Diese Frau war anders, als ihre „Doppelgängerin“. Wieder ein Beweis dafür, dass ich wirklich in einer anderen Welt war. Andy ignorierte ihren Blick und sah mich an.


„Ich habe übernatürliche Fähigkeiten und kann, meistens wenn ich schlafe, Dinge sehen. Zukünftiges, gegenwärtiges oder auch vergangenes. So habe ich heute Nacht geträumt, wie du vor Charlies Haus standest. Ich bin sogar in der Lage, Tote zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Naja, jedenfalls musste ich unsere Mutter heute früh unsanft wecken und sie geradezu nötigen, damit sie mit mir ins Flugzeug steigt, um dich zu treffen. Eigentlich wäre ich auch alleine geflogen, aber ich nervte solange, bis sie nach gab.“


Ich schaute ihn wachsam an und ich wusste, dass er wusste, dass ich ihn nicht für verrückt hielt.


„Man könnte mich fast als ein ‚Medium‘ bezeichnen“, schloss Andy.


„Oh mein Gott. Da ist es wieder, dieses Wort! Andrew ich habe es dir schon so oft gesagt. Niemand hat so außergewöhnliche Träume. Niemand kann Tote sehen. Und ganz gewiss bist du kein MEDIUM!“
Das letzte Wort sprach sie mit voller Verachtung aus, die sie aufbringen konnte.


„Und wie erklärst du dir dann, dass wir alle jetzt hier sitzen und das – sieh einer an – mit deiner verschollenen Tochter?“, gab Andy ruhig zurück.

„IHR SEID ZWILLINGE! GANZ EINFACH!“, schrie Renee jetzt außer sich vor Zorn.


„Ach, daran glaubst du also, MUM! Und das, obwohl die Verbindung zwischen Zwillingen auch übernatürlich ist?“ Renee gefiel der Verlauf des Gesprächs immer weniger.

„Pffft!“, machte sie verächtlich, „Das ist etwas ganz anderes! Ich meine…?“ Sie zögerte kurz. Dann richtete sie ihren wütenden und perplexen Blick auf Charlie, der stumm die ganze Zeit das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. „Charlie, sag doch auch mal etwas!“


Nach ein paar Sekunden antwortete er gelassen: „Es stimmt. Alles, was ihr beide erzählt habt Kinder, hört sich total verrückt an. Aber ich glaube euch. Auch wenn ich mich selbst nicht mehr verstehen kann.“ Er schaute uns mit einem Blick an, der Authentizität auszustrahlen schien.


Geschockt und mit weit aufgerissenen Augen starrte Renee Charlie an und sagte nun nicht mehr so laut: „Oh mein Gott. An was für einen Mann bin ich da nur geraten?“ Die Frage war wohl eher an sie selbst gerichtet.

„Renee, bitte denk doch noch einmal über alles nach, was Bella uns erzählt hat. Es wäre zumindest eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen könnte.“, versuchte Charlie sie mit fester Stimme zu beruhigen.


Doch sie hörte ihm nicht zu und stand auf. Sie machte eine abwehrende Gestik, indem sie die Arme hob und uns ihre Handflächen entgegen streckte, als wollte sie ein Auto anhalten. Sie stöhnte.

„Das reicht. Ich kann keine Minute länger mit euch unter einem Dach bleiben.“
Als sie weiter sprach, schaute sie mich etwas wehmütig an.
„Tut mir wirklich leid, Bella. Aber was du uns da erzählt hast, ist total absurd. Du bist einfach nur verwirrt und stehst noch unter Schock. Schließlich war das ein aufregender Tag. Es tut mir wirklich leid, mein Schatz. Ich habe wirklich nicht gewollt, dass unser Wiedersehen so endet.“
„Du kannst dich ja bei deinem Bruder bedanken, der dich bei deinen Wahnvorstellungen auch noch unterstützt.“, sagte sich sarkastisch und sah ihn streng in die Augen.

„Ich fliege zurück nach Phoenix. Du kannst mich ja anrufen, wenn es dir psychisch wieder besser geht, Bella.“, sagte sie zu mir.

In ihrem Blick konnte ich sehen, dass sie mich am Liebsten jetzt mit genommen hätte, jedoch sprach sie diese Bitte nicht aus. Ehrlich gesagt, wäre ich jetzt auch nicht mit ihr zurück geflogen, auch wenn sie MEINE Mutter ist. Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, ging sie hinaus in den strömenden Regen, knallte die Haustür zu, stieg ins Auto und fuhr davon. Wir drei starrten ihr nur hinterher ohne auch nur aufzustehen, ohne ein Wort des Abschieds. Eine Weile sagte niemand etwas.

„Na das war ja ein schönes Familientreffen.“, unterbrach Charlie die Stille mit Sarkasmus.

„Na das kannst du aber laut sagen.“, erwiderten Andy und ich darauf gleichzeitig.


So brachen wir drei in Gelächter aus, was allerdings nicht lange andauerte.

„Kaum habt ihr wieder zueinander gefunden, benehmt ihr euch auch schon wieder wie richtige Zwillinge.“, sprach Charlie mit einem Lächeln in der Stimme.
„Ach, kommt endlich her ihr zwei! Wie lange soll ich denn noch warten, damit ich euch umarmen kann? Schließlich warte ich schon seit 11 Jahren darauf.“, sagte Charlie gespielt wütend.

Wir lachten, standen von unseren Stühlen auf und kamen auf unseren Dad zu. Er legte seine Arme um jeweils eine Schulter von uns beiden und drückte uns an sich, während wir seine Umarmung erwiderten. Wir hörten Charlies leises Schluchzen und kurze Zeit später fingen ich und Andy auch an. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten wir uns wieder gefasst und lösten voneinander.


Nun erzählte Charlie, wie seine Arbeit als Politeipräsident ist und was er da für Aufgaben hat. Ich hörte ihm wirklich gern zu und lächelte zaghaft die ganze Zeit.
Dann erzählte Andy, mein Zwillingsbruder, mehr von sich. Er berichtete von seinem Leben in Phoenix. Er sagte, er sei ein leidenschaftlicher Baseballfan und spielte in Phoenix an der High School in einer kleinen Baseballmannschaft.
Na da haben sich ja zwei gesucht und gefunden, dachte ich und schmunzelte. Dann erzählte er, dass er, wenn er mit der Schule fertig ist, ein Lehramtsstudium, wie seine Mutter, absolvieren will. Auch wenn seine Beziehung zu dieser Renne nicht so eng war, wie meine mit der anderen, so wusste ich doch, dass ihm das an seiner Mutter beeindruckte. Hier entdeckte ich eine Gemeinsamkeit mit meinem Bruder und war froh darüber. Ich erzählte es den beiden und sie lächelten mich – besonders Andy – strahlend an.


Aber auch erzählte Andy, dass er unter meinem Verschwinden all die Jahre gelitten hatte. Als er zu diesem Thema kam, nahm ich seine Hand und drückte sie mitfühlend. Er sah mich dankbar an. Er verkündete, dass er selbst in Phoenix, kurz nach seiner Ankunft, Zettel von mir überall verteilte. Er habe genau wie Charlie immer gehofft, dass ich eines Tages nach Hause kommen würde. Doch als Renee davon erfuhr, schrie sie ihn und verbot es ihm.
Die darauf folgenden Jahre nannten ihn seine Mitschüler hinter seinem Rücken immer: „Das ist doch der, dessen Zwillingsschwester seit Jahren vermisst wird.“


Diesen „Ruf“ wurde er eigentlich nie wirklich los und hatte dadurch auch kaum Kontakt zu anderen Jungs in seinem Alter. Das zu hören, tat mir unendlich weh. Es war, als könnte ich seinen Schmerz spüren. Vielleicht konnte ich das ja? Schließlich sind wie Zwillinge. Renee, erzählte er weiter, hatte sich dann immer weniger um sich gekümmert, da sie bald Phil kennen gelernt hatte. Er fand sich immer mehr und mehr damit ab, sodass die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter immer weiter abkühlte. Oft benahm er sich ihr dann gegenüber gleichgültig, wenn sie ihm dann mal Beachtung schenkte, was auch immer mehr nachgelassen hatte.


Daher versuchte er eine Beziehung zu Phil aufzubauen, die jetzt schon guten Bestand hatte. Durch ihn kam er zu seiner Passion und sie hatten etwas, was sie verband. Doch jede Nacht dachte er an mich und schlief schluchzend ein. Das war bis zur letzten Nacht auch nicht anders, sagte er und blickte mich an. Ich konnte die Glückseligkeit, die ihn umhüllte, förmlich spüren. Er war so froh, dass ich wieder da war und er meine Hand halten konnte.


Ich war doch letztendlich auch froh, dass alles so gekommen ist. Wenn ich daran dachte, wie das alles anfing? Mit dieser schlechten Idee nach Port Angeles zu fahren. Obwohl, so schlecht kam sie mir jetzt gar nicht mehr vor. Denn sie war der Ursprung für die erste Halluzination von IHM gewesen und baute auf die Handlung auf, die mich schließlich in diese andere Welt zurück gebracht hat. MEINE Welt.
Als mir die Halluzination von IHM wieder in den Sinn kam, spannte sich mein Körper kurz an. Andy bemerkte es, da er immer noch seine Hand in meiner hielt und sah mich besorgt an. Ich versuchte zu lächeln und schüttelte den Kopf. Ich dachte mir, er wusste bestimmt, das sich hinter meiner Reaktion mehr verbarg. Doch er drückte nur meine Hand und erwiderte mein Lächeln.


Ich war zwar jetzt in dieser Welt, doch hatte ich mein Ziel nur kurz aus den Augen verloren. Irgendwie musste ich es schaffen, wieder eine Halluzination von IHM hervorzurufen. Von MEINEM Edward – mir fiel kein besseres Wort ein – und nicht von dem anderen. So redeten wir drei solange, bis Charlie sagte:


„So, ihr beiden. Es ist schon spät. Wir sollten schlafen gehen.“


Stimmt es war schon 23.45 Uhr. Aber ich wusste nicht, wo hier mein Zimmer war.


„Aber wo soll ich schlafen? Ich weiß nicht, wo mein Zimmer ist?“, fragte ich.


Charlie und Andy lächelten.

„Du warst lange nicht mehr hier, Schwesterchen. Ich zeige dir, wo dein Zimmer ist. Folge mir.“

„Nacht, ihr zwei.“, sagte Charlie zu uns.

Ich ging zu ihm hin, umarmte ihn kurz und wünschte Charlie ebenfalls eine gute Nacht. Andy lachte kurz auf, tat es mir dann aber nach, nachdem ich Charlie los ließ. Wir beide gingen die Treppe hoch zu einer Tür. Seltsam, dachte ich. Das ist genau derselbe Weg zu meinem Zimmer, wie im anderen Haus. Doch einen Unterschied gab es. Direkt neben der Zimmertür, vor der wir beide stehen blieben, war noch eine andere.


„Hier ist dein Zimmer. Aber heute kannst du leider nicht darin schlafen.“, sagte er und grinste.


„Warum nicht?“

„Sieh es dir an. Dann weißt du, was ich meine.“


Ich öffnete die Tür und schaltete das Licht ein.

„Ach so.“, sagte ich nur leise.


Das Zimmer, war nicht eins für einen Teenager. Eher für ein kleines Mädchen. An den Wänden klebte rosa Tapete. Links von der Tür stand an der Wand ein kleines Bett. Es hatte eine Bettwäsche mit den Motiven von „Arielle, die Meerjungfrau“.
Gerade zu stand in der linken Ecke dieser Wandseite war ein Kleiderschrank. Daneben war das Fenster. Es war das gleiche, durch das ER immer herein kam. An der Wand direkt rechts neben der Tür befand sich ein Schreibtisch, der ebenfalls zu klein für mich war. Darauf standen Becher mit Filz- und Buntstiften. Auch lag sogar eine Puppe auf der Tischplatte. Wahrscheinlich war es die Puppe, die ich zu meinem 7. Geburtstag geschenkt bekommen hatte, an den ich mich leider nicht mehr erinnern konnte.
In der Ecke der Wand stand etwas, das ich sofort wieder erkannte. Es war genau der gleiche Schaukelstuhl, der auch in meinem anderen Zimmer war. Erleichtert atmete ich auf.
An der Wand gegenüber vom Bett war noch ein Fenster und ein Schrank. Ich vermutete aber, dass darin keine Kleidung, sondern eher Spielsachen drin waren.


„Charlie hatte es wohl nicht fertig gebracht, es zu verändern, oder?“, fragte ich leise.


„Mmhh.“, bestätigte Andy. Ich machte das Licht aus und schloss die Tür.


„Tja, du musst wohl heute in meinem Zimmer schlafen. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.“, sagte er und schritt auf die Tür zu, die sich neben meiner befand, öffnete sie und schaltete das Licht ein.


Dieses Zimmer war für einen Teenager gemacht.

Die Wände waren mit dunkelblauer Tapete gekleidet. Poster, wahrscheinlich von Baseballspielern säumten die Wände, wirkten aber dadurch nicht überladen. Geradezu stand ein 2 Meter 10 langes Bett mit Jungenbettwäsche. An der Wand rechts von der Tür stand ein großer Kleiderschrank.
Die Wand gegenüber war mit einem größeren Fenster versehen, als in meinem Zimmer.
An der linken Ecke der Wand stand auch derselbe Schaukelstuhl, den ich kannte. Ich musste lächeln. An der Wand links von der Tür, war ein moderner Schreibtisch aus Holz und darauf lag ein Laptop von „VAIO“.


Alles in allem, sah es hier sehr ordentlich aus. Als ich fertig mit meiner Inspektion war sagte ich:


„Nein, es macht wir wirklich nichts aus.“

Und als ich diese Worte ausgesprochen hatte, merkte ich, dass es stimmte. Obwohl ich ihn heute erst (wieder-) getroffen hatte, fühlte ich mich mit ihm verbunden und ich wusste, dass ich bei ihm gut aufgehoben war. Warum sollte ich denn nicht mit ihm in einem Zimmer schlafen? Er war doch schließlich mein Bruder.

„Ich schlaf dann auf dem Boden, das ist kein Problem.“

„Sei nicht albern!“, erwiderte er prompt.

„Du schläfst natürlich im Bett.“

Ich merkte, wie ich etwas rot wurde. Er ging zum Kleiderschrank und holte einen Schlafanzug raus und gab ihn mir.

„Tut mir leid. Ich hab‘ nichts anderes für dich.“, sagte er entschuldigend.
„Geh doch ins Bad und mach dich doch schon fertig. Es ist…“


„Keine Sorge. Ich weiß, wo es ist.“, unterbrach ich Andy.


Ich ging zu einer Tür an der gegenüberliegenden Seite des Flurs und öffnete sie. Ich hatte das Bad gefunden. Es war genau dort, wo ich es vermutet hatte. Wieder etwas, was sich nicht verändert hatte. Egal in welcher Welt man sich gerade befand. Ich wusch mich, zog mich um und putzte mir mit der Zahnbürste einer anderen Person die Zähne. Morgen würde ich mir sofort eine eigene kaufen, sagte ich mir. Denn mir gefiel die Tatsache nicht, eine andere Zahnbürste zu benutzen.


Als ich wieder in Andys Zimmer kam, lag eine Matratze neben dem Bett auf dem Fußboden. Sie war bezogen und auf ihr lag auch Bettwäsche. Ich ging zu seinem Bett und legte mich hinein. Es fühlte sich an, als wäre dieses Bett schon immer meins gewesen. Als ob ich jede Nacht meines Lebens darin verbracht hätte. 20 Minuten später kam mein Bruder zurück und hatte ebenfalls einen Schlafanzug an.


„Wie ich sehe, hast du es dir schon gemütlich gemacht.“, sagte er und lächelte. Ich nickte und lächelte zurück. Er schloss die Tür, schaltete das Licht aus und legte sich in sein improvisiertes Bett.
Nach einer Weile angenehmer Stille sagte er:

„Bella, ich bin froh, dass du wieder zu Hause bist. Bitte verlass‘ mich nie wieder. Ich weiß, dass es total abgedroschen klingt. Aber ohne dich bin ich nicht vollständig.“

Ich lachte und es hörte sich richtig an. „Jaja, das ist so eine Zwillingssache. Aber ich will dir sagen, dass ich mich dir sehr verbunden fühle. Auch ich bin froh, dass ich wieder hier bin.“


„Das ist schön. Na dann? Gute Nacht, Schwesterchen und träum‘ was Schönes.“


„Auch dir eine gute Nacht, Bruderherz.“

Es war komisch, das Wort zu benutzen. Es fühlte sich aber gut an. Er lachte leise. Ich dachte über seine letzten Worte nach. Ich sollte etwas Schönes träumen.

Ich wusste nicht, ob mir das gelingen wurde und glaubte nicht recht daran.

Aber irgendwann kam der Schlaf und die Nacht senkte sich über mich.

Der Morgen danach




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Hey, ihr zwei. Aufwachen!“, hörte ich eine Stimme sagen.


Ich öffnete verschlafen die Augen und sah Charlie an der offenen Tür stehen. Dann richtete ich mich ruckartig auf und sah mich um. Zuerst wusste ich nicht, wo ich mich befand. Doch dann sah ich nach links unten eine Matratze, auf der jemand schlief. Nur sein halber Kopf ragte heraus, der aber fast völlig von seinem braunen Haar verdeckt wurde, das wie ein Heuhaufen aussah. Dann fiel mir mit einem Schlag alles wieder ein. Kaum zu glauben, dass dies wirklich passiert war. Ich war wieder in meiner – ein wenig zweifelte ich immer noch daran – Welt und war im Zimmer meines Zwillingsbruders, der links neben mir unten auf der Matratze schlief.


„Hey, mein Junge, das gilt auch für dich.“, sagte Charlie lachend.
„Ich bereite schon mal das Frühstück vor und warte dann unten auf euch. Aber trödelt nicht zu lange rum.“


Nachdem Charlie das gesagt hatte, drehte er sich um und ging die Treppe hinunter. Ich saß weiterhin immer noch etwas verschlafen im Bett und hing meinen Gedanken nach. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich traumlos durch geschlafen hatte. Ich bin nicht schreiend erwacht, wie ich befürchtet hatte. Ich staunte und fragte mich, ob Andy und Charlie vielleicht der Grund dafür waren. Vielleicht war es aber einfach nur unsere Wiedersehensfreude, die die bösen Träume heute Nacht ferngehalten hatte, auch wenn das mit Renee gestern nicht perfekt ablief. Ich rutschte zur Bettkante und stieß mit meinen Zehen leicht gegen Andys Kopf.


„Los, Aufstehen. Du hast doch Charlie gehört.“

„Ja, Mum. Sofort“, brummte er.

Dann schlug er die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Als er nun sprach, klang er deutlich wacher.


„Morgen, Bella. Und, gut geschlafen?“, fragte er und grinste mich an.


Ich lächelte etwas schüchtern und antwortete wahrheitsgemäß: „Ja, so gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen.“

Sein Blick veränderte sich und sein Grinsen verschwand. Er wirkte jetzt ernst und besorgt.

„Ja, das kann ich mir vorstellen.“

Ich erwiderte nichts, starrte ihn nur stumm an und wieder kam es mir in diesem Moment vor, als würde ich in einen Spiegel sehen.

„Komm, machen wir uns fertig.“, sagte er und ich merkte, wie er versuchte unbeschwert zu klingen.


Ich stand auf, nahm meine Sachen, die ich auf dem Schaukelstuhl gelegt hatte und ging als erste ins Bad. Als ich fertig war, ging ich zurück in sein Zimmer und wartete auf ihn, bis er ebenfalls fertig war. Wir gingen beide runter in die Küche und Charlie begrüßte uns. Dann kam er zu uns und umarmte Andy und mich. Dann setzten wir uns an den gedeckten Frühstückstisch. Wieder einmal etwas, das ich nicht kannte. Ich war es nicht gewohnt, dass mir das Frühstück schon vorgesetzt wurde.
Ich musste es in der anderen Welt immer selbst machen und eher für den anderen Charlie sein Frühstück vorbereiten.


Mein Blick fiel auf die Uhr. Es war 10.30 Uhr. Müsste Charlie nicht schon längst auf der Wache sein? Ich meine, er ist ja hier auch Polizist. Nun fiel mir der andere Charlie plötzlich ein und ich fragte mich, was er jetzt wohl gerade machte. Wie es ihm wohl gerade ging? Bestimmt machte er sich große Sorgen um mich und hatte die halbe Stadt gebeten, bei der Suche mitzuhelfen. Wie damals, als… Ich konnte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Ich verkrampfte, schnappte nach Luft und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren.


Der Schmerz, den ich gestern seit ich vor Charlies Tür stand nicht mehr gespürt hatte, drang jetzt wieder an die Oberfläche. Die Wunde pochte so intensiv, als wollte sie sich dafür rächen, dass ich ihr gestern nicht so viel Aufmerksamkeit „schenkte“, wie sonst immer. Ich konnte den Drang, mir die Arme um die Brust zu schlingen nicht ganz unterdrücken und verschränkte sie daher nur vor der Brust. Charlie sah mich besorgt und Andy mitfühlend an. Jedoch sagten sie zu meinem Verhalten nichts. Ich versuchte zu lächeln, doch mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Andy und ich aßen unsere Schokoladen-Cornflakes. Die Sorte habe ich früher am liebsten gegessen. Jetzt war mir das inzwischen egal. Ob es auch Andys Lieblingssorte war? Sehr wahrscheinlich, dachte ich.


Charlie aß, genau wie der andere, Toast zum Frühstuck. Als mir diese Ähnlichkeit auffiel, musste ich wieder an den anderen Charlie denken. Geht es ihm gut? Hat er „Mum“? – meine Güte ist das alles kompliziert – auch schon informiert? Sie ist bestimmt krank vor Sorge um mich. Als wir mit dem Frühstück fertig waren, stand Charlie auf und zog sich für seinen Dienst an. Er legte sich seine Pistole um. Er sah Andy, dann mich an und mir fiel sein besorgter Blick auf.


„So ihr zwei. Ich muss dann mal jetzt wirklich los. Mir war es heute einfach wichtig, den Tag mit euch zusammen zu beginnen. Auch wenn ich du jetzt wieder da bist, Bella…“, sagte er und schaute mich an,
„…gibt es trotzdem noch viele andere Fälle, die ebenfalls eine hohe Priorität besitzen. Ich muss rüber nach Port Angeles und habe dort einige Pflichten zu erfüllen. Ich weiß aber nicht, wann ich zurück sein werde. Wir bleiben telefonisch in Kontakt. Andy du hast ja meine Nummer.“, sagte er zu ihm gewandt.


„Alles klar, Dad. Wir hören von dir“, gab Andy zurück.


„Gut ihr zwei. Also bis dann. Tschüss.“


Er drehte sich um, ging zur Tür, öffnete sie und wollte gerade hinaus treten, als er inne hielt. Er wandte sich uns wieder zu.

„Ach und Andrew?“, sprach Charlie und sah ihn streng in die Augen. Ich sah, wie mein Bruder etwas das Gesicht verzog. Wahrscheinlich mochte er den Namen „Andy“ lieber. Genauso verhielt es sich mit meinem Namen.

„Ja, Dad?“


„Pass‘ mir ja auf mein kleines Mädchen auf. Wir wollen ja nicht, dass sie sich wieder in Luft auflöst! Vielleicht ist es ganz gut, wenn du mit ihr shoppen gehen würdest. Schließlich hat sie ja keine Sachen, von einem Bett ganz zu schweigen. Ich hab euch hoffentlich genug Geld hingelegt. Lass‘ Bella ja keinen Moment aus den Augen.“, sagte er mit einer unterschwelligen Drohung in der Stimme.


„Ja, Sir!“, sagte Andy und salutierte.


Charlie lachte, sah mich dann wieder an und durchbohrte mich förmlich mit seinem besorgten Blick.


„Keine Angst, Dad. Ich werd‘ schon nicht verschwinden. Bis dann. Ich hab‘ dich lieb“, sagte ich liebevoll.


Auch wenn ich diesen Mann noch nicht solange kannte, liebte ich ihn. Wie eine Tochter ihren Vater. Charlie lächelte jetzt so breit, dass sein Gesicht dadurch 20 Jahre jünger aussah. Seine Lachfältchen kamen jetzt zum Vorschein.


„Ich hab‘ dich auch lieb, Bella. Das hat sich in den letzten 11 Jahren nicht verändert“


„Hey und was ist mit mir?“, sagte Andy und machte einen Schmollmund. So sah ich bestimmt auch aus, wenn ich das tat.


„Dich natürlich auch, du kleiner Bengel.“, sagte Charlie glucksend.


Er lächelte uns beide nochmals an, trat hinaus in den Nieselregen und schloss die Tür hinter sich. Wir hörten, wie ein Auto davon fuhr.


„Also, kleine Schwester. Du hast unseren Vater gehört. Auf geht’s! Wir fahren jetzt auch nach Port Angeles, damit du ein ordentliches Bett und was zum Anziehen bekommst.“, sagte er zu mir.

„Aber ist das nicht ziemlich langweilig für dich?“


Er schüttelte den Kopf und schnappte sich einen riesigen Bündel Geldscheine von der Anrichte. Dieser Charlie scheint wirklich sehr gut zu verdienen. Eigentlich wollte ich nicht, dass jemand Geld für mich ausgab. Ich war es ja gewohnt, sehr selbstständig zu leben. Aber schließlich brauchte ich wirklich neue Sachen und mein Portemonnaie – indem eh nicht viel Geld drin war – befand dich in meinem Schulrucksack, der wiederrum in meinem Transporter auf dem Beifahrersitz lag. Ganz abgesehen davon, dass all‘ diese Dinge sich in der anderen Welt waren. Ich fragte mich, ob mein Transporter noch immer dort stand, wo ich ihn abgestellt hatte. Mir fiel auch meine Socke ein, in der sich mein ganzes Erspartes gesteckt hatte. Doch diese lag unter meinem Bett in meinem anderen Zimmer.


Es wäre schön, wenn ich einfach mal kurz dorthin rüber wechseln könnte, um so einige Sachen und mein Geld mit nehmen zu können. Dann wäre alles viel leichter. Tja, wäre schön, wenn das so einfach gehen würde. Doch dann kam mir ein neuer Gedanke. Habe ich das nicht gestern getan? Bin ich nicht von der einen zur anderen Welt gewechselt? Könnte ich das womöglich noch einmal schaffen? Ginge das wirklich? Ich versuchte mich zurück zu erinnern, wie ich den Wechsel gemeistert hatte. Ich musste den Schlüssel finden, der den Übergang ausgelöst hatte. Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber ich kam auf keine Idee. Was soll dort beim anderen Haus der Cullens mit mir passiert sein?


Und wenn gar nicht ich gar nicht diese „Fähigkeit“ besaß? Vielleicht hatte es vielmehr etwas mit dem Ort zu tun gehabt, der schließlich den Übergang bewirkt hatte. Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu verdrängen. Andy und ich gingen zum Kleiderständer, nahmen unsere Jacken vom Hacken und zogen sie an.

Währenddessen fragte ich ihn: „Warum sagt du eigentlich ‚kleine Schwester‘ zu mir? Ich dachte, wir sind Zwillinge.“

Er lachte. „Ganz einfach. Ich kam zuerst aus dem Mutterleib heraus. Du dann 10 Sekunden danach.“


„Man, bist du penibel“, sagte ich gespielt mürrisch und lachte zaghaft.


Wir zogen uns die Kapuzen über dem Kopf und gingen hinaus in den Regen. Ich folgte Andy ein paar Schritte und sah meinen Chevy-Transporter. Hatte er gestern auch schon dort gestanden? Ich war wahrscheinlich zu sehr auf die Haustür fixiert und hatte meine ganze Aufmerksamkeit dem bevorstehenden Gespräch gewidmet, sodass ich ihn wohl einfach übersehen hatte.


„Hey, wie kommt denn mein Transporter hierher?“, fragte ich erstaunt.

Andy sah mich an und zog die Augenbrauen zusammen.

„Dein Transporter?“, fragte er und klang verwirrt.


„Ja, ich fahre genau den gleichen. Aber kurz nachdem ich in diese Welt kam, war er verschwunden. Deshalb wundere ich mich ja.“


„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Aber das ist mein Auto. Ich habe ihn zusammen mit Jacob Black zusammen wieder flott gemacht. Aber er wollte ihn nicht fahren, weil der Motor schon bei 90 Stundenkilometer lautstark protestiert. Ich bin nicht so ein Autofreak, wie andere Jungs. Ich finde den Transporter super, so wie er ist und mich stört die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht. Außerdem finde ich es gut, dass er so robust gebaut wurde. Es mag ja sein, dass er eine Antiquität ist, aber ich finde er passt zu mir.“


Ich hatte bemerkt, dass sein Blick sich verfinsterte als er Jacob Black erwähnte.


„Und du fährst genau den gleichen?“, fragte er und sein Blick hellte sich wieder auf.


„Ja, genau. Und weißt du was? Der Jacob Black aus meiner Welt…“, ich verzog das Gesicht, „…hatte auch so einen Transporter repariert und da er ihn ebenfalls nicht fahren wollte, hat der andere Charlie den Wagen abgekauft und mir geschenkt. Sozusagen als Willkommensgeschenk.“


Da sah ich den Jacob, den ich kannte, jetzt vor mir. Seine rostbraune Haut, sein breites Lächeln. Sein Gesicht, das gerade begann sich durch die Pubertät zu verändern und seine langen schwarzen Haare, die zu einem Zopf zusammen gebunden waren. Ich erinnerte mich, wie wir uns am Stand von La Push kennen lernten und wir ins Gespräch kamen.

„Hä?“, hörte ich Andy leise neben mir sagen, doch ich achtete nicht auf ihn.


Ich war völlig in meiner Erinnerung vertieft. Ich glaubte jetzt, dass ich Jacob anfing zu vermissen, obwohl wir kaum miteinander zu tun hatten. Er hatte so eine beruhigende Art an sich und seine gute Laune war ansteckend gewesen. Ich hing meinen Erinnerungen weiter nach und sah alles ganz genau vor mir.


Wie ich versuchte mit ihm zu flirten, damit er mir ein paar Legenden über seinen Stamm erzählte. Er erzählte mir damals, dass die Quileute angeblich von Wölfen abstammen würden und ihren Stamm vor ihren einzigen Feinden, „den kalten Wesen“, beschützten.
Dann berichtete er weiter, wie sein Urgroßvater Ephraim Black, der damalige Anführer der Quileute, auf „kalte Wesen“ traf, die behaupteten anders zu sein. Sie seien anders, da sie sich von Tierblut ernährten und somit keine Menschen töteten.


Somit schloss Ephraim einen Vertrag mit ihnen, damit ein friedliches Nebeneinanderleben möglich wurde. Die Quileute würden sie nicht jagen, dafür mussten sich die „kalten Wesen“ – also Vampire – von ihrem Land fern halten. Doch diesen Legenden schenkte Jacob keinen Glauben. Später wurde mir erst dann klar, dass ich an diesem Tag das Geheimnis der Cullens – ich musste einmal schwer schlucken – erfahren hatte. Dieser Tag hatte mein Leben seitdem verändert.


Stopp. Hier musste ich aufhören.


Die erst schöne Erinnerung wurde nun schmerzhaft und ich schlang die Arme um meine Brust. Andy sah mich nur an und legte mir einen Arm um meine Taille und flüsterte in mein Ohr:


„Alles gut, Bella. Ich bin ja da.“


Nach ein paar Sekunden hatte ich mich wieder gefangen. Er ließ mich los und öffnete mir die Beifahrertür und ich stieg ein. Er schlug die Tür zu, ging um den Transporter herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Nachdem wir uns angeschnallt hatten, sah er mich noch einmal kurz besorgt und mitfühlend an, startete den Motor und fuhr die Auffahrt hinunter auf die Straße.

Eine lange Fahrt




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Wir fuhren ein paar Minuten schweigend.

„Bella?“, fragte Andy.

„Ja?“

„Kannst du mir mehr über dich erzählen. Also über die Welt, in der du aufgewachsen bist?“ Ich atmete tief ein und aus. Auch wenn ich nicht darüber reden wollte, fand ich die Kraft zu sprechen. Ich fragte ihn etwas, was ich schon seit gestern wissen wollte.


„Weißt du, als du gestern vor der Tür standest und ich deine Hand genommen habe… Hast du da Bilder gesehen?“
Er zögerte kurz.

„Ja, habe ich. Dir ist also genau das Gleiche passiert.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.


„Ja. Willst du wissen, was ich in meinem Kopf gesehen habe?“ Ich hoffte, wenn ich ihn zuerst meine Sicht erzählen würde, dann würde ihn das ermutigen, sich mir gegenüber ebenfalls zu öffnen. Doch er verneinte meine Frage. Damit hatte ich nicht gerechnet.


„Ich kann mir schon vorstellen, was du gesehen hast. Du brauchst es mir also nicht zu erzählen.“ Er atmete tief durch und sprach weiter.

„Als sich unsere Hände berührten, habe ich dich gesehen. Wie du als kleines Mädchen zusammen mit der anderen Renee in Phoenix gelebt hast. Ich muss sagen, auch wenn ich nur dieses Bild gesehen habe, ist mir diese Renee durchaus sympathischer als meine. Oder unsere. Ich habe auch den anderen Phil gesehen und gemerkt, dass er diesem hier völlig gleicht. Äußerlich und Innerlich.
Das nächste Bild war genauso, nur dass du ein paar Jahre älter warst. 13 oder 14. Du hast schon damals sehr erwachsen gewirkt und warst immer etwas zurück haltend, während Renee übermütig, etwas kindlich und extrovertiert auf mich wirkte. So sind bei euch die Rollen vertauscht, sodass du oft die Erwachsene spielen musstest.“


Er lächelte in sich hinein.


„Aber anhand dieser Bilder habe ich gesehen, dass du diese Renee sehr liebst, genauso wie sie dich liebt. Ich wage zu behaupten, dass diese Renee immer für dich deine Mutter sein wird. Naja, dann im nächsten Bild warst du 16 oder 17. Ich sah den anderen Charlie und merkte, dass dieser dich genauso liebt, wie jener aus dieser Welt. Nur das er es nicht zeigen kann.“

Er machte eine kurze Pause und sein Blick schweifte kurz zu mir hinüber.

„Glaub mir, der Charlie hier ist auch kein Freund großer Worte. Im nächsten Bild, sah ich dich auf der Highschool dort im anderen Forks. Dann sah ich diese 5 Geschwister mit der blassen Haut und den goldenen beziehungsweise schwarzen Augen.“

Ich verkrampfte mich im Sitz. Andy bemerkte dies aber nicht und fuhr fort.


„Als nächstes sah ich dich auf einer Lichtung an einem sonnigen Tag mit einem dieser Geschwister stehen. Er war in unserem Alter, war etwa so groß wie ich und hatte bronze-farbiges Haar. Und er glitzerte in der Sonne. Wie ein Diamant.
Das vorletzte Bild zeigte dich und ihn am Waldesrand hinter Charlies Haus stehen und ich sah deinen schmerzerfüllten Blick.
Zum Schluss sah ich dich, wie du mit Charlie am Tisch saßest, aber dein Blick war leer und ausdruckslos.“

Nach einer Pause schloss er mit den Worten: „Genau wie meiner.“


Eine Weile sagte niemand etwas und die Stille war beinahe mit den Händen zu greifen.

„Kannst du mir sagen, was es mit diesem Typen und seinen Geschwistern auf sich hat?“, flüsterte er.

Ich zuckte zusammen und war unfähig zu sprechen.


„Also eins ist klar.“, sprach Andy wieder lauter, „Sie sind keine Menschen. Und wenn man sie als Menschen betrachten will, dann sind sie auf keinen Fall normal. Ich meine, welche Menschen haben schon so eine blasse Haut. Ja, o.k., wir sind ja schon sehr blass. Aber bei denen ist es viel extremer, dass es schon unmenschlich aussieht. Ihre Haut ist zu glatt, zu eben, zu perfekt. Und ihre Augen. Kein normaler Mensch hat goldene Augen. Und vor allem, können sie nicht ihre Farbe zu schwarz verändern oder umgekehrt.“

Er seufzte.


„Aber was ist schon normal?“, sagte er mehr zu sich selbst.

Ich hatte mich wieder etwas entspannt und legte meine linke Hand auf seine rechte, die das Lenkrad festhielt. Ich nahm all‘ meine Kraft zusammen und sprach endlich.


„Naja, da du diese sonderbaren Eigenschaften von ihnen schon weißt und sie aufgezählt hast, ist es jetzt wohl sinnlos, das Geheimnis vor dir zu noch länger zu bewahren. Aber du musst mir versprechen, dass du es für dich behältst. Du darfst es KEINEM verraten.“

Er nickte und sagte ernsthaft: „Ich schwöre, dass ich das Geheimnis mit ins Grab nehmen werde! Ich meine, ich werde ja auch keinem weiter erzählen, dass es eine Parallelwelt gibt und das du dort die letzten 11 Jahre verbracht hast. Mich würden alle für noch gestörter halten, als ohnehin schon.“


Ich seufzte erleichtert und antwortete: „Da hast du wohl recht.“

„Na los. Sag schon. WAS sind diese Geschwister für Wesen?“, sagte er düster mit unverhohlener Neugier.

Ich atmete tief ein und sprach mit fester Stimme: „Sie sind Vampire.“


Stille.


Dann wurde sie von Andy durchbrochen. „Ich hab’s doch gewusst. Ich hab’s doch gewusst, dass sie keine Menschen sind. Vampire. Wow. Wer hätte gedacht, dass es sie auch gibt. Aber warum sollten sie nicht existieren. Ich bin für alles offen. Egal ob natürliche oder übernatürliche Sachen. Cool! Aber eins würde mich noch interessieren. Warum sie so blass sind ist mir nun klar und die Sonne scheint ihnen auch nichts anzuhaben. Sie verbrennen nicht zur Asche, sondern funkeln im Sonnenlicht. Aber trotzdem können sie an solchen Tagen sich nicht unter Menschen bewegen. Aber was hat es mit ihrer Augenfarbe auf sich? Kannst du mir das mal erklären?“


„Das kommt daher, weil sie sich von Tierblut ernähren und keine Menschen jagen. Dadurch wird ihre Iris golden.“

„Und was ist, wenn die Iris schwarz ist?“


„Je dunkler, oder schwärzer die Augenfarbe ist, desto durstiger sind sie. Also sollte man einem Vampir lieber aus dem Weg gehen, wenn seine Augen schwarz sind. Sonst läuft man Gefahr gebissen zu werden. Vorausgesetzt man erkennt einen. Aber Menschen weichen instinktiv vor ihnen zurück. Ihre dunkle Aura und die Kälte ihrer Haut wirken abstoßend. Aber auf der anderen Seite wirken Vampire auf uns Menschen durch ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre Stimme sehr anziehend auf uns. Manchmal spielt auch ihr Geruch mit hinein. Der unbewusste Schutzinstinkt der Menschen hat aber größtenteils die Oberhand.“


Ich hörte mich nach Luft schnappen und umarmte mich selbst, um nicht in Stücke zu zerfallen.


„Bella, was hast du? Wir müssen nicht darüber reden, wenn du nicht möchtest.“, sprach Andy im besänftigen Ton.

„Nein, es ist o.k.“, erwiderte ich etwas atemlos. „Ich möchte, dass du es weißt. Es ist gut, mal mit jemandem darüber reden zu können.“


Ich sah Andy an der flüchtig, aber zweifelnd kurz zu mir hinüber schaute.


„Wenn du glaubst, dass das eine gute Idee ist?“, fragte er. Ich nickte.

„Es gibt also – ich sage einfach mal – gute Vampire in Forks in der anderen Welt, die unter Menschen leben.“, sagte er, um auf das Thema wieder zurück zu kommen.


„Genau.“ Ich konnte nun wieder richtig atmen, als der Schmerz vorüber war und hatte mich wieder im Griff.


„Erzähl‘ mir nun bitte von diesem Kerl, den ich mit dir auf der Lichtung zusammen gesehen habe.“

Jetzt kam der schwerste Teil der Geschichte. Andy nahm seine rechte Hand vom Lenkrad, nahm meine linke und wir verschränkten unsere Finger ineinander. Als ob er wüsste, dass jetzt etwas sehr Schwieriges und Schmerzhaftes kommen würde. Naja, eigentlich wusste er es ja. Schließlich hatte er einen Hinweis in seinem Kopf gesehen. Er drückte meine Hand und ich war dankbar für diese Geste. Ich holte tief Luft und zuckte danach leicht zusammen, was ich nicht verhindern konnte.


„Der Junge,…“, begann ich, „…den du gesehen hast, war Edward.“

Der Schmerz kam, jedoch nicht so intensiv. Andy schaffte es irgendwie, dass ich ganz blieb.

„Wir haben uns ineinander verliebt.“

Ich wartete.

Dann sagte Andy: „Bei dir ist wohl dieser Instinkt nicht so ausgeprägt, wie bei ‚normalen‘ Menschen.“

Ich konnte die Gänsefüßchen überdeutlich hören, die er um das Wort „normalen“ verbal gemacht hatte.

„Du scheinst eine Ausnahme zu sein.“ Dann lächelte er. „Hey, vielleicht kann ich mich auch in der Nähe von Vampiren aufhalten, ohne gleich schreiend davon zu rennen. Schließlich sind wir ja Zwillinge. Naja, natürlich bedeutet das nicht, dass ich mich gleich in einen verlieben muss.“


Er lachte kurz auf, dann wurde sein Blick wieder aufmerksam. Ich wusste, dass er mir jetzt wieder zuhören würde und sprach weiter.


„Er stellte mich seiner Familie vor und rettete mir im Frühling das Leben, als ein Vampir namens James mich gejagt und letztendlich gebissen hatte. Ich bin ihm damals in die Falle gelaufen. Ich dachte, er hätte Renee gefangen und er sagte mir, ich solle allein nach Phoenix kommen, da er sie sonst töten würde.“


Bei diesen Sätzen verkrampfte er sich.


„Edward hat das Vampirgift heraus gesaugt und so konnte ich mich nicht verwandeln und blieb ein Mensch. An meinem 18. Geburtstag hatte seine Schwester – eigentlich sind sie alle nicht wirklich miteinander verwandt – eine Geburtstagsparty für mich bei ihnen zu Hause organisiert. Doch leider schnitt ich mich am Geschenkpapier. Jasper, der Bruder, dem es von den anderen Vampiren am Schwersten fiel Menschenblut zu wiederstehen, hätte sich fast auf mich gestürzt. Doch sie konnten ihn zurück halten. Naja und drei Tage später hat mich Edward verlassen, da er es leid war, mit einem Menschen zusammen zu sein. Er sagte mir, dass er mich nicht mehr lieben würde.“


„Jetzt verstehe ich.“, sagte Andy langsam.

„Ich verstehe jetzt den Grund für dein Verhalten. Warum du nach Luft schnappen musst und dich immer selbst umarmst. Endlich kenne ich den Grund für deinen tiefen Schmerz, den ich immer in deinen Augen sehe.“

Nach einer Weile sagte ich: „Da haben wir wohl noch etwas gemeinsam.“

„Ja, Bella. Du hast recht. Auch ich habe einen tiefen Schmerz in mir, dessen Ursache dein Verschwinden ist.“ Er machte eine Pause.

„Aber an meinem 18. Geburtstag fühlte ich mich noch etwas schlechter als sonst. Aber ich wusste nicht warum. Und am dritten Tag nach meinem Geburtstag wurde mein Körper von so einem heftigen Schmerz geschüttelt, dass ich dachte ich müsste sterben. Dieser Schmerz war unendlich mal intensiver, als jener, den ich an meinem 7. Geburtstag erfahren musste. Renee war kurz davor, mich in die Psychiatrie einzuweisen. In der ersten Woche trank, und aß ich nichts. Auch bewegte ich mich in dieser Zeit keinen einzigen Millimeter.“


Mit aufgerissenen Augen sah ich in an. Vor meinem inneren Auge sah ich wieder diese erste Woche vor.


„Dann warst du keinen Deut besser als ich.“, sagte ich tonlos.


„Ich glaube, ich weiß jetzt was passiert ist. Ich habe deinen Schmerz gespürt. Ich spüre ihn immer noch.“


Jetzt verstand ich, warum sein Lächeln, kurz nachdem er mich an der Tür wieder gesehen hatte, erstarb.


„Du meinst, wir können jeweils fühlen, was der andere fühlt? Das scheint wieder so eine Zwillingssache zu sein.“


„Tja, die übernatürliche Verbindung von Zwillingen.“, erwiderte er trocken.


Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Bald sah ich sah das Orteingangseingangsschild von Port Angeles, Andy drosselte das Tempo und fuhr gemächlich in den Ort ein.
Noch immer waren unsere Hände ineinander verschränkt. Wir lösten sie erst voneinander, als er den Transporter geparkt und den Motor abgeschaltet hatte.

Shoppingtouren und viele Fragen





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich stöhnte.

„Was ist?“

„Naja, ich gehöre nicht zu den Mädchen, die gerne shoppen gehen.“

„Wäre es dir lieber, dass du Jungssachen trägst? Von der Unterwäsche will ich gar nicht erst anfangen…“, sagte er und grinste breit.

„Wo du recht hast…“, seufzte ich.


Wir stiegen aus und dann begann die Tortur. Wir gingen von Laden zu Laden. Ich schaute mich um, nahm hier und da gleich einen Stapel Sachen mit in die Umkleide und probierte alle Stücke an. Hin und wieder fragte ich Andy nach seiner Meinung, wie er dies oder jenes fände. Wenn ich passende Sachen gefunden hatte und sie mir einigermaßen gefielen, bekam Andy sie in die Hand gedrückt. Nachdem ich wieder einmal aus der Kabine raus trat, sagte er:


„Äh, Schwesterchen?“

„Ja, Bruderherz?“

„Ich will ja nicht meckern, aber warum suchst du dir fast immer die billigsten Sachen aus dem Laden heraus?“

„Naja, mein Charlie verdient nicht viel und Renee hat es auch gerade so geschafft, uns durchzubringen. Daher habe ich schon relativ früh mit kleinen Nebenjobs angefangen, um für ein gutes College zu sparen.“


„Also was Renee angeht, muss ich dir zustimmen. Aber Charlie ist hier Polizeipräsident und verdient recht gut. Er hat mich immer finanziell unterstützt, sodass ich es nie nötig hatte, nebenbei noch zu jobben. Das ich es dennoch getan habe und immer noch tue ist eine andere Sache. Du musst also nicht ständig auf den Preis schauen.“


Ich versuchte, seiner unausgesprochenen Bitte nachzukommen und achtete mehr darauf, ob mir die Sachen gefielen, als darauf wie teuer sie waren. Es war aber gar nicht so leicht, aus seinem Trott heraus zu kommen. Als ich in einem Laden fertig war, mir kam es vor als hätte ich bald den halben Laden leer geräumt, legten wir alles vor der Kassiererin hin, die erstaunt schaute. Als sie alles in Tüten gepackt hatte, gab Andy ihr das Geld. Ich sah, dass wir noch eine Menge übrig hatten. Wie viel genau, wollte ich gar nicht erst wissen.


Wir gingen in den nächsten Laden, der auch Kleider im Sortiment hatte. Ich suchte mir ein meeresblau-farbiges und ein schwarzes Kleid. Das blaue Kleide hatte nur einen breiten Träger für die linke Schulter, verlief eng anliegend bis zur Taille und wurde dann etwas breiter und verdeckte fast gänzlich meine Füße. Das schwarze Kleid war trägerlos und besaß einen kleinen Rückenausschnitt. Der Saum des Kleides war hinten etwas länger als vorne. Bei diesen Kleidungsstücken hatte ich mal nicht sofort auf das Geld geachtet, bekam aber wieder sofort ein schlechtes Gewissen, als ich den Preis sah. Andy tat aber unbeeindruckt und gab der Kassiererin einfach das Geld.


Ich wunderte mich immer noch, dass so viel übrig blieb. Ist Charlie heute Morgen zur Bank gefahren und hat fast sein ganzes Geld flüssig gemacht? Ich schüttelte den Kopf. So klapperten wir Läden über Läden ab und mir schien es, dass meine Füße voll mit Blasen übersäht waren, so doll taten sie mir weh. Wir beiden waren mit Tüten überladen und brachten sie in den Transporter.


„So nur noch eine Kleinigkeit, dann haben wir es geschafft.“, sagte Andy und versuchte dabei fröhlich zu klingen.

„Oh, nein. Bitte nicht!“, stöhnte ich,
„Wenn ich noch einen Schritt gehe, falle ich um!“


„Na komm schon, Bella. Du willst doch ein Bett haben, oder? Und zwar eins, dass groß genug für dich ist.“

Da hatte er recht, obwohl ich eigentlich nichts dagegen hätte, noch eine Weile bei ihm im Zimmer zu schlafen. Wir stiegen in den Transporter und führen zu einem Möbelhaus. Dort verbrachten wir aber kaum Zeit. Ich sagte Andy einfach, ich möchte das gleiche Bettgestell, die gleiche Matratze, die gleiche Decke mit passendem Kissen.

„Alles klar.“, sagte er, bestand aber trotzdem darauf, dass ich mir alles nochmal ansehen sollte.


Man sagte uns, das Bettgestell und die Matratze würden sie in 7 Tagen liefern und Andy gab eigentlich wieder viel zu viel Geld für mich aus. Wir ließen das Kissen und die Decke eintüten und gingen zurück in zum Transporter. Als wir einstiegen und die Tüte auf den Rücksitz – oder eher auf den anderen Tüten – legten, sagte ich laut stöhnend:


„Das war ja die schlimmste Shoppingtour meines Lebens! Ich staune, dass du dich nicht einmal beschwert hast.“


„Glaub mir, mein Geduldsfaden wär‘ auch fast gerissen.“, sagte er und lachte. Ich stimmte mit ein.


Er startete den Motor und wir verließen ENDLICH Port Angeles. Es war bereits 16.30 Uhr, als ich auf die Uhr schaute. Ich sah hinaus durch die Fensterscheibe und erblickte die untergehende Sonne, die den Himmel rotorange färbte. Auf der Rückfahrt sprachen wir wieder miteinander.


„Sag mal Bella, hättest du Lust Jacob Black und seine Familie kennen zu lernen?“

„Sicher, warum nicht?“, erwiderte ich bemüht locker.


Er sollte mir nicht unbedingt anhören, wie sehr ich es eigentlich wollte. Da ich heute Morgen seit langem wieder an Jacob gedacht hatte, brannte ich sehr darauf ihn zu sehen. Oder eher erneut kennen zu lernen. Schließlich hatte ich diesen Jacob noch nie gesehen. Jedenfalls erinnerte ich mich nicht daran. Und wer weiß, vielleicht war dieser Junge ja anders, als der, den ich kannte. Aber im Stillen hoffte ich, dass ich mich irrte. Ich wünschte mir so sehr, dass die beiden sich ähneln würden, da mir Jacobs Charakter wieder in den Sinn kam.


„Wie kommst du auf einmal darauf?“, fragte ich Andy.


„Och, ich hatte nur heute Morgen den Eindruck gehabt, dass du SEHR VIEL über den anderen Jacob nachgedacht hattest.“


Ich spürte, dass sich sehr viel mehr hinter dieser Aussage verbarg.


„Wollen wir dann gleich nach La Push durch fahren?“

„O.K., aber meinst du nicht, dass wir nicht etwas spät dort ankommen werden? Ich meine, dieser Besuch wird garantiert etwas länger dauern…“, sagte ich und seufzte, wenn ich daran dachte, dass Andy seine verschollene Zwillingsschwester mit brachte. Ob es dann auch so eine Begrüßungsarie geben würde?


„Kennst du diesen Jacob den gut? Man ist das komisch immer ‚diesen‘ oder ähnliches sagen zu müssen.“ Er lachte.

„Am besten du verwendest diese Wörter nur, wenn wir von der ‚anderen Seite‘ sprechen. Es ist ja nicht nötig, Menschen die hierher gehören, zu spezifizieren. Naja, eigentlich nicht so gut. Charlie ist mit den Blacks schon ewig befreundet. Sie gehören praktisch zur Familie. Ich nehme an, dass das drüben auch so ist?“

Er sah kurz zu mir rüber und ich nickte ihm zu.


„Ich habe ihn eigentlich nie wirklich gesehen, bevor Renee mit mir nach Phoenix umgezogen ist. Ich war damals ein richtiger Eigenbrötler gewesen. Ich fühlte mich einfach nie wirklich ganz und war einfach nicht in der Lage gewesen, Zeit mit anderen zu verbringen.“

Mir taten seine Worte so weh, dass ich meine Frage am liebsten wieder zurück genommen hätte. Er nahm meine linke Hand in seine und drückte sie leicht.

„Ist schon o.k., Bella. Das ist nun mal meine Vergangenheit und daran lässt sich nichts mehr ändern. Du brauchst dich deswegen nicht schlecht zu fühlen.“


Ich wusste, worauf er anspielte. „Du hast…meine Gefühle ‚gelesen‘ oder empfangen, hab‘ ich recht?“, sagte ich zögerlich.

„Wenn du es so nennen willst?“, erwiderte er trocken.


„Ich wundere mich nur, warum diese Verbindung nur in eine Richtung funktioniert. Ich meine, ich habe bis jetzt noch nie irgendwelche Gefühle von dir empfangen.“, sagte ich und ich merkte, dass mich das mehr und mehr störte.


„Vielleicht liegt es daran, dass wir solange getrennt waren.“
Er verzog das Gesicht.
„Nein, ich glaube das ist nicht der Grund. Ich denke, das liegt daran, weil du mich seit deinem Verschwinden vergessen hast. Da du nichts von mir wusstest, hattest du auch keine Verbindung zu mir. Und jetzt musst du dich physisch und psychisch wieder daran gewöhnen. Das ist jedenfalls meine Theorie.“


Ich dachte über seine Worte nach, dann sagte ich: „Klingt irgendwie einleuchtend.“


„Moment mal!“, sagte er aufgeregt. „Du kommst doch aus einer Parallelwelt. Und das bedeutet doch, dass es dort dieselben Menschen…“, er hielt kurz inne, „…und Vampire gibt oder?
Jeder hat also seinen eigenen Doppelgänger. Du hast ja gestern von der anderen Renee und dem anderen Charlie erzählt. Das heißt, selbst wenn du mich vergessen hast, gibt es doch in der anderen Welt auch einen Andy. So hättest du dann eine Verbindung zu einem Zwilling gehabt, oder nicht?“


Nachdem er wieder inne hielt, schrie er plötzlich: „OH, MEIN GOTT!“

Bei diesen Worten fuhr ich zusammen.

„Was ist denn?“, brachte ich nur heraus.


„WAS IST?“, fragte er ungläubig.
„Es gab dich zweimal in einer Welt! Vielleicht hattest du keine Verbindung zum anderen Andy, weil das nicht DEIN Zwilling war. Verrückt. Zwei Bellas und ein Andy. Warum hast du eigentlich nichts darüber erzählt? Vielleicht dachtest du, dass das zu verrückt für Charlie, Renee und mich wäre. Wie war das denn so mit dem beiden zu leben?“


Ich konnte nicht sprechen. Ich musste seine Worte erst einmal begreifen und verarbeiten. Er hatte recht. Es müsste in der anderen Welt auch eine Bella und einen Andy geben.
Aber ich hatte nie auch nur einen von beiden gesehen. Das wusste ich genau. Ich fragte mich, warum das wohl so war.

Wo waren die Kinder von der anderen Renee und des anderen Charlie? Ich bin doch bei den beiden aufgewachsen. Naja, eher bei Renee, als bei Charlie. Lebten die anderen Zwillinge bei Charlie, als ich bei Renee aufwuchs? Wenn ja, bei wem blieben die beiden dann, wenn ich mit dem anderen Charlie in Forks beziehungsweise in Phoenix Urlaub machte. Und – wenn ich annahm, dass die anderen Zwillinge größtenteils in Forks aufwuchsen – wo waren sie die letzten Monate, als ich bei Charlie einzog? Hatte man sie vor mir versteckt? Warum? Auch habe ich sie nie in der Cafeteria in der Highschool gesehen.


Dann hätte ER sich vielleicht in die andere Bella verliebt, bevor ER MICH überhaupt kannte. Schließlich waren die Cullens – ich schluckte schwer – schon 2 Jahre vor mir in Forks gewesen. Die Wunde fing wieder an zu pochen und ich musste meinem Körper davor bewahren, auseinander zu brechen. Andy sagte nichts. Als ich wieder zu ihm aufschaute, sah ich, dass sein Blick schmerzverzerrt war.


„Tut mir leid.“, sagte ich leise.

„Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen.“

Als ich mich wieder gefangen hatte, sagte ich: „Ich habe nicht zusammen mit den anderen Zwillingen gelebt. Ich habe sie nie gesehen. Nicht einmal.“, sagte ich mit fester Stimme.


Ich sah nun zum ersten Mal, wie er sich unbewusst auf die Unterlippe biss und eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen erschien. Er schien über meine Worte nachzudenken. Ich sah bestimmt genauso aus, sagte ich mir.

„Sehr seltsam.“, sagte er nach einer Weile.

„Sehr seltsam.“, wiederholte ich seine Worte.


Dann wurde es sehr still.


„Jedenfalls…“, begann Andy nach 20 Minuten, „…kenne ich Jacob erst über ein Jahr.“


Er sah wieder sehr nachdenklich aus.


„Als ich mal wieder in Forks war, fuhr Charlie zu den Blacks und ich beschloss zum ersten Mal mit zu kommen. Da lernte ich Jacob kennen, als er gerade am Transporter rum schraubte und so kamen wir ins Gespräch.“


„Hast du auch von mir erzählt?“

Sein Blick wurde wehmütig.


„Ja. Er sagte, wie alle anderen, dass es ihm Leid tut. Er sagte auch, er könne sich noch an dich erinnern. Wenn auch nur sehr schwach.“

„Ehrlich?“, fragte ich erstaunt.

Andy nickte. Jetzt war meine Neugier ganz entfacht. Ich musste die Blacks heute noch kennen lernen.


„Okay, okay. Wir sind ja gleich da.“, sagte er lachend.

„Hey, hör auf meine Gefühle zu lesen!“, sagte ich gespielt empört und lachte ebenfalls.


Bald hielt Andy vor einem kleinen Häuschen mit kleinen Fenstern, aus denen Licht strahlte. Ich sah auf die Uhr. 18.48 Uhr. Der Himmel war stockfinster und die Sterne leuchteten.


„Na, dann los.“, sagte er ermutigend und stieg aus. Ich atmete tief durch und verließ ebenso den Wagen.


„Bist du bereit?“, fragte er mich, als wir bei der Tür angekommen waren.

„Klar.“, sagte ich wenig überzeugend und Andy klopfte an die Tür.

Bei den Blacks





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Die Tür ging auf und ich sah einer Frau ins Gesicht, die ich noch nie gesehen hatte, selbst in der anderen Welt nicht. Sie hatte lange, glatte schwarze Haare, die ihr bis zur Taille gingen. Sie war schlank, wirkte aber nicht athletisch. Sie hatte rostbraune Haut und in ihrem Gesicht erkannte ich Jacob wieder, den ich kannte. Sie starrte uns zwei geschockt an und verharrte in der Bewegung. Nach zwei Sekunden blinzelte sie und umarmte uns. Andy erwiderte ihre Umarmung und ich tat es ihm nach, obwohl mir das etwas falsch vorkam.


„Hallo Sarah.“, begrüßte Andy sie.

Nachdem sie sich von uns gelöst hatte, sagte Sarah: „Hallo ihr beiden. Oh, mein Gott, bin ich froh euch wieder zusammen zu sehen.“

Sie lächelte mich herzlichst an.

„Nach 11 langen Jahren bist du wieder hier, Bella. Ein Glück. Na los, kommt rein.“, sagte sie aufgeregt.

Wir gingen ins Haus und sie schloss die Tür.

„Rebecca. Jacob. Seht mal, wer hier ist.“, rief sie laut.

Rebecca? War das nicht eine von Jacobs Zwillingsschwestern? Ich erinnerte mich, wie er mir damals erzählt hatte, dass sie mit einem samoanischen Surfer verheiratet ist und in Hawaii lebt. War sie etwa zu Besuch?


Da erschien eine junge Frau aus der Küche und fragte im Kommen: „Wer ist es denn, Mum?“


Moment mal. Mum? Hat sie gerade Mum gesagt? Ich schaute noch einmal kurz zu der Frau, die uns begrüßt hatte. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Deshalb erkannte ich Jacobs Gesicht in ihrem. Seine Mutter lebt! Sie war gar nicht tot. Hier jedenfalls nicht. Bei diesem Gedanken stieg Freude in mir auf und ich lächelte. Mein Blick wanderte wieder zu Rebecca, die ein gutes Jahr älter war als ich. Nein, als WIR, korrigierte ich mich in Gedanken.


Rebecca sah wie eine jüngere Version ihrer Mutter aus. Als sie Andy und mich erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Dann stürmte sie mir entgegen und umarmte mich fest.

„Oh, mein Gott. Das ist ja eine Überraschung!“, sagte sie und gab mich wieder frei, damit sie sogleich Andy ihre Arme umschlingen konnte.

Als sie auch mit ihm fertig war, trat sie einen Schritt zurück, drehte ihren Kopf Richtung Küche und rief: „Jacob, komm mal her! Die Swan-Zwillinge besuchen uns.“


„WAS?“, ertönte eine tiefe männliche Stimme.


Jacob kam aus der Küche und kam nach kurzem Zögern grinsend auf mich zu. Ich erschrak leicht, als ich seine Gestalt sah.
Er unterschied sich massiv von dem anderen Jacob, den ich kannte. Er hatte keine langen Haare, wie ich erwartet habe. Dieser Jacob trug einen Kurzhaarschnitt. Er war viel muskulöser, hatte breite Arme und Schultern. Sein Gesicht war viel kantiger geworden. Man sah keine Spur mehr von dem Kindlichen in seinem Gesicht. Ich kam mir wie ein Kind vor, da ich zu ihm aufschauen musste.
Wie groß er wohl war?
Also wenigstens zwei Meter.


Das Bild von dem Jungen Jacob in meinem Kopf, war nun dem eines Mannes gewichen. Er sah nicht wie 15 oder 16 aus. Nein, ganz und gar nicht. Eher wie Mitte 20. Dieser Jacob hier hatte wohl einen enormen Wachstumsschub gehabt. Nun stand er vor mir und umarmte mich so fest, dass ich dachte, mir würden die Knochen brechen.


Plötzlich geschah etwas.


Ich sah in meinem Kopf ein Bild, wie ein Blitz auftauchen. Ich sah eine Gestalt, deren Gesicht ich kaum erkennen konnte. Es war ein Mann. Er war ebenfalls sehr groß und schlang seine Arme um mich, aber nicht um mich freundschaftlich an sich zu drücken.


Nein.
Diese „Umarmung“ hatte einen ganz anderen Zweck. Es war, als wollte er verhindern, dass ich weg lief. Seine Arme bildeten eine Art Käfig um mich. Ich spürte Angst in mir aufsteigen und ich sah, wie sich das Bild veränderte. Ich wurde jünger. Vielleicht 10 oder 11 Jahre…


Das Bild verschwand und ich war wieder im Jetzt. Ich hörte, wie Jacob etwas sagte oder erneut sprach, konnte mich darauf aber nicht konzentrieren. Seine Stimme klang wie ein Hintergrundgeräusch für mich. Ich zuckte in Jacobs Armen zusammen und wäre am liebsten zurück gewichen, wenn ich gekonnt hätte. Nicht nur diese Bilder riefen diese Reaktion bei mir hervor.


Es gab noch einen anderen Grund. Jacob war so heiß, wie eine Herdplatte. Mir kam es so vor, als würde ich in den paar Sekunden – während ich in seinen Armen war – schwitzen. Diese Hitze gefiel mir absolut nicht. Ich fühlte mich sehr unwohl in seinen Armen und hätte ihn sogar weggestoßen, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte.


„Oh Gott, du bist wirklich hier. Ich glaub‘ es immer noch nicht! Du bist wirklich hier, Bella!“, hörte ich Jacobs Worte, die nun zu mir durchdrangen. Er ließ mich endlich los und seufzte erleichtert auf und das nicht nur, wegen der harten Umarmung.


„Hallo Jacob. Hallo Rebecca.“, begrüßte beide schüchtern und versuchte zu lächeln, obwohl mir immer noch unbehaglich zumute war. Auf einmal hörten wir ein Grummeln.


„Das waren wohl unsere Mägen.“, sagte Andy lachend und ich spürte, wie ich knallrot wurde.


Wir hatten seit unserem Frühstück heute Morgen nichts mehr gegessen. Ich sah zu Andy hinüber und sah auch eine leichte Röte in seinem Gesicht, die er mit seiner Bemerkung wohl überspielen wollte. Jacob wendete sich nun grinsend meinem Bruder zu und beide begrüßten sich freundschaftlich mit einem Handschlag. Wie klein Andy neben Jacob wirkte.


„Na da habt ihr aber Glück.“, sagte Sarah, „Wir waren gerade dabei, Abendbrot zu machen.“


Wir alle folgten ihr in die Küche und halfen bei der Vorbereitung. Ich war etwas abwesend, weil ich immer noch an die Bilder in meinem Kopf denken musste. Das war wohl eine Erinnerung von mir, die ich verdrängt haben musste. Was war das für eine? Warum machte sie mir solche Angst? Warum kam sie wieder hoch, als Jacob mich umarmt hatte?


Und eine ganz wichtige Frage: Warum schrak ich vor seiner Hitze zurück? Sicher, ganz „normal“ – da war wieder dieses Wort – war es nicht und ich hatte sicherlich nicht damit gerechnet. Ich verstand mich selbst nicht. Ich liebte doch die Sonne und ihre Wärme. Warum war ich ihr – in Form von Jacobs hoher Temperatur – so abweisend gegenüber? Es hing bestimmt mit der Erinnerung zusammen, die mir verborgen blieb. Mir kam es so vor, als ob mein Körper sich instinktiv vor der Wärme – oder eher Hitze - und der damit zusammen hängenden Erinnerung schützen will. Seltsam.


„Bella?“, riss mich Andys Stimme aus meinen Gedanken.


„Ja?“, antwortete ich perplex.


„Komm, setz‘ dich hin und iss mit uns.“, sagte er im normalen Ton. Ich konnte aber die Sorge um mich heraushören.


„Also Bella, erzähl‘ doch mal. Seit wann bist du wieder hier und was hast du die letzten 11 Jahre gemacht?“, fragte Rebecca neugierig.

Auch Jacob und Sarah sahen neugierig an. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen, aber da musste ich wohl oder übel jetzt durch.

Aber was sollte ich ihnen sagen? Das ich aus einer Parallelwelt komme? Nein, eher nicht. Es reicht schon, wenn meine Familie das weiß und Renee, meine eigene leibliche Mutter, mir nicht glaubt. Wenn ich ihnen die Wahrheit erzählen würde, dann würden sie mich sicherlich für verrückt halten.


Manchmal glaube ich ja, dass ich verrückt bin. Ich spürte Andy besorgten Blick auf mir ruhen. Ich musste mir eine Geschichte ausdenken und sie möglichst überzeugend rüber bringen. Ich verzweifelte bei diesem Gedanken daran, denn ich war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen. Andy nahm meine Hand unter dem Tisch und drückte sie. Ich sah ihn mit einem dankbaren Blick an und wendete meine Aufmerksamkeit wieder den Blacks zu.


„Ich wurde damals entführt.“, begann ich und mir fiel wieder das Bild von mir und diesem Mann ein. Als ich das aussprach, hatte ich das Gefühl, dass dies wirklich der Wahrheit entsprach. Ich konnte es nicht erklären. Ich wusste es einfach. Andy spannte sich an.


„Oh, mein Gott!“, hörte ich vier Stimmen sagen.


Ich zog die Augenbrauen zusammen. Eigentlich hatte Andy darauf nichts erwidert, aber ich habe trotzdem vier Stimmen wahrgenommen. Eine davon hörte ich in meinem Kopf. Es war seine Stimme. Ich drehte mein Kopf in seine Richtung und schaute ihn verwirrt an.


„Hast du gerade was gesagt?“

„Nein.“, antwortete er ruhig und erwiderte meinen Blick. Aber Verwirrung spiegelte sich nicht darin, nur die Überraschung und – wenn ich mich nicht irrte – Freude. Das verstand ich in dem Moment nicht. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Geschichte. Ich atmete tief ein.


„Ich war irgendwo die letzten 11 Jahre eingesperrt gewesen.“


Wieder überkam das Gefühl der Wahrheit. Seltsam. Ich war doch in den letzten Jahren nirgendwo eingesperrt gewesen? Ich war frei wie ein Vogel und hatte dort wo ich war, ein normales Leben geführt. Das Gefühl, dass irgendetwas Wahres an dieser Aussage war, ließ mich nicht los. Ich schüttelte den Kopf und hörte zwei nach Luft schnappen. Wahrscheinlich waren es Sarah und Rebecca, die nun bekümmert aussahen.


In Jacobs Blick konnte ich es ebenfalls sehen, jedoch sah ich auch Wut darin. Er hatte seinen ganzen Körper angespannt, dass die Sehnen unter seiner rostbraunen Haut stärker hervor traten und seine Hände waren zu Fäusten geballt.


„Ich kann mich nicht mehr so genau daran erinnern. Es ist alles verschwommen.“, log ich weiter, was mir erstaunlicherweise nicht so schwer fiel, wie ich dachte. Lag es vermutlich daran, dass das Wahrheitsgefühl über mich gekommen ist?

„Aber Andy hat mich vor ein paar Tagen gefunden und mich nach Hause zu Charlie gebracht. Wahrscheinlich hat er gespürt, wo ich mich befand. Zum Glück.“, beendete ich nun meine Geschichte.


„Oh, mein Gott. Bella, das tut mir so leid.“, sagte Sarah, nahm meine Hand und sah mich mitfühlend an.


Rebecca legte ihre Hand auf die ihrer Mutter und sah mich genauso an. Jacob spannte sich wieder an und brachte zischend hervor: „Oh, man! Ich würde den Kerl umbringen, der dir das angetan hat!“


Langsam löste er sich und sah mich mit weichen Augen an. Ich seufzte und wendete mich wieder meinem Essen zu, da ich ihre Blicke nicht mehr ertragen konnte. Eine Weile aßen wir schweigend.


„Wo ist eigentlich Rachel?“, fragte ich im bemüht lockeren Tonfall, um die erdrückende Stille zu durchbrechen. Alle drei atmeten erleichtert auf. Ihnen war anzusehen, dass sie sich über den Themenwechsel freuten.


„Meine Schwester hat ein Stipendium von der Washington State Universität bekommen und arbeitet in der vorlesungsfreien Zeit. Sie kommt nur noch selten nach Hause.“, antwortete Rebecca. Wieder eine Gemeinsamkeit, dachte ich.
Die nächste Frage kam aus heiterem Himmel aus meinem Mund, ehe ich richtig darüber nach dachte.


„Und? Ist dein Mann auch hier?“


Diese Frage brachte mir bestürzte Blicke von den Blacks und auch von Andy ein. Dann lachten Sarah, Rebecca und Jacob. Ich merkte, wie ich rot anlief.

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Aber ich bin nicht verheiratet. Ich habe noch nicht mal einen richtigen Freund.“, sagte Rebecca immer noch glucksend.


Und das war wieder ein Unterschied mehr, sagte ich mir.


„Wie kommst du denn darauf?“


„Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht so genau. Ich habe nicht richtig darüber nachgedacht.“, erwiderte ich und lächelte. Der zweite Teil war ja nicht gelogen.


„Aber die Vorstellung hat schon was.“, sagte Rebecca nachdenklich. Sarah und Jacob warfen ihr einen belustigten Blick zu.


„Bloß nicht.“, sagte Jacob und lachte wieder. „Ich will noch nicht so früh Onkel werden!“


Jetzt lachten wir alle und es fühlte sich sehr gut an. Während ich mich wieder versuchte zu beruhigen, merkte ich, dass jemand fehlte. Plötzlich wusste ich, wer es war.


„Wo ist denn eigentlich Billy?“, fragte ich nun an Sarah gerichtet.


°Diese Frage hättest du lieber nicht stellen sollen.°, hörte ich wieder eine Stimme im Kopf sagen. Andys Stimme. Ich hörte sie, obwohl er nicht zu mir gesprochen hatte.


War es möglich, dass ich…? Nein, unmöglich. Aber warum nicht? Wir sind schließlich Zwillinge. Es ist doch möglich, dass ich seine Gedanken hören kann. Ich trat in ein Fettnäpfchen. Die Gesichter der Blacks wurden schmerzverzerrt. Rebecca nahm Sarahs Hand.


„Vor sechs Jahren…“, sprach Sarah langsam, „hatten Billy und ich einen Autounfall auf dem Highway. Er ist dabei tödlich verunglückt.“ Ihre Stimme wurde immer belegter und brach.


„Oh, tut mir leid. Das wusste ich nicht.“ Ich sah die drei entschuldigend an.

Das wäre ja auch zu schön gewesen. Sarah lebt zwar, dafür ist aber Billy durch den Unfall ums Leben gekommen. In der anderen Welt ist es genau andersherum. Am liebsten hätte ich mich für meine Taktlosigkeit ohrfeigen können.

Doch plötzlich sah ich Billy kurz hinter Sarah stehen. Er sah mich mit einem durchdringenden Blick an und lächelte mich leicht an.

„Aber d… AU!“ Andy trat mir auf dem Fuß.


„Bella, was ist denn?“, fragte Rebecca mich.

„Nichts.“, sagte ich.


„Ach, weißt du Bella, es ist schon in Ordnung, Bella.“, sagte Jacob und lächelte mich an. „Ich bin jetzt eben der Mann in der Familie.“

„Da hat Jacob recht. Mach‘ dir keine Gedanken, Liebes.“, sagte Sarah und nahm meine Hand.


Dann aßen wir weiter. Als wir mit dem Abendbrot fertig waren, halfen Andy und ich, den Tisch mit abzuräumen. Sarah sagte zwar immer, dass dies nicht nötig sei, aber wir beide hörten nicht auf sie. Wir setzen uns wieder hin und verbrachten trotz der gestellten unangenehmen Fragen einen ruhigen Abend. Jacob und Rebecca erzählten einige Schulgeschichten, die sie mit ihren Freunden erlebt hatten.


Sarah berichtete, dass sie in einem Restaurant Köchin ist. Andy erzählte mir lachend, dass Sarah unbedingt nur in diesem einen Restaurant arbeiten wollte. Sarah funkelte ihn spielerisch an. Rebecca und Jacob kicherten. Als sie sich später nach Charlie erkundete und ich ihren Blick sah, wusste ich, was Andy mit seiner Bemerkung gemeint und was das Gekicher zu bedeuten hatte.


So redeten wir weiter über unbeschwerte Themen und hatten jegliches Zeitgefühl verloren. Irgendwann blickten wir mal auf die Wanduhr, die anzeigte, dass es 00.30 Uhr war.

„So. Ich glaube, wir fahren mal langsam nach Hause.“, sagte Andy und stand auf. Ich sah Sarahs Blick an, dass sie uns am liebsten gebeten hätte hier zu übernachten. Doch dafür war im Haus leider kein Platz.
Als ich mit Andy auf dem Weg zur Haustür war und durch das Wohnzimmer lief, fielen mir die Fotos auf, die auf einer Anrichte standen. Ich ging dorthin, um sie zu betrachten.


Es waren Bilder von dem kleinen Jacob mit seinen Schwestern und seinen Eltern. Billy sah aus wie jener, den ich von der anderen Seite kannte.
Das zweite Bild zeigte Sarah und Billy, aber noch jünger. Wahrscheinlich hatten sie zu diesem Zeitpunkt noch keine Familie gegründet.
Das dritte Bild zeigte die beiden Zwillinge und Jacob, der in der Mitte stand. Er hatte seinen Schwestern jeweils einen Arm um die Schultern gelegt. Doch was mir hier auffiel, war Jacobs Aussehen.


Auf diesem Foto sah er noch nicht so groß aus und wirkte eher schlaksig und nicht so muskelbepackt. Auch hatte er da noch seine langen schwarzen Haare, die ihm an seinem breit lächelnden Gesicht herunter fielen. Er sah aus wie der Jacob, den ich in Erinnerung hatte. Ich seufzte.


Dann betrachtete ich das letzte Bild, auf dem ich fünf kleine Kinder sah.
Drei hatten rostbraune Haut und schwarzes Haar. Zwei gleich aussehende Mädchen, die sogar die gleichen Sachen trugen und ein Junge. Die Zwillinge und Jacob also. Die drei saßen auf dem Sofa im Wohnzimmer und strahlten mir entgegen.


Dann fiel mein Blick auf die anderen zwei Kinder, die vor dem Sofa auf dem Boden saßen. Sie hatten mittellanges braunes Haar und waren sehr blass. Ihre Haut bildete einen starken Kontrast zur jener, der anderen drei Kinder.
Die zwei umarmten sich und drückten sich fest aneinander. Es schien, als könnte nichts auf der Welt sie trennen. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich und ihre braunen Augen leuchteten so voller Liebe und Verbundenheit, dass es mir seelische Schmerzen verursachte.
Tja, wie sehr sie sich doch geirrt hatten, dachte ich bei mir.


„Ein schönes Bild, nicht wahr?“, sagte Andy leise zu mir, der nun neben mir stand. Ich hörte die Sehnsucht in seiner Stimme.

„Mhhh.“, sagte ich nur.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr das Bild gerne behalten.“, sagte Sarah hinter uns. Andy und ich drehten uns um und sahen dass Jacob und Rebecca neben ihrer Mutter standen.

„Wirklich?“, fragte ich.


„Ja. Ich schenke es euch gerne.“ Sarah sah uns liebevoll an.


„Na dann? Vielen Dank. Das bedeutet uns sehr viel.“, erwiderte Andy aufrichtig.


Er nahm das Bild von der Anrichte und wir gingen zu den Hacken, wo unsere Jacken hingen. Als wir uns angezogen hatten, verabschiedeten wir uns herzlichst voneinander und umarmten uns wieder.

Als Jacob mich wieder in die Arme nahm, zuckte ich wieder zusammen und ein ungutes Gefühl stieg wieder in mir hoch. Jacob schien es jedoch nicht zu bemerken.

Wir gingen hinaus und stiegen in den Transporter. Andy startete den Motor und wir fuhren nach Hause in Richtung Forks. Dort angekommen, brachten wir noch die ganzen Tüten mit meinen Sachen ins Haus, bevor uns fertig machten. Dann gingen wir ins Bett und ich schlief sofort ein.

Übernatürliche Fähigkeiten




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich rannte.
Ich rannte und suchte etwas, aber es schien mir, als würde ich mich immer in einem Kreis bewegen. Oder ich kam einfach nicht von der Stelle. Es war finstere Nacht. So finster, dass ich kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Doch ich rannte weiter, um etwas zu suchen. Um IHN zu suchen. Ich rannte eine Ewigkeit. So kam es mir jedenfalls vor.


Dann spürte ich die Erkenntnis langsam immer näher rücken, doch traf sie mich jedes Mal so unerwartet und hart, wie in jeder Nacht. Irgendwann wusste ich nicht mehr, wonach ich eigentlich suchte. Da war nur das Nichts und es schmerzte mir in der Brust. Nun würde ich gleich an dem Punkt angelangen, wo mir bewusst wird, dass es für mich nichts zu suchen gab. Ja, gleich würde ich erwachen. Die Erkenntnis hatte mich fast erreicht. Ich spürte sie.


Doch plötzlich überkam mich ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Ich blinzelte und sah, wie sich das Bild wandelte. Doch kaum nachdem ich die Augen wieder geöffnet hatte, blendete mich ein helles grelles Licht, sodass ich meine Augen wieder zukneifen musste. Nun veränderte sich der Traum. Es war, als würde ich bei der Szene, die sich mir darbot, zusehen.


Es war Abend und regnete leicht. Charlie saß auf dem Sofa und schaute sich mit Andy ein Spiel an. Ich saß auf dem Sessel und schaute doch tatsächlich interessiert zum Fernseher. Vielleicht aber wollte ich einfach nicht allein sein. Wir hörten ein Klopfen an der Haustür. Charlie stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Vor ihm stand Elizabeth Cullen.


„Hallo Miss. Kann ich was für sie tun?“, begrüßte Charlie sie freundlich.

„Guten Tag, Chef Swan.“, antwortete sie mit ihrer singenden klingenden Stimme. „Ich heiße Elizabeth Cullen und bin eine Tochter von Carlisle Cullen. Sie kennen ihn.“


„Ja, natürlich. Wer nicht?“ Sie lächelte Charlie an.


„Gut. Also ich bin hier, weil ich sie fragen wollte, ob ich ihre Zwillinge mit zu mir nehmen konnte. Wir feiern bei uns eine Halloween-Party und ich möchte sie dazu gerne einladen.“


„Ja, warum nicht? Das ist eine tolle Idee. Ich habe nichts dagegen einzuwenden.“ Charlies Mundwinkel hoben sich weiter nach oben.
Er drehte seinen Kopf in Richtung Wohnzimmer. „Hey Andy, Bella. Kommt doch mal her!“, rief er uns zu. Als wir Elizabeth sahen, schlich sich ein Lächeln auf unsere Lippen.
„Elizabeth Cullen will euch zu einer Halloween-Party mitnehmen.“, verkündete Charlie. Andy und ich grinsten uns verschmitzt an. „Super. Wir kommen gerne mit.“, sagten wir aus einem Munde. Dann wachte ich auf.


Was für ein seltsamer Traum? Erst einen, den ich jede Nacht seit dem…Ende habe. Doch diese Wandlung war mir neu. Und dann dieser völlig andere Traum. Ich glaubte zu wissen, dass ich so eine Art Traum noch nie gehabt habe. Ein Traum, in dem ich Beobachter war, anstatt Handelnde. Ich beobachtete mich selbst. Merkwürdig. Im Traum haben Andy und ich uns verschmitzt angelächelt. Beinahe so, als wüssten wir, dass sie kommen und uns einladen würde? Dann kam mir eine Theorie in den Sinn.


Andy hatte doch erzählt, dass er „Dinge sehen“ kann. Auch Zukünftiges. War das so ein Zukunftstraum gewesen? Und wenn ja, bedeutet das etwa, dass ich diese Fähigkeit auch habe? Aber warum hatte ich jetzt erst zum allerersten Mal so einen Traum gehabt? Vielleicht hing es damit zusammen, weil ich mir wieder der Verbindung zu meinem Bruder bewusst wurde. Schließlich konnte er meine Gefühle lesen. Und wenn er meine lesen kann, dann müsste ich auch seine lesen können. Gestern habe ich doch sogar seine Gedanken gehört, was wiederum bedeutet, dass er auch meine hören kann. Da fiel mir wieder etwas ein.


Ich habe gestern Billy gesehen, wie er hinter seiner Frau stand. Aber warum trat mir Andy auf dem Fuß, als ich etwas sagen wollte? Wir haben wohl heute eine Menge zu besprechen. Ich drehte meinen Kopf nach links und sah, wie Andy mich grinsend ansah.


„Morgen. Wie lange bist du schon wach? Und warum grinst du mich so an?“


„Kannst du dir das nicht denken?“, erwiderte er und lachte.

Hatte er meine Gedanken gerade gelesen? „Ich glaube schon.“, sagte ich langsam. Dann lachte ich ebenfalls.

„Komm, lass uns aufstehen.“, sagte er und gähnte. „Es ist schon halb zwei.“

„Was?“, entfuhr es mir entsetzt. Haben wir wirklich solange geschlafen?


„Ja.“, sagte er und lachte wieder. Ich funkelte ihn an. „Wir haben heute eine Menge zu besprechen!“


Er nickte. Wir machten uns fertig und gingen hinunter, als wir den Fernseher hörten. Andy und ich gingen ins Wohnzimmer und riefen erfreut zusammen: „Hallo, Dad.“

Ich schaute Andy an und sagte gespielt entrüstet: „Wir müssen damit sofort aufhören!“


„Wieso denn? Es ist so niedlich, wenn ihr zwei das macht. Das habe ich früher immer sehr gern gehört.“, sagte Charlie und grinste uns an.


Ich wurde rot. Mir war es, als würde ich Andys Sham spüren und ich wusste, dass er ebenfalls rot geworden war. Ich habe also sein Gefühl wahrgenommen. Dann brachen wir alle in schallendes Gelächter aus.


„Seit wann bist du wieder hier?“, fragte ich.


„Schon ein paar Stunden. Ich wollte euch aber nicht wecken.“ Er grinste verschmitzt. „Es war sicherlich ein anstrengender Tag. Besonders für dich.“ Bei seinem letzten Satz schaute er mich an. Ich wusste erst nicht, was er meinte und sah verwirrt drein. Er lachte und deutete mit dem Zeigefinger in die Küche, in der noch die ganzen Tüten von unserer gestrigen Shoppingtour standen.


„Erinnere mich bloß nicht daran!“, sagten Andy und ich wieder gleichzeitig. Charlie lachte jetzt noch lauter. Es war schon ihn lachen zu hören. Es tat ihm wirklich sehr gut.


„Ihr habt doch sicher Hunger. Kommt wir gehen in die Küche.“ Charlie stand vom Sofa auf und ging mit uns beiden in die Küche.

„Hast du denn schon was zu Mittag gegessen?“, fragte ich Charlie.

Ich dachte daran, dass der andere Charlie nicht gut kochen konnte. Mir wurde etwas wehmütig ums Herz, als ich an ihn dachte. Wie würde er ohne mich zurecht kommen? Er war bestimmt voller Sorge um mich.


„Ich habe schon gegessen. Ich war heute Morgen angeln gewesen und habe mir die Fische zum Mittag gebraten.“


Jetzt wo er es sagte, fiel der Fischgeruch in der Küche auf.


„Es ist noch was übrig.“

„Danke, Dad.“, sagte Andy.


Charlie setzte sich auf einen Stuhl und sah uns dabei zu, wie wir den Tisch deckten und uns was auffüllten. Wir setzten uns hin und begangen zu essen. Ich staunte über mich selbst. Ich hatte wirklich großen Appetit und Hunger. Charlie sah uns beim Essen zu und das Bild, was er sah, schien ihm zu gefallen. Er sah einfach glücklich aus. Nachdem wir schweigend gegessen hatten, lehnte ich mich im Stuhl zurück und atmete aus.


„Das war sehr lecker, Dad. Von wem hast du denn gelernt, wie man einen Fisch richtig zubereitet? Ich war ja schließlich nicht da.“


Kaum als ich diese Worte ausgesprochen hatte, bereute ich sie auch schon. Doch Charlie sah mich belustigt, aber auch verlegen an.


„Du hast wohl in den letzten Monaten immer für den anderen Charlie gekocht, was? Dann habe ich ihm ja etwas voraus.“


Ich nickte und war erstaunt, dass Charlie das Thema angeschnitten hatte. Auch wenn er gesagt hatte, der er mir glaubte, schätzte ich ihn so ein, dass er das Thema „Parallelwelt“ zwar akzeptierte, jedoch nicht näher darauf eingehen würde. Andy drückte meine Hand. Sollte das eine Bestätigung für meine Vermutung sein?


Er lachte. „Seine Lieblingsköchin gab ihm ein paar Tipps.“, sagte Andy schmunzelnd. Charlie lief knallrot an. Ich verstand und prustete los. Charlie sah uns misstrauisch an.


„Was habt ihr denn gestern noch so gemacht?“


„Och, ich dachte mir, Bella möchte vielleicht mal die Blacks wieder sehen beziehungsweise kennen lernen.“, sagte Andy und zwinkerte mir zu.


„Das ist doch schön.“, erwiderte Charlie erfreut.


Andy stand auf, holte das Bild, das wir von den Blacks geschenkt bekommen hatten aus einer der vielen Tüten heraus und gab es Charlie. Er sah es lange mit einem wehmütigen Blick an und seufzte. Dann erzählten wir ihm von dem gestrigen Abend und erzählten alles. Von meiner aufgetischten Geschichte, über meine etwas heiklen Fragen, bis hin zum Bild, was er immer noch in den Händen hielt. Ich erklärte ihm auch, warum diese Fragen so heikel waren. Er machte dabei große Augen, aber Andy schien nicht im Geringsten überrascht.


„Diese Welt, aus der du gekommen bist, unterscheidet sich aber ganz schön von dieser.“, sagte er versonnen, nachdem ich zu Ende erklärt hatte.


Nach einer kurzen Stille sagte er immer noch nachdenklich: „Wisst ihr eigentlich, wann dieses Bild aufgenommen wurde?“


Er drehte es um, damit wir beide es sehen konnten. Wir schüttelten den Kopf. „Ungefähr drei Wochen vor…dieser Sache.“, sagte Charlie und schien weit weg zu sein.


Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, obwohl ich ihn so gern‘ getröstet hätte. Auch Andy sagte nichts darauf. Es war für ein paar Sekunden wieder still im Raum. Charlie richtete seinen Blick auf uns und sprach munter, um die trübe Stimmung zu zerstreuen: „Los, ihr zwei. Bringt mal die ganzen Sachen in die Waschküche. Ich werde inzwischen die Küche aufräumen.“


Ich lächelte ihn an und wir nahmen die Tüten mit in die Waschküche. Als ich wieder in die Küche kam, um den Rest zu holen, sagte Charlie zu mir: „Hier, nimm‘ das mit.“, und steckte das Bild in eine Tüte.


„Danke.“, hauchte ich ergriffen und machte kehrt.


Ich spürte Charlies Blick auf mir ruhen. Ich packte die Tüten aus und sortierte die Sachen. Ich legte die Buntwäsche in einen Korb und die Weißwäsche in einen anderen. Die Jeans sortierte ich nochmal extra hinaus. Ich entschied, die Buntwäsche zuerst zu waschen, stopfte die Waschtrommel voll, schüttete Waschmittel in die entsprechenden Kammern und startete die Waschmaschine. Das Bild, was ich auf der Waschmaschine gestellt hatte, nahm ich mit nach oben.


Ich sah, dass meine Zimmertür offen stand und ging hinein. Drinnen saß Andy auf meinem Bett und hielt eine Rolle Verpackungssäcke in der Hand. Er grinste.

„Und bereit?“

„Wofür soll ich bereit sein?“, fragte ich überrascht und stellte das Bild auf den Schreibtisch.


„Na, um deine Sachen auszusortieren. Du brauchst doch Platz für deine neuen.“


„Recht hast du. Na dann los.“, sagte ich und stöhnte.


Somit fingen wir an alles Mögliche einzutüten. Pullover, Shirts, Hosen, Unterwäsche, Spielsachen, Puppen, Malzeug und vieles mehr. Während wir dies taten, unterhielten wir uns.


„Sag mal, Andy?“, fragte ich und versuchte dabei locker zu klingen.

„Ja, Bella?“


„Was war das eigentlich heute Morgen? Hast du da meine Gedanken gelesen?“ Er grinste mich an.


„Ja, das habe ich.“


"War das das erste Mal? Also, abgesehen von unserer Begrüßung, als ich wieder nach Hause gekommen bin.“


Er schüttelte den Kopf. „Nein. Das erste Mal, abgesehen von unserer Begrüßung, habe ich deine Gedanken empfangen, als wir gestern Morgen vor meinem Transporter standen. Ich hab gesehen, dass du an Jacob gedacht hast. Also an den anderen. Als ich ihn in deinem Kopf gesehen habe, stutze ich. Denn so hatte ich Jacob noch nie gesehen. Also noch etwas schlaksiger und weniger muskulöser, meine ich. Ich spürte, dass du dich gerne an ihn zurück erinnert hast und habe deine Gefühle gelesen. Du scheinst ihn sehr zu mögen.“


Ich nickte und er sprach weiter.


„Ich habe also deine Erinnerung gesehen und weiß somit auch von dem Vertrag zwischen den Quileute-Stamm und den Vampiren. Ich denke mal, dass dieser Vertrag in dieser Welt ebenfalls besteht, unter der Annahme, dass es wahr ist, an was du gedacht hast. Und als wir gestern bei den Blacks waren und du ihnen deine „Geschichte“ erzählt hast, habe ich ebenfalls deine Gedanken und Gefühle gelesen. Ich war gerade nicht sehr begeistert über das, was ich empfangen hatte. Besonders nicht über die Bilder in deinem Kopf. Auch habe ich den Billy von der anderen Seite gesehen, wie er im Rollstuhl sitzt.“


Das erinnerte mich an etwas.


„Apropos Billy.“, unterbrach ich ihn, „Als ich fragte, wo Billy sei, da hab ich deine Stimme in meinem Kopf gehört. Und das zum zweiten Mal.“


„Richtig.“, sagte er stolz. „Ich war richtig froh darüber, als ich wusste, dass du meine Gedanken gehört hast.“

„Das habe ich gesehen.“, sagte ich und lächelte.


„Aber warum hast du mir auf dem Fuß getreten, als ich Billy sah? Und wie kam es, dass er wie aus dem Nichts aufgetaucht war?“


Andys Blick wurde ernst. „Tja, Bella. Gratuliere. Du hast deinen ersten Geist gesehen.“


Ich riss die Augen auf und starrte ihn an.

„Einen…Geist…?“


Andy nickte mir zu.

„Ich habe ihn natürlich auch gesehen. Und als du Sarah, Rebecca und Jacob auf ihn aufmerksam machen wolltest, trat ich dir auf dem Fuß. Hätte ich das nicht gemacht, dann wär‘ der Abend wohl ziemlich unangenehm geworden. Wir konnten ihnen ja nicht sagen, dass ihr Mann beziehungsweise ihr Vater in ihrem Haus spukt.“


„Da hast du recht.“, sagte ich tonlos.


Er grinste mich wieder an. „Ich wusste, dass du alles kannst, was ich kann. Bei dir hat das nur eine Weile gedauert. Anscheinend musste sich erst die Verbindung zwischen uns ‚wieder einstellen‘.“


Ich nickte nachdenklich. „Ich glaube, dass das alles stimmt, was du sagst. Weißt du, heute Morgen hatte ich einen merkwürdigen Traum, den ich noch nie hatte. Ich glaube,…ich habe…“ – ich atmete ein – „…in die Zukunft gesehen oder von der Zukunft geträumt. Es ging um eine Halloween-Party, zu der wir…“


„Ich weiß, ich weiß.“, unterbrach Andy mich.


Ungläubig und verwirrt schaute ich ihn an.


„Wir haben beide dasselbe geträumt.“, erklärte er mit einem Lächeln in der Stimme. Dann wurde sein Blick auf einmal wieder ernst und seine Augen verengten sich. „Ich habe GENAU dasselbe geträumt.“


Ich dachte über seine Worte nach, dann sagte ich leise: „Hast du mich aus meinem Alptraum befreit?“


„Ja. Ich war nicht von Anfang an in deinem Traum. Ich sah dich, wie du völlig panisch in der Dunkelheit umherliefst. Ich spürte, dass du kurz davor warst, schreiend zu erwachen. Also habe ich versucht, dir positive Energie zu geben.“


„Du warst das Licht.“, stellte ich fest.


„Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber glaub‘ schon. Aber mit dem Zukunftstraum habe ich nichts zu tun.“, erwiderte er. „Sie kommen einfach. Ich glaube nicht, dass man solche Träume beeinflussen kann.“


„Da stimme ich dir zu.“, sagte ich trocken.


Wir gingen weiter schweigend unserer Beschäftigung nach. Dann durchbrach ich die Stille.


„Heißt das jetzt, dass ich auch ein Medium bin wie du? Jemand, der besondere Träume hat, Tote sehen und mit ihnen sprechen kann?“, fragte ich misstrauisch.


Er lachte, kam auf mich zu und umarmte mich. „Endlich jemand, der mich versteht“, gluckste er. Ich erwiderte seine Umarmung und lächelte. Ich genoss das Gefühl und versuchte es festzuhalten.


„Na jetzt sind wir Freaks wenigstens zu zweit. Wir müssen jetzt aber keine Séancen abhalten, oder?“


Er lachte erneut und ich stimmte mit ein.
Dann lösten wir uns voneinander und machten mit unserer Arbeit weiter. Nachdem alles in den Säcken verstaut war, knoteten wir sie zu und Andy trug sie runter in den Hausflur. Ich sah mir das Bild von den Blacks an, das ich auf dem Schreibtisch abgestellt hatte und dachte wieder an den „alten Jacob“ in meiner Erinnerung und auf dem Bild, dass bei den Blacks auf der Anrichte stand.


Wie konnte er sich nur so verändert haben? Warum war er so heiß? Und warum hatte ich Angst vor dieser Hitze?


„Das habe ich mich auch gefragt.“, sagte Andy, der wieder zurück war und neben mir stand. „Ich war total erschrocken, als ich sah, wie du in Jacobs Armen zusammen gezuckt bist und ich deine Angst spürte.“


„Komisch.“, antwortete ich, sah ihn dabei aber nicht an. Mein Blick war weiterhin auf das Bild gerichtet.


°Und was wenn…? Nein, das kann nicht sein? Oder doch?°


Ich stieß ihm mit meinem Ellenbogen spielerisch in die Seite und sah ihn an. „Na los, denk‘ deinen Gedanken zu Ende oder sag‘ es mir laut.“


Er lächelte. „Naja?“


„Ja?“, fragte ich, damit er weiter sprach.


„Ich war sehr überrascht, als ich den anderen Jacob in deinen Gedanken sah, da ich ihn ja so nicht kannte. Und als ich ihn gestern wieder gesehen habe, musste ich an all‘ das denken, was du gestern Morgen gedacht hast. Also über die Geschichten, die dir dieser andere Jacob über seinen Stamm erzählt hat und über den Vertrag.“

Er machte eine Pause.


„Was wäre, wenn diese Legenden wahr wären?“

Ich schluckte.


„Du weißt schon, dass die Quileute von Wölfen abstammen. Und die Vampire gibt es ja wirklich.“


Langsam sagte ich: „Du meinst, Jacob ist ein…Werwolf? Ist das nicht etwas verrückt?“

„Das wäre doch eine gute Erklärung für seine körperliche und eventuell auch seine charakterliche Veränderung. Außerdem ist das nicht viel weniger verrückter, als 2 Menschen, die spezielle Träume haben und tote Menschen sehen können."


Da hatte er auch wieder recht.

„Da ist was im Busch. Ich weiß, dass du es auch weißt. Wollen wir dem Geheimnis nicht auf die Spur kommen?“, fragte er mich und ich sah, wie seine Augen vor Neugier leuchteten.


Ich teilte seine Gefühle. Nichts ist interessanter, als ein ungelöstes Geheimnis. Das dachte ich auch damals, als ER mir sein Geheimnis offenbaren wollte. Ich zuckte zusammen.

Andy spürte mein Unbehagen und nahm mich in die Arme. So verhinderte er, dass der Schmerz mich zerriss.

Als ich mich wieder gefasst hatte, sagte ich: „Klar! Lass‘ uns auf Wolfssuche gehen.“

Er lachte mir ins Ohr.

Ganz normale Probleme





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Na ihr zwei?“

Andy und ich lösten uns voneinander und sahen zu Charlie, der in mein Zimmer gekommen war.

„Ihr ward ja ganz schön fleißig!“, sagte er anerkennend und machte eine Handbewegung zu den leeren Schränken und Schubladen.
„Na, dann müssen jetzt nur noch der Schreibtisch und das Bett raus.“


„Dad, wär es nicht besser, wenn wir Bellas Zimmer komplett neu machen?“, sagte Andy nachdenklich. „Ich meine, rosa Tapete? Auch wenn sie für dich immer dein kleines Mädchen bleiben wird, äußerlich sieht sie nicht mehr wie 7 aus.“


„Da hast du leider recht.“, sagte Charlie mit etwas Traurigkeit in der Stimme.


„Nein, das ist wirklich nicht nötig.“, versicherte ich den beiden schnell. „Es ist doch NUR eine Tapetenfarbe.“


Andy sah mich an, als sei ich geistesgestört, doch dann veränderte sich sein Blick, den ich schwer deuten konnte. Doch dann empfing ich seine Schwingungen. Ärger und noch etwas. Angst. Angst? Wieso? Wovor denn? Ich biss mir auf die Lippe.


Andys Blick hellte sich wieder auf und er lächelte leicht. „Na gut.“, sagte er, dennoch konnte ich sein Widerstreben in der Stimme heraus hören.


„Na komm, Junge. Pack mal mit an.“, sagte Charlie und ging zum Bett.

Andy folgte ihm und so trugen sie beide zusammen erst das Bett und dann meinen Schreibtisch aus dem Zimmer. Das Bild hatte Andy mir in die Hand gedrückt, bevor sie den Schreibtisch davon trugen. Ich folgte den beiden und sah, wie sie beide Möbel ins Wohnzimmer stellten. Nun war erst mal nichts mit Baseball, wenn die Möbel so stehen blieben.


„Was soll mit dem ganzen Sachen passieren?“, fragte ich.


„Ich kenne einen Arbeitskollegen, der einen Lieferwagen fährt. Ich rufe ihn gleich an, damit er herkommt, die Sachen abholt und sie entsorgt.“

„Oh, oh.“, sagte Andy.

„Was ist?“, fragte Charlie.


„Wir haben für Bella zwar ein neues Bett bestellt, aber keinen Schreibtisch.“


Charlie seufzte erleichtert. „Das ist nicht das Problem, aber gut, dass du es gerade erwähnt hast. Der Arbeitskollege, von dem ich gerade sprach, kann einen Schreibtisch sicherlich noch entbehren. Eins seiner Kinder ist schon verheiratet und hat eine eigene Wohnung. So steht der Schreibtisch in der Wohnung von ihm nur rum und hat keinen Besitzer. Er kann ihn dann gleich mitbringen. Natürlich nur, wenn das o.k. für dich ist, Bella. Wenn du lieber einen neuen Schreibtisch haben willst, dann…“


„Nein, ich brauch‘ keinen nigelnagelneuen. Ist schon o.k.“, unterbrach ich ihn.
Ich wollte nicht, dass er für mich noch mehr Geld ausgab, als ohnehin schon.


Charlie lachte. „Ihr zwei seit euch auch im Charakter sehr ähnlich. Auch dein Bruder will nicht, dass man Geld für ihn ausgibt. Wenn er könnte, würde er alles von seinem Geld bezahlen. Tja, aber das reicht nun mal nicht.“ Charlie lachte wieder und Andy lief rot an.


Und wie von selbst, lief ich ebenfalls rot an, weil sich Andys Gefühle auf mich übertragen hatten. Charlie rief seinen Kollegen an und erklärte ihm die Situation. Auch versprach er, dass er den Schreibtisch gleich mitbringen würde. Charlie klang zufrieden, als er uns die Nachricht verkündete. Ungefähr zwei Stunden später kam Charlies Kollege und half dabei, den Schreibtisch von seinem Wagen in mein Zimmer zu tragen. Es war aus Holz.


Meine alten Möbel trugen die Männer danach gleich in den Lieferwagen und Andy tat dasselbe mit den Säcken, indem meine alten Sachen drin waren. Ich hatte fast alles weggegeben, außer ein paar Spiele und die Puppe, die ich zu meinem 7. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Ich weiß, dass es irgendwie albern war, aber mir war diese Puppe wichtig, da sie eine Verbindung zu meiner Vergangenheit – also zu dieser Welt war – an die ich mich nicht mehr erinnern konnte.


Es war mir einfach unbegreiflich, wie ich diese Welt – also auch meinen Zwillingsbruder – vergessen konnte. Wie konnte ich Andy, der im wahrsten Sinne des Wortes ein Teil von mir war, vergessen? Ich wusste die Antwort darauf nicht.
ER war auch ein Teil von mir gewesen…und ist es immer noch.
IHN könnte ich niemals vergessen. Ich spürte, wie der Schmerz in mir hochkam, schlang meine Arme um die Brust und zuckte zusammen.


„Bella, was hast du? Ist dir kalt?“, fragte Charlie mich, als er wieder mit den anderen ins Haus kam. Ich versuchte, wieder eine entspanntere Haltung einzunehmen.


„Nein, Dad. Es geht mir gut.“, antwortete ich und versuchte den Schmerz aus meiner Stimme rauszuhalten.


Natürlich. Dieser Charlie wusste ja nichts von dem Grund meines Verhaltens. Er wusste nicht, dass ich meine wahre Liebe verloren habe, der nebenbei auch ein Vampir. Eigentlich hat mein Vater aber das recht zu wissen, was mit mir los ist, auch wenn ich ihm nicht die ganze Wahrheit erzählen würde. Da sah mich Charlie mit seinem besorgten Blick an. Er wusste, dass ich log.


„Nein. Ich habe gelogen.“, sagte ich schließlich. „Ich habe Liebeskummer, weißt du? Aber wir haben uns getrennt.“

Naja ER hat sich von mir getrennt. Aber das wollte ich ihm nicht erzählen. Charlie kam auf mich zu, sagte nichts, sondern umarmte mich nur.

„Ich bin immer für dich da.“, ich hoffe, das weißt du, sagte er, nachdem er sich wieder von mir gelöst hatte. Er schaute mich ernst und besorgt an.


„Ja, ich weiß. Danke.“, sagte ich nur.


Charlie ging zu seinem Kollegen ins Wohnzimmer und unterhielt sich mit ihm. Andy kam zu mir, nahm meine Hand und drückte sie. Er kannte ja die Wahrheit. Ich lächelte ihn dankbar an, dann hörte ich seine Stimme in meinem Kopf sagen:

„Und ich auch. Für immer und ewig.“


Er erwiderte mein Lächeln. Warum hatte ich meine „männliche Hälfte“ – ich musste schmunzeln – aus meinem Gedächtnis entfernt?, dachte ich bei mir, als wir beide uns in die Augen schauten. Nachdem alle Sachen im Liederwagen verstaut waren, bedankten wir drei uns für seine Hilfe. Charlie fragte, ob er nicht zum Abendessen bleiben wolle, er jedoch, lehnte dankend ab, und fuhr wieder davon.


Eine halbe Stunde später saßen wir drei in der Küche am Tisch und aßen zu Abendbrot. Ich versuchte möglichst viel zu essen, damit Charlie sich keine noch größeren Sorgen um mich machte. Nach 15 Minuten angenehmer Stille sprach Charlie zu mir.

„Bella?“

„Ja, Dad?“


„Ich freue mich ja wirklich, dass du wieder hier bist, aber was ist eigentlich mit der Schule? Du warst zwei Tage abwesend und du auch, Andy.“, sagte Charlie ernst.


„Ja, da hast du recht, Dad. Aber so einfach ist das nicht. Immerhin war ich 11 Jahre nicht mehr hier, und war hier nie auf der Forks Highschool. Ich müsste mich also erst wieder anmelden.“


„Und wo ist jetzt das Problem?“


„Naja, ich kann keine Zeugnisse als Beweis für meine erbrachten Leistungen vorbringen. Die sind ja alle in der anderen Welt.“

„Das stimmt allerdings. Hier gibt es ja nur Zeugnisse aus deiner Grundschulzeit.“, sagte Charlie nachdenklich. Dann hellte sich seine Miene wieder auf und lächelte mich an. „Ich hab‘ die Lösung. Ich kann den Direktor der Schule bitten, dass du einen Eignungstest machen kannst, um in die Highschool aufgenommen zu werden.“


„Kannst du das auch für mich machen?“, mischte Andy sich ein und seine Stimme klang aufgeregt.


„Du gehst doch in Phoenix zur Schule?“ Charlie runzelte die Stirn.


„Ja, ich weiß. Aber ich möchte da sein, wo Bella ist. Wir waren einfach zulange getrennt. Und Renee ist es bestimmt ziemlich egal, auf welcher Schule ich meinen Abschluss mache. Außerdem bin ich – beziehungsweise wir – volljährig.“


„Okay, okay. Meinetwegen mach‘ hier in Forks deinen Abschluss.“, gab Charlie sich geschlagen. „Aber warum willst du auch einen Eignungstest machen? Du hast doch deine Zeugnisse in Phoenix. Sag Renee einfach, dass sie dir deine Unterlagen schicken soll.“


„Ach, Dad. Du weißt doch, wie unsere Beziehung ist. Und nachdem, was nach Bellas Ankunft hier passiert ist…“, brummte Andy.

Charlie nickte nur, sagte aber: „Ich weiß Andy. Aber andersherum ist und bleibt sie deine Mutter! Versuch‘ bitte dich mit ihr wieder zu vertragen. Das gilt auch für dich, Bella!“, sagte er und sah mich dabei an.
„Ruft doch beide am besten Renee an, und dann kannst du sie darum bitten Andy, dass sie dir die Zeugnisse per Post nach schickt.“

Ich dachte an Renee und darüber, wie unser Familientreffen ausgegangen war. Sie war so wütend und auch verletzt.


„Da hat Charlie – ich meine Dad – recht, Andy.“, sagte ich, nahm seine Hand und schaute ihm in die Augen.


„Zwei gegen einen. Ja, ok. Wir werden Renee anrufen.“, sagte er widerstrebend.


Wir aßen gemeinsam zu Ende und räumten die Küche auf.


„Na komm.“, sagte ich dann, nahm die Hand meines Bruders und zog ihn mit zum Telefon.

Sein Unbehagen konnte ich fast greifen. Er gab mir das Telefon.

„Du fängst zuerst an.“, sagte er bestimmend. „Dann ist Renee bestimmt etwas milder gestimmt.“ Ich seufzte.


Ich wählte ihre Nummer, doch ich fragte mich, ob sie hier in dieser Welt ebenfalls für Renee galt. Der Ruf ging raus und es wurde am anderen Ende abgehoben.


„Bei Dwyer?“, sagte eine männliche Stimme. Es war die von Phil. Die Nummer stimmte also.

„Hallo, Phil? Hier ist Bella, die Tochter von Renee.“

Jetzt fühlte ich Andys Reue. Jetzt fand er seine Entscheidung nicht mehr so gut, weil ich Phil an der Strippe hatte. Denn jetzt würde das Gespräch vielleicht wieder so ähnlich werden wie bei den Blacks und das wollte er mir nicht mehr zumuten. Ich versuchte ihn anzulächeln. Am anderen Ende war einen kurzen Moment Stille.


„Oh, mein Gott, Bella. Wie schön endlich mal deine Stimme zu hören. Tut mir leid, dass ich neulich nicht mitkommen konnte, aber ich bin Baseballprofi, wie du vielleicht weißt, und deshalb oft unterwegs. Renee hat mir schon alles erzählt und gesagt, dass du bald anrufen würdest.“


Ach, hat Renee ihm wirklich ALLES erzählt? Das wagte ich zu bezweifeln.

„Wie geht es dir denn jetzt? Renee hat erzählt, dass du völlig unter Schock standst und verwirrt warst.“


Wusste ich’s doch, dass Renee die Tatsachen verheimlicht hat. Aber wahrscheinlich war das auch ganz gut so. Nicht alle können die Wahrheit so gut vertragen, wie Charlie und Andy. Renee war da das beste Beispiel. Außerdem müssen ja nicht alle die Wahrheit kennen.


„Ach, mir geht’s eigentlich ziemlich gut. Ja es stimmt schon, der Tag war für mich ziemlich anstrengend gewesen. Da war es nur ganz logisch, dass ich das noch nicht so gut verarbeiten konnte. Aber danke, dass du fragst.“


Ich entschied, dass es besser war, Renee und Phil in dem Glauben zu lassen, dass ich etwas „gestört“ reagiert habe. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass Phil auch nichts von Andys Fähigkeiten wusste. Und wenn ja, glaubte er nicht wirklich daran. Vielleicht hatte er auch von Anfang an gedacht, dass Andy eine lebhafte Fantasie hatte oder dass er so aufgrund meines Verlustes sich so benahm.


„Willst du deine Mutter sprechen?“, fragte Phil mich.

„Ja, bitte.“ Dann hörte ich Renees Stimme, die sich fast überschlug.


„Oh, Bella Schatz! Ich bin ja so froh, dass du anrufst. Geht es dir inzwischen besser?“


„Ja, Mum. Der Tag war einfach nur sehr anstrengend für mich.“, sagte ich beschwichtigend.


„Ich weiß, mein Schatz. Ich bin ja so froh, dass bei uns alles wieder in Ordnung ist. Du musst mich und Phil sobald wie möglich mal besuchen kommen.“, sagte sie mütterlich. „Und wie geht es deinem Bruder? Seid ihr euch wieder näher gekommen? Gib‘ ihn mir doch mal.“


Es klang so, als hätte sie alles Unangenehme seit unserem Treffen verdrängt und/oder will nicht wahrhaben, dass ihr Sohn – und ich ja auch - übernatürliche Fähigkeiten besitzt. Ich sah zu Andy hinüber und er nickte mir zu. Er hatte also wieder meine Gedanken gelesen. Ich reichte ihm den Hörer.


„Hallo Mum.“
„Ja, mir geht’s gut.“
„Ja, es tut mir auch leid, was passiert ist.“ Er kicherte.
„Ich und Bella waren shoppen und haben ihren Kleiderschrank gefüllt, also mach‘ dir keine Gedanken.“
„Ja, ich habe tapfer durch gehalten.“ Er lachte.
„Hör zu, Mum. Könntest du mir meine Zeugnisse schicken?“
„Weil ich in Forks meinen Abschluss machen will. Und weil Bella sich hier an der Highschool anmelden wird.“
„Danke. Ich hab‘ dich auch lieb Mum.“, sagte er liebevoll, dann legte er auf.


„Puh.“ Andy stöhnte.

„Na, war doch gar nicht so schlimm, oder?“

„Ja, ja.“, antwortete er mir halbherzig. Ich grinste ihn an und er grinste zurück.


„Na dann ist ja alles klar“, sagte Charlie, der an einer Anrichte lehnte.
„Es ist schon spät, ihr zwei. Zeit schlafen zu gehen.“


Da hatte er recht. Wir stimmten ihm zu. Ich ging in die Waschküche, nahm die Buntwäsche aus dem Trockner, legte sie zusammen und ordentlich in einem Korb. Die Weißwäsche, die ich noch im Verlauf des Tages ebenfalls gewaschen hatte, kam nun in den Trockner. In die Waschmaschine legte ich nun die ganzen Jeans hinein. Nachdem ich den Trockner und die Waschmaschine gestartet hatte, gingen wir alle nach oben und machten uns abwechselnd für die Nacht fertig. In diesem Haus gab es ja nur ein Bad. Wir wünschten uns drein eine gute Nacht. Charlie ging in sein Zimmer, Andy und ich in seins. Wir lagen nun in Andys Zimmer in den Betten und genossen die Stille, die uns umhüllte.


„Andy?“, fragte ich leise.

„Mmhh?“

„Als du heute vorgeschlagen hast, mein Zimmer neu zu tapezieren und ich abgelehnt habe,…da habe ich Angst von dir gespürt. Kannst du mir erklären wieso?“


„Naja, weil du dich so dagegen gewehrt hast, ein Zimmer entsprechend deines Alters zu bekommen, da habe ich gedacht…“

„Was?“

„…dass du gar nicht lange in dieser Welt bleiben willst. Dass du wieder in die andere Welt zurück kehren möchtest, da du ja dort die meiste Zeit deines Lebens verbracht hast. Ehrlich gesagt, kann ich dich sogar etwas verstehen. Aber trotzdem habe ich Angst, dass du mich wieder verlässt.“, sagte er mit tiefer Traurigkeit in der Stimme.

„Oh.“
Mehr konnte ich nicht sagen. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.


„Du vermisst bestimmt deine anderen Eltern.“

„Ja.“, sagte ich nach einer Weile.


„Tu‘ mir nur ein Gefallen, Schwesterchen. Wenn du wieder in die andere Welt zurück kehren willst, dann nimm‘ mich bitte mit. Ich kann nicht ohne dich sein.“


„Weißt du, ich hätte dich das sowieso gefragt.“

„Ehrlich?“, fragte er enthusiastisch.


„Da gibt es nur ein Problem.“

„Ach ja? Welches denn?“


„Ich weiß leider nicht, wie man rüber wechselt. Ich weiß nicht, wie ich vor über 11 Jahren in die andere Welt kam und wie ich hierher wieder zurück gelangte.“


„Du hast also den Schlüssel zu dieser Fähigkeit noch nicht gefunden.“, sagte er und es klang wie eine Feststellung.

„Genau. Aber würdest du das als ‚Fähigkeit‘ bezeichnen?“


„Na klar, wie denn sonst? Also wenn du willst, helfe ich dir dabei den Schlüssel zu finden.“


„Wirklich? Danke, Bruderherz.“

Er lachte. Da kam mir ein Gedanke.

„Moment mal.“, sagte ich langsam.

„Was?“

„Wenn wir annehmen, dass ich diese Fähigkeit besitze, bedeutet das dann nicht auch, dass du das auch kannst?“


„Mensch, du hast recht! So muss es sein!“

„Na, dann lass‘ uns gemeinsam den Schlüssel für unsere noch verborgene Fähigkeit finden!“, sagte ich so enthusiastisch, wie ich nur konnte.


Wir lachten beide und wünschten uns eine gute Nacht.

Jasper Whitlock




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Verflucht“, sagte ich, als ich mir den Finger am Papier schnitt.
Ein Blutstropfen quoll aus der Wunde.
„Nein!“, brüllte Edward und schleuderte mich über den Tisch.
Alles fiel um und ich landete in zerbrochenem Kristall.
Da ich die Arme instinktiv nach vorne ausstreckte, um mich abzufangen, landete ich direkt in den Glasscherben.
Mein Arm war blutüberströmt.
Ich sah, wie Jasper mich mit leerem Blick anstarrte, sich an Edward vorbei drängeln wollte, um nach mir zu schnappen.
Emmett umklammerte Jasper mit seinen Armen. Ich sah in die Augen von 6 ausgehungerten Vampiren…


Während ich erwachte, stieß ich einen Schreckenslaut aus. Das kam mir nur allzu bekannt vor. Ich habe also, von der Vergangenheit geträumt. Es war schon hell. Ich stand auf, ging in die Waschküche, holte die Weißwäsche aus dem Trockner und legte sie ebenfalls ordentlich zusammen in einem anderen Korb. Die Jeans wechselten die Maschine und ich schaltete den Trockner ein. Ich nahm jeweils einen Korb und trug ihn in mein Zimmer und begann die Sachen in den Schrank einzuräumen. Als ich fertig war, suchte ich mir die Sachen raus, die ich anziehen würde. Es war schön, endlich neue Sachen anziehen zu können. Ich entschied mich für eine grüne Bluse und eine schwarze Hose. Dann ging ich ins Bad und machte mich fertig.


Nachdem ich fertig angezogen war, ging ich die Treppe runter, dann in die Küche, um für meinen Bruder und Vater das Frühstück zu machen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel. Ich nahm ihn in die Hand und las:


„Bin schon weg. Ich melde mich nachher bei euch. Hab euch lieb.

Charlie.“


Ich seufzte. Damit hätte ich eigentlich rechnen müssen. Somit machte ich also Frühstück für nur zwei Personen und hing währenddessen meinen Gedanken nach. Warum hatte ich von meinem 18. Geburtstag geträumt? Warum gerade diese Szene? Was hatte das zu bedeuten? Sollte mir der Traum zeigen wie gefährlich Vampire sein können? Das wusste ich auch so.


Nur waren die Cullens – ich zuckte zusammen – keine Monster. Egal ob hier oder in der anderen Welt. Plötzlich fiel mir was ein. Als ich hier ankam und mit den anderen Cullens zusammen traf, sagten sie, dass sie keinen Jasper kennen würden und Alice ihm auch nie begegnet sei. Und ich hatte mich gefragt, warum das wohl so ist. Vielleicht sollte mich der Traum an Jasper erinnern. Ja, das ist eine Möglichkeit. Ich wusste jetzt, was ich zu tun hatte. Ich wollte – oder musste – herausfinden, warum Jasper den Cullens hier kein Begriff war. Ich wusste nicht wieso, aber diese Aufgabe wurde für mich immer bedeutsamer, je länger ich darüber grübelte.


Ich hörte, wie Andy die Treppe runter kam.

„Morgen, Schlafmütze.“, sagte ich grinsend.

„Morgen, Bella“, sagte er und gähnte.

Wir setzten uns an den Tisch und frühstückten.

„Hey Bella?“

„Mmhh?“, brachte ich kauend hervor.

„Was hast du eigentlich heute Nacht geträumt?“, fragte er betont beiläufig.


Ich hätte mich fast verschluckt. Ich nahm mein Glas und trank ein paar Schlucke Orangensaft. Andy schaute mich fragend an. Ich atmete tief durch.

„Davon, wie mein 18. Geburtstag endete…und mich Jasper beißen wollte.“ Er nickte nachdenklich. „Weißt du, also ich hab mir überlegt, dass ich herausfinden will, was mit Jasper passiert ist. Kurz nachdem ich hierher zurück kam, traf ich auf die andere Vampirfamilie, also den Cullens. Und die sagten mir, dass sie keinen Jasper kennen würden, dass sie ihn nie getroffen hätten. Statt Jasper gibt es in dieser Welt Elizabeth Cullen, die wirklich leibliche Schwester von dem Edward aus dieser Welt, du weißt schon, von der wir geträumt haben. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden ist, dass Elizabeth und Jasper die gleiche Fähigkeit besitzen.“


„Wie meinst du das?“


„Naja, es gibt Vampire, die neben ihren normalen Fähigkeiten, wie die Schnelligkeit, die Stärke, das Gehör, der Geruchssinn, auch eine spezielle individuelle Fähigkeit besitzen. Jasper und Elizabeth sind in der Lage, die Gefühle anderer zu lesen und sie zu beeinflussen, zum Beispiel um jemanden zu beruhigen.“


„Wow. Hat noch einer der Cullens eine besondere Fähigkeit?“


„Ja, die beiden Alice‘ der Cullens. Sie sind in der Lage in die Zukunft zu sehen.“


„Das können wir doch auch, also ist das nichts Neues.“, sagte er abschätzig.


„Ja, aber ihre Fähigkeit, denke ich, unterscheidet sich von unserer.“, sagte ich nachdenklich.

„Inwiefern?“, fragte er jetzt mit Neugierde.

„Naja, Alice kann zwar zukünftige Ereignisse sehen, jedoch sind sie sehr subjektiv. Es kommt ganz darauf an, wie sich jemand entscheidet. Ändert sich die Entscheidung, ändert sich auch die Vision. Alice ist auch fast in der Lage so gut wie ständig etwas zu sehen und die Visionen zwingend hervorzurufen.“


Andy dachte eine Weile darüber nach.

„Hab ich recht?“, fragte ich, als er nichts darauf erwiderte.


„Also…“, begann er, „wenn ich, ´tschuldige. Wenn wir etwas sehen, dann sehen wir etwas aus einem bestimmten Grund. Vielleicht, weil wir verhindern sollen, dass etwas Bestimmtes eintritt, oder wir sollen etwas in Erfahrung bringen und die Träume sind Hinweise. Aber nicht alles, was wir sehen, muss der Realität entsprechen. Aber wenn es sich um ein reales Ereignis handelt, wie die Einladung zur Halloween-Party, dann tritt sie auch genauso ein, wie wir es geträumt haben. Also was ich damit sagen will ist, dass unsere Zukunftsträume nicht so subjektiv sind, wie die Visionen von dieser Alice. Ach, und außerdem sind wir auch in der Lage, tagsüber etwas zu ‚sehen‘. Wenn wir zum Beispiel Jemanden oder Etwas berühren beziehungswiese ansehen. Du erinnerst dich ja noch an unsere erste Berührung.“


Natürlich. Wie könnte ich das vergessen. Ich nickte.


„Aber ich glaube nicht, dass wir in der Lage sind, unsere Visionen zu erzwingen und fast ständig zu sehen. Sie kommen einfach.“

Gut zu wissen.“, sagte ich.

„Okay. Also Elizabeth beziehungsweise Jasper kann Gefühle beeinflussen und Alice kann in die Zukunft sehen. Gibt’s da noch jemanden?“ Ich schluckte schwer.


„Ja, gibt es.“ Ich spürte die Wunde wieder pochen. Andy sagte nichts, sah mich nur ruhig an und wartete, bis ich mich wieder gefasst hatte.


„Edward, dieser und der andere, ist in der Lage, Gedanken zu lesen.“ Andy riss die Augen auf. „Außer meine. Aber ich weiß nicht warum.“, beendete ich.

°Dann kann Edward meine wohl auch nicht lesen, oder°, hörte ich seine Stimme.

°Wahrscheinlich nicht, wenn du alles kannst, was ich kann. Oder anders ausgedrückt, wenn du denselben Fehler in deinem Gehirn hast wie ich°, schickte ich ihm per Telepathie.


„Tja, wie du gesagt hast. Wir sind eben 2 Freaks.“, sagte er nun wieder mit Worten und lachte. Ich musste ebenfalls lachen, jedoch zaghafter als er.


„Das hat IHN immer gestört, dass er gerade meine Gedanken nicht hören kann. Dadurch musste ER immer Umwege gehen, um mich durch andere Köpfe zu sehen beziehungsweise zu belauschen. ER verstand immer meine Reaktionen nicht und fragte mich oft, was ich gerade dachte. Durch seine Fähigkeit, hat ER ja ein Verständnis für menschliche Verhaltensweisen entwickelt. Ich jedoch, tanze aus der Reihe, unter anderem, weil mich ja nicht die kalte Haut abstößt.“


Es war einerseits schwer darüber zu reden, aber andererseits auch befreiend. Andy hörte mir aufmerksam zu und sagte dann: „Sehr interessant.“

°Das ist bestimmt ein Grund warum…°


Er dachte nicht weiter und ich war sehr dankbar dafür. Mir waren nun inzwischen mit dem Frühstück fertig und räumten die Küche auf, als das Telefon klingelte.


„Das ist bestimmt Charlie.“, sagte ich und ging zum Telefon. „Charlie?“, sagte ich in den Hörer hinein.


„Morgen, Kleines.“, begrüßte er mich, „Und bist du fit?“

„Ich denke mal schon. Warum fragst du?“

„Ich habe mit dem Direktor der Forks Highschool gesprochen und du hast heute um 11.30 Uhr deinen Termin zum Eignungstest. Sei am besten 20 Minuten früher da.“

Auf einmal spürte ich Erleichterung. Aber es war nicht meine eigene.

„Toll! Danke, Dad.“, sagte ich und versuchte enthusiastisch zu klingen.


„Gut. Ich muss jetzt auflegen. Hab‘ viel zu tun. Ach so, bevor ich’s vergesse. Ich muss heute Abend nach Spokane. Da hat es einen Vorfall gegeben und ich muss dahin. Ich werde also wahrscheinlich eine Woche dort bleiben. Wenn ich früher nach Hause kommen sollte, melde ich mich bei euch. Macht mir keine Schande und viel Glück beim Test. Ich hab‘ euch lieb.“


„Wir haben dich auch lieb, Dad. Bis bald.“ Ich legte auf.

„Was ist los?“

„Charlie muss nach Spokane und ist wahrscheinlich eine ganze Woche unterwegs. Und er hat mir einen Termin beim Direktor für meinen Einstufungstest gemacht.“

„Super.“

„Ja und der Test ist in…“, – ich sah auf die Uhr- „…2 Stunden.“


„Oh!“, sagte er mitleidig,
„Na komm. Dann lass‘ uns noch ein paar Fragen durch gehen.“

Wenn er mich damit aufmuntern wollte, dann hatte er keinen Erfolg.

„Okay, aber ich glaub‘ nicht, dass das was nützt.“, sagte ich seufzend.

Wir setzten uns wieder an den Küchentisch und Andy half mir, mich für den Test vorzubereiten.

„Wir müssen los.“, sagte er dann. „Es ist 11.00 Uhr.“


Wir zogen uns an, gingen raus in die Sonne – es regnete tatsächlich nicht -, schlossen die Haustür ab und stiegen in den Transporter ein. Während Andy mich zur Schule fuhr, sagte er:


„Ich hoffe, ich habe dir bezüglich Geschichte einigermaßen helfen können. Weißt du, es ist auch eins meiner Problemfächer.“

„Danke für deine Hilfe. Ich denke, das wird schon gehen. Ich mache mir größere Sorgen um den mathematischen Teil. Das ist mein zweites Problemfach.“

„Ach, das kriegst du schon hin. Dito, übrigens.“ Ich musste ein Lachen unterdrücken.


Als wir angekommen waren und aus dem Transporter ausstiegen, verabschiedeten wir uns voneinander. Andy wollte während meines Tests vielleicht in der Cafeteria solange auf mich warten. Er wusste es noch nicht. Ich machte mich auf dem Weg zum Büro des Schuldirektors. Ich kannte ja den Weg. Ich klopfte an die Tür und hörte dann ein gedämpftes „Herein.“ Ich öffnete die Tür und stand dem Doppelgänger des Direktors gegenüber.


„Ah, Sie müssen Miss Isabella Marie Swan sein, die Tochter von Chef Swan. Guten Tag.“

Er reichte mir seine Hand. Ich nahm sie und schüttelte sie leicht.

„Guten Tag. Danke, dass sie mir diese Chance ermöglichen“, sagte ich.


„Ach, gern geschehen. Ihrem Vater kann man einfach keine Bitte abschlagen.“, sagte er mit Bewunderung in der Stimme.
„Also gut, Miss Swan. Kommen Sie bitte mit. Ich habe für sie extra einen Raum zur Verfügung gestellt, damit sie dort in aller Ruhe den Test absolvieren können.“
Er stand auf, nahm einen Bogen mit bedrucktem Papier in die Hand und öffnete seine Tür. Ich ging hinter ihm her. Wir gingen den leeren Schulflur entlang und 4 Türen später machten wir auf der linken Seite halt.


Er schloss die Tür auf und ließ mich zuerst eintreten. Ich ging zum Lehrertisch und setzte mich hin, weil dort ein Kugelschreiber für mich bereit lag. Mir wurde komisch zumute.

„So, Miss Swan.“, sagte er freundlich, „Sie haben 90 Minuten Zeit für den Test. Wenn die Zeit um ist, werde ich Sie hier wieder abholen.“

Er legte den Prüfungsbogen vor mir auf dem Tisch, lächelte mir ermutigend zu, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Ich nahm den Kugelschreiber in die Hand, trug Name, Vorname, Adresse, Datum und Alter ein und drehte das Blatt um. Als ich die Aufgaben und Fragen sah, biss ich mir auf die Lippe und begann auf sie zu kauen. Ich wurde immer nervöser, musste mich aber darauf konzentrieren, einen klaren Kopf zu behalten. Ich las mir eine Aufgabe nach der anderen durch und versuchte alle zu beantworten. Der mathematische Teil nahm viel mehr Zeit in Anspruch, als die anderen.


Dann, es kam mir vor, als wären gerade erst ein paar Minuten vergangen, öffnete sich die Tür, und der Direktor kam auf mich zu.

„So Miss Swan, Ihre Zeit ist jetzt um.“, sagte er.

Ich legte den Kugelschreiber zur Seite und atmete erleichtert auf. Endlich war dieser blöde Test vorbei.


„Gut. Leider kann ich Ihren Test nicht sofort kontrollieren, da ich gerade sehr beschäftigt bin. Ich werde Ihnen dann per Post das Ergebnis mitteilen.“


Ich stand auf. „Vielen Dank, Sir. Einen schönen Tag noch, auf Wiedersehen.“, verabschiedete ich mich. Er lächelte und verabschiedete sich ebenfalls.

Ich wollte gerade zur Cafeteria gehen, als ich Andys Gedanken empfing.

°Ich bin im Transporter. Ich muss dir was Wichtiges sagen°

Was Wichtiges? Was könnte das sein? Ob was mit Charlie passiert ist? Ich rannte aus dem Gebäude zum Transporter. Normalerweise wäre mir das peinlich gewesen, aber alle Schüler saßen entweder in ihren Klassenzimmern oder in der Cafeteria, die sich in einem anderen Haus befand. Somit lief ich also keiner Menschenseele über den Weg. Ich sah Andy im Transporter sitzen und riss die Beifahrertür auf und schlug sie heftig zu.


„Was ist los? Ist was mit Charlie?“, fragte ich etwas außer Atem. Deshalb klang meine Stimme nicht so panisch, wie sie sollte.

„Nein, nein. Mit Charlie ist alles okay.“, beruhigte er mich. „Es geht um etwas ganz anderes.“

„Was denn?“, fragte ich neugierig. Langsam beruhigte sich mein Herz wieder.

„Naja, weißt du noch, als ich dich heute Morgen gefragt habe, was du geträumt hast?“

Ich runzelte die Stirn und wartete auf die Fortsetzung. °Ja natürlich. Und?°, dachte ich.


Andy biss sich auf die Lippe und die kleine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Um das zu wissen, brauchte ich nicht einmal seine Gefühle zu lesen.


„Naja…“, er zögerte, „…ich habe heute Nacht auch was gesehen. Ebenfalls etwas, was in der Vergangenheit liegt.“

Er streckte mir seine Hand entgegen. Ich sah ihn verwirrt an. „Nimm meine Hand und ich wird’s dir zeigen.“


„Das geht?“, fragte ich erstaunt.

Er nickte ernst. Langsam machte mir Andy wirklich Angst. Zögerlich nahm ich seine Hand und er konzentrierte sich. Dann sah ich es.


Ich sah viele Grabsteine. Einen Friedhof also. Dann sah ich die Grabsteine immer näher kommen, bis mein Blickfeld nur noch auf einen gerichtet war. Der Name, den ich dort las, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Jasper Whitlock

1844 – 1854


Die Vision endete. Ich sah Andy erschrocken an und merkte, dass mir Tränen über die Wangen liefen. „Nein. Das ist nicht war.“, sagte ich schluchzend. „Jasper ist nicht tot.“

„Doch leider. Du hast es doch gerade gesehen. Es tut mir leid.“

Er sah mich mitfühlend und besorgt an. Auch konnte ich diese Gefühle von ihm wahrnehmen. Jasper soll tot sein? Das konnte nicht wahr sein! Eine Welt ohne Jasper als Vampir konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Es ist ja schon merkwürdig, dass er hier kein Mitglied der Cullens ist. Aber das hätte ich nun am allerwenigsten erwartet.


„NEIN!“, brüllte ich Andy an, während die Tränen immer weiter liefen.

„Bella.“, sagte Andy beschwichtigend, „Denk‘ doch mal nach. Das ist die einzige logische Erklärung, warum er nicht zu diesen Cullens in dieser Welt zur Familie gehört. Du hast selbst gesagt, dass sie ihn nie begegnet sind und auch nie kennen gelernt haben.“

Ich schüttelte den Kopf „Du hast selbst gesagt, dass nicht alles der Wahrheit entsprechen muss, was wir sehen. Dieser Traum von dir muss falsch sein!“, brüllte ich wieder.

„Bella, es ist schon passiert. So ein Traum kann überhaupt nicht falsch sein.“ Er sprach die Worte ruhig, klar und deutlich aus aber ich glaubte ihnen nicht.

„NEIN.“

„Bella…“

„Hast du vielleicht gesehen, wo sich dieser Friedhof befindet?“, unterbrach ich ihn wütend. Andy schloss die Augen und konzentrierte sich.

Nach zwei Minuten sagte er: „Der Friedhof ist in Texas. Houston genauer gesagt, wieso?“

„Dann lass‘ uns nach Houston fahren, jetzt gleich.“ Er schaute mich zweifelnd an.

„Warum?“, fragte er misstrauisch und in seiner Stimme klang Schärfe mit.


„Ich muss diesen Grabstein mit eigenen Augen sehen. Vorher werde ich es nicht glauben.“, sagte ich starrsinnig. Mir kamen wieder erneute Tränen.

„Du willst nach Houston fahren?“, sagte er etwas lauter. Ich nickte.

Er sah mich etwas verärgert an, seufzte aber und gab sich geschlagen. Andy hatte meine Gefühle wohl wieder gelesen. Er wusste, dass auch er sehr stur sein konnte. Er würde auch nicht locker lassen, wenn ihm die Sache sehr wichtig war.


„Da werden wir aber eine Weile unterwegs sein. Vor allem mit dem Transporter.“

„Dann leihen wir uns einen Wagen.“ Er schüttelte den Kopf.

„Das geht nicht, Bella. Das würde Charlie bestimmt früher oder später mit kriegen.“


Da hatte er wohl recht. Andy biss sich auf die Lippe und schien zu überlegen.

„Okay. Wir fahren nach Houston.“ Ich hatte mich langsam wieder beruhigt, jetzt da ich wusste, dass er meinem Plan zugestimmt hatte.

„Mit dem Transporter? Aber das wird doch eine Weile dauern und was ist mit den Spritkosten? Und was sollen wir Charlie erzählen?“, fragte ich nun mit fast fester Stimme.

„Kein Problem. Charlie hat Geld für den Notfall im Haus versteckt. Das müsste reichen. Und Charlie brauchen wir nichts davon zu erzählen, weil er es nämlich nicht mit bekommen wird.“, antwortete Andy, startete den Motor und fuhr los.


„Wie? Das versteh‘ ich nicht?“, fragte ich verwirrt.


„Du hast doch erzählt, dass Charlie eine Woche in Spokane ist. In einer Woche sind wir locker wieder hier.“, sagte er, sah kurz zu mir rüber und lächelte verschmitzt.


Stimmt das habe ich wohl in der ganzen Aufregung vergessen. Als wir zuhause waren holte Andy das versteckte Geld – es war natürlich ein sehr dickes Bündel – stieg wieder ein und fuhr weiter.

Dann begann eine lange Fahrt. Wir sprachen fast nie während der Fahrt, weil Andy sich auf den Verkehr sehr konzentrieren musste. Ich spürte das. Auch versuchte er, auf freien Strecken 90 Stundenkilometer zu fahren. Der Motor protestierte zwar, wurde jedoch ignoriert. Immer wenn wir an Tankstellen anhalten mussten, holten wir uns manchmal etwas zu Essen und zu Trinken.


Auch wechselten wir uns mit dem Fahren ab, wenn einer von uns Müde wurde. So konnte dieser dann schlafen und sich dann geistig und körperlich auf seine nächsten Fahrstunden vorbereiten. Während Andy am Steuer saß und ich mal nicht schlief, ließ ich meine Gedanken schweifen.


Warum war es mir so wichtig, mich selbst von Jaspers Tod zu überzeugen? Sicher, ich habe ihn ja nicht einmal gekannt. Selbst als Vampir auf der anderen Seite hatte ich kaum mit ihm zu tun gehabt. Und er wollte mich auf meinem 18. Geburtstag sogar töten? Warum traf mich dann sein Tod so sehr, der schon ungefähr 150 Jahre zurück lag? Auch wenn es nicht mal der Jasper von der anderen Welt war?


Ich grübelte sehr lange darüber nach und kam irgendwann – ich verlor jegliches Zeitgefühl – auf eine Antwort.

Auch wenn ich Jasper nie wirklich nahe gestanden habe – und diesem hier ja sowieso nicht – war er für mich dennoch ein Teil der Familie, zu der ich einst so gern dazu gehört hätte. Und das was an meinem Geburtstag passiert ist, war ja nicht er als Person, sondern der Vampir in ihm. Sein Verhalten war rein instinktiv. Er konnte nichts dafür. Und Jasper gehörte einfach in diese Welt. Er durfte nicht tot sein. Er sollte hier auch ein Teil der Cullens sein. Ich konnte mich einfach nicht damit abfinden, bis ich den greifbaren Beweis vor mir sah.


„Wir sind da.“, sagte Andy und riss mich aus meiner Versunkenheit.

„Wirklich? Wie lange waren wir denn unterwegs?“

„Es ist jetzt 9.35 Uhr. Also gute 44 Stunden am Stück.“, sagte er gähnend.

„Tut mir leid, dass ich dich da mit rein gezogen habe.“


„Pfffft! Denkst du etwa ich hätte dich allein fahren lassen? Außerdem war es doch mal eine nette Abwechslung, wenn ich so darüber nachdenke. Außerdem hat Charlie sowieso immer gemeckert, dass der Transporter zu selten gefahren wird.“

Er grinste. Dann wurde sein Blick ernst, aber verständnisvoll. Er nahm meine Hand.

„Außerdem ist dir die Sache sehr wichtig, Schwesterchen. Und was dir wichtig ist, ist auch mir wichtig.“ Andy drückte meine Hand und ich erwiderte seinen Druck ohne etwas zu sagen.

„Na komm. Ich weiß, wo der Grabstein ist.“

Ich musste schlucken. Wir stiegen aus und gingen in den Friedhof von Houston hinein. Andy wusste sofort, wohin er gehen musste. Er sah wahrscheinlich alles genau vor sich. Nach ein paar Minuten standen wir vor dem Stein, auf dem folgendes eingraviert war:


Jasper Whitlock


1844 – 1854


Ich starrte auf die Buchstaben, als könnte ich sie mit meinem Blick zum Verschwinden bringen. Ich konnte es immer noch nicht begreifen. Ich musste den Grabstein berühren. Vielleicht würde die Wahrheit dann zu mir durchdringen. Ich ging näher zum Grabstein heran, streckte die Hand aus, bis meine Haut den kalten Stein berührte.

Dann sah ich etwas.


Ich sah einen kleinen blondhaarigen dünnen Jungen mit hellbraunen Augen. Er schien krank zu sein. Ein Mann und eine Frau – vermutlich seine Eltern – standen um sein Krankenbett herum. Die Frau schluchzte, während sie in den Armen ihres Mannes war. Ihr Mann weinte stumm. Der kleine Junge lag in seinem Bett und zitterte, als würde er erfrieren.


Aber wie war das möglich? Denn auf ihm waren über und über unzählige dicke Decken gelegt, um dies zu verhindern. Aber es schien nichts zu nützen. Der Junge zitterte weiterhin am ganzen Körper und seine Haut war krankhaft blass. Dann verebbte das Zittern des Jungen immer mehr und ihm fielen die Augen zu. Dann rührte er sich nicht mehr. Die Mutter stieß einen so lauten Schmerzensschrei aus, dass ich glaubte, mir würden die Ohren schmerzen.

Dann öffnete ich wieder die Augen und die Vision war vorbei.


Ich merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und ich hörte ein Schluchzen. Ich drehte mich zu Andy um und sagte mit belegter Stimme:


„Jasper ist vermutlich an einem Herzfehler gestorben. Es konnte einfach nicht mehr genug Blut durch seinen Körper pumpen und ihn somit erwärmen. Er ist praktisch erfroren.“, sagte ich und meine Stimme versagte ein paar Mal.


Andy nahm mich tröstend in die Arme. Ich weinte leise an seiner Schulter. Jasper ist wirklich tot. Ich musste mich jetzt wohl oder übel damit abfinden, besonders nachdem ich seinen Tod gesehen hatte. Es vergingen ein paar Minuten, aber Andy hielt mich immer noch in seinen Armen.


„Hey wer seid ihr denn und warum weinst du?“, hörten wir eine Kinderstimme sagen.


Ich löste mich aus Andys Umarmung und drehte mich um. Ich sah den kleinen Jasper vor mir stehen. Ein Geisterjunge, sagte ich mir. Ich wischte mir mit dem Ärmel meiner Bluse die Tränen weg und versuchte ihn anzulächeln.


„Ach, es ist nichts. Hallo, Kleiner. Ich bin Bella. Das hier ist mein Bruder Andy.“, versuchte ich mit freundlicher Stimme zu sagen.

„Hallo.“, begrüßte Andy ihn und lächelte.

„Wie heißt du denn?“

Der kleine blonde Junge lächelte uns an. Er sah so niedlich aus, dass mir das Herz weh tat. Warum musste er so früh sterben?

„Hallo. Ich heiße Jasper Whitlock und bin 9 Jahre alt. Warum seid ihr hier bei meinem Grab? Kennen wir uns denn?“

„Du weißt, dass du tot bist?“, fragte Andy ihn.

„Ja.“, sagte er etwas traurig.

Nun sprach ich zu ihm.

„Weißt du Jasper, ich komme aus einer Welt, in der du lebst und erwachsen bist. Dort kenne ich dich. Ich musste einfach hierher fahren, damit ich es glauben konnte, dass du in dieser Welt nicht mehr lebst.“


„Es gibt eine Welt, wo ich lebe? Das ist ja toll. Wie bin ich denn so?“, fragte er fröhlich mit unverhohlener Neugier. Ich lachte leicht.

„Tja, du eher ein stiller Typ und du bist in der Lage, dich auf andere Personen einzulassen und deren Gefühle in dir aufzunehmen.“ Ich musste ihm ja nicht alles sagen.

„Wow. Klingt als wäre ich etwas ganz Besonderes.“ Wieder musste ich lachen. Jasper hatte es geschafft, mit seiner kindlichen Art meine Trauer wegzuwischen.

„Ja, das bist du.“, sagte ich und lächelte.

Er strahlte mich an. Dann war er auf einmal weg.

„Oh.“, hauchte ich leise. „Er war – oder ist – ein ziemlich süßer Junge.“

„Komm, Bella. Lass‘ uns nach Hause fahren.“, sagte Andy mit leiser, ruhiger Stimme und zog mich sanft von Jaspers Grab weg.

Ich drehte mich noch einmal zu dem Stein um, damit ich mit der Sache schließlich einen Abschluss machen konnte.

Tja, wieder einmal musste ich erfahren, wie ANDERS diese Welt doch ist.

Andy und ich stiegen wieder in den Transporter und machten uns auf dem langen Weg nach Hause.

Ein kleiner Zwischenfall




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Andy und ich lagen in unseren Betten und schliefen noch tief und fest. Wir kamen gestern gegen 7.30 Uhr nach Hause und legten uns, nachdem wir uns bettfertig gemacht hatten, schlafen. Charlie hatte uns vorgestern angerufen und gesagt, er würde übermorgen irgendwann nach Hause kommen. Natürlich hatte er den Motor des Transporters im Hintergrund gehört und fragte, was los sei. Andy tischte Charlie eine Ausrede auf. Vielleicht, dass wir nochmal shoppen gefahren sind. Ich hatte nicht zugehört.


„Hey, ihr beiden, aufstehen.“, hörte ich eine Männerstimme sagen. Es war Charlie. „Es ist halb 4.“


Er klang irgendwie verärgert. Ich fragte mich träge warum. Hatte er etwa heraus gefunden, dass wir fast 4 Tage unterwegs gewesen waren? Ich richtete mich mit schreck aufgerissenen Augen auf und sah, dass Andy meine Haltung bereits eingenommen hatte. Wir richteten unsere Blicke auf Charlie, der uns wütend ansah.

„Kommt sofort runter, wenn ihr fertig seid!“, befahl er und ging.

°Oh, oh…°, dachte mein Bruder.


Wir machten uns fertig und gingen dann die Treppe hinunter in die Küche mit einem flauen Gefühl im Magen. Also manchmal ist es wirklich ungünstig, wenn man die Gefühle des anderen spürt. Dadurch wurde mein beziehungsweise sein unangenehmes Gefühl doppelt verstärkt. Und das war für das bevorstehende Gespräch mit Charlie alles andere als gut. Jetzt konnte ich Jasper ein bisschen besser verstehen. Vielleicht. Ach Jasper, dachte ich und dachte an die Ereignisse der letzten Tage wehmütig zurück.

°Ich weiß, aber wenigstens kennen wir jetzt die Wahrheit°, hörte ich von Andy, der meine Hand nahm und sie drückte.


Wir saßen uns an den Küchentisch Charlie gegenüber und warteten darauf, was nun kommen würde. Er atmete ein paar Mal tief durch, um nicht die Beherrschung zu verlieren.


„Die Schule hat mich heute angerufen.“ Er fixierte mich mit seinem Blick.

„Ach, wirklich?“, fragte ich etwas kleinlaut.

„Ja, sie haben mir mitgeteilt, dass du heute nicht da warst.“, sagte er immer noch mit Wut in der Stimme.


„Wieso? Ich muss doch erst die Ergebnisse des Tests abwarten. Der Direktor sagte mir, dass sie mir ihre Entscheidung per Post mitteilen würden.“

„Das haben sie ja auch getan.“ Ich runzelte die Stirn. Andy ebenfalls.

„Als ich vor 20 Minuten nach Hause kam, sah ich in den Briefkasten und fand unter anderem den Brief der Schule. Ich wunderte mich, warum er noch darin lag. Warum überhaupt so viel Post in den Kasten lag.

Ich öffnete den Brief und darin stand, dass du denn Test bestanden hast und du am Mittwoch, den 29. Oktober, zur Schule kommen kannst. Der Brief wurde am 27. Oktober geschrieben und kam entweder gleich am Montag oder gestern hier an. Und heute ist Mittwoch! Tja, und dann fand ich euch immer noch schlafend in deinem Zimmer und habe euch geweckt.

Könntet ihr mir mal bitte erklären, was ihr die letzten Tage gemacht habt? Und warum Bella, bist du nicht zur Schule gegangen? Das hätte ich wirklich nicht von dir erwartet. Ich hielt dich für sehr verantwortungsbewusst.“ Charlie starrte uns wütend an und sein Gesicht wurde etwas rot.


°Oh, Mist. Was sollen wir ihm sagen?°, dachte und fragte ich Andy. Ein paar Sekunden vergingen.

„Also, Dad. Das war so.“, begann Andy. „Wir waren die letzten Tage oft draußen und Bella hat sich durch den Regen und die Kälte eine Grippe eingefangen. Ich habe mich um sie gekümmert, aber auch einen leichten Schnupfen und Kopfschmerzen bekommen. Wir konnten die die letzten 2 Nächte nicht gut schlafen. Deshalb fandest du uns am späten Nachmittag noch im Bett. Und Bella hat sich einfach nicht in der Lage gefühlt, um zur Schule zu gehen.“, beendete Andy seine Erklärung und versuchte sie überzeugend zu vermitteln. Ich nickte nur bestätigend. Ich wollte die Farce nicht kaputt machen, indem ich etwas sagte, da ich nicht sehr gut lügen konnte.


„Mmhh…“, machte Charlie. Man sah ihm an, dass er Zweifel an der Geschichte hatte, sagte jedoch seufzend jetzt im milderem Tonfall: „Lassen wir die Sache auf sich beruhen. Ich möchte mich nicht mehr aufregen. Aber morgen gehst du hin!“, sagte Charlie streng und väterlich zugleich.


„Ja.“, versprach ich.

„Und du auch.“, sagte er zu Andy.

„Ach, ja?“, fragte Andy verwirrt.

„Ja, deine Unterlagen waren ebenfalls im Kasten und ein Zettel von der Post. Ein Paket muss abgeholt werden.“

„Ein Paket?“

„Ja, am besten ihr fahrt jetzt los. Fahrt aber noch beim Autohändler vorbei.“

„Warum?“, fragte ich Charlie. Jetzt lächelte er.

„Na, jetzt wo ihr beide hier bleibt, wäre es doch sicherlich nicht verkehrt, wenn einer von euch ein Auto bekommt. Ich habe schon eins ausgesucht und bezahlt. Ich werde euch natürlich noch Geld mit geben, falls einer von euch beiden doch ein anderes möchte. Ich weiß ja schließlich nicht, wer den Transporter weiter fahren möchte. Ich denke, dass ich eine ziemlich gute Wahl getroffen habe.“


„Du hast ein Auto gekauft?“, fragten Andy und ich gleichzeitig und erstaunt. Charlie lachte über unsere Gesichter.

Andy und ich saßen im Transporter und waren bei der Post angekommen. Wir stiegen aus und gingen hinein.

„Guten Tag.“

„Guten Tag. Hier soll ein Paket für mich angekommen sein?“, fragte Andy die Frau an der Kasse.

„Wie lautet ihr Name?“

„Äh, Swan.“ Andy reichte der Frau den Zettel der Post.

„Ah ja“, sagte sie, kehrte uns den Rücken zu und ging in einem Hinterraum.

Kurz darauf kam sie mit einem großen Paket zurück. Andy nahm es mit beiden Händen hoch und wir verabschiedeten uns. Nachdem wir draußen waren – ich musste Andy die Tür aufhalten – und wieder im Transporter waren, machte er das Paket mithilfe eines Taschenmessers, das er bei sich trug, auf.

„Oh. Meine Schulbücher. Daran hätte ich auch denken können.“ Er lächelte mich an.

„Jetzt wissen wir, was dir noch fehlt.“

Das stimmte. Meine Bücher waren ja in der anderen Welt.

„Aber wenn wir jetzt noch die Bücher kaufen gehen, reicht der Platz für sie nicht mehr im Transporter aus.“, sagte ich.

„Na dann holen wir unser neues Auto.“, sagte er fröhlich.

Ich seufzte. Schon wieder gab Charlie zu viel Geld aus. So fuhren wir zum Autohändler. Andy und ich gingen hinein und begrüßten den Verkäufer.

„Guten Tag. Unser Vater sagte uns, er habe bei ihnen ein Auto gekauft und wir wollen es uns mal ansehen und schauen, ob es uns gefällt.“

„Wie heißt denn ihr Vater?“, fragte der Mann zur Sicherheit.

„Charlie Swan.“, antwortete ich.

„Ja, er hat erwähnt, dass Zwillinge vorbei kommen werden und hat mir sie beschrieben.“, erwiderte er darauf. „Na schön. Kommen sie bitte mit.“


Wir gingen nach draußen und der Mann führte uns an vielen Autos vorbei – ich achtete aber nicht auf sie - bis wir bei einem Wagen schließlich Halt machten. Andy und ich betrachteten den Wagen. Zum Glück war es ein Gebrauchtwagen und kein neuer. Ich erkannte sogar die Automarke. Es war ein dunkelblauer – fast lila – farbiger Mazda 5. Zu meiner Überraschung fand ich ihn gar nicht so schlecht. Nur schade, dass er nicht so robust war wie der Transporter. Ich würde mich erst an diesen Wagen gewöhnen müssen.


„Ist ganz o.k.“, kam es von uns.

Der Verkäufer grinste uns an. Wir gingen zurück in das Gebäude und der Fachhändler gab uns die Papiere. Der Wagen war auf uns beide zugelassen. Zum Schluss reichte er uns die Schlüssel – der eine diente als Ersatz – und wir verabschiedeten uns dankend.

„Und wer startet die Jungfernfahrt?“, fragte ich grinsend, als wir vor dem neuen Auto standen.

„Ladys first.“, sagte Andy und lachte.

Ich stieg in den Mazda ein und atmete noch einmal tief durch, bevor ich den Motor startete. Ich wollte anfahren, jedoch kam die Kupplung bei diesem Wagen viel früher, als beim Transporter. So würgte ich den Motor sieben Mal ab, bevor ich endlich von der Stelle kam.

°Na das wurde auch Zeit° , hörte ich seine Gedanken. Ich sah einen Transporter an mir vorbei fahren. °Wir treffen uns am Buchladen, aber beeil dich bitte.°


°Mal sehen, was sich machen lässt°, gab ich giftig zurück.


Ich fuhr – sehr vorsichtig – zum Buchladen. Dort angekommen, kauften wir für mich die Schulbücher. Tatsächlich konnten wir sie alle – dank Charlies mitgegebenen Geld – bezahlen. Wieder bekam natürlich wieder ein unbehagliches Gefühl, als ich sah, wie viele Scheine für die ganzen Bücher ausgegeben werden musste. Ich glaube, ich muss hier auch einen Nebenjob anfangen, um Charlie das ganze Geld, das er für mich ausgab, zurück zu geben.

°Ich kann dich verstehen. Aber das ist wirklich nicht notwendig. Glaub‘ mir.°, hörte ich Andys schmunzelnde Stimme in meinem Kopf.

„Ich weiß“, sagte ich seufzend.


Andy trug mit mir die Tüten mit den Büchern zum Mazda und legte sie in den Kofferraum. Diesmal übergab ich Andy die Schlüssel, damit er das Auto mal fahren durfte.

„Mal sehen, wie oft du ihn abwürgst.“, neckte ich ihn.

„Da wir uns sehr ähnlich und Zwillinge sind und den gleichen Transporter fahren, bestimmt genauso oft wie du. Aber wenn ich genau darüber nachdenke, können ja Männer sowieso besser Auto fahren als Frauen. Also eher werde ich den Motor weniger abwürgen als du.“, sagte er und grinste.

„Angeber.“, erwiderte ich lachend.


Wir waren auf dem Highway und Andy fuhr vor mir. Er hatte den Wagen sieben Mal abgewürgt. Tja, von wegen Männer können besser Autofahren als Frauen. Ich schmunzelte. Ich konzentrierte mich weiterhin auf die Fahrt.

Doch dann ging alles sehr schnell.


Ich sah etwas Dunkles über die Straße flitzen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas gesehen hatte. Es war schneller als ein Blitz, fast unsichtbar. Ich musste blinzeln. Dann im nächsten Moment sah ich etwas, von dem ich mir sehr sicher war, dass ich es gesehen hatte. Es war ein Tier. Ein sehr großes Tier. Natürlich konnte ich nichts Genaues erkennen, da ja Andy vor mir fuhr. Es sah aus wie ein rötlicher Hund, der dem Schwarzen etwas folgte. Aber auch dieses Wesen verschwand sehr schnell.


Im nächsten Moment, bremste Andy vor mir mit voller Wucht und ich hatte Probleme, schnell genug zu reagieren, damit der neue Wagen nicht gleich eine Beule bekommt. Hinter mir bremsten nun auch alle anderen Autofahrer. Das Reifenquietschen war deutlich zu hören. Doch nach ungefähr einer Minute nahm Andy seine Fahrt wieder auf. Er wollte wohl nicht den Verkehr länger blockieren und verhindern, dass Charlie hier auftaucht. Dann als ich und alle anderen Autofahrer wieder los fuhren, unterhielten Andy und ich uns per Telepathie.


°Hast du das gesehen?°, fragte er.

°Ja, etwas Dunkles, Schwarzes. Es war sehr schnell. Ich bin mir nicht mal wirklich sicher, es überhaupt gesehen zu haben. Und dann kam etwas Rötliches über die Straße, dass dem schwarzen Etwas folgte. Es sah aus wie ein riesiger Hund.°


°Richtig. Das habe ich auch alles gesehen. Das rötliche Tier konnte ich aber besser erkennen.°

Stille im Kopf.

°Nun sag‘ – oder eher denk‘ – schon!°, forderte ich ihn gereizt auf.

°Also, wenn ich so darüber nach denke, bin ich mir ziemlich sicher was es war.°

°Ja, und was?° Ich wurde immer wütender und umkrampfte mit beiden Händen fest das Lenkrad.

°Es war ein Wolf. Ein Werwolf. Du weißt schon, was ich meine.°

°Du meinst ein Werwolf. Einer, aus den Legenden der Quileute?°

°Genau. Der Werwolf muss also einer der Bewohner von La Push sein. Einer, der sich in einen Werwolf verwandeln kann. Und ich denke das Schwarze, das wir fast gar nicht wahrnehmen konnten, war ein Vampir.°

°Ach ja, Jacob hat ja erzählt, dass die Quilieute ihren Stamm vor ihren Feinden, also den Vampiren beschützen. Ja, das muss ein Vampir gewesen sein. Du hast recht. Aber Wölfe jagen doch eigentlich meist in Rudeln, oder nicht? Warum war dann nur einer zu sehen?°

°Guter Einwand, Bella. Stimmt, eigentlich jagen Wölfe mehr zusammen, als alleine. Das bedeutet, dass es vielleicht auch wirklich ein Rudel Werwölfe gibt. Und vielleicht war nur einer zu sehen, weil es ja nur ein Vampir war, das glaube ich zumindest. Vielleicht reicht bei einem Vampir ein Werwolf. Außerdem hätten viele Wölfe noch mehr Aufsehen erregen können. Das wäre eventuell auch ein Grund.°


°Warte. Du meinst, dass es in La Push ein Rudel Werwölfe gibt? Also eine Gruppe von Menschen, die sich verwandeln und so als Rudel fungieren?°


°Da bin ich mir ziemlich sicher°

Darüber musste ich erst mal nachdenken. Nach einer Weile schickte ich ihm: °Ich denke, dass Jacob ein Mitglied dieses Rudels ist. Du hast ja selbst vermutet, dass er ein…Wolf ist.°


°Ich glaube, wir müssen demnächst mal nach La Push fahren.°, dachte er nur.


Ich nickte, obwohl er das ja eigentlich nicht sehen konnte.


°Aber nicht, dass wir vor die Hunde gehen.°, dachte ich lachend und ich hörte auch in meinem Kopf darauf Andys Gelächter.


Die weitere Fahrt verlief glücklicherweise problemlos und wir kamen zu Hause heil und mit nun zwei Wagen an.

Die Warnung





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Als Andy und ich ankamen, sah ich ein fremdes Auto auf unserer Auffahrt stehen. Andy und ich stiegen aus und brachten die Tüten und das Paket in den Hausflur.

„Bella, Andy?“

„Ja, Dad, wir sind’s“, sagten wir.

Wir gingen in die Küche, um Charlie zu begrüßen und nun sahen wir, von wem wir Besuch hatten. Es war Jacobs Mutter, Sarah Black. Sie kochte Charlie gerade etwas zum Abendbrot.

„Na, ihr zwei.“, sagten nun Sarah und Charlie wie aus einem Munde. Darauf fingen wir alle an zu lachen.

„Hey, ich dachte wir sind die Zwillinge hier?“, brachte ich lachend hervor. „Ich dachte, ich müsste was zum Abendbrot vorbereiten, aber wie ich sehe, wirst du ja bestens versorgt.“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ach, ich wollte einfach nur, dass ihr beide mal Pause vom Kochen habt.°, brummte Charlie und lief knallrot an.

Ich sah zu Sarah und auch schien es, dass sie unter ihrer rostbraunen Haut rot wurde. Nur war dies nicht so offensichtlich zu erkennen. Ich runzelte die Stirn.

„Du kannst kochen?“, fragte ich meinen Bruder.

„Hey, alles was du kannst, kann ich auch. Zwillinge schon vergessen?“ Er lachte. „Nein, ich hab‘ Renee ab und zu mal über die Schulter geschaut und den Rest habe ich mir dann selbst angeeignet.“

„Nicht schlecht“, sagte ich anerkennend und grinste Andy an. Sarah, die am Herd stand, räusperte sich laut. Ich schaute sie, dann wieder Andy an.


„Okay, okay. Im letzten Jahr hat mir auch Sarah sehr gute Tipps und Rezepte gegeben. Was wäre ich bloß ohne sie.“, erwiderte Andy zu Sarahs Zufriedenheit.


Ich ging zum Herd und stellte mich neben sie.

„Oh, Boeuf Stroganoff?“

„Ja.“, sagte sie lächelnd, „Charlie hat es sich gewünscht. Aber dafür mach‘ ich es nach unserem Familienrezept!“ Der Stolz in ihrer Stimme war rauszuhören.


Als ich Sarah beim Kochen betrachtete und in mich hineinlächelte – weil ich mich für Charlie freute, dass er nicht mehr allein war – fiel mir wieder diese Ähnlichkeit zwischen Sarah und Jacob auf. Wie die Mutter, so der Sohn. Als ich mir diese Ähnlichkeit wieder bewusst wurde, fiel mir alles wieder ein. Ich merkte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten, hatte sie aber dann schnell wieder unter Kontrolle. Andy spürte, dass etwas nicht stimmte.


„Wir bringen dann mal unsere Bücher nach oben.“, sagte Andy locker.

Als wir beide oben waren und die Bücher in Andys Zimmer abgestellt hatten, machte Andy die Tür zu und sah mich erwartungsvoll an.


„Was ist los?“

„Andy, ich glaube ich habe schon so einen besonderen Traum gehabt, also in der anderen Welt. Es war der Tag, an dem mir der andere Jacob die Legenden seines Stammes erzählt hat. Da habe ich in der Nacht geträumt, wie ER in der Sonne funkelt und wie Jacob sich vor meinen Augen in einen Werwolf verwandelt hat.“


Er nickte. „Ja, das war bestimmt so eine Art Zukunftstraum. Aber wir wussten doch eigentlich schon, dass Jacob ein Werwolf ist.“


„Ich war noch nicht fertig. In meinem Traum hat sich Jacob in einen rotbraunen Wolf verwandelt.“

Andy machte große Augen und wirkte für ein paar Sekunden wie erstarrt. „Oh.“, sagte er dann.


„Ja, genau. Der Wolf, den wir gesehen haben…Das war Jacob. Ganz sicher.“


Dann sagten wir beide nichts. Wir mussten das erst mal verarbeiten. Nun hatten wir die Bestätigung, dass Jacob wirklich ein…Wolf ist. Wir hatten ihn gesehen. Und ich hatte es eigentlich seit diesem Tag schon indirekt gewusst. Die Tür flog auf und Andy und ich zuckten zusammen.


„Hey, seit wann seid ihr so schreckhaft?“, lachte Charlie. „Kommt runter, dass Abendessen ist fertig.“


Wir gingen daraufhin runter in die Küche und setzten uns an den Tisch. Wir bedankten uns dafür, dass Sarah gekocht hatte, dann fingen wir zu essen an. Sarah hielt sich etwas zurück und beobachtete eher Charlie, wie er erst vorsichtig etwas auf seine Gabel füllte, sie rein- und wieder rausschob, und schließlich schluckte.

„Und?“, fragte Sarah ihn vorsichtig.

Charlie antwortete ihr nicht sondern füllte jetzt schneller und viel mehr auf die Gabel auf, um schließlich immer weniger auf dem Teller zu lassen. Sarah sah ihm liebevoll dabei zu und lächelte. Nebenbei aß sie auch. Aber im Gegensatz zu Charlie war ihr Teller noch über die Hälfte gefüllt, während seiner leer war. Charlie lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die Hände zufrieden auf den Bauch.


„Das war köstlich, Sarah. Wirklich ein gutes Rezept.“

„Freut mich, dass es dir geschmeckt hat.“

„Und was ist mit euch? Ihr habt ja bis jetzt kaum was gegessen!“, sagte er vorwurfsvoll.


Andy und ich hatten ebenfalls bis jetzt nicht viel gegessen, da wir Charlie betrachtet hatten. Er sah beziehungsweise sieht so glücklich aus. Ich lächelte ihn an.

„Okay, okay. Wir essen ja schon!“, gab Andy sich geschlagen.

„Gut. Wir wollen ja nicht die Köchin beleidigen.“, erwiderte Charlie und Sarah wurde darauf etwas rot, glaubte ich zumindest.


Während wir aßen fragte Andy: „Ach Sarah, wo ist eigentlich Rebecca?“

„Sie ist wieder auf dem Evergreen State College in Olympia.“

„Und Jacob?“, fragte er und versuchte beiläufig zu klingen. Andy und ich warfen uns einen kurzen Blick zu.

„Der ist gerade mit einigen seiner Freunde aus La Push unterwegs.“

„Mit wem ist er denn immer so unterwegs?“, fragte diesmal ich.

Ich kannte ja seine Freunde wirklich nicht und ich war auch ein bisschen neugierig.


„Äh, lass‘ mich mal überlegen. Das wären zum einen Quil Atera und Embry Call. Oh, und Sam July ist auch dabei.“, antwortete sie mir.

„Ach. Kannst du mir vielleicht sagen, wo sie sind? Ich wollte mich mit ihnen vielleicht treffen.“

„Nein, Andy tut mir leid. Ich weiß nicht wo sie sind.“ Andy nickte nachdenklich.


„Moment mal, Sam July?“, diesmal war es Charlie, der sprach. „Ist er nicht schon etwas zu erwachsen, um sich mit Teenagern zu treffen?“


„Das mag vielleicht sein. Aber er hat einen guten Einfluss auf sie.“, sagte sie fast stolz.


°Ich habe nicht das Gefühl, dass sie uns belügt.°, sagte ich Andy per Telepathie.

°Ja, das denke ich auch. Sie scheint keine Ahnung zu haben, was los ist. Aber wenigstens wissen wir, wer noch zum Rudel gehört.°

°Sollen wir es ihr sagen?°

°Nein, ich glaub‘, das ist keine gute Idee. Vielleicht soll sie ja davon alles nichts wissen.°

°Da könntest du recht haben.°


Wir räumten den Tisch ab und Sarah füllte den Rest des Essens kleine Schalen um und stellte diese dann in den Kühlschrank. So hatte Charlie (und wir) wenigstens für die nächsten Tage etwas zu essen. Wir verbrachten noch einen gemütlichen Abend und es war nicht zu übersehen, wie Sarah und Charlie sich geradezu anstrahlten und einmal habe ich auch gesehen, wie sie Händchen hielten. Dies war aber nur sehr kurz, weil es Charlie bestimmt etwas unangenehm war und er wurde rot. Auch Sarah schaute ein wenig verlegen. Andy und ich lachten nur und freuten uns für die beiden. Am späten Abend verabschiedete sich Sarah und wir wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht.


„So ihr beiden, ab ins Bett. Morgen ist schließlich Schule.“, sagte er streng.

„Ja, Dad. Das wissen wir.“

„Gute Nacht, Dad, sagte ich.


Andy und ich gingen nach oben und machten uns fertig. Andy war bereits in seinem Zimmer und wartete auf mich. Ich kam gerade aus dem Bad und war kurz davor, Andys Zimmertür zu öffnen, als ich sie hörte.


„Bella, lauf weg!“


Es war SEINE samtweiche Stimme, die ich so sehr vermisst hatte. Nach all dem, was in den letzten Tagen alles passiert ist, eine andere Welt, die anderen Cullens, Elizabeth, ein Zwillingsbruder, die Blacks, der neue veränderte Jacob und die Geschichte mit Jasper, kam es mir wie Jahre vor, seitdem ich seine Stimme in Port Angeles in der anderen Welt gehört hatte. Ich seufzte erleichtert. Aber ich verstand seine Worte nicht.


Hier im Haus war doch nichts, dass eine Bedrohung für mich darstellen könnte. Und wovor sollte ich denn bitte weglaufen? Vor meinem Bruder?
Unsinn!
Wenn dem so wäre, dann hätte mich SEINE Stimme gleich von Anfang an vor ihm warnen müssen. Ob ich auf IHN gehört hätte, ist eine ganz andere Sache. Schließlich war doch alles so neu für mich. Und außerdem stellte mein Bruder für mich keine Gefahr dar. Er war nicht der böse Zwilling von uns beiden. Er war genauso wie ich. Und selbst wenn er dunkle Absichten gehabt hätte, hätte er sie nur sehr schwer vor mir geheim halten können. Ich konnte seine Gefühle und Gedanken lesen. Warum also sollte wegzulaufen? Ich wartete darauf, dass die Stimme, meine persönliche Halluzination, vielleicht noch mehr sagen würde, weitere Erklärungen für ihre Aufforderung. Aber nichts. Sehr merkwürdig.


Ich schüttelte den Kopf und trat in das Zimmer. Dann legte ich mich in sein Bett und kuschelte mich unter die Decke. Es war so schön angenehm warm. Andy lag bereits in seinem „Bett“.

„Das ist deine letzte Nacht hier.“, sagte Andy nach kurzer Zeit angenehmer Stille.


Erschrocken riss ich die Augen auf, richtete mich auf und schaute nach unten in seine Richtung. Ich konnte ihn kaum erkennen, weil es so dunkel war.


„Was? Wieso denn?“, fragte ich entsetzt. Er lachte leise.


„Morgen kommt doch dein eigenes Bett.“, sagte er ruhig. Erleichtert atmete ich auf. „Achso.“ Und ich hatte schon sonst was gedacht.

„Komm, Bella. Lass‘ uns jetzt lieber schlafen. Morgen geht der Schulalltag los.“ Ich seufzte.


„Klar. Wir brauchen ja noch ein ganz normales Leben neben Vampiren, Werwölfen und Geistern.“, sagte ich trocken. Wir lachten beide.

„Schlaf gut, großer Bruder.“

„Du auch, kleine Schwester.“

Eine nächtliche Rettungsaktion




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Es ist Nacht.
Ich sehe unser Haus, gehe näher und öffne die Tür. Ich gehe hinein, sehe mich kurz überall um und renne dann die Treppe hoch nach oben. Zuerst sehe ich Charlies Zimmertür. Ich öffne sie sehr leise, um ihn nicht zu wecken. Ich sehe ihn schnarchend in seinem Bett liegen. Nun trete ich an sein Bett heran und beuge mich über ihn, bis mein Gesicht fast das seine berührt. Das Schnarchen ist mehr als deutlich zu hören. Ich verweile einen kleinen Moment in dieser Position, weiche dann zurück, renne aus seinem Zimmer hinaus und schließe nebenbei ganz leise wieder die Tür. Mein Blick ist nun auf Andys Zimmertür gerichtet. Ich erreiche sie blitzschnell und öffne sie leise. Ich sehe Andy und mich in unseren Betten schlafen, obwohl es stockfinster ist. Dann nähere ich mich den beiden, meinen Blick zwischen ihnen hin- und her schweifend. Mein Blick verharrt schließlich auf mich und dann nähere ich mich meinem Gesicht in rasender Geschwindigkeit…


„Ahhh…“, entfuhr es mir schreckhaft, aber nicht allzu laut, als ich erwachte.

Ich wusste, was der Traum zu bedeuten hatte. Ich stieg aus Andys Bett, und kniete mich vor seiner Matratze. Ich versuchte, ihn wachzurütteln.

„Andy, Andy.“, sagte ich leise, aber eindringlich. „Wach auf!“ Ich rüttelte schneller und fester, aber regte sich nicht.

Ich stöhnte und schlug seine Bettdecke zurück. Er lag auf dem Rücken, während seine Arme über seinen Kopf waren, als wollte er sie ausstrecken. Seine Knie waren leicht gebeugt. Ich stöhnte wieder, nahm all‘ meinen Mut zusammen und verpasste meine Ohrfeige. Es „knallte“ doch etwas. Andy regte sich, riss die Augen auf und hielt eine Hand an die Wange.


„Aua!“, sagte er leise und sah mich böse und fragend an. Ich hatte zur gleichen Zeit wie er „Aua“ gesagt und merkte erst jetzt, dass auch ich eine Hand an die Wange gelegt hatte.

Na toll! Was das betraf, so hasste ich es jetzt nun, dass ich ein Zwilling bin. Aber darüber könnte ich mich später immer noch ärgern.

„Was ist los?“ Er wusste natürlich, dass ich uns nicht nur aus Spaß geschlagen hatte.

„Hör‘ mir jetzt genau zu.“, flüsterte ich leise und fordernd.

„Ich hatte gerade einen Traum. Ich sah, wie ich in unser Haus einbrach und dann in unser Zimmer kam und dann wie ich mir selbst meine Zähne in den Hals stieß.“
Andy Augen wurden groß.
„Es war, als hätte ich alles aus dem Blickwinkel des Vampirs gesehen. Ich war der Vampir.“ Ich holte tief Luft. „Ich bin mir sicher, dass er heute Nacht kommen wird. Der Traum war eine Warnung, ganz sicher.“

Warnung? SEINE Stimme fiel mir plötzlich wieder ein. Er hatte gesagt, ich solle weglaufen. Das muss er gemeint haben! Mein Unterbewusstsein hat versucht mich noch früher zu warnen. Weil ich aber nicht hörte, hatte ich jetzt nochmal diesen Traum, der mir den Grund dafür offenbarte.


Andy nickte. „Okay, dann ziehen wir uns mal besser an.“, sagte er.

Wir beeilten uns und in 2 Minuten waren wir fertig. Ich kam zurück in sein Zimmer.

„Aber was jetzt?“

„Durchs Fenster!“, befahl ich.

Er runzelte die Stirn. Ich nahm seine Hand, meine Panik wurde von Sekunde zu Sekunde immer größer und ging mit ihm zum Fenster. Ich öffnete es.

„Warte! Was ist mit Charlie?“, fragte er besorgt.

„Charlie wird nichts passieren. Der Vampir hat es nur auf uns und unseren Geruch abgesehen. Charlie wird er in Ruhe lassen. Frag‘ nicht wieso. Ich weiß es einfach.“

„O.K.“

Ich sah aus dem Fenster raus und hinunter auf dem Boden. Es war vielleicht doch etwas hoch.

„Wie sollen wir da runter kommen?“, fragte ich jetzt verunsichert, obwohl ich die Antwort natürlich wusste.

„Na wie wohl? Springen, natürlich!“, sagte er und verdrehte die Augen.

„Aber ich weiß nicht, ob…“

„Kein Problem.“, unterbrach er mich, „Ich springe zuerst runter und werde dich dann auffangen.“

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, den Blick voller Zweifel.

„Komm, Bella. Wir haben keine Wahl. Oder willst du heute Abend auf der Getränkekarte stehen?“, fragte er sarkastisch. „Vertrau‘ mir. Ich werde dich auffangen.“, sagte er und ich glaubte ihm sofort.

Sein Blick war Beweis genug. Ich nickte Andy zu und er lächelte. Dann sprang er aus dem Fenster und landete auf seinen Beinen, ohne sich Schaden zugezogen zu haben.

„Los, Schwesterchen. Ich bin bereit.“, flüsterte er nun etwas lauter.


Ich atmete noch einmal tief durch, um mich für meinen Sprung bereit zu machen. Ich richtete meinen Blick nach unten und sprang hinunter. Während ich in der Luft war, hätte ich am liebsten geschrien. Nur leider ging das ja in diesem Moment nicht. Ich landete wirklich in Andys Armen. Er schwankte zwar leicht, nach meinem Aufprall, aber fand dann wieder sicheren Halt.

Es war mir etwas komisch in diesem Moment. Nicht unangenehm, aber komisch. Jetzt, während ich in seinen Armen lag und wir uns ins Gesicht schauten, sah ich ihn zum ersten Mal als Mann und nicht als Bruder. Eigentlich müsste das einer Schwester nicht passieren, aber schließlich hatte ich ihn 11 Jahre nicht gesehen und auch vorher konnte ich mich nicht an ihn erinnern. In gewisser Weise war er ein „Fremder“ für mich. Ich merkte, wie ich rot wurde und sah, wie Andy ebenfalls rot anlief. Er hatte garantiert dieselben Gedanken, oder ähnliche. Er sah sehr verlegen aus.


„Ähm, ja o.k.“, sagte er dann etwas zögerlich und stellte mich auf die Füße.
„Gut, wir sind draußen. Aber wohin jetzt? Er kann unserer Spur doch überall hin folgen. Der Vampir würde uns früher oder später eh kriegen.“, sagte Andy zu mir.

„Das stimmt. Vielleicht sollten wir mit dem Auto weg fahren. Vielleicht kann uns der Vampir dann nicht mehr so leicht aufspüren?“

„Keine schlechte Idee. Aber wohin sollen wir fahren und was sollen wir Charlie erzählen?“

Dann kam uns ein Gedanke.

„La Push!“, sagten wir.

„Na, dann los.“, sagte ich.

Ich hatte den Schlüssel des Transporters in meiner Jackentasche. Als wir gerade in Richtung unserer Auffahrt gehen wollten, hörten wir etwas rascheln, dann eine samtweiche Stimme.

„Bella?“ Ich erkannte die Stimme sofort. „Elizabeth! Gut, dass du da bist.“, sagte ich erleichtert uns seufzte.

In der nächsten Sekunde stand sie vor uns. Ihr goldener Blick huschte zwischen Andy und mir hin und her.

„Wer bist du denn?“

„Ich bin Andy, Bellas männliche Variante. Echt nett, dich kennen zu lernen, aber wir müssen weg.“

Elizabeth runzelte die Stirn. „Jetzt verstehe ich“, sagte sie leise zu sich selbst, dann etwas lauter: „Wohin wollt ihr denn?“

Dann fiel mir etwas ein.

„Moment mal, warum bist du eigentlich hier?“, fragten wir gleichzeitig.

Fast lächelte sie. Sie sah mich fragend an.

„Ja, Elli. Ich weiß Bescheid. Sie hat’s mir unbewusst durch unsere Verbindung zueinander gezeigt und mir den Rest dann erzählt.“, antwortete Andy anstatt ich. Jetzt sah sie ihn an.

„Okay, okay. Ich bin hier, um euch von hier wegzubringen. Alice sagte, sie hätte in einer Vision gesehen, wie Bella von einem Vampir getötet wurde. Das komische war, dass sie 2 Bellas gesehen hat.“

Andy grinste. „Tja, in ihrer Vision konnte Alice wohl nicht den Unterschied der Geschlechter sehen.“

Jetzt grinste Elizabeth ihn auch an. „Du gefällst mir, männliche Bella.“, sagte sie anerkennend.

„Danke, Elli. Oh, darf ich Elli zu dir sagen? Elizabeth ist einfach zu lang.“

Sie lachte. „Klar, so nennt mich Emmett auch sehr oft.“

„Hört mal, ihr beiden. Es freut mich ja wirklich, dass ihr zwei euch so gut versteht und ich will euch ja nicht stören, aber wollen wir nicht mal langsam los?“

Ihr Gesicht jetzt ernst. „Natürlich. Entschuldigung.“

„Aber kannst du uns denn beide auf deinem Rücken tragen?“, fragte ich sie. Sie überlegte kurz.

„Das müsste eigentlich gehen. Ich nehme dein Yang auf meinem Rücken und du kletterst auf seinen Rücken. Ist das okay für dich?“, fragte sie Andy.

„Klar.“

„Na dann los.“

Elizabeth nahm Andy mit einer Leichtigkeit auf ihrem Rücken und er klammerte seine Hände fest um ihren Hals und seine Beine um ihren Bauch. Ich seufzte und versuchte nun auf Andys Rücken zu klettern. Es ging zwar etwas unbeholfen von statten, aber schließlich hatte ich es geschafft. Ich umklammerte Andys Brust und machte mich für das „Rennen“ und die Geschwindigkeit innerlich bereit.


„Seid ihr soweit?“, fragte Elizabeth uns.

„Mehr oder weniger.“, erwiderte Andy.

Ich konnte spüren wie er sich etwas fürchtete. Schließlich ist er noch nie mit Vampirgeschwindigkeit fort getragen worden. Die Geschwindigkeit war berauschend. Es war ein Erlebnis, das ich mir immer mit IHM geteilt hatte…

Der Schmerz meldete sich wieder und die Wunde pochte. Doch ich versuchte beides zu ignorieren.

„Haltet euch gut fest und schließt die Augen!“, befahl sie.

„Machen wir.“, sagten wir zusammen.


Elizabeth lachte. Andy und ich kniffen unsere Augen fest zu. Dann flogen wir. Es war sehr seltsam, dieses Gefühl nach all der Zeit wieder zu spüren. Ich dachte, die Wunde würde daraufhin wieder stärker pochen. Aber ich hatte mich getäuscht. Ich verspürte ein Gefühl der Freie und…Glück.

Ja, Glück. Ich wusste einfach nicht warum, denn eigentlich hätte ich erwartet, dass wieder schmerzhafte Erinnerungen in mir aufsteigen, doch der Schmerz blieb aus. Vielleicht, weil diese Geschwindigkeit, wie ein Rausch auf mich wirkte. Ich hätte am liebsten noch länger dieses positive Gefühl verspürt, doch mit den Worten: „Wir sind da. Es ist vorbei, ihr könnt jetzt absteigen.“, entschwand es.


Ich öffnete die Augen, löste langsam meinen Griff von Andys Brust und kletterte sehr langsam wieder hinunter. Doch Andy regte sich nicht.

„Hilf mir mal bitte.“, japste er. Ich musste lächeln.

So hatte ich auch beim ersten Mal reagiert. Elizabeth lachte und löste Andys Griff von ihrem Hals ohne jegliche Anstrengung. Nun schaffte Andy es doch seine Beine von ihr zu lösen, fiel dann aber rücklinks zu Boden. Elizabeth drehte sich zu ihm um und ich sah, wie sie sich ein Lachen verkneifen. Ich reichte meinem Bruder eine Hand und half ihm aufstehen. Dann sah ich, dass wir vor dem Haus der Cullens standen, was hell erleuchtet war.

„Wow.“, brachte Andy nur hervor. „Ein wirklich schöner Anblick.“

Andy betrachtete staunend das offene verglaste Haus.

„Los, lasst uns reingehen.“, sagte Elizabeth aufmunternd zu uns.

„Klar, es wird uns ja schon keiner beißen.“, sagte er trocken. Elizabeth und ich lachten.

„Du gefällst mir von Sekunde zu Sekunde mehr, Kleiner.“

Andy verzog kurz das Gesicht, grinste aber dann Elizabeth an. Sie ging voran, Andy und ich ihr folgend, und öffnete die Tür. Elizabeth trat dann in das Haus ein. Ich folge ihr ein paar Schritte, spürte dann aber Unbehagen. Ich drehte mich zu Andy um und sah, wie er schüchtern vor dem Eingang stand. Ich lächelte ihn an und ging zurück zu ihm.
Für Andy war das ja alles noch ziemlich fremd. Ich hatte ihm zwar so gut wie alles erzählt, aber einen Vampir so nah zu sehen und dann auch noch bei ihnen zu Hause zu sein, war schon etwas anderes.


„Dürfen wir den einfach so eintreten?“, flüsterte er leise und ich sah, wie er etwas rot wurde. „Und so spät noch?“

Oh Gott. Manchmal war mein Bruder einfach zu süß.

„Natürlich. Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen. Elli…“ – Oh Gott, jetzt fing ich auch schon an, sie so zu nennen – „…hat uns doch extra hergebracht. Und wegen der Uhrzeit. Das ist nun kein Problem. Weißt du, Vampire können nicht schlafen. Sie schlafen nie.“, sagte ich ihm.

„Wirklich nie?“, fragte er verwundert.

Ich schüttelte langsam den Kopf. Er dachte kurz darüber nach, dann lächelte er mich an.

„Cool.“ Ich konnte Bewunderung und Neid aus diesem Wort heraus hören.


Ich nahm seine Hand und führte ihn ins Innere des Hauses. Ich sah, dass wir ins Esszimmer gingen, wo ein langer Tisch mit Stühlen stand. Natürlich benutzten die Cullens dieses Zimmer nicht wirklich. Er war nur Requisite für das Menschentheater.
Wir waren noch nicht ganz im Zimmer angekommen, Elli stand mit dem Rücken zu uns. Mehr konnten wir nicht sehen. Dazu waren wir noch zu weit weg. Ich blieb mit Andy stehen, da ich hörte, wie Elli sich mit ihrer Familie unterhielt. Es klang aber wie ein Summen. Denn sie redeten so schnell, dass man kein einziges Wort verstehen konnte.

Plötzlich fühlte ich mich unwohl. Es gefiel wohl den anderen Cullens nicht, dass mein Bruder jetzt auch Bescheid wusste, und das Elli uns wohl oder übel beide mit herbringen musste. Aber was hätte sie denn auch sonst anderes tun sollen? Schließlich war – oder ist – der Vampir hinter uns beiden her. Die Stimmen im Esszimmer verstummten und Elizabeth drehte sich zu uns um.


„Kommt rein, ihr beiden.“, sagte sie und lächelte uns ermutigend zu.

Natürlich kannte sie unsere Gefühle ja. Sie wusste, dass wir nicht aus Angst stehen geblieben waren. Andy und ich atmeten tief durch, gingen gemeinsam ins Esszimmer und stellten uns neben Edwards Schwester hin.

Die anderen Cullens saßen am Tisch und machten große Augen, als sie mich und Andy zusammen sahen. Sie sahen verwundert und verblüfft aus. Ich sah zu Andy, der die Cullens neugierig und fasziniert betrachtete. Er lächelte sie leicht an.


„Darf ich euch vorstellen: Die Swan-Zwillinge Andy und Bella.“, sagte Elizabeth feierlich und durchbrach somit die Stille.

Erklärungen





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Einige Sekunden war es immer noch still. Die Cullens schauten noch immer etwas perplex.

°Haben die noch nie Zwillinge gesehen, auch wenn unser Fall ziemlich selten ist?°

°Was fragst du mich?°, gab ich zurück.

Während unserer „Unterhaltung“ warfen wir uns unauffällige Blicke zu. Andy schmunzelte.

°Schau mal Edward an. Wie der guckt. Einfach zum tot lachen.°

Andy versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Ich sah zu dem anderen Edward, wie er uns – ganz besonders Andy – mit zusammen gekniffenen Augen und angespannten Gesicht anstarrte. Pure Frustration sprach aus seinen Augen. Ich konnte mich nicht mehr zurück halten und prustete los. Die anderen Cullens schauten verdutzt und Edward runzelte die Stirn. Ich lachte so laut, wie ich es seit ewiger Zeit nicht mehr getan hatte. Naja, jedenfalls kam es mir so vor. Es war so ein befreiendes und gutes Gefühl. Ich versuchte es festzuhalten. Kurz darauf stimmte Andy in mein Lachen ein und lachte ebenfalls ein so glückliches Lachen wie ich. Ich wurde mir aber wieder der Situation bewusst und versuchte mich wieder zu fangen, auch wenn es nicht ganz einfach war.


„Entschuldigung, das war gerade nicht sehr angebracht.“, begann Andy immer noch etwas kichernd, „Mein vollständiger Name ist Andrew Thomas Swan, aber nennt mich Andy. Es freut mich, euch kennen zu lernen. Und keine Sorge. Euer Geheimnis ist bei mir sehr sicher.“

Er schaute die Cullens nacheinander an und lächelte freundlich.

„Hallo Andy.“, antwortete Carlisle, stand auf und schritt – in Menschengeschwindigkeit – auf ihn zu.

Er reichte ihm seine Hand und Andy nahm sie ohne zu zögern dankbar an. Er zuckte nicht einen kurzen Moment vor der unnatürlichen Kälte seiner Haut zurück. Carlisle lächelte.

„Mein Name ist Carlisle Cullen. Und das ist meine Familie.“ Er machte eine Geste zu jeder entsprechenden Person, die er namentlich nannte. „Dies ist Esme, meine Frau.“

Sie trat an Carlisles Seite und lächelte Andy liebevoll, wie eine Mutter an, sodass ihre Grübchen zum Vorschein kamen. Andy strahlte sie wie ein kleiner Junge an und nahm auch ihre Hand, die sie ihm hielt. Er war schon im ersten Augenblick von Esmes Wesen verzaubert.

„Hallo Andy. Es freut mich wirklich sehr, dich kennen zu lernen.“, sagte sie.

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“, antworte er immer noch strahlend.

Als ich dieses Bild sah, lächelte ich.

„Dies sind Emmett und Rosalie.“, fuhr Carlisle fort.

Rosalie schaute meinen Bruder fasziniert an, glaubte ich zumindest. Es war schwer für mich ihren Blick zu deuten.
Emmett grinste breit und man konnte seine weißen Zähne deutlich sehen. Er hob die Hand zur Begrüßung und sagte belustigt: „Oh, Man! Jetzt sehe ich schon doppelt.“ Andy lachte.

°Dier Muskelprotz ist mir sehr sympathisch.°, hörte ich.

°Das habe ich mir schon fast gedacht.°

Nun deutete Carlisle auf die letzten beiden, die Andy – zumindest in dieser Welt – noch nicht gesehen hatte. „Das sind Edward und Alice.“

Alice strahlte übers ganze Gesicht und stand in der nächsten Sekunde vor Andy und umarmte ihn fest. „Freut mich dich kennen zu lernen.“, sagte sie überschwänglich.

„Hey, Alice. Ich bin ein Mensch. Wenn du so weiter machst, erdrückst du mich noch.“, brachte Andy atemlos heraus.

Sie gab ihn frei. Andy sah Alice in ihre goldenen lachenden Augen und grinste sie an. „Du bist also die Hellseherin der Familie. Warum konntest du nicht den Geschlechtsunterschied sehen.“ Er warf mir einen Seitenblick zu. „Der ist doch wohl mehr als deutlich zu erkennen.“

Alices Gesichtsausdruck veränderte sich. Vielleicht etwas beschämt. Andy lachte über ihr Gesicht und kurz darauf mussten wir alle lachen. Emmett brüllte am lautesten und auch konnte ich Rosalies Stimme heraus hören.

„Hey, ich habe nie behauptet, dass ich alles sehen kann oder dass ich unfehlbar bin.“, maulte Alice.

„Hey, du gefällst mir.“, hörte ich eine lachende Stimme sagen.

Alice trat ein Schritt zur Seite, damit wir Edward nun sehen konnten, der kurz hinter Alice stand. Es war merkwürdig diese Stimme zu hören. Ich spürte, dass der Schmerz mich bald einholen würde, aber ich versuchte dies zu verhindern, indem ich mir sagte, dass dieser Mann nicht MEIN Edward war. Ich wusste, dass das Wort „mein“ zwar absolut nicht passte, aber was Besseres, um dies auszudrücken, fiel mir nun mal nicht ein. Der Schmerz meldete sich trotzdem, jedoch nicht so stark, wie ich befürchtet hatte.

Einerseits schmerzte es, dieses Gesicht zu sehen und diese Stimme zu hören, die nicht aus meinem Unterbewusstsein kam. Andererseits überkam mich das Gefühl der Befreiung und Freude. Es war alles sehr zwiespältig. Edward stand nun Andy gegenüber und mir fiel jetzt auf, dass beide gleich groß waren. Naja, fast. Andy war vielleicht 2cm größer als Edward. Ich schluckte hart. Er sah Andy freundlich an, aber man konnte eine leichte Spur der Frustration in seinem Blick immer noch erkennen. Andy erwiderte seinen Blick freundlich und belustigt zugleich. Beide schüttelten sich freundschaftlich die Hände zur Begrüßung.


"Du bist also der Gedankenleser.“ Edwards Augen schienen sich zu verdunkeln, als er dies gesagt hatte.

„Ja, das stimmt.“, sagte er langsam und sehr nachdenklich.

Auf einmal sah Andy Edward sehr konzentriert an.

°Hey, was denke ich gerade? Rosarote Babyelefanten mit blauen Punkten.° Ich musste lächeln.

Edward, der Andy ebenfalls konzentriert, aber auch neugierig und frustriert ansah, richtete seinen Blick nun auf mich. Er schaute jetzt noch verwirrter und frustrierter. Andy lachte.

°Oh, blutrünstiger Vampir. Ich habe ja solche Angst vor dir.°, dachte Andy sarkastisch. °Bella, er kann sie wirklich nicht lesen.°, freute er sich.

°Sieht ganz so aus.°

Edwards Blick huschte zwischen uns beiden hin und her. Es schien, als wollte er mit seinem eifersüchtigen Blick zum Schweigen – oder eher zum „Hören“ – bringen. Andy und ich lachten wieder so laut, dass ich glaubte, unser Gelächter würde von den Wänden widerhallen. Die anderen Cullens sahen uns verwirrt an, genau wie Edward.

°Wir sollten es ihnen mal sagen.°, dachte ich.

Als wir uns wieder in Griff hatten, sprach Andy zu Edward. „Tja, echt schade, dass du meine Gedanken nicht lesen kannst.“, sagte er grinsend.

Edward kniff seine Augen zusammen. Seine Miene war immer noch freundlich, wenn auch nicht mehr so wie vorher. Aber dies täuschte. Wenn es darum ging, stand er dem anderen Edward im Nichts nach.

„Ja, das stimmt leider.“, sagte er widerstrebend.

„Wirklich?“, fragte Carlisle faszinierend.

„Ja. Aber das hättet ihr euch ja denken können. Schließlich sind wir Zwillinge.“, sagte er und schaute Carlisle an.

„Sehr interessant. Ich hätte nie gedacht, dass es so was überhaupt gibt. Und dann auch noch mal.“ Er schüttelte den Kopf und lachte. „Es scheint, dass ihr keine gewöhnlichen Menschen seid.“, sagte er nachdenklich zu uns.

Andy und ich warfen uns einen Blick zu.

„Ihr zwei seid anders. Vielleicht hat mein Sohn deshalb keinen Zugriff zu euren Gedanken. Meine Theorie ist, dass ihr so eine Art ‚Schutzschild‘ besitzt, dass euch vor Edwards Gabe beschützt. Eine Art Mauer.“

„Ein Schutzschild?“, fragten wir und der Rest der Cullens gleichzeitig.

„Keine Sorge. Es ist ja nur eine Theorie.“, sagte Carlisle lächelnd. Ihm war deutlich das Interesse an diesem Fakt anzusehen. Ein neues Geheimnis. Etwas Unbekanntes. Aus seinem Blick strahlte die Faszination.

„Gut. Da wir uns ja jetzt alle kennen, ihr über uns Bescheid wisst und Edward sich von diesem Schock erholt hat…“, meldete sich nun Alice zu Wort und sah uns fragend an, während sie Edward einen belustigten Blick zuwarf, den er lächelnd erwiderte, „…hätte ich mal eine Frage an euch, ihr Zwillinge.“

„Klar.“, sagten wir beide. Alice lächelte, dann wurde ihr Gesicht ernst.

„Ich mag vielleicht nicht erkannt haben, dass ihr zwei Junge und Mädchen seid, aber ich habe gesehen, wie ihr beide aus dem Fenster gesprungen seid und gerade fliehen wolltet, als Elizabeth kam. Wieso?“

„Tja, darüber habe ich mich auch gewundert.“, sagte Edwards Schwester nachdenklich.

Jetzt schauten uns alle Cullens spannend und erwartungsvoll an. Andy und ich fühlten uns unbehaglich. Wir mochten es nicht im Mittelpunkt zu stehen. Aber natürlich hatten sie die Wahrheit verdient. Ich beschloss, als erste zu sprechen.

„Also gut. Hört mir jetzt alle gut zu und versucht uns nicht für verrückt zu halten.“

Ich runzelte die Stirn. Warum sollten sie das denn überhaupt tun? Schließlich hat Alice ähnliche Fähigkeiten wie wir, Edward kann Gedanken lesen und Elli kann Gefühle beeinflussen. Sie müssten uns eigentlich alle am besten verstehen. Schließlich waren sie ebenfalls alles andere als „normal.“ Ich schüttelte kurz den Kopf und atmete tief durch. Die Blicke der Cullens ruhten auf uns. Vor allem auf mir. Herr Gott noch mal! Mussten sie mich alle so anstarren?

„Also Andy und ich wir haben übernatürliche Fähigkeiten genau wie ihr. Unsere Fähigkeit ist so ähnlich wie die von Alice.“

Alle machten große Augen, doch Alice‘ Augen schienen am größten zu sein.


„Andy und ich, wir können in unseren Träumen – oder auch im Wachzustand, wenn wir jemanden oder etwas erblicken beziehungsweise berühren – in die verschiedenen Zeiten sehen. Also in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und heute Nacht hatte ich einen Traum, wie ein Vampir in unser Zimmer kam. Er konnte sich nicht entscheiden, welchen er von uns zuerst beißen sollte und hat sich für mich entschieden. Das Besondere an diesem Traum war, dass ich der Vampir war. Ich meine, ich habe alles mit seinen Augen wahrgenommen. Im Traum habe ich gesehen, dass er sich nur auf uns konzentrieren und Charlie in Ruhe lassen würde. Naja, dann bin ich aufgewacht, habe Andy geweckt und wir wollten zusammen fliehen, damit wir nicht vom Vampir gebissen werden.“


Alle Cullens starrten uns an. Es wurde sehr still. Carlisle fand als erster seine Stimme wieder.

„Und wo wolltet ihr denn hin?“ Diesmal war es Andy, der antwortete.

„Naja, wir hatten die Idee nach La Push zu fahren. Ihr wisst ja, weil ja da die Wölfe zu Hause sind. Wir dachten, dass wir da sicher wären.“

„Moment mal! Darüber wisst ihr auch Bescheid?“, fragte Carlisle erstaunt.

„Ja, der andere Jacob in der anderen Welt hat Bella davon erzählt. Allerdings wusste er wahrscheinlich noch nicht, dass diese Legenden der Wahrheit entsprechen. Als ich mit Bella dann hier die Blacks besuchte, fiel Bella die massive Veränderung von Jacob auf. Naja, dann haben wir auf dem Highway vermutlich einen Vampir gesehen, der von einem rotbraunen Wolf verfolgt wurde. Schließlich hat Bella mir erzählt, dass genau dieser Wolf Jacob Black war, weil sie dies in einem Traum gesehen hatte.“


„Und weiß dieser Jacob oder irgendein anderer, dass ihr es wisst?“

„Nein.“, sagte ich.

„Dann wisst ihr also wirklich alles.“, sagte Carlisle leise und nachdenklich. Wir nickten.

„Boah, man ihr seid ja echt cool drauf, ihr zwei.“, sagte Emmett.
„Wenn ihr noch so weiter macht, steckt ihr unsere Hellseherin noch in die Tasche.“, sagte er grinsend.

Alice streckte ihm die Zunge raus. „Habt ihr noch andere Fähigkeiten?“, fragte Alice jetzt doch voller Neugier. In ihrer Stimme konnte ich keine Eifersucht hören, eher Bewunderung.


„Naja, wir können auch Tote sehen und mit ihnen sprechen.“

„Was?“, kam es von den Cullens.

„Soll das etwa heißen, dass ihr ‚Media‘ seid?“, fragte nun Rosalie, ebenfalls erstaunt und neugierig.

„Ja, wenn du so magst.“, antwortete Andy ihr.

„Wow!“, erwiderte Alice nur und sah fast ehrfürchtig an.

Andy platzte fast vor Stolz und nun konnte er sich nicht mehr zurück halten.

„Naja, und dann haben wir noch unsere Zwillingsfähigkeiten. Also, dass wir unsere Gefühle gegenseitig empfinden und dass wir unsere Gedanken gegenseitig hören können und so in der Lage sind, uns per Telepathie zu unterhalten.“


Elizabeth machte große Augen, Edward auch, jedoch spiegelten sich in ihnen Eifersucht und Bewunderung.

„Unglaublich.“, sagte Edward ruhig.

Ich glaubte, dass es ihm etwas schwer fiel, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. Schließlich konnten wir beide genau das, was er leider nicht konnte.


„Wirklich faszinierend.“, sagte Carlisle versonnen.

Von Geistern, Musik und Visionen




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Aber halt.“, meldete sich nun Esme.
„Ihr habt doch gesagt, dass ihr Tote sehen könntet. Seht ihr hier denn welche im Haus?“

Alle richteten ihre Blicke auf Esme, dann wieder zu uns. Andy und ich verließen das Esszimmer und sahen uns in allen Räumen des Untergeschosses um. Die Cullens folgten uns leise.

„Da.“, sagte ich und deutete mit dem Zeigefinger auf dem Boden vor dem Sofa im Wohnzimmer.

„Und was siehst du da?“, fragte Alice nun dicht neben mir.

Sie flüsterte die Worte in mein Ohr. Zu meiner Überraschung erschrak ich nicht. Irgendwie war ich drauf vorbereitet, dass mich aus dem Nichts eine Stimme von meiner Suche beziehungsweise den Geistern ablenkte. Ich war nicht überrascht nur erstaunt. Denn es war kein Mensch, den ich dort sah. Es war ein Tier.

„Dort liegt ein Golden Retriever und schaut mich und…“, ich folgte seinem Blick, „…Emmett an.“

Emmett runzelte die Stirn, sah mich aber nicht so an, als wäre ich geisteskrank.

„Du sagst ein Golden Retriever liegt dort?“

Zu meiner Überraschung war es nicht Emmett, sondern Rosalie, die diese Frage stellte. Ich nickte ihr zu. Emmett schlug sich mit der Hand auf die Stirn.

„Klar, ich weiß, wer das ist. Das ist Addy, mein Hund.“ Andy runzelte die Stirn.

„Du hattest einen Hund?“

„Na sicher!“, sagte er und grinste,
„Wir waren einfach unzertrennlich gewesen. Er wurde aber von einem Bären getötet, kurz bevor er sich mir zuwandte.

„Oh.“, sagten Andy und ich zur selben Zeit.

Jetzt war mir klar, warum Rosalie diese Frage gestellt hatte. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie Emmett vor dem Bären gerettet hatte. Naja, wie sollte sie auch diesen Tag vergessen? Immerhin hat sie an diesem Tag ihren Seelenverwandten getroffen und ihm das Leben gerettet. Andy hatte natürlich auch verstanden, da er meine Gedanken gelesen hatte.


„Der arme Addy.“, seufzte ich.

„Was wieso? Was hat er denn?“, fragte Emmett aufgebracht.
„Ich meine, außer, dass er tot ist.“ Dann schien ihm etwas einzufallen. „Oh, mein Gott! Weiß er etwa nicht, dass er tot ist?“ Andy lächelte Emmett leicht an.

„Doch, das weiß er. Warum glaubst du ist er jetzt hier bei dir und deiner Familie und spukt bei euch rum?“

„Da hast du recht, Andy.“

„Er schaut nur so traurig. Er ist sich bestimmt schon längst bewusst, dass du ihn nicht wahrnehmen kannst. Schließlich gibt’s ja nicht viele, die Geister sehen können. Außerdem sind Tiere so wie so viel sensibler als Menschen.“

"Wegen Addy braucht ihr euch keine Sorgen zu machen“, sagte eine Frauenstimme.


Andy und ich sahen in die Richtung des Hundes und sahen auf einmal eine Frau neben dem Hund sitzen. Sie war schlank, groß und hatte langes blondes gelocktes Haar. Sie erwiderte unseren Blick mit ihren blauen Augen und lächelte uns an. Addy wimmerte leise, doch die Frau kraulte ihn. Sofort schaute der Hund fröhlicher und wedelte mit dem Schwanz.

Ich betrachtete die Frau genauer. Sie strahlte, die gleiche Ruhe und Güte aus wie…Carlisle. Auch im Gesicht konnte man eine kleine Ähnlichkeit zwischen ihnen erkennen. Andy und ich schauten sie mit großen erstaunten Augen an. Das kann doch nicht wahr sein? Sollte diese Frau etwa wirklich…? Sie lachte und sah aus wie ein blonder Engel.


„Recht habt ihr.“, sagte die blonde Frau. „Mein Name ist Emilia Cullen. Ich bin Carlisles Mutter und bin vermutlich im Jahre 1640 gestorben. Ihr braucht euch um den Hund von einem meiner Enkel zu kümmern. Er ist nicht allein. Hier gibt es ja noch viele andere, wie mich.“


Wir waren immer noch verblüfft. Hat sie gerade Emmett als ihren Enkel bezeichnet? Naja, irgendwie waren sie ja alle ihre Enkel. Und Esme ist auf jeden Fall ihre Schwiegertochter. Plötzlich waren Emilia und Emmetts Hund verschwunden.

„WOW!“, brachten Andy und ich nur heraus.

Wir schafften es endlich den Blick von dieser Stelle abzuwenden, drehten uns um und sahen in 7 verwirrte, neugierige und goldene Augenpaare. Andy holte tief Luft.

„Ja, also…Wir haben gerade noch einen Geist gesehen, der sich um deinen Hund, Emmett, kümmert.“

„Aha. Und wen habt ihr gesehen? Wie sah die Person denn aus?“, fragte Emmett neugierig.

„Es war eine Frau, ende 20 vielleicht. Sie war schlank, hatte blaue Augen und lange, blonde lockige Haare.“ Jetzt sah Andy nur Carlisle an, während er weiter sprach. „Sie sagte, sie wäre deine Mutter, Carlisle.“

Carlisle machte große Augen und stand da wie eine Statur. Ein paar Sekunden vergingen und keiner sagte ein Wort. Es sah so aus, als würde die Statue nie mehr zum Leben erwachen.

„Ihr…habt…meine Mutter…gesehen?“, flüsterte er leise und zögerlich. Pures Erstaunen war in seinem Gesicht zu lesen.

„Sie sagte, sie sei 1640 gestorben. Und sie hatte uns auch ihren Namen genannt.“, sagte ich. Carlisles Augen brannten vor Neugier, sagte aber nichts. „Ihr Name war – ist – Emilia Cullen.“

„Emilia Cullen…“, wiederholte Carlisle.

Er sprach diesen Namen fast mit religiöser Anbetung aus. Plötzlich stand Emilia neben Carlisle. Sie lächelte uns, dann ihren Sohn liebevoll an.

„Sie steht jetzt links neben dir.“, flüsterte Andy zu ihm. Carlisle drehte seinen Kopf nach links. Auch alle anderen Cullens schauten in diese Richtung. Doch natürlich konnten sie nichts sehen.

„Was sagt sie?“, fragte Carlisle uns und in seinen Augen würden jetzt bestimmt Tränen glitzern, wenn er weinen könnte.

Wir sahen Emilia an. Sie betrachtete ihren Sohn, während sie zu ihm sprach.

„Sagt ihm, dass ich wirklich sehr stolz auf ihn bin. Was er mit seinem Leben als Vampir angefangen hat, dass er Arzt ist und dabei hilft so viele Menschen wie nur möglich zu retten. Auch bin ich stolz auf seine Familie. Meine Schwiegertochter und meine Enkel. Ich bin stolz auf jeden einzelnen von ihnen. Und ich werde für immer und ewig über sie wachen.“


Sie lächelte uns, dann ihren Sohn und schließlich seine Familie an. Sie küsste Carlisle auf die Wange und war dann im nächsten Moment verschwunden. Carlisle legte seine Hand an die Wange und schluchzte leise.


„Ich habe gerade was gespürt.“, brachte er mühsam heraus.

„Deine Mutter hat dich eben auf die Wange geküsst. Das war es, was du gespürt hast.“, sagte Andy.

„Sie hat gesagt, dass sie auf jeden einzelnen von euch sehr stolz ist. Besonders auf dich, Carlisle. Das du es geschafft hast, trotz allem was du bist, als Arzt zu arbeiten und dabei hilfst, Menschenleben zu retten. Sie findet es schön, dass sie eine so wundervolle Schwiegertochter und Enkel hat.“ Daraufhin lächelten alle Cullens, aber Esme strahlte förmlich bei diesen Worten.
„Zum Schluss sagte sie, dass sie für immer und ewig über euch wachen wird.“, schloss Andy.

Einige Sekunden war es still.

„Vielen, vielen Dank.“, sagte Carlisle nun wieder mit fester Stimme und glühenden Augen. Er lächelte uns an. „Und, seht ihr hier noch andere Geister?“, fragte er schließlich im lockeren Ton.


Andy und ich sahen uns nur kurz um, verneinten die Frage aber. Ich kam mir dabei zwar etwas taktlos vor, aber ich musste sie jetzt einfach danach fragen.

„Also ich wollte mich nochmal bei euch bedanken, dass ihr uns heute Nacht vor dem Vampir gerettet habt.“, sprach ich freundlich vorher. Ich wollte ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. „Aber was ist mit dem Vampir? Ich meine, wird er nicht wieder kommen? Ihr könnt uns ja nicht jede Nacht zu euch bringen?“

Andy sah mich an, sah dann wie ich die Cullens an und nickte bestätigend. Alice lachte.

„Was denn, habt ihr das etwa nicht voraus gesehen?“, scherzte sie. „Nein, dieser Vampir ist nur auf der Durchreise. Er wird Forks heute Nacht verlassen ohne jemanden etwas anzutun.“ Ich war erleichtert.

„Puh, dann ist ja gut.“, kam es von Andy.


Dann blickte er sich erneut im Haus um und erblickte den Flügel von…Edward. Er schritt bedächtig auf ihn zu, als wäre ein Heiligtum. Die anderen Cullens standen nur da und beobachteten ihn fasziniert. Nicht einmal Edward rührte sich, was mich etwas wunderte, schließlich war es sein Musikinstrument. Ich starrte wieder gebannt zu meinem Bruder und fragte mich, was er jetzt tat.

Er setzte sich auf dem Hocker und schlug leicht mit seinem rechten Zeigefinger einen Ton an. Er verstummte. Keiner auch nur sagte ein Wort. Dann schlug er einen anderen an, dann wieder einen und wieder einen. Dann ließ er beide Hände über die Tasten des Flügels schweben und atmete tief durch. Und dann begann er zu spielen. Erst zögerlich, unsicher, als wüsste er nicht genau, welchen Ton er als nächstes spielen sollte oder ob er überhaupt den richtigen Ton gerade gespielt hatte.

Doch je länger er spielte, desto sicherer wurde er. Die Töne gingen schließlich fließend ineinander über und es entstand eine wunderschöne Melodie. Ich schloss die Augen und lauschte diesen Klängen. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als Andy schließlich den letzten Ton verstummen ließ.


„Bella, Liebes. Alles in Ordnung?“

Das war Esmes Stimme, die ich neben mir hörte. Ich schlug die Augen wieder auf. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen. Erst jetzt war mir bewusst, dass ich leise schluchzte. Natürlich war mir der Grund dafür bewusst. Denn jetzt pochte die Wunde beinahe wieder so stark, wie in der ersten Woche. Aber ich schlang nicht die Arme um meine Brust. Ich ließ ihn zu. Er war zwar sehr stark, zerriss mich aber nicht. Denn es war irgendwo ein himmlischer Schmerz. Himmlisch deshalb, weil ich dieses Lied hören durfte.

Es war das Lied, was ER für mich komponiert hatte. Mein Schlaflied. Mein Lied, das ich hörte, als ich zum ersten Mal bei den Cullens zu Besuch war. Mein Lied, das er wir auf CD brannte und mir zu meinem Geburtstag geschenkt hatte. Die Erinnerung hatte mich nun komplett eingeholt. Sie war schmerzhaft, aber durch die Musik auch schön. Ich versuchte mich wieder zu fangen, brauchte aber dafür einige Zeit. Andy stand nun vor mir und die Cullens ebenfalls. Alle sahen mich besorgt an.


„Woher kennst du dieses Lied?“, fragte ich leise.

„Ich habe es zweimal in meinem Kopf gehört. Ich fand es so schön, dass ich es einfach nicht vergessen konnte. Als ich diesen Flügel sah, ließ ich jeden einzelnen Ton innerlich aufklingen, sodass ich doch tatsächlich in der Lage war, es auf dem Flügel zu spielen.“, sagte er stolz und verwundert.

Andy konnte also nicht wirklich Klavier spielen. War unsere Verbindung so stark, dass er sogar das Lied gehört hatte? Die Antwort lautete: Ja.

„Erstaunlich, Andy. Ich habe dieses Lied noch nie gehört, aber es ist wunderschön.“, sagte Edward anerkennend.

Ich sah Edwards fragenden Blick und erklärte: „Dieses Lied hat der andere Edward für mich komponiert. Durch unsere Verbindung hat es Andy wahrscheinlich gehört.“

Andy sah mich entschuldigend an. Ich lächelte ihn an. Er sollte sich deswegen keine Vorwürfe machen. Irgendwo war es ja schön.

„Oh, tut mir wirklich leid. Das war unverzeihlich.“, sagte Edward an mich gerichtet.

„Mach‘ dir darüber keine Gedanken. Es war sehr schön, dieses Lied zu hören.“


Ich lächelte nun auch ihn an, doch er sah nicht überzeugt aus. Die anderen Cullens lächelten mich nun ebenfalls an, doch ich konnte die Besorgnis in ihren Blicken erkennen. Sogar in Rosalies. War es möglich, dass diese Rosalie hier mich nicht abgrundtief hasste? Dass sie mich vielleicht möglicherweise mögen könnte? Es sah fast so aus. Nur zeigte es - oder redete sie – vielleicht nicht so offen darüber. Vielleicht konnte sie es nicht, weil das nicht ihre Art war.


Andy sah mich an und nahm meine Hand. Doch im nächsten Moment zuckte er zusammen und wich zurück. Ich starrte ihn erschrocken an.


„Andy, was hast du?“, fragte Elizabeth.


„Ich…Ich habe gerade etwas gesehen.“, brachte er fassungslos heraus.

Eine schlechte Nachricht




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Ich habe den Vampir gesehen.“ Sein Blick galt nun Alice, die ihn fragend und ernst erwiderte. „Er wird Forks heute nicht verlassen. Jedenfalls nicht wirklich.“

„Was wird er tun?“, kam es nun von Carlisle. Er war jetzt ganz bei der Sache, als würde er mit Alice reden. Ich sah wieder meinen Bruder an. Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Er wird heute Nacht nach La Push ins Quileute-Reservat gehen und einen Bewohner dort töten. Vielleicht auch mehrere. Ich weiß es nicht.“

„Wow, die zwei haben echt mehr drauf als du, kleine Schwester.“, kam es von Emmett.

Alice sah ihn mit einem Blick an, als wollte sie ihn töten. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich vielleicht darüber lachen können.

„Was meint unser Muskelprotz damit?“, fragte Andy.

Nun konnten wir anderen doch ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken, aber das verschwand gleich wieder.

Emmett sagte daraufhin leicht pikiert: „Was? Wie hast du mich genannt?“

Man sah ihm an, dass er es Andy aber nicht übel nahm. Emmett sah so aus, als wollte er noch mehr sagen, aber Alice hob eine Hand, bedeutete ihm zu schweigen und sagte, ohne den Blick von Andy abzuwenden: „Klappe!“ Emmett verstummte.

„Weißt du, ich kann die Werwölfe und deren Gebiet nicht sehen. Es ist als wäre ich blind.“

„Aha.“, sagten Andy und ich langsam.

„Wir müssen sie warnen.“, sprach Andy. „Wir müssen sofort nach La Push.“ Carlisle nickte.


Die anderen sahen besorgt und irgendwie etwas widerwillig aus. Wahrscheinlich widerstrebte es ihnen etwas ihren natürlichen Feinden zu helfen. Aber darüber konnten sie sich schließlich immer noch ärgern. Es ging hier schließlich um Menschenleben. Ganz egal, auf wessen Territorium gemordet wird.


„Ich fahre euch hin.“, meldete sich Edward und seine Stimme klang entschlossen.

Carlisle und Esme sahen ihn dankbar an, er nickte ihnen zu. Er ging hinaus aus dem Haus und wir zwei folgten ihm. Es war zwar dunkel, trotzdem konnten wir erkennen, dass Edward uns zur Garage führte. Er machte vor seinem Wagen halt. Ein silberfarbener Volvo. Typisch.

„Steigt ein.“, sagte Edward ruhig.

Ich wollte nicht neben ihm sitzen. Dazu fühlte ich mich nicht stark genug. Die Erinnerung mit der Musik hat mich all meine Kräfte gekostet. Andy spürte mein Unwohlsein, sah mich an und nickte. Er stieg zur Beifahrerseite ein, ich hinten.

„Schnallt euch lieber an.“, riet er, „Die Fahrt könnte etwas holprig werden.“


Natürlich, und wie holprig sie wird, dachte ich. Wir taten das, was uns gesagt wurde und Edward startete den Motor. Er ließ ihn kurz aufheulen und schoss in rasender Geschwindigkeit aus der Garage. Im Auto merkte man davon glücklicherweise nichts. Man fühlte sich sicher. Während der Fahrt sprach niemand ein Wort. Auch Andy beschwerte sich nicht über die Geschwindigkeit. Nach ein paar Minuten hielten wir an.


„Was ist los?“, fragte Andy Edward. „Wir müssen weiter.“, sagte er eindringlich.

„Ich kann nicht weiter fahren. Hier ist die Grenze. Wenn ich sie übertreten würde, wäre das gegen den Vertrag.“, antwortete er.

„Ach ja. Das habe ich vergessen.“, stöhnte Andy.

„Aber was machen wir denn jetzt?“, fragte ich.

Edward sah mich durch den Rückspiegel an. „Jemand kommt gleich hierher. Alice muss mit jemanden Kontakt aufgenommen haben.“


Andy und ich seufzten erleichtert. Ach, auf Alice konnte man sich immer verlassen. Egal in welcher Welt. Wir sahen dann nach kurzer Zeit das Licht von Scheinwerfern und dann ein Auto, das vor uns anhielt. Natürlich mit einem entsprechenden Abstand voneinander. Andy seufzte. Er wusste, wer dort kam.


„Soll ich nicht lieber noch hier bleiben?“, fragte Edward besorgt. „Werwölfe sind gefährlich.“

Andy sah Edward an und ich sah ihn lächeln. „Keine Sorge, fahr‘ ruhig. Ich weiß, dass uns nichts passieren wird.“

Er schaute Edward mit einem Blick an, der überzeugen sollte. Edward zögerte kurz, sagte dann aber: „Na gut. Wenn irgendetwas ist, ruft an.“ Seine Stimme klang missbilligend und widerstrebend.

Er reichte Andy ein Handy, der es in die Hosentasche steckte. „Danke fürs Herfahren.“ Andy öffnete die Beifahrertür und stieg aus.

„Ich danke dir ebenfalls.“, sagte ich ernsthaft und verließ ebenso das Auto.


Andy und ich gingen ein paar Schritte, dann hörten wir Reifenquietschen. Wir drehten uns um und sahen den Volvo, wie er blitzschnell davon fuhr. Wir drehten uns wieder zum Auto um, aus dem nun Jacob ausstieg. Er sah verwundert aus.

„Was macht ihr hier?“, fragte er eine Spur leicht gereizt.

Alice hatte ihn wohl nur hierher bestellt, aber nicht den Grund für das Treffen verraten. Wir schritten auf Jacob zu.

„Hör‘ mir jetzt gut zu.“, sagte ich. Ich merkte, wie meine Stimme scharf wurde. „Wir haben übernatürliche Fähigkeiten.“, sagte ich kurz. „Und wir haben gesehen, wie ein Vampir heute Nacht nach La Push kommen und Menschen töten wird. Wir sind hergekommen, um euch zu warnen.“

Jacobs Miene verfinsterte sich und seine Augen waren vor Überraschung weit geöffnet. Dann kniff er sie wieder zusammen.

„Das ist kein Witz, oder?“, brachte er zischend hervor. Wir schüttelten den Kopf.

„Sehen wir so aus, als würden wir Scherze machen?“, fragte Andy sarkastisch.

Dann trat ein vorsichtiger, fragender Ausdruck auf Jacobs Gesicht.

„Ja, wir wissen alles. Wir wissen, dass es Vampire gibt und die Cullens gibt. Wir wissen von dem Vertrag zwischen euch und ihnen. Und wir wissen, dass ihr euch in Werwölfe verwandeln könnt und du einer des Rudels in La Push bist.“, sagte ich etwas genervt.

Jacob war verblüfft, aber auch wütend. „Wer hat euch davon erzählt?“

Seine Hände begannen zu zittern und seine Wut steigerte sich. Andy und ich sahen uns an, dann nickte er mir zu.

„Also, um ehrlich zu sein…du.“, sagte ich.

Augenblicklich hörte das Zittern auf. Seine Augen wurden so groß, dass man dachte, sie würden ihm gleich heraus fallen.

„Nein, das habe ich nicht. Nicht dir und auch nicht deinem Bruder. Ganz sicher.“ Er sah sehr verwirrt aus. Ich holte tief Luft. „Jacob.“, sagte ich, „Höre mir jetzt genau zu und unterbrich mich nicht!“

Jacob sah mich an, dann nickte er langsam. „Das hört sich jetzt verrückt an, aber es ist die Wahrheit. Du weißt, dass ich 11 Jahre spurlos verschwunden bin.“

Wieder nickte er, gespannt was ich ihm jetzt erzählen würde.

„Ich war die letzten 11 Jahre in einer Parallelwelt.“

Jacobs Augen weiteten sich, er runzelte die Stirn, öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Ich hob die Hand.

„Keine Unterbrechungen!“, sagte ich noch einmal. „Es ist genauso eine Welt wie diese, in der es dieselben Personen gibt. Aber trotzdem unterscheiden sie sich sehr stark voneinander. Weißt du noch, als wir bei euch waren und ich Rebecca fragte, wo ihr Mann sei?“

Jacob starrte mich geschockt an, nickte nur. „Das habe ich gefragt, weil Rebecca in der anderen Welt verheiratet ist. Sie lebt jetzt auf Hawaii. Oder ein anderes Beispiel: In dieser Welt ist Billy gestorben, in der anderen Welt Sarah.“

„WAS?“, brüllte Jacob mit wütender und schmerzerfüllter Stimme. „Meine Mutter ist tot?“, fragte er ungläubig.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht deine Mutter. Die Mutter des anderen Jacobs in der anderen Welt. Dieser Jacob hat mir auch die Legenden von eurem Stamm und auch von dem Vertag erzählt. Aber dieser Jacob glaubt nicht an diese Geschichten. Bei ihm hat höchstwahrscheinlich noch keine Verwandlung zum Werwolf stattgefunden.“


Eine Weile war es still, bis auf das Brummen des Motors. Jacobs geschockter Blick wich einem nachdenklichen. Keiner sagte etwas.

„Also, nur damit ich das auch wirklich kapiere. Du sagst, es gibt eine zweite Welt, in der Doppelgänger leben, die genau aussehen wie wir alle. Und mein Doppelgänger hat dir unser Geheimnis verraten, weil er es für Schwachsinn hielt.“, sagte Jacob langsam.

„Genau.“, sagte Andy.

„Du warst doch bestimmt vorher auch so, oder nicht?“

Jacob runzelte die Stirn und antwortete widerstrebend: „Ja, das stimmt.“

„Moment mal.“, sagte ich dann, „Wenn es Billy hier seit 6 Jahren nicht mehr gibt, wer hat dir dann die Geschichten erzählt?“

Jacob zuckte bei meinem Worten zusammen.

„Entschuldige.“, sagte ich beschämt.

„Schon o.k.“, widersprach er mir, ohne Wut in der Stimme. „Billy hat mir immer schon die Legenden erzählt. Nach seinem Tod hat das Old Quil immer gemacht.“

„Old Quil?“, fragte Andy.

„Ja, er ist der Großvater von einem meiner Freunde.“

„Quil Atera.“, erwiderten Andy und ich darauf trocken. Logisch, wer sonst. Dann sah Jacobs Miene wieder ernst und nachdenklich aus.

„Auch wenn ich mich selber für verrückt halten werde. Ich glaube euch. Auch wenn es völlig verrückt klingt, kann es nur die Erklärung sein. Schließlich warst du, Bella, 11 Jahre lang verschollen. Und du, Andy, hast erst seit über einem Jahr angefangen, mit unserer Familie Zeit zu verbringen.“

Jacob schüttelte den Kopf. „Dann sah er uns wieder an und seine Stimme klang geschäftsmäßig. „Also. Ihr habt also vorhergesehen…“, er verzog etwas das Gesicht, „…das ein Blutsauger in unserer Territorium kommt. Ich werde eure Warnung ernst nehmen und erst mal die anderen zusammen rufen.

„Danke.“, sagte Andy und lächelte. Jacob grinste ihn an.

„Endlich ist hier mal wieder was los“, sagte er und klang richtig euphorisch.

„Warte mal. Kannst du uns nicht nach La Push mitnehmen?“, bat ich.

„Klar.“, sagte Jacob prompt. „Das hätte ich sowieso gemacht. Da seid ihr im Moment am sichersten. Steigt erst mal ein.“


Wir gingen gerade alle ein paar Schritte zum Wagen, als uns Jacobs laute Worte „Mist! Er kommt!“ alarmierten.

„Steigt ins Auto und fahrt sofort nach La Push!“, brüllte er uns entgegen.

Wir stiegen ins Auto, aber fuhren nicht los.

Der Kampf





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Plötzlich sahen wir vor uns einen rotbraunen Wolf stehen. Sein Fell sträubte sich und knurrte bedrohlich, so laut, dass wir es sogar im Wagen hören konnten. Ich hätte am liebsten Andy zugeschrien, er solle endlich los fahren, doch meine Lippen brachten keine Worte heraus. Ich war gebannt und wie erstarrt. Andy schien es ebenso zu gehen wie mir, denn auch er rührte keinen Finger. Er starrte nur gebannt den Wolf an. Zum Glück konnten wir ja wenigstens etwas mithilfe der Scheinwerfer sehen.


Dann sahen wir etwas Schwarzes sich blitzschnell bewegen. Im nächsten Moment wurde Jacob zur Seite gestoßen und ein Vampir mit roten, starren Augen sah uns begierig an. Ich riss die Augen weit auf, unfähig zu atmen. Ich spürte, dass das Adrenalin in mir pochte. Aber ich rührte mich nicht. Ich sah nur den Vampir gebannt in die Augen. Er bleckte seine Zähne, fuhr mit seiner Zunge langsam – fast genüsslich – über sie und grinste und düster an. Immer noch rührte ich mich nicht. Andy ebenso wenig.

Erst jetzt wurde mir wieder bewusst, wie gefährlich Vampire sein können. Ein Gefühl, das ich seit letztem Frühling in Phoenix in der anderen Welt nicht mehr gespürt hatte.
Ja, ich hatte wirklich Angst. Aber diese Angst war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich empfand, als ER mich verlassen hatte. Der Vampir spannte seine Muskeln an, als wollte er sich zum Sprung auf seine Beute bereit machen. Dann schoss der Wolf aus der Dunkelheit ins Licht der Scheinwerfer und stieß den Vampir zurück. Ich hörte ein Geräusch. Es war allerdings sehr leise, wegen des noch laufenden Motors. Es klang wie ein Knurren. Nein, es waren 2 Knurrgeräusche.

Der Vampir schoss wieder auf dem Wolf zu, griff seinen Hals und warf ihn rücklings zu Boden. Ein ohrenbetäubender Knall war zu hören. Er richtete seinen Blick wieder auf uns, seine Augen rasend vor Durst. Jacob kam wieder auf die Füße, sprang, und biss dem Vampir in seinem linken Oberarm. Er hatte seine Deckung vernachlässigt. Wahrscheinlich war er zu sehr von seiner Beute abgelenkt worden. Jacob schüttelte den Kopf ein Reißen war zu hören.

Er hatte dem Vampir den linken Arm abgerissen. Der Vampir schrie vor Schmerz auf und ich dachte mein Trommelfell würde platzen. Der Vampir sah in die Richtung von Jacob und fletschte seine Zähne. Ich konnte nur Umrisse erkennen. Jacob war zu weit weg. Ein wildes entferntes Knurren war zu hören. Dann verschwand der Vampir aus unserem Blickfeld und wir sahen nichts mehr, außer die Straße. Dann hörten wir kurze Zeit später Knacken, Reißen und Schreie. Immer noch wie erstarrt, blickten Andy und ich auf die Straße vor uns. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, als jemand an die Fahrertür klopfte. Andy und ich zuckten vor Schreck zusammen und stießen kleine Schreckenslaute aus.


Wir sahen zur Fensterscheibe und erblickten Jacob in Menschengestalt vor uns stehen. Wir starrten ihn einige Sekunden lang an, dann besann sich Andy und öffnete die Tür. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Andy die Türen verriegelt hatte. Andy stieg langsam und zögerlich aus und ich tat dasselbe. Andy und ich hatten uns wieder einigermaßen gefangen und ich spürte, wie das Blut wieder in mein Gesicht zurück floss. Am Himmel sah ich, wie die Sonne langsam aufging. Die Morgendämmerung setzte also allmählich ein.


Jacob schaute uns wütend an. „Warum seid ihr nicht weggefahren?“ Er schleuderte uns seine Wut entgegen.

Jetzt sah Andy ebenso wütend aus. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so gesehen. „Hey kein Grund uns so anzubrüllen!“, gab er zurück. „Wir waren einfach zu erstarrt und hatten zu viel Angst, als dass wir auch nur einen Finger hätten bewegen können!“

Jacob beruhigte sich langsam wieder. Seine Miene hellte sich auf.

„Entschuldige. Das muss für euch alles sehr schockierend gewesen sein. Geht’s euch denn gut?“

„Eigentlich…schon.“, erwiderte ich. Das stimme sogar.

„Prima.“, bestätigte Andy.

Jacob runzelte die Stirn und sah uns zweifelnd an. Dann schaute Jacob zum Himmel. „Es ist wohl besser, wenn ich euch nach Hause fahre. Wir wollen ja nicht, dass Charlie eure Betten leer vorfindet.“

„Charlie…“, sagten wir beide. Jetzt fiel mir ein, dass es ihn neben Werwölfen und Vampiren auch noch gab.


In den letzten Tagen ist einfach zu viel passiert, sagte ich mir.

„Los, ihr beiden, steigt ein. Ich fahre.“, bestimmte Jacob.

Wir stiegen – immer noch etwas benommen – in den Wagen und Jacob fuhr uns schweigend nach Hause. Als wir angekommen waren, war es wieder etwas heller geworden. Nun konnte man deutlich mehr erkennen. Wie spät es wohl war. Erstaunlicherweise waren Andy und ich nicht so müde, wie wir eigentlich hätten sein müssen. Wahrscheinlich weil wir erst neulich ein paar Stunden durch geschlafen hatten, nachdem wir aus Texas zurückgekommen sind. Wir standen vor unserem Haus und stiegen aus dem Wagen aus.


„Wie kommt ihr denn unbemerkt in die Wohnung?“, fragte Jacob uns.

„Ganz einfach. Wir haben mein Fenster offen gelassen und hinter dem Haus steht eine Leiter.“, antwortete mein Bruder.

Jacob nickte, dann grinste er auf einmal breit und umarmte Andy fest. „Danke, dass ihr uns gewarnt habt. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn dieser eine Blutsauger nicht angerufen hätte und sagte, dass ihr beide mir etwas Wichtiges zu sagen habt.“

Er gab Andy frei, trat auf mich zu und schlang mir nun seine Arme um meinen Körper. „Dir auch vielen Dank, Bella. Ich bin so froh, dass du wieder da bist.“


Seine Worte wurden leiser. Ich konnte mich nicht auf sie konzentrieren. Ich spürte wieder diese Hitze auf meiner Haut. Diese unangenehme Hitze. Dann sah ich wieder die Bilder in meinem Kopf, die ich so sehr verdrängt hatte. In mir kroch Angst hoch und ich zuckte zusammen. Panik erklomm mich.

„Jacob, lass‘ mich los!“, schrie ich zitternd in seinen Armen. Die Hitze überwältigte mich.

„Wieso? Bella, was hast du denn?“, fragte Jacob verwundert und besorgt, aber er hatte mich noch immer nicht los gelassen.

Die Hitze brannte auf meiner Haut und hinterließ schmerzhafte Wunden. Ich wurde immer panischer. Ich wollte, dass er mich aus seinem Käfig endlich frei gab. Jede Sekunde länger schmerzte umso mehr.


„LASS MICH LOS!“, schrie ich mit schriller Stimme.


Die Hitze umhüllte mich. Ich konnte nicht fliehen.

„Nun mach‘ endlich!“, hörte ich Andy sagen.

Plötzlich war sie verschwunden. Ich konnte wieder wirklich sehen. Jacob hatte mich endlich nach einer Ewigkeit frei gegeben. Mein schneller Atem, beruhigte sich langsam. Allmählich fing ich mich wieder. Andy nahm meine Hand und sah mich besorgt an.

„Bella, was ist mit dir?“, fragte Jacob jetzt noch besorgter.

Eine Weile sagte ich nichts. Dann sah ich ihn an und lächelte leicht. „Es geht mir gut.“ Ich hatte Jacob – und Andy – nicht überzeugt. Jacob runzelte die Stirn und sah mich zweifelnd an.

„Bella, du hattest gerade…ich weiß nicht…fast so was wie einen hysterischen Anfall. Du warst völlig panisch.“

Ich lachte über seine Bemerkung und es klang mehr als falsch. „Ich glaube, da bildest du dir was ein, Jake.“, erwiderte ich. „Es geht mir gut, wirklich.“

Jacob sah alles andere als überzeugt aus, doch er beließ es dabei. „Wenn du meinst.“, sagte er widerstrebend.

„Los, komm.“, sprach ich zu Andy. „Charlie wird bestimmt bald aufwachen.“

Er nickte besorgt und wandte sich zu Jacob. „Also Jake, danke für alles heute Nacht.“ Jacob grinste, aber ich konnte noch immer die Sorge um mich in seinem Blick erkennen.

„Das ist unser Job.“, sagte er lässig.

„Dann Tschau, Jake.“, sagte ich zu ihm und versuchte ihn anzulächeln, aber mein Gesicht verzog sich eher zu einer Grimasse.

Jacob lächelte mich an und winkte uns zum Abschied, bevor er in sein Auto stieg und davon fuhr.

„Jetzt aber schnell!“, mahnte ich.

Andy und ich gingen zur seitlichen Wand des Hauses, wo sich Andys offenes Fenster befand.

„Warte hier.“ Andy verschwand, holte eine Leiter und stellte sie gegen die Wand.

Ich fragte mich, woher er die Leiter wohl hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, dass es in der Nähe des anderen Hauses eine Leiter gab. Ich seufzte und zuckte mit den Schultern. Andy kletterte zuerst die Leiter hoch und hielt sich fest, während er erst ein Bein, dann das andere langsam ins Zimmer hinein hob. Als er drin war, schaute er aus dem Fenster zu mir herab.


„Jetzt du.“


Ich kletterte langsam die Leiter hinauf, bis ich beim Fenster angekommen war. Er half mir ins Zimmer hinein. Gott, war ich froh, wieder hier zu sein. Andy schloss das Fenster und zog die Vorhänge hervor, sodass man nicht mehr die Leiter sehen konnte. Wir hörten Charlies Schnarchen. Er schlief also noch. Wir grinsten uns an und liefen dann die Treppe hinunter in den Hausflur, wo wir unsere Jacken an die Hacken hingen uns unsere Schuhe auszogen. Dann kehrten wir nach oben in Andys Zimmer zurück.

Wir legten uns in unsere Betten und es war uns völlig egal, dass wir angezogen waren. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war 4.13 Uhr. Wir würden sowieso bald wieder aufstehen müssen. Ich gähnte und merkte, dass ich doch tatsächlich so müde war, um einzuschlafen. Andy gähnte auch.

„Bella, geht es dir auch wirklich gut?“, fragte Andy leise und besorgt.

Mir kam wieder das unangenehme Gefühl in den Sinn und diese schreckliche Hitze. Vor allem aber die Bilder aus meiner Vergangenheit.

„Ich weiß nicht genau.“, antwortete ich ausweichend. „Ich denke schon.“, sagte ich um ihn zu besänftigen.

Dann sagte keiner etwas und wir warteten auf dem – wenn auch sehr kurzen – Schlaf.

Als ich schon fast versunken war, fiel mir ein, dass wir den Cullens Bescheid geben mussten, dass es uns gut geht. Aber sicherlich, sagte ich mir, hatte Alice uns längst schon wieder zufrieden und unverletzt in unseren Betten gesehen. Ich seufzte und überließ mich dem Schlaf.

Die Einladung




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Der Wecker klingelte. Ich rekelte mich und brummte vor mich hin. Die Nacht war eindeutig zu kurz gewesen. Ich hörte Andy aufstehen und den Wecker ausschalten. Er gähnte.

„Komm Ying, Aufstehen.“

„Mhhh….“, kam es nur von mir.

Andy zog mir die Bettdecke weg. Ich reckte mich und schlug die Augen auf.

„Okay Yang.“, sagte ich.

Ich stand auf und ging ins Bad um mich frisch zu machen und mir die Haare zu waschen und zu föhnen. Andy tat das Gleiche, nachdem ich fertig war. Wenigstens mussten wir uns nicht anziehen und so waren wir viel früher fertig als sonst. Und ich fühlte mich ziemlich wach. Wir gingen gemeinsam die Treppe hinunter in die Küche. Charlie war schon weg. Ein Glück. Jedoch konnte er es einfach nicht lassen, uns einen Zettel zu schreiben:


Hey, ihr Zwei.
Geht heute ja in die Schule.
lch kriege es früher oder später sowieso raus, wenn ihr nicht da wart.
Habt einen schönen ersten Tag.
Ich hab‘ euch lieb.

Charlie


Wir seufzten. „Wenn der wüsste, was letzte Nacht passiert ist.“, brachte Andy gähnend heraus.

„Sei lieber froh, dass er es nicht weiß.“, lachte ich.


Wir machten uns Frühstück und aßen schweigend unsere Cornflakes. Wir hingen unseren jeweiligen Gedanken über die letzte Nacht nach. Erst dieser Traum, dann die Rettungsaktion, das Treffen bei den Cullens und mit Jacob, das Lied und der Kampf zwischen Werwolf und Vampir. Ja, es ist wirklich sehr viel passiert in der letzten Nacht. Nachdem wir die Küche sauber hinterlassen und unsere Jacken und Schuhe angezogen hatten, klopfte es dreimal an der Haustür.

Andy und ich blickten uns verwundert an, dann öffnete ich die Tür. Edward stand vor der Tür und lächelte uns an. Mein Herz machte einen Sprung, doch der Schmerz war kaum zu spüren. Vielleicht hatte ich mich langsam damit abgefunden, dass dieser Edward nicht MEIN Edward war.


„Morgen ihr zwei, wie war eure Nacht? Gut geschlafen.“

„Super.“, sagte Andy enthusiastisch.

°Wenn du wüsstest…°, dachte ich.

„Warum bist du hier?“, fragte ich ihn laut.

„Naja, ich dachte mir, dass ihr vielleicht mit uns fahren wollt.“

Uns? Hat er gerade uns gesagt? Sonst hat ER mich immer allein von Zuhause abgeholt.

„Klar danke.“, sagten Andy und ich gleichzeitig. Edward lachte.

„Na dann, kommt mit.“

Wir gingen hinaus und Andy schloss die Haustür ab. Es war noch leicht neblig an diesem Morgen aber wenigstens regnete es nicht. Zumindest jetzt nicht. Wir folgten Edward ein kleines Stück und sahen nun den Volvo auf unserer Auffahrt stehen.

„Passen wir überhaupt da noch rein?“, fragte Andy ungläubig.

„Sonst wäre ich ja nicht hier, oder?“, sagte Edward belustigt.

Wir stiegen in seinen Volvo ein und Edward nahm seinen Platz als Fahrer in Anspruch. Drinnen saßen nun Edward, Alice neben ihm als Beifahrerin, und auf dem Rücksitz neben uns Elizabeth und Rosalie, die auf Emmetts Schoß saß. Es war zwar etwas eng, aber es ging. Seltsam. Schließlich hatte ich dieses Auto noch nie so voll gesehen.

„Morgen. Hoffentlich hattet ihr eine schöne Nacht:“, begrüßten wir sie alle im Wagen. Sie lachten.

„Sicher, ihr Zwillinge.“, kam es grinsend von Emmett.

Edward startete den Motor und fuhr – natürlich immer viel zu schnell – los. Alice drehte sich zu uns um und fragte: „Und, wie war eure Nacht?“

Sie versuchte beiläufig zu klingen, aber natürlich durschauten wir sie. Andy und ich versuchten uns nichts anmerken zu lassen.

„Wie jede andere auch.“, antwortete ich locker.

„Schön.“, sagte Alice fröhlich. Doch dies täuschte.


Den Rest der kurzen Zeit schwiegen alle. Ich war nur sehr erstaunt, wie es 5 Vampire mit 2 Menschen auf so engen Raum aushalten konnten. Wir waren bei der Schule angekommen, bedankten uns für das Mitnehmen und stiegen aus. Wir waren auf dem Weg zur Miss Cope, um uns unsere Stundenpläne geben zu lassen. Den Plan für die Räume brauchte ich ja glücklicherweise nicht mehr.

Andy und ich gingen in einen warm belüfteten Raum, indem ein paar Pflanzen und ein Empfangstresen standen. Dahinter war Miss Cope, die mit Papierkram beschäftigt zu sein schien. Wir traten an den Tresen.

„Miss Cope?“, fragte Andy höflich.

Sie sah auf und erschrak ein wenig, als sie uns beide zusammen sah. Ich lächelte. „Ah, sie sind bestimmt die Zwillinge von Chef Swan. Meine Güte, sie sehen sich aber ähnlich.“, sagte sie etwas perplex. Andy lächelte sie nur an. „Ja, warten sie beide bitte einen Moment.“

Sie kramten in Papieren rum, bis sie das fand, wonach sie gesucht hatte. Sie gab uns unsere Stundenpläne. „Hier, bitte sehr. Und hier sind auch noch Lagepläne für die Schule.“

„Nein, das ist nicht nötig.“, sagte ich, als sie uns die Pläne überreichen wollte. Andy warf mir einen Blick zu.

„Okay.“, sagte Miss Cope etwas verblüfft. „Dann wünsche ich euch beiden einen schönen Tag.“

„Danke sehr.“, antwortete ich und ging mit Andy zusammen hinaus.

Wir blieben draußen stehen und verglichen unsere Stundenpläne miteinander. Wir hatten ziemliches Glück. Fast alle Fächer hatten wir gemeinsam, außer Mathe und Bio.

„Naja, könnte schlimmer sein.“, seufzte Andy. „Wenigstens kenne ich schon eine Person hier.“ Ich grinste.

„Nein, du kennst 6 Personen.“, widersprach ich. Er lachte.


Die erste Stunde hatten wir Politik. Andy ging mit mir zusammen zum Haus, indem das Fach stattfand. Als wir beide den Raum betraten, starrten uns alle – sogar der Lehrer – an, als wären wir eine Seuche. Dann fassten sich alle und redeten wieder miteinander, während der Lehrer weiter am Lehrertisch hantierte. Wir hatten erneut Glück. Es war genau eine Bank frei, sodass wir nebeneinander sitzen konnten. Wir atmeten erleichtert auf, als wir saßen und der Unterricht begann.

Natürlich verpassten unsere Mitschüler keine Gelegenheit um uns anzuglotzen. Ich hatte ein starkes Déja vu-Gefühl, aber Andy und ich versuchten die anderen zu ignorieren. Die Stunde verging fiel zu schnell für mich und ich muss sagen, es war ganz angenehm, einen öden, normalen Alltag zu leben. Nach der ganzen Parallelwelt-Vampir-Werwolf-Geschichte war das mal eine willkommene Abwechslung. Auch Andy hatte sichtlich Spaß daran, vor allem, weil er mit mir zusammen zur Schule ging.

In den darauffolgenden Stunden lief alles normal ab und jedes Mal hatten wir zwei einen Tisch für uns allein. In der zweiten Stunde sahen wir Alice und Elizabeth zusammen sitzen und wir winkten uns gegenseitig freundlich zu, als wir beide den Raum betraten. Dann waren schließlich die ersten 5 Stunden um und es war Zeit für die Mittagspause.

Auf dem Weg zur Cafeteria glotzen uns natürlich alle Schüler an, wie sie es schon den ganzen Vormittag getan hatten. Wir kamen schließlich in der Cafeteria an und sahen uns um. Fast alle Tische waren voll besetzt. Zwei waren noch leer und die Cullens saßen allein für sich an einem Tisch in der entferntesten Ecke des Raumes. Wieder überkam mich dieses Déja vu-Gefühl. Es war fast unheimlich.

Doch nun sah ich, dass uns die Cullens alle freundlich anschauten, auch Rosalie. Das war mir neu. Wir traten an die Essensaufgabe und füllten uns etwas zu essen auf. Als wir beide fertig waren, wussten wir nicht so recht, was wir tun sollten. Andy steuerte einen leeren Tisch an. Ich folgte ihm, als ich sah, wie Rosalie uns zu ihnen winkte. Rosalie winkte mir – also uns – zu?
Das war ebenfalls neu. Jetzt war ich mir absolut sicher. Diese Rosalie unterscheidet drastisch von ihrer Doppelgängerin. Ich runzelte die Stirn, lächelte aber. Andy hatte die Einladung ebenfalls gesehen und steuerte nun den Vampirtisch an. Ich schmunzelte über diesen Gedanken.


Als wir an ihrem Tisch ankamen, fragte Andy schüchtern: „Ist das auch wirklich okay für euch?“

Die Cullens lachten. „Gott, bist du niedlich. Na klar. Kommt her und setzt euch.“, sagte Alice freudig.

Ich war mir sicher, dass sie natürlich wusste, dass uns nichts passieren würde. Andy wurde rot. Sie lachten wieder. Wir beide setzten uns an ihren Tisch und begannen zu essen.

„Sagt mal,“, sagte Andy nach einer Weile, „warum holt ihr euch Essen, wenn ihr es eh nie anrührt.“

„Naja Kleiner, wir müssen doch menschlich rüber kommen, du verstehst?“, antwortete Emmett.

„Ja Muskelprotz, ich weiß.“ Bei diesen Worten grinsten alle. „Aber ich meine, ihr könntet euch doch nur mal was zu trinken und einen Riegel holen, oder so. Das ist doch ständige Essensverschwendung.“ Daraufhin schauten die Cullens etwas verdutzt.

„Da magst du vielleicht recht haben, aber wäre das nicht etwas seltsam?“, fragte Edward.

„Noch seltsamer als sich jeden Tag etwas zu Essen zu holen und es nicht anzurühren?“ Andy hob eine Augenbraue. Darauf wusste keiner so recht, was er sagen sollte. Andy sprach jedoch weiter.
„Ich meine, den Riegel könntet ihr ja verschwinden lassen oder zerrupfen oder was weiß ich denn. Aber wollt ihr mir erzählen, dass ihr nicht mal Leitungswasser trinken könnt? Und jetzt kommt mir nicht damit, dass es nicht schmeckt. Es ist doch nur Wasser. Schließlich wohnt ihr hier in einer Stadt, in der ständig Wasser herunter kommt. Oder…“, brach Andy ab und hielt kurz inne.

Dann sprach er leiser. „Oder kann euer Körper nicht mal Wasser verarbeiten?“

Ich sah Andy überrascht an. Wirklich interessante Fragen, die er da stellte. Warum kam ich nicht auf so was? Ich sah gespannt zu den Cullens, die sich gegenseitig Blicke zuwarfen. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich diese Fragen selbst noch nie gestellt hatten. Dann antwortete – zu meinem Erstaunen – Rosalie.


„Nein, Andy. Wir können kein Wasser trinken.“
Jetzt flüsterte sie und es war sehr schwer, etwas zu verstehen. „Unser Körper kann nicht mal eine Träne verarbeiten. Ganz abgesehen davon, dass wir eh nicht weinen können.“

Andy, der an Rosalies Lippen – genau wie ich – gehangen hatte, dachte darüber nach. Dann gab er sich geschlagen.

„Okay, okay. Ich dachte ja nur, weil es ja dem einen oder anderen vielleicht doch irgendwann auffällt.“ Edward grinste.

„Nein, das ist den anderen alles herzlich egal. So sehr beachten sie uns gar nicht. Sie meiden uns eher.“, erwiderte er zu Andy. Dann wurde sein Gesicht ernst.
„Aber bei euch scheint das nicht zu gelten. Ihr meidet uns nicht. Sonst stößt unser Wesen, unsere Kälte die Menschen ab. Ihr seid da komplett anders. Ihr beide scheint euch bei uns richtig wohl zu fühlen.“, sagte er nachdenklich und seine Schwester nickte bestätigend. Ich lachte.

„Hey, wir sind ja auch nicht gerade normal. Ich meine, welcher Mensch hat schon solche Träume wie wir und kann auch noch mit Toten reden?“, konterte ich.

Jetzt lachte mein Bruder. „Ja, da hat Bella recht. Wir sind genau solche Freaks wie ihr.“, sagte er munter.


Emmett brüllte vor Lachen und Rosalie stieß in mit ihrem Ellenbogen in die Rippen. Wir sahen, dass sich alle Schüler zu uns umgedreht hatten. Emmett wurde zwar leiser, konnte sich aber nicht einkriegen. So stimmten wir alle nacheinander in sein Lachen ein. Nachdem wir und wieder beruhigt hatten, ergriff Alice das Wort.

„Hört mal zu, Bella und Andy. Es gibt noch einen anderen Grund, warum wir euch zu uns geholt haben.“

Ich ahnte was. „Welchen denn?“, fragte ich zögerlich.

„Morgen ist doch Halloween. Wir werden eine Party bei uns schmeißen und laden euch dazu herzlich ein.“

Ich stöhnte. Alice und ihre Partys. Eine Alice war mir schon genug. Aber da fiel mir ein, dass ich in der anderen Welt Alice nie wieder sehen würde. Also war ich einerseits froh über ihre Einladung, mal davon abgesehen, dass Andy und ich es schon wussten. Andy und ich grinsten uns verschmitzt an. Alice sah uns fragend an.

„Klar kommen wir.“

Irgendwie freute ich mich auf diese Party und ich spürte, dass Andy meine Gefühle teilte. Alice strahlte.

„Super.“, sagte sie überschwänglich. Also dann wir sehen uns morgen. Einer von uns wird euch dann abholen.“ Und wir wussten auch schon wer es sein wird.

„Warum sagst du das?“, fragte Andy mit etwas Trauer in der Stimme. Elizabeth lachte. Natürlich hatte sie Andys Gefühlsumschwung bemerkt.

„Naja,“, sagte Alice, „wir werden uns jetzt in keine der nächsten Stunden begegnen. Und morgen wird schönes Wetter sein.“

„Ah, na dann bis morgen Und viel Spaß beim Wandern.“, sagte Andy und zwinkerte den Cullens zu, bevor er ihnen den Rücken zudrehte und aus der Cafeteria ging.

„Aber wie kommen wir dann nach Hause?“, fragte ich Alice.

„Du hast doch den Schlüssel des Transporters noch in deiner Jackentasche.“ Ich nickte und wartete auf die Fortsetzung.

„Ich gehe dann schnell zu euch nach Hause, schnapp mir den Ersatzschlüssel und stelle den Transporter auf dem Parkplatz ab. Der Schlüssel wird dann stecken, wenn ihr kommt.“ Sie grinste.

„Alles klar! Dann bis morgen.“, verabschiedete ich mich und folgte den anderen Schülern nach draußen.


Bei Vampiren wundert mich gar nichts mehr. Sie konnten ja schließlich einfach alles. Ich beschloss, mich nicht mehr darüber zu wundern und zu fragen, wie sie das schaffen wollte. Ab jetzt versuchte ich solche Sachen als „normal“ anzusehen. Denn solche Sachen waren ja für die Cullens normal.

Ich wunderte mich über mich selbst, dass es mir keine Schmerzen mehr verursachte, wenn ich ihren Namen dachte oder aussprach. Wahrscheinlich hatte ich mich ebenso damit abgefunden, dass die eben nicht die Cullens waren, die ich kannte. Sie waren zwar ähnlich, aber nicht gleich. Beispiele wären hier die Rosalie und dieser Jasper, der ja schon tot ist.

Bei diesem Gedanken wurde mir wieder etwas schwer ums Herz, doch ich versuchte ihn schnell wieder zu verdrängen. Die letzten zwei Stunden heute. Ich stöhnte. Spanisch und Literatur. Aber wenigstens vergingen auch die letzten beiden Stunden schnell. Andy hatte mir einen Platz frei gehalten, da er ja eher da war als ich. Ich setzte mich neben ihm und erzählte schnell was Alice gesagt hatte. Er schüttelte nur den Kopf und lachte. Dann begannen die letzten zwei Stunden Unterricht.

Als die Schule endlich aus war, gingen wir zum Parkplatz, wo tatsächlich unser Transporter stand. Auch der Schlüssel steckte.


„Wie machen die das nur?“, fragte Andy sich selbst.

Wir stiegen in dem Transporter und fuhren nach Hause zu Charlie. Sein Wagen stand schon auf der Auffahrt, als wir ankamen. Merkwürdig. Ich öffnete die Haustür und trat mit Andy zusammen ein.

„Andy, Bella?“, rief Charlie.

„Ja.“, antworteten wir nur. Wir gingen ins Wohnzimmer. Charlie saß auf dem Sofa und schaute sich irgendeine Sportsendung an. Er blickte auf.

„Warum bist du schon hier?“, fragte ich. Charlie grinste.

„Geh‘ doch mal nach oben und sieh nach.“

Ich runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. Was soll oben denn sein? Trotzdem tat ich, was mir gesagt wurde und Andy folgte mir. Ich sah, dass meine Zimmertür offen stand und ging hinein. In meinem Zimmer stand mein neues Bett inklusive Bettwäsche und alles sogar schon bezogen.

„Ach, stimmt ja.“, sagte ich seufzend.

„Tja, jetzt kannst du wieder in deinem eigenen Bett schlafen.“, sagte er mit leichter Trauer in der Stimme. Ich sollte sie wohl nicht bemerken. Ich lächelte ihn an.

„Ach, ich fand es eigentlich ziemlich schön in deinem Bett zu schlafen.“

Er lächelte zurück. Wir gingen wieder hinunter zu Charlie.

„Danke, Dad“, sagte ich und umarmte ihn. Er drückte mich fest an sich.

„Gern geschehen.“, brummte er. Als ich ihn wieder los ließ, sah ich wie er rot anlief. „Und, wie war euer erster Schultag?“

„Toll, wir haben fast alle Stunden zusammen. Und wir haben uns gleich mit den Cullens gut verstanden und saßen mit ihnen an einen Tisch.“, erwiderte Andy.

„Die Kinder von Dr. Carlisle Cullen?“

„Ja.“

Charlie sah nachdenklich aus.

„Was ist?“, fragte ich.

„Naja, ich weiß nicht. Sie sind ja schon richtig vernünftig und nett und so. Aber sie haben etwas Unheimliches an sich.“ Andy und ich kicherten. „Ich möchte nur, dass ihr vorsichtig seid, okay?“, sagte er bittend, aber streng.

„Ja, Dad.“, sagte Andy.

„Versprochen.“, sagte ich.


Wir verabschiedeten uns von Charlie und sagten ihm, dass wir viele Hausaufgaben machen mussten und dass wir keinen Hunger haben. Und das war alles nicht mal gelogen. Den ganzen restlichen Tag machten wir Hausaufgaben und neckten uns gegenseitig ein bisschen. Irgendwie war es ziemlich ungewohnt, so etwas banales, wie Hausaufgaben zu machen. Als es halb 9 war, waren wir endlich fertig und wir wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht.

„Und schlaf gut die erste Nacht in deinem eigenem Bett.“, rief mir Andy noch hinterher, kurz bevor ich meine Zimmertür schloss.

Ich legte mich in mein Bett hinein. Ich fühlte mich ebenso gleich geborgen wie im Bett von Andy. Ich kuschelte mich in die Decke hinein und schlief langsam ein, während der Regen draußen leise tropfte.

Der nächste Tag verlief „ereignislos“. Der Unterschied war, dass uns die anderen Mitschüler nicht mehr so anglotzten, wie am ersten Tag. In der Cafeteria sagte ich zu Andy, dass wir uns zu Angela, Ben, Maik, Jessica und Lauren hinsetzten könnten, da ich diese Personen ja schon kannte.
Naja, außer Lauren natürlich. Ich hoffte nur, dass diese Mädchen und Jungs sich nicht zu sehr von ihren Doppelgängern unterscheiden würden. Wir wagten es und setzten und an ihren Tisch. Sie nahmen uns alle recht freundlich auf – außer Lauren – und wir führten bald eine angenehme normale Unterhaltung. Es schien, als würden sie sich nicht verändert haben.

Nein, ich glaube sie alle waren genau gleich, denn dieser Maik musterte mich auch auf diese bewundernde Art. Ich warf einen Blick zu Andy hinüber, der ein ähnliches Problem mit Lauren hatte. Aber auch er fühlte sich nicht wohl dabei, versuchte aber freundlich zu bleiben. Im Großen und Ganzen war der Tag wirklich nett und normal.


Am Abend dieses Freitags saßen wir zusammen mit Charlie im Wohnzimmer und sahen fern, als es plötzlich an der Tür klopfte, Charlie aufstand und sie öffnete. Andy und ich grinsten uns an. Das kam uns doch sehr bekannt vor.

„Hallo Miss. Kann ich was für sie tun?“, hörten wir Charlie sagen.

„Guten Tag, Chef Swan.“, antwortete eine singende klingende Stimme. „Ich heiße Elizabeth Cullen und bin eine Tochter von Carlisle Cullen. Sie kennen ihn.“

„Ja, natürlich. Wer nicht?“

„Gut. Also ich bin hier, weil ich sie fragen wollte, ob ich ihre Zwillinge mit zu mir nehmen konnte. Wir feiern bei uns eine Halloween-Party und ich möchte sie dazu gerne einladen.“

„Ja, warum nicht? Das ist eine tolle Idee. Ich habe nichts dagegen einzuwenden.“ „Hey Andy, Bella. Kommt doch mal her!“, rief er uns zu.

Als wir Elizabeth sahen, schlich sich ein Lächeln auf unsere Lippen. „Elizabeth Cullen will euch zu einer Halloween-Party mitnehmen.“, verkündete Charlie. Andy und ich grinsten uns verschmitzt an.

„Super. Wir kommen gerne mit.“, sagten wir aus einem Munde.

Somit ist alles so passiert, wie wir es schon vor Tagen geträumt hatten. Wir waren gerade dabei unsere Jacken anzuziehen, als ich SEINE Stimme wieder in meinem Kopf hörte.


„Bella, geh‘ nicht mit!“, sagte ER eindringlich. Dann sah ich plötzlich Jasper neben Elizabeth stehen, der den Kopf schüttelte. Andy sah ihn ebenfalls an, doch da war der kleine Jasper wieder verschwunden. Wir beide sahen uns fragend an.


Warum wollten Jasper und meine Halluzination nicht, dass wir zu dieser Party hingehen? Etwa, weil sie uns davor waren wollten, dass Vampire gefährlich sind? Aber dann hätte meine Stimme – oder Jasper – uns schon Dienstagnacht warnen müssen, als Elizabeth kam um uns zu retten. Das kann nicht der Grund sein. Vielleicht fürchteten sie, dass so was passieren könnte, wie an meinem 18. Geburtstag? Aber Elizabeth hat selbst gesagt, dass sie keine großen Schwierigkeiten mit ihrem Durst hat. Schließlich hatte sie genauso viel Erfahrung wie Edward. Und selbst, wenn das der Grund sein könnte, woher wusste Jasper davon? Seltsam.


Ich schüttelte den Kopf und trat nach draußen. Andy folgte mir dabei. Er konnte sich auch nicht erklären, wovor Jasper uns denn warnen wollte. Meine Halluzination schien er aber nicht gehört zu haben.

Wir stiegen in ihren silbernen VW ein. Charlie sah uns wahrscheinlich nach, denn sie beschleunigte erst, als er nicht mehr zu sehen war.

Angst




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




In wenigen Minuten waren wir bei ihrem Haus angekommen und stiegen aus. Wir gingen aus der Garage und staunten.

„WOW!“, sagten wir nur.

Alles war geschmückt. Die nahen umliegenden Bäume waren mit orange-farbigen Lichterketten und leuchtenden Kürbissen, die Grimassen hatten, gesäumt. Elizabeth kicherte.

„Das hat alles Emmett gemacht.“ Wir schauten überrascht zu ihr.

„Emmett? Nicht Alice?“, fragte Andy.

„Naja, die Außendekoration hat Emmett gemacht und die innere hat er sich zusammen mit Alice geteilt. Wenn Halloween ist, ist Emmett einfach in seinem Element.“

„Hätte ich echt nicht gedacht.“, sagte ich perplex.

„Los, kommt rein.“, sagte Elizabeth zu uns.

Wir folgten ihr ins beleuchtete Haus und staunten wieder. Hier drinnen waren auch viele geschnitzte Kürbisse und in den Ecken waren künstliche Spinnenweben angebracht.

°Oh, man. Wie alt ist er denn? 12?°, dachte Andy belustigt. Ich lachte.

Da kam Alice auf uns zugestürmt und umarmte uns heftig zur Begrüßung. „Na endlich seid ihr zwei da. Das hast ja ewig gedauert!“

„Hey, Elli ist schnell gefahren.“, sagte ich zur Verteidigung. Alice und Elizabeth lachten. „Los, kommt ins Wohnzimmer. Dort gibt’s Eierpunsch.“, trällerte sie. Andy runzelte die Stirn.

„Esme hat Eierpunsch gemacht?“

Er hatte wohl schon vermutet, dass es nur Esme sein konnte, wenn es um Menschenessen ging. Ich vermutete, er sah sie jetzt schon als „Mutter“ an.

„Aber das trinkt ihr doch sowieso nicht und allein zu zweit schaffen wir bestimmt nicht alles.“ Alice verdrehte die Augen.

„Ach, Andy. Jetzt zerbrech‘ dir darüber mal nicht deinen Kopf.“ Er seufzte.

„Okay.“


Wir gingen mit Alice und Elizabeth ins Wohnzimmer, welches natürlich ebenfalls prächtig geschmückt war. Die anderen erwarteten uns lächelnd. Emmett stach besonders heraus. Er trug einen Smoking und er war „geschminkt“ um die Augen herum, damit sie stärker auffallen. Meiner Meinung nach war die Tusche völlig unnötig. Die Augen eines Vampirs fallen so schon genug auf. Hatte Rosalie das gemacht oder war dies ein Werk von Alice?


„Hey Emmett. Als was gehst du denn? Graf Dracula?“, lachte Andy.

Emmett war im Nu bei ihm und klopfte ihm spielerisch auf die Schulter. Naja, für ihn war es nur ein Klaps. Nicht so für Andy. Er musste versuchen, das Gleichgewicht zu halten, um nicht nach vorne zu fallen.

„Au!“, sagte er. Emmett lachte.

„Emmett!“, tadelte Esme ihn.

Emmett zuckte zwar mit den Schultern, doch ich konnte Schuld in seinem Blick erkennen.

„Also eins ist klar, Emmett. Wenn du nachher um die Häuser ziehst, hast du keine Probleme an Süßigkeiten zu kommen. Du sagst einfach: ‚Süßes, sonst saug‘ ich dich aus!‘. Und dann fletscht du deine Zähne. Und wenn das nicht hilft, verprügelst du ihn einfach.“, sprach Andy trocken.

Daraufhin mussten wir alle lachen, auch Rosalie. Emmetts Brüllen war natürlich am lautesten. „Andy, du gefällst mir, echt!“, sagte Emmett lachend.

„Tja, dann danke für das Kompliment.“, gab Andy zurück.

Nun begrüßten uns auch die anderen Cullens und ich fühlte mich wieder richtig glücklich. Naja, fast. Edward lächelte uns bei der Begrüßung mit seinem schiefen lächeln an, dass mein Herz kurz stockte. Die Cullens hatten es bemerkt, denn ich sah kurz Verwunderung und Besorgnis in ihren Augen, bevor mein Herz wieder schlug.

Rosalie füllte uns 2 Gläser mit Eierpunsch und reichte sie Andy und mir. Selbstverständlich hatten sie viel zu viel gemacht. Auf dem Tisch stand eine riesengroße Bowle-Schüssel voll mit Eierpunsch. Ich schüttelte nur den Kopf und trank ein etwas. Dann sah uns Rosalie neugierig an. Ich betrachtete die anderen Cullens, die ebenso neugierig schauten.


„Na los. Fragt schon.“, seufzte Andy, bevor ich überhaupt einen Ton raus bekommen hatte.

„Was ist Dienstagnacht passiert, nachdem Edward euch beim Hund abgeliefert hatte?“, fragte sie.

Es war sehr seltsam Rosalie etwas sagen zu hören, das Interesse an mir – und Andy – zeigte. Ich lächelte sie an, sie lächelte zurück. Da war keine Spur von Eifersucht in ihrem Blick. Es war ein natürliches Lächeln. Sie sah einfach wunderschön aus und ich bedauerte mich sofort, ließ mir aber nichts anmerken. Andy lachte.

„Hunde? So nennt ihr sie?“, fragte Andy belustigt.

Andy atmete tief durch und erzählte die ganze Geschichte. Keiner von ihnen unterbrach meinen Bruder auch nur ein einziges Mal. Als er fertig war, war es still.

„Mit euch kann man ja ´ne Menge Spaß haben.“, sagte Emmett. Rosalie sah ihn eisig an.

Esmes Blick wurde bekümmert. Sie legte eine Hand auf ihre Brust. „Oh, mein Gott. Es hätte euch so viel passieren können.“, sagte sie.

„Aber wir sind doch jetzt hier.“, sagte ich beschwichtigend.


Esme kam auf uns zu und umarmte erst mich, dann Andy. Sie schluchzte leise und ich wusste, dass sie gern geweint hätte, wenn sie könnte. Für sie waren wir beide wie Kinder. Wie Sohn und Tochter. Auch wenn wir uns noch nicht so lange kannten. Ich empfand das Gleiche auch für diese Esme in dieser Welt. Andy auch.

Aber dann bekam ich einen Kloß im Hals, da ich ja eigentlich wieder irgendwann in die andere Welt zurück wollte. Esme – und bestimmt auch den anderen – würde es schwer fallen, sich von uns zu verabschieden. Aber diesen Gedanken schob ich weit weg. Esme gab mich wieder frei und trat zu den anderen.


„Also…“, begann Andy und startete einen Themenwechsel, „…ich muss sagen, ihr habt euch ja für die Dekoration ziemlich viel Mühe geben. Da möchte ich ja nicht wissen, wie es Weihnachten bei euch aussieht.“


Wir lachten alle.

Plötzlich war Donner zu hören und ein Blitz war zu sehen, der einschlug.
Im nächsten Moment wurde es stockfinster, abgesehen von den Kürbissen. In mir stieg Panik auf, denn in meinem Kopf sah ich wieder die schrecklichen Erinnerungsfragmente.

Ich, als kleines Mädchen, irgendwo im Dunklen allein gelassen. Die Bilder drangen immer mehr an die Oberfläche. Auf einmal spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter und eine Stimme, die meinen Namen rief. Die Stimme vernahm ich nicht. Dazu war ich nicht in der Lage. Als ich diese warme Hand spürte, kamen noch mehr Bilder an die Oberfläche.

Ein Mann, ich konnte sein Gesicht zur schemenhaft erkennen. Er schlang seine Arme um mich wie einen Käfig und seine Hitze, die er verströmte, verbrannte mich. Die Panik hatte mehr als ihren Höhepunkt in mir erreicht. Die Bilder überwältigten mich, ich konnte sie nicht mehr verdrängen. Immer wieder und immer deutlicher sah ich sie vor meinen Augen.

Dann schrie ich. Ich schrie so laut, wie ich noch nie geschrien hatte. Ich verspürte solche Angst, die nicht mal im Entferntesten an Dienstagnacht heran reichte. Auch reichte sie kaum an jene heran, die ich in meinen Alpträumen verspürte. Ich schrie immer lauter meine Angst und meinen Schmerz heraus.

Dann im nächsten Moment schien alles vor meinen Augen zu verschwimmen. Aber ich war so in Panik, dass ich mir nicht sicher war. Als nächstes spürte ich kalte Luft, die in mein Gesicht blies. Aber sicher war ich mir wieder nicht. Die Angst hatte mich so gut wie betäubt. Ich sah nur noch die Bilder in meinem Kopf und spürte das schreckliche Gefühl von heißer Haut auf meiner.

Im nächsten Moment spürte ich keinen Luftzug mehr. Ich schrie nicht mehr. Es war dunkel um mich herum. Ich sah nur Lichter. Dann merkte ich wie ich ganz automatisch mich fallen ließ und mir die Arme um meine angezogenen Knie schlang. Schließlich wiegte ich mich selbst hin und her. Ich war mir all dessen aber nicht wirklich bewusst. Ich sah nichts mehr und nahm nichts mehr wahr. Dann wurde alles schwarz.

Ich schlug die Augen auf und sah an die Decke. Helles Licht erfüllte den Raum. Der Strom war also wieder da. Da kam ein Gesicht in mein Blickfeld. Es war Carlisle, der sich besorgt über mich beugte.


„Wie geht es dir, Bella?“, fragte er ruhig.

Ich sagte nichts. Stattdessen richtete ich mich auf und sah in 6 weitere besorgte Gesichter. Dann fiel mein Blick auf Andy. Er war sehr blass, noch blasser als sonst. Seine Augen waren rot und verquollen vom Weinen. Er weinte immer noch. Tränen glitzerten in seinen Augen und immer wieder liefen sie über seine Wangen.

Als er sah, dass ich ihn sah, warf er sich in meine Arme und schluchzte laut. Er konnte einfach nicht sprechen, dazu war er zu aufgewühlt. Auch ich fing heftig an zu weinen und umarmte ihn fest. So waren wir eine Ewigkeit ineinander verschlungen und weinten, bis wir uns langsam beruhigten. Dann löste er sich von mir.


„Bella, mach‘ ja nie wieder so was mit mir. Ich hatte Todesangst um dich gehabt!“

„Was ist passiert?“, fragte ich erstaunlich ruhig. Eigentlich hätte ich brüllen können.

Ich erwartete von Andy eine Antwort, doch Carlisle sprach zu mir. „Der Strom ist ausgefallen.“, sagte er langsam und zögerlich.

Er wusste wohl nicht recht, ob er mir das erzählen sollte. Er wollte bestimmt verhindern, dass ich mich aufregte. Ich nickte.

„Deine Atmung wurde schneller und du wurdest panisch. Als dann Andy seine Hand auf deine Schulter gelegt hatte, hattest du einen hysterischen Anfall bekommen. Du hast so laut geschrien und hattest furchtbare Angst, dass Elizabeth ebenfalls fast deinen Zustand erreichte. Plötzlich warst du einen Moment verschwunden. Du warst einfach weg. Da wurden wir alle nur noch besorgter um dich. Dann einen Moment später warst du wieder im Haus, aber nicht mehr im Wohnzimmer. Wir haben dich selbstwiegend und total verängstigt unter der Treppe gefunden. Wir sprachen dich an, aber du hast nicht reagiert. Es schien, als würdest du nichts mehr wahrnehmen. Andy berührte dich erneut und versuchte mit dir zu reden, aber du bist zurück gewichen und deine Angst wurde noch größer. Dann versuchte ich mein Glück und habe dich schließlich hier aufs Sofa gelegt und dir ein Beruhigungsmittel gegeben, damit du einschlafen konntest.“, schloss Carlisle.


Ich nickte nur.

„Kannst du uns sagen, warum du einen Anfall hattest?“, fragte Esme besorgt und vorsichtig. Wieder nickte ich.

„Können wir dazu bitte in ein anderes Zimmer gehen, wo ich mich ebenfalls hinlegen kann?“, fragte ich immer noch gelassen.

Langsam fiel die Maske von mir und meine Gefühle drohten mich zu überwältigen. Doch ich versuchte mich zusammen zu reißen. Carlisle sah mich einen Moment lang prüfend an.

„Natürlich, Bella.“


Ich nahm Andys Hand, der erleichtert aufseufzte und wir alle folgten Carlisle nach oben die Treppe hinauf. Wir traten in Carlisles Arbeitszimmer. Auch hier waren Bücher über Bücher, ein Schreibtisch und ein schwarzes Ledersofa.

Ich ließ Andys Hand los, ging zum Sofa und legte mich hin. Die anderen Cullens waren nun alle ebenfalls im Raum und starrten mich besorgt an. Alle, auch Rosalie. Emmett, der sonst immer so unbekümmert war, hatte nun ebenfalls eine besorgte Miene aufgesetzt. Irgendwie passte das nicht zu ihm. So hatte ich Emmett noch nie gesehen.

Carlisle bot Andy den Stuhl an, den er dann zum Sofa heran zog und mich besorgt ansah. Alle Blicke ruhten erwartungsvoll auf mir. Tja, nun war ich letztendlich doch auf der Couch gelandet, dachte ich ironisch. Nun würde ich endlich über alles reden können. Natürlich würde es wehtun, aber auf der anderen Seite würde es mich befreien.

Jetzt, da ich mich endlich wieder an alles erinnerte, was passiert ist. Dieses Ereignis hatte meine innere Mauer durchbrochen. Nun war es Zeit, mir alles von der Seele zu reden und meinen Erinnerungen freien Lauf zu lassen.

Ich konzentrierte mich, versank in ihnen und sah alles wie eine Rückblende vor mir.

Traurige Erinnerungen





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Hey, ihr beiden, aufstehen.“


Mum und Dad kamen in unser Zimmer. Wir waren sofort wach, als wir diese Worte hörten. Heute war es endlich soweit. Andy und ich hatten Geburtstag. Es war der 13. September. Wir richteten uns in unserem Bett auf und Renee kam strahlend auf uns zu und umarmte uns.

Eigentlich hatte jeder von uns sein eigenes Zimmer und Bett. Aber wir waren einfach zu aufgeregt, um alleine in getrennten Zimmern zu schlafen. Das haben wir bis jetzt seit wir vier geworden waren, jedes Jahr gemacht. Jedes Jahr wechselten wir uns ab. Mal kam Andy in mein Bett und ich dann nächstes Jahr ins seins. Auch zusammen viel es uns jedes Jahr schwer, endlich einzuschlafen. Wir hofften jedes Mal inständig, dass die Nacht schnell vorbei gehen würde. Wir redeten die halbe und kicherten und lachten und waren sehr aufgeregt, was unser Geburtstag wohl dieses Jahr bringen würde. Mum und Dad sagten natürlich nichts zu unserem Ritual. Sie waren einfach nur glücklich, dass wir glücklich. Dieses Jahr kam Andy in mein Bett gekrochen.


„Alles Gute zum Geburtstag. Ach, mein Gott. Schon wieder seid ihr ein Jahr älter geworden.“, sagte Mum.

„Danke, Mami.“, sagten wir beide gleichzeitig.

Dann sahen Andy und ich uns gegenseitig an und umarmten uns. „Happy Birthday, Bella/Andy!“, sagten wir.

„Auch von mir alles Gute, meine Zwillinge.“

Charlie trat nun ans Bett und legte ein Tablett vorsichtig vor uns auf die Decke hin. Darauf standen 2 gefüllte Cornflakes-Schüsseln mit Milch. Natürlich Schokoladen-Cornflakes, unsere Lieblingssorte. Charlie umarmte uns nacheinander sehr vorsichtig, um nichts verschütten.

Dann lächelte er uns an. „Wenn ihr fertig seid, kommt runter in die Küche.“, sagte er lachend und Renee stimmte ein. Sie nahm seine Hand und ging mit ihr die Treppe hinunter.

Wir strahlten uns gegenseitig an und aßen schweigend unser Frühstück. Wir waren einfach zu aufgeregt, um irgendetwas zu sagen. Nachdem wir aufgegessen – eher runter geschlungen – hatten, machten wir beide uns fertig. Nachdem wir auch angezogen waren – ich trug ein blaues Kleid und Andy ein blaues Shirt mit Jeans – gingen wir zum Abschluss gemeinsam ins Bad, um uns die Haare zu kämmen. Auch wenn sie immer wie ein Heuhaufen aussahen, heute war es nicht so schwierig mit ihnen.

Wir nahmen uns an den Händen und liefen schnell und aufgeregt die Treppe hinunter in die Küche. Ich wäre fast hingefallen. In der Küche standen Renee und Charlie. Sie stand neben ihm, während Dad eine Geburtstagstorte mit 7 brennenden Kerzen auf seinen Händen trug. Wir traten an die Torte heran.

Dort war mit grünem Zuckerguss:

"Happy Birthday Andy und Bella" geschrieben. Darunter war eine große verschnörkelte 7 zu sehen.


Wir erkannten natürlich sofort, dass das Mum geschrieben hatte. Unsere Eltern strahlten uns an.

„Na los, ihr Zwei. Blast die Kerzen euch und wünscht euch was. Aber nicht verraten, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung.“, lachte Charlie.

Andy und ich schlossen die Augen und konzentrierten uns. Mir fiel mein Wunsch sein.

°Ich möchte immer so glücklich, wie in diesem Moment sein.°, dachte ich.

Auch hörte ich Andys Wunsch in seinem Kopf, aber schließlich sprach er ihn ja nicht laut aus.

°Ich möchte diesen Moment, nein, diesen ganzen schönen Tag nie vergessen.°, hörte ich.


Dann holten wir beide tief Luft und bliesen so kräftig wie wir nur konnten die Kerzen aus. Wir öffneten die Augen und sahen, dass alle Kerzen aus waren. Dann fingen wir alle an zu lachen. Charlie stellte die Torte auf den gedeckten Küchentisch und schnitt sie an. Mum, Andy und ich setzten uns an den Tisch und Dad füllte auf unseren Tellern ein großes Stück Geburtstagstorte. Es war natürlich eine Schokoladentorte, unsere Lieblingssorte.

Dad füllte für Mum und sich 2 viel kleinere Stücke auf ihren Tellern auf. Dann setzte sich Dad.

„Na dann. Lasst es euch schmecken, meine beiden.“, sagte Mum.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“, sagte Dad.

Wir nahmen unsere Gabeln und begannen zu essen. Natürlich schlangen wir eher.

„Hey, langsam ihr zwei. Keiner nimmt euch was weg und es ist noch genug da.“

„Aber sie schmeckt so gut.“, antworteten wir mit vollem Mund kauend unserem Vater.


Unsere Eltern schüttelten amüsiert den Kopf und lachten. Nachdem wir das erste Stück gegessen hatten, aßen wir noch eines. Als wir noch ein drittes Stück wollten, sagte Mum: „Nein, das reicht jetzt. Ihr könnt wieder Kuchen essen, wenn ihr von der Schule zurück seid.“

Wir machten einen Schmollmund und traurige Augen, aber Renee schüttelte den Kopf. Dann versuchten wir unser Glück bei Charlie, aber auch er verneinte.

„Hey, jetzt schaut nicht so.“, sagte Dad aufmunternd. „Jetzt gibt’s doch noch Geschenke.“


Unsere Mienen hellten sich auf. Natürlich wollten wir nicht so viele Geschenke haben. Wir wollten nicht, dass Dad und Mum zu viel Geld ausgaben. Denn wir wussten, dass wir nicht gerade reich waren und gut jedes Geldstück gebrauchen konnten. Wir hatten Mum und Dad manchmal heimlich beobachtet. Sie sagten uns zwar immer, dass wir uns keine Sorgen zu machen bräuchten, aber uns konnten sie nicht täuschen. Nicht, wenn es darum ging. Aber trotzdem freuten wir uns.

Mum ging zur Anrichte, auf der 2 Geschenke lagen. Sie überreichte uns jeweils eins. Wir wickelten sie aus und strahlten. Wir hatten beide bekommen, was wir uns wünschten.
Andy ein Lego-Set, mit dem er Autos bauen kann, und ich eine Puppe mit blonden Haaren und blauen Augen.

„Danke Mum. Danke Dad.“, sagten wir voller Freude und umarmten sie jeweils.

Wir packten unsere Geschenke nun richtig aus, um sie gleich zu „benutzen“. Andy hatte das ganze Wohnzimmer beschlagnahmt. Überall auf dem Boden waren Legostein verstreut und er begann schon Formen zu bauen. Ich spielte mit meiner Puppe. Kämmte ihre Haare, fütterte sie und wiegte sie in meinem Armen, da ich mir vorstellte, sie würde weinen.

„So ihr beiden. Ihr müsst jetzt los zur Schule. Sonst kommt ihr noch zu spät.“, sagte Mum.

„Ach, noch nicht!“, sagte ich quengelnd.

„Ja, nur noch ein bisschen.“, jammerte Andy ebenso.

Dad schmunzelte. „Bella, Andy, ihr könnt doch wieder mit euren Geschenken spielen, wenn ihr wieder Zuhause seid.“, sagte er beschwichtigend.

Wir verzogen zwar immer noch das Gesicht, sahen aber natürlich ein, dass unser Dad recht hat. Schule war nun mal wichtig und unsere Geschenke würden ja nicht weglaufen. Andy und ich gaben uns seufzend geschlagen. Wir zogen unsere Schuhe und Jacken an und nahmen unsere Schultaschen auf dem Rücken.


„Bis bald.“, verabschiedeten wir uns. Andy und ich umarmten unsere Eltern noch einmal zum Abschied.

Bis heute Mittag, meine Kleinen.“, sagte Dad.

Mum lächelte und winkte uns zum Abschied zu. Erstaunlicherweise regnete es heute nicht. Die Sonne stand hell am fast wolkenlosen Himmel. Es war einfach ein schöner Tag.

Wir gingen zur Schule und als wir im Klassenraum ankamen, riefen alle im Chor: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

Wir liefen natürlich sofort rot an, wie im letzten Jahr bereits und daraufhin mussten alle lachen. Dann setzten wir uns alle auf unseren Plätzen und der Unterricht begann. Wir konnten es kaum erwarten, bis die Schule endlich aus war. Es schien ewig zu dauern.

Dann ertönte das ersehnte Klingelzeichen, das das Ende des Schultages verkündete. Andy und ich seufzten erleichtert auf. Uns wünschten viele beim Verlassen des Raumes noch einen schönen Tag. Wir hatten gerade unsere Jacken genommen – es war zu warm, um sie anzuziehen – und wollten gerade gehen, als die Lehrerin Andy nochmal zu sich rief.

„Was hast du denn angestellt?“, fragte ich neckend.

„Ich weiß es nicht. Ich war doch ziemlich brav. Hey, geh‘ doch ruhig schon mal vor, ich komme dann nach.“, antwortete er.

„Okay, dann bis gleich, oder zuhause, wenn ich renne.“


Ich lachte und er stimmte ein. Wir umarmten uns, dann lösten wir uns voneinander und ich verließ das Klassenzimmer, während Andy zur Lehrerin ging. Ich verließ das Schulgebäude und lief ein paar Meter gerade aus, als ich stolperte und hin fiel. Ich stand auf, klopfte mir die Jeans etwas sauber, nahm meine Jacke wieder in die Hand und wollte gerade weiter gehen, als plötzlich ein Lappen vor meinem Mund gehalten wurde. Ich wollte schreien, aber meine Stimme wurde durch den Lappen gedämpft. Mir fielen die Augen zu und alles wurde schwarz.

Ich riss die Augen auf. Alles war dunkel um mich herum. Ich konnte nichts erkennen. Ich richtete mich ruckartig auf und wusste wieder, was passiert war.

„Hallo, ist hier jemand?“, rief ich. Meine Stimme hallte von den Wänden wider.
„Irgendjemand?“, rief ich lauter jetzt.

Ich merkte, wie langsam Panik in mir aufstieg. Wo war ich hier nur? Warum war es hier nur so dunkel? Meine Panik steigerte sich.

„Hilfe!“, schrie ich jetzt und blickte mich sah mich nochmal um.

Alles war dunkel. Alles war schwarz. Nein, halt. Ein kleiner Lichtstreifen war zu erkennen. Es war das Licht, das unten durch den Türspalt, in den Raum strahlte. Ich ging jedoch nicht zum Licht. Ich blieb da wo ich war und hoffte, das sei alles nur ein böser Traum, aus dem ich gleich aufwachen würde. Ich schloss die Augen, dachte an meine Eltern, an meinen Bruder, sah ihre glücklichen Gesichter vor mir.

Ich schlug die Augen wieder auf, doch leider war ich nicht zu Hause, wie ich gehofft hatte. Ich war immer noch in der Finsternis gefangen. Dann öffnete sich die Tür und mehr Licht drang in den Raum. Ich sah jemanden herein kommen. Einen großen, starken, bärtigen Mann, der lächelte, als er mich sah. Doch sein Lächeln gefiel mir nicht. In mir stieg Angst hoch, konnte aber nicht schreien.

Ich wäre am liebsten weggelaufen, konnte mich aber nicht bewegen. Wo sollte ich auch hin? Ich wusste nicht wo ich war und wenn ich renne, falle ich ziemlich schnell hin. Außerdem würde er mich sowieso einholen, da er viel schneller war als ich. Er kam langsam lächelnd auf mich zu. Er wollte mich wohl beruhigen. Aber er erreichte genau das Gegenteil. Sein dunkles Lächeln machte mir Angst. Je näher er kam, desto panischer wurde ich, war aber nicht im Stande, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ich starrte ihn nur geschockt mit großen Augen an.

„Pscht.“, machte der Mann. „Hab keine Angst. Ich will dir nicht wehtun.“


Seine Stimme klang freundlich und vertraulich, aber ich glaubte ihm kein einziges Wort. Jedes Wort, das er aussprach klang falsch in meinen Ohren. Nun war er bei mir angekommen und setzte sich zu mir. Wahrscheinlich hatte ich auf einem Bett gelegen. Ich sagte nichts. Ich war unfähig zu sprechen. Er nahm mich in seine Arme und wiegte mich langsam hin und her.

Doch für mich, war das die Hölle.

Seine Arme umschlangen mich wie einen Käfig, so fest, dass ich nicht entkommen konnte. Seine Haut brannte auf meiner, hatte ich das Gefühl. Es war, als würde ich in Flammen stehen. Die Flammen leckten an mir und verbrannten mich mit jeder Sekunde mehr. Dann war das Feuer aus und er ließ mich los. Ich schaute zu ihm auf, konnte aber nur ein schemenhaftes Gesicht erkennen.


„Was wollen sie?“, brachte ich nur flüsternd heraus. Zu mehr fehlte mir die Kraft. Meine Stimme zitterte und die Angst packte mich.

„Bella, du hast doch heute Geburtstag, nicht wahr?“, fragte er mit ruhiger beruhigender Stimme.

Ich nickte nur. Zum Sprechen fehlte mir die Luft. Es war, als würde ich ersticken. Das Gefühl der Angst hatte mich vollständig umklammert.

„Ich möchte dir gerne etwas schenken. Aber zuerst musst du mir etwas schenken?“

Ich ihm etwas schenken? Was soll ich ihm schon schenken können?

„Was wollen sie?“ hauchte ich wieder.

Meine Stimme war noch leiser.

„Ich schenke dir eine Halskette, wenn du mir deine Unschuld schenkst.“

Meine Unschuld? Was soll das sein? Ich verstand das nicht? Ich glaubte nicht einmal, dass ich so etwas wie eine „Unschuld“ überhaupt besaß. Was ist denn meine Unschuld Ich wusste nicht, was das bedeutete.

„Ich weiß nicht, was sie meinen.“, flüsterte ich.

Er lachte. Dieses Geräusch war wie Gift für mich. „Ich habe nicht das, was sie wollen. Können sie mich nicht einfach gehen lassen?“, fragte ich ohne Hoffnung.

Ich wusste, dass er mich nicht gehen lassen würde, bevor er nicht sein „Geschenk“ von mir bekam. Wieder lachte er. Es hörte sich gruselig an.

„Nein, kann ich nicht. Ich lasse dich erst gehen, wenn wir uns gegenseitig beschenkt haben.“, sagte er gelassen. „Ja, du hast das Geschenk. Denn das Geschenk bist du selbst.“, sprach er weiter.


Ich soll das Geschenk sein? Das hörte sich alles andere als gut an. Ich spürte, wie der Klammergriff der Angst enger wurde. Ich konnte kaum atmen. Plötzlich stand er auf, knöpfte seine Jeans auf und zog sie aus. Dasselbe machte er mit seiner Unterhose und ich sah etwas zwischen seinen Beinen, allerdings nur schemenhaft, da nur der breite Lichtstrahl durch die halb geöffnete Tür ins Zimmer drang.

Als er dann auf mich wieder zukam und versuchte, mir meinen Schlüpfer runter zu ziehen, fing ich an zu schreien und um mich zu schlagen. Er packte mit einer seiner riesigen Hände meine beiden dünnen Arme, legte sie mir auf meinen Bauch und hielt sie weiterhin fest. Ich versuchte ihn mit meinen Beinen zu treten, aber es nützte nichts.

Als ich dann seine andere warme heiße Hand auf meinen Schenkeln spürte, schrie ich noch lauter. Das Feuer hatte mich wieder umkreist. Ich verbrannte wieder. Er schaffte es schließlich meinen Schlüpfer von meinen Schenkeln zu streifen. Auch wollte er ihn über die Füße bekommen, obwohl ich wie wild nach ihm trat. Mir wurde erst jetzt undeutlich bewusst, dass ich meine Schuhe nicht mehr anhatte. Schließlich hatte er es geschafft. Dann, als er sich über mich beugte und meinem Gesicht so nahe kam, erschlaffte mein Körper. Ich hatte keine Kraft mehr zum Treten oder um mich zu schlagen. Die Angst hatte mich nun ganz gelähmt und das Feuer begann mein Innerstes zu verbrennen. Er schlug den Saum meines Kleides zurück, sodass meine untere Körperhälfte nun entblößt war. Dann beugte er sich weiter über mich und tat etwas mit mir, das sich nicht in Worte fassen lässt.


Ich hörte mich nur noch schreien. Aber es schien, als würden diese Schreie von einem anderen Mädchen kommen. Als wären sie nicht meine eigenen. Dann irgendwann nach langer Zeit, als er sein Geschenk bekommen hatte, verschwand er aus dem Raum. Ich lag einfach nur da und sah alles und nichts. Ich sah mein bisheriges kurzes Leben vor mir. Meine Eltern, meinen Bruder, die paar Freunde, die ich hatte. Doch trotz allem, sah ich nichts. Es war alles schwarz. Es war, als würde ich nichts mehr fühlen. Ich lag wie erstarrt auf dem Bett, als sich die Tür komplett öffnete und Licht den Raum erfüllte. Es war das Licht aus dem anderen Zimmer.

Der Mann trat in mein Blickfeld und ich wurde aufgerichtet. Er hielt mir ein kleines Päckchen hin.

„Hier, wie versprochen dein Geschenk.“

Ein Geschenk? Das ist doch jetzt so unwichtig. Ich mochte keine Geschenke mehr haben. Nie wieder. Ich hasste meinen Geburtstag. Ich starrte das Päckchen in meinen Händen an und wusste nicht, was ich damit machen sollte. Ich sah zu dem Mann auf. Mein Blick war leer. Ich sah ihn und doch sah ich ihn nicht. Sein Gesichtsausdruck wurde immer grimmiger.

„Nun pack es aus!“, rief er laut.

Innerlich zuckte ich zusammen. Äußerlich jedoch kaum. Fast gar nicht. Zögernd und zitternd packte ich das Päckchen aus und öffnete es sogleich, bevor er mich erneut anschreien konnte. Die Schachtel enthielt eine Kette mit einem blauen Schmetterling.

Ich starrte sie an, nahm sie jedoch nicht heraus. Ich war nicht mal in der Lage, sie zu berühren. Diese Kette war für mich alles Schlechte und Böse dieser Welt. Ich würde sie nie freiwillig tragen.

„Komm, ich lege sie dir um.“, hörte ich seine Stimme ruhig und freundlich sagen.


Ich sah nicht auf. Ich starrte nur weiter auf die Kette, die mir eine Hand wegnahm. Dann spürte ich ihn hinter mir. Die Angst kam wieder zurück, das Feuer umschlag mich wieder, als wollte es mich erneut zerstören. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich war kurz davor zu ersticken. Er legte die Kette um meinen Hals und berührte, während er sie befestigte, mit seiner warmen heißen Haut meine.

Die Angst erstickte mich. Das Feuer wuchs jeden Moment höher. Es war um mich, in mir, überall. Ich konnte nichts mehr denken, nichts mehr sehen. Die Schmerzen waren unerträglich. Ich wollte endlich hier weg. Ich wollte nach Hause. Alles war mir egal. Die Geschenke, mein Geburtstag. Ich wollte nur meine Eltern und meinen Bruder wiedersehen.

Dann schien es mir, als würde der Raum vor mir verschwimmen. Immer mehr. Ich hörte seine laute Stimme etwas brüllen, aber ich verstand seine Worte nicht mehr. Es war nur ein Summen. Es schien, als würde sich der Raum vor mir auflösen.

Plötzlich war ich woanders. Ich war nicht mehr in diesem schrecklichen Raum. Ich spürte keinen bösen Mann mehr hinter mir, der mich mit seiner warmen heißen Haut berührte. Kein Feuer mehr. Ich war nicht mehr dort. Ich sah mich. Dann erkannte ich, wo ich war. Ich war in unserem Wohnzimmer. Ich merkte, wie die Angst mich verließ und Freude sich in mir breit machte.

Plötzlich hörte ich etwas zu Boden fallen und zerbrechen. Ich drehte mich um.

Vor mir stand Dad mit weit aufgerissenen Augen und sah so aus, als würde er ein Gespenst vor sich sehen. Er wirkte wie erstarrt. Dann kam er auf mich zu und hob mich hoch. Er weinte so laut, dass mir die Ohren. Ich weinte ebenso. Voller Glück und Freude endlich wieder zu Hause zu sein. Doch wo waren Mum und Andy? Ich hörte etwas sagen, verstand aber ihren Sinn nicht.


„Oh, mein Gott. Ein Geschenk des Himmels. Danke Gott. Danke, dass du sie mir wiedergegeben hast, auch wenn ich nicht weiß, wie das möglich ist!“

Was meinte er damit bloß? Dad sah mich an. Ich sah Glück in seinem Blick aber auch tiefe Trauer. Er küsste mich.

„Ich muss sofort deine Mutter anrufen.“

Er setzte mich ab. Mum anrufen? War sie denn nicht hier? Ich verstand gar nichts mehr.

„Dad, wo ist Mum?“

Er schaute mich unglücklich an und strahlte.

„In Phoenix, Bella.“, sagte er.

In Phoenix? Was machte sie dort?

„Und wo ist Andy?“ Charlie sah mich verwirrt und besorgt an.

„Wer soll das sein?“, fragte er ruhig.

„Na, mein Bruder.“, sagte ich und wurde immer verwirrter. Warum fragte Dad wer Andy sei? Charlie kam auf mich zu und nahm mein Gesicht in seine Hände.

„Bella du bist verwirrt. Du hast keinen Bruder.“

Trauer, Wut und Panik stiegen in mir auf. Ich fing an zu weinen und konnte gar nicht mehr aufhören.

„WAS? NEIN!“, schrie ich.

Dad nahm mich in die Arme und wiegte uns hin und her und versuchte mich zu beruhigen. Doch ich hörte nicht zu. Ich wollte – konnte – das nicht glauben.

Ich schrie weiter und weinte eine Ewigkeit.

Die Zeit schien still zu stehen…


Ich öffnete die Augen und tauchte wieder aus meinen Erinnerungen auf, während mir Tränen über die Wangen liefen.

Der Schlüssel





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich setze mich auf und sah in 8 bestürzte Gesichter. Andy war tränenüberströmt. Er hatte viel mehr geweint als ich.
Dann hörte ich 5 Knurrgeräusche und Emmett, Rosalie, Edward, Alice und Elizabeth hatten leicht die Zähne gebleckt. Esme schluchzte leise. Am liebsten hätte sie Seen geweint. Carlisles Blick war fassungslos.


„Naja.“, erzählte ich weiter.
„Ich wurde natürlich wieder total panisch, als Charlie zu mir sagte, dass ich keinen Bruder hätte. Ich glaube, ich bekam sogar einen hysterischen Anfall. Ich hörte den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht auf zu weinen. Am nächsten Tag war Renee dann da, aber auch sie sagte mir, dass ich ein Einzelkind sei. Dadurch stieg natürlich erneut wieder meine Panik an und ich weinte. Sie versuchten mich zu beruhigen, aber ich hörte ihnen nicht zu. Dann, nachdem ich keine Kraft mehr zum Weinen gehabt hatte, fuhren sie mit mir zu einer Kindertherapeutin. Jeden Tag. Fast ein ganzes Jahr lang. Und jeden Tag schwand meine Überzeugung etwas, einen Bruder zu haben. Bis ich ihr – und meinen Eltern – schließlich Glauben schenkte. Aber richtig beruhigt war ich dennoch nicht. Wahrscheinlich, weil dieser Ort noch leichte schmerzhafte Erinnerung verbarg. So beschloss Renee, dass sie mich mit nach Phoenix nahm, damit ich an einem anderen sonnigen Ort aufwuchs. Charlie und Renee lebten eh schon getrennt und Renee konnte es einfach nicht mehr ertragen, noch einen Tag länger in diesem trostlosem Ort zu bleiben. Schließlich hatte sie es fast ein Jahr mir zuliebe in Forks ausgehalten. Charlie fiel der Abschied von mir sehr schwer, hatte aber zugestimmt. Und so verbrachte ich die nächsten 9 Jahre in Phoenix.“, schloss ich meine Erzählung nun ab.


Ein paar Sekunden sagte niemand etwas.

„Oh, mein Gott!“, kam es von Esme.

Sie trat auf mich zu und umarmte mich fest. Ich erwiderte ihre Umarmung und war sehr dankbar für diese Geste. Kaum gab Esme mich frei, stürzte sich Andy in meine Arme und schluchzte, jedoch nicht laut.

„Oh Bella, das tut uns allen wirklich sehr Leid, was dir passiert ist.“, kam es erstaunlicherweise von Rosalie. Keines der Worte war geheuchelt. Sie schien es wirklich ehrlich zu meinen.

„Danke für dein Mitgefühl, Rosalie. Ich danke euch allen.“

Ich lächelte schüchtern erst Rosalie, und dann alle anderen an. Andy löste sich wieder aus meinen Armen. Emmett knurrte nun laut.

„Oh, Man. Am liebsten würde ich den Kerl töten!“

Andy, der sich jetzt wieder beruhigt hatte, antwortete mit fester Stimme: „Tja Muskelprotz, dafür müsstest du schon in die andere Welt reisen können.“

Plötzlich weiteten sich seine Augen und seine Miene hellte sich etwas auf. Ihm schien etwas klar geworden zu sein, aber was?

„Ihr könnt das nicht,…aber…wir schon.“, sagte Andy langsam und klang mit jedem Wort…fast euphorisch.

Alle starrten ihn verwirrt an, ich ebenso. „Versteht ihr denn nicht? Wir wissen jetzt den Schlüssel, um diese ‚Fähigkeit‘, den Übergang zu schaffen.“

Er sah uns alle an. Aber ich verstand kein Wort. Wie konnte er wissen, was der Schlüssel ist?

„Ganz langsam, Andy.“, sagte Carlisle ruhig. „Du willst also sagen, dass du weißt, wie man den Übergang schaffen kann?“

Er nickte. „Und durch was wird der Übergang deiner Meinung nach ausgelöst?“, fragte Edward interessiert.

Wir alle waren gespannt auf die Antwort. „Der Schlüssel ist in Bellas Geschichte.“ Er sah mich an.
„Bella, du hast erzählt, dass der Raum vor dir zu verschwimmen schien, ja sich auflöste.“
Ich nickte bestätigend.
„Und wie hast du dich in diesem Moment beziehungsweise kurz vorher gefühlt?“

Ich überlegte kurz, dann begriff ich. Meine Miene hellte sich nur etwas auf. Auch wenn ich jetzt den Schlüssel wusste, war ich nicht so zuversichtlich wie Andy. Auch wenn ich die Möglichkeit hatte, in die andere Welt zurück zu kehren, zu Charlie und Renee, hatte ich doch meine Bedenken.

„Ich hatte Angst.“, sagte ich.

„Genau. Und was war vorhin, als der Strom ausfiel? Da hattest du auch Angst und Carlisle hat gesagt, dass du auf einmal kurz verschwunden warst und nicht im Wohnzimmer, sondern unter der Treppe wieder aufgetaucht bist.“ Ich dachte über seine Worte nach.

„Eine wirklich interessante Theorie, Andy.“, sagte Carlisle nachdenklich.

„Ach, das ist mehr als nur eine Theorie.“, antwortete er abschätzig.

„Vielleicht hast du Recht.“ Carlisle sah mich nun forschend an. „Bella, es tut mir leid dich das zu fragen. Wenn du lieber nicht darüber reden möchtest, ist es in Ordnung.“

Ich nickte. „Ich habe euch gerade meine Vergangenheit offenbart. Es macht mir nichts aus, darüber zu reden.“, sagte ich. Carlisle nickte besorgt.

„Gut. Als du kurz verschwunden warst, was hast du gesehen oder gefühlt? Ich weiß, es muss dir bestimmt sehr schwer fallen, dich daran zu erinnern.“, sagte er mitfühlend.

„Ich werde es ersuchen.“, antwortete ich entschlossen.

Alle Blicke lagen neugierig auf mir. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu erinnern. Langsam sprach ich – immer noch mit geschlossenen Augen:

„Ich hatte Angst und schrie alles aus meinem Inneren heraus. Dann flackerte es irgendwie. Der Raum verschwamm vor meinen Augen. Ich konnte es durch die Kürbisse erkennen. Der Raum verzerrte sich immer mehr. Dann war ich nicht mehr im Haus. Ich…war woanders. Ich spürte kalte Luft, die mir ins Gesicht blies.“

Ich kniff die Augen fester zu, versuchte mich stärker zu konzentrieren. Es war zwar nicht ganz einfach, aber ich schaffte es.

„Ich war draußen…auf einem…Feld. Es war dunkel. Ich konnte kaum etwas erkennen. Dann plötzlich verschwamm die Umgebung wieder vor meinen Augen und ich war wieder woanders. Wieder hier in diesem Haus, dennoch woanders. Ich spürte keine frische Luft mehr.“

Ich schlug die Augen wieder auf.

„Sehr interessant. Du musst wirklich für sehr kurze Zeit in der anderen Welt gewesen sein. Andy hat vermutlich recht damit, dass die Angst der Schlüssel dafür ist.“, stimmte Carlisle zu.

Ich glaubte ihm. Ja, so muss es sein. Aber wie sollte ich es schaffen, wieder rüber zu wechseln und dauerhaft dort zu bleiben und nicht nur einen Moment lang?

„Wow!“, kam es von Elli. „Erstaunlich, dass Angst so eine Wirkung haben kann.“ Dann stutzte sie und sah mich an. „Bella, was hast du gefühlt, als du bei dem anderem Haus warst, kurz bevor du hierher kamst?“

Richtig. Eine wirklich wichtige Frage. Ich versuchte mich zu erinnern.

„Ich bin dorthin gefahren, weil ich die Stimme von dem anderen Edward hören wollte.“

„Was?“, sagten alle. Ich wurde etwas rot. Ich versuchte, es zu erklären und hoffte, dass sie mich alle nicht für verrückt halten würden.

„Also, ich hatte herausgefunden, dass, wenn ich in einer bedrohlichen Situation war, seine Stimme hören konnte. Es ist eine Art Halluzination. Sie warnt mich immer vor irgendetwas. Eine trügerische Illusion, dass er mich immer noch beschützen wollte und ich ihm etwas bedeuten würde.“

Ich holte tief Luft. Der Schmerz meldete sich und versuchte an die Oberfläche zu kommen.

„Ich fuhr zu dem Haus, um den greifbaren Beweis zu sehen, dass es ihn wirklich in meinem Leben gab. Ich hoffte seine Stimme zu hören. Dem war aber leider nicht so. Ich fühlte Schmerz…und…Angst vor diesem Ort. Und gerade als ich mich umdrehte und wieder zu meinem Transporter gehen wollte, habe ich deine Stimme gehört.“ Bei den letzten Worten sah ich vor allem Carlisle an.

Alle machten große Augen. Sie sahen besorgt und verwirrt aus, aber nicht so, als hielten sie mich für verrückt.

„Oh, Schwesterchen.“, sagte Andy nur.


Dann sah ich, wie Edward langsam auf mich zutrat, sich neben mich setzte und mich in die Arme nahm. Der Schmerz fuhr mir durch die Brust. So heftig, dass ich dachte, ich müsse explodieren. Es fühlte sich so falsch, so fremd, und doch richtig und gut an. Einen Moment lang war ich wie erstarrt. Dann roch ich seinen köstlichen Duft und atmete tief ein. Auch wenn es mir später wehtun würde, so wollte ich diesen Moment genießen, auch wenn es ein anderer Edward war.

Sein süßer Duft, war wie ein Heilmittel für mich. Einerseits wollte ich mich befreien, da der Schmerz immer unerträglicher wurde. Andererseits war es ein so wunderbares Gefühl, das dafür sorgte, dass ich nicht in Stücke zerfiel. Durch Edward blieb ich ganz. Keiner von uns sagte etwas. Es war vollkommen still.
Dann – viel zu früh – löste er sich von mir. Er sah mich besorgt an und sprach zu mir.


„Bella, ich möchte, dass du mir jetzt genau zuhörst.“

Seine goldenen Augen glühten regelrecht. Sein Blick brannte sich in meinen. Ich war fasziniert, erstarrt. Wie lange hatte ich diesen Blick nicht gesehen? Ich konnte nur nicken und brachte kein Wort heraus.

„Bella, wenn Vampire erst mal ihre Seelenverwandten gefunden haben, dann sind sie für immer und ewig an sie gebunden.“ Er hielt inne und beobachtete mich ganz genau, während er weiter sprach.

„Auch wenn er dich verlassen hat, wird er früher oder später zu dir zurückkommen. Der Schmerz zerreißt ihn ebenso, wie er dich zerreißt. Er wird es nicht ewig aushalten können.“

Ich starrte ihn geschockt an und musste verhindern, dass diese Worte in mich einsanken. Ich glaubte ihm nicht. Das war falsch. Ich merkte, wie mir Tränen über die Wangen liefen. Ich schüttelte den Kopf.

„Das mag ja vielleicht bei anderen zutreffen, aber nicht bei mir. Ich bin doch nur ein Mensch. Nichts Besonderes.“, sagte ich und meine Stimme brach.

Ich hörte ein leises Knurren. „Bella, wenn Vampire erst mal lieben, dann lieben sie für immer. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Vampir oder Menschen handelt.“, sagte er ernst, fast wütend.

Das konnte nicht wahr sein? Das konnte nicht für mich gelten. Das war eine Lüge! Der Schmerz wurde immer schlimmer, je mehr ich über seine Worte nachdachte. Die Tränen flossen weiter und ich schüttelte wieder den Kopf.

„Ich bin da wohl eine Ausnahme.“, beharrte ich weinend.

Edward machte die Augen schmal.

Plötzlich spürte ich eine Welle der Ruhe und Gelassenheit. Elli hatte also meine Gefühle wieder beeinflusst, um mich zu beruhigen. Ich sah zu ihr hinüber, dann zu den anderen Cullens und zu Andy. Er wusste, wie ich mich fühlte und weinte ebenso. Elli musste ihn bestimmt auch beruhigen. Sie sahen mich alle traurig und mitfühlend an, sogar Rosalie.

Dann spürte ich, wie mich die Müdigkeit übermannte und ich wehrte mich nicht dagegen. Ich spürte, wie mir mehr und mehr die Augen zufielen und jemand – vermutlich Edward – legte mich sanft wieder aufs Sofa.

Experimente





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich erwachte in meinem Bett. Seltsam. Wie kam ich nur hierher? Ich schlug die Decke zurück und stand auf. Ich war vollständig angezogen, abgesehen von meinen Schuhen. Komisch, ich kann mich gar nicht mehr erinnern nach Hause gekommen zu sein? Ich machte die Tür meines Zimmers auf und trat in den Flur. Da öffnete sich die Tür nebenan und Andy trat hinaus.

„Bella?“

„Andy?“

„Wie kamen wir nach Hause?“, fragte er.

„Ich habe keine Ahnung.“, antwortete ich.

Wir gingen die Treppe runter und hörten den Fernseher. Charlie war also da.

„Morgen, ihr zwei.“, begrüßte er uns, als wir im Wohnzimmer angekommen waren.

„Hallo, Dad“, sagten wir.
„Dad, wie sind wir gestern nach Hause gekommen?“, fragte ich. Charlie runzelte die Stirn.

„Das wisst ihr nicht mehr?“ Wir schüttelten die Köpfe.
„Einer der Kinder von Carlisle Cullen hat euch gestern nach Hause gebracht und nach oben getragen. Ihr beide habt tief und fest geschlafen. Ich glaube sein Name war Edward.“

Ein leichter Schmerz fuhr mir durch die Brust, als ich mich an das Ende des Abends erinnerte. Dass ich in seinen Armen lag…

„Aha, ach so.“, sagte Andy nur.

Wir warfen uns einen Blick zu.

„Haben wir wohl nicht mehr ganz mitgekriegt.“, sagte ich trocken.

Andy und ich gingen in die Küche und machten uns Frühstück. Wir aßen schweigend, als der Fernseher ausgemacht wurde und Charlie zu uns stieß.

„So ihr beiden. Ich fahr dann mal los. Bis heute Abend dann.“

„Klar, Dad.“, sagte mein Bruder.

„Viel Spaß.“, antwortete ich und versuchte fröhlich zu klingen.

Charlie zog sich an und mit einem genuschelten „Tschüss.“ Verließ er das Haus.

Dann beugten wir uns einander über dem Tisch zu.

„Also, wir haben den Schlüssel für den Übergang gefunden.“, sagte ich und klang dabei sogar etwas enthusiastisch. Andy lächelte.

„Ja. Du weißt, was das heißt, oder?“ Ich sah ihn verwirrt an.

„Ach ja?“

Er verdrehte die Augen.

„Na wir müssen üben.“

Wir hatten inzwischen unser benutztes Geschirr abgewaschen, abgetrocknet und wieder weggestellt. Die Küche war nun wieder sauber. Wir gingen nach oben in mein Zimmer.

„Toll, und wie soll das jetzt von statten gehen?“, fragte ich.

Andy setzte sich im Schneidersitz auf dem Boden.

„Komm.“ Ich seufzte uns setzte mich ihm ebenfalls im Schneidersitz gegenüber.
„Gib mir deine Hände.“

Ich legte meine Hände in seine und wir drückten sie gegenseitig. Dann lächelten wir.

„Okay, wir wissen, dass der Schlüssel zum Übergang Angst ist.“, fasste Andy nochmal zusammen. Ich nickte.

„Okay, dann stell dir jetzt etwas vor, vor dem du am Meisten Angst hast.“
Ich zuckte zusammen. „Bella, wenn du – beziehungsweise wir – in die andere Welt zurückkehren wollen, dann müssen wir das hier machen. Auch wenn es nicht gerade schön ist.“, erinnerte er mich.

„Ich weiß.“, seufzte ich.

„Also, wovor hast du die größte Angst?“, fragte mein Bruder mich ernsthaft.

Ich überlegte genau, bevor ich darauf antwortete.


Meine wahre Liebe hatte mich verlassen.
Ja, davor hatte ich immer Angst gehabt, dass dies eines Tages passieren könnte. Schließlich wurde mein Alptraum war. Ich hatte Angst. Angst vor dem Schmerz, der durch das Verlassen meiner Liebe geboren wurde.

Aber war dies wirklich meine größte Angst? Nein, erstaunlicherweise war sie es nicht.

Ich wusste, was meine größte Angst war beziehungsweise ist. Auch wenn mich meine Liebe verlassen hatte, auch wenn ich ihm nichts mehr bedeutete, so würde es mich zerstören, wenn MEIN Edward aufhören würde zu existieren. Wenn er diese Welt verlassen würde, ganz gleich, ob ich lebte oder selbst tot war.

Eine Welt ohne Edward – ich schluckte – konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Eine Welt, in der es ihn nicht mehr gibt, wäre nicht vollständig und würde es auch nie wieder werden. Als hätte die Erde ihre Umlaufbahn verlassen und würde nun ziellos im Weltall herum irren. Ja, das wäre das der Welt. Das Ende meiner Welt. Wenn er nicht mehr leben würde, dann würde ich auch nicht mehr leben. Ich würde nicht einmal mehr existieren, wie ich es die letzte Zeit getan hatte. Ich räusperte mich und antwortete auf die Frage.


„Meine größte Angst ist, dass Edward stirbt. Eine Welt ohne ihn, ganz gleich, was mit mir passiert.“
Andy nickte nachdenklich.
„Was ist deine größte Angst?“, stellte ich nun die Gegenfrage.

Er antwortete ohne zu zögern. „Meine größte Angst ist, dich noch einmal zu verlieren. Egal, ob du in einer anderen Welt oder tot bist. Ohne dich kann ich nicht leben.“

Er sah mich durchdringend an und ich nickte stumm.

„Okay, wir wissen jetzt, was unsere größte Angst ist. Und nun?“, fragte ich nach ein paar Sekunden Stille. Andy drückte meine Hände jetzt ganz fest und atmete tief durch.

„Auch wenn es uns nun sehr schwerfallen wird.“ Er hielt inne. „Lass uns Angst haben!“

„Wie meinst du das?“, fragte ich ihn perplex.

„Ich meine, stell dir deine Angst vor. Stell dir vor, dass deine Angst wahr wird. Das sie wirklich passiert.“

„Oh.“, erwiderte ich nur.


Ich wusste, dass es gleich sehr wehtun würde, aber das war nun mal der Preis für diese Fähigkeit. Ich holte tief Luft und schloss die Augen, während ich Andys Hände ganz fest drückte. Ich drückte sie, als seien sie mein Rettungsanker.


„Konzentrier dich ganz fest auf deine Angst!“, hörte ich ihn sagen und ich spürte, wie er meinen Händedruck erwiderte.


Ich konzentrierte mich und holte all die Erinnerungen hervor, an die ich eigentlich nicht denken wollte – nicht denken dürfte. Dennoch tat ich es.

Als ich ihn zum ersten Mal in der Cafeteria mit seinen Geschwistern sah. Seine blasse glatte Haut, sein Haar, sein Gesicht und seine wütenden schwarzen Augen.
Als er mich in Bio zum ersten Mal ansprach und ich in seine goldenen Augen schaute. Wie seine Stimme klang, als er zum ersten Mal meinen Namen aussprach.
Als er mich vor dem Van und vor den Männern in Port Angeles gerettet hatte. Wie sicher ich mich bei ihm gefühlt hatte und der Duft, den sein Körper verströmte.
Als wir zusammen im Restaurant saßen und er mich mit seinen leuchtenden Augen beobachtete und sich mir langsam öffnete.
Als ich mit ihm auf der Lichtung war und das funkelnde Glitzern seiner Haut gesehen hatte. So ein wunderschöner Anblick.
Als ich seine Stimme im Ballettstudio hörte, als ich dabei war zu verbrennen.
Als ich auf dem Abschlussball in seinen Armen lag und er mit mir getanzt hatte, obwohl das so eine schreckliche Vorstellung für mich war. Aber nicht mit ihm an meiner Seite.

Dann kam die schrecklichste Erinnerung.

Als ich mit ihm am Waldesrand hinter Charlies Haus war und er mir sagte, er wolle mich nicht mehr. Ich spürte Tränen näher kommen. Dann konzentrierte ich mich noch mehr.
Ich dachte an unser Gespräch zurück, als wir uns an meinem Geburtstag Romeo und Julia angeschaut hatten. Dass er mir erzählt hatte, dass er sein Leben beenden wollte für den Fall, dass er nicht rechtzeitig zu meiner Rettung kam.

Da überkam mich diese Angst zum ersten Mal. Eine Welt ohne Edward? Unvorstellbar! Doch genau das tat ich nun. Ich versuchte mir eine Welt ohne IHN, meinen Engel, vorzustellen.

Die Welt wurde düster für mich. Alles wurde immer dunkler. Kein Licht gab es mehr. Kein Glanz und keine Schönheit. Keine Sterne, keinen Mond, keine Sonne. Auf der Welt herrschte die reine Finsternis ohne Hoffnung auf Erlösung.
Es gab nichts Gutes mehr.
Das Böse und Schlechte hatte nun die Oberhand.

Es war wie in meinem Alptraum nur viel schlimmer. Das Schlimme war, dass die Welt nie aus diesem Alptraum mehr erwachen würde. Meine Gedanken kreisten immer nur um diese eine Vorstellung. Ich spürte, wie Panik sich in mir aufbaute, schneller und schneller und schneller. Die Wellen der Panik und der Angst schlugen über mir zusammen und ertränkten mich. Ich drückte Andys Hände so fest ich nur konnte. Ich brauchte sie. Ohne Andy würde ich das nicht überstehen. Die Wellen rissen mich immer mehr in die Tiefe. Immer mehr in die Finsternis. Immer mehr ins Nichts hinunter.

Dann spürte ich etwas.

Ein Zittern? Ich wusste es nicht. Ich war einfach viel zu tief in meiner Erinnerung versunken.

NEIN! STOPP! Das war keine Erinnerung! Es war nur eine Vorstellung. Eine Vorstellung über das Ende der Welt.

Ich spürte, wie Tränen mir die Wangen hinunter liefen. Dann fühlte ich erneut etwas.

Es war, als würde ich schwanken. Hin und her. Immer schneller. Immer stärker. War das alles nur Einbildung? Ich konnte die Augen nicht öffnen. Es gelang mir einfach nicht.

Das Nichts – die Vorstellung – hatte mich komplett umschlungen. Ich kam nicht von ihr los.


(Reguläres Universum)




Dann spürte ich noch etwas. Es war, als würde ich fliegen. Nur kurz. Dann fühlte es sich so an, als würde ich – mit Andy – gegen etwas Hartem gestoßen. Ich glaubte zu hören, wie etwas zu Bruch ging.

Aber sicher war ich mir nicht.

Obwohl ich Andy nicht sehen konnte, spürte ich, dass er bei mir war.

Dann wurde es Schwarz und die Finsternis war um mich und in mir.

Verschwunden oder Tot?




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Ich rannte und rannte. Ich rannte schon seit Tagen, um Victoria zu finden. Nur eine leise Spur ihres Geruchs aufzuschnappen. Aber nichts. Ich war in England, Brasilien und nun bin hier. In Texas. Ich hatte alles Mögliche versucht. Auf meiner Reise habe ich viele Vampire getroffen. Ich sah jeden in den Kopf und las die Gedanken, ob sie vielleicht eine rothaarige Frau gesehen haben. Auch kam ich mit einigen ins Gespräch, die mich zuerst immer komisch ansahen wegen meiner Augenfarbe. Doch auch sie konnten mir nicht helfen. Konnten mir auch nicht den kleinsten Hinweis geben.

Ich war – oder bin – ein miserabler Jäger. Ich war langsam am Verzweifeln. Seit ich SIE verlassen hatte, war ich zu Nichts mehr imstande. Nicht einmal jene zu jagen, die eine Gefahr für SIE waren oder noch werden könnten. Niemand sollte IHR Leben bedrohen. Nicht einmal ich selbst.

Ich hatte SIE nun vor 45 Tagen verlassen. Ich hatte SIE verlassen, um SIE vor mir und meiner Welt zu schützen. SIE sollte nicht mehr in einer Welt voller Monster leben. SIE gehörte nicht in die ewige Verdammnis, in die ewige Nacht. SIE war so ein reines unschuldiges Mädchen. SIE war ein Wesen, das auf der Seite der Sonne und des Lichts wandeln sollte. SIE hatte es nicht verdient in die Finsternis gezogen zu werden. SIE verdiente ein Leben. Ein ganz normales Menschenleben. Ohne Vampire. Ohne seelenlose Monster. SIE sollte mich vergessen und IHR Leben weiterleben, als hätte es mich nie gegeben.

Es schmerzte in meiner Brust und mein kaltes stummes Herz drohte zu zerspringen, als mir – wieder zum tausendsten Mal – klar wurde, dass ich nicht mehr ein Teil IHRES Lebens sein konnte – sein durfte. Die Vorstellung, dass SIE mit einem anderen Mann glücklich wird, zerfetzte mein Herz. Warum konnte ich nicht dieser Mann für SIE sein? Ich würde SIE beschützen vor allem und jedem, der IHR körperlichen oder seelischen Schmerz zufügen wollte.

HALT! Ich musste damit aufhören.

Ich konnte dieser Mann nicht für SIE sein. Niemals! Ich bin kein Mensch. Ich bin eine seelenlose Kreatur, die tötet um zu überleben. Ich habe SIE nicht verdient. Das hatte ich nie! Trotzdem tat es mir unendlich weh, meine Seelenverwandte verloren zu haben. SIE war die einzige, die ich jemals wollte. Doch ich durfte SIE nicht haben. Das stand mir nicht zu.

Deshalb war das Schicksal von Anfang an gegen uns. Alles ging schief, was schief gehen konnte. Als ich SIE zum ersten Mal sah, hätte ich SIE töten können. Als SIE Zeit mit mir verbrachte, hätte ich sie töten können. Als wir uns küssten, hätte ich SIE töten können. Als ich das Gift von James aus ihrem Körper heraus saugte, hätte ich SIE töten können. Und an ihrem Geburtstag hätte Jasper SIE fast getötet. Natürlich war das nicht seine Schuld. Wir sind, was wir sind. Doch all diese Sachen zeigten mir, dass wir Monster waren. Und Monster durften etwas Reines wie SIE nicht besitzen. Das wollte mir das Schicksal von Anfang an sagen.

Doch ich egoistische Kreatur hatte nur mein Verlangen im Sinn und hatte nicht an SIE gedacht. Immer wieder gewann meine Selbstsucht die Oberhand. Meine Selbstsucht, die SIE ständig in Gefahr gebracht und schließlich fast getötet hatte. Also hatte ich es schweren Herzens doch geschafft sie zu verlassen, damit sie nie wieder in solche Gefahr geraten konnte. Nein. Damals hatte ich es geschafft an ihr Wohl zu denken und nicht meiner Selbstsucht nachzugeben.

Aber mit jedem weiteren Tag der verging, wurde der Schmerz stärker, oder er hörte nie auf. Seine Intensität war konstant. Ich wusste es nicht. Aber ich konnte nicht mehr. Ich war in Texas irgendwo im Wald und verkroch mich. Ich hatte es nicht geschafft, Victoria zu finden. Ich hatte keine Kraft mehr, um nach ihr zu suchen. Die Verfolgungsjagd hatte nicht mehr die Macht, mich von meinem Schmerz abzulenken. Kein Stück mehr.

Der Schmerz zerstörte mich jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde mehr. Aber eigentlich machte das kein Unterschied mehr. Schließlich war ich schon seit 45 Tagen tot. Seit diesem Tag war ich nur noch eine Hülle. Ich hatte meine Seele verlassen. Ich hatte SIE verlassen. Ohne SIE war mein Leben – meine Existenz – völlig sinnlos. Was sollte ich ohne SIE tun? Doch ich zahlte diesen Preis sehr gern, wenn SIE dadurch wieder ein normales Leben führen und glücklich sein kann.

Doch tat ich das wirklich?

Ich konnte ohne SIE nicht existieren, nicht ohne SIE leben. Keinen Tag mehr. Die Qual fraß mich von innen auf. Es war schmerzhaft. Nein. Ich konnte nicht mehr. Ich musste zu IHR. Auch wenn ich es mir verboten hatte. Aber ich hatte keine Kraft mehr. Ich war nicht mehr stark genug, um ohne SIE zu sein. Doch halt.

Was sollte ich IHR sagen, wenn wir uns gegenüberstehen? Wollte SIE mich noch? Würde SIE mich zurück haben wollen, nachdem ich SIE so sehr verletzt hatte? Oder die andere Möglichkeit. Mein Herz zog sich vor Qualen zusammen.

Wenn sie IHR Menschenleben bereits mit einem anderem Mann teilte. Vielleicht jener, der IHR in dieser schweren Zeit beistand? Ich hoffte es nicht, und doch wünschte ich es mir so sehr. Für SIE. Sie verdiente einen Mann, der sie glücklich machen konnte. Der ihr all das geben konnte, was ich nicht konnte. Ich brüllte innerlich vor Schmerzen, als ich mir das vorstellte. Es wäre durchaus denkbar.

Ich rannte und rannte weiter. Zum Glück war es Nacht. So musste ich nicht besonders aufpassen. Ich rannte immer schneller. Ich wollte so schnell wie möglich bei IHR sein. Aber zuerst würde ich sie beobachten. Ich musste erst sehen, wie sich ihr Leben nach meinem Weggang entwickelt hat.

Ich stellte mir ihr Gesicht vor. Ihr blasse Haut, die von ihrem braunen Haar wunderschön umrahmt wurde. Ihre wunderschönen roten Lippen, wie sie sich einladend öffneten und meine Lippen sanft berührten. Was wenn diese Lippen nun einen anderen berührten? Wieder durchzuckte mich erneut ein heftiger Schmerz.

Ihre wundervollen schokoladenbraunen Augen, wie sie mich ansahen, als wäre ich IHRE Welt. Ich sah IHRE Augen genau vor mir. Dieses Braun, in das ich immer tiefer und tiefer versank. Die Liebe, die sie ausstrahlten. In mir breitete sich ein warmes Gefühl aus. Doch das wurde sofort wieder erstickt. Was, wenn diese Augen jetzt jemand anderen so ansahen? Einen anderen, dem SIE ihre Liebe geschenkt hat. Der Schmerz kehrte zurück und wurde noch stärker – wenn das überhaupt möglich war –, als mir ein weiterer Gedanke in den Sinn kam.

Ich sah wieder das Bild vor Augen, das ich so gut wie immer sah. Wie das Licht, die Liebe, die Verbundenheit, das Vertrauen in ihren Augen erlosch, als SIE meinen Lügen geglaubt hatte. Wie konnte SIE mir nur glauben? Wie konnte ich SIE so leicht davon überzeugen, dass ich SIE nicht mehr liebte? SIE kannte doch die Wahrheit. SIE wusste doch, dass SIE alles war, was mich ausmachte. Ohne SIE würde ich aufhören zu existieren. Warum konnte ich so schnell IHR Vertrauen zerstören? Ich wusste die Antwort auf all diese Fragen nicht. Würde ich sie jemals bekommen? Diese Frage und die Angst vor den Antworten jagten mir einen weiteren tiefen Schmerz durch die Brust.

Es war erstaunlich, dass ich noch nicht zusammen gebrochen bin. Ich rannte immer weiter und versuchte alle schlechten Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben, oder sie wenigstens in die kleinste Ecke meines Gehirns zu verbannen. Es war Morgen. Der Morgen nach Halloween. Ich war in Forks angekommen.

Plötzlich vibrierte mein Handy. Natürlich war es Alice. Sie wusste natürlich, dass ich schwach geworden bin. Ich nahm den Anruf entgegen.


„Hallo Alice. Ich will jetzt nichts von dir hören. Ja, ich bin wieder in Forks, aber das bedeutet noch lange nicht, dass…“ Ich konnte nicht weiterreden, denn Alice unterbrach mich. Ihre Stimme überschlug sich fast.

„Komm sofort nach Hause!“, befahl sie.

Ich verstand sie nicht. Warum soll ich jetzt dorthin gehen? Ich muss zu Charlies Haus, um nach IHR zu sehen. Plötzlich fiel mir etwas an Alice Tonfall auf.

„Alice, sind die anderen auch alle da?“, fragte ich.

„Natürlich, wir sind alle da. Und jetzt komm nach Hause, sofort und gehe nicht erst zu Charlie. Komm SOFORT!“, sagte Alice genervt und wütend.

Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Ich verstand ihren Befehl nicht. War irgendetwas zu Hause – hier in Forks – passiert? Vielleicht Esme oder Carlisle? Panik stieg in mir auf und ich rannte ohne Umwege zu dem Haus. Aber etwas stimmte nicht. Sie waren nicht im Haus, wie ich dachte. Alle standen draußen und starrten auf etwas. Auf was, das konnte ich nicht erkennen. Ich war noch zu weit weg.

°Was macht der hier?° Alices Stimme.

°Ich rieche nichts.° Das war Carlisle.

Ich war eine halbe Minute später bei meiner Familie angelangt. Sie sahen alle verwirrt und erschrocken aus, außer Rosalie natürlich.

„Was ist los?“, fragte ich angespannt. Ich wurde immer besorgter.

„Dreh dich mal um.“, sagte Alice leise zu mir.


Ich tat es und erstarrte zu Eis. Dort, ein paar Meter vor unserem Haus, stand IHR Transporter. Aber SIE war nirgends zu sehen. SIE war also hier gewesen. Wann war das? Wieso kam SIE hierher zurück? SIE sollte hier nie wieder sein. Was wollte SIE hier? Dachte SIE, es wäre noch jemand von uns hier? Ich verstand den Sinn ihrer Handlung einfach nicht.

Dann löste ich mich aus meiner Starre und sog die Luft ein. Ich roch SIE nicht. Aber IHR Transporter war hier. Warum roch ich SIE nicht? Wenn IHR Transporter hier noch steht, dann muss SIE doch in der Nähe sein. Ich müsste SIE also riechen. Ich konzentrierte mich voll auf meinen Geruchssinn und schmeckte die Luft. Aber nichts.

Kein Duft nach Lavendel oder Fresien war zu riechen. IHR Duft war nicht zu riehen. Warum nicht? IHR Transporter stand doch hier! Ich verstand das alles nicht. Ich merkte, wie mich die Sorge ergriff, die sich mehr und mehr in Angst umwandelte. Ich drehte mich zu meiner Familie um.


„Wo ist SIE?“, fragte ich panisch.

Eine sehr dumme Frage. Natürlich wussten sie es auch nicht. Aber das war die erste Frage, die mir in den Sinn kam.

°Das wissen wir nicht. Wir sind genauso ratlos wie du.°, dachte Carlisle.

°Oh, mein Gott. Wo ist Bella nur? Hoffentlich ist ihr nichts passiert.°, dachte Esme.

Ihr Name stach mir ins Herz, auch wenn er nicht laut ausgesprochen wurde. Wie konnte sie IHREN Namen auch nur denken?

°Mist, wo ist unsere Kleine?°, dachte Emmett besorgt. Er liebte SIE inzwischen wie eine kleine Schwester.

°Seltsam. Ich kann nicht die winzigste Spur von ihr riechen.°, dachte Jasper.

°Toll, diese Göre macht doch nur Ärger.°, dachte Rosalie verächtlich.

Ich knurrte sie an. Doch sie erwiderte trotzig meinen finsteren Blick und Emmett legte einen Arm um Rosalies Schultern.

„Wir müssen Bella suchen.“, sagte Carlisle bestimmt.

Wieder zuckte ich innerlich zusammen. Wir teilten uns alle daraufhin auf und suchten – und schnupperten – die nähere Umgebung ab. Auch Rosalie half mit, wenn auch äußerst widerwillig. Ich konnte aber nichts von IHR riechen. Absolut nichts. Ich ging wieder zurück. Die anderen warteten schon auf mich. Doch leider dachte jeder, dass er nichts riechen konnte. Die Sorge schnürte mir die Kehle zu.

„Tja, vielleicht wurde sie ja getötet.“, sagte Rosalie ohne Nachzudenken.

Ich knurrte sie heftig an. Ich war kurz davor, ihr an die Gurgel zu springen. Doch Emmetts Stimme unterbrach mein Vorhaben.

„Rose!“, fuhr er sie an. „Würdest du auch so darüber denken, wenn ICH an Bellas Stelle wäre?“, fragte er.

Daraufhin wurde Rosalie so still und klein, dass ich – wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre – laut gelacht hätte. Sogar in ihrem Kopf war es daraufhin ziemlich still. Keine dummen Bemerkungen über SIE waren mehr zu hören. Ich wandte mich zu Alice.

„Alice, kannst du SIE nicht sehen?“, meine Frage klang schon bissig, durch diese Sorge.

Doch Alice verstand mich und blieb ganz ruhig. Sie konzentrierte sich und ihr Gesicht wurde für einen kurzen Moment ausdruckslos. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Tut mir leid, Edward. Ich sehe nichts. Absolut nichts. Fast so, als wäre Bella tatsächlich tot.“

Diese 2 Worte „Bella“ und „tot“ raubten mir den Verstand und rissen mein Herz in tausend kleine Stücke. Der Schmerz pulsierte.

„NEIN!“, schrie ich verzweifelt.


Das konnte nicht sein! Das darf nicht sein! SIE hatte mir doch versprochen, nichts Dummes oder Waghalsiges zu tun! Wo war SIE nur? SIE ist nicht tot! Das konnte – und wollte ich nicht akzeptieren. Dann spürte ich eine Welle der Ruhe über mich. Ich knurrte Jasper an. Das wollte ich jetzt auf keinen Fall. Wenn er das noch einmal machen würde, würde ich ihn umbringen.

Doch durch die Ruhe, die Jasper kurz in mir ausgebreitet hatte, konnte ich wieder einen klaren Gedanken fassen. Charlie! Charlie würde vielleicht wissen, was mit IHR passiert ist, auch wenn ich keine große Hoffnung hatte. Doch ich klammerte mich an jeden Strohhalm.

„Ich gehe zu Charlie.“, sagte ich nur, bevor mich jemand aufhalten konnte.


Ich rannte los. Aber was sollte ich ihm sagen, wenn ich vor seiner Tür stand. Er hasste mich jetzt für das, was ich IHR angetan hatte. Er würde mir nie verraten, wo SIE ist, wenn er es denn tatsächlich wusste. Aber vielleicht konnte ich einen Hinweis in seinen Gedanken lesen. Ich wollte – ich musste – SIE sehen.

Sie ist nicht tot! Inzwischen war es Vormittag. Ich musste schon etwas aufpassen, um nicht erwischt zu werden. Doch das war mir egal. Naja, fast egal. Ich wollte das meiner Familie nicht antun und musste mich daher zusammen reißen.

Plötzlich hatte ich Charlies Geruch in der Nase. Er war sehr stark. Komisch. Er war also nicht zu Hause. Wo war er dann? Ich folgte der Spur und sah, dass er zu seinem Auto ging. Ich fragte mich, was er dort gerade zu suchen hatte. Als er wegfuhr, trat ich aus den Bäumen hervor. Es war sonst kein anderer Mensch hier. Ich ging zu dem Ort, von dem Charlie gerade gekommen war. Was wollte er hier? Ich hatte leichte Panik vor dieser Antwort.

Ich folgte seinem Geruch und blieb dort stehen, wo auch er stehen geblieben war, und das für lange Zeit. Ich starrte auf den Stein und wollte einfach nicht glauben, was ich da las. Aber letztendlich musste ich es doch tun. Die Buchstaben standen nun mal in dieser Reihenfolge dort. Ich war wie erstarrt und wollte nicht, dass das Geschriebene in mich einsank, aber es war zu mächtig für mich. Es war, als würde ich körperlich und seelisch zusammen brechen. Immer und immer wieder.


Isabella Marie Swan


13. 09. 1987 – 14. 06.1994


Das konnte nicht stimmen. Das war falsch. Die Schmerzen drohten mich zu zerstören. Diese Qualen der letzten 45 Tage waren harmlos, im Gegensatz zu dem Schmerz, den ich jetzt empfand.

Bella – jetzt konnte ich ihren Namen denken – soll tot sein? Und das seit über 11 Jahren?

Das war nicht möglich. Das musste falsch sein. Wenn Bella wirklich seit so vielen Jahren schon tot ist, wer war dann die junge Frau, mit der ich die schönsten Monate meines Daseins verbracht hatte? War sie ein Geist? Eine Illusion? Wollte mir der Himmel das zeigen, was ich brauchte, um vollständig zu sein? Es mir zeigen, obwohl sie schon längst tot war? Obwohl ich sie schon längst verloren hatte, bevor ich auch nur ahnte, dass sie die Eine für mich ist?

Wollte Gott – wenn es ihn überhaupt gab – mich verhöhnen? Wenn ja, dann hatte er wirklich seinen Spaß. Habe ich die schönste Zeit meiner gesamten Existenz nur mit einer „Erscheinung“ verbracht? Wenn das stimmte, warum haben sie dann alle Menschen gesehen? Warum konnte meine Familie sie sehen, obwohl sie doch nur meiner Einbildung entspringen konnte? Das war alles ziemlich unlogisch und ich wandte mich schnell der zweiten Möglichkeit zu.

Das gab es wirklich und sie war keine Einbildung. Ich habe eine reale lebende Person in meinen Armen gehalten, sie geküsst. Aber ihr Name war nicht Bella. Wieso nicht? Der Name stand für all das Schöne in dieser Welt. Diese Frau trug nicht den Namen meiner Schönheit? Wie heißt diese Frau dann? Ich konnte sie mir mit keinem anderen Namen vorstellen.

Der Name „Bella“ war perfekt für sie, wie alles an ihr. Auch hatte ich nicht das Gefühl, dass sie log, als sie mir damals bestätigte, dass ihr Name Bella Swan sei. Was hatte das alles zu bedeuten? Vielleicht glaubte sie, dass ihr Name „Bella“ ist. Aber warum? Und selbst, wenn sie damals gelogen hatte, warum sollte sie mir ihren wahren Namen verheimlichen? Ich wusste keine Antwort auf diese Fragen.

Warum war Charlie hier? Er trauerte bestimmt um seine Tochter. Aber als ich in ihrer Wohnung war, hatte ich kein Foto mit einem anderen Mädchen, also mit „Bella“ gesehen. Oh Gott, war das alles verworren. Es war, als wäre ich mitten in einen Alptraum gelandet. Wie hieß nur dieses Mädchen? Warum sagte sie, sie sei Bella? Ich empfand Wut, Trauer und Verzweiflung. Ich konnte nicht glauben, dass ich die Zeit mit einer Frau verbracht hatte, die nicht „Bella“ hieß.

Nein. Das konnte nicht sein. Aber es gab keine andere Erklärung. Warum sonst sollte der Grabstein hier stehen. Aber wenn Bella wirklich tot war, warum haben wir dann am 13. September ihren Geburtstag gefeiert?

Naja, „gefeiert“ war nun nicht das passende Wort. Hat sie sich deswegen erst so gegen ihren Geburtstag und der Party gestäubt? Weil es eigentlich nicht ihr Geburtstag war? Aber warum hat sie das dann überhaupt behauptet? Das waren für mich alles absurde Gedanken.

Für mich stand nur eins fest. Ich konnte nicht glauben, dass ich mit einer anderen Frau meine kostbare Zeit verbracht hatte. Ich hatte verloren. Wiedermal.

Der Schmerz verbrannte mich innerlich. Es war schlimmer als sie Hölle.

Nach einer gefühlten Ewigkeit riss ich mich von diesem Anblick los, der für immer in meinem Gedächtnis eingebrannt sein würde, und rannte zurück zum Haus. Ich wollte und konnte das nicht akzeptieren, verstehen oder gar verkraften. Bella und tot?

°Nein! Nein, nein, nein!°, hallten die Worte in meinem Kopf wider.

Die anderen warteten draußen auf mich. Sie hatten sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Alle sahen mich an. Besorgt und Verzweifelt. Selbst Rosalie schaute etwas bedrückt.


„Alice hat uns alles erzählt.“, sagte Carlisle ruhig. Ich schüttelte den Kopf und sah Alice an.

„Alice, bitte konzentriere dich noch einmal. Du musst sie doch sehen können.“

„Ich habe schon versucht.“, sagte sie, „Immer und immer wieder. Aber ich kann sie nicht sehen. Bella – oder diese Frau – scheint wirklich tot zu sein.“

„Ihr Name ist Bella. Sie heißt so und nicht anders!“, brüllte ich sie zornig an.

„Aber Edward…“, setzte Esme an. Doch sie wurde unterbrochen.


Wir hörten Glas zersplittern. Dann rochen wir Menschenblut. Ich zögerte nicht und ging sofort rein um nachzusehen, was passiert war. Alle anderen folgten mir. Nur Alice und Jasper nicht. Ich roch 2 Menschen und sie rochen ähnlich, fast identisch. Den einen Geruch erkannte ich sofort.

Es war der Duft nach Fresien oder Lavendeln. Es war Ihr Geruch. Es war der Geruch meiner Bella. Für mich würde sie immer „Bella“ heißen, ganz egal wie ihr wirklicher Name ist, wenn ich den eben heraus gefundenen Tatsachen wirklich Glauben schenkte, was ich nicht wollte. Ich war nur glücklich, dass ich Bella wieder riechen konnte.

Aber wie konnte das sein? Wie kam sie hierher? Sie erschien praktisch aus dem Nichts. Alice konnte nichts sehen. Und ich roch ihr Blut. Was ist mit ihr passiert? Wie kam es, dass sie durch unsere Glaswand geflogen kam? Und wer war die andere Person, die so ähnlich roch wie sie?

Der Geruch stimmte fast mit ihrem überein. Der Geruch war ebenfalls sehr köstlich, aber natürlich nicht so köstlich, wie der von Bella. Dieser Geruch war herber, aber nur eine kleine Spur. Seltsam. Dass es so etwas überhaupt gab. Aber das war jetzt alles nicht mehr wichtig. Nur Bella war jetzt wichtig und die Versorgung ihrer Wunden.

Carlisle und ich gingen den anderen voraus. Wir folgten den Gerüchen. In meinem Zimmer waren sie am stärksten. Ich riss die Tür auf. Und da sah ich sie. Auf den ersten Blick, sah es so aus, als würde ich doppelt sehen. Zwei Bellas. Dann trat ich zu den 2 Personen näher heran, die mit weit aufgerissenen Augen unbewegt da lagen. Nein – oder ja – es waren zwei Bellas. Irgendwo.

Ich erschrak leicht und riss die Augen auf, als ich sie näher betrachtete.

Sie sahen genau gleich aus. Die gleiche Haarlänge, die gleiche Haarfarbe, der gleiche Hautton und genau die gleichen schokoladenbraunen Augen. Nur die eine Person war größer und muskulöser als die andere. Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag.

Zwillinge. Eineiige Zwillinge, jedoch mit unterschiedlichem Geschlecht.

Soweit ich wusste, kam dieses Phänomen nur äußerst selten vor. Nun war mir klar, warum beide fast genau gleich rochen.

Bella hatte einen männlichen Zwillingsbruder. Erstaunlich. Aber jetzt waren andere Sachen wichtiger. Beide bewegten sich nicht und starrten mit weit aufgerissenen Augen an die Decke. Sie hatten Schnittverletzungen am Kopf und an den Armen.


„Edward, lass mich durch. Ich muss sie behandeln.“, fuhr Carlsile mich barsch an.

An die anderen hatte ich gar nicht mehr gedacht. Selbst ihre Gedanken hatte ich nicht empfangen, weil ich zu sehr mit meinen eigenen beschäftigt war. Aber die Hauptsache war, was mich wenigstens etwas erleichterte, dass Bella nicht tot war. Und ich hoffte, dass das so bleiben würde.

„Emmett, trag diesen jungen Mann in mein Arbeitszimmer!“, befahl Carlisle, während er Bella hinaus trug, auf dem Weg ins Arbeitszimmer.

Eigentlich hätte ich das gemacht, aber ich war einfach zu fassungslos. Ich konnte nichts machen. Ich musste das alles erst einmal verarbeiten.

„Wow. Jetzt gibt’s Bella schon zweimal.“, scherzte Emmett.

Er legte den männlichen Zwilling ebenfalls auf eine Liege, die neben der stand, wo meine Bella lag.

°Bitte stirb nicht! Jetzt wo ich dich doch erst wieder hab. Ich will dich nicht noch einmal verlieren.°, dachte ich verzweifelt.

„Zwillinge. Wer hätte das gedacht?“, sagte Esme und klang besorgt.

Natürlich machte sie sich Sorgen um Bella und um ihren…Bruder. Komisch, das Wort im Zusammenhang mit Bella zu benutzen. Ich hatte keine Fotos von Zwillingen in ihrer Wohnung gesehen. Und auch keinen…weiteren…Grabstein.

Ich schüttelte den Kopf. Daran wollte ich nicht mehr denken. Alice stand nun neben mir.

°Ich habe sie nicht kommen sehen. Warum habe ich nichts gesehen? Woher kamen sie auf einmal? Wie kamen sie hierher? Als wären sie aus dem Nichts aufgetaucht.°

Diese Gedanken waren wohl eher für sie selbst bestimmt, dennoch antwortete ich: „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Alice verschwand wieder und ich sah in ihren Gedanken, dass sie Jasper auf den neusten Stand bringen wollte.

°Zwillinge?°, dachte Rosalie überrascht. °Na toll, noch eine Bella, die uns Ärger macht!°

Ich knurrte sie an. Doch sie achtete nicht darauf und schritt würdig hinaus. Ich blieb im Arbeitszimmer zusammen mit Carlisle und beobachtete ihn, wie er Bella und den Mann verarztete.

„Geh lieber, Edward. Quäle dich nicht.“, sagte er besorgt.

„Nein. Es macht mir nichts mehr aus. Als ich vor dem Grabstein stand und begriff, dass ich sie für immer verloren hatte, irgendwo, da ließ die Wirkung ihres Blutes auf mich nach. Er hat jetzt nicht mehr dieselbe Macht über mich, wie früher. Es ist nicht anstrengend für mich hierzubleiben. Ich glaube fast, dass der Schmerz, den ich empfand, als ich glaubte sie sei tot, das Verlangen nach ihrem Blut geheilt hat. Mein Wesen schreckt jetzt vor allem zurück, was mir noch einmal so einen Schmerz bereitet. Der Geruch macht mir wirklich nichts mehr aus.“, versicherte ich Carlisle.


Er machte große Augen, glaubte meinen Worten und widmete sich wieder seiner Arbeit zu. Ich nahm mir einen Stuhl, zog ihn an Bellas Liege heran und setzte mich. Ich nahm ihre Hand und sah sie an.

Natürlich war sie immer noch schön. Jedoch wirkte sie blasser und schmaler als vorher. In ihren Augen spiegelte sich ein sehr, sehr tiefer Schmerz. Sie wirkte traurig und verzweifelt. Selbst jetzt in dieser Situation.

Mein Herz zog sich vor Schmerzen zusammen. Ich hätte jetzt am liebsten geweint, wenn ich gekonnt hätte. Ich schluchzte leise.


„Bella, ich liebe dich. Ich werde dich nie mehr verlassen. Aber bitte verlasse mich jetzt bitte auch nicht. Das würde ich nicht verkraften. Nicht noch einmal.“, flüsterte ich zu ihr.

Zwillinge




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Ich betete jede Sekunde, dass meine Bella endlich aufwacht. Ich war nicht von ihrer Seite gewichen, habe nicht ihre Hand losgelassen, während Carlisle sie – und ihren Zwilling – verarztet hat. Als Jasper kurz herein kam, um es mit seinen eigenen Augen zu sehen, war er erstaunt.

°Es stimmt also tatsächlich.°, dachte er nur.

Dann verließ er den Raum wieder. Denn obwohl Carlisle sie beide behandelt hatte, war das Blut noch deutlich zu riechen. Es waren seit diesem Unglück nun 4 Stunden, 43 Minuten und 9 Sekunden vergangen. Jede weitere Sekunde war eine Qual für mich.

Was war mit ihr und ihm passiert? Was hatte sie die letzten 46 Tage gemacht? Was hatte es mit ihrem Bruder auf sich? Warum wusste ich nichts von ihm? Auch Alice, die damals Bella hatte kommen sehen, hatte keinen männlichen Zwilling gesehen. Warum wachten sie nicht auf? Ich verstand das alles nicht.

Wieder einmal verfluchte ich es, nicht ihre Gedanken hören zu können. Dann könnte ich mich persönlich davon überzeugen, dass ihr Gehirn aktiv war und wäre somit nicht an einem Gerät angewiesen, das monoton piept. Es war nervenaufreibend. Doch so sehr ich mich auch konzentrierte, ich konnte nichts hören.

Dann aus heiterem Himmel, man konnte damit einfach nicht rechnen, richteten sich beide – Bella und ihr Zwillingsbruder – mit weit aufgerissenen Augen ruckartig auf, während sie „AHHH!“, wie aus einem Munde brüllten.

Ich wäre fast vor Schreck und Überraschung zurück gewichen. Aber natürlich ließ ich ihre Hand nicht los. Carlisle und Alice durch die Schreie alarmiert, kamen ins Arbeitszimmer. Carlisle war nun an Bellas Liege angelangt und sah sie prüfend und besorgt an, dann war er einen Blick zu seinem anderen Patienten. Ihr Atem der schnell, nach dem Aufwachen kam, beruhigte sich langsam wieder. Ebenso wie bei ihrem männlichen Ebenbild.

Dann schein ihr plötzlich bewusst zu werden, wo sie war. Ihr Blick veränderte sich. Sie war erst panisch, blickte dann in das Gesicht ihres Bruders und entspannte sich etwas. Auch er schien sich zu entspannen, nachdem er ihr Gesicht erblickt hatte. Doch Carlisle und mich hatten die beiden noch nicht wahrgenommen.

Ich wollte etwas zu ihr sagen, aber mir fehlten wirklich die Worte, was mir nur äußerst selten passiert. Naja, eigentlich ist mir das erst passiert, seitdem ich Bella kennen gelernt habe. Sie überraschte mich immer wieder mit ihren manchmal unlogischen Gedankengängen. Diese Frau war immer ein Rätsel für mich gewesen. Doch genau das war ein Grund, warum ich sie so sehr liebte.

Da ich nichts sagen konnte, drückte ich ihre Hand. Sie hatte anscheinend noch gar nicht bemerkt, dass ich ihre Hand hielt. Erschrocken fuhr sie herum. Sie sah mich an. Aber ihr Blick irritierte mich. Sie sah nicht verängstigt oder erleichtert aus, wie ich vermutetet hatte.

Nein, eher verwirrt, überrascht und enttäuscht. Warum enttäuscht? Etwa, weil sie gehofft hatte, jemand anderen an ihrer Seite zu sehen. Ich spürte einen stechenden Schmerz, doch ich zeigte es nicht. Ich sah sie nur besorgt und froh an.

Ja, ich war froh. Froh darüber, dass sie endlich aufgewacht war. Und besorgt, weil ich ihre Miene nicht verstand. Bella sagte jedoch nichts zu mir. Vielleicht wusste sie ebenso wenig wie ich, was sie sagen sollte? Aus den Augenwinkeln sah ich, den gleichen Blick von ihm. Er sah mich genauso an. Dann fiel sein Blick auf Carlisle. Jetzt sah der Mann nur noch verwirrter aus als ohnehin schon. Erst jetzt wurde es mir tatsächlich bewusst.

Ich war so sehr auf Bella fixiert, dass ich es nicht wahrgenommen hatte. In seinem Kopf herrschte ebenfalls Stille. Ich konnte nichts hören. Absolut nicht. Es gab also noch jemanden, deren Gedanken mir verborgen blieben. Aber natürlich, dachte ich, sie sind Zwillinge. Vielleicht konnte ich deshalb auch seine Gedanken nicht hören? Meine Augen wurden etwas schmal.

Die Vorstellung, dass es noch jemanden gab, der in der Lage war, mich in den Wahnsinn zu treiben, machte mich besorgt und wütend. Wenn es vielleicht irgendeiner wäre, würde mir das bestimmt nicht so viel ausmachen. Schließlich wäre Bella immer die Interessantere für mich. Aber es war nicht irgendeiner. Es war Bellas Bruder. Und kein gewöhnlicher Bruder. Er war – oder ist – ihr Zwillingsbruder. Denn Zwillinge, so hieß es doch, seien ganz besonders und übersinnlich miteinander verbunden. Es machte mich rasend, dass es noch so jemanden wie Bella gab.

Aber ob er auch so anders als normale Menschen war? Wenn er, genau wie sie, anders reagiert, als normalerweise? Wenn auch er keinen Selbsterhaltungstrieb hat? Wenn er auch die Gefahren magisch anzog, wie sie? Ob er auch so gut und rein war wie sie? Ähneln sich die beiden auch innerlich? So viele Fragen, auf die ich gerne die Antwort wüsste.

Und nicht nur ich? Besonders Alice war total aufgeregt, nachdem sie den Schock erst mal überwunden hatte. Erst war sie etwas bekümmert.

°Wenn es schon 2 Bellas gibt, warum können sie nicht beide Frauen sein?°, dachte sie.

Bei diesem Gedanken merkte ich, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht schlich. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, wenn es 2 Frauen wären. Dann hätte sie noch eine beste Freundin mehr gehabt. Aber schließlich verwarf sie diesen Gedanken sehr schnell und freute sich generell über die Tatsache, dass Bella einen Zwilling hat.


°Hey, eine männliche Bella ist doch auch super!°, dachte sie erfreut.
°Dann haben wir eben jetzt auch noch einen Bruder.°

Einerseits freute mich dieser Gedanke, andererseits hätte ich Alice an die Gurgel springen können. Wer weiß denn überhaupt, ob Bella uns wieder in ihr Leben lässt, ob sie mich noch wollte. Selbst wenn, wusste ihr Bruder denn von unserem Geheimnis? Wenn ja, wollte er überhaupt etwas von unserer Welt wissen? Wollte er ein Teil dieser Welt sein?

Das durfte nicht sein! Schließlich sind wir alle Monster. Für Bella war – und ist – es schon gefährlich, aber jetzt noch ihren Bruder mit hineinziehen. Das wäre unverantwortlich. Emmett hatte nur gedacht:

°Toll, noch eine Bella zum Ärgern. Mit dem wird’s bestimmt auch lustig. Dann habe ich jetzt noch einen kleinen Bruder. Cool!°

°Oh, vielleicht bekomme ich noch einen Sohn. Das wäre wunderbar°, dachte Esme.

Wieso gingen alle gleich davon aus, dass sie uns in ihr Leben lassen würden? Doch all diese Überlegungen hatten Zeit. Mein Blick ruhte nur auf Bella und ihm. Ich entwickelte ein Interesse an diesen Mann. Nicht nur, weil ich ebenfalls seine Gedanken nicht hören konnte, sondern auch, weil er ihr Bruder war.

Ich wollte alles von ihr wissen. Dazu gehörte auch, dass ich ihre ganze Familie kennen lernen wollte. Charlie war schon recht interessant, weil er einen Großteil seiner Gedanken für sich behielt. Er konnte nur sehr schwer jemandem seine Gefühle zeigen.
Auch Renee war eine interessante Frau. Sie war sehr aufmerksam, genau wie ihre Tochter und hat interessante Gedanken. So einfache, unbeschwerte. Durch ihre einfache Sicht der Dinge, erkannte sie die Wahrheit fast zu schnell. Meine Gedanken kreisten kurz zurück zu der Zeit, als Bella im Krankenhaus von Phoenix lag und ich Renee dort zum ersten Mal begegnet bin.

Ja, nun wollte ich ebenso ihren besonderen Bruder kennen lernen, der ihr schon in zweierlei Hinsicht glich. Dann sprach Carlisle zu Bella und holte mich somit aus meiner Versunkenheit.

„Bella, wie geht es dir?“, fragte er professionell und besorgt.

Bella sah zu Carlisle auf. Sie sah…verwirrt aus. Warum? Dann sprachen Bella und der Mann aus einem Munde.

„Carlise, seit wann hast du wieder blonde Harre?“

Ich erschrak leicht, als ich seine Stimme zum ersten Mal richtig zusammen mit ihrer hörte. Sie benahmen sich schon wie echte Zwillinge. Aber ich verstand die Frage nicht. Warum fragten sie Carlisle nach seiner Haarfarbe? Seit ich ihn kannte, hatte er immer blonde Haare gehabt. Und warum „wieder blonde Haare“? Carlisle sah genauso verwirrt aus, wie ich.

°Was ist das für eine Frage. Ich habe schon immer blonde Haare gehabt.°

Carlisle war zu perplex, um etwas zu erwähnen. Dann sah Bella wieder zu mir. Wieder diese Verwirrung in den Augen. Ihre nächsten Worte trafen mich wie ein Blitz.

„Und warum siehst du mich so an?“

Was war nur mit ihr los? Sie musste doch wissen, wie sehr ich sie liebte. Für mich war sie alles. Das habe ich ihr immer gezeigt, so oft es ging. Meine Gefühle hatten sich nicht ein bisschen in der Zeit für sie geändert. Warum fragte sie mich so was? Wahrscheinlich, weil sie meine Lügen geglaubt hatte, dass ich sie nicht mehr liebte. Sie verstand anscheinend nicht, wie ich sie wieder so ansehen konnte, als sei sie mein Licht. Sie glaubte bestimmt, dass sie mir nichts mehr bedeutete.

Was für ein absurder Gedanke! Ich habe in den letzten 46 Tagen, die mir wie eine Ewigkeit und meine persönliche Hölle vorkamen, jede Sekunde an sie gedacht. Ich konnte sie nicht einen einzigen Moment ausblenden. Aber was hatte ich auch anderes erwartet?
Hatte ich etwa gedacht, dass sie mir gleich nach dem Aufwachen um den Hals fallen würde? Natürlich tat sie das nicht.
Wie auch?
Ich hatte ihr Vertrauen zerstört. Und dies so leicht. Als die Erinnerung wieder hoch kam, zuckte ich zusammen. Ich versuchte, ihr meinen Schmerz, den ihre Worte bei mir ausgelöst hatten, nicht zu zeigen. Ich erwiderte nur etwas besorgt ihren Blick.


„Moment mal, wie sind wir hier her gekommen?“, fragte der Mann.

Er hatte eine angenehme Stimme. Genau wie seine Schwester. Er sah nun Carlisle an. Dann erinnerte ich mich wieder. Er hatte ihn Carlisle genannt. War es möglich, dass er Bescheid wusste?

„Ihr habt keine Erinnerungen mehr?“, sagte er und sah die beiden stirnrunzelnd an.

„Nein.“, kam von beiden simultan die Antwort.

Ein kleines Lächeln trat auf meine Lippen. Es fühlte sich merkwürdig an. Fremd und doch richtig.

„Ihr seid wie aus dem Nichts ausgetaucht.“, begann Carlisle zu erklären. „Ihr kamt plötzlich zusammen durch die Glaswand geflogen und seid in Edward Zimmer gelandet. Aber ihr ward unter Schock, verwundet und nicht bei Bewusstsein.“

Bella und ihr Bruder schienen einen Moment über seine Worte nachzudenken und runzelten die Stirn. Auch sah ich wie er sich auf die Unterlippe biss, während sie es ihm nach tat. Es war, als würde ich doppelt sehen.

Dann weiteten sich ihre Augen. Ihre Blicke fielen auf Alice, die bis jetzt ruhig im Raum stand und noch nichts gesagt hatte. Sie sah besorgt, überrascht und verwirrt aus. Dann sahen beide mich an, dann wieder Alice. Ihre Blicke huschten zwischen uns beiden hin und her. Warum taten sie das?

Es frustrierte mich noch mehr, dass ich nicht nur Bellas, sondern auch die Gedanken ihres Bruders nicht hören konnte. Dann sahen sie kurz zu Carlisle, nein, eher zu seinen Haaren. Auch hörte ich die Verwirrung in Carlisles und Alices Kopf.

Dann sahen sich die beiden gegenseitig an. Nein, sie strahlten sich an. Es war so schön, sie wieder lächeln zu sehen. Aber was ist den beiden klar geworden? Dann stand der Mann langsam von seiner Liege auf und riss die Schläuche ab, die ihm mit dem Monitor verbanden. Eigentlich hätte Carlisle dazwischen gehen müssen, aber er dachte wohl, dass die beiden, jetzt wo sie wach waren, über den Berg waren, wie man so sagt. Er machte wirklich einen gesunden Eindruck. Doch jetzt sah ich mir sein Gesicht genauer an.

Er sah genauso aus, wie meine Bella, allerdings auch blasser und schmaler. Auch in seinen Augen spiegelte sich genauso ein tiefer Schmerz, wie bei ihr. Als ich das nochmal in einem anderen Gesicht sah, zog sich mein Innerstes wieder erneut zusammen. Er stürzte auf Bella zu und nahm sie in die Arme. Auch störte es ihm nicht, dass ich immer noch ihre Hand hielt.

Dann, fast reflexartig, riss Bella ihre Hand aus meiner. Diese Reaktion, war die Hölle für mich.

Wollte sie mich nicht zurück haben? Ertrug sie meine Nähe einfach nicht mehr? Es wäre durchaus verständlich für mich. Aber meine Sorgen waren vielleicht ganz unbegründet, zumindest hoffte ich das. Denn sie löste nur ihre Hand aus meiner, um ihren Bruder ebenfalls zu umarmen.

Sein glückliches Gesicht war mir zugewandt, veränderte sich jedoch kein bisschen, als er mich bemerkte. Er erschrak nicht oder wich zurück. Wahrscheinlich war er einfach zu sehr auf seine Schwester fixiert, um mir genug Aufmerksamkeit zu schenken. Er lachte und sie stimmte mit ein. Dieses Geräusch war wie Musik für mich. Bella lachte viel zu selten.

Dann hörte ich Jasper.

°Erstaunlich. Solche starke Gefühle. Sehr angenehm. Er liebt sie, wie du Bella liebst, Edward. Naja, so gut ein Mensch eben einen anderen lieben kann. Und Bella empfindet genauso wie er. Das ist wahre, starke Geschwisterliebe.°

Es freute mich, dass es einen Menschen in Bellas Leben gab, der alles für sie tun würde, auch wenn es nur ein Mensch war, dessen Gefühle nie an die eines Vampirs heran reichen. Doch diese Gefühle waren echt. Ich spürte es durch Jaspers Gedanken. Außerdem waren sie Geschwister. Sogar Zwillingsgeschwister.

Sie verband etwas miteinander, dass wusste ich. Das konnte man spüren, ohne empathische Fähigkeiten zu besitzen. Alice und Carlisle schmunzelten. Auch ihnen gefiel es, was sie sahen. Dann nach einer kleinen Ewigkeit lösten sie sich voneinander.


„Wir haben es geschafft.“, sagte ihr Bruder. „Wir sind wirklich drüben!“

Ein merkwürdiges Telefonat





Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Drüben? Was sollte denn das jetzt bedeuten? Auch mein Vater und meine Schwester sahen ratlos aus.

„Ja, das haben wir.“, antwortete Bella erfreut, aber auch bedrückt.

Ich hielt es einfach nicht mehr aus.

„Könnte mir mal bitte jemand erklären, was hier los ist?“, fragte ich ruhig.

Aber ich musste tief durchatmen, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Ja, das würde ich auch gern wissen.“, meldete sich nun Alice zu Wort.

Sie war ebenfalls neugierig, wie alle hier im Haus, auch Rosalie. Sie konnte nicht verstehen, wie sie Bella – und ihren Bruder – nicht vorhersehen konnte. Sie verlor langsam das Vertrauen in sich selbst und ihr Selbstbewusstsein hatte abgenommen.

„Aber vorher…“, sagte Alice strahlend und stürmte nun auf Bella zu, um sie zu umarmen. Sie drückte Bella so fest, dass sie fast keine Luft mehr bekam.

„Alice, nicht so fest!“, brachte sie mühsam heraus, klang aber sehr erfreut, meine Schwester wieder zu sehen. Alice lockerte ihren Griff und lachte.

Dann meldete sich Bellas Bruder zu Wort und was er sagte, überraschte mich. „Hey, was ist mit mir?“, fragte er gespielt empört und machte einen Schmollmund.

Genau so sah Bella auch aus, wenn sie das tat.

„Ich weiß, du kennst mich nicht Alice, aber habe ich nicht auch eine Umarmung verdient? Immerhin bin ich die männliche Variante deiner besten Freundin.“

Alice gab Bella frei und schaute den Mann erst verdutzt an. Daraufhin lachte er und Carlisle und ich stimmten leise ein. Zu leise für menschliche Ohren.

„Ach, komm her.“, sagte er strahlend zu ihr und umarmte Alice.


Wir alle waren überrascht von seinen Worten und seiner Geste. Er hatte wohl kein Problem mit der kalten Haut und er gebrauchte Alices und Carlisles Namen so vertraut. Jetzt war ich mir sicher, dass er wusste, was wir sind. Er wusste es und schien kein Problem damit zu haben. Als sei es das Normalste von der Welt. Auch darin war er seiner Schwester ähnlich. Er empfing die Gefahr mit offenen Armen. Bedeutete das auch, dass er somit keinen Selbsterhaltungstrieb besaß? Sehr wahrscheinlich. Denn kein „normaler“ Mensch, würde sich so einem Vampir gegenüber verhalten. Nein, absolut nicht. Bis jetzt glich er seiner Zwillingsschwester völlig.

°Er weiß Bescheid und er ist genauso mutig wie sie.°, dachte Carlisle lächelnd.

Alice zögerte kurz, erwiderte seine Umarmung dann und lachte. Bellas Bruder grinste. Dann ließ er sie los. Alice sah ihn fasziniert an. Seine Augen glühten vor Freude. Es sah wunderschön aus. Auch in seinen Augen konnte ich versinken. Sie waren genauso Braun wie ihre. Er war…sehr faszinierend.

„Also, wenn ihr wirklich wissen wollt, was passiert ist, dann lasst uns doch erst Mal runter zu den anderen gehen.“, sagte Bella ruhig und gelassen.

Meinem Blick wich sie aber aus. Und wenn sich unsere Blicke doch trafen, sah ich Angst, Wehmut und Trauer in ihnen. Immer wenn ich das sah, hätte ich mich am liebsten umgebracht. Denn nur ICH war für ihren Zustand verantwortlich. Ich verstand allerdings nicht, warum ihr Bruder genau den gleichen Blick hatte wie sie. Carlisle nickte nachdenklich.

Bella stand von der Liege auf und entfernte ihre Schläuche. Ich hätte am liebsten ihre Hand genommen, um mit ihr gemeinsam runter zu gehen. Doch ich traute mich nicht. Wie würde sie reagieren? Ich hatte zu viel Angst, dass sie mir mit ihrer Reaktion das Herz brechen konnte. Bellas Bruder sah mich prüfend an, dann ging er gemeinsam mit uns hinunter ins Wohnzimmer, wo die anderen auf uns warteten.

Als wir ankamen und Bella Jasper erblickte, rannte sie auf ihn zu und umarmte ihn fest.

°Konzentrier dich. Nicht so viel atmen. Oh Gott, warum tut sie mir das an? Warum freut es sie so, gerade MICH zu sehen? Ich war es doch, der sie fast getötet hätte?°, hörte ich ihn.

Ja, genau diese Fragen stellte ich mir auch. Auch alle anderen waren verwirrt über Bellas Reaktion.

°Mutig, mutig. Ich glaube, dass sie noch härter geworden ist.°, witzelte Emmett.

Auch Rosalie war überrascht. °Was stimmt mit diesem Mädchen nur nicht? Sie ist völlig verrückt. Sie bettelt Jasper ja geradezu an, dass er sie tötet!°

Ich knurrte leise, damit es die Menschen im Raum nicht hören konnten. Esme sah besorgt aus, Carlisle verblüfft, Alice überrascht.

°Wow, wer hätte gedacht, dass sie sich gerade darüber freut, meinen Jasper wiederzusehen.°


Ich war natürlich am meisten erstaunt. Natürlich hatte ich Angst. Angst, dass genau das Gleiche passieren könnte, was an ihrem Geburtstag geschah. Aber so wie ich hörte, hatte sich Jasper im Griff und das überraschte mich. Wahrscheinlich wehrte er sich mit seiner ganzen Kraft gegen das Verlangen, da er mich oder sie nicht noch einmal verletzten wollte. Wie hatte er mich denn verletzt? Ich war nicht sauer auf ihn. Es war nicht seine Schuld, das hatte ich ihm oft genug gesagt. Nun konnte ich hören, dass Jasper ebenfalls überrascht war und ein kleiner Teil in ihm freute sich, dass sie ihm offensichtlich verziehen hatte.

Mein Blick fiel auf Bellas Bruder. Er freute sich ebenso wie Bella ihn zu sehen. Aber es schien so, als kannte er Jasper nicht so gut, wie er uns zu kennen schien, obwohl wir ihm noch nie begegnet waren. Er betrachtete ihn neugierig, fasziniert und wehmütig. Seltsam. Diese beiden Menschen waren ein Rätsel für mich. Nachdem Jasper sich von dem Schock erholt hatte und er sich sicher war, sein Durst im Griff zu haben, erwiderte er zögernd Bellas Umarmung und genoss das Gefühl, welches sie verströmte.

Er lächelte. Dann hörten wir Bella leise schluchzen. Ich wurde sofort besorgt um sie. Was hatte sie nur? Hatte sie Schmerzen? Drückte Jasper sie zu fest? Nein, das war nicht der Grund. Ich sah in seinen Gedanken, dass Jasper ebenfalls verwirrt war, aber sein Griff war nicht die Ursache. Bella ließ Jasper los und ging zurück zu ihrem Bruder, leider nicht zu mir.

Noch immer, sah sie mich so wenig an wie möglich. Jasper atmete erleichtert die Luft und ein seufzte leise. Ich sah die beiden Zwillinge an. Es war seltsam, sie nebeneinander stehen zu sehen. Es war, als würde ich Bellas Spiegelbild sein. Völlig identisch, doch unterschiedlich.

Sie war 13,3 cm kleiner als ihr Bruder. Abgesehen von dem Geschlecht und die damit zusammenhängende Größe und der Körperbau, waren sie identisch. Auch er vermied es mich anzusehen, wenn auch nicht so krampfhaft wie Bella.

Dann meldete sich Carlisle zu Wort. „Also, es freut mich, dass ihr beide wieder wohl auf seid.“
Er lächelte die beiden an und sie erwiderten es. „Junger Mann, du weist anscheinend wer wir sind und…was wir sind.“

Er nickte. „Klar, keine Sorge, meine Lippen und meine Gedanken daran sind versiegelt.“

Bei den letzten Worten sah er mich grinsend an und zwinkerte mir zu. Er wusste also, dass ich Gedanken lesen kann. Und er wusste, dass ich seine nicht hören konnte. Meine Augen wurden groß, dann kniff ich sie zusammen. Es war so frustrierend. Carlisle und die anderen sahen wie ich überrascht aus. Bellas Bruder verstand.

„Ja, ich weiß, dass ihr auch noch individuelle Fähigkeiten habt, die über eure Normalität hinausgehen.“, sagte er.

„Du kannst Gedanken lesen.“, er deutete auf mich.

„Du kannst in die Zukunft sehen, wie wir.“, sagte er zu Alice.

Alle rissen bei diesen Worten überrascht die Augen auf. Alices Augen schienen bald aus ihren Augenhöhlen zu treten. Dann blickte er Jasper an.

„Und du kannst die Gefühle beeinflussen.“, sagte er trocken. Also kurz gesagt, ich weiß alles. Naja, und der Muskelprotz da…“, er deutete auf Emmett, „…hat noch mehr Kraft als ein normaler Vampir.“, schloss Bellas Bruder.

Wie hatte er Emmett genannt? Muskelprotz? Ein toller Spitzname. Wir mussten alle ein Lachen unterdrücken, sogar Rosalie. Dennoch grinsten wir alle, über Emmetts Bezeichnung.

°Ich mag den Kleinen!°, dachte Emmett. °Der ist genauso wie seine Schwester, wenn nicht sogar besser.°

Dann konnte Emmett sich nicht mehr halten. Er brüllte vor Lachen. Bella und ihr Bruder grinsten. „Hey Kleiner, du gefällst mir. Aber bevor ich diesen neuen Namen behalte, möchten ich und die anderen gerne wissen, wie du heißt.“

Wir alle sahen nun Bella und ihren Zwilling an – vor allem ihn.

„Oh, entschuldige. Ihr habt ja Recht. Das war sehr unhöflich von mir.“

Er legte genauso viel Wert auf gutes Betragen wie seine Schwester, fiel mir durch diese Bemerkung auf. Ihr Bruder räusperte sich.

„Naja, ich bin Bellas Zwillingsbruder. Das habt ihr euch wohl schon gedacht.“ Wir alle verdrehten die Augen, doch er achtete nicht darauf. „Mein vollständiger Name ist Andrew Thomas Swan. Aber nennt ruhig Andy. Diesen Namen mag ich lieber.“

Er hatte also auch eine Kurzform für seinen Namen. Wieder eine Gemeinsamkeit.

„Also schön, Andy. Da du ja anscheinend alles über uns weißt, wäre es sehr nett, wenn ihr uns alles erzählen würdet. Wo kamt ihr plötzlich her und wie? Und was habt ihr vorhin gemeint, als ihr sagtet, ihr könntet wie Alice in die Zukunft sehen?“

Auf die Antwort dieser Fragen waren wir alle gespannt. Selbst Rosalie zeigte Interesse. Andrew – oder Andy – holte gemeinsam mit Bella zur gleichen Zeit Luft. Einer von ihnen beiden wollte gerade antworten, als ein Handy klingelte. Es befand sich in Andys rechter Hosentasche. Bella sah verwirrt aus.

„Das hast du noch?“, fragte sie.

„Ja, ich habe es heute Morgen eingesteckt. Mal sehen, wer dran ist.“

Er holte das Mobiltelefon heraus, sah auf das Display und klappte es auf. Er sah erleichtert und erfreut aus. Zum Glück haben wir alle gute Ohren. So konnten wir das Gespräch komplett mit verfolgen. Er legte das Handy an sein Ohr.

„Hallo Alice.“, begrüßte er.

Alice blickte verwirrt. Wie konnte er mit Alice sprechen, wenn sie doch genau hier stand? Das musste einfach eine andere Alice sein. Das Gespräch bestätigte dies aber nicht.

„Andy, wo seid ihr? Ich habe euch nicht mehr gesehen. Es war so, als wärt ihr verschwunden!“, sagte eine Stimme panisch.

Und diese Stimme klang haargenau wie Alice Stimme. Wie war das möglich? Wir wurden alle nur noch verwirrter.

„Beruhige dich, Alice. Ich weiß die Antwort. Du konntest uns nicht mehr sehen, weil wir tatsächlich verschwunden sind.“

„Was soll das heißen?“, fragte die „andere Alice“ mit schriller Stimme.

Noch eine Alice, die genau die Gleichen Fähigkeiten besitzt? Das war einfach zu verrückt. Das war nicht möglich. Andy strahlte.

„Wir haben es geschafft. Wir haben wirklich den Übergang geschafft. Wir sind gerade bei den anderen Cullens.“

Anderen Cullens? Das klang alles sehr verrückt. Heißt das, dass es nicht nur eine zweite Alice, sondern auch eine komplette zweite „Cullen-Familie“ gibt? Mir schwirrte der Kopf. Könnte ich in Ohnmacht fallen, dann hätte ich das jetzt mit Sicherheit getan.

Auf der anderen Seite war es kurz still. „Oh, mein Gott! Ihr habt es wirklich geschafft. Ich sag dann mal gratuliere. Moment mal, aber wenn ihr in der anderen Welt seid, wie kann dann das Handy funktionieren?“, fragte sie.

Andere Welt? Ich verstand gar nichts mehr. Mein leistungsfähiges Gehirn fiel es sehr schwer, das zu verarbeiten. Ich schluckte.

„Keine Ahnung. Sieh es einfach als Verbindung an. So können wir in Kontakt bleiben.“, erwiderte er.

„Na schön. Aber wie lange wollt ihr bleiben. Werdet ihr überhaupt zurückkommen?“

Zurückkommen? Mir war es, als würde mein Schädel zerspringen.

„Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht.“, sagte Andy.

„Mmhh. Und was soll ich Charlie erzählen?“

Charlie? Gibt es etwa auch einen zweiten Charlie?

„Sag ihm einfach, wo wir sind. Er kennt die Wahrheit. Und sag ihm, dass wir nicht wissen, wie es erst mal weiter geht. Sag ihm, es geht uns gut und dass wir ihn lieb haben. Er soll sich bloß keine Sorgen machen. Und wenn er uns anrufen möchte, dann gibt ihm doch einfach diese Nummer. Dann geht es ihm bestimmt besser, wenn er unsere Stimmen hört.“

„Gute Idee.“, kam die kurze Antwort.

„Und richte den anderen Cullens schöne Grüße aus.“

„Mach ich, und hoffentlich bis bald.“ Bei den letzten Worten klang ihre Stimme traurig.


Andy klappte das Telefon zu und steckte es wieder in die Hosentasche. Dann sah er in unsere fragenden, geschockten und verwirrten Gesichter. Bella sah nur etwas beunruhigt aus. Andy sah zu Bella. Sie sahen sich aber viel zu lange an.

Seltsam. Das war kein einfacher Blick. Es schien fast so, als wollte Andy ihr etwas mitteilen. Dann sahen die beiden wieder zu uns und lachten leise und unsicher.

Dann sprach der Bruder meiner Bella – tja nur war sie nicht mehr mein.

„Also hört mir jetzt genau zu.“ Er wartete und wir nickten alle.

„Es gibt neben dieser Welt eine andere Welt, in der es eine Version, eine Variante von uns jeden gibt. Von euch, von Bella, einfach von jeden. Sie sind gleich und doch verschieden.“


Wir rissen alle überrascht die Augen auf, sagten aber nichts.

Andys und Bellas unglaubliche Geschichte





Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




„Bella und ich kommen ursprünglich aus der anderen Welt.“


Als er das sagte, fiel mir wieder der Grabstein ein und auch wenn es völlig irrational war, war es eine Erklärung. Es gab jeden zwei Mal. Diese Bella hier starb aber schon als kleines Mädchen. Auch den anderen fiel der Grabstein ein und kamen zur Schlussfolgerung, zur selben Frage wie ich. Sollten wir sie mit dem Grabstein der anderen Bella konfrontieren? Lieber nicht.

Und wenn es eine zweite Bella gab, wo war dann ihr Zwillingsbruder? Vielleicht war er in Phoenix bei Renee. Das heißt, dass die Bella, die ich kenne, nicht mit ihrem Bruder aufwuchs. Das war alles ziemlich verwirrend. Mir wurde richtig schwindlig davon. Aber als ich Bella damals kennen lernte, hat sie mir nichts von einem Bruder erzählt? Warum nicht? Wollte sie das vor mir geheim halten? Wozu? Carlisle stellte die eine Frage, die uns brennend interessierte.


„Nehmen wir an das stimmt. Wie kommt es dann, dass du in diese Welt gekommen bist, obwohl du eigentlich in der anderen gehörst?“

Bella und Andy zuckten zusammen und in ihren Augen spiegelten sie Trauer und Angst. Sie wurden noch blasser, nach dieser Frage. Bella atmete tief ein.

„An meinem – ich meine unseren 7. Geburtstag wurde ich entführt und vergewaltigt.“


Diese Worte waren ein Schock für mich. Ich konnte ein Knurren nicht unterdrücken. Wie konnte es auch nur jemand wagen sie so zu verletzten und dann noch zu einer Zeit, in der sie noch wehrloser war. In einer Zeit, ihrer Kindheit, die eigentlich die schönste Zeit des Lebens sein sollte. Nicht so für Bella. Sie zog anscheinend schon damals Gefahren magisch an. Mein Herz riss in tausend Stücke, als ich mir das vorstellte. Ein fremder Mann, der sie grob anfasste und sie missbrauchte. Sie somit körperlich und geistig für den Rest ihres Lebens schädigte. Sie muss große Angst verspürt und geschrien haben. Und ich war nicht da, um sie zu beschützen.

Aber wie konnte ich auch? Ich wusste noch nicht einmal, dass es sie gab. Und sie war in einer anderen Welt. Es war komisch, dass überhaupt zu denken. Aber ich wünschte mir so sehr, dass ich damals da gewesen wäre, um ihr dieses Leid zu ersparen. Aber die Vergangenheit konnte ich leider nicht ändern.

Bella sah mich verwirrt an und begann leise zu schluchzen, jedoch ohne Tränen. Selbst in diesem Moment, war sie tapfer. Wie gern hätte ich sie jetzt in meine Arme geschlossen, aber ich wusste nicht, ob sie das wollte. So schwer es auch war. Ich blieb stehen und wartete auf die Fortsetzung, wie die anderen auch. Andy nahm ihre Hand und drückte sie. Bella sah ihn dankend an.


Dann sprach sie weiter. „Er sagte mir, er wolle mir was schenken, da ich ja Geburtstag hatte, aber vorher sollte ich ihm meine Unschuld schenken.“


Ich knurrte wieder, aber leiser. Wie konnte dieses Monster es nur wagen, dieses reine Wesen zu zerstören. Ich hätte ihn am liebsten getötet. Aber dann fiel mir ein, dass ich ebenfalls ein Monster war, das sie verletzt hatte. Die Mordlust wurde von meinen Schuldgefühlen erstickt.

Aber jetzt war mir klar, warum sie keine Geschenke haben wollte. Besonders keine teuren. Am liebsten wollte sie überhaupt keine Geschenke. Für sie bedeute materielles nichts. Sie hatte an ihrem Geburtstag etwas sehr Wertvolles schon so früh und gewaltsam verloren, das kein Geschenk dieser Welt das wieder gut machen konnte. Sie hatte immer dieses schreckliche Erlebnis im Kopf, besonders an ihrem Geburtstag. Und wir hatten nicht auf sie gehört. Warum hat sie mir das damals nicht erzählt? Wahrscheinlich war es zu schmerzhaft für sie. Warum konnte ich nicht ihre Gedanken hören? Wenigstens dieses eine Mal. Dann hätte ich ihr nie etwas geschenkt. Ich sah zu Alice, die ebenfalls von Schuldgefühlen überschüttet wurde. Aber ich konzentrierte mich weiter auf die Geschichte.


„Ich hatte wahnsinnige Angst und als er mir dann die Halskette umlegte, kam sie wieder. Ich hatte einfach Angst und wollte nur noch nach Hause. Plötzlich verschwamm der Raum vor meinen Augen und ich war in der anderen Welt. Ich war in Charlies Haus im Wohnzimmer. Sie sagten mir ich hätte keinen Bruder und schickten mich zum Psychologen, bis ich selbst die Überzeugung verlor. Dann nahm mich Renee mit und ich wuchs die nächsten Jahre in Phoenix auf. Ich hatte völlig vergessen, dass ich eigentlich aus einer anderen Welt kam. Naja, und im Januar zog ich zurück nach Forks, den Rest kennt ihr ja.“, schloss sie.


Natürlich war ich wütend, geschockt und bestürzt, wie alle anderen. Sogar Rosalie zeigte Mitgefühl. Aber der kleine egoistische Teil in mir freute sich, dass alles so gekommen war. Wäre Bella das nicht passiert, wäre sie hier nie in dieser Welt aufgetaucht. Ich hätte sie niemals kennen und lieben gelernt. Wenn ich mir vorstellte, dass ich unter „normalen Umständen“ meine Seelenverwandte nie kennen gelernt hätte, dann fühlte ich einen Schmerz, der mich innerlich aufbrüllen ließ. Eine ganze Existenz ohne Bella? Ihr nie begegnet zu sein? Nein, das war ein viel zu düsterer Gedanke. Ich konnte ihn nicht ertragen. Jedenfalls nicht jetzt, nachdem mich dieses Wesen verändert hatte.

Mein damaliges Ich hätte nie seine andere Hälfte gefunden, da Bella ja schon tot war. Er hätte weiterhin eine sinnlose Existenz geführt. Er hätte die Menschen als nervig empfunden und sich gelangweilt. Und das alles für den Rest seiner Existenz. Nein. Ich musste aufhören. Dem war nicht so. Ich schüttelte leicht den Kopf, um diese Gedanken zu verscheuchen. Wir waren immer noch sehr gespannt, denn wir wussten, dass das noch nicht das Ende war.


Nun sprach Andy. „Bella war also spurlos verschwunden und ich konnte diesen Tag einfach nie vergessen. Ich wurde über die Jahre depressiv, da ein Teil von mir entrissen wurde.“


Bei diesen Worten sah er seine Schwester kurz an. Ja, ich konnte seine Gefühle durchaus verstehen und nachvollziehen. Er liebte Bella, so sehr ein menschlicher Körper es nur konnte. Es musste für ihn die reinste Folter gewesen sein, so viele Jahre von seiner Zwillingsschwester, mit der er sowieso viel stärker verbunden war als mit irgendjemanden sonst, getrennt zu sein. Er musste über 10 Jahre ohne sie leben und ich schaffte es nicht mal 2 Monate. Ich war ein absoluter Versager.


„Ich hatte keine glückliche Restkindheit und auch die Jahre als Teenager waren nicht gerade meine Besten. Ich bin bei Renee in Phoenix aufgewachsen, hatte aber keine tiefe Beziehung zu ihr. Eher zu Charlie, den ich ab und zu besuchte. Ich fühlte den Schmerz die ganzen Jahre über. Er war immer da. Naja, an meinem 18. Geburtstag fühlte ich mich noch schlimmer als sonst. Und am 16. September fühlte ich so einen heftigen Schmerz, dass ich dachte, ich würde in Stücke zerfallen. Dieser heftige Schmerz bleib.“


Er hatte sogar Bellas Qualen gespürt, selbst über so große „Entfernungen“. Anscheinend waren die beiden in der Lage, die Gefühle des jeweils anderen zu empfangen. Als mir das klar wurde und ich mir bewusst war, dass ich nicht nur Bella, sondern auch ihren Zwilling so verletzt hatte, zuckte ich vor Selbsthass und Schmerzen zusammen. Er sagte, er spürte Schmerzen, als ob sein Körper in Stücke zerfiel. Das spürte Bella natürlich ebenso. Ich zuckte wieder zusammen. Bella musste mich dafür hassen. Warum sah sie mich sonst kaum an? Ich war wirklich das schlimmste aller Monster!


„Naja, der Schmerz wurde etwas erträglicher, als ich träumte, dass Bella zurück nach Hause kommen wird.“

„Moment mal!“, unterbrach ihn Alice. „Du hast geträumt, dass sie zurückkommt?“, fragte sie misstrauisch. Wir sahen ihn alle an. Er nickte.

„Ja. Bella und ich haben übernatürliche Fähigkeiten. Wir können in unseren Träumen in die Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart sehen, aber auch wenn wir wach sind. Aber wir können das nicht beeinflussen oder die Visionen erzwingen, wie du Alice. Sie kommen einfach. Dann sind wir auch in der Lage Tote zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Und wir haben natürlich…ich sage mal typische Zwillingsfähigkeiten. Wir können unsere Gefühle gegenseitig empfangen, können gegenseitig unsere Gedanken lesen und haben so die Möglichkeit, uns per Telepathie zu unterhalten.“


Alle rissen noch weiter die Augen auf, besonders Alice, Jasper und ICH. Wir alle waren erstaunt und überrascht und mussten all das Gesagte erst einmal verarbeiten. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie konnten gegenseitig ihre Gedanken lesen. Sie beide konnten genau das, was ich nicht konnte, es mir aber so sehr wünschte. Ich spürte einen großen Stich von Neid. Das ist so ungerecht.

Dann fiel mir ein, dass Andy Bella nach diesem Telefonat lange angesehen hatte. Er musste ihr wohl telepathisch davon berichtet haben. Und dann können sie noch Geister sehen? Wirklich faszinierend.

°Wirklich interessant. Das sind wirklich echte Zwillinge.°, dachte Jasper trocken.

Alices Gedanken überschlugen sich. °Was? Sie können in alle Zeiten sehen? Sie sind viel mächtiger als ich. Man, ist das unfair! Ich bin ganz schön neidisch auf die beiden, aber ich bewundere sie auch. Sie müssen mir unbedingt noch mehr erzählen.°

Nicht nur ihr.

„Aber wie konntest du in die andere Welt zurückkehren beziehungsweise wieder hierher?“, fragte Carlisle ruhig und versuchte seine Neugier zu verbergen.

„Vor ungefähr 11 Tagen fuhr ich zu eurem Haus.“

Sie verzog das Gesicht. Ich wusste, dass sie etwas ausließ.

„Und als ich das leere Haus sah, wollte ich gerade zum Transporter zurückkehren, als ich hinüber wechselte und die anderen Cullens kennen kernte.“

Aha, deshalb stand der Transporter verlassen vor unserem Haus.

„Für mich war das alles ziemlich verwirrend. Denn es gab Unterschiede.“

„Welche denn?“, fragte Jasper interessiert.

Andy und Bella sahen sich an und seufzten.

„Okay, wenn ihr es so wollt. Aber bitte keine Unterbrechungen.“, bat Bella.

Wir nickten alle. Dann sprach sie weiter.

„Carlisle hat in der anderen Welt rote Haare.“

Jetzt verstanden wir alle die Frage nach seinem Haar.

„Edward und Alice sind ein Paar.“

WAS? Alice und ich? Niemals! Jasper, Alice und ich warfen uns einen Blick zu und Jasper knurrte leise. Er konnte es nicht ertragen, Alice mit einem anderen Mann zu sehen. Andy spürte den Aufruhr.

„Hey es ist andere Welt. Kriegt euch wieder ein. Das seid nicht ihr sondern der andere Edward und die andere Alice.“, tadelte er uns.

Er hatte Recht. Es war eine andere Welt. Eine andere Cullen-Familie. Wir beruhigten uns und Bella sprach weiter.

„Tja und statt Jasper gibt es in der anderen Welt Elizabeth, die die gleiche Fähigkeit hat wie er.“

Was? Wo ist der andere Jasper? Und wer ist diese Elizabeth? Die Fragen brannten Löcher in unsere Zungen, doch wir unterbrachen sie nicht.

„Natürlich verstand ich das alles nicht. Ich fragte mich – genau wie ihr jetzt – wo der andere Jasper war. Ich habe dann zusammen mit Andy herausgefunden, dass Jasper mit 9 an einem Herzfehler gestorben war. Das haben wir durch unsere Kräfte heraus bekommen. Wir sind sogar nach Texas gefahren, weil ich es einfach nicht glauben konnte, bis ich den Grabstein gesehen hatte. Und am Grab haben wir dann den kleinen 9-jährigen Jasper gesehen. Also seinen Geist.“


Diese Worte konnten wir weder fassen, noch greifen. Eine Welt ohne Jasper? Jasper machte so große Augen, dass man dachte, sie blieben für immer so. Sein Gesicht war noch blasser als sonst.

°Ich.. ich meine er…tot?°, hörte ich nur.

Wir sahen alle Jasper besorgt an, dann richteten wir wieder unsere Blicke auf die Zwillinge. Alice nahm Jaspers Hand und drückte sie. Er war erstarrt. Er konnte es, genauso wenig wie wir, fassen. Bella sprach weiter.

„Tja, und Elizabeth ist die leibliche große Schwester vom anderen Edward.“

Jetzt wurden meine Augen größer. Ich…also er…hatte eine Schwester namens Elizabeth? Natürlich, meine Mutter hieß so.

„Sie war 20 bei ihrer Verwandlung und die beiden haben den gleichen Bronzeton als Haarfarbe.“

Erstaunlich. Einfach Unglaublich. Ich konnte es nicht fassen. Er hatte eine ältere Schwester. Warum hatte ich keine? Wenn es jede Person zweimal gab, warum konnte ich mich an keine große Schwester erinnern? Ich wurde langsam richtig wütend.

„Naja, dann gibt es noch andere Unterschiede. Zum Beispiel war Rosalie total nett zu mir und Bella. Ich glaube, sie mochte uns.“, sagte Andy und sah Rosalie dabei scharf in die Augen. Sie war erst etwas verdutzt, dann schaute sie hasserfüllt zurück. Doch er erwiderte ihren Blick weiterhin eine Weile.

°Sie ist nicht wie ICH!°, dachte sie nur eisig.

Wir anderen waren verblüfft. Rosalie nett zu Bella? Unglaublich! Auch Emmett schaute erstaunt.

„Dann gibt’s noch Unterschiede, die aber nichts mehr mit euch, ich meine den anderen Cullens zu tun haben.“, sagte Bella.

„Bitte erzählt weiter.“, bat Esme.

Ja, sie sollten wirklich weiter erzählen. Es war alles so spannend.

„Naja.“, sagte Bella, „Charlie ist in der anderen Welt Polizeipräsident von Washington.“

Wir machten große Augen.

„Nachdem ich verschwunden war, hatte er bis zu meiner Rückkehr vor wenigen Tagen, nie aufgehört nach mir zu suchen und sich dadurch hochgearbeitet. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Renee drüben vom Charakter anders ist, da sie unsere Fähigkeiten nicht akzeptieren kann. Sie sagt dann immer, dass wir verwirrt sind, oder so was. Deshalb hat Andy auch keine gute Beziehung zu ihr.“

Er nickte bestätigend.

„Dann gibt es noch einen Unterschied. Euch sagt der Name Ephraim Black doch was, oder?“, fragte sie.

Wir warfen uns allen einen kurzen Blick zu.

„Ja, wir wissen über den Vertrag Bescheid und auch, dass es Werwölfe gibt. Du weißt doch, ich habe dir von dem Strandausflug erzählt.“, sagte Bella zu mir und sah mich endlich an.

Natürlich erinnerte ich mich daran. An diesem Tag wusste ich, dass sie unser Geheimnis kannte.

„Naja, hier lebt Billy Black, der Enkel von Ephraim Black. In der anderen Welt ist er tot. Dafür lebt aber seine Frau, die hier tot ist. Ja, das waren jetzt wohl die wichtigsten Unterschiede.“, schloss Bella.

Ja, diese Welt unterscheidet sich wirklich sehr von dieser anderen.

„Aber wie bist du wieder hierher zurück gekommen und dann noch zusammen mit ihm?“

Ich musste diese Frage einfach stellen. Ich konnte sie nun nicht mehr zurück halten. Allein die Vorstellung, dass sie für immer in der anderen Welt hätte bleiben und ich sie hätte nie wiedersehen können, war qualvoll. Ich wollte mir nicht vorstellen, was ich gemacht hätte, wenn sie nicht plötzlich durch die Glaswand geflogen kam…

Nun sah sie mich an während sie sprach und man sah Bella an, dass es ihr Schmerzen verursachte. Ich zuckte leicht zusammen, doch das sah sie nicht. Sie holte tief Luft.

„Durch einen kleinen Zwischenfall, konnte ich mich wieder an meine Vergangenheit, an einem 7. Geburtstag erinnern.“

Zorn und Ekel stiegen in mir auf und ich hatte Mühe, ein Knurren zu unterdrücken.

„Dadurch entdeckten Andy und ich den Schlüssel, um zwischen den Welten hin und her zu reisen. Andy nahm an, dass auch er die Fähigkeit besitzt, da wir ja Zwillinge sind und wir alles können, was der andere auch kann. Das hat sich ja schließlich als richtig erwiesen. Wir wussten, dass Angst der Schlüssel ist, um diese Fähigkeit zu benutzen. So haben Andy und ich uns unsere größte Angst vorgestellt und uns eingebildet, dass sie wirklich passiert wäre. Und dann wachten wir hier auf.“, beendete sie ihre Erzählung.


Wir waren alle für ein paar Sekunden erstarrt, unfähig etwas zu sagen. Wir mussten sehr viel verdauen. Emmett durchbrach die Stille.

„WOW! Eine Wahnsinns-Geschichte. Ziemlich verrückt, aber irgendwo logisch.“

Da konnten wir alle nicht widersprechen. Bella sah mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Sie biss sich auf die Lippe. Andy drückte mitfühlend ihre Hand. Er kannte ja ihre Gedanken. Warum ich nicht? Neid stieg in mir auf, den ich wieder zu unterdrücken versuchte. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Ihr schien etwas eingefallen zu sein.

„Komm wir fahren zu Charlie. Der ist bestimmt krank vor Sorge. Außerdem wird er sich freuen, dich kennen zu lernen.“, sagte sie zu Andy.

Ich wollte nicht, dass sie ging, aber ich würde sie beobachten. Sie hatte Recht. Charlie würde sich Sorgen machen.

„Vielen Dank für eure Hilfe und hoffentlich bis bald.“, sagte Bellas Bruder und sah uns alle freundlich an. Naja, fast.

Er sah mich zuletzt an und sein Blick war vorsichtig, traurig und wütend. Er wusste natürlich, was ich Bella, seiner Schwester, angetan hatte. Er musste mich nun ganz einfach auch hassen, oder nicht? Bella sah die anderen nur an. Meinem Blick wich sie aus. Mir wollte das Herz brechen.

„Auf Wiedersehen.“, sagten Carlisle und Esme freundlich zu ihnen.

Sie gingen hinaus und zum Transporter. Andy stieg zur Fahrerseite ein, was mich etwas verwunderte. Dann als beide drinnen saßen, startete er den lauten Motor und fuhr etwas zögerlich davon. Aber er schien zu wissen wo lang er fahren musste.

Ich rannte ohne auch nur ein Wort zu meiner Familie zu sagen los zu Charlies Haus. Ich musste darauf achten, dass mich niemand sah. Als ich angekommen war, sah ich, dass sein Auto auf der Auffahrt stand. Er war also zu Hause. Ich versteckte mich im Baum, gegenüber von Bellas Zimmerfenster und wartete.

Schließlich war der laute Motor des Transporters zu hören und er fuhr auf die Auffahrt.

°Dieser Motor. Das ist doch der Transporter! Bella! Oh mein Gott, mein kleines Mädchen kommt endlich nach Hause.°

Seine Sorge und sein Glücksgefühl war beinahe mit Händen zu greifen. Er stand vom Sofa auf, ging zur Haustür und riss sie auf.

Er wollte sofort auf sie zu rennen – es war ihm natürlich egal, dass es nieselte – doch als er sah, dass noch eine Person ausgestiegen war, bleib er stehen wie erstarrt und war verdutzt.

Schreckliche Wahrheit




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




°Oh, mein Gott. Spielt mir meine Sehnsucht einen Streich? Ich sehe 2 Bellas, nur die eine ist größer. Moment mal.°

Charlie blinzelte und sah sehr konzentriert aus, als wollte er seine Augen scharf stellen.

°Das ist ja ein Mann. Ein Mann, der genau wie meine Bella aussieht. Wie kann das sein?° Dann war es kurz still. °So wie die beiden aussehen, könnte es möglich sein, dass sie…Zwillinge…sind. Nein! Unmöglich! Bella hat keinen Bruder!°


Jetzt stutzte ich. Warum dachte er so was? Ich dachte, dass es jede Person zweimal gibt. Die Bella hier war tot, aber wo war ihr Bruder? Ich war völlig verwirrt. Charlie ebenso verwirrt, über das Bild, was sich ihm bot, war immer noch wie erstarrt. Er rührte sich nicht. Andy zögerte kurz, für menschliche Augen kaum bemerkbar. Dann lächelte er und trat zusammen mit Bella auf Charlie zu. Bella strahlte Charlie an. Wunderschön sah sie aus. Er registrierte es zwar, doch kein Muskel bewegte sich. Er war noch zu geschockt und schaute Bellas Bruder an.

Bella rannte auf Charlie zu und warf sich in seine Arme. Noch immer rührte er sich nicht. Andy sah Charlie immer noch lächelnd an, sagte aber nichts. Dann rührte sich Charlie und drückte Bella fest an sich, als er ihre Stimme vernahm.

„Hallo, Dad. Ich bin so froh dich zu sehen. Du hast mir so gefehlt.“, schluchzte sie.

Warum konnte sie nicht so auf mich reagieren und diese Worte zu mir sagen? Tja, aber daran war ich nun mal selbst schuld. Der Schmerz durchzuckte mich wieder.

°Wer ist dieser Mann? Aber wenigstens ist mein kleines Mädchen wieder hier. Es waren sehr lange Tage ohne dich.°

„Zum Glück bist du wieder da.“, brummte Charlie nur.

Bella würde nie erfahren, wie sehr ihr Vater – ich verzog das Gesicht – sie liebt. Er kann nie seine wahren Gefühle offen zeigen. Eigentlich war dieser Mann, dieser Charlie, nicht Bellas Vater. Einerseits war er es, andererseits nicht. Seine wirkliche Tochter war tot, doch er hat sich um diese Bella seit sie hier ankam so gut gekümmert, wie er nur konnte. Und er liebte sie wirklich sehr, wie er seine wirkliche Tochter geliebt hat – oder immer noch liebt.

Als sich Bella von Charlie löste, sah er sie erleichtert und Andy skeptisch an. „Bella, ich freue mich sehr, dass du wieder da bist und du bist mir eine Erklärung schuldig. Aber wer ist dieser Mann?“

Jetzt schaute er zu Bella. „Dad, lass uns doch dafür ins Haus gehen. Ich werde dir alles erklären.“, sagte Bella. Charlie nickte ernst.

Dann ging er gemeinsam mit Bella ins Haus, Andy folge ihnen etwas zögerlich. Nun musste ich mich ganz auf Charlie konzentrieren, da ich sie nun überhaupt nicht mehr sehen konnte, was mich ziemlich frustrierte. Die drei setzten sich in die Küche. Charlie und Andy hatten bis jetzt kein einziges Wort miteinander gewechselt. Er saß den beiden gegenüber und schaute sie abwechselnd an.

°Na, da bin ich aber gespannt, was jetzt kommt.°

Andy und Bella lächelten Charlie an und Bella holte tief Luft. Ich war genauso gespannt wie Charlie, was jetzt passieren würde.

„Dad, ich kann mich wieder an alles erinnern. Ich meine, wo ich herkomme.“

°Was? Was soll das bedeuten. Bella, du machst mir Angst°

In seinem Kopf kamen Erinnerungen hoch, aber sie gelangten nicht an die Oberfläche. Ich konnte sie nicht sehen.

„Weißt du noch, wie ich im Wohnzimmer aufgetaucht bin und dich gefragt habe, wo Andy ist?“

°Wie könnte ich diesen Tag vergessen.°


Charlie fühlte sich sehr unwohl. Er wollte nicht über dieses Thema sprechen. Dann brachen Erinnerungen an die Oberfläche. Ich konnte sie vor mir sehen, als seien es meine eigenen. Wie er die 7-jährige Bella plötzlich in seinem Wohnzimmer sah. In mir stieg Wut und Angst auf. Denn woran sich Charlie erinnerte, gefiel mir absolut nicht. Ich erkannte dieses kleine Mädchen sofort als Bella wieder. Sie war nur älter geworden. Aber wie sie aussah, das war etwas anderes.

Sie trug nur ein blaues Kleid und Socken. Und sie trug die Halskette, für die sie ihre Unschuld hergeben musste. Ein fürchterliches Knurren entfuhr mir. Sie war so blass im Gesicht, nein am ganzen Körper, dass man denken könnte, in ihr würde das Blut nie wieder fließen. Das Blut war sozusagen in ihren Adern gefroren. Sie war noch blasser als ich. Doch ihre Wangen waren rot. Sie bildeten einen starken Kontrast zur blassen Haut. Ich konnte mit meinen Augen sehen, dass es Abdrücke von Händen waren. Abdrücke von seinen Händen. Er hatte sie geschlagen.

Ich knurrte und hätte jetzt am liebsten jemanden getötet. Sie hatte stark geweint und es liefen ihr – zumindest in diesem Moment der Erinnerung – keine Tränen die Wangen hinunter. Ihr Blick war trüb und leer. Sie zitterte leicht. Ihr Kleid war schmutzig und zerrissen.

Doch als sie Charlie erblickte – oder registrierte – erhellte Freude und Erleichterung ihr Gesicht und sie weinte, dieses Mal aber nicht aus Angst. Dann fragte sie, wo ihre Mutter und Andy seien. Als Charlie ihr antwortete, wirkte sie völlig verzweifelt und schrie vor Schmerzen auf. Ich zuckte bei all diesen Bildern zusammen.

Was hatte meine Bella schon so früh als unschuldiges kleines Mädchen ertragen müssen. Ich verfluchte ihren Schutzengel dafür.

„Moment mal. Soll das etwa heißen, dass dieser Mann Andy ist, dein…Bruder?“, fragte Charlie verwundert.

„Ja, so ist es Charlie!“, antwortete Andy. Er sah zu ihm, dann wieder zu Bella.

„Dann hast du damals gar nicht gelogen.“, sagte er. Seine Stimme klang hohl.

°Aber das kann doch nicht sein.°

Bella und Andy nickten.

„Dad, höre mir jetzt zu. Ich weiß, es klingt verrückt. Aber hast du dich nie gefragt, wo ich auf einmal herkam?“, fragte Bella.

Charlie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er nickte nur. „Ich komme aus einer anderen Welt. Aus einer Welt, wo es auch einen Charlie, eine Renee und meinen Bruder gibt. Eine Welt wie diese, aber mit Unterschieden. Verstehst du, was ich sage?“, fragte Bella langsam und sah Charlie besorgt an.

°Das klingt verrückt, aber so muss es sein. Sie ist eigentlich nicht meine Bella, und doch ist sie es. Meine Tochter ist tot. Ja, sie muss von irgendwo anders hergekommen sein. Sie war nicht von den Toten wieder auferstanden und doch war sie ein Geschenk des Himmels.°

Auf einmal wurde Charlies Blick trübe und ich hörte, wie er schluchzte. Tränen verschleierten den Blick auf dem wichtigsten Menschen meiner Existenz. Er brach in Tränen auf und schluchzte, dann antwortete er auf die Frage. Die Worte sprudelten aus ihm heraus. Er konnte sie nicht mehr zurück halten.

„Ich wusste es. Ich wusste es seit dem Tag, als du plötzlich vor mir aufgetaucht bist. Das du nicht MEINE Bella bist. Trotzdem bist du auch meine Tochter, auch wenn du aus einer anderen Welt kommst, vergiss das nie. Ich liebe dich genauso, wie ich sie geliebt habe.“

Andys und Bellas Gesichtsausdrücke veränderten sich. Sie machten große Augen.

„Was meinst du mit ‚geliebt habe‘?“, fragte Andy Charlie. Angst schwang in seiner Stimme mit. Bellas ganzer Körper verkrampfte sich. Er schaute beide an.

„Bella, MEINE Tochter, ist mit 6 Jahren gestorben. Sie wurde von jemandem überfahren, der Fahrerflucht begangen hatte.“, sagte er schluchzend und sein Blick wurde noch trüber.


Andy und Bella wich das Blut aus ihren Gesichtern und sie erbleichten. Ich zuckte, zusammen, als Charlie sich erinnerte. Es war ein strahlender Tag. Charlie war mit der 6-jährigen Bella in der Stadt unterwegs. Die Sonne schien. Beide waren fröhlich und die kleine Bella strahlte förmlich und lachte ausgelassen. Dann wollten Charlie und Bella eine Straße überqueren. Es kam zwar von beiden Seiten kein Auto, aber Charlie brachte seiner Tochter bei, die Verkehrsregeln zu beachten.

Er hob sie hoch, damit sie auf dem Knopf für die Ampel drücken konnte. Dann warteten sie eine kleine Weile. Bella zappelte ungeduldig. Sie wollte schon längst drüben sein. Dann, als dass Männchen grün wurde, liefen sie los. Sie hatten die Mitte der Straße fast erreicht, als ein Auto mit rasender Geschwindigkeit um die Ecke kam und nun auf Charlie und Bella zufuhr.

Der Mistkerl fuhr viel zu schnell, vielleicht 140 Stundenkilometer. Charlie hatte keine Zeit zu reagieren. Es ging alles viel zu schnell. Als der Wagen um die Ecke kam, war die Distanz zwischen Charlie und Bella und dem Autofahrer schon sehr gering. Charlie hörte nur den lauten Motor und drehte seinen Kopf nach rechts. Dann wurden sie einen kurzen Moment später auch schon beide vom Auto erfasst. Beide flogen hoch in die Luft und bluteten stark. Dann endete Charlies Erinnerung, da er wahrscheinlich ohnmächtig wurde.

Ich konnte nur noch den Motor des Autos hören. Er fuhr einfach weiter und ließ sie einfach liegen. In mir tobte eine Wut, die ich nie für möglich gehalten hatte. Dieser Mistkerl hatte meine Seelenverwandte in dieser Welt auf dem Gewissen. Schmerz und Wut brodelten in mir. Am liebsten, wäre ich jetzt fortgegangen und hätte diesen Typen gesucht. Ich konnte in Charlies Erinnerungen einen Geruch wahrnehmen, aber er war vielleicht zu stark mit dem Geruch von Auspuffgasen vermischt. Falls ich mein Vorhaben wirklich umsetzten sollte, würde es nicht ganz einfach werden…

Irgendwo wusste ich, dass mein Verhalten etwas komisch war. Ständig starben Menschen und schließlich kannte ich diese Bella nicht. Hätte sie niemals kennen lernen können und würde es nie. Vielleicht hätte ich mich nicht in sie verliebt, wenn sie weitergelebt hätte. Vielleicht hätte sie sich ganz anders entwickelt. Aber das bezweifelte ich sehr. Nein, mein Verhalten war nicht seltsam. Er hatte Bella – ob ich sie nun kannte oder nicht – getötet, mit voller Absicht. Dafür würde er büßen, wenn ich es auch wirklich tuen und ihn finden würde…

Ich zuckte vor Schmerzen zusammen.

„Er hatte mich und Bella beide erwischt. Er fuhr viel zu schnell. Ich habe überlebt, aber…sie nicht.“

Charlie Stimme war belegt und brach. Dann kamen andere Erinnerungen. Erinnerungen, die noch schlimmer waren, als die eben. Bella, blass und kalt. Ihre Augen waren geschlossen, als würde sie schlafen. Jedoch würde sie nie wieder erwachen…

Einen Raum mit vielen Leuten. Eine Kirche, ein offener Sarg, indem sie drin lag. Dann, wie der Sarg in die Erde gelassen wurde, in einem Loch vor dem Grabstein, den ich schon kannte. Renees schmerzverzerrtes, tränenüberströmtes Gesicht.

Ich hätte am liebsten meinen ganzen Schmerz hinaus in die Welt gebrüllt. Das war einfach zu viel für mich. Wäre ich kein Vampir mit perfekten Sinnen, wäre ich vom Baum gefallen und zusammen gebrochen. Ich zuckte zusammen und erbleichte. Heftige Schmerzen schüttelten meinen ganzen Körper.

Bellas Gesicht war so blass, wie noch nie und in ihren Augen füllten sich Tränen. Ihrem Bruder erging es nicht anders. „Aber was ist mit Andy? Wo ist er in dieser Welt? Jede Person muss es zweimal geben. Wo ist mein Bruder in dieser Welt?“, brachte Bella verzweifelnd heraus.

Charlie beruhigte sich langsam und hörte auf, an die Vergangenheit zu denken. Ich seufzte erleichtert.

„Bella, du... Nein, sie wurde als Einzelkind geboren. Renee brachte keine Zwillinge zur Welt, nur…sie.“, sagte Charlie langsam und zögerlich.

Andy erstarrte und riss seine Augen auf. Er schaute Charlie mit einem geschockten, leeren Blick an.

„Mich…gibt…es…gar nicht?“, fragte er leise und klang verwirrt.

Bella sah bestürzt zu ihrem Bruder, nahm seine Hand, die auf dem Tisch lag und drückte sie. Er regte sich nicht, reagierte nicht. Er sah so leer und verloren aus. Verständlich. Er existierte nur einmal. Er wurde hier nicht einmal geboren. Diese Vorstellung – oder Tatsache – musste die Hölle für ihn sein.

Charlie nickte. „Es tut mir so leid.“ Er zögerte, dann sprach er den Gedanken laut aus. „…Mein Sohn…“, sagte er vorsichtig.

°Auch wenn er nicht mein Sohn ist. Er ist der Bruder meiner Bella, meiner zweiten Tochter. Er ist der Sohn, den ich nie hatte, den ich aber hätte haben können. Ja, ich sehe ihn als mein Sohn an, auch wenn ich nicht sein Vater bin und ich ihn heute zum ersten Mal gesehen habe.°

Charlie freute sich, aber ob er dies auch zeigte, wusste ich nicht. Als Andy diese Worte hörte, löste er sich aus seiner Starre, sah nun wieder bewusst zu Charlie und stand auf. Sein Stuhl kippte nach hinten. Er rannte zu Charlie und umarmte ihn fest. Er fing an heftig zu weinen. Er erwiderte liebevoll seine Umarmung.

„Danke…Dad“, brachte er heraus. In Bellas Blick sahen Charlie und ich Erleichterung. Erleichterung darüber, dass Charlie ihren Bruder akzeptierte.

°Er nennt mich Dad, oh Gott!°

Nach einer Weile, nachdem sich Andy beruhigt hatte, löste er sich von Charlie. Er sah ihn besorgt an.

„Darf ich Dad zu dir sagen? Dann habe ich jetzt eben 2 Väter, genau wie Bella.“

„Natürlich.“

Andy lächelte. Charlies Blick wanderte zu Bella, die jetzt ebenfalls lächelte. Charlie schien sich wirklich über seinen „Sohn“ zu freuen.

„Warst du in dieser anderen Welt die letzten 11 Tage?“, fragte Charlie dann. „Du bist einfach verschwunden und nicht mehr nach Hause gekommen. Ich bin vor Sorge fast wahnsinnig geworden.“

Bella nickte.

°Aber wenn sie wieder zu Hause, bei ihren richtigen Eltern und ihrem Bruder war, warum ist sie dann zurück gekommen?°

„Ja, ich habe dort meine anderen Eltern und die anderen Blacks kennen gelernt. Aber ich habe so oft an dich und Renee denken müssen und ich vermisste euch so sehr, dass ich wieder zurückkommen wollte.“

°Oh, Bella, danke.°

„Aha. Das ist schön.“, sagte Charlie nur.

Wieder einmal konnte er die Tiefe seiner Gefühle einfach nicht zeigen.

°Ich frage mich, wie sie wieder nach Hause gekommen beziehungsweise wieder zurückgekommen ist? Aber ich glaube, das will ich lieber gar nicht wissen.°

„Wie ist denn euer Vater so?“, fragte Charlie beiläufig, als wäre die Antwort nicht so wichtig. Bella und Andy lachten.

„Genau wie du.“, antwortete Andy. „Der Unterschied ist, dass er Polizeipräsident von Washington ist.“

„Wirklich? WOW!“, erwiderte Charlie erstaunt.

Dann sah ich, wie die beiden Charlie besorgt ansahen. „Wie lange wollt ihr beide hier bleiben?“, fragte er und in seiner Stimme klang seine ganze Sehnsucht mit.


Ja, auch für mich war das eine wichtige Frage. Ich wollte – konnte – nicht ohne Bella sein. Wenn sie wieder in die andere Welt will, dann würde ich sie anflehen, mich mitzunehmen. Der Schmerz in mir pochte wieder. Vorausgesetzt sie nimmt mich wieder zurück. Ich musste es bald herausfinden. Ich hoffte so sehr, dass sie mir noch eine zweite Chance geben würde. Ich brauchte sie, wie Blut. Wie Luft. Ohne sie, würde ich eingehen.


„Ich denke, wir bleiben erst mal eine Weile hier.“, sagte Bella aufmunternd.

„Und wenn mir Heimweh kriegen, können wir ja mit dem anderen Charlie telefonieren.“, sagte Andy locker. Charlie seufzte erleichtert, war aber verwirrt.

„Wie wollt ihr das denn machen?“, fragte er.

„Wir haben ein Handy aus der anderen Welt. So können wir in Verbindung bleiben und es funktioniert wirklich.“, antwortete Bella.

Dann klingelte das Handy. Andy holte es heraus, schaute aufs Display und sagte lächelnd: „Wenn man vom Teufel spricht.“

Gespräche





Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




„Hallo, Dad.“, begann Andy das Telefonat.

„Andy, wo seid ihr beide? Bei mir auf der Wache kam nur eine gewisse Alice Cullen und sagte mir, dass ihr nicht Zuhause seid, ich euch aber unter dieser Nummer erreichen kann. Geht es euch gut?“, fragte der andere Charlie besorgt.

„Hör zu Dad, es hört sich jetzt verrückt an, aber wir sind zuhause, aber in der anderen Welt. In der Welt, wo Bella die letzten 11 Jahre war."

Stille. „Wie habt ihr das denn geschafft?“

Andy sah verwirrt aus und zögerte. Er biss sich auf die Unterlippe und überlegte. „Ach Dad, das würde jetzt zu weit führen.“

Charlie sah, wie Bella erleichtert seufzte.

„Naja, ok. Ihr müsst mir das nicht erzählen. Aber sagt mir, wann kommt ihr wieder zurück?“ Charlie versuchte beiläufig zu klingen, aber man konnte seine Sehnsucht heraus hören.

„Das wissen wir noch nicht. Bella möchte eine Weile hier bleiben. Sie hat den anderen Charlie vermisst und außerdem…“, zögerte er und sah Bella dabei in die Augen, „…hat sie hier noch einiges zu erledigen.“

°Was war das denn gerade? Was sollte dieser Blick°

Ja, das frage ich mich auch. Könnte er…MICH damit meinen? Bestimmt. Er wusste ja, was ich Bella angetan hatte, auch wenn er es nicht laut ausgesprochen hatte.

„Ach so. Aber wenn ihr für sehr lange Zeit dort bleiben wollt, tut mir einen Gefallen, ja?“

„Welchen denn?“, fragte Andy.

„Dann kommt nochmal ‚rüber‘, damit ich mich von euch verabschieden kann.“ Charlie sah, wie Andys Blick weich wurde.

„Ja, natürlich Dad.“

„Gut.“ Ich konnte den anderen Charlie am anderen Ende seufzen hören. „Kannst du mir mal den…anderen Charlie geben?“, fragte er sehr zögernd. Andy runzelte die Stirn.

„Klar.“ Andy klang etwas misstrauisch.

Er reichte dem anderen Charlie, der ihm gegenüber saß, das Telefon.

„Charlie, a…also der andere, will mal mit dir sprechen.“

°Na, das kann ja interessant werden.° Bella zog ihre Augenbrauen zusammen.

„Hallo?“, fragte der Charlie hier.

„Hey, du bist doch der andere Charlie, oder?“, fragte eine Stimme, die haargenau so klang wie seine.

„Ja.“, antwortete er vorsichtig.

„Hör zu, ich möchte dir erst mal dafür danken, dass du dich um meine Bella gekümmert hast. Aber tu‘ mir bitte einen Gefallen. Pass ja gut auf meine – nein UNSERE – Kinder auf.“ Der Charlie am anderen Ende lachte leise.

„Das werde ich.“, sagte Charlie voller Inbrunst.

„Gut.“, bekam er zurück und die Verbindung wurde unterbrochen.

Charlie gab Andy zögerlich das Handy zurück und er steckte es ein. „Man, das ist ziemlich verwirrend!“, sagte Charlie.

Da stimmte ich Charlie zu. Von der ganzen Sache würde ich – wäre ich kein Vampir – Kopfschmerzen bekommen.

„Das kannst du laut sagen.“, sagten Bella und Andy gleichzeitig.

Ich lächelte. Wenn die beiden etwas gemeinsam sagten, dann hörte es sich richtig und vollständig an. Ja, Bella war nicht vollständig. Ihr hatte ihre männliche Hälfte gefehlt. Ich hoffte nur, dass ich Bellas andere männliche Hälfte wieder werden konnte…

Ich hörte Charlie lachen und sah die anderen ebenfalls lachen. Wie glücklich die beiden dabei aussahen, obwohl der Schmerz in ihren Blicken unverkennbar war.

„Das hört sich richtig…“, er suchte nach dem richtigen Wort, „…schön an.“

°Sie sind echte Zwillinge.°, dachte er lachend.

„Was wollte Dad denn – also unser anderer Dad.“, lenkte Bella ein, um ihn nicht zu kränken.

„Er sagte nur, dass ich gut auf euch aufpassen soll.“ Charlie sah, wie Andy grinste.

„Ich glaube, da musst du dich nicht so anstrengen. Bella ist inzwischen schon ein großes Mädchen und ich bin ja auch noch da. Und wenn Bella in Gefahr ist, dann spüre ich das.“

Charlie zögerte. „Ach so, das ist so ein Ding zwischen Zwillingen, oder?“

„Ja.“, antwortete Bella fröhlich.

„Also, Andy. Kannst du mir alles von dir erzählen? Ich muss doch meinen neuen Sohn kennen.“, sagte Charlie lächelnd.

„Na aber selbstverständlich, sagte übertrieben betont und lächelte zurück.

Er erzählte Charlie von seiner Kindheit, die Zeit nachdem Bella verschwunden war, jedoch nicht so detailliert, da er ihn nicht verletzten wollte.

°Oh, mein Gott. Der Arme. Für mich war sie ein Geschenk des Himmels gewesen und für ihre Eltern und ihren Zwillingsbruder die Hölle. Und das 11 Jahre lang.°

Charlie hatte starke Schuldgefühle. Auch wenn Andy diese Zeit absichtlich nicht schilderte, zuckte ich zusammen. Meine arme Bella. Von ihrer Familie getrennt. Von ihrem Bruder.

„Aber so kam sie zu dir und hat Licht und Schönheit in deine Existenz gebracht.“, flüsterte eine Stimme in mir.

Einerseits schmerzte mich der Gedanke, andererseits musste ich lächeln. Wäre sie nie hier her gekommen, ganz gleich unter welchen Umständen, dann hätte ich nie wahre Liebe erfahren…

Andy erzählte von der anderen Renee und das er nach der Trennung seiner Eltern mit ihr und Phil in Phoenix aufgewachsen ist. 5 Jahre hatte er dort sein Leben verbracht. Er sagte Charlie er habe nur zu Phil und dem anderen Charlie eine recht gute Beziehung. Zu Renee leider nicht, da sie ihm zu sehr an ihre Tochter erinnert, die sie verloren hat.

Natürlich war das eine Ausrede – ein bisschen mag sie wohl doch stimmen –, aber Andy wollte Charlie nichts von ihren übernatürlichen Fähigkeiten erzählen. Wer weiß, wie er darauf reagiert beziehungsweise ob er es überhaupt verkraftet hätte. Charlie hatte am diesen Tag schon einen neuen Menschen in seinem Leben „verkraften müssen.“ Jetzt noch über das Übersinnliche zu reden wäre bestimmt nicht sehr ratsam gewesen. Das wusste natürlich Andy.

Er erzählte, dass er sich schon für Baseball durch Phil hat begeistern lassen und dass er nach der Schule ein Lehramtsstudium beginnen möchte.

°Wie seine Schwester°, dachte Charlie erfreut. „Dann musst du wohl ziemlich gut in der Schule sein.“, sagte Charlie.

Andy verzog das Gesicht. „Viele haben mich in Phoenix immer gehänselt beziehungsweise bemitleidet. Nicht gerade meine schönste Zeit in der Schule.“

Ein leises Knurren entfuhr mir bei „gehänselt“ und ich zuckte zusammen bei „bemitleidet“.

„Apropos Schule.“, sagte Charlie, „Bella hat ja kein Problem damit, wieder zur Schule zu gehen. Sie war ja nur 11 Tage weg. Montag geht es also wieder normal los. Aber was ist mit dir? Du existierst hier ja nicht. Keine Geburtsurkunde. Nichts.“

Andy und Bella bissen sie auf die jeweilige Unterlippe und die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen erschien. Diese Geste verlief bei den beiden absolut synchron.

„Naja, mein Personalausweis und Führerschein und sonstige Papiere habe ich ja hier. Die sind immer in meiner Hosentasche. Die steck ich schon fast automatisch gleich ein.“

„Und?“

Charlie sah, wie sich Bella und Andy einen Moment tief in die Augen schauten. Ob sie wohl wieder telepathisch miteinander kommunizierten? Wie ungerecht das doch alles ist! Wieder einmal konnte ich nicht verhindern, dass Neid in mir aufkeimte.

°Dieser Blick… Merkwürdig.°

„Dad.“, Andy grinste kurz, „Wir könnten ja Unterlagen…“, er stockte.

„Nun spuck es aus!“, sagte Charlie.

Andy verzog das Gesicht und biss sich auf die Lippe. „…fälschen.“, sagte er zögerlich und leise.

°WAS?! DAS KANN DOCH NICHT SEIN ERNST SEIN!° Charlie war entrüstet.

„Andy, du bist der Sohn eines Polizisten und ich bin sicher, dass dein Vater – oder ich – das gutheißen würden!“

„Ich weiß, ich weiß. Aber hast du eine bessere Idee? Wie du schon gesagt hast, existiere ich hier nicht. Sollen wir den Leuten sagen, dass ich aus einer Parallelwelt komme? Na dann, tschüss normales Leben und hallo Gummizelle.“

°Mmhh. Da hat er leider Recht. Ich glaube es geht wirklich nicht anders, wenn er hier leben möchte.°

Ich konnte überdeutlich hören, wie Charlie dies störte. Natürlich widerte dieser Gedanke ihn an, er ist ein Mann des Gesetzes. Er regt sich ja schon auf, wenn man zu schnell Auto fährt. Und Unterlagen fälschen ist natürlich viel schlimmer.

„Naja, das wäre wirklich die einzige Möglichkeit.“, sagte er zähneknirschend.

„Tut mir leid, Dad. Ich weiß, dass das gegen deine Wertvorstellungen geht.“, sagte Bella leise und mitfühlend. Andy nickte langsam.

°Wenn das doch anders ginge…°, dachte Charlie verzweifelnd. „O.K., aber nur die nötigsten Sachen.“, sprach Charlie missbilligend.

Andy und Bella nickten sehr ernst.

„Na…gut. Aber ich kann das ja wohl schlecht machen.“

„Ach, ich kenn‘ da schon jemanden, der das macht.“, erwiderte Andy und grinste leicht.

Meinte er etwa uns? Schlauer Junge.

„Ach, wem den?“, fragte Charlie misstrauisch.

„Bist du nicht heute zusammen mit Bella zum ersten Mal hier angekommen?“

Ich spannte mich an. Was würde er antworten? Ich hatte aber keine Angst, dass er unser Geheimnis verraten würde. Er war wie seine Schwester. Ich – wir – konnten ihm vertrauen. Da war ich mir sicher. Andy sah Bella hilfesuchend an.

„Naja, ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der das macht.“, sagte Bella und versuchte überzeugend zu klingen. „Das willst du alles gar nicht wissen, Dad.“, sagte Bella schnell.

°Nein, das will ich wirklich nicht.°

Ich atmete erleichtert auf. Obwohl Charlie wusste, dass da noch viel mehr dahinter steckte, fragte er nicht weiter danach. Er nickte langsam.

Den Rest des Abends redeten sie noch über dies und das, ich hörte nicht mehr genau hin. Als Charlie dann ins Wohnzimmer ging, um sich ein Spiel anzuschauen, gingen Bella und Andy mit. Sie schauten sich zusammen eine Sportsendung an. Es hörte sich wie Baseball an. Es ging um den entscheidenden Schlag, damit Charlies Mannschaft gewinnen konnte. Dazu war ein Homerun nötig.

Kurz bevor der Spieler den Ball mit seinem Schläger traf, riefen Charlie und Andy gemeinsam: „Oh, jetzt komm‘ schon!“.

Als schließlich die Mannschaft gewann, schrien beide: „YEAH!“.

Ich musste lachen. Da haben sich wirklich zwei gesucht und gefunden. Auch wenn er nicht der Sohn von Charlie ist, so sind sie doch miteinander verwandt. Ich schüttelte den Kopf. Die ganze Sache war viel zu kompliziert.

Ich sah durch Charlie Augen während des Spiels nicht viel von Bella, da er nur – wie Andy – zum Fernseher starrte, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass ihr diese Szene ebenso gefiel wie mir. Es schmerzte mich, sie nicht sehen zu können. Weder mit meinen eigenen Augen, noch durch Charlies. Konnte ich je wieder den liebevollen Blick in ihren Augen sehen, wenn sie mir gegenüber stand? Verzweiflung und Schmerz durchfuhren mich.

Nachdem gebrüllten „YEAH!“ sahen sich Charlie und Andy etwas verlegen an. Ich sah, wie Andy rot wurde und es sah genauso aus wie bei seiner Schwester.

°Er ist wirklich mein Sohn, obwohl er es nicht ist.°, dachte Charlie erfreut.

Dann hörte ich Bellas wunderschönes Lachen. Dieses Geräusch würde sich für immer in mich einbrennen. Wer weiß, ob ich es je wieder hören würde…

Dann stimmten Charlie und Andy in ihr Lachen ein. Es hörte sich wie die schönste Musik an. Es war schön, Andy lachen zu hören und zu sehen. Er sah immer noch sehr traurig aus, da ich den tiefen Schmerz in seinen Augen überdeutlich erkennen konnte. Selbsthass stieg in mir auf. Musste ich auch noch 2 Menschen zerstören? Ich war wirklich eine Bestie!

„Es wird Zeit schlafen zu gehen“, sagte Charlie nachdem das Spiel vorbei war.

„Aber wo soll ich schlafen?“, fragte der Bruder meiner Liebsten.
„Da es mich hier nicht gibt, ist hier auch kein Zimmer für mich vorhanden.“

„Kein Problem! Du schläfst einfach bei mir im Bett.“, sagte Bella lässig.

Charlie starrte Bella an und auch Andy sah etwas skeptisch aus.

°Meine Bella zusammen mit einem Mann in einem Bett? Nein, nicht mein kleines Mädchen!°, dachte Charlie wütend und verzweifelt.

Ich knurrte leise. Ein kleiner Teil in mir war wütend. Bella mit einem anderen Jungen? Sie zusammen mit ihm in ihrem Bett? Eine schreckliche Vorstellung. Dann musste ich mir wieder ins Gedächtnis rufen, sie als Bruder und Schwester zu sehen, nicht als Mann und Frau.

„Sie sind miteinander verwandt.“, sagte ich mir.

Aber auch aus einem anderen Grund war ich wütend. Wenn Andy heute Nacht in Bellas Zimmer war, dann konnte ich nicht mit ihr alleine reden. Dann konnte ich keine Antworten auf die Fragen bekommen, die ich so sehr brauchte, aber vielleicht gar nicht haben wollte. Ich zuckte zusammen. Aber ich musste heraus finden, wie sie jetzt noch zu mir stand, auch wenn meine Zeit des Lichts vorbei sein würde…

Charlie antwortete nicht auf die Frage. Er war zu perplex.

„Bella, bist du dir sicher? Ich meine, ich habe kein Problem damit, aber wir sind keine 7 mehr.“, erinnerte Andy sie.

°Na, wenigstens hat er Anstand.° Charlie sah zu Andy und nickte.

„Ach, komm. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir nichts Verbotenes machen werden.“, erwiderte sie und sah Charlie dann schmunzelnd an.

°Na gut. Ich lasse das mal durch gehen. Ihr seid ja schließlich Bruder und Schwester. Da kann man ein Auge zudrücken.° Charlie nickte, wenn auch widerstrebend.

Sie nahm Andys Hand und wollte mit ihm gerade nach oben gehen, als Charlie sah, wie Andy leicht zuckte und dann stehen blieb.

„Was ist?“, fragte Charlie.

Bella sah verwirrt aus und Andy löste seine Hand aus ihrer.

„Ich denke, das ist keine gute Idee. Ich schlafe hier auf dem Sofa.“, antworte er und lächelte Charlie und Bella an.

°Dieser Junge ist Gold wert.° Charlie seufzte dankbar. Genau wie ich.


Aber im nächsten Moment stutzte ich. Warum hatte er das getan? Er war nicht abgeneigt gegen Bellas Idee, also warum? Und wenn er…? Wenn er weiß, dass ich mit Bella reden will? Er hatte leicht gezuckt, bevor er den Vorschlag abtat. Hatte er da eine Vision von der Zukunft gehabt? Hatte er Bella und mich alleine in ihrem Zimmer gesehen? Obwohl es nur eine Vermutung war, wusste ich, dass sie stimmte. Ich nahm mir vor, mich bei Andy zu bedanken. Ich fing an, ihn jede Sekunde mehr als einen Bruder zu lieben. Ich lächelte leicht.


„Na schön.“, sagte Bella leicht enttäuscht.

Ich sah, wie Charlie sah, dass Bella ihren Bruder noch einmal prüfend ansah, dann schließlich mit Charlie nach oben ging.

„Gute Nacht, Andy.“, rief Charlie.

„Nacht, Dad.“, gab er zurück.

°Es ist so schön, wenn er mich Dad nennt.°


Bellas Stimme hörte ich nicht mehr. Seltsam. Ich hatte erwartet, dass sich die Zwillinge noch eine gute Nacht wünschen würden. Ich sah durch Bellas Fenster, wie sie ein kleines Täschchen und ihren Schlafjogging-Anzug mit nahm, um sich für die Nacht bereit zu machen. 23 Minuten und 12 Sekunden später kam sie zurück und legte sich in ihr Bett. Ich hörte, wie Andy unten, dass Sofa bettfertig machte. Charlie lag dann 45 Minuten später ebenfalls im Bett und ich merkte, wie seine Gedanken langsam abschweiften und er in den Schlaf glitt. Er fing an zu Schnarchen.

Bella war schon eingeschlafen und wirkte sehr unruhig. Sie warf den Kopf immer schneller umher und stieß leise panische kleine Rufe aus. Sie hat Alpträume, dachte ich. Wegen mir. Die Schuld brach wieder über mich herein. Ich konnte das nicht mehr mit länger ansehen und sprang an die Wand zum Fenster. Lautquietschend öffnete ich es. Ich würde das nächste Mal – ich musste schwer schlucken – wieder etwas Öl mitbringen müssen.

Ich legte mich neben sie aufs Bett und zog sie zärtlich in meine Arme, darauf achtend, dass meine kalte Haut sie nicht störte. Es war befreiend, sie wieder hier bei mir zu wissen und ihren verführerischen Duft einzuatmen. Er war das Heilmittel, das ich brauchte. Nun fühlte ich mich wieder lebendig und komplett. Ich wollte, dass dieser Moment niemals endete. Ich schloss die Augen und atmete wieder und wieder ihren wundervollen Duft ein. Dann hörte ich etwas.

Es kam von unten. Am Geruch erkannte ich, dass es Andy war, der dort unten sein Unwesen trieb. Was machte er jetzt noch? Müsste er nicht auch längst schlafen? Er schien etwas zu suchen. Er lief hin und her und ich hörte Schubladen auf- und zugehen. Dann erstarben die Geräusche. Er hatte wohl das gefunden, wonach er gesucht hatte. Was das wohl war? Er war auch ein Rätsel wie sie. In mir brannte die Neugierde, doch ich konnte meinen Platz nicht verlassen. Hier gehörte ich nun mal hin. Ich hörte nur ein „Klick“, dann ging er zurück zum Sofa und deckte sich zu. Ich zermarterte mir mein Gehirn, aber mir fiel nichts ein, was er hätte suchen können. Und vor allem zu so einer späten Stunde. Dann hörte ich Andys ruhigen Atem und wusste, dass er auch nun schläft.

Ich hielt meine Liebste in meinem Armen und sah mich in ihrem Zimmer um. Es sah so ungewohnt ordentlich aus. Es sieht so aus, als würde sich hier in diesem Raum kein Leben aufhalten beziehungsweise abspielen. Ein schmerzlicher Stich durchfuhr meinen Körper. Was hatte ich ihr nur angetan? Wie konnte ich es überhaupt wagen, wieder herzukommen und sie in meinen Armen zu halten? Sie hasst mich. Sie muss mich einfach dafür hassen.

Während sie schlief, rief sie meinen Namen. Im ersten Moment durchzuckte mich die Hoffnung. Sie dachte immer noch an mich. Sie träumte noch von mir. Vielleicht würde sie mir noch eine zweite Chance geben. Im nächsten Moment schnürte mir die Sorge um sie meine Brust zu. Sie sprach zwar meinen Namen aus, aber wie sie ihn aussprach.

Nein sie sprach ihn nicht nur einfach aus, sie schrie ihn fast, jedoch nicht laut. Es klang panisch, angsterfüllt und besorgt. Warum war sie besorgt um MICH? Mich, den sie eigentlich hassen müsste. Wovon träumte sie gerade? Ja, sie hatte in ihrem Traum nicht Angst vor mir, sondern Angst um mich. Dessen war ich mir bewusst. Wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment, ihre Gedanken hören zu können. Dann wüsste ich, was in ihr vorging. Ich wollte ihr so gern helfen.

Es vergingen 4 Stunden, 8 Minuten und 40 Sekunden, bis Bellas Atmung und ihre Augenbewegungen sich veränderten. Das kannte ich. Sie würde gleich erwachen. Während dieser ganzen Zeit hatte sie immer wieder meinen Namen besorgt gerufen. Und mit jedem Ruf wuchs meine Sorge mehr und mehr. Einerseits wollte ich, dass sie endlich aufwachte. Andererseits sollte sie schlafen. Es war noch viel zu früh. Die Uhr zeigte 02.54 Uhr auf dem Display. Ich atmete tief ein und aus, um mich auf unser Gespräch vorzubereiten.

Ich merkte wie sich Unsicherheit und Angst in mir langsam ausbreiteten. Bella schrak ruckartig mit einem leisen „Ahhh!“ Was hatte meine Liebste nur geträumt? Sie sackte wieder zurück, dann zog sie die Augenbrauen zusammen. Wahrscheinlich hatte sie meinen Arm gespürt, der noch immer um sie lag. Sie schaute nach rechts unten und sah ihn. Jetzt schien sie endlich begriffen zu haben, dass sie nicht allein war. Ich würde sie nie wieder allein lassen. Selbst, wenn sie mich bat, aus ihrem Leben zu verschwinden, würde ich immer über sie wachen. In mir pochte ein heftiger Schmerz wenn ich nur daran dachte.

Nun riss sie die Augen weit auf und drehte sich langsam in meine Richtung. Was war das in ihrem Blick? Angst? Ja, sie hatte nun Angst vor mir. So muss es sein. Diese Reaktion hatte ich mir nicht erhofft, aber sie kam nicht unerwartet. Ich zuckte innerlich zusammen. Ich war selbst schuld daran. Ihre Augen wurden wieder etwas schmaler und sie atmete tief durch.


„Also ich sollte jetzt wirklich aufwachen.“

Ich runzelte die Stirn. Wie kommt sie denn darauf?

„Du bist doch schon wach, Bella.“, versicherte ich ihr. Sie runzelte die Stirn.

„Wenn ich wirklich wach bin, warum bist dann noch hier?“

Was? Ich verstand ihre Frage nicht. Wo sollte ich sonst sein, wenn nicht bei ihr. Hielt sich mich für einen Traum?

„Ich bin zuhause in Sicherheit. Hier droht keine Gefahr. Also, warum bist du mir erschienen?“, fragte sie verwirrt.

Erschienen? Was meinte sie mit „erschienen“? Hielt sie mich für einen Geist? Welche Gedanken führten nur zu ihrem Schluss? Wieder einmal war sie ein Rätsel für mich.

„Auch, wenn ich diese Halluzinationen sehr genieße, verstehe ich einfach nicht, warum du hier bist, wenn ich dir glauben soll, dass ich wach bin.“

Halluzination? Sie glaubt ich sei eine Halluzination? Oh, Bella. Moment mal. Sie hatte gesagt, hier droht keine Gefahr. Soll das etwa bedeuten, dass sie Halluzinationen in Gefahrsituationen gehört beziehungsweise gesehen hat? Und sie sagte, sie genieße sie. Könnte das bedeuten, dass sie die Gefahr mit offenen Armen empfangen hat? Hat sie sich vielleicht absichtlich in Gefahr begeben? Als ich mir das vorstellte, drehte sie mir der Magen um, wie man so sagt. Was hatte sie womöglich alles angestellt, um eine Halluzination hervorzurufen? Angst und Wut brannten in meinem Körper. Ich atmete tief durch, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Bella, ich bin keine Halluzination. Und du bist wirklich wach.“, sagte ich ruhig.

Sie schüttelte den Kopf. „Nun, wenn ich wirklich nur eine Halluzination wäre…“, ich holte tief Luft und ging das Risiko ein, obwohl ich Angst vor ihrer Reaktion hatte, „…könnte ich dann das hier?“, beendete ich meine Frage, zog sie fester in die Umarmung und streichelte mit der anderen Hand ihre Lippen.

Ich spürte Erleichterung in mir, als ich sah, dass ich sie nicht verschreckt hatte oder sie zurück gewichen ist. Sie sah verwundert aus. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. Warum tat sie das nur?

„Na schön. Ich bin also wach. Aber warum bist du zurück gekommen? Ich verstehe dich nicht.“

Diese Worte verpassten mir den heftigsten Schlag, den ich je gespürt hatte. Was sollte ich darauf nur antworten? Wie sollte ich sie nur davon überzeugen, dass ich sie immer noch liebte und immer lieben werde, nachdem sie meinen Lügen geglaubt hatte? Ich versuchte sie mit meinem Blick zu fesseln. Sie sollte sehen, wie ernst mir die Sache war.

„Bella, ich bin hier, weil ich dich liebe. Meine Gefühle haben sich für dich nie geändert.“

Sie zog ihre Augenbrauen zusammen.

„Was soll das? Warum sagst du das?“, fragte sie leicht verärgert.

Ihre Reaktion erschreckte mich.

„Es ist die Wahrheit. Ich habe jede Sekunde in diesen Tagen an dich denken müssen. Ich konnte dich nicht vergessen. Nicht mal die Jagd nach Victoria konnte lang genug meinen Schmerz unterdrücken.“

Als diese Worte meinen Mund verlassen hatten, bereute ich sie schon. Sie würde mich für schwach halten und mich wahrscheinlich aus Mitleid zurück nehmen. Aber dies wollte ich nicht. Sie riss ihre Augen vor Schreck auf und schrie: „Du hast Victoria gejagt?“

Charlies Schnarchen geriet ins Stocken. Seine Gedanken drangen wieder bald an die Oberfläche. Dann versank er wieder in den Schlaf und sein Atem wurde wieder gleichmäßig. Bei Andy konnte ich keine Veränderung wahrnehmen. Warum reagierte sie so auf mein Geständnis? Ich habe ihr doch gerade versichert, dass ich sie immer lieben würde, da ist es doch ganz selbstverständlich, dass ich sie vor allem und jeden beschütze. Nichts sollte eine Gefahr in ihrem Leben darstellen. Und Victoria ist eine Gefahr für sie.

„Nicht besonders erfolgreich.“, musste ich zu meiner Schande gestehen.

Bellas Atem und Herzschlag wurde wieder etwas ruhiger. Als sie sich wieder gefasst hatte, fragte sie mich: „Warum hast du Victoria gejagt?“

Ich konnte die Neugier in diesen Worten hören.

„Weil sie eine Gefahr für dein Leben ist.“, sagte ich und versuchte meine Angst zu verbergen.

Sie muss doch nun verstanden haben, dass ich das alles nur für sie getan habe. Sie ist alles für mich. Niemals würde ich zulassen, dass sie sterben würde.

„Ich verstehe das alles nicht.“, sagte sie und es klang fast verzweifelt, „Warum hast du das getan? Es kümmert dich doch nicht, wenn mir was zustoßen würde. Ich bedeute dir nichts mehr. Also warum solltest du Victoria jagen?“

Diese Worte aus ihrem Mund hatten die Macht mein Innerstes zu zerstören. Wie sollte ich nur ihr Vertrauen zurück gewinnen? Die Verzweiflung ergriff mich, doch ich versuchte, mich gegen sie zu wehren. Ich holte tief Luft. Ich musste ihr die Wahrheit vor Augen führen.

„Bella, das ist nicht wahr!“, erwiderte ich leicht wütend.

Was hatte ich nur angerichtet?

„Alles was ich dir gesagt hatte, damit du mich gehen ließest, war eine Lüge. Ich wollte dies nicht tun. Aber ich wollte, dass du die Chance auf ein normales Menschenleben bekommst. Es war einfach viel zu gefährlich, wenn du in meiner Welt lebst. Ich habe dich ständig in Gefahr gebracht und dein Leben aufs Spiel gesetzt. Also musste ich irgendetwas tun. Und dies schien die einzige Möglichkeit zu sein. Du musst verstehen, dass ich das alles nur für dich getan habe. Als ich dir sagte, ich wolle dich nicht bei mir haben, waren das die schlimmsten Worte, die ich je über die Lippen gebracht hatte.“

Bella wurde blass, ihr Herz schlug schneller und auch ihr Atem wurde unregelmäßiger. Dann sammelten sich Tränen in ihren Augen und sie liefen ihre Wangen hinunter. Sie schüttelte den Kopf.

Nun konnte mich nichts mehr halten. Sie glaubte mir nicht mehr. Ich hatte alles versucht, um sie von meiner Liebe zu überzeugen. Langsam, sehr widerstrebend löste ich mich von ihr. Durch mein Verhalten hatte ich sie für immer verloren. Ich würde nie wieder an ihrer Seite sein dürfen.

Dann plötzlich erstarrte sie und es sah so aus, als ob sie ganz weit weg wäre. Woran dachte sie in diesem Moment? Sie schien sehr angestrengt über etwas nachzudenken. Keine Tränen kamen mehr. Plötzlich überzogen sich ihre Wangen mit einem wunderschönen Rotton, den ich solange nicht mehr sehen durfte. Dann veränderte sich ihr Blick.

Das Leuchten kehrte in ihre Augen zurück und Freude, Hoffnung und...Liebe spiegelten sich in ihnen. Mir stockte der Atem. Welche Gedankengänge führten dazu, dass sie mir nun Glauben schenkte? Ich war zu perplex, um mich auch nur zu rühren. Ihr Blick nahm mich gefangen.

Im nächsten Moment rutschte sie näher an mich heran, nahm mein Gesicht in ihre weichen, warmen Hände und küsste mich leidenschaftlich und sehnsüchtig. Als unsere Lippen sich trafen, löste sich der Schmerz in mir komplett auf. Es war, als hätte dieser nie existiert. Das Licht war wieder zu mir zurückgekehrt. Nun konnte ich die Sterne und den Mond wieder sehen. Die schwärzeste Nacht meiner Existenz war vorbei und die Sonne ging wieder auf und durchströmte mich mit ihrer angenehmen Wärme.

Ich merkte, wie meine Mundwinkel sich hoben und wie mir ein Stöhnen entrang. Endlich schmeckte ich wieder ihre köstlichen Lippen. Es war der Himmel auf Erden. Ich hatte es geschafft, meiner persönlichen Hölle zu entkommen.

Ich erwiderte ihren Kuss mit der gleichen Leidenschaft und meine Hände berührten ebenfalls ihr Gesicht, als müssten sie sich davon überzeugen, dass sie jetzt wirklich bei mir war. Mit mir zusammen. Ich merkte, dass sie Luft brauchte und verließ ihre Lippen und glitt mit meinen zu ihrer Kehle.

Es war merkwürdig. Ich konnte endlich voll und ganz mich diesen Küssen hingeben, ohne dass das Monster in mir uns störte. Ich spürte es fast gar nicht mehr. Seit diesem ewigen Moment am Grabstein, war der Durst nach ihrem Blut nun kein Problem mehr für mich. Ich war überglücklich über diese Tatsache.

Doch nun waren da die Begierden des Mannes in mir, die ich zurück halten musste. Leider. Ich könnte mit ihr nie die körperliche Liebe erforschen, auch wenn ich es mir mehr als alles andere wünschte. Ich würde ihr dabei wehtun. Dann kam mir ein anderer Gedanke.

Wer weiß, ob sie diese Art von Liebe überhaupt erforschen will? Schließlich hatte sie damit keine guten Erfahrungen gemacht, auch wenn das kein liebevoller, sondern ein gewalttätiger Akt war. Wenn es jemals dazu kommen sollte – und garantiert nicht mit mir – dann würden ständig Erinnerungen daran sie quälen. Sie würde es nie genießen können. Nie. Ich knurrte leise bei diesen Gedanken, aber so leise, dass Bella es nicht hörte. Ich wollte ihr keine Angst einjagen. Aber ich wollte diesen Mann umbringen. Er hatte meiner Liebsten so sehr geschadet, wie es nur möglich war, und sie hatte nicht die kleinste Chance sich zu wehren. Zorn stieg in mir auf.

Dann spürte ich wieder Hände an meinem Gesicht und schon lagen meine Lippen wieder auf die ihren. Mein Zorn war verraucht. Nur eins zählte jetzt. Sie und ich. Alles andere war unwichtig und nichts sollte mich von ihr ablenken. Dann – natürlich viel zu früh – löste sie ihre Lippen von meinen und schaute mir tief in die Augen.

Ich sah, wie sie um Atem rang und wie die Liebe und Erregung in ihren Augen strahlte. Erregung? Begehrte sie mich etwa ebenso sehr, wie ich sie? Würde sie etwa auch…? Nein. Daran durfte ich nicht denken. Ich würde sie verletzen. Aber ich verstand sie nicht. Das müsste doch die reinste Folter für sie sein. Also warum sah sie mich so an. Wieder einmal überraschte mich Bella. Ich sah, wie sie mich anlächelte.

Dieses Lächeln war so echt und unterstrich ihre Liebe und Verbundenheit nur noch mehr. Ganz automatisch lächelte ich sie ebenfalls liebevoll an. Dann sagte sie die Worte, die mein Herz wieder zum Schlagen gebracht hätten.

„Ich liebe dich auch. Für immer.“, fügte sie noch ergriffen hinzu.

Sie wollte mich. Sie wollte mich immer noch, obwohl ich sie so sehr verletzt hatte. Sie gab mir noch eine Chance. Bella war einfach unglaublich. Ich liebte sie nur noch mehr, falls das überhaupt noch möglich war. Sie liebte mich, obwohl ich ihrer Liebe nicht würdig war. Ich würde von heute an immer an ihre Seite sein und ihr meine Liebe beweisen.

Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und schwor ihr: „Ich liebe dich Bella, bis in alle Ewigkeit. Ich schwöre dir, dass ich dich nie wieder verlassen werde.“ Ich hielt inne. „Allerdings…wenn du mich verlassen und mehr willst…Ich werde dich dann nicht zurück halten. Wenn du mich bittest zu gehen, dann werde ich das tun.“

Allein der Gedanke daran, ließ mich vor Schmerzen zusammen fahren. Sie schnaubte verächtlich.

„Darauf kannst du lange warten. Und hast du mir eben nicht zugehört?“, fragte sie verärgert.

Auch wenn diese Worte mein Herz erwärmten, musste ich es ihr nochmal verdeutlichen.

„Bella, versteh‘ doch…“, lenkte ich ein.

Doch ich wurde unterbrochen. Ihre Lippen erstickten meine Worte. Natürlich war das ein wundervolles Gefühl. Sie schaffte es doch tatsächlich mich abzulenken. Eine sehr verführerische Ablenkung. Als ihre Luft ausging löste sie sich – widerstrebend wohlgemerkt – von mir.

Nachdem sie wieder normal atmete, sprach sie zu mir: „Edward. Du warst und bist für mich meine einzige wahre Liebe. Für immer. Also hör auf so was zu sagen. Ich könnte es nicht noch einmal überleben, wenn du mich verlassen würdest.“

Diese Worte erfüllten mich einerseits mit Glückseligkeit. Andererseits taten sie mir weh. Sie führten mir wieder vor Augen, wie sehr ich sie verletzt hatte. „Ich will, dass wir für immer zusammen sind.“, sagte Bella ernst.

Für immer. Das wünschte ich mir auch. Aber das hieße, ich müsste sie verwandeln. Sie zu einem seelenlosen Monster machen. Ein Wesen der Nacht. Konnte ich das tun? Ja und Nein. Ich wollte sie nie wieder verlieren, aber ich wollte ihr nicht ihre Seele, ihr das Menschliche nehmen. Ich verstand natürlich die Mehrdeutigkeit ihrer gesprochenen Worte.

Ich lächelte sie leicht an und antworte ruhig: „Lass uns später darüber reden. Du bist müde und es ist spät.“ Sie spannte sich an.

„Ich will aber nicht schlafen.“, sagte sie trotzig.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nie wieder verlassen werde. Ich bleibe hier bei dir. Die ganze Nacht. Ich werde nicht weggehen.“

Zum Beweis zog ich sie wieder in meine Arme. Sie lächelte mich an und seufzte wohlig. Ihr Kopf lag an meiner Schulter.

„Schlaf Liebste. Ich bin bei dir. Für immer. Träum süß.“, murmelte ich leise und beruhigend.

Dann allmählich atmete sie ruhig und ihre Augen fielen zu. Im Schlaf sprach sie immer wieder liebevoll meinen Namen aus, dass mein Herz so sehr gepocht hätte, dass es schmerzte. Das heißt, wenn es schlagen würde. Sie hatte also keine Alpträume mehr. Zumindest nicht in dieser Nacht.

Ich nahm sie noch fester in meine Arme und flüsterte ihr ins Ohr. „Ich liebe dich Bella, mein Leben.“

Ich genoss unsere Zweisamkeit und atmete wieder ihren köstlichen Duft ein.

Pläne




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(Reguläres Universum)




Bella lag immer noch in meinen Armen. Ich wünschte, dieser Moment wird niemals vergehen. Die Sonne ist schon aufgegangen, aber natürlich wurde sie wie fast jeden Tag von einer dicken Wolkenschicht verdeckt. Zum Glück. Charlie war heute früh zum Angeln aufgebrochen. Auch wenn er Bella wieder hatte und auch noch einen Sohn „geschenkt“ bekam, konnte er seine alten Gewohnheiten nicht einfach ablegen.

Die Uhr zeigte 08.17 Uhr als meine Liebste sich in meinen Armen regte und verschlafen zu mir aufblickte. Sie sah in mein strahlendes glückliches Gesicht. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass sie mich bei ihr sein ließ.

„Morgen.“, sagte sie verschlafen und lächelte mich an.

„Morgen, Liebste.“, antwortete ich. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“

Sie verzog leicht das Gesicht. „Ja, eigentlich ganz gut.“, sagte sie in Gedanken versunken.

Ich fragte mich, was sie wohl letzte Nacht geträumt haben mag, bevor unser Gespräch begann.

„Was hast du denn geträumt?“, fragte ich beiläufig.

„Was habe ich denn letzte Nacht gesagt?“, wich sie meiner Frage aus.

„Du hast meinen Namen gesagt,…wie immer.“, antworte ich etwas zögernd. „Aber du hast sehr besorgt geklungen.“

„Mhh.“, machte sie nur.

Sorge und Neugier lagen in meinen nächsten Worten. „Willst du mir nicht sagen, wovon dein Traum gehandelt hat?“

„Ach, es war nichts. Und ich weiß nicht, ob ich alles noch zusammen kriege.“

Ich wusste, dass sie log. Warum? Hatte sie Angst, dass ich mich aufregen würde. In mir brannte die Neugier und ich drängte sie nicht weiter. Stattdessen näherte ich mich ihrem Gesicht und gab ihr einen sanften guten Morgen Kuss. Bellas Herz schlug schneller und ihr Atem beschleunigte sich. Sie erwiderte meinen Kuss sofort, doch etwas zu leidenschaftlich. Ich musste mich darauf konzentrieren, einen klaren Kopf zu behalten.

Ihr Duft raubte mir alle Sinne und klaren Gedanken. Hätte ich nicht eine so starke antrainierte Selbstbeherrschung, wäre ich sofort über sie hergefallen. Die Begierde in mir wurde immer stärker. Ich musste mich losreißen, damit ich ihr nicht nach gab. Sie machte einen herzzerreißenden Schmollmund, der mich hart auf die Probe stellte. Ich lachte.

„Ich dachte, ich habe dir genauso gefehlt, wie du mir. Warum sind dann die Küsse nicht länger?“, fragte sie gespielt verärgert.

Ich lächelte sie an. Oh Bella, wie gern würde ich dir nachgeben. Wenn du wüsstest…

„Ich glaube, es ist Zeit für dein – ich meine für euer Frühstück.“

Sie lächelte mich an und berührte mit ihren Fingerspitzen meine Wange. Diese kleine Berührung, jagte mir unzählige Stromschläge durch meinen Körper. Sie machte mich wahnsinnig.

„Wieso? Alles was ich brauche, ist doch schon hier.“, sagte sie verführerisch.

Sie hatte dieselben Gedanken wie ich. Mein ganzer Körper verzehrte sich nach ihr. Ich zog sie näher an mich heran und küsste sie leidenschaftlich. Unsere Lippen fanden zusammen, aber nach 15 Sekunden hörte ich Bellas Magen knurren. Ich lächelte und löste mich von ihr. Sie sah mich liebevoll und wehmütig an. Oh Gott, wie hatte ich diese schokoladenbraunen Augen vermisst.

„Auch wenn du glaubst, dass du ohne Essen auskommen kannst, dein Magen sieht das anders.“, sagte ich lächelnd.

Bella seufzte, nahm mein Gesicht in ihre Hände und drückte mir einen Kuss auf meine Lippen, bevor sie sich von mir entfernte und ihre Sachen zusammen suchte.

„Wir treffen uns dann unten.“, sagte sie mir, bevor Bella ihr Zimmer verließ.

Sie ging ins Bad und machte sich fertig. Ich ging nach unten ins Wohnzimmer, um nach meinem Bruder zu sehen. Zu meiner Überraschung war er schon wach und saß angezogen und mit gekämmten Haar aufrecht im Sofa.

Er lächelte mich verschmitzt an und sagte: „Äh… Morgen und…Überraschung!.“

Ich war verdutzt. „Morgen. Und wieso Überraschung?“, fragte ich.

Er stand auf und grinste mich an. „Na du hast doch bestimmt erwartet, mich hier noch schlafend vorzufinden, hab ich nicht recht?“

Ja, das hat er. Warum hatte ich das nicht mit bekommen? Wahrscheinlich war ich zu sehr mit dem Wesen in meinen Armen beschäftigt. Er stieß mir spielerisch mit seinem Ellenbogen in meine Rippen. Tja, könnte ich seine Gedanken lesen, dann wäre ich jetzt ausgewichen. Naja, vielleicht auch nicht.

„AU!“, rief Andy. Ich lachte.
„Ich habe ganz vergessen, wie hart ihr seid.“

„Jetzt weißt du es ja wieder.“, sagte ich schmunzelnd. Dann wurde mein Gesicht ernst. „Ach, und danke für gestern.“ Er lächelte.

„Gern Geschehen. Ich bin glücklich, wenn meine Schwester glücklich ist. Ich bin wirklich froh, dass ihr wieder zueinander gefunden habt.“

Jetzt wo er es sagte, fiel mir sein lebensfroher, glücklicher Blick auf. So hatte er nicht ausgesehen, als wir uns kennen lernten. Nur eine leichte Spur des Schmerzes war noch in seinem Gesicht zu erkennen. Genau wie bei ihr. Er meinte seine Worte wirklich so, wie er sie sagte, da er ja alles das fühlte, was Bella auch fühlte.

Aber ich musste ihm einfach diese Frage stellen. „Es freut mich, dass du das so siehst. Aber hasst du mich nicht für dass, was ich euch angetan habe?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kenne deine Beweggründe und auch wie sehr du meine Schwester liebst. Ich weiß, dass du sie nie wieder verlassen wirst.“, antwortete Andy ernst aber immer noch mit einem Lächeln in der Stimme.

Erleichterung und Freude durchströmte mich. „Und dich liebe ich auch. Als Bruder, meine ich.“

Andy lief rot an und ich lachte. Er sah genau wie seine Schwester aus. Dann sagte er etwas, was mich völlig unvorbereitet traf.

„Ich liebe dich auch Bruder, …und zukünftiger Schwager.“

Für einen Moment war ich wie erstarrt und schaute ihn mit großen Augen an.

„Hast du gerade Schwager gesagt?“ Ich musste noch einmal nachfragen. Jetzt war er es, der lachte.

„Klar. Weißt du, ich hatte heute einen angenehmen Traum…“

Dann fiel es mir wieder ein. „Soll das etwa heißen, dass du von der Zukunft geträumt hast? Von unserer Hochzeit?“ Er nickte.

Bella und ich heiraten? Natürlich war das schon ein Traum von mir, seit sie das erste Mal zu mir „Ja“ gesagt hatte. Damals hatte ich mir alles vorgestellt. Sie in einem Traum von Weiß und ich, der auf sie am Altar wartet. Dann wie sie zu mir ihr endgültiges „Ja“ sagen würde. Ein warmes Gefühl, dass mein Herz zu schmelzen schien, überkam mich. Dann kam ich wieder im Hier und Jetzt an.

„Das ist ja alles wundervoll.“

Wundervoll? Dieses Wort beschrieb nicht mal im Entferntesten, was diese Vorstellung in mir auslöste.

„Ich habe schon daran gedacht, als wir uns kennen lernten. Aber seit langer Zeit, ist mir das nicht mehr in den Sinn gekommen. Geschweige die Absicht, die Entscheidung, sie zu fragen und ihr einen Antrag zu machen. Wie konntest du das vorhersehen?“, fragte ich verblüfft.

„Edward, Edward, Edward.“, erwiderte er belustigt und schüttelte leicht seinen Kopf.
„Wir haben dir doch erzählt, dass unsere Gabe etwas anders funktioniert, als die von Alice. Bei uns spielen Entscheidungen nicht so eine große Rolle wie bei ihr. Ich habe einfach einen Blick in eine mögliche Zukunft gehabt. Ob sie nun wahr wird liegt an dir…und an Bella.“ Dann schaute er streng.
„Und wehe sie wird es nicht.“

Ich dachte über seine Worte nach. Ja, Andy und Bella waren auf einer Art viel mächtiger als Alice. Sie hätte jetzt garantiert noch nichts von einer Hochzeit gesehen. Sonst würde sie nicht nur mir – sondern auch Bella – auf die Nerven gehen. Und ich wusste, wie sehr es Bella hasste, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Wenn ich nur an ihrem Geburtstag denke, wie würde sie dann auf eine Hochzeit reagieren? Sie würde bestimmt sehr wütend werden. Aber die Vorstellung Bella in Weiß, dass sie zu mir „Ja“ sagt, war einfach überwältigend.

„Hey, Romeo?“, hörte ich Andys Stimme, die mich aus meinen Gedanken, aus meiner schönsten Vorstellung, riss.

„Mmhh?“

„Ich weiß, dass du schon in Gedanken bei der Hochzeit bist. Tu mir aber einen Gefallen und handle nicht überstürzt. Also ich meine, nicht dass du Bella gleich morgen den Ring deiner Mutter an den Finger steckst…“. Entsetzt hielt er inne.

„Woher weißt du denn vom Ring meiner Mutter?“, fragte ich überrascht.

Er sah mich entschuldigend an. „Ich sollte wirklich aufhören zu reden.“, antwortete er nur und ging in die Küche.

Ich folgte ihm. Hat er etwa auch den Ring meiner Mutter gesehen? Hat er etwa meinen Antrag gesehen? Meine Neugier brannte. Aber er hatte Recht. Nicht überstürzt handeln. Ich hätte ihm am liebsten alle Fragen gestellt. Wie sah Bella in ihrem Kleid aus. Wie hat sie auf meinem Antrag reagiert. Doch ich hielt mich zurück. Stattdessen stellte ich eine andere Frage, die mindestens genauso interessant war, während Andy das Frühstück vorbereitete.

„Andy, darf ich dir eine Frage stellen?“ Er lachte auf.

„Sicher.“

„Was hast du gestern Nacht noch gemacht? Ich habe dich unten herum laufen gehört?“

Andy erstarrte. Die Milchpackung, die er in der rechten Hand hielt, glitt ihm etwas aus den Fingern, dann hielt er sie wieder fest und drückte sie. Eine merkwürdige Reaktion. Das war doch nur eine ganz normale Frage. Warum reagierte er so verstört. Dann fing er sich wieder und stellte die Milch auf dem Tisch.

„Ach, ich habe nur was gesucht. Es ist nichts Wichtiges.“

Er sah mich nicht an, während er dies sagte. Ja, mit dieser Antwort habe ich gerechnet. Er war wirklich genau wie seine Schwester. Immer ein kleines Geheimnis, damit sich andere keine Sorgen um einen zu machen brauchten. Aber genau das bereitete mir Sorgen. Ich wollte ihn aber nicht weiter bedrängen. Außerdem hörte ich, wie Bella nun die Treppen herunter kam.

„Oh!“, sagte Bella überrascht, als sie Andy erblickte.

Sie warf sich in meine Arme und wir küssten uns leidenschaftlich.

„Ähem.“ Andy räusperte sich hinter uns. Wir lösten unsere Lippen voneinander und sahen ihn an. Dann machte er einen Schmollmund.

„Hey, was ist mit dem Bruder? Ich will auch geknuddelt werden.“, sagte er gespielt gekränkt.

Bella und ich lachten. Sie löste sich aus meiner Umarmung und schritt mit den Worten: „Och, komm her.“, auf ihn zu.

Sie umarmten sich beide. Und als sie sich wieder voneinander lösten, gab Bella ihrem Bruder einen leichten Kuss auf die Lippen. Andy schaute ganz verdattert und nun lachte ich noch lauter. Bella stimmte in mein Lachen ein. Andy lief etwas rot an, lächelte kurz darauf aber.

„So wörtlich habe ich das ja nun auch nicht gemeint.“, brummte er.

Dann setzten die zwei sich nebeneinander und aßen ihr komisches Menschenessen. Wieder diese komischen Schokoladenflocken in Milch. Ich verstand sie nicht. Was fanden die beiden nur daran? Es roch einfach widerlich! Als sie fertig und alles sauber gemacht hatten, sprach Andy mich an.

„Hey, Edward.“

„Ja?“, fragte ich.

„Sag mal…könnte deine Familie Unterlagen für mich fälschen, wie eine Geburtsurkunde, Zeugnisse und so was? Ich brauche sie wenn ich mit Bella hier zur Schule gehen will. Schließlich existiere ich hier gar nicht. Hat jedenfalls Charlie gestern erzählt, dass die Bella von hier als Einzelkind geboren wurde.“

Beide sahen mich fragend an. „Natürlich, wir kennen da jemanden, der das macht. Aber dafür müssten wir noch Bellas Unterlagen holen.“, antwortete ich.

J. Jenks alias Jason Scott, ist der Mann für solche Fälle. Er betreibt eine Anwaltskanzlei in Seattle und ist mit unserer Familie, wenn es um das Fälschen von Papieren geht, sehr vertraut. Vor allem Jasper kennt er nur zur Genüge. Ich grinste, als ich daran dachte. Scott wird von Jasper nämlich immer unter Druck gesetzt, was ja vorteilhaft sein kann.

„Wo du recht hast. Aber meinst du ihr kriegt das bis morgen hin?“, fragte sie.

Ich grinste sie und ihren Bruder an. „Sicher.“

„Super.“, sagten beide erfreut.

Wieder einmal musste ich lächeln, als ich beide Stimmen zusammen hörte.

„Ich habe alles in meinem Zimmer.“

„Warte, ich komme mit.“, erwiderte Andy.

So gingen die beiden nach oben und ich folgte ihnen auf dem Fuß. In ihrem Zimmer angelangt, sah sich Andy um.

„Es sieht deinem Zimmer drüben ziemlich ähnlich.“, sagte er nur.

Bella ließ das unkommentiert und suchte in ihren Schubladen nach den Unterlagen.

„So.“, sagte sie und drückte Andy ihre Zeugnismappe in die Hand.

„Mal sehen, wie gut du in der Schule warst.“, sagte Andy.

Ich merkte, dass sich viel mehr hinter dieser Bemerkung verbarg. Er sah sich die Zeugnisse, vor allem die letzten an. Meine Bella war schon von Anfang an eine gute Schülerin gewesen. Ich lächelte leicht. Dann riss Andy überrascht die Augen auf und schlug die Mappe wieder zu.

„Hey, du hast genau dieselben Zeugnisse wie ich.“

„Ehrlich?“, fragte ich überrascht.

Bella sah ihren Bruder ebenfalls perplex an.

„Ja, du hast genau die gleichen Noten wie ich. Das sind meine Zeugnisse, nur dass der Name und die Schule nicht gleich sind.

„Mhh.“, sagte ich langsam. „Langsam werdet ihr mir richtig unheimlich.“, erwiderte ich darauf mit einem Lächeln.

„Na dann brauchen wir wenigstens keine Noten zu verändern.“, sagte Bella zerstreut.

Dann brachen wir alle in Gelächter aus.

„Okay, ihr beiden. Sucht ihr mal noch eure Unterlagen zusammen und ich komme gleich mit meinem Volvo zurück.“

Ich küsste Bella noch zum Abschied, auch wenn er nur sehr kurz war, und verschwand durch Bellas Fenster.

„Macht er das immer so?“, hörte ich Andy fragen.

Daraufhin hörte ich Bellas wunderschönes Lachen. Ein sehr schönes Geräusch. In fast 2 Minuten war ich bei der Garage angekommen, stieg in den Volvo und raste davon. Naja, so würde es Bella bezeichnen. Eigentlich hätte ich noch meine Familie vorinformieren müssen, aber das würde Alice schon erledigen. 2 Minuten später war ich wieder bei Bellas Haus. Gerade als ich anklopfen wollte, wurde die Tür geöffnet und die beiden traten komplett angezogen heraus. Bella hielt eine Tüte in der Hand.

„Na dann los!“, sagte Andy fröhlich und ich fragte mich, wie er wohl auf meinen Fahrstil reagieren würde.

Ich hielt Bella die Beifahrertür auf und sie stieg ein. Andy nahm auf der Rückbank platz. Nachdem ich ebenfalls eingestiegen war, fuhren wir los. Während der Fahrt sagte keiner etwas. Andy sah nicht verängstigt aus. Er schien sich wohl im Wagen zu fühlen. Auch als er sah, wie schnell alles an uns vorbei huschte, verzog er keine Miene.

Ich stellte den Wagen in der Garage ab und wir stiegen aus. Dann gingen wir gemeinsam ins Haus.

„Hallo ihr beiden.“, rief Alice und umarmte erst Bella, dann ihren Bruder.

„Herzlich Willkommen Bella und Andy. Schön euch wiederzusehen.“, begrüßte Carlisle sie.

°Endlich sind sie beide hier. Meine Tochter und mein neuer Sohn.°, dachte Esme erfreut.

Dann kam sie näher. „Auch freut es mich sehr, euch beide hier zu sehen.“, begrüßte Esme Bella und Andy laut und sah sie liebevoll an.

„Danke sehr.“, sagten sie beide gleichzeitig. Alle grinsten.

°Sehr interessant, die beiden. Was für positive Gefühle sie ausstrahlen. Das ist sehr angenehm°, hörte ich Jasper.

„Ja, also wir sind hergekommen, weil…“

Doch Andy hatte keine Möglichkeit zu Ende zu reden, da ihm Alice ins Wort fiel.

„Wissen wir doch schon. Gebt her. Wir machen das schon.“, flötete Alice, nahm Bella die Tüte ab und verschwand. Aber nur 7 Sekunden später stand sie wieder bei uns.

„Keine Hektik.“, sagte Andy.

Daraufhin lachten wir alle. Nun konnten auch Bella und Andy Emmetts Gebrüll hören. Er stand nun direkt hinter Bellas Bruder. Sie hatten ihn noch nicht bemerkt. Dann legte er seine Hände vor Andys Augen und sagte im scherzhaften Ton: „Rate mal, wer hier ist.“

Doch auf einmal veränderte sich die Situation. Andys Herz schlug schnell und wild in seiner Brust und seine Atmung steigerte sich rapide. Als wir alle das hörten, waren wir erschrocken und Andy schrie kurz laut auf. Es war ein Angstschrei. Andy wurde panisch.

°Oh mein Gott! Der Junge hat panische Angst!°, dachte Jasper verwirrt und bestürzt.

Emmett nahm sofort seine Hände weg und Andy drehte sich ruckartig zu ihm um, dann wendete er sich wieder zu uns. Bella sah ebenso erschrocken aus, wie wir alle.

°Mist! Das wollte ich nicht. Was hat der kleine denn bloß?°, dachte Emmett verwirrt.

°Seltsam.°, kam von Alice nur. Doch auch nur in diesem einen Wort schwang Sorge mit.

°Ach du meine Güte. Was hat er nur?°, dachte Esme.

°Das ist ja schon fast ein hysterischer Anfall.°, dachte Carlisle besorgt.

Sein Gesicht war kreidebleich und er hatte die Augen vor Schreck aufgerissen. Als ich dieses Bild sah, erinnerte es mich an die kleine 7-jährige Bella, die Charlie kurz nach ihrer Ankunft in dieser Welt erblickt hatte. Genauso sah Andy jetzt aus. Was versetzte ihn so sehr in Panik? Das kann nicht Emmetts kleiner Streich gewesen sein.

Der Grund für seine Reaktion liegt bestimmt tief vergraben…

Schatten der Vergangenheit





Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Wir waren alle noch wie erstarrt, als ein Handy in Andys Hosentasche vibrierte. Andy zuckte zusammen, blinzelte ein paar Mal und schien sich wieder zu fangen. Langsam bekam er wieder Farbe ins Gesicht. Ohne auf das Display zu schauen, klappte er das Handy auf und hielt es sich ans Ohr.

„Hallo?“, sagte Andy noch etwas abwesend.

„Andrew? Andy, was ist los? Wie geht es dir?“, fragte eine schön klingelnde Stimme einer Vampirfrau, die ich noch nie gehört hatte.

„Elizabeth?“, fragte er jetzt deutlich wacher.

Elizabeth? Meine – nein seine – Schwester?

„Ja, ich bin’s. Geht es dir gut?“, fragte sie sehr besorgt.

„Ja, natürlich.“, antwortete Andy mit etwas zittriger Stimme, „Warum sollte es mir nicht gut gehen?“

„Andy, lüg mich nicht an.“, fuhr sie ihn wütend an, aber die Sorge war überdeutlich zu hören. „Ich weiß auch nicht wieso, aber ich spüre, dass du panische Angst hast. Wie Bella an Halloween.“

Halloween? Ist an diesem Tag etwa dieser Zwischenfall passiert, der Bellas verdrängte Erinnerungen wieder an die Oberfläche brachte? Und bedeutet das, dass Elizabeth Andys Gefühle bis hierher spüren konnte? Unglaublich!

„Moment mal! Du konntest meine Gefühle wahrnehmen?“

„Ja!“, ihre Stimme war immer noch panisch. „Und jetzt sag mir was los ist!“, forderte sie.

Während Elizabeth diese Worte am anderen Ende der Leitung aussprach, geschah etwas Unfassbares. Plötzlich flackerte es neben Andy. Ganz leicht nur. Für Bella war es sicherlich kaum zu erkennen. Dann hörten wir die Stimme von Elizabeth lauter und näher kommen. Und im nächsten Augenblick stand sie direkt Andy gegenüber mit einem Handy in der Hand, während sie noch die Worte „was los ist!“ sagte.

Andy und Elizabeth sahen sie in die Augen und waren stumm vor Entsetzten. Wir alle anderen waren ebenfalls starr vor Schreck und Erstaunen. Sogar Jasper und Rosalie waren jetzt bei uns und sahen die Vampirfrau an. Auch Bella war erschrocken.

Sie war 4, 2 cm kleiner als Andy und hatte langes bronzefarbenes Haar. Sie war schlank und hatte ein schönes Gesicht. Ich erkannte eine Ähnlichkeit wieder. Es war, als würde ich in mein Gesicht sehen. Nur etwas schmaler und weicher. Ja, es gab keinen Zweifel. Diese Frau musste mit mir verwandt sein. Also mit dem anderen Edward. Mir drehte sich der Kopf. Alles war so verwirrend.

°Wer ist denn das?°, hörte ich von allen.

°Sie sieht Edward aber sehr ähnlich.°, dachte Alice.

°Ist das etwa die leibliche Schwester von Edward. Meine Güte, sieht sie schön aus.°, kam es von Rosalie. Ein kleiner Stich der Eifersucht war zu hören. Das war typisch für Rosalie. Für sie standen erst einmal Oberflächlichkeiten im Mittelpunkt.

°Wer hätte das gedacht!°, hörte ich Jasper. °Sie liebt ihn.°

Ich schaute kurz Jasper an, der mir zunickte. Dann richtete ich wieder meinen Blick auf die beiden. Jetzt verstand ich die übertriebene Sorge um Andy. Sie hatte Angst ihn zu verlieren. Dach den 2 Sekunden Schock regte sich Elizabeth und schlang ihre Arme um Andy. Sie erdrückte ihn beinahe, so glücklich war sie, ihn zu sehen. Als sie hörte, dass er um Atem rang, ließ sie ihn los.

°Unglaublich! Wie komme nur hierher? Ich bin so froh, dass es dir gut geht. Aber warum hast du solche Angst? Ich habe fast eine Panikattacke bekommen, als ich deine Gefühle empfing. Mach das bloß nie wieder mit mir!°, hörte ich von Elizabeth.

„Wow! Wie bist du hier her gekommen?“, fragte Andy verwundert und überrascht.

Man merkte ihm aber deutlich an, dass es ihn freute sie zu sehen. Er lächelte sie an und sie strahlte zurück. Dann drehten sich beide zu uns um, da Elizabeth bewusst wurde, dass sie nicht allein waren. Dann kam sie in Vampirgeschwindigkeit auf mich zu und umarmte mich.

Ich lächelte, erwiderte ihre Umarmung und sog ihren Duft in mich ein, damit er mir vertrauter wurde. Nachdem sie sich von mir löste, lächelte sie mich an und ich erkannte mein schiefes Lächeln in ihrem Gesicht wieder. Dann umarmte sie Bella, die sich ebenfalls freute sie zu sehen. Als Elizabeth Bella losließ, wandte sie sich uns zu.

„Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Elizabeth Cullen. Ich bin ein Mitglied der anderen Cullens. Außerdem bin ich die Schwester von Edward. Also eigentlich vom anderen, wenn man es genau nimmt. Aber was soll’s? Dann habe ich eben noch einen kleinen Bruder mehr.“, sagte sie und lächelte mich an.

Es freute mich, dass sie mich ebenso als ihren Bruder ansah, obwohl wir uns noch gar nicht kannten.

°Das ist also diejenige, die meine Fähigkeit besitzt.°, dachte Jasper nachdenklich.

Carlisle antworte auf ihre Begrüßung. „Hallo Elizabeth. Es freut uns, dass wir dich kennen lernen dürfen.“, sagte er höflich und lächelte.

„Es freut mich ebenso euch kennen zu lernen und ganz besonders Jasper, den ich noch nicht kenne.“

Sie richtete ihren Blick auf Jasper und lächelte. Er lächelte zurück. Dann veränderte sich Elizabeths Miene. Jaspers ebenso.

„Gut. Nachdem wir das hinter uns haben…Was ist mit dir los?“, fragte sie nun an Andy gerichtet.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nichts. Es geht es mir gut“.

Elizabeth zog eine Augenbraue hoch. Natürlich war sie nicht überzeugt. Genauso wenig wie wir. Da trat Bella zu ihrem Bruder und nahm seine Hand. Sie schaute ihm tief in die Augen. 5 Sekunden lang.

„Sag’s mir.“, sagte sie nur.

Zuerst rührte sich Andy nicht, als ob er ihre Worte nicht gehört hätte. Dann holte er tief Luft und nickte langsam und ergeben.

„Gut. Wenn ihr wollt, werde ich es euch erzählen.“, sagte er. „Aber können wir nicht ins Wohnzimmer gehen? Für diese Geschichte muss ich sitzen.“

°Oh, oh…°, hörte ich Elizabeths Stimme.

Andy sah uns alle der Reihe nach an und dann ließ er sich von Bella ins Wohnzimmer ziehen. Dort angekommen, setzten sie beiden sich aufs Sofa. Ich setzte mich neben Bella, Elizabeth neben Andy. Alle anderen standen im Raum und warten gespannt darauf, was jetzt kommen würde. Ich nahm Bellas Hand und drückte sie. Bella sah mich kurz dankbar an. Dann sah sie wieder Andy an. Alle Blicke waren nun auf ihn gerichtet. Elizabeth sah ihn besorgt, fast verzweifelt an. Ich hörte, dass sie seine Hand nehmen wollte, sich aber nicht traute. Andy holte tief Luft und sein Blick war auf einmal von Schmerz erfüllt. Dann begann er langsam und zögernd zu erzählen. Keiner wagte es ihn zu unterbrechen. Wir alle lauschten gespannt und hingen an seinen Lippen.


„Es war vor 4 Jahren. Ich war 14 und hatte gerade Weihnachtsferien. Ich wollte Weihnachten dieses Jahr mit Charlie verbringen. Es war schon sehr kalt, aber es lag noch kein Schnee in Forks. Es war der 20. Dezember. Ich machte noch Besorgungen und kaufte Geschenke in Port Angeles ein.“

Er lachte kurz auf.

„Ich rief mir ein Taxi, um nach Hause zu fahren. Charlie war unterwegs. Er konnte mich nicht abholen. Ein Taxi hielt an und ich stieg ein. Ich beschloss ein wenig zu schlafen, da ich etwas müde war. Doch als ich aufwachte, befand ich mich nicht vor Charlies Haus.“

Andy wurde blass und fing an etwas zu zittern.

„Nein. Ich war nicht zuhause. Ich befand mich draußen irgendwo im Wald und meine Hände und Beine waren gefesselt. Mein Mund war mit einem Klebeband zugeklebt. Ich sah den Mann, der das Taxi gefahren hatte. Er stach mit einem Spaten in den Boden und hob etwas aus. Er sah zu mir, erkannte dass ich wach war, legte den Spaten aber erst beiseite, als er fertig zu sein schien. Ich war völlig verwirrt. Ich hatte keine Ahnung, was dies alles sollte. Er kam auf mich zu und lächelte mich finster an. Dann riss er das Klebeband von meinem Mund mit einem Ruck ab.
Er sagte zu mir, dass ich endlich aufgewacht sei. Ich fragte ihn, was er von mir wolle, doch er antwortete nicht und holte eine Videokamera aus einem Rucksack heraus.
Er sagte mir, ich solle jetzt gleich sagen, dass Charlie für meine Freilassung eine Million Dollar zahlen müsse, damit er ihm sagt, wo ich bin. Nur ER sollte zur Geldübergabe erscheinen, keine anderen Polizisten. Die Geldübergabe sollte dann am nächsten Tag gegen Mittag auf irgendeinem Marktplatz von statten gehen, irgendwo wo viele Menschen sind. Wenn Charlie doch irgendwelche Tricks versuchen würde, dann würde er nie erfahren wo mein…wo mein…“


Andy brach ab und fing zu schluchzen an. Tränen liefen über sein Gesicht. Bella drückte seine Hand. Auch Elizabeth fand nun den Mut seine Hand zu ergreifen und sie leicht zu drücken. Ich wusste nicht, ob er es merkte. Er war ganz in seinen Erinnerungen versunken.

„…wo mein Grab ist.“, beendete er seinen Satz und holte tränenüberströmt tief Luft, damit er weiter sprechen konnte.

„Ich tat alles, was er mir gesagt hatte und er nahm die Botschaft auf Video auf. Dann legte er die Kamera weg. Ich wurde immer verzweifelter. Er kam auf mich zu und löste meine Fesseln. Ich hatte aber keine Chance wegzulaufen, da er mich jederzeit hätte packen können. Außerdem konnte ich mich vor Angst kaum bewegen. Dann riss er mich hoch und ging mit mir ein paar Schritte.
Dann sah ich nach unten und sah mein Grab, eine schmale längliche Holzkiste. Ich flehte ihn an, das nicht zu tun aber er warf mich hinein und machte die Kiste mit dem passenden Deckel zu. Ich schrie verzweifelt und schlug um mich. Aber es nützte nichts.
Ich war nun in diesem Grab und betete, dass dieser Alptraum vorbei sei. Ich schrie immer wieder, er solle mich wieder raus lassen. Aber ich hörte nur Spatenstiche und Sand auf die Kiste fallen. Es war stockfinster. Kein Lichtstrahl drang hinein. Jede Sekunde dort drin wurde ich panischer. Aber irgendwann lag ich einfach nur noch still da. Ich hatte keine Kraft mehr.
Oder ich sah endlich ein, dass es zwecklos war und musste nun auf Charlie vertrauen. Diese Zeit dort drin, war die Hölle für mich. Es fühlte sich nicht wie Stunden, sondern wie Jahre an. Ich hoffte, noch ein einziges Mal meine Familie wiedersehen zu können.
Ich dachte an meine Schwester. Wo sie jetzt war und wie es ihr wohl ging. Ich hoffte, dass Bella glücklich war. Ich war in der Dunkelheit gefangen. Ob ich es schaffte einzuschlafen, weiß ich nicht mehr. Ich glaube nicht. Ich hatte viel zu große Angst um zu schlafen.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen.
Doch dann hörte ich Spatenstiche. In mir keimte Hoffnung auf, aber dann konnte ich seine Stimme wahrnehmen und ich beschloss mich tot zu stellen. Ich hörte ihn mit jemanden reden, aber ich hörte keine andere Stimme.
Ich hörte, wie er „Charlie“ sagte und mir stockte der Atem. Aber ich blieb in meiner Totenstarre. Dann wurde der Deckel abgehoben und ich spürte Tageslicht.
Dann als der Typ gerade weg sah, riss ich meine Augen auf, schrie und war im Nu aus der Kiste und stach mit meinem Taschenmesser auf ihn ein, das ich in der Hand hielt. Ich hatte es in der Hosentasche gehabt und es im Dunkeln heraus geholt.
Dann schlitzte ich ihm die Kehle auf. Immer und immer wieder. Er war zu perplex und konnte nicht so schnell reagieren. Außerdem hatte er keine Waffe in den Händen. Das Blut strömte nur so heraus und dann fiel er um und in die Holzkiste hinein.
Nachdem ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, trat ich auf Charlie zu, schnitt seine Fesseln durch, ließ das Messer fallen und riss ihm das Klebeband vom Mund ab. Dann war ich wie erstarrt, meine Beine wackelten und ich brach vor Charlie zusammen. Ich weinte. Ich weinte all meinen Schmerz hinaus und Charlie nahm mich in den Arm.
Ich habe erfahren, dass ich über 38 Stunden gefangen war. Charlie hatte heraus gefunden, wo er mich vergraben hatte, auch wenn der Typ es ihm nicht verraten hatte. Er hatte Charlie überwältigt und ist mit ihm aus der Wache geflohen und hat ihn schließlich ebenfalls in diesem Wald verbracht. Wahrscheinlich wollte er ihn auch verscharren. Dieses schreckliche Ereignis änderte alles für mich.“


Andys Stimme klang jetzt wieder fester, aber immer noch schluchzte er und Tränen liefen über seine Wangen. Alle Vampire im Raum knurrten leise. Elizabeth und ich jedoch etwas lauter. Andy schien nun aus seinen Erinnerungen wieder aufzutauchen und in der Gegenwart zu landen, als er weiter sprach.


„Ich habe schreckliche Angst im Dunkeln. Ich kann ohne Licht gar nicht mehr einschlafen. Immer muss ein Licht die ganze Nacht über brennen, sonst würde ich nie zur Ruhe kommen. Egal, wie stark das Licht ist. Es darf nur nie völlig finster im Raum sein.“

Er hielt inne und lächelte kurz. Es war ein hartes stilles Lächeln.

„Verdammte Scheiße, ich kann nicht mal alleine in einen Fahrstuhl steigen, weil mich das sofort an die Kiste erinnert. Je schmaler der Raum, desto schlimmer meine Panik.“

Jetzt schluchzte er wieder lauter und brach heftig in Tränen aus. Seine Stimme klang nun sehr belegt.

„Ich kann nicht mal auf einen Friedhof, geschweige denn auf eine Beerdigung gehen. Ich kann den Anblick von Särgen nicht ertragen. Ja, ich habe Angst vor ihnen. Ich habe Angst eines Tages zu sterben. Ich habe Angst eines Tages dort drin zu liegen und aus der ewigen Finsternis nie wieder aufzuwachen. Ich will nicht sterben.“

Jetzt richtete er seinen schmerzerfüllten trüben Blick auf Carlisle.

„Ich weiß, es ist viel verlangt und es ist sehr egoistisch von mir. Aber ich würde dich bitten, mich in eure Familie aufzunehmen und mich in einen Vampir zu verwandeln. Das wäre die Erlösung für mich. Lieber für immer schlaflos in der Nacht leben, als nie wieder aus ihr zu erwachen. Ich bitte dich inständig.“

Andy konnte nun nicht mehr sprechen. Er hatte keine Kraft mehr dazu. Er sank zurück in das Sofa und weinte heftig. Elizabeth nahm ihn in ihre Arme und sein Kopf lag auf ihrer Schulter. Sie sagte nichts. Hielt ihn nur tröstend in den Arm.

°Was soll ich nur tun? Eigentlich möchte ich kein Menschenleben beenden. Aber sein schmerzerfüllter und bittender Blick…°, dachte Carlisle verzweifelt. Er wusste nicht, was er tun sollte.

°Oh, mein armer Junge. Für mich warst du schon ein Teil der Familie, seit du mit Bella hier angekommen bist.°, hörte ich Esme.

°Mmhh, so eine Sichtweise kenne ich nun gar nicht. Ich betete damals, dass mein Ende kommen würde und er will seinem natürlichen Ende entfliehen. Sehr interessant. Trotzdem trifft er die falsche Wahl!°, kam es von Rosalie.

°Wie kann jemand es nur wagen, meinem kleinen Bruder nur zu vergraben!°, hörte ich Emmett zornig denken. °Wenn Andy ihn nicht schon längst umgebracht hätte, dann würde ich das nur zu gern tun!°, dachte er verschwörerisch weiter.

°Andy, was hast du nur mitmachen müssen.°, dachte Alice mitfühlend.

Jasper hatte die Hände zu Fäusten geballt. °Menschen können genauso grausam sein, wie Vampire. Lebendig begraben! Wie kann ein Mensch so was einem anderen nur antun?°

Elizabeth dachte: °Ich würde dich sofort in unsere Familie aufnehmen, oder ich würde mit dir bei diesen Cullens bleiben. Ich würde dir deinen Wunsch erfüllen. Ich würde dich von deiner Angst sofort befreien, wenn du mich darum bitten würdest.°


Ich dachte über seine Geschichte und Elizabeths Gedanken nach.

Ja, sie liebte Andy so, wie ich Bella liebte. Ich war sehr erzürnt und ich hatte den gleichen Gedanken wie Emmett. Das muss furchtbar für ihn gewesen sein. Selbst wenn es nur für eine kurze Zeit war. Für ihn war es eine Ewigkeit. Auch er hatte ein traumatisches Erlebnis hinter sich wie meine Bella. Er ähnelte seiner Schwester wohl völlig.

Er zog wohl auch die Gefahren magisch an. Und das, was ihm zugestoßen war, war ebenso schlimm, wie Vergewaltigung. Lebendig begraben. Ich knurrte leise. Was, wenn Bella dies auch zugestoßen wäre? Was, wenn sie mich bat, sie zu verwandeln? Könnte ich ihr unter diesen Umständen diesen Wunsch verwehren? Konnte ich Andy es verdenken, dass er diese Bitte geäußert hatte?

Nein.

Irgendwo würde ich es nicht gut heißen, da ich dagegen bin, die menschliche Seele zu zerstören. Aber waren die Seelen der beiden Zwillinge durch ihre schrecklichen Erlebnisse nicht bereits zerstört? Die Vergewaltigung beziehungsweise das lebendige Begräbnis hat beide geprägt, hat sie verändert. Sie waren danach nie wieder völlig normal und würden es auch nie wieder sein.
Andy hatte jetzt Angst vor dem Tod und alles, was damit zusammen hängt. Er hat Angst vor dem Schlaf. Von der ewigen Finsternis, aus der es kein Entkommen gibt.

Ja, ich würde ihn und auch Bella erlösen, auch wenn dies das Selbstsüchtigste wäre, was ich je tun konnte. Für mich gehörten sie beide zur unserer Familie. Ich brauche Bella und Bella braucht ihren Bruder. Früher oder später wäre es sowieso zu dieser Frage gekommen, ob man sie verwandeln sollte.

Aber ich würde versuchen, es solange aufzuschieben, wie es nur geht. Ich will Bella zeigen, wie schön das Leben sein kann. Bestimmt würde das auch Elizabeth verstehen. Schließlich ist sie meine Schwester. Irgendwie jedenfalls. Sie würde auch Andy noch zeigen wollen, dass es sich zu leben lohnt.

Meine Gedanken schweiften weiter umher und ich sah Bella an. Was ich sah, erschreckte mich, aber ich zeigte dies nicht.

Bella war etwas blass und hielt immer noch Andys Hand, drückte sie aber ganz fest, dass Andy die Finger schmerzen mussten. In ihren Augen sah ich ein Funkeln, dass ich noch nie bei ihr gesehen hatte. Es sah fast…wie…wie…Mordlust aus!

Ja, Bella war wütend. Wütend darüber, was ihrem Bruder widerfahren ist, während sie glücklich in Phoenix gelebt hat. Wäre sie ein Vampir, hätte man jetzt bestimmt Angst vor ihr. Aber mir reichte schon dieses Funkeln in ihren menschlichen Augen, um mir Angst einzujagen. Bella und Mordlust? So eine Seite kannte ich gar nicht an ihr.

Aber eigentlich war das eine logische Reaktion. Ich würde genauso zornig sein wie sie – oder eigentlich noch viel mehr –, wenn sie lebendig begraben worden wäre. Ich zuckte bei dieser Vorstellung leicht zusammen und nahm sie fest in meine Arme. Dadurch lösten sich ihre Finger und sie ließ Andys Hand los. Als sie meinen Griff spürte seufzte sie wohlig und einige stumme Tränen landeten auf meinem Hemd.

Andy, der immer noch in Elizabeths Armen lag, beruhigte sich langsam wieder und wischte sich mit seinem Pullover die restlichen Tränen ab. Er lächelte Elizabeth dankbar an, die es erwiderte und er setzte sich wieder aufrecht hin.

Dann blickte er zu Carlisle und wartete auf seine Antwort. Bella tat es ihm nach und löste sich etwas von mir, damit sie aufrecht saß. Ebenso wie Andy, schaute Bella Carlisle erwartungsvoll an, als wäre sie es gewesen, die Carlisle diese Frage gestellt hätte.

Denn sie wusste, wenn Carlisle „Ja“ zu Andy sagen würde, würde er auch automatisch „Ja“ zu Bella sagen.

Nun waren auch wir anderen gespannt, wie Carlisles Antwort ausfallen würde. Ich konnte noch nichts Konkretes hören. Er überlegte noch immer, wie er entscheiden sollte. Ich konnte ihn verstehen.

Liebe




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Carlisle war immer noch am Überlegen. Er warf mir einen fragenden Blick zu und ich nickte langsam. Auch sah er Elizabeth an, die ebenfalls nickte. Dann, nach 3 Sekunden endloser Stille, begann Carlisle zu sprechen.

„Andy. Auch wenn man sich kaum vorstellen kann, was du – oder Bella – durch gemacht hast, kann ich deine Bitte verstehen.“ Carlisle hielt inne. „Ja, ich würde euch in unserer Familie aufnehmen.“

Auf Bellas und Andys Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.

„Aber…“, wandte Carlisle ein, und ihr Lächeln verschwand. Nun sahen sie sehr wachsam aus. Carlisle fuhr fort.

„Aber ich möchte, dass ihr euch noch etwas Zeit lässt und euch das nochmal gut überlegt. Wenigstens ein oder zwei Monate. Ihr beide sollt nochmal alles genau durchdenken. Ihr habt schließlich nur dieses eine Leben als Mensch. Lebt noch eine Weile euer Menschenleben und überlegt, ob ihr wirklich das Leben eines Vampirs führen wollt. Ihr werdet nicht mehr so unter Menschen sein können, wie jetzt. Eure ganze Existenz müsst ihr mehr oder weniger gegen euren Durst kämpfen. Ihr werdet für Blut töten. Ihr werdet Abschied von euren Familien nehmen müssen und dürft sie nie wieder sehen. Alle 3 bis 5 Jahre werdet ihr wieder an einen neuen Ort wieder von vorne anfangen müssen. Ja, wir würden euch aufnehmen, sehr gerne sogar, aber es ist eine schwere Entscheidung. Trefft sie nicht übereilt. Lasst euch Zeit.“

Carlisle hatte Recht. Er hätte es nicht besser ausdrücken können. Selbst wenn Elizabeth und ich es uns so sehr wünschten, dass Bella und Andy zu Vampiren werden, so sollten die beiden auch die Schattenseiten des Vampirlebens kennen und sehr genau überlegen, ob sie sich uns anschließen wollen.

°Wie kann er nur? Wie kann er dem nur zustimmen?!“, dachte Rosalie empört und verließ den Raum.

Alle anderen waren sehr erfreut über diesen Gedanken, dass die Familie Zuwachs bekommt, egal ob nun um eine oder zwei Personen, oder drei. Denn schließlich wissen wir nicht, wie Andy sich entscheiden wird. Vielleicht wird er zusammen mit Elizabeth bei den anderen Cullens leben wollen. Aber könnte er je wieder ohne seine andere weibliche Hälfte, also meiner Bella sein? Nein. Bestimmt nicht. Er würde dort bleiben, wo Bella ist. Und Elizabeth würde dort bleiben, wo die Zwillinge – beziehungsweise Andy lebt.

°Gut gesprochen, Carlisle. Ja, genau das hätte auch der andere gesagt.°, hörte ich Elizabeth.

Ich sah, wie Andy und Bella auf ihre Unterlippen herum kauten und über seine Worte nach dachten. Ich lächelte, ebenso wie Elizabeth. Diese Bewegungen verliefen wieder einmal absolut synchron. Es war ja schon sehr faszinierend Bella allein zu beobachten, aber beide zusammen so zu sehen, war noch reizvoller. Jetzt verstand ich gar nicht mehr, wie ich mich nur mit der weiblichen Hälfte zufrieden geben konnte. Jetzt reichte mir eine Bella nicht mehr aus. Es war schon fast wie ein Bedürfnis in mir, dass Bellas männliches Gegenstück ebenfalls zu uns gehören sollte.

Ja, sie gehörten beide einfach zusammen und waren zusammen noch viel interessanter als einzeln. Vor allem, da ja auch seine Gedanken mir verborgen blieben. Auch Elizabeth sah den beiden fasziniert zu.

°Ja, ohne Andy kann ich nicht leben. Ohne Bella allerdings auch nicht. Sie gehört so zu ihm, wie er zu mir gehört. Ich würde dort sein, wo die beiden sind.°

Ich schmunzelte. Ja, sie ist wirklich meine Schwester. Doch dann hörte ich etwas, das mich stutzig machte.

°Hoffentlich empfindet er auch so für mich, wie ich für ihn.°, dachte sie zweifelnd und hoffnungsvoll.

Was? Er weiß gar nicht, wie sehr er von meiner Schwester geliebt wird? Sind sie sich denn nicht schon näher gekommen? Ich sah die verblüfft an, sie zuckte mit den Schultern und nickte. Unfassbar! Dann wird es allerdings höchste Zeit, dass ihre Beziehung enger wird.

„Das klingt…vernünftig.“, hörten wir alle Andy langsam sagen. Bella nickte zustimmend.

„Oh!“, sagte Bella. Was hatte meine Liebste wieder? „Was ist mit Charlie? Wäre es nicht besser, bis nach dem Schulabschluss zu warten, um es für unsere Eltern nicht leichter zu machen?“, fragte sie und schaute ihren Bruder an.

Ein sehr vernünftiger Gedanke. Das ist meine Bella. Immer zuerst an andere denkend, als an sich selbst. Sie versuchte immer, es anderen leichter und angenehmer zu machen. Aber dafür liebte ich sie. Ich war etwas verwundert, dass das Andy wohl nicht so sah.

°Guter Einwand, kleine Schwester.°, dachte Elizabeth anerkennend.

Ich sah sie lächelnd und dankbar an. Nun schauten Bella und Andy wieder zu Carlisle und warteten auf seine Antwort.

„Das ist ein guter Einwand, Bella. Es wäre tatsächlich gut, so zu verfahren. Es wäre bestimmt furchtbar für Charlie, wenn du und dein Bruder plötzlich verschwinden würdet, jetzt, wo er euch gerade wieder hat.“, stimmte Carlisle zu.

Andy stöhnte laut auf. Dann drehte er sich langsam zu Bella um und betonte jedes Wort, dass er sagte mit purer Ironie beziehungsweise Sarkasmus.

„Toll, Bella. Echt toll! Ich hätte das schönste Weihnachtsgeschenk meines Menschenlebens bekommen können. Nein, jetzt muss ich bis zum Abschluss warten! Musst du ausgerechnet jetzt auf mitfühlende Tochter machen?“

Die leichte Verärgerung war deutlich in seinem Gesicht zu erkennen. Ich wollte Andy gerade leise anknurren, dafür wie er mit seiner Schwester, mit meiner Bella sprach. Doch dann hörte ich Elizabeth leise kichern. Ich sah kurz zur ihr, dann wieder zu den Geschwistern. Bella lachte und stieß Andy mit ihren Ellenbogen scherzhaft gegen die Rippen. Andy grinste.

„Ach, komm. Jetzt tu‘ mal nicht so!“, tadelte sie ihn, „Früher oder später, wäre dir auch der Gedanke in den Sinn gekommen. Außerdem haben wir den anderen Charlie versprochen uns noch einmal von ihm zu verabschieden.“

„Touché!“, antwortete er nur.

Dann folgte wieder eine vollkommen synchrone Bewegung der beiden und sie sahen sich dabei nicht einmal an. Andy hob seinen rechten und Bella ihren linken Arm und beide schlugen simultan ihre Handflächen gegeneinander. Eine Bewegung, die ganz automatisch von statten ging. Als würden sie das schon ihr ganzes Leben lang machen. Dann machen beide große Augen und runzelten die Stirn. Es wurde ihnen erst jetzt tatsächlich bewusst, was sie gerade getan haben. Sie sahen einander überrascht an, dann fingen sie beide an zu lachen. Wir alle stimmten mit ein, sogar Jasper.

Die beiden waren einfach unglaublich! Eben noch hat Andy uns sein traumatisches Erlebnis offenbart, und nun waren beide wieder zu Scherzen aufgelegt. Genau wie seine Schwester konnte man sich auf seine unvorhersehbaren Gedankensprünge verlassen. Abrupt konnten sie das Thema wechseln. Wie konnte ich nur daran denken, dass Andy nicht wie Bella auch zuerst an andere dachte. Wieder einmal verfluchte ich die Tatsache, dass ich gerade sie und ihn nicht hören konnte. Ich schüttelte belustigt den Kopf. Nachdem sich Bella und Andy wieder beruhigt hatten, sahen sie Elizabeth fragend an.

„Was ist?“

„Also, es ist ja wirklich schön, dass du hier bist. Aber wie bist du hier her gekommen?“, fragte Andy.

°Eine wirklich interessante Frage.°, dachte Carlisle. Sie überlegte.

„Tja, eigentlich weiß ich das auch nicht so genau. Ich habe plötzlich Andys panische Angst verspürt und ich war voller Sorge um ihn. Ich verspürte den Drang, jetzt in diesem Moment bei ihm zu sein.“

Ihre Gefühle für Andy hat sie mit diesen Worten aber sehr milde ausgedrückt. Andy wurde rot. Elizabeth lächelte darüber.

°Das sieht so hübsch aus, wenn er rot wird.°, dachte sie.

Ich schmunzelte über diesen Gedanken. Dann dachten alle über Elizabeths Worte nach. Zu meiner Überraschung meldete sich nun Jasper zu Wort, obwohl, eigentlich ist es nicht verwunderlich. Schließlich ist er ein Experte, wenn es um Gefühle geht.

„Ich habe vielleicht die Erklärung dafür.“, begann er langsam.

Er fühlte sich etwas unwohl. Jasper war es nicht gewohnt im Mittelpunkt zu stehen, aber alle Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Selbst Rosalie war wieder im Raum. Sie hielt sich still im Hintergrund. Trotzdem konnte ich auch bei ihr die Neugier hören.

„Ihr beide habt doch erzählt, dass ihr den Übergang – wenn ich es nun so bezeichnen darf –, durch Angst gemeistert gabt.“

Es war eine Feststellung. Bella und Andy nickten langsam.

„Was ist, wenn Elizabeth durch eure Verbundenheit, deine Gefühle so sehr empfangen hat, dass deine Angst und ihre eigene so sehr verstärkt wurden, dass sie es schließlich geschafft hat, mithilfe von diesen starken Gefühlen deine Fähigkeit zu aktivieren. Nur das du nicht zu ihr, sondern sie zu dir kam.“

Wir alle schauten ihn überrascht an. „Du meinst also, dass Elizabeth meine Gefühle gechannelt hat, und so meine Fähigkeit indirekt benutzen konnte?“, hackte er noch einmal zur Sicherheit nach. Jasper nickte.

„Ich denke, dass auch ihr Wunsch dabei eine Rolle gespielt hat, wie die Fähigkeit genutzt wurde. Sie hat sich gewünscht, bei dir zu sein, nicht dass du jetzt bei ihr sein solltest.“

Andy schaute Elizabeth kurz an, dann richtete er seinen Blick wieder auf Jasper.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Elizabeth nur aufgrund ihrer empathischen Fähigkeiten möglich ist, deine – beziehungsweise Bellas Fähigkeit zu nutzen, indem sie eure Gefühle beeinflusst. Wie gesagt, sie scheint Andys Angst durch ihre eigene ungewollt so sehr verstärkt zu haben, dass sie plötzlich hier stand.“

„Moment mal. Heißt das nicht, dass du auch diese Fähigkeit nutzen kannst?“, fragte Bella.

Jasper lächelte. „Wahrscheinlich. Aber eher könnte ich euch nur den Übergang ermöglichen und nicht meinen eigenen. Bei mir würde das sicherlich nur in die eine Richtung funktionieren. Schließlich besteht zwischen keinem von euch beiden und mir so eine starke Verbindung, wie zwischen Elizabeth und dir, Andy.“, schloss Jasper.

„Eine wirklich interessante Theorie. Sie könnte wirklich stimmen.“, sagte Carlisle leise und nachdenklich.

„Ja, wirklich interessant…“. Dann riss Andy die Augen auf und sah Elizabeth perplex an. „Was meint Jasper eigentlich mit ‚Verbindung‘?“, fragte er misstrauisch.

Ich sah Bella lächeln. Elizabeth sah jetzt etwas verlegen aus. Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie jetzt rot angelaufen. Sie nahm etwas zögerlich seine Hand.

„Naja, weißt du,…ich habe mich in dich verliebt und ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.“ Dann lächelte sie verschmitzt.
„Du weißt doch noch, was mein Bruder zu Bella gesagt hat.“

Was? Was soll ich zu Bella gesagt haben? Wovon redete sie? Ich lauschte in ihrem Kopf. Doch ich konnte nur ein Bild sehen und keine Worte hören. Ich sah Bella mit schmerzerfülltem Blick in meinen Armen. Nein. Das kann doch gar nicht sein. Daran würde ich erinnern. Vampire haben ein perfektes Gedächtnis. Sie vergessen nie etwas. Dann kam mir ein Gedanke. Nein, das war nicht ich. Das war der andere Edward. Ich zuckte bei dem Bild etwas zusammen und mir entfuhr ein leises Knurren.

Elizabeth sah mich böse an und murmelte so leise und schnell, damit es keiner verstehen könnte zu mir: „Na, na, na!“

Aber dennoch war die Vorstellung sehr verletzend für mich. Erstens, weil ich Bellas Blick sehen musste und zweitens, weil sie in den anderen Armen eines Mannes lag. Und nicht nur irgendein Mann. Nein, das war ich. Mein Doppelgänger. Der andere Edward. Aber er war da und hat ihr beigestanden, nicht ich. Wieder überwältigten mich mein Selbsthass und meine Schuldgefühle.

Ich weiß nicht was schlimmer wäre. Sie in „meinen Armen“ zu sehen, oder in den Armen eines Fremden. Nein. Weder das eine, noch das andere wäre schlimmer. Bei beiden Varianten fühlte ich die gleiche Intensität meines Schmerzes. Ich schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu verscheuchen. Die Gegenwart zählt. Bella war hier, bei MIR. In meinen Armen und sie wollte MICH. Trotzdem wollte ich es wissen. Was hat der andere Edward zu ihr gesagt?

Andy lief nach Elizabeths Worten rot an. „Aber wie? Ich meine, in MICH? Komm schon. Ich bin doch nur ein Mensch. Nichts Besonderes.“, sagte er abschätzig.

Wut stieg in mir auf. „Unsinn!“, riefen Elizabeth und ich gleichzeitig etwas laut.

Bella und Andy zuckten bei dieser Lautstärke zusammen.

°Er ist wirklich wie seine Schwester. Genau wie sie, zweifelt er an sich selbst.°, dachte Elizabeth verärgert und schüttelte den Kopf.

Wie konnte Bella nur an sich zweifeln? Sie war vollkommen. Das war sie schon immer. Sie war und ist alles für mich. Das Kostbarste, was ich besitzen darf. Zum Beweis nahm ich sie fester in meine Arme und zog sie an meine Brust.

„Natürlich.“, antwortete sie schlicht, „Wie kann man dich denn nicht lieben? Ich meine sie dir unsere Geschwister an!“

Elizabeth und ich lächelten über diese Worte. Andy hob eine Augenbraue und drehte sich zu uns um. Ich lächelte ihn zusammen mit Bella an.

Ich dachte nochmal über ihre Worte nach und musste kurz auflachen. Was für eine Ironie des Schicksals. Meine Schwester, die – wenn man es genau nimmt – eigentlich nicht meine Schwester ist, liebt die männliche Version meiner Liebsten. Als wäre es vorher bestimmt gewesen, dass Bella wieder in ihre Welt zurückkehrt, damit sie mit ihren Zwillingsbruder zusammen findet, der wiederum durch seine Schwester, den Weg zu „meiner Schwester“ findet. So hat auch Bella indirekt Licht in die Existenz meiner Schwester Elizabeth gebracht. Dies konnte allerdings erst in Bewegung gesetzt werden, nachdem ich Bella verlassen hatte. Das Schicksal spielte ein seltsames Spiel mit uns.

Ich und meine quasi Schwester scheinen wirklich denselben Geschmack zu haben, was Blut und Wesen unserer Seelenverwandten anbelangt. Ich liebe Andys Schwester und Andy liebt meine Schwester. Bella liebt Elizabeths Bruder, also mich und Elizabeth liebt den Bruder von Bella. Ich schüttelte belustigt den Kopf und grinste. Das war doch alles sehr verwirrend.

„Wirklich?“, fragte Andy zweifelnd.

„Was glaubst du denn, warum ich euch zur Halloween-Party abgeholt habe?“

Andy lief wieder rot an. Noch stärker als vorher. Elizabeth lachte. Sie holte tief Luft.

„Es gibt da etwas, was ich schon an Halloween tun wollte.“, sagte sie.

„Ach ja?“, fragte Andy und lächelte.

°Oh, oh. Jetzt wird’s feucht!°, dachte Emmett belustigt.

Jetzt würde der erste Kuss kommen. Zwar nicht so intim wie meiner mit Bella, aber das stört uns nicht und den beiden erst recht nicht. Als wir alle das Bild verfolgten, welches sich uns nun bot, hatte ich ein starkes Déja-vu-Gefühl.

Andy wusste was sie wollte und er war alles andere als dagegen, dennoch rührte er sich nicht. Elizabeth nährte sich langsam seinem Gesicht und seinen Lippen. Jedoch war es kein Zögern, um den Moment der Erwartung zu verlängern. Sie zögerte, um sich zu testen. Ob sie seinem Duft widerstehen und ihren Durst bändigen konnte. Sie zögerte genau wie ich damals. Ich lächelte. Dann fanden ihre Lippen zusammen und sie bewegten sich einheitlich.

Doch 2,9 Sekunden später, als Andy Geschmack an ihren Lippen fand, reagierte er genau wie seine Zwillingsschwester. Er griff in ihre Haare und zog sie an sich. Das Blut schoss ihm ins Gesicht und in die Lippen. Er öffnete sie und stöhnte leise. Der von ihr zarte Kuss, wurde nun heftiger und leidenschaftlicher von ihm erwidert. Sein Herz schlug schneller und seine Lippen schmiegten sich um ihre.

°Oh, dieser Geruch und dieser Geschmack… Er ist verrückt!°, hörte ich.

Nach 2 Sekunden löste sie sich ohne Anstrengen von ihm und ihre Augen waren hart und funkelten. Ich hörte Bella kichern. Er wollte weiter nach rechts zu Bella rutschen, um ihr Platz zu machen, doch Elizabeth hielt ihn zurück indem sie seine linke Hand fest drückte. Andy schaute ihr ins Gesicht und sie schüttelte den Kopf. Sie war noch etwas atemlos, genau wie er.

°Du meine Güte. Es ist zwar schön, dass er so reagiert hat. Aber wie konnte er nur? Das hätte schief gehen können!°

Nachdem sie sich wieder im Griff hatte und ihr Gesicht und ihre Augen weicher wurden, schaute sie ihn vorwurfsvoll an.

„Upps!“, sagte er kleinlaut.

Bella prustete los. Ich musste auch lachen. Auch die anderen fingen an zu lachen.

„Was ist daran so witzig?“, fragte Elizabeth pikiert.

„Naja…“, brachte Bella lachend heraus, „…haar genauso war unser erster Kuss. Und ich hatte auch ‚Upps‘ gesagt.“

„Oh, ja. Das hat sie.“, bestätigte ich ebenfalls lachend.

Andy und Elizabeth stimmten dann in unser Lachen ein. Als wir uns alle wieder beruhigt haben, sprach Elizabeth zu Andy: „Ich war überhaupt überrascht, dass du so reagiert hast. Ich wusste nicht, ob du dasselbe für mich empfindest, wie ich für dich.“

°Naja, eigentlich könntest du das eh nicht. Noch nicht.°

„Deine Gefühle mir gegenüber waren immer etwas versteckt. Ich hatte mich nicht getraut, dich darauf anzusprechen, weil ich befürchtete, dich mit meinen Gefühlen zu verschrecken.“

Bella schnaubte verächtlich, bevor Andy auch nur irgendetwas erwidern konnte. Dann sprach sie für ihren Bruder.

„Machst du Witze?“, fragte sie sarkastisch.

°Sehe ich so aus, als würde ich Witze darüber machen?°, dachte sie auch ironisch.

„Du machst Andy total verrückt! Glaub‘ mir, ich weiß wovon ich rede. Auch wenn er die Gefühle für dich unterdrückt hatte, habe ich sie ganz deutlich gespürt.“

„Du hast es gehört.“, sagte Andy zu Elizabeth seufzend.

„Aber warum hast du sie unterdrückt?“, fragte sie verwirrt. Andy biss sich auf die Unterlippe, bevor er antwortete.

„Naja, ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Du bist eine so wunderschöne Frau…und ich bin nur ein einfacher Mensch. Du kamst mir immer unerreichbar vor und ich bekam etwas Minderwertigkeitskomplexe. Ich hatte mich immer gefragt, was du schon von mir wollen könntest. Außerdem hatte ich auch den Gedanken gespielt, dich zu küssen, aber dann verwarf ich diese Idee.“

Sie sah ihn fragend an, eine Augenbraue hochgezogen.

„Naja, du bist der Jäger…und ich bin die Beute.“ Er lächelte leicht.
„Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich die Initiative ergriffen hätte. Wie du reagiert hättest. Hättest du mich von dir geschoben? Und wenn nicht, wäre dann der Kuss zur Mahlzeit ausgeartet? Und das wollte ich lieber nicht riskieren. Aber meine Entschlossenheit geriet immer wieder ins Wanken. Deine Stimme und dein Geruch…“

Um seine Worte zu unterstreichen, nahm er eine Strähne ihrer bronzefarbenen Haare, hielt sie an seine Nase und atmete tief ein. Sie lächelte über diese Geste.

„Was soll ich denn sagen? Was glaubst du denn, warum ich mich von unserem Kuss losreißen musste? Dein Geruch ist einfach unwiderstehlich für mich.“

Auch sie nahm eine Strähne seines braunen Haares und roch daran. Andys Herz schlug schneller und seine Nackenhaare stellten sich auf. Er bekam eine Gänsehaut.

„Mmh.“, machte Elizabeth nachdenklich. „Du riechst genau wie deine Schwester. Sehr blumig. Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen, wie man so schön sagt.“

°Nur das es kein Wasser, sondern Vampirgift ist.°, dachte sie schmunzelnd.

„Aber da ist eine kleine herbe Note dabei. Nur ganz schwach. Aber genau das macht ja deinen Geruch so verführerisch. Sie ist sozusagen das Sahnehäubchen.“

Andy lächelte schüchtern und beide ließen die Haare des jeweils anderen los.

„Na das kommt mir doch alles sehr bekannt vor…“, sagte Andy und blickte zu uns.

Ich grinste ihn an. Dann drehten Bella und Andy ihre Köpfe ruckartig zu Elizabeth, als hätte sie sie gerufen. Aber sie schauten Elizabeth nicht direkt an. Eher an sie vorbei. Seltsam. Warum taten sie das? Auch alle anderen waren verwirrt. Dann breitete sich auf ihren zwei Gesichtern ein lächeln aus.


„Was ist los?“, fragte Esme leise.

„Wir sehen gerade Edward und Elizabeth Masen, eure Eltern.“, sagte Bella zu uns gewandt.

°Wow, Geisterstunde!°, kam von Emmett.

°Jetzt sind die beiden völlig überschnappt.°, dachte Rosalie selbstgefällig.

°Warum kann ich so etwas nicht?!°, dachte Alice verärgert und Eifersucht war zu hören.

Elizabeth und ich rissen erschrocken die Augen auf und starrten, wie alle anderen, gebannt zu den Zwillingen.

°Sie können meine – nein seine Eltern sehen? Erst Carlisles Mutter und Emmetts Hund und jetzt „unsere Eltern“? Oh Gott!°, dachte Elizabeth.

Was? Carlisles Mutter und Emmetts Hund? Ich sah sie verwirrt an.

°In der anderen Welt.°, teilte sie mir etwas genervt mit.

Unglaublich! Bella und Andy haben zwar erzählt, dass sie dies könnten. Aber das jetzt „mitzuerleben“ ist noch etwas anderes.

„Ja, das ist sie.“, sagte Bella zu jemanden, den wir zu unserem Bedauern leider nicht wahrnehmen konnten.

°Sie sehen wirklich seine…ihre Eltern.°, dachte Carlisle erfreut.

Elizabeth zuckte ganz leicht zusammen. Dann spürte ich etwas an meiner Wange. Einen Luftzug? Auch ich zuckte leicht zusammen. Jetzt lachten Bella und Andy leicht. Wir schauten ihnen alle gespannt zu. Keiner sagte auch nur ein Wort.

„Ja, wir sagen es ihnen.“, sagte Andy nach 2 Minuten Stille. Dann wendeten sie sich wieder uns zu.

„Und? Was haben sie gesagt?“ Elizabeths Stimme klang sehr aufgeregt und etwas höher als normal.

Andy lächelte sie leicht an, sein Gesicht wirkte jedoch sehr ernst. „Sie konnten es nicht glauben, dass ihr Sohn…“, er blickte kurz zu mir, „…und ihre Tochter hier gesund und munter sitzen. Besonders über dich waren sie erstaunt. Weil…weil…“ Andy schluckte schwer.

Er nahm Elizabeths Hand und drückte sie. Das was er jetzt sagen würde, würde ihr nicht gefallen.

„Weil deine Mutter gesagt hat – oh Gott, du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten –, dass ihr Baby, also die Elizabeth aus dieser Welt,…die Geburt nicht überlebt hat.“, brachte er schwer heraus.

Elizabeth und ich rissen unsere Augen vor Schreck auf und erstarrten. Dieser Satz traf mich viel härter, als ich es für möglich hielt. Deswegen hatte ich keine Schwester. Deswegen konnte ich mich nicht an eine Schwester erinnern. Aber die andere jetzt hier sitzen zu sehen. Die Schwester, die ich hätte haben können. Diese Tatsache schnitt mir eine tiefe Wunde in mein totes Herz. Ich war so von dem Schmerz betäubt, dass ich nicht auf die Gedanken der anderen achtete. Von Esme konnte ich nur einen kleinen Schreckenslaut hören.

Bella nahm meine Hand und drückte sie. Die Wärme ihrer Haut befreite mich aus meinem Schmerz. Sie sah mich mitfühlend an und ich verlor mich in den tiefen Braun ihrer Augen. Ich lächelte und zog sie an mich. So konnte sie mir Trost spenden.

Elizabeth war immer noch erstarrt und diesmal nahm Andy sie in die Arme. Ihr Kopf lag an seiner Schulter. Sie taute wieder aus ihrer Starre auf und sah in sein mitfühlendes und lächelndes Gesicht.

Sie lächelte und sagte leichthin: „Tja, was bringt es jetzt noch, sich darüber Gedanken zu machen. Es ist eben eine andere Welt.“

Andy sah kurz irgendwo hin, dann wieder zu Elizabeth. „Sie sagen, dass sie dich trotzdem lieben.“, versicherte er ihr aufrichtig. Sie lächelte ihn an.

„Danke.“, antwortete sie, obwohl das eher nicht an Andy gerichtet war.

Bella sah nun zu Carlisle. „Und Edwards Mutter möchte sich bei dir bedanken, dass du Edward gerettet hast…und…ich auch.“, fügte Bella hinzu.

Carlisle lächelte. Ich nahm Bella wieder fester in meine Arme.

„Hat sie gewusst, was ich bin?“, fragte Carlisle interessiert. Andy schüttelte den Kopf.

„Nicht direkt. Aber sie wusste, dass du kein normaler Mensch bist.“

„Mmh.“, machte Carlisle nachdenklich.

Esme trat zu ihm und er legte ihr einen Arm um die Schultern.

„Auch sagen sie, dass sie sehr stolz auf dich sind und sie freuen sich für dich.“, sagte Bella zu mir.

Mein Lächeln wurde breiter und ich neigte meinen Kopf zu ihr hinab und küsste sie. Ja, es war wirklich nicht zu begreifen, was für ein Glück ich mit diesem reinen Wesen hatte. Ich sah, wie uns Elizabeth einen amüsierten Blick zuwarf. Sie war jetzt nicht mehr in ihrem Schmerz gefangen.

Sie richtete sich wieder auf und drückte ihre Lippen wieder sanft auf seine. Andy traute sich einfach nicht, selbst den ersten Schritt zu machen. Verständlich. Und wieder reagierte er wie beim ersten Mal. Diesen Kuss hielt meine Schwester diesmal 2 Sekunden länger aus. Sie scheint wirklich eine enorme Selbstbeherrschung zu besitzen. Wenn ich daran denke, wie Andy für sie riechen muss…

Andy und Bella rangen nach Luft. So mussten wir uns leider von unseren Partnern lösen. Wir sahen und jeweils in die Augen.

„WOW!“, kam es von Bella und Andy zur gleichen Zeit.

Wir kicherten. Dann schaute sich Bella überrascht um.

„Wo sind denn die anderen?“

„Sie wollten uns 2 Pärchen etwas Privatsphäre gönnen. Esme fand es schon nicht in Ordnung, dass wir alle bei eurem ersten Kuss dabei waren.“, antwortete ich.

Die 2 Herzen im Raum kamen wieder etwas zur Ruhe.

„Ach, das macht nichts. Ich habe sie in dem Moment sowieso vergessen. Elli ist eine sehr gute Küsserin.“ Sie lachte.

„Elli?“, fragte ich überrascht.

„So nennen wir sie oft. Weißt du, Elizabeth ist doch etwas lang, oder nicht?“, konterte Bella.
Ich hob eine Augenbraue, beließ es aber dabei.

„Oh.“, kam es von Andy. Ihm schien etwas eingefallen zu sein. „Was ist eigentlich mit Bellas Unterlagen? Die habe ich in der ganzen Aufregung vergessen.“

„Was meinst du damit?“, fragte Elizabeth ihn.

„Alice ist schon mit Jasper losgefahren, um das zu erledigen.“, erwiderte ich.

Nun sah ich Elizabeth an. „Es sollen Bellas Zeugnisse und Geburtsurkunde für Andy gefälscht werden, damit er hier morgen zur Schule gehen kann.“

„Aber warum denn?“, fragte sie verwirrt und zog ihre Augenbrauen zusammen.

Andy holte tief Luft und sah sie an. „Weil es mich in dieser Welt nicht gibt, genau wie dich. Ich wurde hier nicht einmal geboren, im Gegensatz zu dir.“, erklärte er trocken.

„Oh.“, war Elizabeths Reaktion darauf und schmiegte sich an seine Brust. Er legte ihr etwas zögerlich einen Arm um die Schulter.

„Stopp.“ Elizabeth richtete sich ruckartig auf und Andy erschrak. „Entschuldigung.“, sagte sie und nahm seine Hand. „Ich will auch erst einmal hier bleiben. Was ist mit meinen Sachen. Schließlich…gibt es mich ja hier auch nicht.“, sagte sie etwas traurig.

Ich sah, wie Andy seinen Griff verstärkte. Sie seufzte glücklich. Ich lächelte er aufmunternd zu.

„Ich bin mir sicher, dass das Alice berücksichtigen wird. Dann kommst du als neue Cullen morgen mit auf die High School. Und schließlich bist du ja auch eine.“

Sie erwiderte mein Lächeln. Bella kicherte.

„Ich freue mich schon auf die Gesichter, wenn die anderen mich und Andy zusammen sehen.“

„Ja, das wird bestimmt unterhaltsam.“, lachte ich.

„Aber sobald er bestimmte Blicke zugeworfen bekommt, werde ich erst einmal allen Mädchen klar machen, dass dieser Mann nur mir allein gehört!“, sagte Elizabeth bestimmt und besitzergreifend.

Andy lief so rot an, wie eine gereifte Tomate. Wir drei lachten über seine Verlegenheit.

„Apropos hier bleiben.“, durchbrach Andy das Gelächter, nachdem die Röte von ihm gewichen war, „Ich brauche ganz dringend noch Klamotten. Schließlich habe ich nur das hier.“

Er machte eine Handbewegung und zeigte auf seine Kleider. Elizabeth und ich lachten.

„Ich kann ja Alice anrufen. Da wird sie sich freuen, dass sie wieder einen Grund zum Shoppen hat.“, sagte ich belustigt.

Die Zwillinge stöhnten laut auf.

„Gut, dass du mich daran erinnerst.“, erwiderte Elizabeth prompt.

Sie befreite sich aus Andys Umarmung, der einen Schmollmund machte. Sie lachte und küsste ihn kurz auf die Lippen. Sie holte ihr Handy aus der Hosentasche heraus, wählte eine Nummer und hielt es sich ans Ohr.

Sieg und Niederlage




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




„Elizabeth, wo bist du?“, hörte ich mich selbst besorgt fragen.

Ach so, sie telefonierte mit dem anderen Edward. Die ganze Sache war wirklich kurios. Ich lächelte.

„Hey, ganz ruhig. Mir geht’s gut. Stell dir vor! Ich bin drüben in der anderen Welt.“, verkündete sie freudig.

„Jetzt ist mir klar, warum Alice dich nicht mehr sehen konnte.“, sagte er ruhig. „Aber wie hast du das geschafft?“

„Ich kann wahrscheinlich durch die Verbindung mit meinem Seelenverwandten seine Fähigkeit indirekt mit benutzen.“, erklärte sie und klang zufrieden. 3,5 Sekunden war es still am anderen Ende der Leitung.

„Oh!“, sagte der andere Edward überrascht, „Heißt das du…?“

„Ja!“

„Und er…?“

„Ja!“ Elizabeth zauberte ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht.

Als wir drei das sahen, mussten wir auch grinsen. Andy lief ein bisschen rot an, woraufhin Bella zu kichern anfing. Nun veränderte sich seine Stimme. Er wurde sehr ernst.

„Ist ja schön, dass ihr euch endlich näher gekommen seid. Aber was ist mit Bella? Geht es ihr gut?“

Elizabeth ging auf seinen Tonfall ein. „Ja, sie ist in guten Händen.“ Sie warf mir einen Blick zu und lächelte leicht.

Am anderen Ende hörte ich ein leises Knurren, was mich erschreckte und verwirrte. Elizabeth runzelte die Stirn.

„Ich traue dem Typen nicht!“, brachte er zischend heraus und die Worte und der unterdrückte Zorn ließen mich leicht zusammen zucken. Doch dies merkte Bella nicht. „Ich weiß, dass es lächerlich ist. Aber ich will einfach nicht, dass Bella noch einmal so verletzt wird. Denke doch nur mal daran, wie sie war, als sie hier ankam.“


Jetzt wünschte ich mir, ich hätte so ein schlechtes Gehör wie ein Mensch. Diese Worte waren wie Messerstiche in mein Herz und ich konnte nicht verhindern, erneut zusammen zu zucken. Der Schmerz loderte in mir auf. Denn nun sah ich auch schreckliche Bilder in Elizabeths Kopf. Und jedes einzelne Bild, ließ mich innerlich vor Qualen schreien. Aber ich durfte Bella meinen Schmerz nicht zeigen.

Die Bilder strömten ohne Vorwarnung auf mich ein. Bella, sehr blass und schmal. Ihre Augen voller Trauer, Schmerz und Verzweiflung. Bella weinend, die Arme um ihre Brust geschlungen, sich selbst umarmend, um vor Qual nicht auseinander zu fallen. Erneut zuckte ich zusammen. Elizabeth merkte meine Gefühle, sah mich entschuldigend an und ließ mich mit Ruhe erfüllen.

Bella hatte mein zweites Zusammenzucken bemerkt, nahm meine Hand und drückte sie. Ich sah sie an und versuchte den Schmerz aus meinen Augen zu verbannen. Doch natürlich konnte ich ihr nichts vormachen. Sie erwiderte meinen Blick, der seine Wirkung nicht verfehlte. Er beruhigte mich sofort. Bella sagte nichts. Sie hob nur ihre Hand und für mit ihrem Zeigefinger über meine Lippen. Es war ein herrliches Gefühl, als ihre warmen, weichen Finger, die Konturen meiner Lippen nachzeichneten.

Auch diese Geste besänftige mich und konnte den Schmerz auf ein Minimum reduzieren. Dankbar drückte ich sie fester an mich. Sie sollte dadurch wissen, dass ich bei ihr war. Sie nie wieder verlassen würde. Sie streckte ihren Körper und versuchte so mein Gesicht, meine Lippen zu erreichen. Ich beugte meinen Kopf zu ihr hinab, damit sie sich nicht mehr quälen musste. Dieser Kuss war nicht leidenschaftlich, nur ein zarter Kuss. Wahrscheinlich wollte sie mir dadurch vergewissern, dass sie mich wollte und keine Schuldgefühle wegen der Vergangenheit zu haben brauchte.

So ist sie nun mal, meine Bella. Immer denkt sie zuerst an andere, an mich. Was mit ihr selber geschieht, ist zweitrangig. Wieder einmal fragte ich mich, womit ich dieses Glück verdient hatte. Elizabeth hatte uns aus den Augenwinkeln beobachtet und lächelte. Dann widmete sie sich wieder dem Telefonat mit ihrem „anderen Bruder“.


„Du kannst ihm vertrauen. Er ist du. Du bist er.“ Das waren die falschen Worte.

„NEIN, BIN ICH NICHT! ICH hätte nie meine Seelenverwandte verlassen. Wenn er das tun konnte, dann ist sie nicht sein!“, brüllte er zornig.

Diese Worte taten mir mehr weh, als die vorherigen. Am liebsten wäre ich zusammen gebrochen. Doch ich musste für Bella stark sein. Wenn sie sehen würde, wie schlecht es mir ginge, dann würde sie – natürlich unbegründet – Schuldgefühle bekommen. Sie würde leiden, weil ich leide. Und wenn sie leidet, leide ich. Es war ein Teufelskreis. Elizabeth kniff ihre Augen zusammen und spannte ihr Gesicht an. Dann sprach sie schnell, leise und zischend, damit es die Zwillinge nicht hörten.

„Edward, jetzt hör‘ auf! Bei dir war das etwas anders. Du hast Alice als Vampir kennen gelernt und nicht als Mensch. Für sie ist es nicht gefährlich, unter Vampiren zu leben. Der andere Edward liebt sie. Und ich muss es wissen! Sie ist alles für ihn. Er liebt sie so, wie du Alice liebst. Wie ich Andy liebe! Wenn du sehen könntest, wie glücklich sie mit ihm ist. Dann würdest du nicht mehr so über ihn denken.“

Ich war wirklich sehr froh, dass sie diese Worte leise aussprach und dass sie Partei für mich ergriff. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu. 2 Sekunden lang sagte er nichts.

Dann erwiderte er: „Sag mir eins, Schwester. Liebst du Andy?“

„Ja!“, erwiderte sie ohne zu überlegen voller Inbrunst.

„Würdest du ihn verlassen können?“, fragte der andere Edward.

Sie wollte darauf antworten, hielt jedoch inne. Sie sah Andy an, dann mich. Ich schüttelte langsam den Kopf. Sicherlich würde sie Andy verlassen können, um ihm ein normales Leben ermöglichen zu können. Aber nachdem sie gesehen hat, was meine Entscheidung, bei Bella – und letztendlich auch bei Andy – angerichtet hat, würde sie es nicht über sich bringen. Andy würde daran zerbrechen, genau wie seine Schwester fast daran zerbrochen wäre. Dessen war ich mir sicher.

Und ich wusste, dass sie es auch wusste. Sie stellte sich Andy vor, wie er aussehen würde. Oder immer noch etwas so aussah, ehrlich gesagt. Denn auch bei Bella, waren noch Anzeichen des Schmerzes zu erkennen. Dann zuckte sie wie ich zusammen und schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Ich drückte Bella fester an mich. Sie schmiegte sie an meine Brust und seufzte.

„Ja.“ Sie machte eine Pause. „Wenn er mich nicht mehr will.“, antwortete sie ernst.

Am anderen Ende hörte ich ein Seufzen. „Okay. Lassen wir das Thema auf sich beruhen.“, sagte er resigniert. „Ich möchte nur eins. Da du ja bestimmt bei deinem Liebsten…“, ich hörte sein Schmunzeln, „…erst einmal bleiben möchtest, bitte ich dich, mit uns in Kontakt zu bleiben und das du auf die beiden aufpasst.“, sagte er streng.

„Ja, ist gut. Außerdem sind ja noch die anderen Cullens hier.“, betonte Elizabeth. Er kicherte.

„Na dann beiß Andy nicht und viel Spaß in der Schule.“

°Noch nicht…°, dachte sie.

„Bis bald.“, beendete sie das Telefonat und legte auf.

Sie seufzte erleichtert auf, steckte das Handy weg und schmiegte sich wieder an Andys Brust. Er legte – zögerlich – seine Arme um sie. Elizabeth lächelte über sein Zögern in sich hinein, sagte aber nichts dazu.

„Stress mit deinem anderen Bruder?“, fragte er sie.

Elizabeth zuckte mit dem Schultern. „Nicht mehr als sonst auch.“, erwiderte sie.
Sie sah zu mir und lächelte verschmitzt.

°Sie müssen ja nicht alles wissen.°

Ich nickte ihr lächelnd zu. Andy merkte, dass sie nicht mehr zu diesem Thema sagen wollte und würde.

„Tja, die lieben Verwandten…“

Ich wusste, dass er auf die andere Renee, seine Mutter, anspielte. Elizabeth sah fragend zu ihm auf. Er stöhnte.

„Naja, ich rede von meiner Mutter in der anderen Welt. Mit ihr…ist es etwas schwierig. Aufgrund unserer Fähigkeiten denkt sie, dass wir reif für die Gummizellen sind. Sie sagt immer: ‚Nein, fang‘ nicht wieder damit an. Du bist nur verwirrt!‘ Das geht einem richtig auf die Nerven.“

Er lächelte sie an. „Weißt du, ich bin froh so eine…“

Nun hielt Andy inne. Vielleicht war er sich nicht sicher, ob er das sagen sollte, was er wollte.

„Es ist schön, übernatürliche Wesen zu kennen, die einen verstehen und mit denen man über alles reden kann, ohne als verrückt abgestempelt zu werden.“

Sie lächelte ihn ebenfalls an und versuchte ihre ganzen Gefühle für ihn in ihren Blick zu legen. Liebe, Leidenschaft, Begierde. Einfach auch die Gefühle, die ich für Bella hegte.

„Was wolltest du eben sagen?“

„Hä?“, wich Andy ihrer Frage aus.

„Du wolltest zuerst etwas anderes sagen.“, half sie nach. Andy lief rot an. Sie kicherte leise.

„Naja…“, begann er zaghaft.

„Ja?“

„Ich wollte sagen, dass es schön ist, so eine außergewöhnliche…“

Andys Gesicht wurde immer roter. Bella lachte und stieß in scherzhaft in die Rippen.

„Nun gib dir einen Ruck!“

Ich schaute sie überrascht an und ich verfluchte es wiedermal, dass die beiden das konnten, wozu ich nicht in der Lage war. Elizabeth schaute ihn Andy nun bittend an.

„Sag es mir.“, bat sie.

°Was hat er nur?°, fragte sie sich.

„Ich möchte dich fragen, ob…Also möchtest du…“

Bella stieß ihn wieder in die Rippen, jedoch kräftiger als zuvor.

„Elizabeth Masen Cullen, möchtest du…“

°Was will er mir nun schon ernsthaft diese Frage stellen? Das geht ja selbst mir etwas schnell°, dachte sie bestürzt, aber auch belustigt.

Ja, da hatte sie recht. Ich wusste natürlich, dass Andy ihre Gefühle teilte, jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Aber dass er ihr jetzt schon die entscheidende Frage stellte? Er kniete nicht vor ihr nieder. Naja, vielleicht war das heute nicht mehr so üblich. Aber ich finde, dass es sich so gehört. Und wo ist der Ring? Hatte er überhaupt einen? Also ich war der Meinung, dass er alles falsch machte. Doch was verstehe ich schon von Richtig und Falsch. Schließlich habe ich aus richtigen Gründen die falsche Entscheidung getroffen, die der größte Fehler meiner ganzen Existenz war.

°Aber ich würde auf jeden Fall ja sagen.°, dachte Elizabeth euphorisch.

Bella stöhnte. „Andy, jetzt sag es ihr schon oder ich mache es für dich.“, fuhr sie Andy barsch an.

Elizabeth und ich schauten Bella überrascht an. Sie würde wirklich für ihn die Frage stellen, wenn er sich nicht traute? Ich stellte mir diese Szene vor. Wirklich sehr amüsant. Ich schmunzelte. Elizabeth sah wieder zu ihrem Seelenverwandten auf. Andy holte tief Luft.

„Elizabeth Masen Cullen, ich möchte dich hiermit fragen, ob du mit mir zusammen sein willst, als meine Freundin.“

°WAS? Das war die Frage? Und ich dachte schon…°

Elizabeth schaute überrascht und verwirrt drein. Dann brachen sie und ich in schallendes Gelächter aus, doch hörten wir sofort auf als wir sahen, dass wir Andy mit unserer Reaktion verletzt hatten. Er schaute sehr traurig aus und in seinen Augen war der Schmerz noch deutlicher zu sehen.

Elizabeth sah ihn erst mitleidig, dann voller Liebe an. Sie lächelte und offenbarte dabei ihre perfekten weißen Zähne. Dann griff sie mit ihren Händen in Andys Harre und zog sein Gesicht zu ihrem heran. Sie küsste ihn voller Leidenschaft. Er erstarrte erst 3 Sekunden, dann erwiderte er zögernd ihren Kuss, wurde dann aber ebenfalls von seinem Verlangen überwältigt. Als Elizabeth sich von ihm löste, damit er wieder Luft bekam, schaute sie ihm in Augen und lachte leicht.

„Ja, ich will.“

°Diese Worte waren wohl nicht ganz so passend…°, dachte sie schmunzelnd.

Daraufhin mussten wir alle lachen. „Ich wollte schon an Halloween mit dir zusammen sein. Du hast mich von Anfang an fasziniert. Und deine Augen…“, sagte sie versonnen.

Er lächelte. Erleichtert darüber, dass sie Ja zu ihm gesagt hatte. In diesem Moment erinnerte Andy mich an mich selbst. Wie ich damals froh darüber war, als Bella Ja zu mir gesagt hatte. Sie hatte sich zu mir an den Tisch gesetzt und sich mit mir unterhalten. Sie war an mir interessiert. An mir. Einem Vampir, der sie in jedem Augenblick hätte töten können. Auch ich war darüber sehr froh gewesen, dass sie sich gerade zu mir hingezogen fühlte.

„Was ist mit meinen Augen?“, fragte Andy Elizabeth verwirrt und holte mich somit wieder in die Gegenwart zurück.

Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und schaute ihn durchdringend an. „Dieses wunderschöne Schokoladenbraun. Da könnte ich mich eine Ewigkeit drin verlieren.“

Ich lächelte. Das kannte ich sehr gut.

„Das will ich doch nicht hoffen.“, erwiderte Andy schmunzelnd, „Sonst bekommst du das hier doch nicht mit.“

Er näherte sich ihrem Gesicht, zwar etwas zögerlich, aber nicht mehr so stark, und legte sanft seine warmen Lippen auf ihre. Sie lächelte und erwiderte seinen Kuss. Es blieb aber diesmal bei einem zarten Kuss, jedenfalls von ihrer Seite aus. Andy stöhnte leise und atmete ihren Vampirduft ein und wurde drängender. Doch Elizabeth löste sich von ihm. Sie grinste. Ihr Gesicht nahm einen neckischen Ausdruck an.

„Also, dein erster Antrag war ja richtig süß. Ich bin mal gespannt, wie du den zweiten später noch besser machen willst.“

Andys Gesicht glühte. Elizabeth berührte erneut sein Gesicht. „Es sieht so schön aus, wenn du rot wirst. Und es fühlt sich so angenehm warm an.“

Sie lachte zärtlich und liebevoll. „Aber warum musstest du deine Frage, wie einen Heiratsantrag formulieren?“, fragte sie und hob eine Augenbraue hoch.

„Naja, ich weiß, dass das gerade nicht so normal war. Aber ich hatte noch nie eine Freundin gehabt. Und ich fühlte mich sehr unwohl und unbeholfen. Ich war sehr verunsichert und wusste nicht, ob du Ja sagen würdest. Was weiß ich denn, wie man so was fragt? Außerdem war mein sozialer Kontakt in den letzten Jahren alles andere als ausreichend.“, erwiderte er sehr nervös und verlegen.

°Och, er ist so süß! Aber er hat immer noch Zweifel an sich selbst.° Sie seufzte. °Wie kann ich dir diese nur austreiben?°

„Andy, zu DIR würde ich immer Ja sagen. Ich gehöre dir jetzt schon für alle Zeit.“, sagte sie mit weicher Samtstimme zu ihm.

Andys Augen leuchten vor Glück auf. Ihr Strahlen war überwältigend. Nun antwortete er sehr leise, dass Bella Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen. Seine Stimme klang etwas wackelig.

„Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich dir auch gehöre? Für den Rest meines Lebens. Und noch viel länger, hoffe ich. Du bist die erste und einzige Frau für mich.“

Die letzten Worte sprach er voller Ernsthaftigkeit aus. Dann veränderte sich seine Miene. Sie wurde traurig. „Aber wenn du nicht mit mir zusammen die Ewigkeit verbringen willst, dann…“

Elizabeth unterbrach ihn, indem sie ihm einen Finger auf seine Lippen legte.
„Was habe ich dir gerade gesagt?“, fragte sie rhetorisch.

Andy seufzte und seine Mundwinkel hoben sich. Dann küssten sie sich wieder sehr leidenschaftlich. Ich tat es ihnen nach und zog Bellas Gesicht zu meinem heran. Wir verbrachten noch einige unterhaltsame Stunden zu viert. Unter anderem fragten sich Elizabeth und Andy über jedes Detail ihres Lebens aus.

Da ich die beiden bei ihrer Unterhaltung nicht länger stören wollte, flüsterte ich Bella ins Ohr: „Komm, wir gehen zu unserer Lichtung.“

°Danke.°, hörte ich nur. Elizabeth lächelte mich an.

Bella und ich standen vom Sofa auf und gingen hinaus auf die Veranda. Es war heute ein recht warmer Tag, trotz der Wolkendecke. Auch regnete es in diesem Moment nicht.

„Danke. Das war eine gute Idee. Ich fand auch, dass diese Unterhaltung etwas zu privat wurde.“, sagte Bella zu mir, bevor ich sie auf meinen Rücken nahm.

Ich lächelte sie an. Dann rannte ich los und in 3,7 Minuten waren wir auch schon auf unserer Lichtung. Ich half Bella von meinem Rücken hinunter und stellte sie auf die Füße.


Dann schlang sie die Arme um meinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit ihre Lippen meine erreichen konnten. Es war ein sehr inniger Kuss. Sie fuhr mit ihrer Zunge über meine Lippen und ich öffnete sie begierig. So fing ich mit ihrer Zunge ein wildes Spiel an und genoss ihren Atem in meinem Mund und ihr leises Aufstöhnen. Ich wurde immer drängender. Ich wollte sie nie wieder loslassen. Wollte sie ewig in meinen Armen spüren und ihre köstlichen warmen und weichen Lippen schmeckten.

Nun da wir ungestört waren, fiel es mir noch schwerer meine Begierde unter Kontrolle zu halten. Ich drückte sie fester an mich und fuhr mit meinen Händen langsam ihren Rücken hinunter. Bellas Hände wanderten zu meinen Haaren und griffen in diese. Ich merkte, dass Bella nach Atem rang und so löste ich meine Lippen schweren Herzens von ihren und wanderte küssend mit ihnen zu ihrer Kehle. Bella schlang die Arme um mich und presste sich enger an meinen Körper, während ich auch meinen Griff um sie etwas verstärkte.


„Oh, Edward.“, hauchte sie mit schwacher Stimme. Das Verlangen schien auch sie fast zu überwältigen. „Wie sehr habe ich das vermisst.“

Ich schaute ihr ins Gesicht und sah, wie ihre braunen Augen glühten vor Verlangen. Es fiel mir unfassbar schwer diesem Blick zu widerstehen.

„Ich liebe dich.“, sagte sie immer noch etwas außer Atem. „Für immer.“, sagte sie nun mit festerer Stimme.

Für immer.

Es war unbeschreiblich, diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Ich fühlte mich überglücklich und schwerelos. Ich erwiderte lächelnd ihren Blick.

„Ich liebe dich auch, Bella. Das habe ich immer und werde es immer tun. Bis in alle Ewigkeit.“, versprach ich ihr feierlich.

Ich berührte ihr Gesicht. Meine kalte Haut schien zu brennen, als meine Finger, meine Hand ihr Gesicht berührte. Wie Blitze zuckte es in meinen Fingern. Es war ein berauschendes Gefühl ihre warme weiche Haut zu streicheln. Ich war unendlich dankbar für das Geschenk, was man mir gemacht hatte. Ich war unendlich dankbar, dass dieses reine Wesen mir ihr Herz geschenkt hatte. Mir, einem Wesen der Nacht.

„Nichts und niemand wird uns je wieder trennen.“, versprach ich ihr ebenfalls.

Ich wollte ihr damit sagen, dass sie das Wichtigste in meinem Leben ist. Immer bei ihr sein und immer beschützen werde. Wieder näherte ich mich ihrem Gesicht, um meine Lippen wieder mit ihren zu vereinen. Ihr Atem wurde wie immer unregelmäßig und ihr Herzschlag setzte erst aus, dann schlug es doppelt, nein dreimal so schnell, wie normalerweise. Wie sehr ich ihren Herzschlag liebte. Dieses Geräusch würde ich überall wieder erkennen.

Sie presste sich wieder enger an mich und wurde drängender an meinen Lippen. Bereitwillig ging ich darauf ein und ich merkte, wie sich meine Mundwinkel vor Freude hoben. Da vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Ich ignorierte es aber, da ich mich nur auf meine Bella konzentrieren wollte. Sie war für mich meine Sonne. Mein Zentrum. Das Handy vibrierte erneut und ich stöhnte leise genervt. Ich ignorierte es abermals und küsste meine Liebste mit aller Leidenschaft, die ich ihrem menschlichen Körper zumuten konnte, als ich eine vertraute Stimme in meinem Kopf hörte.


Meine Lippen erstarrten. Ich löste mich von Bella und schob sie hinter mich, um sie vor demjenigen zu beschützen, der gerade rechts von uns aus dem Wald trat. Wahrscheinlich hatte Bella erst nicht verstanden, was ich gerade getan hatte, doch als sie ihn sah, merkte ich, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, ihr das Blut aus dem Gesicht wich und eine Gänsehaut bekam. Sie bekam Angst. Verständlich.

Er trat in Vampirgeschwindigkeit auf uns zu, sodass er nur noch ein paar Meter entfernt von uns stand.

„Oh, hallo Edward.“, begrüßte der dunkelhaarige olivfarbene Vampir mich.

°Und wenn das nicht sein kleiner Liebling ist°, dachte er verschwörerisch.

„Und wie ich sehe, ist Bella auch da.“, sagte er beiläufig, fixierte sie jedoch eindringlich mit seinen roten Augen.

Doch mich beunruhigte ihr Aussehen. Seine Augen waren komplett schwarz. Nur an den Rändern leuchtete sie noch schwach rubinrot. Er war durstig. Sehr durstig. Bellas Geruch muss ihn angelockt haben, selbst wenn ich bei ihr war. Sein Durst war sehr übermächtig. Das wollte mir Alice also sagen. Warum habe ich Dummkopf wieder einmal meiner Selbstsucht nachgegeben, anstatt auf Bellas Sicherheit zu achten. Ich hätte mich selbst für diese Dummheit foltern können, doch dafür war nun absolut nicht die richtige Zeit, um in Vorwürfen zu ertrinken.

Ich taxierte Laurent genau. Jeden seiner Gedanken, jede seiner Bewegungen. Bella schien trotz ihrer Angst ihre Stimme wieder gefunden zu haben.

„Hallo Laurent.“, hauchte sie viel zu leise für menschliche Ohren.

„Es freut mich, dich wiederzusehen.“, sagte ich teilnahmslos.

Natürlich war ich nicht über diese Begegnung erfreut. Besonders nicht, wenn Bella dadurch in Gefahr geriet.

„Was führt dich hierher?“, fragte ich mit oberflächlicher, ruhiger Stimme.

Was für eine dumme Frage. Darauf folgte eine unerwartete Reaktion. Obwohl ich es in seinen Gedanken hörte, sprach er es laut aus.

„Ich kam zurück nach Forks, um im Victorias Namen etwas heraus zu finden.“, antwortete Laurent ruhig. Er warf einen Blick auf Bella. Ich knurrte ihn leise, aber bedrohlich an. „Aber wie ich sehe, ist deine Bella ja wohl behütet.“, sagte er lächelnd. Ich bleckte die Zähne.

°Tja, da wird es Victoria wohl nicht leicht haben, sich für James Tod an Bella zu rächen, wenn sie immer noch unter ihrem Schutz steht.°

Dieser Gedanke verwirrte mich, jedoch war ich wohl darauf bedacht, ihm nicht meine Reaktion zu zeigen. Schließlich wusste er nichts von meiner Fähigkeit. Und das sollte auch so bleiben. Aber warum wollte Victoria Bella töten, wenn ich doch James Existenz beendet habe, wenn auch nicht ohne Hilfe meiner Familie? Ich dachte einen kurzen Augenblick über seinen Gedanken nach und dann hatte ich die Lösung, die mich zutiefst erschütterte.

Victoria wollte wahrscheinlich Bella töten, damit ich auch meinen Gefährten verliere. Damit ich den Schmerz spüre, den sie auch fühlt. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie so tief mit James verbunden war. Damals hatte ich keine Anzeichen dafür in ihren Gedanken gesehen. Seltsam. Ich lächelte trocken.

„Ja, das ist sie. Da du das ja nun weißt, kannst du ja wieder gehen.“

Natürlich würde er das nicht tun.

°Ihr Geruch ist so köstlich. Ich muss SIE haben. Es ist so unerträglich. Ich habe so dringenden Durst. Ich kann ihn nicht mehr zurück halten.°

Laurent leckte sich die Lippen. Als Bella dies sah, steigerte sich ihre Angst noch mehr. Ich stand immer noch beschützend vor ihr. Ich würde es nicht zulassen, der er ihr auch nur ein Haar krümmte. Ich spannte meinen ganzen Körper an, machte mich für den Kampf bereit.

„Tut mir leid.“, erwiderte Laurent finster lächelnd. „Aber es ist mir jetzt unmöglich zu gehen. Mein Durst ist einfach zu groß.“ Er atmete tief Bellas Geruch ein. „Und das Mädchen riecht so verlockend. Da kann ich einfach nicht widerstehen.“


Laurent grinste breit und offenbarte seine Zähne. Ich knurrte ihn laut an. Laurents Gesichtsausdruck veränderte sich. Er wurde finsterer. Nun überließ er sich mehr und mehr seinen Instinkten und ließ die freundliche Maske fallen. Seine Augen glühten vor Durst. In seinen Gedanken konnte ich nur noch die Gier nach Bellas Blut hören. Er spannte seinen Körper an und sprang auf mich zu. Ich erkannte natürlich seine Absicht eine drittel Sekunde eher und sprang auf ihn zu, damit er Bella nicht nahe kommen konnte.

Er versuchte meinen linken Arm zu packen, doch mithilfe meiner Fähigkeit wich ich ihm geschickt aus. Wann immer er versuchte mich erneut zu packen, schlug sein Versuch fehl. Er versuchte an mir vorbei zu Bella zu kommen, doch ich packte von hinten seinen rechten Arm und schleuderte ihn in Richtung des Waldes. Ich nutzte die Gelegenheit, um einen Bruchteil einer Sekunde zu Bella zu schauen. Ihr Gesicht war blass und fahl, ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen. Ich zuckte bei diesem Anblick zusammen und die Sorge um sie umklammerte meine Brust.

Doch im selben Moment musste ich mich widerstrebend von ihrem Blick abwenden, da Laurent wieder aus dem Wald gestürmt kam. Ich rannte ihm entgegen, damit Laurent noch mehr Abstand von Bella bekam. Ich drehte mich blitzschnell um, griff mir seine beiden Arme und hielt sie an seinem Rücken fest, sodass er sie nicht mehr benutzen konnte. Laurents Blick war gierig auf Bella geheftet. In seinem Kopf sah ich die schrecklichsten Bilder meiner Existenz.

Wie er in ihre Kehle biss und ihr Blut genüsslich trank, während sie immer kälter und schwächer wurde. Mit jedem Tropfen, den er zu sich nahm, wich mehr Leben aus ihr. Ich schüttelte angewidert den Kopf, und verstärkte meinen Griff um seine Arme noch mehr. Nun sah ich Bella ebenfalls kurz an. Ihr Atem kam schnell und stoßweise, ihr Herz überschlug sich fast vor Angst. Ihr Gesicht war angsterfüllt auf mich und Laurent gerichtet.

Dann plötzlich nahm ich ein Flimmern um sie wahr, oder sie flimmerte. Ich wusste es nicht. Und im nächsten Moment war sie verschwunden. Bella war weg. Uns stand niemand mehr gegenüberüber.

°Was? Wo ist sie hin? Wie ist das möglich?°, hörte ich Laurent verwirrt und verärgert.

Ich starrte nur wie gebannt auf die Stelle, wo Bella eben noch stand. Ich zuckte zusammen und ein Schmerz breitete sich in mir aus. Laurent nutzte die Gelegenheit und schaffte es, seine Arme aus meinem Griff zu befreien. Durch den Schock, den Bellas Verschwinden bei mir ausgelöst hatte, hatte ich meinen Griff automatisch gelockert. Welch törichter Fehler.

Nun drehte sich Laurent zu mir um und ergriff einen meiner Arme. Doch bevor er es schaffte, ihn mir abzureißen, hob ich mein linkes Bein nach hinten und trat gegen seines, sodass er das Gleichgewicht verlor und nach rechts hinfiel. Seine Hand lockerte sich durch diese überraschende Wendung. Jedoch ließ er mich nicht los, sodass er mich mit zu Boden riss. Nun lag ich auf ihm.

Ich packte blitzschnell seinen Arm, der meinen anderen festhielt und drückte mit aller Kraft zu. Laurent wollte sich wehren, jedoch war der Schmerz zu groß für ihn und er schrie laut auf. Er brüllte noch lauter als es knackte, und ich ihm den linken Arm abriss. Ich schmiss ihn nach hinten. Laurent wollte mit seinem rechten Arm mir ins Gesicht schlagen, doch dazu kam er nicht.

Ich spannte jeden Muskel meines Körpers an, legte meine ganze Kraft, Wut und meinen Schmerz in diesem Angriff. Ich ekelte mich davor dies zu tun, da ich kein Monster sein wollte, aber es ging hier um Bella. Für sie, würde ich alles tun. Ich nahm mit beiden Händen Laurents Kopf, hielt ihn fest und drückte ihn mit aller Kraft, die mir zur Verfügung stand seinen Kopf nach rechts. Ich hörte Knackgeräusche und drehte ihn immer weiter mit aller Gewalt nach rechts. Laurent schrie verzweifelt auf, doch dem schenkte ich keine Beachtung. Ich sah ihn nur hasserfüllt an und spürte wie ich mit jedem Knacken und Reißen gelassener wurde.

Nach 7,4 Sekunden hatte ich Laurent enthauptet. Seine Augen waren leer und ausdruckslos. Seine Arme und Beine bewegten sich zwar noch, jedoch ohne große Kraft. Der Rest seines Körpers stellte keine Bedrohung mehr da. Ich hatte mich nun wieder beruhigt, die Mordlust war verschwunden. Mein Blick wurde emotionslos. Ich stand auf, sah kurz Laurents Kopf an, welchen ich immer noch in den Händen hielt und warf ihn zu seinem Körper auf dem Boden. Dieser Anblick ekelte mich an.

Ein Teil meiner Gedanken war - wie immer natürlich – bei Bella, doch es war noch nicht alles erledigt. Ich musste sicherstellen, dass Laurents Existenz endgültig verwirkt war. Ich holte ein Feuerzeug aus meiner Hosentasche, klappte den Deckel auf und zündete es an. Dann warf ich es auf Laurens Körper, der sofort Flammen fing.

Mit ausdrucksloser Mine schaute ich den brennenden Haufen an. Rauch stieg nun zum Himmel empor und Laurents Geruch war noch stärker wahrzunehmen.

„Tja, du hast verloren.“, sagte ich trocken.

Ich stand immer noch regungslos dar und wartete, bis jeder Teil seines Körpers zu Asche verbrannte und trat schließlich auf die immer kleiner werdenden Flammen, um das Feuer zu „löschen“. Als diese grässliche Prozedur endlich vorüber war, atmete ich tief durch. Dann war ich wieder mit all meinen Gedanken bei Bella und ich rannte zu der Stelle, wo ich sie zuletzt gesehen hatte.

Ihr Geruch war zwar noch vorhanden. Aber ich konnte keine frische Spur von ihrem Geruch riechen. Panik durchflutete meinen Körper. Wo war sie nur? Ich hatte ihr doch versprochen, dass ich sie nie wieder verlassen würde, dass uns nichts mehr trennen würde. Wieder einmal konnte ich mein Versprechen nicht halten. Ich versuchte tief durchzuatmen, um mich zu beruhigen. Dann fiel mir etwas ein.

Bella flimmerte, kurz bevor sie verschwand. Und kurz bevor Elizabeth hier ankam, hat es auch in Andys Nähe geflimmert. Heißt das etwa, dass sie wieder in der anderen Welt war? Eine andere Erklärung hatte ich leider nicht. Wohin sollte sie sonst verschwunden sein? Sonst müsste ich eine Spur ihres Geruchs wahrnehmen können. Aber wo war sie jetzt genau? Beim letzten Mal flog sie bei einem Übergang durch eine Glaswand und hatte sich schwer verletzt. Wo war sie genau gelandet? Ging es ihr gut? Diese Fragen quälten mich und ich fand leider keine Antwort auf diese. Ich musste zurück zu ihr und es gab nur einen, der mir dabei helfen konnte.

Ich rannte in Rekordgeschwindigkeit wieder zurück zum Haus. Ich wurde schon erwartet. Alle standen im Raum – außer Alice und Jasper – und starrten mich besorgt an. Andys Blick ähnelte dem seiner Schwester, kurz bevor sie verschwand.


„Warum kannst du nicht ans Telefon gehen, wenn Alice oder ich dich anrufen?“, fuhr Andy mich wütend an. Jedoch wurde der gewünschte Effekt nicht durch sein Schluchzen erzielt. Alle Blicke waren fragend auf mich gerichtet.

„Ihr wisst, was passiert ist?“, fragte ich. Meine Stimme klang tonlos. Carlisle nickte.

„Ja, Alice hat uns angerufen und uns erzählt was sie gesehen hat. Sie sah dich mit Laurent kämpfen und gewinnen. Jedoch konnte sie Bella nicht sehen.“

°Man, du hättest mir wirklich was übrig lassen können.°, dachte Emmett wehmütig.

Ich war ihm nur einen Blick zu und war froh, dass er dies nicht laut ausgesprochen hatte. Nun sprach Andy zu mir. Er hatte sich etwas beruhigt und sprach mit fester Stimme, während Elizabeth einen Arm um ihn legte. Er holte tief Luft und sah mich ernst, aber auch entschuldigend an. Wahrscheinlich wegen seinen Wutausbruch. Ich verstand ihn nicht. Schließlich war er doch mehr als gerechtfertigt.

„Ich habe dich angerufen. Ich wollte dich warnen, dass Bella durch das Erscheinen dieses Vampirs so in Angst geraten könnte, dass sie schließlich aus dieser Welt verschwindet.“

Ich zuckte bei seinen Worten zusammen. Natürlich meinte er die Parallelwelt. Aber für mich klangen die letzten Worte auch endgültig. Als ob sie tot wäre, und nicht in einer anderen Welt. Schnell fasste ich mich wieder.

„Es tut mir leid.“, sagte ich traurig und schmerzvoll. Ich konnte nichts anderes sagen.

Dann fiel mir wieder der Grund ein, warum ich eigentlich hier war.

„Andy du musst mich zu ihr bringen. Oder hol sie zurück.“, flehte ich ihn an, doch es kam fast knurrend heraus.

Elizabeth schaute mich prüfend an und eine Welle der Ruhe stürzte über mich ein. Normalerweise wäre ich dankbar dafür gewesen, doch diesmal wollte ich mich nicht besänftigen lassen.

„Bitte!“, versuchte ich es noch einmal.

„Ich werde alles versuchen, aber ich weiß nicht, ob ich es kann.“, antwortete er mir unsicher.
„Du weißt, dass wir die Gabe bis jetzt nur nutzen konnten, wenn wir große Angst haben. Eine Art erweiterter Fluchtinstinkt, wenn man es anders ausdrückt, würde ich sagen. Ich müsste versuchen, die Fähigkeit anders, willentlicher zu nutzen. Es muss noch anders gehen außer durch die Angst. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ständig und auf Knopfdruck in einen hysterischen Angstzustand verfallen kann.“

Ich nickte und flehte ihn weiter mit meinem Blick an. Er nickte auch.

„Okay, also am besten wir stellen uns jetzt alle im Kreis auf und fassen uns an den Händen. Also nur wenn ihr alle mitkommen wollt.“

Er sah uns alle der Reihe nach an.

„Natürlich.“, sagte Esme und Carlisle nickte bestätigend.

Wir stellten uns im Kreis auf und fassten uns alle an den Händen. Elizabeth hielt Andys rechte, ich seine linke Hand. Gleich würde ich hoffentlich wieder bei Bella sein. Der Gedanke tröstete und beruhigte mich ein wenig. Hoffentlich ging es ihr gut.

„Lasst nicht los!“, warnte uns Andy.

Er atmete tief durch, schloss die Augen um sich zu konzentrieren. Meine Gedanken waren bei Bella und auch die anderen waren angespannt. Emmetts Vorfreude und Rosalies „Wut“ konnte ich hören. Wut darüber, warum wir alle wegen eines Menschen so einen Aufstand machen, wie sie es dachte. Ich achtete nicht darauf, sondern dachte nur an sie. 20 Sekunden war es still.

„Mist!“, zischte Andy, „Genau das habe ich befürchtet.“ Er klang mürrisch und mutlos.

Elizabeth sah ihn an, wollte Andy anlächeln, tat es jedoch nicht, da sie das in dieser Situation nicht für angebracht hielt. Ich ebenso wenig. Sie drückte seine Hand.

„Ich helfe dir.“, sagte sie zu ihm und schloss ihre Augen.

Andy drückte dankbar ihre Hand, schaute wieder geradeaus und schloss die Augen. Ich spürte, wie sich wenige Sekunden später Andys Körper anspannte. Seine Hand wurde kalt und es schien, als floss sein Blut nicht mehr. Er bekam eine Gänsehaut und seine Haare auf seinen Armen und in seinen Nacken stellten sich auf. Andy tat mir leid.

Wir versetzten ihn absichtlich in Angst. Dies widerstrebte mir, doch ich wusste, dass er genau wie wir, alles für seine Schwester tun würde. Auch wenn das bedeutete, Todesangst zu verspüren. Mit jeder weiteren Sekunde steigerte sich Andys Angst. Das wusste ich, denn ich konnte seinen Angstschweiß riechen. Ich merkte, wie er meine Hand fester drückte. Wahrscheinlich mit seiner ganzen Kraft, die er aufbringen konnte. Ich hatte immer noch vor Anspannung und Angst die Augen geschlossen. Ich dachte, dass ich jeden Moment etwas spüren würde. Etwas, das mir verriet, dass wir alle in eine andere Welt eingetaucht waren. Aber nichts. Ich wartete und wartete. Jede Sekunde, die verging, wurde immer unerträglicher.

°Warum passiert nichts?°, hörte ich Elizabeths verzweifelt klingende Stimme.

Andy erstarrte und löste seine beiden Hände, die Elizabeth und ich eben noch hielten. Wir machen die Augen auf und sahen alle erschrocken und verwirrt zu Andy. Was war nur los? Irgendetwas stimmte nicht! Andy sah Carlisle wütend an, der ihm gegenüber stand.

„WAS?“, brüllte er fassungslos.

Nein, er sprach nicht mit Carlisle. Er sprach mit einem Toten, der direkt vor ihm zu stehen schien. War er der Grund für Andys Reaktion.

„Das kann doch nicht sein?! Das ist nicht wahr!“, brüllte Andy wieder jemanden Unsichtbarem entgegen.

Nach ein paar Sekunden sagte er zischend und bissig: „Ich…hasse…dich!“

Es klang so bedrohlich, dass es von einem Vampir hätte kommen können.

„Was ist los?“, fragte Carlisle und versuchte Andy dadurch etwas besänftigen zu können, obwohl er sich natürlich Sorgen um ihn machte.

„Vor mir steht ein Vampir mit hellbraunen Haaren und rotschwarzen Augen. Er sagt, dass er der Grund dafür ist, dass meine Fähigkeit nicht funktioniert.“, erklärte er widerstrebend.

„Moment mal! Soll das heißen, dass Geister dich…blockieren können?“, fragte Elizabeth und schaute ihn an. Er erwiderte ihren Blick nicht, sondern schaute nur weiter zornig ins Nichts vor sich.

„Sieht ganz so aus!“, sagte er missbilligend. Dann war es für ein paar Sekunden still.

„Was sagte er?“, fragte ich Andy und versuchte meine Wut im Zaum zu halten.

„Er sagt, er habe Bella und mich beobachtet. Dass er meine Schwester hasst und…dich auch. Er sagt, er habe Bella meistens die Alpträume geschickt, als du sie verlassen hast.“

Andy klang überrascht und verwirrt. Ich zuckte bei seinen Worten kurz zusammen.

„Geister können uns die Träume schicken?“, fragte er neugierig und widerwillig zugleich.

Dann zuckte Andy zusammen und wich zurück, als hätte man ihn geschlagen. Dann funkelte er den Geist zornig an. „Hau bloß ab!“, forderte er.

Dann sah er noch 2 Sekunden gerade aus und legte dann mit schmerzerfülltem Blick seinen Kopf in die Hände. Elizabeth trat vor Andy und rüttelte ihn an der Schulter. Sie war voller Sorge und Panik.

„Andy, was ist los?“, fragte sie ängstlich, versuchte aber ruhig zu sprechen.

Die anderen traten nun wieder näher zu ihm heran und schauten ihn fragend an. Andy hob seinen Kopf und sah uns alle der Reihe nach an. Sein Blick ließ mich zu Eis erstarren. Was hatte er nur? Andy fasste sich etwas und sein Blick wurde ernst.

Dann sprach er mit fester, fast ausdrucksloser Stimme: „Der Typ hat mir Bilder gezeigt. Schreckliche Bilder. Ich sah, wie er Bella in einem Spiegelraum hin und her schleuderte. Und dann…wie er sie biss.“

Alle begriffen sofort. Alle, außer Elizabeth.

Das konnte doch nicht sein! Das war doch nicht möglich?! Selbst als Toter hatte er meine Bella – und mich – gequält. Und er tat es jetzt immer noch. Ich verfluchte James. Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich ihn nochmal umbringen. Ich knurrte leise. Nicht nur, dass er Bella mit Alpträumen gequält hat, jetzt schaffte er es auch irgendwie zu verhindern, dass Andy seine Fähigkeit nutzen, und uns rüber bringen konnte.

Er verhinderte, dass ich zu meiner Bella kam. Sie war allein. Ich konnte sie nicht beschützen wo sie jetzt war. Sie nicht in meine Arme schließen. Wieder verfluchte ich James und ich schäumte vor Wut. Am liebsten hätte ich alles zerstört oder jemanden getötet. Doch ich musste mich zusammen reißen und meinen Zorn hinunter schlucken.

„James.“, sagte Carlisle ruhig, jedenfalls oberflächlich.

„Ja, so heißt – oder hieß – er.“, antwortete Andy.

Alle knurrten als Andy Carlisle die Bestätigung gab.

„Aber was sollen wir jetzt machen? Dieser James blockiert mich!“ Andy biss die Zähne zusammen. „Solange dieser Vampir hier herum spukt, können wir Bella nicht holen.“, sagte er verzweifelt.

Ja, da hatte er wohl recht. Und einer der schon tot ist, kann nicht noch einmal getötet werden. Dann fiel mir etwas ein. Eine kleine Möglichkeit. Ein kleiner Trost. Aber besser als Nichts. Ich riss die Augen auf und blickte Andy hoffnungsvoll an.

„Warte. Du und Bella seid doch in der Lage telepathisch miteinander zu kommunizieren. Vielleicht kannst du ja mit ihr Kontakt aufnehmen. So wissen wir wenigstens, ob es ihr gut geht.“

Andys Blick hellte sich etwas auf und lächelte fast. Auch wenn er wie ich Hoffnung schöpfte, so sah er nicht überzeugt aus.

„Ich versuch’s.“, sagte er dennoch. Andy schloss die Augen und konzentrierte sich. Ich betete dafür, dass es funktionierte.

Nach 12 Sekunden schlug er die Augen wieder auf und sah niedergeschlagen aus. Andy sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf. Die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit breitete sich in mir aus. Bella war in der anderen Welt und ich konnte nicht zu ihr. Sogar die Telepathie half hier nicht. Dann durchbrach Andy die Stille. Er klang schon etwas fröhlicher, was durch seine Traurigkeit allerdings kaum zu hören war.

„Ich bin sicher es geht ihr gut, egal wo sie gelandet ist. Die andere Alice wird sie bestimmt gesehen haben und einer der anderen Cullens wird sie bestimmt abholen. Und selbst wenn ich nicht rüber wechseln kann, Bella ist dazu noch in der Lage. Ich bin sicher, dass sie so schnell wie möglich einen Weg wieder zurück finden wird.“

Andy sah mich mit einem Blick an, der mich wohl ermutigen sollte. Ich versuchte zu lächeln, doch mein Mund verzog sich zu einer Grimasse.

Dann sagte er mehr zu sich selbst: „Und ich werde versuchen, diese Fähigkeit zu trainieren. Irgendwann werde ich es schaffen problemlos rüber zu wechseln. Ob mich nun ein Geist blockiert, oder nicht.“

Elizabeth nahm Andys Hand und sah ihn an. „Und wir alle werden dich dabei unterstützen, wo wir nur können.“, versprach sie. Wir alle nickten zustimmend.

„Bella, ich hoffe du bist wohlauf.“, sagte ich und schaute durch die Glaswand hinaus ins Freie.

Die Rückkehr




Bellas POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




Mein Herz raste vor Angst und ich hatte vor Schreck die Augen weit aufgerissen. Ich war wie erstarrt und schaute Edward und Laurent unverwandt an. Natürlich konnte ich die meisten ihrer Bewegungen nicht wahrnehmen, da sie viel zu schnell für menschliche Augen waren. Ich hatte Angst.

Angst, dass Edward etwas passieren könnte. Wenn er nun diesen Kampf verlor, und Laurent ihn umbrachte, dann konnte er sich ungestört mir, seiner Beute, widmen. Aber ich wollte sowieso nicht mehr leben, wenn Edward nicht mehr existierte. Ohne ihn war mein Leben sinnlos. Auf einmal standen Laurent und Edward mir gegenüber, jedoch mit einer gewissen Distanz. Edward hielt Laurent an seinen Armen fest, sodass er nicht zu mir gelangen konnte. Aus seinem Blick sprach die reine Blutgier. Dann bemerkte ich, dass Edwards Gesicht schmerzverzerrt war. Sein Blick war auf mich gerichtet. Wahrscheinlich machte er sich über mich Sorgen.

Verstand er denn nicht, dass ich die letzte sein sollte, um die er sich in diesem Moment Sorgen machen sollte? Er sollte sich ganz auf den Kampf konzentrieren. Denn wenn er so unachtsam ist, wie jetzt, dann hätte Laurent vielleicht die Möglichkeit, Edward zu überwältigen. Somit erhöhte sich die Chance, dass Edward – und somit ich auch – sein Leben verlor. Als ich mir das vorstellte, wuchs meine Angst in unfassbarer Höhe. Plötzlich vernahm ich ein Flimmern. Meine Umgebung flackerte.

°Oh, nein. Nicht jetzt!°, dachte ich verzweifelt.


(Paralleluniversum)




Ich versuchte meine Angst einzudämmen. Doch der Übergang dauerte nur einen Moment. Hätte ich geblinzelt, hätte ich den Übergang bestimmt nicht mitbekommen. Ich war woanders, und doch war ich es nicht. Ich war immer noch auf der Lichtung. Man könnte denken, dass ich mich nicht gerührt hatte. Irgendwo stimmte es ja auch. Aber es war nicht dieselbe Lichtung. Denn ich war allein. Allein. Ohne Edward, ohne Laurent, ohne irgendjemandem. Ich hörte auch keine sonderbaren Geräusche, wie Schläge, die so laut wie Donner waren, kein Knacken, kein Reißen, kein Knurren.

Nichts.

Nur der Wind, der die Gräser und Blumen sanft wog. Ja, ich war wieder in der anderen Welt gelandet. Als ich mir dessen bewusst wurde, beruhigte sich mein Körper wieder. Mein Atem und Herzschlag wurden ruhiger. Die Angst klomm ab und das Blut kehrte wieder zurück. Zuerst war ich erleichtert. Doch dieses Gefühl wurde gleich darauf von Angst und Verzweiflung abgelöst.

Ich war hier und Edward war dort drüben. Ich war nicht bei ihm. Wie hat er wohl auf mein Verschwinden reagiert? Konnte er sich jetzt dennoch auf den Kampf konzentrieren? Würde er gegen Laurent gewinnen? Diese Fragen lagen mir auf der Zunge und es frustrierte mich sehr, dass ich auf diese keine Antwort erhalten konnte.

Wenn er gegen Laurent gewann, wie kam Edward mit meinem Verschwinden zurecht? Wir hatten doch gerade erst wieder zueinander gefunden und nun waren wir wieder getrennt. Sicherlich machte er sich Sorgen und hatte Schuldgefühle. Natürlich unbegründet. Er konnte nichts dafür, dass Laurent aufgetaucht ist, und ich unter anderem dadurch verschwand. Es war nicht seine Schuld, dass er sein Versprechen nicht halten konnte. Ich verfluchte dieses heftige Angstgefühl, welches mich übermannt hatte.

Ich müsste versuchen, diesen Übergang willentlich hervorzurufen. Schließlich kann Angst ja nicht der einzige Auslöser sein. Ich war also hier erst einmal „gefangen“ und musste mir überlegen, wie ich so schnell wie möglich wieder bei Edward, meinem Bruder, meinen anderen Familien sein kann.

Diese Gedanken beschäftigten mich, während ich versuchte, aus dem Wald hinauszufinden. Dies war gar nicht so leicht, denn ich wusste nicht, wie man zur Straße beziehungsweise zum Pfad zurückkam. Dennoch versuchte ich mein Glück und lief etwas unbeholfen durch den Wald. Ein paar Mal wäre ich fast hingefallen. Ich musste wirklich darauf achten, wo ich hinlief und schaute mehr auf den Boden, als nach vorn. Dann spürte ich einen Luftzug. Ich sah Füße vor mir auf dem Boden und im selben Moment sprach mich jemand an.

„Bella, was machst du denn hier?“

Ich hob den Kopf und sah in ein schönes, blasses, lächelndes Gesicht. Automatisch lächelte ich ebenfalls und warf mich in ihre Arme. Ich schluchzte leise.

„Oh, Alice! Ich bin so froh, dass du hier bist.“

Ich schlang die Arme um sie und atmete ihren köstlichen Duft ein. Sie erwiderte meine Umarmung. Als ich mich wieder gefasst hatte, löste ich mich von ihr und schaute sie an.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen.“ Alice sah mich fragend an.

„Was machst du hier? Bist du hinüber gewechselt?“ Ich zögerte kurz.

„Ja…“ Ich wurde bekümmert. „Der andere Edward hatte gegen Laurent gekämpft, um mich zu beschützen. Ich hatte solche Angst um ihn, sodass ich wieder hierher kam.“

Alice verzog den Mund und runzelte die Stirn. Ihre Mimik verwirrte mich. „Was ist?“, fragte ich sie.

„Ach…Nichts! Komm, ich trage dich. Oder willst du noch ewig durch den Wald laufen?“, neckte Alice mich.

Ich seufzte erleichtert und kletterte auf ihren Rücken. Ich schlang die Arme fest um ihren Hals, bevor sie schließlich losrannte. In wenigen Minuten waren wir am Haus angelangt und wir wurden schon von den anderen erwartet. Esme kam auf mich zu und begrüßte mich mit einer Umarmung.

„Schön, dich wiederzusehen, Bella.“

„Hallo.“, antwortete ich nur.

Was Besseres wollte mir in diesem Moment nicht einfallen. Nachdem Esme mich losließ, begrüßten mich auch die anderen. Rosalie schaute mich dabei freundlich an.

Edward sagte: „Schön, dass es dir gut geht!“, lächelte sein schiefes Lächeln und umarmte mich ebenso.

Ich musste mich darauf konzentrieren, mich nicht an ihm zu klammern, oder ihn zu küssen. Schließlich war das ja Alice‘ Edward, nicht meiner. Aber ich genoss es, seinen köstlichen Duft tief einzuatmen, bevor er mich frei gab. Mir wurde wieder bewusst, wie sehr mir Edward fehlte und wie viel er mir bedeutete.

„Hey, wo ist deine bessere Hälfte?“, fragte mich Emmett zur Begrüßung.

Diese Frage brachte mich zum Schmunzeln und wie nicht anders zu erwarten, lief ich natürlich rot an.

„Welche meinst du?“, hackte ich nach. „Ich habe zwei.“

„Okay, dann lass mich anders fragen. Wieso bist du alleine wieder zurückgekehrt?“

Ein Lächeln war immer noch in seiner Stimme zu hören, doch er war jetzt ernster. Nun sahen mich 6 Augenpaare fragend an. Auch Alice, obwohl ich es ihr schon erzählt habe. Und müsste das Edward somit nicht auch längst wissen? Dennoch antwortete ich auf die Frage.

„Es war alles gut. Andy und ich waren drüben bei den anderen Cullens. Dann kam Elizabeth dazu…und Andy hatte von seiner schrecklichen Vergangenheit erzählt…“

„Was meinst du damit?“, unterbrach mich Rosalie neugierig.

Ich verzog das Gesicht. Ich wollte nicht davon erzählen, weil es mir wehtat. Dennoch wollte ich ihnen die Wahrheit nicht verschweigen. Meine Antwort kam daher etwas schroff heraus, obwohl das nicht meine Absicht war.

„Er wurde für eineinhalb Tage lebendig begraben.“, beendete ich das Thema.

Rosalies Blick war nun einfühlsam und entschuldigend. Auch die anderen sahen mich jetzt besorgt an.

Ich holte tief Luft und sprach weiter: „Dann hat er den anderen Carlisle gebeten ihn – und indirekt auch mich – in die Familie mit aufzunehmen. Er stimmte zu, doch wir sollten uns noch etwas Zeit lassen.“

Ich sah, wie Carlisles Augen vor Erstaunen groß wurden.

„Andy und Elizabeth kamen sich näher…und sie sind jetzt ein Paar.“

Meine Mundwinkel hoben sich, dann wurde ich wieder ernst. Nun kam der unangenehme Teil.

„Edward wollte die beiden nicht länger stören und so ist er mit mir zu einer Lichtung gegangen. Da kam Laurent. Er war sehr durstig und ich war leider zur falschen Zeit, am falschen Ort.“

Als ich dies sagte, machten alle große Augen. Dann runzelten die Cullens die Stirn, als ob sie sich über etwas wundern würden. Seltsam. Genauso hatte Alice auch reagiert. Warum?

„Edward kämpfte gegen Laurent, um mich zu beschützen. Dabei wuchs meine Angst um ihn immer weiter, sodass ich schließlich wieder hier landete.“ Ich zögerte und seufzte. „Ich weiß nicht einmal, wie der Kampf ausgegangen ist. Ob es ihm gut geht.“

„Dann ruf ihn doch an.“, sagte Alice. Ich blinzelte entgeistert.

Ich war so erleichtert, dass ich fast gelacht hätte. Stimmt, das Handy von Edward. Und jetzt ist Elizabeth ja auch drüben.

„Stimmt. Daran habe ich nicht gedacht.“

Sie rechte mir ein kleines Mobiltelefon. Ich suchte im Telefonbuch nach Elizabeths Nummer. Ich drückte die Anruftaste und betete, dass Edward den Kampf heil überstanden hatte. Nach dem ersten Klingeln wurde bereits abgehoben.

„Hallo, Alice.“, hörte ich Elizabeths Engelsstimme fragen. Sie klang ganz normal. Also nicht beunruhigt.

„Nein, hier ist…“

Doch weiter kam ich nicht. Ich wurde sofort unterbrochen.

„Bella? Oh, mein Gott!“, ihre Stimme überschlug sich vor Erleichterung.

Sie wollte mich noch etwas fragen, doch da wurde ihr der Hörer entrissen und eine Stimme, nach der ich mich am Meisten sehnte, sprach zu mir.

„Bella? Bella, Liebste! Wo bist du? Geht es dir gut?“ Seine Stimme klang besorgt und erleichtert zugleich.

Als ich seine Stimme hörte, hatte ich einen Kloß im Hals. Ein Schluchzen stieg in mir auf und ich merkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.

„Oh, Edward. Dir geht es gut.“, schluchzte ich, „Ich hatte solche Angst um dich.“ Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen.

„Ja, mir geht’s gut. Ich bin gerade bei den anderen Cullens. Beim Wechsel war ich wieder auf der Lichtung und Alice hat mich abgeholt.“

Ich hörte ein erleichtertes Seufzen am anderen Ende. „Gott sei Dank bist du unversehrt! Es tut mir so leid, Bella. Wieder einmal habe ich dich in Gefahr gebracht und ich habe…“

Nein, das kann doch wohl nicht wahr sein! Edward machte sich natürlich wieder Vorwürfe und gab sich an allem wieder die Schuld. Ich musste ihn unterbrechen. Sofort! Bevor er noch mehr von sich geben konnte.

„Edward!?“ Ich brüllte es fast. „Hör‘ bitte auf damit, dir selbst an allem die Schuld zu geben. Dafür konntest du nichts. Du konntest nichts dafür, dass Laurent aufgetaucht ist und nichts dafür, dass ich Angst um dich hatte und somit wieder in der anderen Welt gelandet bin. Und nein, du hast dein Versprechen nicht gebrochen!“, sagte ich klar und energisch.

Er seufzte und gab auf. Er wollte nicht mit mir streiten und ich nicht mit ihm. Er war einfach nur froh, dass mir nichts passiert ist.

„Ich liebe dich.“, sagte er inbrünstig.

„Ich liebe dich noch mehr.“, flüsterte ich zurück. Er lachte leise.

„Dein anderer Seelenverwandter möchte unbedingt mit dir sprechen.“, verkündete er mir schmunzelnd.

„Na dann gib mir mal mein anderes Yang.“, sagte ich locker.

Wieder lachte Edward, bevor er den Hörer weiterreichte.

„Hallo, Schwesterchen.“, begrüßte Andy mich.

„Hallo, Bruderherz. Was ist los?“

„Du verschwendest wohl keine Zeit was?“ Er atmete tief ein, dann fuhr er fort. „Also, hör mir jetzt genau zu, Bella. Es ist wichtig. Als Edward nach dem erfolgreichen Kampf mit Laurent zurückkam, wollte er natürlich sofort zu dir. Also bat er mich, meine Fähigkeit zu nutzen, um dich zu holen. Alle anderen wollten mit. Ich konzentrierte mich und Elizabeth half mir sogar dabei,…aber…es hat nicht funktioniert.“

Ich runzelte die Stirn. „Was? Wieso nicht?“, fragte ich verwirrt und aufgebracht.

„Geister können unsere Fähigkeit blockieren beziehungsweise sie beeinflussen. Mir erschien ein Geist, namens James.“ Er machte eine Pause und ich zuckte zusammen.

„Mmh.“, bestätigte ich nur.

Ich wollte nicht mehr dazu sagen. Ich erinnerte mich noch sehr gut, als ich letzten Frühling in Phoenix war. Ich sah mir die Narbe auf meinem Arm an und sah alles wie eine Rückblende wieder vor mir.

„Jedenfalls er ist der Grund, warum ich nicht kommen kann.“, riss mich Andys Stimme wieder aus meinen Erinnerungen. „Er hat so einen Hass auf Edward und auf dich, dass er es schafft, mich nicht gehen zu lassen. Ich denke, dies ist möglich, da wir diese Fähigkeit nur durch Angst und eher automatisch auslösen. Ich bin sicher, wenn wir diese Fähigkeit, also uns mehr psychisch trainieren, dann können wir problemlos hin und her reisen. Schließlich, kann die Angst ja nicht der einzige Schlüssel sein.“

„Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht.“, stimmte ich Andy zu.
„Wer hätte gedacht, dass Geister dazu in der Lage sind…“

Am anderen Ende herrschte Stille. Irgendetwas stimmte nicht. Das spürte ich genau.

„Andy? Was ist los? Du verschweigst mir doch was! Raus damit!“, forderte ich.

„Geister können auch Einfluss darauf nehmen,…was wir sehen.“ Er machte eine Pause. „James ist derjenige, der dir fast jede Nacht die Alpträume geschickt hat. Er hat sich gedacht, wenn er gegen Edward nicht mehr kämpfen kann, dann quält er dich.“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort etwas leiser.

Jetzt war ich diejenige, die darauf nichts erwiderte.

„Ich liebe dich. Und…komm bald nach Hause. Wir werden hier sonst noch alle wahnsinnig. Besonders Edward und ich.“, sagte er nur.

Ich hatte mich wieder gefasst und blinzelte. Dann huschte ein leichtes Lächeln über mein Gesicht.

„Ich werd’s versuchen.“ Ich beendete das Gespräch.

Dann wandte ich mich zu den anderen Cullens.

„Also…“, wollte ich gerade beginnen, doch Alice unterbrach mich.

„Du brauchst uns nichts zu erklären. Wir haben alles gehört.“ Ich seufzte.

„Ach ja, ihr habt ja gute Ohren.“

„Erstaunlich, dass Geister eine solche Macht besitzen.“, sagte Carlisle nachdenklich.

Ich nickte. Langsam ärgerte ich mich wirklich über diese Tatsache. Erst quält mich James mit diesen Alpträumen und jetzt verhindert er, dass Andy rüber wechseln kann. Aber egal. Ich würde schon einen Weg zurück finden, ohne dafür in Hysterie zu verfallen. Das schwor ich mir. Denn ich vermisste meinen Bruder. MEINEN Edward. Und Charlie. Erst hatte er mich wieder und jetzt war ich schon wieder verschwunden. Naja, ich konnte ihn ja wenigstens anrufen.

Gesagt, getan. Ich nahm das Handy und wählte Charlies Nummer. Ich hoffte, dass sie richtig war. Er ging selbst ans Telefon.

„Chef Swan?“

„Hallo Dad, hier ist Bella.“

Ich musste mich vergewissern, dass es der Charlie von drüben war, deshalb fragte ich: „Tut mir leid, dass ich das frage, aber hast du ein Kind oder zwei Kinder?“

Stille.

„Bella ich habe – genauer weise hatte ich nur dich.“, sagte er ernst und trist.

Ich hasste mich dafür, ihm so wehtun zu müssen. Aber ich hatte nun mal keine andere Wahl.

„Tut mir leid. Ich wusste nicht, wen ich von euch beiden an der Strippe habe.“ Charlie holte tief Luft.

„Naja…Jetzt weißt du es ja. Also Bella, was kann dein einer alter Vater für dich tun? Was ist los?“, fragte er jetzt besorgt.

„Mir geht’s gut.“, beruhigte ich Charlie erst einmal. „Also Charlie. Ich weiß nicht wieso.“, log ich, „Aber ich bin jetzt wieder in der anderen Welt.“

Wieder Stille. „Bei deinem richtigen Vater.“, stellte er fest.

„Nein.“, widersprach ich langsam, „Bei meinem anderen Vater.“

Als er jetzt weiter sprach, klang er erleichtert, aber ebenso wieder traurig. „Und willst du…dich…verabschieden?“ Er schluckte schwer.

„Nein! Ich möchte natürlich wieder zurückkommen. Ich weiß nur noch nicht wann.“, und wie, fügte ich in Gedanken hinzu. „Ich wollte dir nur Bescheid geben. Nicht, dass du dich wunderst, warum ich nicht nach Hause komme.“

„Ach so.“ Er lachte kurz vor Erleichterung auf. „Dann weiß ich ja jetzt Bescheid. Pass bitte gut auf dich auf. Ich will dich nicht noch einmal verlieren.“, sagte er ernst.

„Das wirst du auch nicht!“, bestätigte ich. „Ich hab‘ dich lieb, Dad. Bis bald.“

„Ich hab‘ dich auch lieb, Bella. Tschüss. Und…komm‘ bald wieder nach Hause.“, bat Charlie.

Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Er hatte aufgelegt. Ich klappte das Handy zu und gab es Alice zurück.

„Danke.“, sagte ich zu ihr.

„Nicht der Rede wert.“, erwiderte sie und machte eine wegwerfende Handbewegung.

Dann lächelte sie mich an. Ich erwiderte ihr Lächeln und dann sprach ich an alle gewandt: „Danke, dass ihr mich geholt habt. Könntet ihr mich bitte zu Charlie bringen?“

„Natürlich.“, sagte der andere Edward und trat auf mich zu.

Er lächelte sein schiefes Lächeln, bei dem ich immer sofort „schwach“ wurde. Dabei spielte es keine Rolle, um welchen Edward es sich handelte. Genetisch waren die beiden ja absolut identisch. Ich merkte, wie sich automatisch meine Mundwinkel hoben. Merkwürdig, als er mich das letzte Mal angelächelt hatte, hätte ich vor Schmerzen schreien können. Jetzt tat ich das Gegenteil.

Ich verabschiedete mich von den anderen Cullens und Carlisle versprach mir, mir bei meinem Training zu helfen. Ich habe dankend angenommen. Edward ging mit mir hinaus zur Garage, wo sein silberfarbener Volvo stand. Natürlich, sie haben beide denselben Autogeschmack. Ich hatte darauf nur noch nie geachtet.

Er hielt mir die Beifahrertür auf und ich stieg ein. Wir fuhren – natürlich viel zu schnell – aus der Garage hinaus und auf die Straße. Dann durch Edwards weiche Stimme die Stille.

„Bella?“

Verdammt! Jetzt verfluchte ich irgendwie die Tatsache, dass sie identisch waren. Seine Stimme hatte genau den samtweichen Klang, wenn mein Edward meinen Namen ausspricht. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich versuchte mich wieder zu beruhigen. Das ist nicht dein Edward! Das ist nicht dein Edward! Das sagte ich mir immer wieder. Ich sah ihn dennoch lächelnd an.

„Ja?“

„Darf ich dich was fragen?“ Er klang leicht nervös, glaubte ich.

„Alles!“, sagte ich leider etwas zu enthusiastisch, als es der Situation angemessen war.

Als mir dies bewusst wurde, verzog ich leicht das Gesicht. Edward lächelte mich an. Dann wurde seine Miene ernst. Seine bernsteinfarbenen Augen schienen sich etwas zu verdunkeln. Auch fiel mir auf, dass seine Iris sowieso etwas dunkler war. Er war also schon etwas länger nicht mehr auf der Jagd.

„Bist du jetzt wieder wirklich glücklich?“, fragte er ernst, wobei er das Wort „wirklich“ sehr betonte. Ich antwortete nicht gleich.

„Ja, das bin ich.“, sagte ich beschwörend.

„Dann ist ja gut.“ Ich dachte, er wollte das Thema damit beenden, doch dann sprach er weiter: „Du weißt, dass du und dein Bruder immer bei uns willkommen seid.“

„Edward, was willst du damit sagen?“, fragte ich ihn vorsichtig, obwohl ich schon eine Ahnung hatte.

„Naja…“, er zögerte, „Er hat dich schließlich schon einmal verlassen. Wer sagt, dass er es nicht wieder tut?“

Er machte eine Pause, als er sah, dass ich bei seinen Worten zusammen zuckte. Sein Mund verzog sich etwas. Bestimmt bereute er es, meine Frage zu beantworten.

„Ich will einfach nicht, dass du noch einmal so verletzt wirst.“

„Edward…“ Doch er hob eine Hand und brachte mich damit zum Schweigen.

„Lass mich bitte ausreden. Weißt du noch, wie du hier angekommen bist?“

Natürlich wusste ich das. Er fuhr fort, da er keine Antwort von mir erwartete.


„Du warst total verstört. Und als du mich das erste Mal erblickt hattest, bist du in Ohnmacht gefallen. Du hast geweint, hast dich selbst umarmt, als würdest du deinen Körper davor bewahren in Stücke zu zerfallen. Dein Gesicht war blass und fahl und du hattest tiefe Ringe unter den Augen. Man kann sagen, dass du wie eine lebende Tote gewirkt hast. Wenn du nicht geweint hast, dann wirkte dein Blick leer und ausdruckslos. Du hattest etwas von einem Vampir. Es war ein grauenvoller Anblick. Und als ich dich tröstend anlächelte, bist du zusammen gezuckt und meine Schwester hat mir deinen Schmerz über ihre Gedanken mitgeteilt. Sie hatte noch nie einen so heftigen Schmerz verspürt. Elizabeth musste sich sehr zusammen reißen, dass sie nicht vor Schmerz auf die Knie sank. Und das Schlimme war, dass Andy genauso aussah wie du. Auch wenn ihr es versucht habt, es zu überspielen, hat das nicht funktioniert. Ich habe mich dafür selbst gehasst, obwohl ich nichts dafür konnte. Aber ich sehe nun mal aus wie er. Es war schrecklich euch beide so zu sehen und ich hatte ständig Schuldgefühle.“


Er schauderte. Dann holte er tief Luft und sprach weiter.

„Ich möchte einfach diesen Ausdruck nie wieder bei dir oder bei Andy sehen. Ich vertraue…Edward einfach nicht.“

Er sprach diesen Namen sehr widerstrebend aus. Fast als ekele er sich. Er vertraute…sich…selbst…nicht? Das alles war wirklich zu absurd. Ich kicherte leise über diesen Gedanken. Er sah mich verwirrt an und seine Augen wurden groß.

„Was ist daran so lustig?“, fragte er fast zischend.

Als ich seinen Blick sah, wurde ich wieder ernst.

„Nichts.“, wischte ich seine Frage weg.

Ich sah ihm tief in die Augen. Er sollte sehen, wie wichtig mir diese Antwort ist.

„Edward…“, sagte ich klar und deutlich, „Ich kann dich verstehen, wirklich. Aber ICH LIEBE IHN.“, betonte ich. „Er hat mir geschworen, dass er mich nie wieder verlassen wird.“ Ich sagte es so überzeugend wie möglich.

Eine leise Stimme in mir meldete sich: „Bist du dir da wirklich sicher?“

Ich versuchte sie zu ignorieren. „Du hast nicht sein Gesicht gesehen, als er mich von seiner Liebe wieder überzeugen wollte und ich ihnen nicht glaubte. Sein Gesicht war noch blasser als sonst und war schmerzverzerrt. Es war, als würde er innerlich verbrennen. Weißt du, was mir die Kraft gab, ihm wieder etwas Vertrauen zu schenken?“

Edward runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach.

„Nein.“, antwortete er und schüttelte den Kopf.

„Es waren die Worte, die du zu mir gesagt hast.“

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Ich sah Schmerz und Verblüffung darin.

„Oh.“, sagte er so leise, dass ich es fast nicht hören konnte.

Ich lächelte ihn an, er erwiderte es etwas zögerlich. Dann seufzte er und atmete tief ein.

„Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte.“, sagte er mit ernster rauer Stimme. „Aber…pass‘ bitte auf dich auf.“ Ich nickte ernst.

„Ja!“

Ich wollte gerade aussteigen, wir waren schon ein paar Minuten bei Charlies Haus.

„Bella?“ Ich drehte mich wieder zu ihm um.

„Mhh?“

„Wenn du wieder zu uns willst oder Hilfe brauchst, ruf uns an."

Er reichte mir sein Handy. Ich runzelte die Stirn und zog eine Augenbraue hoch.

„Noch ein Handy? Wie viele habt ihr denn davon?“

„Nimm es einfach, bitte.“, sagte er eindringlich.

Ich seufzte, nahm es aber an mich und steckte es in meiner Hosentasche.

„Danke,…für alles.“ Er grinste mich an.

„Immer gern.“

Ich griff nach der Türklinke und stieg aus. Ich ging zur Haustür und hörte, wie quietschende Reifen die Straße entlang fuhren. Ich lächelte in mich hinein. Vampire und schnelle Autos. Ich schüttelte den Kopf.

Ich klopfte an die Tür, doch niemand öffnete sie. Natürlich. Charlie ist noch nicht zuhause. Ich schaute unter dem Dachvorsprung und hoffte, dass auch hier in dieser Welt ein Ersatzschlüssel lag. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich schloss die Tür auf und trat ein.

Ich zog meine Schuhe aus und hängte meine Jacke an den Hacken. Ich atmete aus. Schön, wieder hier zu sein. Ich ging in die Küche, weil ich mir überlegte habe, für Charlie etwas zur Überraschung zu kochen. Ich machte den Kühlschrank auf und sah, dass er ziemlich voll aussah.

„Oh.“, sagte ich freudig überrascht.

Dann konnte ich ihm was kochen, ohne vorher einkaufen zu müssen. Als ich daran dachte, war ich glücklich, dass ich den Schlüssel des Transporters bei mir in der Jackentasche hatte. Ich beschloss, eine Kartoffelsuppe zu machen. Ich machte mich sofort an die Arbeit.

Ich war froh, eine alltägliche Beschäftigung zu haben. Ich versuchte über nichts nachzudenken, um mich voll und ganz auf meine Arbeit zu konzentrieren. Es funktionierte. Als ich die Möhren in Scheiben schnitt, geschah etwas Merkwürdiges.

Ich spürte einen Schmerz und sah auf meine Handfläche. Eine kleine, nicht tiefe Wunde war zu sehen, aus der das Blut floss. Seltsam. Ich war mir ziemlich sicher, dass das Messer nicht mit meiner Handfläche in Kontakt kam. Ich runzelte die Stirn, dann beschloss ich die Sache zu vergessen und spülte meine Wunde aus.

Ich klebte ein Pflaster auf die Wunde und fuhr mit meiner Arbeit fort. Aber ganz konnte ich doch nicht das eben Geschehene vergessen. Wie konnte ich mich schneiden, ohne mich zu schneiden? Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte ich mich doch geirrt. Vielleicht war ich so in meiner Arbeit vertieft gewesen, dass ich es einfach nicht gemerkt hatte, wie ich mich schnitt.

Ich bereitete weiter das Essen vor und bald hatte ich einen großen Topf voller gut riechender Kartoffelsuppe. Ich sah auf die Uhr. Charlie müsste gleich nach Hause kommen. Ich füllte zwei Teller mit der Suppe und stellte sie auf den Küchentisch. Während ich den Tisch weiter deckte, hörte ich, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Die Tür wurde geöffnet.

„Sarah?“, fragte er.

Charlie hatte natürlich das Essen gerochen. Sonst hätte er garantiert anders reagiert.

„Nein.“, sagte ich lächelnd.

Ich hörte schwere schnelle Schritte näher kommen. Mein anderer Vater stand erst verdutzt, dann lächelnd vor mir. Er kam zu mir und umarmte mich fest.

„Bella!“, begrüßte er mich freundlich. „So schnell schon wieder zurück? Ich dachte, dass du länger bei deinem anderen Vater bleiben willst.“ Ich lächelte ihn an.

„Sagen wir einfach, ich bin zu Besuch und weiß nicht, wie lange ich bleiben werde.“

„Okay.“, erwiderte Charlie nur.

„Hallo, Dad.“, sagte ich liebevoll. „Ich habe dir was zu essen gemacht.“

Ich machte eine Geste zum Tisch hin.

„Danke“, sagte Charlie und setzte sich an den gedeckten Tisch. Ich deckte den Tisch vollständig zu Ende und setzte mich ihm gegenüber.

„Guten Appetit. Lass‘ es dir schmecken.“

Er erwiderte nichts, sondern tauchte seinen Löffel in die Suppe und schob ihn gierig in seinen Mund hinein. Er schluckte schnell hinunter und dann griff er nach seinen Glas und trank hastig daraus.

„Das ist ja heiß!“ Ich lachte.

„Das hättest du eigentlich wissen müssen.“, kommentierte ich immer noch lachend.

(Un-)Schuld





Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Während wir beide aßen, fragte Charlie nach seinem Doppelgänger und Andy. Ich sagte ihm, dass es Andy sehr gut ginge und dass er dort schon eine Freundin gefunden habe.

„Wirklich?“, fragte er überrascht. „In der kurzen Zeit? Ich würde sie zu gerne treffen.“ Ich grinste ihn an. Charlie runzelte die Stirn. „Was ist?“, wollte er wissen.

„Du hast sie schon getroffen.“, sagte ich und grinste noch breiter.

Jetzt sah Charlie nur noch verwirrter aus. „Wann denn?“, fragte er misstrauisch.

„An Halloween.“ Daraufhin war es eine kurze Weile still.

„Moment mal…WAS?“, entfuhr es ihm entsetzt. „Meinst du etwa…? Ich meine, dass Mädchen ist doch nicht etwa…Elizabeth Cullen!?“

Er musste ein paar Mal tief durchatmen, damit er sich wieder beruhigte. Langsam erholte sich Charlie von dem Schock.

„Ja.“, bestätigte ich leise.

„Oh.“, seufzte er. „Es ist ja nicht so, dass sie nicht nett und hübsch ist.“, sagte Charlie langsam.

Hübsch? Er beschrieb Elizabeth mit hübsch? Das war natürlich maßlos untertrieben. Elizabeth ist eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe. Sie ist wenigstens wunderschön. Aber dieses Wort kam ihrem Aussehen auch nicht gerecht.

„Aber die Cullens haben so etwas Unheimliches an sich.“

Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Erstens, hast du das schon mal gesagt und zweitens, vielleicht stehen Andy und ich auf Unheimliches.“

Ich grinste ihn erneut an. Jetzt musste Charlie gegen seinen Willen auch grinsen.

„Okay, okay. Ihr seid alt genug. Ihr müsst wissen, was ihr tut.“ Dann wurde seine Miene ernst und besorgt. „Aber wenn dich dein Freund zu sehr gegen deinen Willen bedrängt, dann zögere nicht, mir Bescheid zu geben.“

Meine Augen weiteten sich vor Überraschung. „Woher…?“, setzte ich an, doch Charlie unterbrach mich sofort.

„Ich habe deinen fröhlichen Gesichtsausdruck gesehen.“ Er hielt inne. „Also habt ihr euch…wieder…versöhnt?“ Charlie hatte damit ins Schwarze getroffen.

„Ja.“, sagte ich und nickte.

„Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst, Bella.“, sagte Charlie und schaute mir tief in die Augen.

Ich beendete das Thema Edward mit den Worten: „Ich weiß. Danke.“

Dann widmeten wir uns schweigend wieder unserem Essen zu. Nach einer Weile fragte Charlie etwas zögerlich: „Aber wie ist Elizabeth rüber in die andere Welt gekommen?“

„Wir haben sie mitgenommen.“, antworte ich trocken. Er musste ja nicht alles wissen. So ist es besser für ihn und alle anderen.

„Ah.“, sagte Charlie nur.

Dann war unser Gespräch wieder beendet. Ich fand das ziemlich gut. Ich hatte keine Lust mehr darüber zu reden. Nach dem Abendessen sagte ich Charlie gute Nacht, bevor er wieder ins Wohnzimmer ging, um sich ein Spiel anzusehen. Auch wenn es noch relativ früh war, war ich doch ziemlich geschafft. Die Begegnung mit Laurent hatte ziemlich an meinen Kräften gezerrt.

Ich machte mich für die Nacht fertig und legte mich in mein Bett. Als ich im dunkler werdenden Zimmer hoch an die Decke starrte, kam mir ein schrecklicher Gedanke. Ich war allein. Edward, mein Edward war nicht hier. Würde ich wieder Alpträume bekommen? Ich hoffte es vom ganzen Herzen nicht, aber mein Verstand sah das völlig anders. Ja, ich war mir ziemlich sicher, dass ich Alpträume haben würde. Denn auch wenn Edward mich nicht verlassen hatte, so war er doch nicht bei mir, und würde auch diese und die nächsten Nächte nicht kommen. Falsch ich schrie, würde er mich nicht aus meinem Traum befreien. Eher würde es Charlie tun.

Charlie!

Ja, Charlie würde garantiert herauf kommen, wenn ich laut schrie. Er kannte diese Situation nicht. Das glaubte ich zumindest. Ich beschloss ihn vorzuwarnen und ging hinunter ins Wohnzimmer. Als er mich in meinem Schlaf-Jogginganzug erblickte, zog er verwirrt seine Augenbrauen zusammen.

„Ist was, Bella?“ Ich nickte.

„Ja, also…“, setzte ich an und holte tief Luft. „Es kann sein, dass du Schreie aus meinem Zimmer hörst. Du brauchst aber nicht extra ins Zimmer kommen. Es sind nur Alpträume.“ Er sah sofort sehr besorgt aus. Ich versuchte die Sacher herunterzuspielen. „Ich bin schon daran gewöhnt. Mach‘ dir keine Gedanken. Ich werde von keinem Einbrecher erwürgt, oder so.“ Ich lachte, aber es klang gekünstelt. Charlie sah immer noch erschrocken aus. „Mach‘ dir keine Sorgen.“, versuchte ich ihn wieder zu beruhigen.

Nach einer Weile sagte er: „Okay.“

Er versuchte es beiläufig klingen zu lassen, aber dennoch war seine Sorge überdeutlich zu hören.

„Nacht, Dad.“

„Nacht, Bella.“

Ich ging wieder zurück in mein Zimmer und legte mich in mein Bett. Sofort durchfuhr mich wieder die Verzweiflung. Dann kam mir eine rettende Idee. Ich stand auf und ging zum Schaukelstuhl. Dort über der einen Lehne hing meine Jeans. Ich holte das Handy heraus, was der andere Edward mir vor Stunden gegeben hatte. Ich seufzte erleichtert und legte mich abermals in mein Bett und deckte mich zu. Das Handy wieder in den Händen haltend, wählte ich die Nummer von Edwards Handy. Von meinem Edward. Wow, erstaunlich, dass ich sie im Kopf hatte. Es klingelte einmal, dann hob er ab.

„Hallo?“

Seine Stimme klang verwirrt, höfflich, und traurig. Trauer, weil wir beide nicht zusammen waren. Ich schluckte schwer, dann sprach ich.

„Hallo, Edward.“, sagte ich vorsichtig. Dennoch versuchte ich all meine Liebe in diesen Worten zu legen.

„Bella!“, es klang erleichtert, nein in diesem einen Wort schwang viel mehr mit. Es war, als ob er durch meine Worte die Absolution erhielt. „Oh, Liebste, es ist so schön deine Stimme zu hören! Wie geht es dir? Wo bist du?“ Seine Stimme war etwas höher als sonst, vor Freude und Sorge.

„Ich bin immer noch in der anderen Welt und gerade in meinem Bett. Der andere Edward hat mir dieses Handy gegeben und ich rufe dich damit gerade an.“

Ich hörte ein leises Zischen. Daraufhin musste ich kichern.

„Was ist so lustig?“, fragte er neugierig und verwirrt. Ich kicherte wieder.

„Bist du etwa…auf…dich eifersüchtig?“ Ungefähr drei Sekunden war es still.

„Ich kann mich nur sehr schwer damit abfinden, dass…es noch einen…anderen Edward gibt.“, brachte er langsam und wie es schien auch würgend heraus.

Er war total eifersüchtig. Ich gluckste. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Für mich gibt es nur DICH. DU wirst für mich immer der eine sein. Und außerdem ist der andere Edward doch mit Alice zusammen.“ Ich lachte kurz auf. „Also ich werde dich schon nicht mit ‚dir‘ betrügen.“

Jetzt hörte ich auch ein leises Lachen. „Also gut, ich habe verstanden. Warum hast…?“

Ich wusste, was er fragen würde. „Weil ich allein bin und DEINE Stimme hören wollte. Weil ich DICH vermisse.“, betonte ich.

„Oh, Bella…“, seufzte er traurig.

„Ich weiß, ich weiß.“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.

„Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir sein kann.“ Ich konnte den tiefen Schmerz in seiner Stimme hören.

„Ich komme so schnell wie möglich zurück zu dir. Carlisle und die anderen Cullens wollen mir dabei helfen, die Fähigkeit besser zu nutzen. Ich werde bald wieder bei dir sein. Versprochen.“

Edward holte tief Luft, bevor er sprach. „Bella, bitte überstürze nichts bei deinen…“, er suchte nach einem passenden Wort, „…Versuchen. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.“, sagte er besorgt. „Ich werde immer an dich denken.“, sagte er nun beschwörend.

„Danke, Edward. Ich werde auf mich aufpassen. Mach‘ dir nicht so viele Gedanken. Und sobald Alice mich sieht, dann ist ja alles wieder gut.“

Edward seufzte resigniert. Dann sagte er: „Ich liebe dich und werde solange wie nötig auf dich warten. Oder…?“

„Oder was?“, fragte ich misstrauisch.

„Oder ich komme zu dir, wenn dein Bruder die Fähigkeit schneller unter Kontrolle bekommt als du.“

„Mmhh…“, machte ich.

Ja, das wäre durchaus möglich. Mal sehen, wie sich die ganze Sache noch entwickeln wird. Ich ging nicht darauf weiter ein, sondern sagte nur die drei Worte, die mir auf der Seele brannten.

„Ich liebe dich.“

„Schlaf gut.“, sagte er mit einem Lächeln in der Stimme, wobei ich wieder die Sorge heraus hören konnte.

Er hatte bestimmt Angst, dass ich wieder Alpträume bekommen würde, wenn er nicht bei mir war. Er hatte bestimmt Recht. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Ich seufzte sehsüchtig, klappte das Handy zu und legte es auf dem Nachttisch. Ich wartete auf den Schlaf und ließ die Augen zufallen.

„Bella, Schatz, aufstehen.“, hörte ich Charlies Stimme.

Ich reckte mich widerwillig, während ich langsam aus dem Schlaf auftauchte.

„Hä?“, murmelte ich verschlafen.

Ich verstand mich selbst kaum. Es war eindeutig noch zu früh. Die Decke wurde plötzlich zurück geschlagen und Haare wurden aus meinem Gesicht gestrichen.

„Tja, Schatz. Heute ist Montag.“, sagte Charlie vergnügt.

„Montag?“, erwiderte ich krächzend.

„Ja, heute ist Schule. Mach dich fertig, ich muss jetzt los. Und wage es ja nicht wieder einzuschlafen!“, sagte er mit gespielter Bedrohung in der Stimme. Naja, eher halb gespielt.

Schule.

Es war fast merkwürdig, dass mein Leben jetzt wieder etwas…banaler wurde. Es fühlte sich irgendwie…so fehl am Platz an.

Früher standen die Schule und meine Leistungen an erster Stelle. Jedenfalls war das so, bevor ich meinen Engel getroffen hatte. Da wurde der erste Platz neu belegt. Ich grinste bei diesen Gedanken.

Doch jetzt, da ich Andy (wieder) kannte, musste sich Edward den obersten Platz wohl oder übel teilen, obwohl ich Andy nicht so lieben kann, wie ich Edward liebe. Ich seufzte. Jaja, mein Leben war alles, aber nicht einfach. Vampire, Werwölfe, Parallelwelt…

Vielleicht kam mir deshalb die Schule irgendwie komisch vor. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich nicht mit meinem Edward, ja nicht mal mit meinem Bruder zur Schule gehen würde. Natürlich waren da auch die anderen Cullens, aber ohne die beiden wichtigsten Jungs – oder Männer – war es einfach nicht dasselbe. Ohne sie war mein Leben – war ich – nicht vollständig.

Da kam mir ein anderer Gedanke.

Obwohl ich die letzte Nacht ohne Edward verbracht habe, hatte ich keinen Alptraum gehabt. Vielleicht lag es daran, dass James mich hier nicht beeinflussen konnte? Oder vielleicht daran, dass ich noch kurz vor dem Schlafen gehen mit Edward gesprochen hatte? Ich bevorzugte die zweite Möglichkeit. Denn seine Stimme und sein Duft waren das beste Mittel gegen Alpträume.

Ich stieg aus dem Bett, holte mein kleines Täschchen und ging ins Badezimmer, um mich für den heutigen, normalen Tag fertig zu machen. Als ich fertig war, ging ich zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Ich griff irgendwas heraus. Ich hatte mir nie viele Gedanken darüber gemacht, was ich an hatte. Ich war ja schließlich nicht Alice, die Klamotten als Einweg-Artikel sah. Wieder musste ich grinsen.

Als ich fertig in meinem Zimmer stand, schaute ich aufs Handy. Ich wusste allerdings nicht warum. Ich hatte eine SMS bekommen. Die Nummer war zwar nicht eingespeichert, aber anhand der Worte wusste ich natürlich, von wem ich die Nachricht bekommen hatte.


Guten Morgen, Liebste,

Ich hoffe du hast gut geschlafen, auch wenn ich heute Nacht nicht an deiner Seite war.
Ich habe jeden Moment an dich gedacht, wie ich es immer tue.
Passe bitte gut auf dich auf. Schließlich möchte ich nicht das Wertvollste meiner Existenz verlieren.
Hoffentlich kann ich dich bald wieder in meine Arme schließen. Ich vermisse dich sehnsüchtig.

Ich liebe dich.

Edward


Ich seufzte sehnsüchtig. Ich wollte auch wieder seine kühle Arme um meinen Körper spüren. Wieder seinen köstlichen Duft riechen. Ich gab folgende Antwort ein:


Ich umarme dich immer in meinen Gedanken.
Schade, dass du sie nicht lesen kannst ;-)
Ich bin bald wieder bei dir. Ich liebe dich auch.

Bella


Ich drückte auf „Senden“ und kicherte verschwörerisch. Ich klappte das Handy wieder zu und steckte es in die Hosentasche. Dann ging ich die Treppe hinunter in die Küche. Auf dem Küchentisch stand schon bereits eine vorbereitete Cornflakes-Schale.

Tja, dieser Charlie ist auch fürsorglich, dachte ich schmunzelnd. Ich setzte mich an den Tisch und aß meine Cornflakes. Dann stellte ich die Schale ins Spülbecken und wusch sie aus, um sie dann zum Trocken abzustellen.

Ich zog mich an, ging hinaus, stieg in meinen Transporter – eigentlich Andys – und fuhr zur Schule. Plötzlich saß ich im Klassenraum. Seltsam. Ich konnte mich gar nicht an die Ankunft und an den Hinweg richtig erinnern. Das lag wahrscheinlich daran, weil ich über einiges nachgedacht hatte.

Ich hatte mir nämlich Gedanken, darüber gemacht, wie ich einen normalen und angstfreien Übergang schaffen könnte. Angst konnte die Fähigkeit auslösen. Eine Art automatischer „Fluchtinstinkt“.

Angst.

Ein Gefühl, bei dem das Herz schneller schlägt und der Blutdruck sich erhöht. Aber andererseits werden die Aufmerksamkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit gesteigert. Die Sinne werden empfindlicher. War das vielleicht genau der Punkt? Dass die Sinne geschärft sind? Dass die Sinne konzentriert auf diese eine spezielle Sache sind und sich durch keine anderen Reize ablenken lassen?

Wird vielleicht durch die Konzentration der Sinne etwas in meinem Körper – oder vielleicht eher in meinem Gehirn – ausgelöst, was den Übergang bewirkt? Vielleicht war es ja auch genau dieser kleine Defekt im meinem Gehirn, der ebenso meine Gedanken vor Edward verbarg? Tja, das Gehirn – und vor allem meins – war und ist immer noch ein Mysterium.

Aber wenn das stimmt, dann müsste es doch möglich sein, meine Sinne anders zu konzentrieren. Vielleicht könnte ich damit beginnen, wenn ich mich einfach mal „fallen“ lasse. An nichts denken. Keine Vampire, keine Werwölfe, kein Schulstress. Einfach an nichts denken. Sich loslösen. Entspannen.

Ja, das wäre bestimmt ein guter Anfang, dachte ich. Ich beschloss, die Cullens bald zu fragen, ob ich zu Ihnen kommen könnte, damit mir jemand bei meiner Entspannungsübung oder ähnliches helfen würde. Eine samtweiche Stimme wäre dabei bestimmt mehr als hilfreich.

„Miss Swan? Miss Swan!“, hörte ich eine Stimme an die Oberfläche dringen, die mich aus meinen Überlegungen riss.

„Äh, ja?“ Ich blinzelte, um wieder im Klassenraum zu landen und schaute zu Mr. Banner auf. Ich hatte also gerade Biologie.

„Ich habe Sie gerade gefragt, was das hier ist und was seine Funktion ist.“

Der Overhad-Projektor war angeschaltet und darauf lag eine Folie, auf der eine Abbildung gedruckt war, wie man an der Wand erkennen konnte. Mr. Banner zeigte auf etwas Bestimmtes der Abbildung. Jetzt erkannte ich, was es war. Es war der Querschnitt eines Laubblattes. Sein fragender, strenger Blick lag auf mir. Die Antwort war ziemlich einfach.

„Das ist das Palisadengewebe. Es enthält viele Chloroplasten, die durch das einfallende Sonnenlicht zur Photosynthese genutzt werden.“

„Das ist richtig. Machen wir also weiter.“

In seinen letzten Satz, schwang die Aufforderung mit, dass ich besser aufpassen sollte. Ich versuchte es zwar, doch meine Gedanken kreisten immer wieder um das eine Thema. Die nächsten Stunden vergingen schnell, sodass ich nur wenige Augenblicke später – so kam es mir jedenfalls vor – auf dem Weg zur Cafeteria war.

Ich betrat sie und warf automatisch einen Blick zu dem Tisch der Cullens. Er war leer. Ich seufzte enttäuscht. Dann sah ich durch das Fenster nach draußen und der Grund für ihr Fernbleiben erschloss sich mir sofort. Die Wolkendecke war heute sehr dünn und blauer Himmel war zu erkennen. Die Sonne schaffte es an diesem Tag Forks mit ihrer Wärme zu beehren. Warum war mir das nicht schon eher aufgefallen? Ich war wohl wirklich ziemlich weit weg gewesen. Sehr schade.

Ich wollte mich zu ihnen setzten und sie fragen, ob ich demnächst zu ihnen kommen könnte, damit ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Ich hatte natürlich auch die Möglichkeit sie anzurufen, doch ich wollte nicht aufdringlich erscheinen. Außerdem würden mich ein paar Tage in dieser Welt schon nicht umbringen, oder? Die Cullens würden in den nächsten Tagen wieder zur Schule kommen.

Ich setzte mich wieder an den Tisch zu meinen „normalen Freunden“. Lauren, ja Lauren fragte wirklich mich, wo denn mein Bruder heute sei. Es war deutlich herauszuhören, dass diese Frage, viel mehr als bloße Höflichkeit war. Sie hatte sich wirklich in meinem Bruder „verliebt“.

Doch glaubte sie wirklich, dass sie auch nur die geringste Chance bei ihm hatte? Ich konnte Lauren einfach nicht leiden. Weder die eine, noch die andere. Und wenn ich so empfand, dann tat das auch zu 99% mein Bruder. Außerdem stehen wir Swans eben nicht auf normale Menschen…

Ich zuckte nur mit den Schultern und antwortete im freundlichen Ton, dass er nach Phoenix geflogen ist um Mum zu besuchen. Einerseits wollte ich ihr sagen, dass Andy bei seiner Freundin ist, aber andererseits wollte ich sogar Lauren nicht verletzen. Ich wusste schließlich am besten, welche Macht die Liebe haben kann…

Ich versuchte mich so gut wie möglich an die Gespräche der anderen zu beteiligen. Dieser Blick von Mike traf mich wieder unablässig. Dennoch versuchte ich ihn zu ignorieren und mich unbeschwert mit ihm zu unterhalten. Ich war sehr froh, dass er mich nicht zu einem „Date“ eingeladen hatte. Bei diesem Gedanken wurde mir ganz flau im Magen. Ich wollte nur mit einem Jungen so zusammen sein. Mir entfuhr ein sehnsüchtiges, leises Seufzen. Was er wohl jetzt gerade tat? Ob im anderen Forks ebenfalls die Sonne schien? Bestimmt machte er sich große Sorgen um mich. Ob sich diese Angewohnheit von ihm irgendwann legen würde. Eher nicht.

Der Rest des Tages verging ebenfalls wie im Flug. Es war, als würde er an mir vorbei rasen, und zwar in Vampirgeschwindigkeit. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln. Nachdem die Schule aus war, fuhr ich in „meinem“ Transporter nach Hause. Dort angekommen machte ich mich sofort an die Hausaufgaben, um mich zu beschäftigen. Als ich jedoch fertig war, kamen mir wieder die Gedanken in den Sinn, die ich heute Morgen gehabt hatte.

Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich musste sofort mit der Entspannungsübung anfangen, ob nun mit oder ohne Samtstimme. Je schneller ich den Dreh raus hatte, desto schneller war ich wieder bei Edward.

Ich legte mich auf mein Bett, atmete tief durch und schloss die Augen. Ich versuchte, mich mit jedem Atemzug immer mehr zu entspannen. Langsam spürte ich, wie mich die Gleichmut durchströmte. Ich versuchte meinen Kopf zu leeren, an nichts zu denken – oder jedenfalls an so wenig wie möglich. Mit jedem weiterem Atemzug wurde ich gelöster, freier. Es war ein herrliches Gefühl.

„Ring!“

Die angenehme Stille wurde unterbrochen und ich riss die Augen auf und stöhnte genervt. Soviel zur Entspannung, dachte ich. Das Telefon klingelte wieder und ich ging schnell hinunter, um den Anruf entgegen zu nehmen.

„Hallo?“

„Bella? Gut, du bist schon zuhause.“, hörte ich Charlies vertraute Stimme sagen.

„Ja, was ist los?“

„Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass uns Sarah heute zum Abendessen eingeladen hat. Sie hat mich gerade auf der Wache angerufen. Du brauchst heute also nichts kochen.“

Warum sollte ich auch. Es war noch genug von der Suppe übrig.

„Ach so. Weiß denn Sarah oder irgendein anderer, dass ich…weg war?“, fragte ich vorsichtig. Charlie lachte kurz auf.

„Nein. Du warst doch eh noch nicht lange weg. Und selbst, wenn du länger weg bleiben würdest, würde mir schon eine Geschichte einfallen. Also keine Sorge. Gut, Kleines. Ich muss dann mal weiter machen. Wir sehen uns also um 18.30 bei den Blacks. Bis später.“

„Ja, bis nachher.“, sagte ich zum Abschied, bevor ich den Hörer auflegte.

Ich würde also wieder bei den Blacks sein. Ob Jacob auch da sein wird? Er kennt ja die wahre Geschichte. Ob er sich freuen würde, mich wieder zu sehen? Bestimmt. Aber er durschaut bestimmt die Ausrede, wenn jemand fragt, wo Andy sei. Ich war mir ziemlich sicher, dass Jacob keinem etwas verraten hat oder wird. Er wusste bestimmt genau wie ich, dass die Wahrheit nicht jeder erfahren muss. Ich merkte, dass ich mich auf den Besuch freute. Außerdem hoffte ich, dass ich diesmal anders auf Jacob reagieren würde, jetzt da meine Vergangenheit wieder ans Licht gekommen ist.

Um mir die Zeit zu vertreiben beschloss ich die Wohnung gründlich zu putzen. Staub wischen und Staub saugen. Ja, das würde einige Zeit dauern. Nachdem ich mit den Räumen, wie dem Flur, die Küche und das Wohnzimmer fertig war, nahm ich mir die Waschküche vor. Außerdem war es allerhöchste Zeit Charlies Wäsche zu waschen. Ich ging nach oben in sein Schlafzimmer und legte seine schmutzigen Sachen in den Wäschekorb hinein. Kurze Zeit später war ich wieder unten und putzte weiter, während die Waschtrommel Charlies Wäsche hin und her schleuderte.

Ich war gerade dabei, den Staub von dem Trockner zu entfernen, als ich wieder einen Schmerz spürte. Ich roch das Blut, versuchte mich aber zusammen zu reißen, damit ich nicht in Ohnmacht fiel. Ich schaute auf die Stelle, wo der Geruch herkam. Merkwürdig. Wieder hatte ich einen Schnitt in der Handfläche, diesmal allerdings in der anderen. Ich hielt mir die Hand näher an mein Gesicht, um sie genauer zu betrachten, trotz des salzigen Geruchs, der mir in die Nase stieg. Nein, ich hatte mich doch nicht geirrt.

Die Wunde war länger und tiefer. Ich ging zum Spulbecken, um die Wunde auszuwaschen. Das war alles ziemlich seltsam. Ich hatte mich geschnitten. Und das beim Putzen? Nein, so etwas ist unmöglich. Wie kann man sich den schneiden, ohne den Kontakt eines scharfen Gegenstandes? Diesmal hatte ich kein Messer in den Händen, sondern nur ein Putzlappen. Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht.

Ich war es nicht, die mich schnitt, das stand fest. Aber…wer…schnitt…mich dann? Ich runzelte die Stirn während ich über diese Frage nachdachte. Diese Gedanken waren zu verrückt. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich keine andere Erklärung dafür.

Nachdem ich mit dem Ausspülen fertig, war, trocknete ich die Hand etwas ab und klebte wieder ein Pflaster auf die diesmal tiefere Wunde. Was war hier nur los? Mein Leben wird wohl nie wieder normal sein, dachte ich seufzend. Sofern mein Leben überhaupt normal war, seit ich Edward getroffen hatte.

Aber was sollte ich gegen meine Verletzungen machen? Außer mir, war ja niemand im Haus, der mich hätte verletzen können. Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben.

Ich musste mich wieder auf meine Hausarbeit konzentrieren. Ich machte in der Waschküche weiter, dann ging ich nach oben, um dort mit dem Badezimmer zu beginnen. Denn dort sah es am schlimmsten aus. Während dieser Zeit bekam ich zum Glück keine neuen Wunden. Ich war gerade mit meinem und Charlies Zimmer fertig, als es in meiner Hosentasche klingelte. Ich hatte eine Weckzeit eingestellt, damit ich rechtzeitig aufhörte. Ich stellte das Klingeln ab und legte das Handy auf meinen Schreibtisch. In einer Stunde waren Charlie und ich bei den Blacks verabredet. Ich musste mich nun fertig machen.

Kurz nach 18.00 Uhr verließ ich fertig angezogen das Haus und fuhr mit dem Transporter zum Haus der Blacks. Auf dem Weg zu ihnen, hing ich meinen Gedanken nach.

Diese zwei Schnittverletzungen bereiteten mir Kopfzerbrechen. Wie kamen sie zustande? Ich hatte mich heute und gestern nicht geschnitten. Vielleicht hatte sich aber Andy geschnitten und seine Wunden waren auch meine Wunden? War das die Erklärung? War unsere Verbindung so stark, dass wir sogar die körperlichen Wunden nicht nur spürten, sondern sie auch erlitten, als wären es die eigenen? Es wäre zumindest eine Möglichkeit. Wundern würde es mich nicht. Schließlich waren wir doch sowieso schon in anderen Dingen übersinnlich miteinander verbunden. Warum nicht also auch auf diese Art und Weise?

Ich kam bei ihrem kleinen Haus an, schaltete den lauten Motor aus und verließ den Transporter. Mithilfe der Scheinwerfer konnte ich Charlies Auto erkennen. Er war also schon da. Allerdings sah ich noch ein weiteres Fahrzeug. Wir waren also nicht die einzigen Gäste. Wer wohl noch da war? Ich ging zur Haustür und klopfte dreimal. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und eine lächelnde Sarah begrüßte mich strahlend.

„Hallo, Bella. Schön, dass du auch kommst.“, sagte sie.

Sie umarmte mich kurz, dann folge ich ihr ins Wohnzimmer. Es war der größte Raum des Hauses. Die Küche würde für mehrere Personen einfach nicht ausreichen. Ich betrat zusammen das Wohnzimmer und schaute einen nach dem anderen am Tisch an.

Ich sah Charlie, der genauso strahlte wie Sarah. Entweder weil er mich sah, oder weil er endlich wieder bei Sarah war. Daneben saß Jacob mit 3 anderen Jungs, die ich nicht kannte. Auch sie sahen mich freundlich an. Ich vermutete, dass diese 3 Jungs wohl auch zum Rudel gehörten. Sie sahen nämlich alle sehr durchtrainiert aus und hatten breite, kräftige Oberarme. Unter den Hemden der drei zeichneten sich ihre Muskeln ab. Sie waren auch ziemlich groß, hatten ebenso einen Kurzhaarschnitt wie Jacob. Sie sahen alle nicht gerade aus, wie 15 oder 16-jährige, aber dennoch irgendwo jugendlich. Doch der dritte der Jungs sah viel älter aus. Erwachsener und erfahrender.

Er sah nicht mehr wie ein Teenager aus, sondern schon richtig erwachsen. Auf dem ersten Blick würde ich ihn Mitte oder Ende 20 schätzen. Mir schien es, als ob er zu Jacob und zu den anderen 2 Jungs nicht wirklich dazu passen würde. Dann wanderte mein Blick zu der letzten Person in diesem Raum.

Er lächelte mich nicht so an, wie die anderen. Er sah eher verhalten und vorsichtig aus. Sein prüfender und durchdringender Blick gefiel mir nicht. Dennoch versuchte ich mein Unbehagen zu verbergen und lächelte diesen Mann auch ebenso freundlich an. Er schien in Charlies Alter zu sein, aber älter.

„Hallo, ich bin Bella. Es freut mich, euch kennen zu lernen.“, sagte ich höflich zu denen, die mich noch nicht kannten.

Als ich mich vorstellte veränderte sich der Blick, des Mannes. Er riss die Augen für einen kurzen Moment weit auf und ihm entglitten sämtliche Gesichtszüge. Als ob er zutiefst geschockt oder erschrocken über etwas sei. Ich verstand seine Reaktion nicht. Warum löste mein Name so etwas bei ihm aus? Ich spürte, wie mein Unbehagen immer größer wurde. Je länger ich in dieses Gesicht schaute, desto unheimlicher wurde es für mich. Ich verstand mich selbst nicht. Nach ungefähr einer oder zwei Sekunden hatte der fremde Mann seine Gesichtszüge wieder kontrolliert. Wieder dieser prüfende Blick. Aus irgendeinem Grund, wollte ich hier wieder weg. Dieser Mann hatte etwas Dunkles an sich. Das spürte ich genau.

„Das ist also die verschollene Tochter des Chiefs.“, sagte der Junge, der direkt neben Jacob saß und grinste mich fast frech an. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf ihn.

„Ja, genau.“, bestätigte ich. „Und wer seid ihr?“

„Ich bin Quil Atera.“, sagte der Junge, der mich eben angesprochen hatte. Und das hier neben mir ist Embry Call.“ Er machte eine Geste in seine Richtung. „Wir sind die besten Freunde von Jake.“

Jake nickte grinsend. Es war schön sein Gesicht wieder zu sehen. Ich fragte mich, wie es dem anderen Jacob zurzeit ging. Embry lächelte mich auf eine eher schüchterne Art an.

„Hallo.“, brachte er fand ich etwas mühsam heraus.

Sein dunkler rostbrauner Hautton veränderte sich plötzlich etwas. Wurde er rot? Es war schwer zu sagen. Ich lächelte freundlich zurück. Dann sprach mich der junge Mann ein Platz weiter an.

„Hallo, Bella. Mein Name ist Sam July und das hier neben mir ist mein Vater Joshua Uley.“

Joshua Uley. So hieß also der Mann, der mir komischerweise Übelkeit verursachte. Er räusperte sich.

„Hallo Bella, schön dich kennen zu lernen.“, sagte er bedächtig.

Plötzlich stürzte die Erkenntnis wie ein Steinschlag auf mich ein. Jetzt wusste ich, warum mir unwohl war. Als ich diese Stimme hörte, war alles ganz klar. Sie hatte sich in den letzten 11 Jahren kaum verändert. Es war die Stimme, die mir die Kindheit genommen hatte. Ja, jetzt erkannte ich auch sein Gesicht wieder. Ich war mir absolut sicher. Kein Zweifel.

Dieser Mann, Joshua Uley, hatte mir das Schlimmste angetan, was man einem Kind antun konnte. Er hatte mich vor langer Zeit vergewaltigt. Und jetzt saß er hier und spielt den Unschuldigen.

Nun verstand ich all seine Reaktionen, seit ich den Raum betreten hatte. Er hatte bestimmt Angst, dass ich ihn wieder erkennen würde, was mir auch zum Glück gelang. Ich riss die Augen vor Schreck auf und das Blut wich mir aus dem Gesicht.

„Bella?“, fragte Charlie entsetzt, stand auf und trat auf mich zu.

Er schüttelte mich leicht an den Schultern, um mich aus meiner Starre zu befreien.

„Bella, was hast du?“ Seine Stimme klang mit jedem Wort panischer.

Ich näherte mich zögerlich seinem Gesicht, meine Lippen waren an seinem Ohr.

„Er war es. Er hat mich vor 11 Jahren an meinem Geburtstag entführt und…mich…vergewaltigt.“, flüsterte ich Charlie zu.

Sein Atem stockte. Dann flüsterte er leise zurück, wobei er den Zorn in seiner Stimme mit Mühe zurück hielt: „Wer war es?“

Charlie trat einen Schritt zur Seite und ich hob zögerlich meinen Arm und zeigte mit dem Zeigefinger auf Joshua Uley. Er weitete kurz seine Augen, dann zog er seine Augenbrauen zusammen. Charlie folgte meinem Blick und auch alle anderen sahen verwirrt zu ihm hin.

Dann plötzlich sprang der Mann vom Stuhl auf und wollte weglaufen. Doch Sam, sein Sohn, bekam ihn am Arm zu fassen und hielt ihn fest. Sam sah wütend und verwirrt aus. Hatte er etwa meine Worte gehört? Ach ja, kam es mir trotz des Schocks in den Sinn. Werwölfe haben auch sehr gute Ohren.

„Was ist hier los?“, fragte Sarah mit schriller Stimme.

Ich blinzelte und räusperte mich. Dann schaute ich sie alle der Reihe nach an. Charlie sah buchstäblich rot. Sein Gesicht glühte vor Zorn.

„Dieser Mann…“, ich konnte seinen Namen einfach nicht aussprechen, „…hat mich vor über 11 Jahren an meinem 7. Geburtstag entführt und mich vergewaltigt.“, brachte ich erstaunlich ruhig hervor.

Jetzt lagen 7 zornige Blicke auf ihn.

„Ist das wahr?“, brachte Sam knurrend hervor. Seine Stimme bebte vor Wut und seine Hände zitterten.

„Pfft!“, machte er und besaß doch wirklich die Frechheit kurz zu grinsen. „Das Mädchen muss sich irren. Ich soll sie vergewaltigt haben? Das ist doch völliger Unsinn!“, versuchte er sich zu verteidigen.

„Komisch.“, hörte ich Jacob sagen, „Warum ist sie dann so blass und völlig starr vor Angst? Hast du eine Erklärung dafür?“ Auch seine Stimme klang mehr als wütend.

„Sie muss mich verwechseln.“, sagte er mit leicht zitternder Stimme.

Er fühlte sich deutlich unwohl in seiner Haut. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich habe deine Stimme wieder erkannt. Du bist es gewesen. Kein Zweifel.“

Charlies wütender Blick ruhte auf ihm. Es war als wollte er diesen Mann nur mit seinem Blick töten. Immer und immer wieder. Widerstrebend entfernte sich Charlie von mir und holte etwas aus seiner hinteren Jeanstasche hervor.

„Joshua Uely, Sie sind vorerst festgenommen.“, sagte er mit wütenden Unterton geschäftsmäßig.

Er trat auf ihn zu, griff seine Arme nach hinten und legte ihm die Handschellen um. Erstaunlicherweise wehrte er sich nicht dagegen. Er blickte hilfesuchend zu den anderen. Doch er erntete nur wütende Blicke. Auch sein Sohn setzte sich nicht für ihn ein.

Er sagte nur: „Seit so vielen Jahren, mussten meine Mutter und ich ohne dich leben, weil du uns einfach verlassen hast. Jetzt bist du zurück gekommen und Mutter hat dir eine Chance gegeben und jetzt enttäuscht du uns schon wieder.“ Seine Stimme klang kalt und gleichgültig.

„Komm, du Mistkerl. Wir machen jetzt eine kleine Spritztour.“, knurrte Charlie und zwang Joshua Uely vorwärts zu gehen.

Kurz bevor die beiden an mir vorbei gingen, brüllte er heraus: „Du hast doch gar keine Beweise. Ich werde nicht lange dort bleiben.“

Charlie zog seine Arme ruckartig zu sich heran. „Wage es nicht, meine Tochter auch nur einmal wieder anzusprechen, sonst wirst du es bereuen.“, sagte mein Vater verschwörerisch.

Dann gingen sie weiter. Im Vorbeigehen, streifte er meinen Körper und ich spürte wieder diese unangenehme Hitze.

Nicht dieselbe Hitze, wie bei Jacob. Sie war gefährlicher, düsterer. Ja, es war er. Als ich diese Hitze spürte, wich ich entsetzt zurück. Charlie sah kurz besorgt in meine Richtung, dann führte er Joshua Uely weiter zur Haustür hinaus. Als Charlie mit ihm hinaus trat, knallte er die Haustür zu.

Ich zuckte vor Schreck zusammen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich stumm angefangen hatte zu weinen. Ich merkte, wie sich zwei Hände beruhigend auf meinen Schultern legten. Es war Sarah. Sie sagte nichts, sondern schaute nur zu Tür. Niemand sagte auch nur ein Wort. Die Stille erdrückte mich. Dennoch versuchte ich meine Gedanken zu ordnen und klar zu denken.

Ja, er hat Recht. Ich hatte keine Beweise. Er würde bald wieder auf freien Fuß sein. Da konnte selbst Charlie nichts machen. Sicher würde Charlie auf meiner Seite stehen. Sicher, würde er nach diesem Ereignis bestimmt nicht wieder zu seiner Familie zurückkehren können. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, so schienen mir alle in diesem Raum Glauben zu schenken. Sogar sein Sohn Sam.

Doch was würde er tun, wenn er irgendwann wieder frei war. Würde er vielleicht wieder Mädchen vergewaltigen. Hatte er das die letzten Jahre immer wieder getan, bevor er zu seiner Familie zurückgekehrt war? Bei diesem Gedanken drohte ich zu ersticken.

Nein, soweit durfte es nicht kommen. Er sollte nie wieder jemandem so etwas antun, auch wenn es mir irgendwo für seine Frau und seinen Sohn Leid tat. Ich musste irgendetwas tun. Es musste doch irgendetwas geben. Da kam mir ein rettender Gedanke.

Die Halskette.

Die Kette, die er mir damals geschenkt hatte. Vielleicht waren dort noch Spuren seiner DNA zu finden. Auch glaubte ich mich dunkel daran zu erinnern, dass auch mein Blut daran klebte. Das könnte helfen. Ich atmete erleichtert auf.

Zum Glück hatte ich die Kette all die Jahre aufbewahrt. Ich wusste damals selbst nicht wieso, dennoch hatte ich es getan. Vielleicht sollte mich dieser Gegenstand für immer daran erinnern, wozu Menschen fähig sein können und wie grausam die Welt doch in Wahrheit ist. Selbst damals als Kind, wurde mir dies, durch dieses schreckliche Erlebnis, klar.

Einen Haken gab es allerdings.

Die Kette war drüben in der anderen Welt in meinem Zimmer. Sie war in einer Plastiktüte verpackt, die wiederum in einem Karton steckte. Diesen hatte unter den Dielen in meinem Zimmer versteckt.

Ja, ich wusste ganz genau wo die Kette war. Ich musste sie nur holen. Jetzt hatte ich noch einen Grund mehr, so schnell wie möglich wieder einen Wechsel hervorzurufen.

Mein Entschluss stand fest.

Morgen würde ich zu den Cullens fahren und mit meinem Training beginnen und nichts und niemand würde mich davon abbringen.

Das dachte ich zumindest…

Körperliche und Seelische Schmerzen




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Bella?“, fragte mich Charlie vorsichtig.

„Ja?“

Wir saßen gerade am Frühstückstisch und ich aß meine Cornflakes.

„Möchtest du heute in die Schule gehen?“ Er klang besorgt.

„Klar.“, erwiderte ich trocken.

„Warum fragst du?“

„Wegen der Sache von gestern.“

Die Sache von gestern. Aja.
Nachdem Charlie mit…Joshua Uely gegangen war, hatten wir uns trotz dieser Situation an dem Tisch zusammen gefunden und gegessen. Es war ein schweigsames Essen gewesen. Einerseits war ich dankbar dafür, andererseits machte mich dieses Schweigen wahnsinnig. Jedoch wollte ich nicht diejenige sein, die es brach. Während des Schweigens hing ich meinen Gedanken nach.

Ich hatte mich gefragt, warum Joshua Uely so wehrlos mit Charlie mit gegangen war. Ich hatte mich bemüht, mich mehr zu konzentrieren. Er war genauso heiß, wie Jacob, nur viel unangenehmer. Jacob war heiß und ein Werwolf. Wenn also alle Werwölfe heiß waren, war dann dieser Joshua Uely ebenso einer? Sehr wahrscheinlich, kam ich zum Schluss. Ein Werwolf hatte mich vergewaltigt. Oh mein Gott, nicht einmal ein „normales Schwein“ konnte mir das antun. Mein Leben war nie normal gewesen. Nicht mal, bevor ich Edward getroffen hatte. Also wurde ein Werwolf von Charlie abgeführt. Warum hatte er sich nicht gewehrt? Warum hatte er sich nicht…verwandelt?

Natürlich war ich froh darüber gewesen, dass es nicht dazu gekommen war. Wenn ich mir das auch nur vorstellte, dann wäre ich am liebsten in Ohnmacht gefallen. Er hätte Charlie verletzen, wenn nicht sogar töten können. Ich erinnerte mich an Sams Blick, als er seinen Vater am Arm festgehalten hatte. Er hatte seinen Vater mit einem undefinierbaren Blick angesehen. Hatte Sam durch seinen Gesichtsausdruck die Verwandlung seines Vaters aufgehalten?

Das wäre sicherlich fatal gewesen, wenn Sam ihn nicht zurück gehalten hätte. Charlie hatte getötet werden können und das Geheimnis wäre dann gelüftet. Ein riesiger Werwolf im Wohnzimmer. Gruselige Vorstellung. Und Charlie wäre bestimmt nicht der einzige, der hätte verletzt werden können.
Ja, sicher hatte er sich nicht verwandelt, um das Geheimnis zu bewahren. Und natürlich war er ohne zu zögern mit gegangen, da er sich ja keine Sorgen machte. Denn er vermutete ja, dass ich keine Beweise habe.

Dann ertönte Sam Uelys Stimme, die mich aus den Tiefen meiner Gedanken riss. Er klang ruhig und beherrscht, zumindest oberflächlich. Er bat mich zögerlich, über dieses Erlebnis zu berichten, wenn es für mich in Ordnung wäre. Sein wütender, aber auch mitfühlender Blick überzeugte mich. Ich hatte tief durchgeatmet und ihnen die ganze Geschichte erzählt.

Dass ich an meinem 7. Geburtstag entführt und in einem dunklen Raum verschleppt wurde. Dass er von mir ein Geschenk, meine Unschuld, haben wollte. Dass er mir dafür ebenfalls etwas geschenkt hatte, nachdem er…

Dann hatte Sarah mich gefragt, wie ich denn da rausgekommen war. Als ich an diesem Punkt war, hatte ich mit mir gehadert. Ich war mir einfach nicht sicher, ob ich ihnen auch dies erzählen sollte. Ich suchte Hilfe bei Jacob, der mir ermutigend zugenickt hatte. Somit erzählte ich auch das.

Natürlich waren alle erstaunt. Besonders Sarah, als sie erfahren hatte, dass sie in der anderen Welt tot ist, und ihr Mann lebt. Sie hatte sich sofort nach ihm erkundigt. Ich hatte ihr erzählt, dass der andere Billy aufgrund des Unfalls und seiner Diabetes-Erkrankung nun im Rollstuhl sitzt. Daraufhin war ich geschockten Blicken begegnet. Aber ich hatte sie damit beruhigt, dass sich der andere Jacob rührend um seinen Vater kümmert.

„Jetzt verstehe ich, warum du gefragt hast, wo Rachels Mann ist.“, hatte sie geschlussfolgert.

Ich nickte. Alles im allen hatten sie diese Geschichte alle ziemlich gut weggesteckt. Natürlich hatte ich die Werwölfe, die Vampire und den Vertrag außen vorgelassen. Naja, Jacob kannte sie ja schon. Als ich fertig war, nahm Sam meine Hand und drückte sie mitfühlend. Wieder so eine Hitze. Waren alle Werwölfe so heiß? Sicherlich. Ich bin vor der Hitze aber nicht zurück gewichen.

„Es tut mir leid, was er dir angetan hat.“
Er hatte mich dabei eindringlich mit seinen Augen entschuldigend angeschaut.
„Aber wie willst du das nun beweisen?“

„Du glaubst mir wirklich?“, hatte ich erstaunt erwidert. Sam hatte ernst genickt.
„Und du willst, dass er dafür…bestraft wird?“, hatte ich vorsichtig und leise gefragt.

„Ja!“ In seiner Stimme hatte keinerlei Zweifel geklungen.

Ich erzählte ihnen von der Halskette, die ich noch hatte. Aber dass sie drüben war, hatte ich nicht gesagt. Das mussten sie ja nicht auch noch wissen. Dann hatten alle ernst genickt.

„Das sollte reichen.“, hatte Sam wütend und ernst gesagt und mit diesen Worten das Thema beendet.

Ich blinzelte und landete wieder in der Gegenwart.

„Dad?“, fragte ich.

„Ja, Schatz?“

„Wie gehst du jetzt weiter vor mit ihm?“ Charlies Gesichtsausdruck verwandelte sich von Besorgnis in Wut. Er atmete ein paar Mal tief durch, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Naja, ich habe ihn vorläufig erst einmal weggesperrt. Aber wir brauchen natürlich ein Beweis, um den Richter zu überzeugen.“, sagte er seufzend.

Es widerstrebte Charlie ihn wieder frei zu lassen.

„Wie lange kannst du ihn drin lassen?“

„Naja, nur ein paar Tage. Schließlich ist es ja nur eine Behauptung, wenn ich es objektiv betrachte. Hinzu kommt auch, dass das Verbrechen schon 11 Jahre zurück liegt. Ich muss mich leider an die Regeln halten, Kleines. Auch, wenn es mir sehr schwer fällt.“, sagte Charlie bedauernd.

Er beugte sich zu mir über den Tisch und nahm meine Hand in seine und drückte sie mitfühlend. Er sah mich und ich erwiderte seinen Druck, dann lächelte ich.

„Ich habe vielleicht einen Beweis.“ Charlies Augen weiteten sich.

„Ja? Was für einen denn?“

„Naja, er hat mir nach der Prozedur eine Halskette umgelegt, die er mir schenken wollte, da ja mein Geburtstag war. Die habe ich heute noch und bestimmt ist auf ihr seine DNA zu finden. Auch erinnere ich mich daran, dass mein Blut an der Kette klebt.“

Charlie spannte sich nach meinen Worten an und sein Druck wurde fester. Es war mir etwas unangenehm, sagte aber nichts, sondern sprach weiter: „Aber die Kette ist drüben.“

Charlie entspannte sich und sah mich fragend an. Dann begriff er. „Oh.“ Charlie nickte langsam.

„Ja, deshalb muss ich so schnell wie möglich wieder zurück, um sie zu holen. Aber ich muss dafür noch…üben.“ Charlie sah nachdenklich aus. „Dr. Cullen hat versprochen, mir dabei zu helfen. Ich fahre gleich nach der Schule zu ihnen, wenn das okay für dich ist.“

Charlie legte seine Stirn kurz in Falten. Dann sagte er: „Sicher. Dr. Cullen ist ein guter Mann. Es ist bestimmt sehr ratsam, wenn du seine Hilfe annimmst. Aber sobald irgendetwas ist, dann rufst du mich an!“, forderte er.

Ich seufzte erleichtert. „Klar, Dad.“
Als ich fertig mit meinem Frühstück war, stand ich auf. „So. Ich muss jetzt los. Sonst komme ich noch zu spät in die Schule. Ich hab‘ dich lieb, Dad.“

Charlie lächelte mich väterlich an. „Ich dich auch, Kleines.“

Als ich meinen Transporter – irgendwo war es ja auch schließlich meiner – an der Schule geparkt hatte und ausstieg, kam mir schon Alice in die Arme gelaufen – nein, eher gesprungen.

„Morgen, Bella. Wie geht’s dir? Tut mir leid, dass wir gestern nicht in der Schule waren.“, trällerte sie.

„Ich weiß. Ihr hattet nur Angst, dass ihr braun werden könntet.“, neckte ich sie und lachte ihr leise ins Ohr.

„So kann man es auch sagen.“, gab sie fröhlich zurück, bevor sie mich losließ. Sie nahm meine Hand. „Komm. Wir haben jetzt zusammen Spanisch.“

Sie zog mich hinter ihr her auf dem Weg zum Klassenraum. Während Alice mich im Schlepptau hatte, begrüßte ich die anderen Cullens mit einem Kopfnicken und hilfesuchenden Blick. Sie nickten mir alle freundlich zu und Edward grinste nur. Im Klassenraum setzte sich Alice neben mir. Wenn Alice wusste, dass Mrs. Goff uns nicht beobachten würde, dann flüsterte sie mir zu.

„Und wie geht’s dir?“, fragte sie. Ihr Ton klang irgendwie missmutig und frustriert. Ich ahnte schon warum.

„Warum musst du überhaupt fragen?“, gab ich neckend zurück.

Ich sah kurz zu Alice, die gerade das Gesicht verzog. Ich lächelte in mich hinein.

„Das weißt du ganz genau.“, erwiderte sie bissig. „Du warst wieder bei den Hunden. Ich konnte dich gestern Abend für ein paar Stunden nicht sehen. Diese Ungewissheit machte mich wahnsinnig. Ich begann schon an mir selbst zu zweifeln.“

Ich kicherte leise, doch es blieb mir gleich wieder im Halse, als ich daran dachte, was gestern bei den Blacks geschah. Alice bemerkte meinen Stimmungswechsel.

„Was ist passiert?“, fragte sie nun besorgt. Ihre Stimme brannte vor Neugier, doch ich wollte nicht jetzt darüber reden.

„Kann ich nach der Schule zu euch kommen?“, stellte ich eine Gegenfrage.

Sie sah mich verdutzt an, nickte jedoch. Ich sah ihr bedeutungsvoll in die Augen und hoffte, dass Alice meinen Blick richtig interpretierte. Wieder nickte sie und lächelte mich an. Dann mussten wir uns wieder auf dem Unterricht konzentrieren. So hatte Alice keine Chance mehr, mich noch weiter mit Fragen zu löchern.

Die weiteren Stunden gingen schnell herum. Auch in den nächsten Stunden saß einer der Cullens bei mir. Wahrscheinlich hatte Alice allen gesteckt, dass mich was bedrückte. Aber dachten sie im Ernst, dass ich suizid gefährdet war?

Früher war ich das vielleicht. Dachten sie, dass mir in der Schule was passieren würde? Alice muss sie dazu genötigt haben. Sie hatte bestimmt in meinem Zustand zu viel hinein interpretiert. Ich seufzte innerlich. In den nächsten drei Stunden saßen Emmett, Edward und sogar Rosalie neben mir. Während des Unterrichts spürte ich ihre besorgten Blicke auf mir, was mir wirklich auf die Nerven ging. Aber während der ganzen Zeit sprach ich kein einziges Wort mit ihnen. Sie auch nicht mit mir.

Als die vierte Stunde zu Ende war, ging ich mit zügigen Schritten zur Cafeteria. Rosalie hatte mich kurzer Hand eingeholt.

„Was ist los?“, fragte sie beiläufig.

„Nichts, Rosalie. Hör zu, versteh‘ das jetzt bitte nicht falsch, aber ich möchte heute während der Mittagspause nicht bei euch sitzen. Wir reden darüber, wenn ich bei euch zuhause bin, ok?“

„Na gut.“ Es klang enttäuscht.

Wieder einmal konnte ich es einfach nicht fassen, wie verschieden die beiden Rosalies waren. Sie war enttäuscht, weil ICH nicht bei ihnen sitzen wollte. Die andere Rosalie würde mir am liebsten gar nicht über dem Weg laufen. Sie überholte mich und schritt schnell von dannen. Ich ließ mir Zeit bis zur Cafeteria. Schließlich hatte ich es nicht eilig. An der Essensausgabe kaufte ich mir nur eine Flasche Limonade. Ich hatte keinen großen Hunger. Außerdem war ich im Gedanken schon bei dem Gespräch mit den Cullens, auf das ich mich schon geistig vorbereitete.

Eigentlich war der gestrige Abend keine große Sache, dennoch hatte er mich doch berührt. Es war seltsam. Naja, andererseits auch nicht verwunderlich, da ich meinem Vergewaltiger, dem bösen Wolf, gegenüberstand. Irgendwie hatte dieses Ereignis etwas von Rotkäppchen, nur das ich nicht aufgefressen wurde.

Ich setzte mich zu Mike, Angela und den anderen, sprach jedoch nicht viel mit ihnen. Ich hing statt dessen meinen Gedanken nach und schaffte es nicht einmal, die Limonade halb leer zu trinken. Ich wich den Blicken der Cullens die ganze Zeit aus, wenn ich einem begegnete. In der letzten Stunde saß Edward wieder neben mir. Wir sprachen nicht miteinander. Aber er nahm unter dem Tisch meine Hand und drückte sie ganz selbstverständlich. Ich drehte mich kurz in seine Richtung und lächelte ihn dankbar an, was er erwiderte.

Als die Schule endlich vorbei war, holte mich Emmett ein.

„Hey, Kleine.“, begrüßte und neckte er mich. „Du willst doch jetzt zu uns fahren, oder? Findest du denn den Weg?“

Ich runzelte die Stirn und überlegte kurz. Ja, ich war mir nicht mehr sicher, ob ich den Weg wusste. Die Abzweigung zu ihrem Haus war ziemlich gut versteckt. Ich beschloss, dass Angebot anzunehmen und mir diesmal den Weg genau zu merken.

„Würdest du mich hinfahren?“, fragte ich Emmett hoffnungsvoll. Er grinste und nickte. Ich hob warnend einen Finger.
„Aber mein Transporter fährt nicht gerade schnell. Es wäre gut, wenn du unter 80 Stundenkilometer bleibst.“

Emmett verzog das Gesicht. Natürlich störte ihn die Geschwindigkeitsbegrenzung sehr. Vampire waren es ja gewohnt schnell zu fahren.

„Ich werd’s überleben.“, brummte er nicht ganz überzeugt.

Wir waren an meinem Transporter angelangt und Emmett stieg an der Fahrerseite ein, während ich als Beifahrer den Platz einnahm. Als er den Motor startete und losfuhr, grinste ich schadenfroh. Emmetts Gesichtsausdruck war zum tot lachen. Ich versuchte aber mich zu beherrschen.

„Diese Klapperkiste gehört in ein Museum.“, klagte er.

„Hey, ein bisschen mehr Respekt bitte!“, mahnte ich. „Außerdem…“, ich musste ihn einfach necken – schließlich machte der andere Emmett, er eigentlich auch, das ständig mit mir –, „…bist du auch nicht mehr der Jüngste, wenn man es genau betrachtet. Wie alt bist du denn? Ich wette so um die 90.“

Emmett verzog kurz das Gesicht, dann grinste er mich breit an. „Mutig, mutig, Bella. Aber okay, ich hab’s kapiert.“, sagte er und lachte. „Du bist echt nicht normal.“, sagte er immer noch lachend.

„Na ihr doch auch nicht. Also pass‘ ich hier doch gut rein.“, erwiderte ich locker.

Emmett musste wieder lachen, nur noch lauter. Am Haus angekommen, es hatte sehr lange gedauert, für Emmett jedenfalls, stiegen wir aus und gingen hinein. Wir wurden schon sehnsüchtig im Wohnzimmer von den anderen Cullens erwartet.

Nach Begrüßungen, einer Umarmung von Esme und einer Bemerkung von Alice: „Ich dachte schon, ihr kommt erst, wenn es dunkel ist!“, waren alle 6 gold-braunen Augenpaare erwartungsvoll auf mich gerichtet. Ich holte tief Luft und begann zu erzählen.

Ich erzählte ihnen alles, ohne dass ich unterbrochen wurde. Auch berichtete ich ihnen von meiner Theorie, was die Fähigkeit und somit meiner Psyche betraf. Ich sah nur, wie sich ihre Augen ab und zu vor Schreck weiteten. Als ich zu der Stelle mit Joshua Uely kam, konnte ich mehrere Knurrgeräusche hören.

„Und darum muss ich so schnell wie möglich wieder rüber wechseln und ich habe gehofft, dass du mir dabei helfen könntest.“, sagte ich und sah Carlisle bittend an.

Ein paar Sekunden war es still. Esmes Blick wurde besorgt. Carlsile sah mich ernst und nachdenklich an.

„Eine interessante Theorie.“, murmelte er. „Natürlich helfe ich dir, wo ich kann.“ Carlisle lächelte leicht und aufmunternd. „Komm.“

Ich folgte ihm in sein Arbeitszimmer und er deutete auf das schwarze Ledersofa, auf dem ich schon mal gelegen hatte. Ich ging zum Sofa und legte mich darauf hin. Erst jetzt fiel mir ein Unterschied in diesem Zimmer auf. Über der Eingangstür hing ein Kreuz des Jesu Christi. Auch dieser Carlisle war sehr mit der Religion verbunden.

„Gut, Bella.“, hörte ich seine Stimme sagen. Abrupt wendete ich meinen Blick wieder auf ihn. „Dann wollen wir mal anfangen. Schließ die Augen und atmete langsam tief ein und wieder aus.“

Ich schloss die Augen und versuchte mich zu entspannten. Ich begann ruhig zu atmen. Mich nur darauf zu konzentrieren. Alles andere zu vergessen.

„Stell dir vor, du liegst am Strand in der Sonne. Du hörst die Laute der Möwen und das Rauschen der Wellen. Sonst nichts. Du genießt es, das die warmen Sonnenstrahlen auf deine Haut treffen. Du versinkst immer tiefer in den Schlaf. Denkst an nichts. Keine Vampire. Keine Werwölfe. Keine Schule. Keine sonstigen Arbeiten. Nur dieser Moment zählt.
Du bist am Strand, in deinem kleinen Paradies und kannst alle deine Sorgen zurück lassen. Du atmest ruhig und regelmäßig. Bist ganz entspannt und locker.“

Ich merkte, wie seine Worte auf mich wirkten. Mit jedem dieser Worte wurde ich gelöster und seine Samtstimme half mir noch mehr. Ich atmete weiterhin ruhig und ließ mich immer weiter fallen. Ich vergaß alles um mich herum. Vergaß alles Unwichtige und konzentrierte mich nur hierauf. Es war sehr angenehm, seinen sonstigen Problemen für einige Zeit zu entkommen. Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel leicht hoben.

Plötzlich sah ich etwas vor meinem inneren Auge näher kommen. Ich hatte aber keine Angst. Es war nichts Gefährliches. Ich konnte es aber nicht beschreiben. Es war etwas Formloses. Ich konnte es nur spüren. Es kam näher und näher. Vielleicht war dies die „Fähigkeit“? Die „Kraft“, diese Fähigkeit willentlich einzusetzen? Vielleicht.

Ich versuchte mich darauf weiter einzulassen. Mich mehr und mehr zu entspannen. Carlisles Stimme, die auf mich weiter beruhigend einredete, wurde mehr und mehr zu einem Hintergrundgeräusch für mich, bis ich schließlich nur noch ein Summen hörte. Ich spürte ganz deutlich wie ich fast mit diesem formlosen Etwas in Kontakt kam, als ich gestört wurde.

Ein Schmerz riss mich aus der Versunkenheit. Es, was auch immer es war, war verschwunden. Ich tauchte wieder gewaltsam an die Oberfläche auf. Ein schmerzerschütternder Schrei, der von mir zu kommen schien, machte diese ganze Übung zunichte.

„Oh mein Gott! Was ist das?!“ Carlisles Stimme klang entsetzt und neugierig zugleich.

Doch ich konnte mich darauf nicht mehr konzentrieren. Ein weiterer Schmerz. Ein weiterer Schrei. Diesmal war etwas anders. Dieser Schmerz zog sich in die Länge. Er schien endlos zu sein. Auch mein Schrei schien nie wieder zu verstummen. Mir stieg der Geruch von Blut in die Nase. Eigentlich hätte ich nun gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen müssen, doch der Schmerz überdeckte sie.

Ich wollte mich aufrichten, konnte mich aber nicht bewegen. Es war, als wäre ich am Sofa festgeklebt. Als würde mich jemand oder etwas festhalten. Ich versuche es mit all meiner Kraft, dennoch blieb ich liegen. Ich schaffte es nur, neben dem Schreien meine Augen zu öffnen, um etwas zu sehen. Der Schmerz hörte nicht auf und ich spürte etwas Warmes auf meiner Haut, das sich immer mehr verteilte.

„Bella, bleib ganz ruhig. Es wird alles gut.“, versuchte mich Carlsile zu beruhigen, doch seine Panik und Angst war nicht zu überhören.

Er redete weiter auf mich ein, doch ich hörte ihm nicht mehr zu. Ich sah nur den Mann an, den ich über mir sah. Es war ein Geist, da Carlisle ihn nicht sehen konnte. Sonst hätte er schon irgendetwas gesagt. Er lächelte düster und verschwörerisch. Er schien sich an meinen Wunden und Schmerzensschreien zu ergötzen. Da wusste ich es. Er war es gewesen, der mir all diese Wunden zugefügt hatte. Gestern mit den 2 Wunden in der Handfläche und jetzt jene, die über meine ganzen Arme und Beine zu gehen schienen.

Ich hatte das Gefühl, dass ich aufgeschlitzt wurde. Es war ein furchtbares Gefühl. Keiner konnte etwas dagegen tun. Ich nicht und Carlisle auch nicht. Ich starrte weiterhin diesen Mann an und versuchte meinen Schmerz hinunter zu schlucken, während er mir immer mehr Wunden hinzufügte. Ich hörte die Stimme von Carlsile, achtete aber nicht auf sie. Meine ganze Aufmerksamkeit galt ihm.

Es war ein nicht besonders großer Mann. Er war vielleicht 8 bis 10 cm größer als ich. Er hatte dunkelblondes Haar, welches ihm fast bis zu den Schultern ging. Seine eiskalten blauen Augen waren auf mich gerichtet. Sie funkelten regelecht vor Freude über meine Schmerzen. Er hatte so ein düsteres Grinsen an sich, dass ich noch nie gesehen hatte. Auch fiel mir auf, dass er sehr dreckig im Gesicht aussah. Doch das, was mir besonders ins Auge stach, ließ mich für einen Moment erstarren und alle anderen Schmerzen vergessen.

Für einen kurzen Augenblick, kam kein Laut über meine Lippen. Der Schock war zu übermächtig. Seine Kehle war aufgeschnitten und voller getrocknetes Blut. Das konnte nur einer sein. Es war der Mann, der das Leben meines Bruders zerstört hatte. Der Mann, der Andy lebendig begraben hatte. Er muss mich – und Andy – die ganze Zeit beobachtet haben. So wusste er über alles Bescheid. Er wusste, dass es zwei Welten gibt, und dass ich kurz davor war, meine Fähigkeit besser zu kontrollieren. Also musste er mich aufhalten.

Ein kleiner Teil von mir fragte sich, wie Geister nur so eine Macht haben konnten. Jetzt waren sie auch schon in der Lage, einem körperliche Schmerzen zuzufügen. Nachdem der Schock abgeklungen war, fing ich wieder an zu schreien. Sein Grinsen wurde daraufhin noch düsterer. Dann hörten die Schmerzen mit einem Mal auf und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Erst sah er verwirrt aus, dann wütend.

„NEIN!“, brüllte er zornig und sah vermutlich Carlisle an, dessen Stimme nun wieder besser wahrnehmen konnte.

Er murmelte irgendwelche Worte. So wie es sich anhörte, klang es nach Latein. Ich spürte keinen so starken Schmerz neuer auftauchender Wunden nicht mehr. Nur von denen, die ich hatte. Doch dies war etwas besser auszuhalten. Wenigstens musste ich nicht mehr Schreien.

„Mist!“, hörte ich meinem Peiniger wieder sagen, bevor er verschwand.

Ich seufzte erleichtert. Das Gemurmel von Carlisle erstarb sofort, nachdem er mein Seufzen gehört hatte. Ich hörte, wie er etwas beiseitelegte. Er beugte sich über mich und ich schaute in sein besorgtes und professionelles Gesicht.

„Bella, geht es dir jetzt…etwas besser?“
Er legte die Stirn in Falten. Ich nickte nur, zuckte dann aber zusammen, als ich die Schmerzen spürte.
„Ich werde mich sofort um dich kümmern.“

„Hier, Carlisle.“, hörte ich Edwards Stimme.

Ich konnte ihn leider nicht sehen, da ich immer noch auf dem Sofa lag. Wenn ich mich versuchen würde aufzurichten, würde ich vor Schmerzen bestimmt keine Kraft mehr finden. Ich musste versuchen mich still zu verhalten. Ich drehte meinem Kopf etwas nach rechts und sah das Blut, das aus meinem rechten Arm strömte. Es trat aus einem langen tiefen Schnitt heraus. Als hätte jemand mit einem Messer auf mich eingestochen und es nur weiter nach unten gezogen, ohne es zwischen durch herauszuziehen. Ob so etwas überhaupt möglich war?

Ich hörte etwas klicken und dann beugte sich Carlisle über mich, um meine Wunden zu verarzten. Er hielt etwas in der Hand, mit dem er die Blutung stoppte. Ich versuchte, mich auf Carlisle und nicht auf das Blut zu konzentrieren. Dann überkam mich ein Déja-vu-Gefühl.

Das kam mir nur allzu gut bekannt vor. Carlisle musste mich damals auch verarzten und auch meine Wunden nähen. Dasselbe geschah jetzt ebenfalls. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war. Aber nachdem er mich wieder zusammen geflickt und meine Wunden genäht und verbunden hatte, sagte Carlisle mir, ich sollte versuchen mich aufzurichten. Das gelang mir ziemlich gut. Ich verspürte nur noch leichte Schmerzen. Ich holte tief Luft und zuckte wieder vor Schmerzen zusammen.

„Danke. Kannst du mir sagen was passiert ist?“

Carlisle verzog nachdenklich den Mund. „Ich hatte gehofft, dass du es mir sagen könntest.“

Ich runzelte die Stirn. „Naja, ich glaube, ich hatte es fast geschafft, die Fähigkeit für den Übergang besser zu kontrollieren, als ich plötzlich unterbrochen wurde. Mir wurden diese Wunden hinzugefügt. Als würde ich aufgeschlitzt werden. Dann sah ich den Mann, der mir das antat. Es war…“

Aus irgendeinem Grund, wollte ich es Carlisle nicht sagen, da dies mit der schlimmsten Geschichte meines Bruder zusammen hing.
Deshalb sagte ich: „…aber ein Geist, den ich noch nie gesehen hatte.“

Ich hoffte, dass man mir meine Lüge nicht anmerkte. Mir fiel wieder Carlisles Gemurmel ein.

„Was hast du das eigentlich vor dir hingesagt?“, fragte ich neugierig und versuchte dabei die kleinen Schmerzen zu ignorieren.

„Naja, ich habe versucht…“, er zögerte und sah…irgendwie etwas verlegen aus. „…dich zu exorzieren, wenn ich es so sagen kann.“

Ich hob eine Augenbraue. Dann sah ich wieder zu dem Jesuskreuz, das über der Tür hing.

„Ja, genau.“, bestätigte Carlisle. „Ich bin nicht nur Arzt, sondern auch Pastor.“ Ich riss erstaunt die Augen auf.

„Tja, dann vielen Dank für deine Hilfe. Deine Beschwörungsformel hat funktioniert.“

Er lächelte erleichtert. „Dann ist es ja gut.“

Warum hatte ich diesen Unterschied erst jetzt bemerkt? Soweit ich wusste, war der andere Carlisle nur Arzt. Naja, was heißt hier nur?! Dann war ich wieder mit den Gedanken ganz bei der Sache.

Ich stöhnte.
„Das ist zwar schön, dass du die bösen Geister von mir fern halten kannst. Aber wir können diese Übungen wohl erst einmal nicht mehr durchführen. Er würde sonst immer wieder kommen und wer weiß was mit mir anstellen. Dadurch will er verhindern, dass der Übergang klappt.“
Wieder stöhnte ich. „Wäre ja auch zu schön gewesen.“

Ich versuchte langsam aufzustehen. Ich konnte auch laufen, ohne dass ich vor Schmerzen zusammen brach. Carlisle hatte mal wieder gute Arbeit geleistet. Meine Hand lag schon an der Türklinke, als mir eine – wenn auch ziemlich verrückte – Idee kam.

Wie ich gerade zu Carlisle sagte, hatte es jetzt keinen Sinn mehr mit den Übungen. Es würden immer böse Geister kommen und alles vereiteln. Also musste ich heraus finden, warum er dies tat. Ich wusste nicht warum. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass – wenn ich mit ihm reden wollte –, ich zu ihm kommen müsste. Er würde garantiert nicht freiwillig mit mir plaudern wollen.

Aber wie sollte ich das nur anstellen? Ich bin kein Geist. Ich bin eine Lebende. Und ich wollte nicht sterben – schon gar nicht mit 18. Wie sollte ich es schaffen zu einem Geist zu kommen, ohne zu sterben?

Und was, wenn ich nur für ein paar Minuten tot sein würde? Wäre das vielleicht möglich? Wenn ja, dann hätte ich so eine Chance. Ich drehte mich zu Carlisle wieder um. Ich hoffte, dass er mich bei meiner Idee unterstützen würde, denn ohne ihn würde ich meinen „Plan“ nicht umsetzen können.

„Carlisle.“, begann ich, „ich muss in Erfahrung bringen, warum dieser Geist mein Vorhaben sabotiert. Aber dafür müsste ich schon mit ihm reden können.“

Carlisles Blick wurde misstrauisch, nachdem er eine Augenbraue hochgezogen hatte.

„Du willst mit einem Geist reden? Dann warte doch einfach, bis er zu dir kommt.“

Ich schüttelte den Kopf. „Glaube mir, dass ist sehr unwahrscheinlich.“

Eigentlich wusste ich es nicht genau. Mein Gefühl sagte mir es aber und ich vertraute diesem Instinkt. Es fühlte sich richtig an.

„Aber wie willst du das bewerkstelligen? Dafür müsstest du schon tot sein.“, hakte Carlisle nach. Seine Miene wurde mit jedem Wort besorgter.

„Da kommst du ins Spiel. Ich muss ja nicht wirklich tot sein. Nur für ein paar Minuten. Nur eine gewisse Zeit, damit ich mit ihm reden kann.“
Carlisles Augen wurden riesig vor Entsetzen, erwiderte jedoch nichts. Wahrscheinlich war er zu perplex.
„Vielleicht,…ich weiß nicht… Könntest du mich in ein künstliches Koma versetzten. Womöglich reicht es schon aus, wenn meine Gehirnaktivität ganz niedrig gehalten wird.“

Ich versuchte überzeugend zu klingen, doch die Unsicherheit wuchs mit jedem Wort näher. Es auszusprechen war viel schwerer, als es nur zu denken. Was, wenn mir etwas passieren würde? Dann würde ich Edward ebenfalls in den Tod schicken. Und meinen Bruder gleich mit dazu.

Aber andererseits, wenn ich es nicht tat, dann würde ich meine anderen Familien, meinen Edward, meinen Bruder vielleicht nie wieder sehen. Ich schluckte schwer. Auch wenn es schwer werden würde, ich wollte – nein, musste – es versuchen.

„Bella, nein! Das kann ich nicht machen!“, widersprach Carlisle mir laut. Er schrie fast.
„Was ist, wenn du dabei stirbst? Wenn ich dich nicht mehr zurück holen kann? Dabei kann einiges schief gehen. Ich habe gesehen, wie mächtig diese Geister werden können. Selbst wenn du es schaffen solltest, mit diesen einen zu reden, wer weiß, was er mit der tun wird, wenn du erst einmal in seiner Welt bist. In der Welt der Toten.“
Er schauderte und schüttelte den Kopf.
„Nein. Das kann ich nicht machen!“, beharrte er.

Carlisle hatte nicht ganz Unrecht, mit dem, was er sagte. Dennoch musste ich es versuchen.

„Keine Sorge. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Ich bin eine Kämpferin. Die anderen Cullens sagen auch, dass ich sehr mutig bin.“, sagte ich so enthusiastisch wie ich nur konnte.

Carlisle sah sehr skeptisch aus. Ich schien ihn wohl nicht ganz überzeugt zu haben. Ich seufzte.

„Bitte! Ich habe nur diese Möglichkeit. Sonst komme ich vielleicht nie wieder zurück. Nie wieder würde ich dann den anderen Edward oder meinen Bruder wiedersehen. Bitte!“, versuchte ich es verzweifelt.

Er wusste doch, wie sehr ich Edward liebte, und dass ich ohne ihn einfach nicht glücklich sein kann. Und ohne meinen Bruder wäre ich sowieso nicht vollständig. Carlisles Gesicht wurde ernst und besorgt, nickte aber dann langsam.

„Na schön, Bella.“ Er seufzte. „Dafür müssen wir ins andere Zimmer gehen.“

Ich runzelte die Stirn. „Warte mal. Du hast schon alles vorbereitet?“, fragte ich verblüfft.

„Naja, ich dachte, dass es gut möglich wäre, dass du – oder dein Bruder – hier wieder auftauchen könntet. Also habe ich mich für alle Eventualitäten gewappnet und ein Zimmer extra für menschliche Notfälle eingerichtet. Mit Krankenbett und allen Apparaten, die man sonst noch dazu benötigt.“

„Oh.“, sagte ich nur.

Ich folgte Carlisle aus dem Zimmer hinaus und wie gingen den Flur weiter nach links entlang. Vier Türen weiter griff er die Klinke, drückte sie runter und öffnete schließlich die Tür. Ich trat kurz nach Carlisle ein und blieb vor Erstaunen stehen.

Hier sah es haargenau so aus, wie in einem Krankenzimmer. Außer das die Wände nicht weiß waren. Allerhand Apparate standen im Raum verteilt. Ich wusste gar nicht, wozu die alle gut waren. Ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich ging zum Bett und legte mich langsam hin. Carlisle ging zu einem der Apparaten und hantierte dort herum. Plötzlich spürte ich einen Windhauch und alle anderen Cullens standen links neben meinem Bett.

„Bella, das ist keine gute Idee. Bitte tu das nicht.“, sagte Rosalie und sah mich besorgt an, genau wie die anderen.

Ich lächelte ihnen entschuldigend zu. „Ich habe keine andere Wahl.“, beharrte ich.

„So Bella.“, sagte Carlisle zu mir und ich drehte mein Gesicht in seine Richtung. „Ich werde dir jetzt eine Haube aufsetzen und Elektroden an dir befestigen, damit ich so deine Gehirnströme messen kann. Ich werde dich also ans EEG anschließen.“

Aus Carlisle sprach nun der Arzt. Ich nickte ernst. In zwei Minuten hatte er alles für den EEG vorbereitet. Dann bekam ich eine Kanüle in den rechten Handrücken und kurze Zeit später bekam ich eine Sauerstoffmaske auf meinem Mund gelegt.

„Gut, Bella. Zähle nun von 10 rückwärts.“, hörte ich Carlisles Stimme, die etwas gedämpft klang.

Ich sah noch einmal kurz zu den anderen Cullens hinüber, die immer noch sehr besorgt aussahen. Ich bemerkte, dass Edward Alice durchdringend ansah. Wahrscheinlich wollte er wissen, ob sie meine Zukunft sehen könne, wollte aber nicht laut fragen, für den Fall, dass ich doch etwas hörte.

Ich starrte oben an die Decke und fing an zu zählen.

„10…9…8…7…6…5…4…“.

Weiter kam mich nicht, da mich die Müdigkeit übermannt hatte. Es war, als wäre ich in einem sanften Schlaf gefallen. Ich fragte mich, was wohl jetzt kommen würde, bevor ich ganz weg glitt.

Alles wurde schwarz.

Irgendwann – ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – öffnete ich meine Augen. Ich stand aufrecht im Krankenzimmer und konnte mich selbst sehen, wie ich im Bett lag. Alle 6 Augenpaare waren auf mich im Bett beziehungsweise auf dem EEG-Apparat gerichtet.

Einen kurzen Moment war ich wie erstarrt. Es war merkwürdig, sich selbst beobachten zu können. Ich fand meine Stimme wieder und sprach schließlich auch.

„Carlisle?“, fragte ich zaghaft und unsicher.

Meine Stimme klang seltsam. Irgendwie klingelnder und sie hallte. Niemand schien mich zu hören. Weder Carlisle, noch sonst irgendjemand. Es hatte also funktioniert, dachte ich erfreut. Ich war tot. Irgendwie jedenfalls. Vielleicht auch nicht „wirklich tot.“ Aber was sollte ich nun tun? Ich war zwar nun hier, aber wie sollte ich mit dem Mann, der meinen Bruder begraben hatte, nun in Kontakt treten?

Ich beschloss, dass Zimmer erst einmal zu verlassen. Ich machte kehrt und schritt auf die Tür zu. Ich merkte, dass ich überhaupt keine Schmerzen mehr spürte. Ich sah zu meinem Körper hinab, hob versuchsweise die Arme. Nichts. Ich fühlte keinen Schmerz und sah keine „Schnittwunden“ mehr. Merkwürdig. Ich dachte, dass ich sie hier behalten würde. Schließlich hatte ich diesen Mann mit aufgeschlitzter Kehle gesehen.

Ich war nun an der Tür angelangt und wollte die Klinke herunterdrücken, was mir nicht gelang. Ich konnte die Klinke nicht berühren. Meine blasse Hand ging einfach hindurch. Über diese Tatsache musste ich schmunzeln, dann runzelte ich verwirrt die Stirn. Wenn Tote nichts anfassen können, warum waren sie in der Lage, einem Wunden zuzufügen? Ich seufzte. In der Geisterwelt scheinen wohl besondere Regeln zu gelten.

Ich schritt ohne zu zögern voran und war einen Moment später auf der anderen Seite der Zimmertür. Es war ein komisches Gefühl durch diese Tür zu gehen. Fast so, als hätte ich etwas Schlechtes gegessen, sodass mir davon übel wird. So empfand ich es jedenfalls.

Nun stand ich im Flur und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich atmete tief durch und überlegte. Geister tauchten einfach aus dem Nichts auf, was mich sehr störte. Ich war jetzt auch ein Geist, also kann ich dann nicht auch überall in Sekundenschnelle hin, wo ich will? Einen Versuch war es doch wert.

Ich konzentrierte mich auf ihn, schloss die Augen und atmete tief ein und aus.

„Was willst du hier?“, hörte ich eine Stimme feindselig fragen.

Überrascht öffnete ich meine Augen und sah ihn direkt vor mir stehen.

Er schaute nicht nur feindselig, sondern auch erstaunt. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Innerlich freute ich mich darüber, dass es wirklich funktioniert hatte. Ich hatte in kürzester Zeit den Ort gewechselt. Dabei hatte ich nicht einmal etwas gespürt. Es hatte auch etwas Gutes ein Geist zu sein. Doch dann konzentrierte ich mich wieder auf ihn und sah mich kurz um. Ja, ich war wirklich ganz woanders. Ich war irgendwo im Wald. Hier war ich noch nie gewesen. Dieser Ort war mir völlig unbekannt.

„Was willst du hier und wie bist du hier her gekommen?“, fragte er mit Zorn in der Stimme.

Ich sah ihn finster an und hoffte, dass er meine leichte Panik nicht bemerken würde.

„Ich wollte dir nur mal einen kurzen Besuch abstatten und mit dir reden.“

Ich war froh darüber, dass meine Stimme nicht zitterte.

„Ach ja?“, fragte er skeptisch und grinste süffisant.

„Ja.“, sagte ich ruhig und ernst zugleich.

Ich dachte gar nicht daran, mich von ihm provozieren zulassen. Auch wusste ich, dass ich mich beeilen musste. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch blieb?

„Warum tust du das?“, fragte ich gerade heraus.

Er wusste natürlich, dass ich Andys Schwester war. Außerdem wollte ich keine Zeit verschwenden. Seine Miene wurde hart.

„Ganz einfach. Ich weiß, wer du bist und ich weiß, was du kannst. Ich habe Andy beobachtet, seit du hier her gekommen bist. Ich habe es genossen, dass dieser Bastard gelitten hat. Doch seitdem du hier warst, hat sich alles verändert.
Es machte mich rasend. Aber als Toter hat man viel Zeit zur Verfügung. Ich kann sehr geduldig sein.“, sagte er verschwörerisch. „Ich habe einfach auf einen passenden Augenblick gewartet. Und schließlich ist er dann auch gekommen…“

Ich riss vor Schreck die Augen auf und stieß einen kleinen Schreckenslaut aus. „Aber warum?“, flüsterte ich.

Seine Augen versprühten blanken Hass und Zorn. „Weil deine Familie mir das Leben versaut und mich schließlich umgebracht hat!“, brüllte er. „Eigentlich wollte ich mich ja erst an deinem Vater rächen, doch als ich ein Geist wurde, konnte ich viel mehr sehen. Ich habe dich gesehen. Von da an beschloss ich, einfach auch dich zu warten…und dich leiden zu lassen. Das war viel besser, als Charlie oder deinen Bruder zu nehmen.“

Er lachte düster. Ich schluckte hart. „Aber wie kannst du…“

Ich konnte einfach nicht weiter sprechen. Er wusste sofort, was ich meinte.

„Mein Zorn und mein Hass auf euch, ermöglichen mir das.“ Er lachte kurz auf, dann wurde seine Miene wieder hart. „Jetzt, da das geklärt ist, mach ich dort weiter, wo ich aufgehört habe.“

Ich wich zurück. Eigentlich hätte ich mich schnell als Geist wegteleportieren können, doch dafür konnte ich mich nicht genug konzentrieren. Die Angst hinderte mich daran. Er kam langsam immer näher auf mich zu. Ich war wie erstarrt. Ich konnte mich nicht mehr bewegen.

„Warte mal!“, hörte ich eine vertraute Stimme.

Im ersten Moment war ich erleichtert. Im nächsten Moment hatte mich die Angst wieder. Ich erkannte diese Stimme. Es war die von James. Was machte James hier? Anhand seiner Worte wusste ich gleich, dass es nur der James sein konnte, den ich kannte. Was machte dieser James hier? Ich war doch in der anderen Welt. Waren Geister in der Lage, zwischen den Welten hin und her zu reisen? Oder gab es nur einen Himmel, eine Hölle, eine „Zwischenwelt“ für beide Welten? Doch das war jetzt alles nebensächlich. Was machte er hier bei mir? Sicherlich verhieß das nichts Gutes.

„Hallo Bella.“, sagte er freundlich.

Er trat in mein Blickfeld und stand nun neben ihm.

„Wer bist du denn?“, giftete er James an.

„Ich werde mich um Bella kümmern.“

James lächelte genau wie damals, als ich ihn im Ballettstudio sah. James sah ihn durchdringend an.

„Aha. Jetzt verstehe ich. Nur zu!“

Diese Worte gefielen mir gar nicht. James lächelte noch finsterer und trat auf mich zu.

„Was…?“, wollte ich sagen. Doch ich bekam vor Angst kein Wort heraus und weglaufen oder weg denken oder was auch immer, konnte ich auch nicht. Ich konnte keinen Muskel bewegen.

„Ich habe zwar nie meinen Kampf mit Edward bekommen. Aber dafür kann ich mit dir spielen.“

Er kicherte leise. Ich starrte ihn nur weiterhin gebannt an, unfähig auch nur ein Wort zu sprechen. Er hob seinen rechten Arm und legte mir seine Hand auf meine Stirn. Sie fühlte sich weder kalt, noch warm an. Seltsam. James grinste nun breit, sodass ich seine Zähne sehen konnte. Im nächsten Moment zuckte ich zusammen. Ich sah Bilder in meinem Kopf, die ich eigentlich nie wieder sehen wollte.

Ich sah Edward, wie er mit mir am Waldesrand hinter Charlies Haus stand.

„Bella, ich möchte dich nicht dabei haben.“, sagte er langsam, wobei er jedes Wort betonte.

Ein heftiger Schmerz fuhr mir durch die Brust.

„Ich werde nicht zurückkehren.“, hörte ich wieder seine Worte.

Es war, als würde ich zu Eis gefrieren.

„Du bist nicht gut für mich, Bella.“

Mit diesen Worten, begann meine Wunde wieder aufzureißen. Immer und immer wieder hörte ich seine Worte. Als würde ich ständig die Erinnerung von vorne und dennoch neu erleben.

„Bella, ich möchte dich nicht dabei haben.“

„Du bist nicht gut für mich, Bella.“

Immer wieder hörte ich die Worte, mit denen ich zerstört wurde. Ich legte mir die Hände auf die Ohren und kniff meine Augen fest zu. Ich hoffte, dadurch diese Worte nicht mehr hören zu müssen. Doch es nützte nichts. Seine Stimme klang für mich jedes Mal deutlicher als zuvor. Es war, als würde ich wieder in meine persönliche Finsternis hinein gesogen. Ich konnte nicht mehr atmen, drohte zu ersticken.

Die Wunde pochte in mir und innerlich schrie ich vor Schmerzen. Natürlich war mir bewusst, dass Schreien nichts bringen würde. Ich hörte seine Worte unendlich oft in meinem Kopf. Es nahm einfach kein Ende. Ich war verloren. Nichts konnte mich mehr retten. Ich sah und hörte ihn wieder und wieder und wieder.

Ich wusste einfach irgendwann nicht mehr, was real war und was nicht. Nur das was ich jetzt in diesem Augenblick wahrnahm, blieb mir im Gedächtnis. Sonst vergaß ich alles. Mit jedem seiner Worte, die ich wieder und wieder hörte, pochte die Wunde stärker. Es schien einfach kein Ende zu nehmen.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen.

Die Wellen des Schmerzes hatten mich wieder eingeholt. Wieder überspülten sie mich, jedoch viel langsamer als zuvor. Ich versank in ihnen, versuchte an die Oberfläche zu gelangen, aber ohne Erfolg. Ich sank immer tiefer und tiefer.

Tiefer in die Finsternis. Tiefer in das Nichts.

Das Nichts hatte wieder den Schmerz überdeckt, oder eingesperrt. Ich merkte, dass mich wieder das taube Gefühl umgab, welches ich einst besaß, damit ich funktionieren konnte. Ich spürte nichts mehr. Ich wusste nicht, ob irgendeine Hand noch auf meiner Stirn lag. Wusste nicht mehr, was Wirklichkeit war.

Die Erinnerung, wenn es denn eine war, der Schmerz, das Nichts. All das hatte mich vollkommen eingenommen. Nichts anderes hatte mehr Platz in meinem Kopf. Überhaupt nichts.

Plötzlich sah ich ein kleines Licht und hörte gedämpfte Worte, konnte sie jedoch nicht verstehen. Das Licht verschwand wieder. Ich wusste nicht einmal mehr, ob ich meine Augen offen oder geschlossen hatte. Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren.

Ich war in meinem eigenen Körper gefangen. Ich wünschte sehnlichst, dass der Tod eintreten möge, doch er kam nicht. Doch dann fragte ich mich dumpf, ob ich überhaupt Erlösung finden würde. Würde ich jemals Frieden empfinden, selbst wenn ich tot wäre, wirklich tot wäre? Ich glaubte nicht daran.

Denn ich war schon tot und ich empfand keinen Trost, keinen Frieden. Ich empfand nichts. Das, was ich empfand, beziehungsweise nicht empfand, war viel schlimmer als der Tod.

Ich war eingesperrt und hatte nicht die kleinste Hoffnung, dass ich je wieder ausbrechen würde…

Erste Begegnung




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




„Der gewünschte Gesprächspartner ist vorübergehend nicht zu erreichen.“, hörte ich die schreckliche Telefonstimme nun zum tausendsten Mal sagen.

Es war für mich wie die Hölle. Seit Tagen hatte ich nichts mehr von meiner Bella gehört. Weder mit ihr gesprochen, noch habe ich Kurznachrichten von ihr empfangen. Immer, wenn mich die Sehnsucht nach ihr packte, – also eigentlich die ganze Zeit – dann las ich immer wieder die Worte, die sie mir geschickt hatte. Als ich sie empfangen hatte, musste ich schmunzeln. Doch natürlich machte ich mir auch große Sorgen um sie. Das tat ich immer. Ganz besonders, wenn ich nicht bei ihr war.

Sicher, eigentlich sollte ich mich nicht so aufregen, schließlich gab es dort auch eine gutherzige Vampirfamilie, die alles für meine Bella tun würde, sogar Rosalie, wie ich aus Elizabeths Gedanken gehört hatte. Ja, eigentlich sollten mich meine Sorgen nicht ständig übermannen. Aber die Tatsache, dass es auch ein zweites Ich, einen anderen Edward gab, machte mich rasend vor Eifersucht. Wieso konnte er bei ihr sein und nicht ich?

Meine „Schwester“, eine unserer neuen Familienmitglieder, hatte mir jedes Mal versichert, dass meine Gefühle völlig unbegründet sind. Ihr anderer Bruder liebe Bella zwar auch, aber als Schwester, nicht wie eine Gefährtin. Bella war aber für mich viel mehr als eine Gefährtin. Sie war alles. Meine Seele, meine Freundin, meine Existenz und vielleicht sogar meine zukünftige Frau. Bei diesen Gedanken breitete sich ein warmes Gefühl in meinem Körper aus und ich dachte, dass mein Herz wieder anfangen würde zu schlagen. Dieser wundervolle Gedanke ließ immer ein unvergleichliches Bild in meinen Kopf entstehen, sodass ich für einen kurzen Moment meine Sorge um sie vergaß. Doch sobald ich wieder in der Realität angekommen war, schämte ich mich dafür, mich meinen Tagträumereien hinzugeben, während ich nicht wusste, was Bella gerade tat. Ob es ihr gut ging.

In den letzten Tagen hatte ich sehr oft versucht Bella zu erreichen. So oft, dass Emmett schon Witze über den schlimmsten Stalker der Welt machte. Anfangs musste ich dabei grinsen, doch mit jedem gescheiterten Versuch, Bella zu erreichen, wurde ich immer besorgter und gereizter. Jasper und Elizabeth verstanden meine Lage, versuchten allerdings nicht, mich zu beeinflussen, wofür ich ihnen sehr dankbar war.

In der kurzen Zeit, die Elizabeth nun bei uns war, hat sich nicht nur ihre Beziehung zu Andy immens gefestigt, sondern auch zu unserer Familie. Zu jedem hatte sie ein gutes Verhältnis. Alle waren erfreut über unseren Familienzuwachs, den Bella und/oder ihr Bruder, mit sich gebracht hatte. Carlisle und Esme freuten sich über ihre neue Tochter und darüber, dass sie und Andy zueinander gefunden hatten. Emmett, Jasper und Alice waren ebenfalls sehr begeistert von ihr. Elizabeth war für Alice ein guter Ersatz für ihre zweite beste Freundin Bella, also Bellas Zwillingsschwester, wenn sie eine hätte, natürlich.

Frauen…

Jasper verstand sich mit Elizabeth unverzüglich, was unter anderem mit ihren Fähigkeiten zusammen hing. Rosalie war Elizabeth eher sehr distanziert gegenüber. Doch dies beruhte auch auf Gegenseitigkeit. Rosalie strafte Elizabeth zwar nicht mit hasserfüllten Blicken wie Bella, aber man konnte deutlich erkennen, dass diese Beziehung nicht sehr eng werden würde. Auch in diesem Punkt ähnelte sie mir. Ich konnte auch nie besonders viel mit Rosalie anfangen. Kaum zu glauben, dass Carlisle und Esme einst dachten, dass Rosalie und ich ein Paar werden konnten. Bei diesem Gedanken stieg mir das Gift in den Mund.

Emmett freute sich wie ein kleiner Junge, dass nun auch „meine Schwester“ ein Teil unserer Familie war. Kaum hatten die beiden ihre erste richtige Unterhaltung geführt, bekam sie den Kosenamen „Elli“ aufgedrückt. Daraufhin hatte sie nur belustigt den Kopf geschüttelt und sagte nur, dass er dem anderen Emmett im Nichts nachstand. Sie war also an diesem Kosenamen schon gewöhnt. Auch konnte Emmett sie sehr gut necken, was ihm wie immer großen Spaß bereitete. Und jedes Mal konterte sie zurück, indem sie ihn ebenfalls neckte. Emmett war glückselig, denn so konnte er mit Rosalie nicht „spielen“. Es war sehr erheiternd die beiden bei ihrem Wortspiel zuzuhören. Natürlich ging das nur, wenn meine Schwester – ich muss zugeben, dass das sehr gut klang – mal nicht bei ihrem Liebsten Andrew war.

Sie war fast ständig bei ihm und ich erkannte mich in ihr wieder. Allmählich wurde ich auf Elizabeth langsam eifersüchtig. Es war ungerecht, dass sie Zeit mit ihrem Seelenverwandten verbringen konnte, während ich von meiner wahren Hälfte getrennt war. Es war zum Verzweifeln. Ich versuchte, meine Gefühle nicht offen zu zeigen, aber wie sollte man diese vor zwei Empathen auch verstecken können? Elizabeth kam, als sie diese Gefühle zum ersten Mal spürte auf mich zu, umarmte mich und teilte mir mit:

°Keine Sorge. Ich vermisse Bella auch. Und außerdem, bin ich nicht nur zum Vergnügen mit ihm zusammen. Ich versuche Andrew auch dabei zu helfen, seine Fähigkeit zu kontrollieren und ich glaube, wir machen Fortschritte.°

Mit diesen Gedanken wollte sie mich aufheitern und ich versuchte ihretwegen zu lächeln. Doch natürlich wusste sie, wie sehr mich es quälte, von meiner Bella getrennt zu sein. Ganz besonders nach der schweren Zeit, die ich durchlitten hatte, als ich sie verließ. Ich hatte ihr doch auf der Lichtung geschworen, dass ich sie mehr allein lassen würde. Leider hatte ich auch diesmal versagt.

Jedes Mal, wenn ich Elizabeths Stimme in meinem Kopf hörte, lauschte ich gespannt auf die Fortschritte. Es war deprimierend zu sehen, wie sich Andy in den letzten Tagen verändert hatte. Immer wenn ich ihn sah, entweder in Elizabeths Kopf bei ihm zuhause – ich konnte dort einfach nicht hin, es war zu schmerzhaft –, oder in der Schule, oder wenn er mit Elizabeth bei uns war, schienen sich seine Mundwinkel jedes Mal ein Stückchen tiefer nach unten zu bewegen. Auch er litt unter der Trennung seiner Schwester. Verständlich.

Manchmal dachte ich, dass er fast so litt, wie ich. War das möglich, auch wenn er nur ein Mensch war? Aber er war mit seiner Schwester auf besondere Weise verbunden. Eine Verbindung, die ich selbst noch nicht begreifen konnte, und das soll schon was heißen. Ja, ich war mir recht sicher, dass er die gleichen Qualen durchmachte, wie ich. Andy beklagte sich zwar nie, doch sein Gesicht war Antwort genug. Dazu brauchte ich nicht einmal seine Gedanken lesen und irgendwo war ich sehr froh darüber, dass ich sein Leid nicht auch noch hören musste. Es zu sehen, war schon schlimm genug.

Alle versuchten ihn aufzubauen, besonders Elizabeth. Aber mit jedem Tag, der verging, wurde sie ebenso deprimierter, wie ich und Andy. Einerseits lag es daran, dass sie seine Gefühle empfing, andererseits, weil sie auch so mit ihm mitfühlte und ebenfalls Bella vermisste. Sie wollte nicht, dass Andrew unglücklich war.

Mir fiel dennoch neben meiner Sorge, die jede Sekunde wuchs, auf, dass Elizabeth in Andys Abwesenheit, den vollen Namen ihres Liebsten laut und in Gedanken benutzte. Ihr gefiel Andrew fiel besser, da es sich für sie, erwachsener und „männlicher“ anhörte. Sie dachte, „Andy“ klinge wie der Name eines Zwölfjährigen. Ich wusste gar nicht, was sie hatte. Ich fand den Namen Andy ziemlich gut. Er passte einfach zu ihm.

Andy und Bella.

Bella und Andy.

Für mich klangen diese zwei Namen einfach perfekt, egal wie ich es drehte. Sie gehörten einfach zusammen, wie die Teile einer Symphonie. Ohne das eine oder das andere, wäre die Symphonie niemals vollkommen. Für mich würde er immer Andy heißen, es sei denn, er wünscht, dass man ihn so anspricht. Ich wusste einfach nicht, was Elizabeth hatte.

Frauen, die soll einer verstehen…

Die Tage flogen weiterhin an mir vorbei und noch immer konnte ich meine Bella nicht erreichen. Ab und zu fragte ich ihr männliches Gegenstück, ob er schon Erfolge erzielte. Jedoch wurde ich ständig mit einem Kopfschütteln enttäuscht. Auch sagte mein neuer kleiner Bruder, dass er Bella ebenfalls nicht erreichen konnte. Mit jeder Stunde die verging, wurden die Sehnsucht, die Sorge und die Verzweiflung immer stärker. Wenn nicht bald etwas passierte, würde ich den Verstand verlieren.

Eines Morgens – ich hatte mich wieder mal für einen sinnlosen Tag in der Schule fertig gemacht –, hörte ich Elizabeths seltsame Gedanken, die mich sofort aufhorchen ließen.

°Was hat er nur? Er ist ja noch schlimmer, als sonst. Was soll ich nur machen?°

Das verhieß nichts Gutes!
Ich ging runter ins Wohnzimmer und wartete gemeinsam mit den anderen auf meine Schwester. Alice wusste garantiert schon Bescheid, doch sie verbarg ihre Gedanken mit sinnlosen Dingen vor mir. Machte sie das absichtlich um mich zu ärgern? Mir entfuhr vor Ärger und Ungeduld ein leises Knurren. Es dauerte zähe 35 Sekunden, bis sie endlich da war.

„Was ist los!“, verlangte ich ohne Umschweife zu wissen.

Durch meine Sorge und Ungeduld klang es so, als würde ich ihr gleich den Kopf abreißen. Ich atmete tief durch, um mich wieder zu beruhigen. Elizabeth sah sehr besorgt und erschrocken aus. Meine Wut verrauchte augenblicklich. Sie machte mir Angst.

„Andrew war heute Morgen noch verrückter als sonst. Er war sehr unruhig und doch irgendwo aufgewühlt. So habe ich ihn noch nie erlebt. Er wollte sich nicht von mir besänftigen lassen. Er hatte mich kurz nachdem er aufgewacht war, weggeschickt und sagte mir, dass wir uns in der Schule sehen würden. Zum Schluss sagte er nur, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte.“
Elizabeth legte ihre Stirn in Falten.
„Da stimmt was nicht. Nicht nur, dass er sich sehr merkwürdig benahm, sondern auch, dass er im Laufe der Nacht noch mehr grauweiße Haare bekommen hat, als sonst.“

Ja das war ein Problem. Vor einigen Tagen – ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren – fingen Andys Haare an, einfach an zu ergrauen. Das war nicht normal. Vor allem nicht für einen 18 jährigen gesunden jungen Mann. Carlisle hatte ihn daraufhin untersucht.

„Eigentlich ist so etwas nicht möglich.“, hatte er gesagt. „Andy muss wohl sehr unter psychischen Stress stehen.“

Andy hatte ihn daraufhin mit seinem verzweifelten, traurigen Blick angesehen und entschlossen erwidert, dass er wegen ein paar grauen – eigentlich weißen – Haaren, nicht aufgeben würde.

Im Laufe der letzten Tage, waren seine Haare eher weiß, als kastanienbraun, was ihn älter aussehen ließ, jedoch nicht auf einer guten Art. Wir alle machten uns ernsthaft Sorgen um Andy und nachdem, was uns Elizabeth gerade erzählt hatte, wuchs die Sorge noch weiter.

„Keine Panik, Elli.“, sagte Emmett im lockeren Ton, doch man konnte ihm anhören, dass er ebenso besorgt war.
„Wir werden schon noch herausfinden, was mit unserer männlichen Bella los ist.“

Elizabeth brachte wirklich ein kleines Lächeln zustande. Selbst in dieser Situation schaffte es Emmett noch unsere Stimmung wenigstens etwas aufzuhellen. Die nächsten 80 Minuten zermarterte ich mir den Kopf darüber, was mit Andy wohl los war. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich keine anderen Stimmen hörte.

Etwas war heute anders. Das wusste ich genau. Irgendetwas würde – musste einfach passieren! Elizabeth schien es nicht anders zu gehen, wie mir. Die ganze Zeit lief sie im Wohnzimmer auf und ab, was mich eigentlich hätte wahnsinnig machen müssen, doch dafür hatte ich jetzt keine Nerven.

Als es endlich Zeit für die Schule war, saßen alle im nächsten Augenblick in meinem Volvo und ich trat das Gaspedal durch. Ich wollte so schnell wie möglich bei der Schule sein. Merkwürdig, dass ich mich jetzt sogar freute zur Schule zu gehen. Naja, „freuen“ war nicht der passende Ausdruck.
Natürlich waren wir vor Andy da. Ich trippelte nervös mit meinem Fuß auf dem Boden.

„Mensch, Edward. Ganz ruhig. Wenn du so weiter machst, dann gibt es noch ein Erdbeben.“, versuchte Emmett mich zu beruhigen und legte mir eine Hand auf die Schulter.

Natürlich hatte er Recht. Aber wie sollte ich mich ruhig verhalten, wenn die stärkste Verbindung zu meiner Bella, sich merkwürdiger verhält als sonst. Das Warten machte mich wahnsinnig. Wenn nicht so viele Menschen vor Ort gewesen wären, hätte ich irgendein Fahrzeug genommen und irgendwo hingeschleudert. Alice stieß mir besorgt und warnend in die Rippen.

°Bleib ruhig, Edward. Andy ist in 2 Minuten und 39 Sekunden da.°

Wie lang das doch dauerte. Eigentlich bedeute mir Zeit nichts, schließlich war ich ein Vampir und lebte bald ein Jahrhundert. Aber ich wollte am liebsten losbrüllen. Ich wäre am liebsten zu Andy gerannt, hätte ihn aus dem Transporter und auf meinen Rücken genommen und wäre wieder hier her gekommen. In diesem Moment war ich der Zeit nicht gleichgültig gegenüber. Mir schien es, als sei sie mir feindlich gesonnen.

Dann, nach einer Ewigkeit, hörte ich den lauten Motor eines Transporters. Ich seufzte erleichtert. Allerdings war ich nur kurz erleichtert. Kaum war Andy aus seinem – oder Bellas? – Transporter ausgestiegen und hatte die Tür zu geschlagen, war ich fast in Vampirgeschwindigkeit bei ihm, packte ihn an den Armen und schüttelte ihn. Ich musste mir aber in Erinnerung rufen, dass ich mich kontrollieren musste, dennoch konnte ich meine Sorge und Wut nicht unterdrücken.

„Was ist los!?“

Elizabeth trat mir „zaghaft“ gegen das Bein. Sie lächelte mich leicht an, belustigt und verärgert zugleich.

„Brüderchen, reiß meinem Andrew nicht gleich den Kopf ab.“, tadelte sie mich.

Da hörten wir ein kurzes leises Auflachen von Andy.
„Meinem Andrew?!“, sagte er immer noch glucksend.

Es war schön, ihn wieder mal etwas fröhlicher zu sehen. Sofort ging es mir und Elizabeth auch besser.
„Bitte bleib bei Liebster, oder so etwas.“

Er schlang seine Arme und sie und sah sie sehnsüchtig und liebevoll an. Doch Elizabeth war es, die ihre Lippen auf seine presste. Andy hatte immer noch bedenken, einen Vampir zu küssen. Ich musste kichern. In diesem Punkt, unterschied er sich von seiner Schwester. Sie konnte sich gar nicht von mir losreißen. Es sei denn sie brauchte Luft oder ich musste mich von ihr widerstrebend entfernen, da mein Verlangen nach ihr einfach zu groß wurde. Doch auch wenn ich Andys Gedanken nicht lesen konnte, war ich mir ziemlich sicher, dass er nicht wirklich anders wie seine Schwester war. Er hielt sich einfach zurück. Da hatte er etwas mit mir gemeinsam. Irgendwie.

Als ich wieder an meine Bella dachte, wurde mir sofort wieder schwer um mein totes Herz und die Sorge und Verzweiflung umklammerte wieder meine Brust. Elizabeth merkte meinen Stimmungswandel und löste sich umgehend von ihrem Liebsten. Sie wollte es mir nicht noch schwerer machen. Sie drehte mir ihren Kopf zu und sah in mein entschuldigendes Lächeln.

„Wir müssen los zum Unterricht.“, sagte ich dann.

Elizabeth löste sich aus Andys Umarmung, nahm seine Hand und ging mit ihm ins Schulgebäude. Versonnen schaute ich den beiden hinterher. Ich erinnerte mich an den ersten Tag, den sie hier an dieser Forks Highschool hatten.

Als die anderen Schüler Andy zum ersten Mal sahen, dachten sie irrtümlicherweise, er sei Bella. Doch als sie erkannten, dass sie ein er war, staunten sie nur noch. Und viele Mädchen staunten noch viel mehr als die Jungen. Anscheinend wirkte er genauso anziehend auf die Mädchen, wie Bella anziehend auf Jungs wirkte, was mich natürlich wahnsinnig und zornig gemacht hatte. Naja, eigentlich immer noch. Besonders Mike Newtons Gedanken waren einfach nicht zum Aushalten.

Als ich diese etwas anzüglichen Gedanken der Mädchen hörte und Elizabeth deren Gefühle wahrnahm, knurrte sie leise, während ich verächtlich schnaubte. Dachten sie ernsthaft, dass sie eine Chance bei Andy hätten? Er fühlte sich nicht zu normalen Mädchen hingezogen, genau wie seine Schwester eben zu MIR „Ja“ gesagt hatte.

Als Andy bewusst wurde, dass viele Mädchen ihn anstarrten, wurde er rot. Es gefiel ihm natürlich nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Elizabeth kicherte verschwörerisch, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn mit voller Leidenschaft. Sofort änderten sich die Gedanken aller Mädchen.

°Oh, man! Das kann doch nicht wahr sein! Was hat nur diese Cullen-Tussi, was ich nicht habe?°

So viele und ähnliches musste ich mir anhören. Darüber konnte ich nur schmunzeln. Natürlich saßen Elizabeth und Andy an einem Tisch und auch in der Mittagspause verbrachte er viel Zeit mit uns. Am ersten Tag, hatte sich sogar Angela, die ich schon immer mochte, an unseren Tisch heran getraut und gefragt, wo Bella denn sei. Andy lächelte sie freundlich an und sagte, dass sie krank sei.

„Unglaublich! Ich hätte nie gedacht, dass Bella einen Zwillingsbruder hat.“, sagte sie, bevor sie wieder gegangen war.

Andy gefiel es hier an dieser Schule, aber mit jedem Tag ohne seine weibliche Hälfte, wurde seine Miene trauriger.

Ich schüttelte kurz den Kopf und tauchte wieder aus meinen Erinnerungen auf. Es klingelte. Der Unterricht würde gleich anfangen und ich wollte nicht zu spät kommen.
Als die ersten vier Stunden um waren, wartete Alice im Flur auf mich, was bizarr war, denn dies tat sie nie.

°Wir gehen nicht in die Cafeteria. Elizabeth Andy warten draußen auf uns auf dem Schulgelände. Er scheint sehr nervös zu sein und will mit uns allen sprechen. Aber mehr kann ich nicht sehen. Er scheint noch mit sich selbst zu hadern.°

Da war er also nun. Der Moment auf den ich gewartet hatte. Nun würde ich erfahren, was mit Andy los war. Heute würde es anders sein. Ich ging zusammen mit Alice zum Schulgelände. Auf dem Weg dorthin gesellten sich die anderen zu uns, auch Rosalie, da Emmett ja mit kam. Seine Augen leuchteten vor Erwartung.

°Oh, klasse! Jetzt geht hier endlich mal wieder was ab! Schluss mit Langeweile!°

Ich warf ihm einen strengen Blick zu. Die ganze Situation war alles andere als spaßig. Jasper sah sehr nachdenklich aus.

°Oh, mein Gott. So ein Gefühlschaos. Wenn er sich nicht bald etwas beruhigt, dann erleidet er noch einen Nervenzusammenbruch.° Seine Stimme klang sehr ernst.

Ich riss vor Schreck die Augen auf. Weil wir in menschlicher Geschwindigkeit gehen mussten, um die Fassade aufrecht zu erhalten – manchmal ging mir diese ganze Farce wirklich auf die Nerven – waren wir erst in zweieinhalb Minuten bei unserem neusten Paar angelangt. Zum Glück war das ganze Gelände leer. Keiner war in der Nähe oder sah uns. Ich konnte nichts hören, außer die besorgten Stimmen der anderen, abgesehen von Rosalie.

°Was ist denn jetzt schon wieder. Spuck’s schon aus!°

Ich knurrte sie leise an, sodass es Andy nicht hören konnte. Es ging ihm wirklich nicht gut. Er fuhr sich mit beiden Händen nervös durch sein weiß/kastanienbraunes Haar und sein Herz schlug fiel zu schnell. Jasper Instinkte gewannen überraschenderweise nicht die Oberhand. Andys Panik und seine eigene überdeckten sie. Andy holte tief Luft und fing endlich an zu sprechen.

„Okay, Leute. Hört mir jetzt gut zu!“, begann er.
„Ihr wisst ja, dass ich schon seit einiger Zeit versuche, meine Fähigkeit zu kontrollieren, was bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt wurde. Wahrscheinlich James Schuld. Mit jedem Tag, den ich ohne meine Schwester verbringen musste, habe ich mich verändert. Naja, das habt ihr ja mitgekriegt. Ich habe euch aber nicht gesagt, warum.“

Jetzt wurde es interessant. Ich erstarrte und meine Augen waren wie gebannt auf ihn gerichtet. Er nahm mein ganzes Denken ein.

„Jedem Tag fühlte ich mich deprimierter und als ich heute Morgen aufgewacht bin, war es am Schlimmsten. Ich habe in den letzten Tagen immer mehr die Verbindung zu Bella verloren und heute Morgen, spürte ich überhaupt nichts mehr. Als hätte man unser Band durchtrennt. Als wäre sie tot.“

Als er das letzte Wort ausgesprochen hatte, schauderte er und ihm stockte kurz der Atem. Mir war es, als hätte Andy mit diesem Wort mir mein totes Herz rausgerissen. Ich hörte auf zu atmen.

„Das glaube ich aber nicht!“, widersprach er sich selbst, nachdem er wieder seine Stimme gefunden hatte.
„Aber normal ist das nicht! Ich habe heute Morgen fast einen Anfall bekommen!“

„Das habe ich gemerkt.“, unterbrach Elizabeth ihn. Sie nahm seine Hand.
„Warum hast du uns das denn nicht früher gesagt?“, fragte sie verzweifelt.

„Ich wollte euch, mir und vor allem Edward nicht in Panik versetzen.“, sagte er mit kleinlauter Stimme.
Es sah aus, als würde er sich schämen.

„Aber warum sagst du uns das jetzt?“, fragte Jasper mit seiner ruhigen Art.
Ich nickte ihm dankbar kurz zu. Ich hatte noch keine Kraft, etwas zu sagen.

„Ich hörte nach dem Aufwachen heute Morgen ein Brüllen in meinem Kopf. Keine Ahnung, warum. Aber ich musste einfach allein sein, damit ich der Sache auf den Grund gehen konnte. Also habe ich meine Vampirfreundin schweren Herzens weggeschickt.“
Er warf Elizabeth einen vielsagenden Blick zu.
„Dieses Brüllen. Das war die Stimme eines kleinen Mädchens. Ich wusste sofort, von wem das Brüllen kam. Von Bella. Von der kleinen Bella. Es waren Angstschreie.“

Diese Worte zerfetzten mein Herz und ließen ein grässliches Szenario in meinem Kopf entstehen. Natürlich wusste ich, warum Bella so schrie. In mir stieg Zorn und Hass auf. Ich musste mich aber wieder besinnen und erdrückte diese Gefühle. Andy hatte Bellas Angstschreie gehört, als sie – ich schluckte schwer – vergewaltigt wurde. Ich schwor mir selbst, dass ich, sollte ich dieses Monster finden, ihn eigenhändig umbringen werde. Mir entfuhr ein Knurren. Vielleicht etwas zu laut.

„Moment mal, Testosteron-Bella. Was soll das heißen, du hast ihre Schreie gehört? Wie geht denn das?“, fragte Emmett.

Alberner Titel. Er konnte es einfach nicht lassen. Selbst in dieser ernsten Situation fand er Platz für seine Neckereien. Aber so war er nun mal. Andy zuckte mit den Schultern.

„Tja, weiß ich doch nicht, Muskelprotz. Vielleicht hat es mit meinen medialen Fähigkeiten zu tun? Was weiß denn ich!“, erwiderte er etwas gereizt.
„Jedenfalls hörte ich ihre Schreie. Sie schienen aus dem Boden zu kommen.“

Wir alle hoben verblüfft eine Augenbraue hoch. „Hä?“, kam es von Emmett. Andy nickte bestätigend.

„Also habe ich ein paar Dielenbretter gelöst. Darunter waren viele Sachen. Ein Fotoalbum, eine gebrannte CD, sogar Flugtickets nach Jacksonville.“

Oh, oh. Das gibt es ja nicht. Ich verfluchte innerlich die Tatsache, dass Andy in Bellas Zimmer schlief, seitdem sie in der anderen Welt war. Ich hatte leider noch nicht die Sachen wieder mitgenommen. Mir war das etwas unangenehm. Und wenn er jetzt fragen würde, was diese Sachen dort zu suchen hatten. Dann müsste ich wieder von dem Tag erzählen, der mich zu der schwersten Entscheidung meines Daseins getrieben hatte.

Das wollte ich allerdings nur sehr ungern tun. Es fiel mir sehr schwer über meine schwärzeste Zeit zu sprechen, die am 13. September anfing. Doch zu meinem Glück fragte Andy nicht danach. Logisch, angesichts der Situation. Wie konnte ich nur an mich denken, während er von so etwas Schlimmen erzählte? Ich war ziemlich egoistisch. Wieder durchfuhr mich ein kleiner Schmerz, als mir wieder einmal klar wurde, dass ich Bella einfach nicht verdient hatte. Sie war so selbstlos und ich, ich war…einfach ICH!

„Aber das Schreien kam von woanders her.“, nahm Andy den Faden wieder auf und holte mich aus meiner Versunkenheit.
„Ich löste ein paar Meter weiter wieder ein paar Dielen und fand den Ursprung dieser Schreie. Ich hielt eine Kiste in meinen Händen, hob den Deckel hoch und nahm eine Plastiktüte in die Hand. Als ich dies in der Hand hielt, hörten die Schreie abrupt auf.“

Er fasste in die linke Hosentasche seiner Jeans und holte etwas heraus. Es war eine Plastiktüte, in der sich etwas befand. Wir alle beugten uns vor, um mehr zu erkennen. Andy reichte mir die Tüte. Darin war eine Halskette mit einem kleinen blauen Schmetterling als Anhänger. An ihr klebte Blut.

Es war Bellas Blut! Kein Zweifel. Es war ihr Geruch. Doch da war noch ein anderer. Er stach fürchterlich in der Nase. Es stank nach…nach?

Nein, unmöglich!

Es stank nach Werwolf. Es stank nach Hund. Widerlich! Alle anderen Vampire teilten meine Meinung in ihren Gedanken. Dann hatte mich der Zorn wieder eingeholt. Ein Hund hatte meine Bella angefasst!? Ein Hund? Ein Hund hatte meine Bella vergewaltigt? War das etwa das Geschenk, von dem Bella erzählt hatte?

Dessen war ich mir ganz sicher. Außerdem unterstützten Bellas Schreie, die Andy gehört hatte, meine These. Ich ballte die Hand zu einer Faust. Zum Glück umschloss ich nur die Tüte und nicht auch noch die Kette, sonst wäre sie jetzt zu Staub zerfallen. Mir entrang ein fürchterliches Knurren.

„Gib mir die Tüte wieder!“, drang Andys Stimme schrill und fordernd zu mir durch.

Ich verstand seinen Tonfall nicht, gab sie ihm aber sofort zurück. Er atmete erleichtert auf und steckte die Tüte wieder zurück in seine Hosentasche. Als er wieder zu uns aufblickte, sah er in 6 fragende Gesichter.

„Ich weiß es klingt verrückt. Haha, was nicht?“, fragte er sarkastisch.
„Aber wenn ich die Tüte aus der Hand gebe, höre ich ihre Schreie wieder.“

„Oh!“, entfuhr es Alice nur.

Ja, mehr konnten wir dazu auch nicht sagen. Elizabeth drückte seine eine Hand, die immer noch in ihrer lag. Er sah sie dankbar an. Dann wurde sein Blick ernst und sah und der Reihe nach an.

„Und, Lust die letzten Stunden zu schwänzen?“

„Was meinst du?“, fragte meine neue Schwester verwirrt.

Andy seufzte genervt. „Na, wir werden jetzt einen Übergang versuchen.“

Elizabeth Augen weiteten sich. „Und du meinst, das funktioniert?“, fragte sie zweifelnd.

Ich sah, wie Andys gesamter Körper sich anspannte. Er schien jetzt Elizabeths Hand so fest zu drücken, wie er nur konnte. In seinem Blick sah ich wilde Entschlossenheit. Andy schnaubte verächtlich.

„Es ist mir jetzt total egal, ob mich irgendein Geist aufhalten will oder nicht! Ich werde jetzt zu meiner Schwester kommen und nichts und niemand wird mich jetzt daran hindern!“
Er knurrte es fast und seine schokoladenbraunen Augen funkelten.
„Los. Alle Händchen halten.“, forderte Andy uns auf und machte mit seiner freien Hand eine entsprechende Geste.

„Bin dabei, Andy!“, sagte Emmett enthusiastisch und ernst zugleich. Er nahm Andys Hand fest in seine. Naja, nicht zu fest. „Wir werden unsere kleine Schwester schon zurück holen.“

Emmett grinste Andy an und er erwiderte es. Ich nahm Emmetts Hand, Alice meine, Jasper Alice‘. Rosalie schloss den Kreis und nahm Alice‘ und Elizabeths Hand. Wir alle sahen zu Andy und hofften, dass es nun dieses Mal funktionieren würde. Nur Rosalie verbreitete wieder schlechte Gedanken. Ich versuchte sie auszublenden und konzentrierte mich nur auf sie.

Andy schloss die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Er konzentrierte oder sammelte sich. Nachdem Andy 5 Atemzüge genommen hatte, sah ich in unserem Kreis ein Flimmern, das immer stärker wurde. Es klappte. Es klappte tatsächlich. Erleichterung durchströmte mich.


(Paralleluniversum)




Im nächsten Moment hatte sich die Umgebung auch schon verändert. Der Übergang hatte augenblicklich stattgefunden. Wir waren woanders. Wir lösten unsere Hände voneinander. Als Andy merkte, dass niemand seine Hände mehr hielt, machte er die Augen wieder auf. Nun sah er sich ebenfalls um. Wir waren in unserem Haus. Aber es war etwas anders eingerichtet. Merkwürdig. Aber als ich Andys „JA!“, hörte, verschwanden meine Zweifel sofort.

„WAS WILLST DU DENN HIER?“, brüllte meine Stimme.

Meine Stimme? Das war dann wohl mein Doppelgänger. Ich blickte in mein Gesicht, das vor Wut verzerrt war. Ich hätte nie gedacht, dass ich so gucken konnte. Er schien mich mit seinen Worten angesprochen zu haben. Aber warum stellte er mir diese Frage? Er kannte doch meine Gedanken. Schließlich war er ich, oder nicht? Er kann alles, was ich kann.

Ich wich vor seiner Feindseligkeit zurück. Sie erschreckte mich. Im nächsten Moment stand er vor mir, hob mich hoch und schleuderte mich mit voller Wucht gegen die Wand. Eigentlich hätte ich ihm ausweichen können. Aber vielleicht konnte ich das ja nicht? Vielleicht hätte er es dann ebenfalls „vorausgesehen“ und mich dennoch gepackt? Aber das war nicht der Punkt.

Ich konnte mich einfach nicht bewegen. Dazu war ich zu perplex. Erst, dass ich in der anderen Welt war, dann, dass ich meinem „Zwillingsbruder“ gegenüber stand und dann noch sein Hass und Zorn auf mich. Ich verstand seine Gedanken nicht und konnte nicht die Ursache dafür in seinen Kopf lesen. Dafür war er viel zu aufgewühlt.

Erstaunlicherweise flog ich nicht durch die Wand. Sie bekam nur einen tiefen Riss und viele Bilder, die an der Wand hingen, fielen runter auf den Boden und gingen zu Bruch. Im Nu war ich wieder auf den Füßen und sah mein Ebenbild erschrocken an. Was hatte er nur? Warum wollte er nicht, dass ich hier war? Wollte er Bella…etwa für sich alleine haben? Aber Elizabeth sagte doch, dass das nicht der Fall war. Dass er Bella nicht so liebte, wie ich es tat. Dachte er etwa, ich sei nicht gut für sie?

„Edward, was soll das?“, fuhr Elizabeth ihren Bruder an, während meine anderen Geschwister den anderen Edward bedrohlich anknurrten.

Andy war zurückgewichen und hatte Schutz bei seiner Geliebten gesucht. Kurz nachdem ich auf den Füßen war, kamen der Rest seiner Familie. Ein Emmett, eine Rosalie, eine Esme, ein Carlisle mit roten Haaren, und eine Alice, seine Alice.

Der andere Emmett umklammerte den anderen Edward und zerrte ihn von mir weg. Er hatte wohl in all seiner Wut nicht gemerkt, dass Emmett hinter ihm getreten war. Der andere Edward versuchte sich zu wehren, schaffte es jedoch nicht, sich zu befreien. Meine Geschwister, die den anderen Edward angeknurrt hatten, erstarrten, waren verwirrt, als sie auch noch die anderen SEINER Familie sahen.

Emmetts Augen wurden groß, als er sah, wie er selbst mich, also den anderen Edward, weg zerrte.

°WOW!°, dachte er nur.

„Komm, Edward. Krieg, dich wieder ein!“, hörten wir alle den anderen Emmett sagen.

Noch immer schlug ER um sich und sah mich wutentbrannt an.

„DU BIST SCHULD! DU BIST AN ALLEM SCHULD. DU HAST IHR DAS ANGETAN. ICH BRING DICH UM!“, schleuderte er mir die Worte entgegen, während er mit einem Zeigefinger auf mich deutete.

Ich versuchte erneut wieder den Grund für sein Verhalten in seinen Gedanken zu lesen. Doch wie beim ersten Mal, überdeckten seine Gefühle alles. Seine Stimme war so voller Zorn, dass ich innerlich zusammen zuckte.

„DU BIST AN ALLEM SCHULD!“, sagte er wieder zu mir.

Unvermittelt überfluteten mich meine Schuldgefühle. Denn ich ahnte schon, von wem er sprach. Jedes seiner Worte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, wenn ich denn welches gehabt hätte. Und die Angst um sie erklomm neue ungeahnte Höhen. Ich hatte große Furcht vor der Antwort auf die Frage, was mit ihr, meiner Bella sei.

Doch was bedeutete schon meine Angst, im Gegensatz zu Bellas Wohl…?

Jetzt fiel mir auf, dass Bellas Geruch nicht in der Luft lag. Sie war also nicht hier im Haus. Aber wo war sie dann?

Leer





Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




„Komm bloß nicht in meine Nähe, sonst kann ich vor nichts garantieren!“, knurrte mich mein Ebenbild an, bevor aus dem Haus rannte, nachdem er sich einigermaßen wieder beruhigt hatte.

„Entschuldigt bitte sein Verhalten.“, sagte der rothaarige Carlisle.

Nun traten die anderen Cullens zu uns heran. Meine Geschwister hatten sich auch wieder gefangen und die Verteidigungshaltung wieder aufgegeben. Emmett trat zu dem anderen Emmett. Nun standen sie sich beide gegenüber und musterten sich gegenseitig von oben bis unten. Dann grinsten beide.

„Das ist ja echt krass!“, sagten beide gleichzeitig.

Ja, diese beiden waren bestimmt absolut identisch.

„Ihr seid also die anderen Cullens.“ Carlisle sah uns freundlich an. Als er seinen Blick auf Jasper heftete, sah man die Faszination in seinen Augen.

„Es tut uns sehr leid, dass euer erstes Aufeinandertreffen so ausfallen musste. Aber dennoch freuen wir uns sehr, dass ihr hier seid.“, begrüßte uns die andere Esme. Sie hatte genau denselben mütterlichen Gesichtsausdruck, wie die, die wir kannten.

„Also ich freue mich riesig, dass ihr alle hier seid.“, trällerte die andere Alice und hüpfte – anders konnte man ihre Bewegung nicht bezeichnen – auf uns zu und umarmte einen nach den anderen von uns.

„Elizabeth, schön, dass du wieder bei uns anderen bist.“

„Ich freu mich auch, wieder hier zu sein.“, erwiderte sie.

Vor Andy blieb sie kurz stehen und schaute entsetzt, setzte dann aber eine freundliche Miene auf. Ich war mir sicher, dass Andy ihren Blick mit bekommen hatte.

°Ach du meine Güte, er ist auch so ergraut wie Bella.°, hörte ich in ihrem Kopf.

Eigentlich hätte ich nicht überrascht sein dürfen, dennoch rissen diese Worte mir den Boden unter den Füßen weg. Ich musste so schnell wie möglich zu ihr.

„Schön, dass du es geschafft hast, wieder her zu kommen.“, sagte Alice und versuchte unbeschwert zu klingen. Andy erwiderte ihre Umarmung.

„Das kannst du aber laut sagen.“

Nachdem die andere Alice, Rosalie und Emmett begrüßt hatte, blieb sie vor ihrer Doppelgängerin und Jasper stehen. Sie schaute etwas verdutzt.

„Tja, es freut mich,…mich…oder dich kennen zu lernen. Aber eigentlich ist das ja gar nicht notwendig, weil ich dich ja schon kenne. Schließlich kenne ich mich selbst.“

°Das ist ziemlich verwirrend.°, hörte ich die Stimme der anderen Alice.
Erstaunlich, dass ich sie auseinander halten konnte.

„Hör bloß auf damit. Ich bekomme noch Kopfschmerzen.“, sagte meine Alice.

Ihre andere Version schüttelte belustigt den Kopf. „Nein, du wirst keine bekommen.“

Daraufhin lachten beide Alice‘ ihr Silberlachen und umarmten sich beide. Nachdem die beiden sich voneinander lösten, schaute die andere Alice Jasper neugierig an.

„Und du bist also Jasper. Du hättest also vielleicht…“, dabei verzog sie merkwürdig den Mund, „…mein Gefährte werden können.“

Jaspers Augen weiteten sich. Erst sah er die andere Alice für 3 Sekunden wie eine Statue an, dann wechselte sein Blick zwischen seiner und der anderen Alice hin und her.

°Ich kann zwar vieles verkraften. Aber das hier ist zu viel für mich!° Jaspers Stimme war verzweifelt.

„Ich kann dich schon gut verstehen.“, sagte die andere Alice und warf ihrer Doppelgängerin einen Blick zu. „Du hast schon was.“, sagte sie lächelnd zu Jasper, bevor sie ihre Arme um ihn schlang.

Jasper war im ersten Moment zu perplex, warf seiner Alice dann einen hilfesuchenden, fragenden Blick zu. Er fragte sich, ob das für sie in Ordnung war, dass eine andere Alice ihn umarmte. Seine Alice grinste nur. Nachdem er aber die Gefühle der anderen Alice gelesen hatte, erwiderte er etwas verspätet und zögerlich ihre Umarmung. Er erkannte, dass diese Alice ihn nicht so liebt, wie es seine tat. Kurz darauf, befreite sich die andere Alice aus seiner Umarmung. Unsere Alice, Jaspers Alice, lachte.

„Daraus wird aber nichts. Er gehört mir.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, klammerte sie sich an seinem rechten Arm fest.

Jasper kicherte. °Ein bisschen eifersüchtig ist mein Engel aber doch.°

„Du hast ja deinen Edward.“

Nachdem Alice diese Worte ausgesprochen hatte, verfinsterte sich die Miene der anderen Alice.

°Ach ja, Edward…°, dachte sie traurig.

Ihr Blick wanderte zu mir. Sie sah meinen verhärmten Gesichtsausdruck, schritt langsam auf mich zu und umarmte mich mitfühlend. Ich erwiderte ihre Umarmung und es tat mir leid, dass unsere Alice ihre Stimmung verdorben hatte. Nun wurden die Gedanken der anderen Cullens ebenfalls negativer.

„Tut mir leid, wenn mein Edward dich etwas grob empfangen hat.“, sagte die andere Alice zu mir, nachdem ich meine Arme von ihr gelöst hatte. „Aber sieh es ihm nach. Sonst ist er nicht so. Aber seit das mit Bella passiert ist…“

Sie sprach nicht weiter. Einerseits war ich dankbar dafür, andererseits musste ich es endlich wissen. Was war mit meiner Bella? Warum war sie nicht hier? Was tat sie gerade? Wo war sie jetzt? Mein Kopf war voller Fragen, die alle nach einer Antwort verlangten. Doch ihre Worte ließen mich erstarren, sodass ich keinen Laut heraus bekam. Ich spürte, wie mein inneres Höllenfeuer mich wieder verbrannte. Es erinnerte mich, an dem Tag, als ich vor dem Grabstein stand. Ich hatte mich noch nicht gefasst, als Jaspers Stimme hörte.

„Was ist mit Bella passiert?“

Seine ruhige Art hatte etwas Beruhigendes. Oder er setzte auch sein Talent ein, ganz besonders um mich etwas zu entspannen. Ich sah ihn dankbar an. Ich musste mich jetzt zusammen reißen und meine eigenen Qualen in die kleinste hinterste Ecke in meinem Gehirn verbannen. Nun ging es um etwas viel Wertvolleres. Auf diese Frage wollte zunächst niemand antworten. Auch in ihren Gedanken sah ich sie nicht. Die anderen Cullens schienen sie absichtlich verbergen zu wollen. Es musste wirklich etwas sehr Ernstes sein, schlussfolgerte ich aus diesem Verhalten.

5 lange Sekunden sagte niemand etwas. Diese erdrückende Stille, raubte mir den Verstand. Ich wollte gerade meine Stimme erheben, gelinde gesagt, als die andere Rosalie zu uns sprach. Erstaunt hob ich eine Augenbraue hoch. Ja. Diese Rosalie war wirklich anders. Sie mochte Bella, zeigte es nur nicht so wie die beiden Alice‘. Ich begann sofort diese Rosalie mehr zu mögen, als die, die ich nur zu gut kannte. Ihr gefiel es natürlich gar nicht, dass sich mal alles wieder um Bella – und ihren Bruder – drehte.

°Sie ist nur ein Mensch. Sie ist eine Gefahr für unsere Familie.°

Solche Gedanken oder ähnliche musste ich immer von unserer Rosalie hören. Wobei solche Worte für ihre Verhältnisse noch milde waren. Jedes Mal hätte ich ihr dafür den Hals umdrehen können, was ich aber nie konnte, da ja Emmett immer im Weg wäre. Aber allein der Gedanke daran, bereitete mir Vergnügen.

„Bella ist im Saint Marris.“, sagte die andere Rosalie, um auf Jaspers Frage zu antworten.

Alle fragten sich, was das sei. Ich runzelte die Stirn. Emmett, unser Emmett, wollte gerade nachfragen, als Andy sich meldete. Er flüsterte nur, dennoch klang es sehr ernst, wütend und ängstlich.

„Was…hast du…gerade gesagt?“ Er erbleichte und seine Augen traten hervor.

„Andy, was…“, fragte Elizabeth ihn, doch er achtete nicht auf sie.

Er ging zur anderen Rosalie hinüber. Aber seine Bewegungen wirkten irgendwie ferngesteuert, einfach nur mechanisch. Jetzt sahen alle Vampire im Raum verwirrt aus. Weder wir, noch die anderen Cullens, konnten Andys Verhalten nachvollziehen. Als er bei ihr angekommen war, packte er ihre Arme und schüttelte sie. Entgeistert und verwirrt schaute sie ihn an.

„Bitte, sag das nochmal!“, forderte er immer noch im Flüsterton.

„Deine Schwester ist im Saint Marris.“, sagte sie langsam.

Andy erbleichte noch mehr. Nun sah er blasser aus, als wir. Diese Reaktion gefiel mir nicht. Panik stieg in mir auf. Obwohl mich die Angst packte, brachte ich trotzdem ein paar Worte heraus.

„Was ist das…Saint Marris?“, fragte ich unsicher.

Andys Kopf schnellte zu mir herum und war in ein paar Sekunden bei mir und hatte meine Arme gepackt. Für einen Menschen lief er in diesem Moment sehr schnell. Wütend, aber auch panisch sah er mir in die Augen. Die Angst drohte mich zu ersticken. Andy schüttelte mich nicht.

„Das Saint Marris ist der schlimmste Ort hier in Forks. Es ist eine psychiatrische Klinik.“

Sein ganzer Körper schüttelte sich vor Abscheu. Die Kleinstadt Forks soll eine psychiatrische Klinik haben? Also ich habe in der anderen Welt noch nie etwas von diesem „Saint Marris“ gehört. Früher nicht und heute auch nicht. Elizabeth sah meinen fragenden Gesichtsausdruck.

„Anscheinend gibt es im anderen Forks nicht so eine…Klinik.“, sagte sie tonlos.

„Habt ihr ein Glück.“, sagte Andy zu mir.

„Du scheinst ja diesen Ort gut zu kennen.“, sprach ich zu ihm. Dumme Frage.

„Oh ja…“, brachte er wieder nur flüsternd heraus.

„Warum warst du denn dort?“, fragte der rothaarige Carlisle.

Er löste seinen Griff, trat einige Schritte zurück, dann wandte er sich zu Carlisle.

„Kurz nachdem ich…aus meinem Grab befreit wurde, hielt es Charlie für angemessen, mich für ein paar Tage dort einzuweisen.“
Er atmete tief durch.
„Ich hatte Verständnis dafür. Ich war schließlich mehr als verstört gewesen. Er meinte, es täte mir ganz gut, mit jemandem professionellem zu reden. Ich kam seiner Bitte nach, aber nur damit er besänftigt war und ich schnellstmöglichst wieder da raus kam.“

Wieder schüttelte er sich. Im nächsten Moment hatte die andere Esme ihre Arme um seinen Körper geschlungen und strich ihm tröstend über das Haar.

„Das wussten wir nicht. Bitte verzeih.“, bat Esme und sah Andy flehend an. Er lächelte entschuldigend.

„Es ist schon okay. Das wusstet ihr ja nicht.“ Nun umarmte er Esme für einen kleinen Moment.

Als Andy sie wieder los ließ, wurde sein Blick ernst und besorgt. Er holte tief Luft.

„Also,…was ist mit meiner Schwester?“

Er wollte wohl ruhig klingen, doch die Panik war nicht zu überhören. Elizabeth – und Jasper – sahen kurz zu ihm und setzten ihre Fähigkeit gemeinsam ein. In ihm musste es furchtbar aussehen. Nun sahen meine Familie und Andy alle erwartungsvoll die anderen Cullens an. Jetzt mussten sie die Frage richtig beantworten. Ihre Gedanken verrieten immer noch nichts, was mich sehr frustrierte. Carlisle ergriff nun das Wort. Er seufzte und schloss kurz die Augen. Schließlich begann er zu sprechen und mit jedem Wort, was er sagte, wurden meine Schuldgefühle und mein Schmerz immer unerträglicher.

„Bella…hat eine affektive Psychose. Eine sehr schwere Depression.“

Andy schnappte vor Schreck nach Luft. Eigentlich hätte ich mein Gesicht jetzt zu ihm gedreht, doch ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Carlisle sah mich sehr besorgt an, fuhr aber fort.

„Bella geht es noch schlimmer, als damals kurz nach ihrer Ankunft hier. Sie spricht mit niemandem kein einziges Wort und isst so gut wie nichts. Und wenn doch, dann wirken ihren Bewegungen mechanisch. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste.“
Er machte eine kurze Pause.
„Es ist, als sei sie fernab der Realität. Sie reagiert auf überhaupt keine Reize. Auf keine Geräusche, keine Worte, nicht einmal Berührungen. Es ist,…als wäre sie eine atmende Leiche.“


„DU BIST AN ALLEM SCHULD!“, hörte ich die Worte meiner anderen Version wieder in meinem Kopf. Es war eine Erinnerung.

Ich war für ihren Zustand verantwortlich. Ich war weit weg. Meine inneren Qualen hatten mein ganzes Denken eingenommen.

„Oh Gott!“, hörte ich zwei Stimmen sagen. Es klang wie eine Alice und Andy.

„Wir müssen sofort hin!“, schrie Andy. „Einen Autoschlüssel, bitte.“

Jemand war Andy etwas zu und dann hörte ich, wie Schritte sich entfernten. Esme fragte Andy etwas, ich hörte aber nicht zu. Ich hatte das eben Gesagte noch nicht ganz verarbeitet. Plötzlich schlug mich jemand. Ich sah meinen Emmett vor mir. Er hatte mir nur eine Ohrfeige gegeben.

„Edward, steh hier nicht so blöd in der Gegend rum. Unsere Kleine braucht uns jetzt. Sie braucht vor allem DICH!“, betonte er.

Die Ohrfeige und Emmetts letzter Satz belebten mich wieder. Die anderen waren schon auf dem Weg zu Garage. Ich sah kurz noch zu den anderen Cullens. Alle waren da, nur Elizabeth (und mein anderes ich) nicht. Rosalie schüttelte den Kopf.


°Wir kommen nicht mit. Erstens wissen wir, wie es um Bella steht und zweitens, dürfen nicht zu viele zu Besuch kommen. Ach, und noch etwas. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann verpass dieser anderen Rosalie mal eine. Ich kann es nicht fassen, dass sie so gleichgültig gegenüber Bella ist. Ich kann zwar keine Gedanken lesen, aber das war nicht zu übersehen. Ich dachte schon ich wäre oberflächlich. Aber SIE ist ja wohl tausendmal schlimmer als ich. Und für den Fall, dass ihr Emmett sich in den Weg stellt, schlage ich sie für dich.°


Die andere Rosalie grinste verschwörerisch. Ich brachte wirklich ein kleines Lächeln zustande.

„Warum kann sie nicht mehr wie du sein.“, sagte ich bedauernd, bevor ich den anderen in die Garage folgte.

Die anderen saßen schon im Auto und ich stieg – entgegen meiner Gewohnheit – hinten ein. Als ich sah, wer am Steuer saß, weiteten sich etwas meine Augen. Andy sah meinen Gesichtsausdruck im Rückspiegel, achtete jedoch nicht darauf. Er schnallte sich an, steckte den Autoschlüssel ins Zündschloss und raste – er fuhr wirklich sehr schnell – los.

„Wer hätte gedacht, dass du so ein böser Junge bist.“, neckte Elizabeth ihn, die auf dem Beifahrersitz saß. Sie wollte ihn etwas ablenken. Seine Mundwinkel hoben sich.

„Tja, wenn es um meine Schwester…“, er hielt kurz inne, um sich zu korrigieren, „…meine Familie geht,…“, sagte er und sah uns mithilfe des Rückspiegels kurz an, „…dann gibt es keine Regeln!“, beendete er seinen Satz.

Zum Beweis trat er das Gaspedal noch weiter runter. Er fuhr zwar nicht so schnell wie ich es an seiner Stelle getan hätte, aber für einen Menschen war dieser Fahrstil beachtlich. Besonders wenn man bedenkt, dass er der Sohn eines Polizisten war.

°Man, wie haben wir bisher nur ohne die Zwillinge leben können.°, dachte Emmett belustigt. Ein Lächeln schlich sich um meine Lippen.

°Wirklich sehr interessant, wie tief er mit seiner Schwester verbunden ist. Ich würde fast sagen, dass man es mit der Vampirliebe vergleichen könnte.°, dachte Jasper.

Alice war ebenfalls überrascht über Andys Verhalten, doch innerlich feuerte sie ihn an. Auch sie wollte so schnell wie möglich bei Bella sein. Rosalie schnaubte nur verächtlich. Ich blendete aber ihre Gedanken aus. Ich achtete nicht auf die Umgebung, die an mir vorbei schwamm. Ich war jetzt nicht in der Lage, die einzelnen Konturen der Bäume und Häuser mit meinen scharfen Augen zu sehen. Meine ganzen Gedanken kreisten voller Sorge nur um Bella.

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, als Andy das Auto parkte und ausstieg. Wir alle folgten ihm und betraten zusammen das Saint Marris. Es war wirklich ein unheimlicher Ort und alles war steril, weiß und kahl. Andy trat vor zum Empfangsschalter und sprach die Dame an.

„Hallo. Könnten Sie mir bitte sagen, in welchem Zimmer sich Isabella Marie Swan aufhält?“

Sie schaute auf und sah ihn. „Gehören Sie zur Familie?“, fragte sie geschäftsmäßig.
Er hob eine Augenbraue.

°Oh mein Gott! Ist sie blind?°, hörte ich Elizabeth „sagen“.

Andy seufzte genervt und atmete tief durch, um nicht völlig die Kontrolle über sich zu verlieren. „Ja, ich bin ihr ZWILLINGSBRUDER.“

Sie nickte. „Und wer sind die anderen?“

„Sie gehören ebenfalls zur Familie. Wir sind entfernt miteinander verwandt.“

Eigentlich war er nie ein kompetenter Lügner gewesen. Hier und jetzt klang in seiner Stimme jedoch die perfekte Ernsthaftigkeit mit, sodass ihm die Empfangsdame Glauben schenkte.

°Sie sehen wirklich alle sehr blass aus. Aber sonst kann ich keine Ähnlichkeit zwischen ihnen erkennen. Und die anderen haben so eine merkwürdige Augenfarbe. Aber der junge Mann wird ja schon wissen, wer zu seiner Familie gehört.°

Sie seufzte und schaute in ihrem Computer nach. Nach 47 Sekunden gab sie uns die ersehnte Antwort.

„Miss Swan befindet sich im zweiten Stock im Zimmer 227. Ganz am Ende des Ganges.“

„Danke.“, antwortete Andy halbherzig und ging schon in Richtung Fahrstuhl.

Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, wir hätten die Treppe genommen. So wären wir auf jeden Fall schneller gewesen. Leider waren aber ein paar Menschen im Raum und einige waren durchaus noch in der Lage zu registrieren, ob man schneller als normalerweise läuft. Die Fahrt nach oben in den zweiten Stock schien einfach nicht vorbei zu gehen. Und musste Bella ausgerechnet das letzte Zimmer am Ende des Ganges haben? Die Zeit ist zu meinem Feind geworden, stellte ich zähneknirschend fest.

Als die Tür des Fahrstuhls endlich aufging, entrang mir und Andy ein genervtes Stöhnen. Wir gingen um die Ecke und vor uns lag ein langer – so kam es mir vor – schmaler weißer Gang. Es war zum Glück kein Mensch zu sehen. Ohne wirklich Nachzudenken packte ich Andy auf meinen Rücken und rannte mit ihm zum Ende des Ganges. Vor der Tür mit dem Schild „227“ angekommen, kletterte Andy von meinem Rücken hinunter. Die anderen waren jetzt auch hinter uns.

°Edward!°, hörte ich nur von Rosalie, was ich allerdings ignorierte.

Alle anderen konnten mein Verhalten nachvollziehen. Plötzlich schlug Andy seine linke Handfläche gegen meine.

„Und du sagst, du kannst meine Gedanken nicht lesen.“, sagte er daraufhin trocken.

Er deutete mit einer Geste an, ich solle die Tür öffnen. Dankbar sah ich ihn an und öffnete sie. Wir betraten einen Raum mit völlig weißen kahlen Wänden und mit 2 kleinen Fenstern. Die Möbelgarnitur bestand aus einem Bett, zwei Tischen und einem Schrank. Dann roch ich den wunderbarsten Geruch, den es gab und erblickte sie. Die Erleichterung wurde sogleich von dem Schock abgelöst.

Das erste, was mir auffiel, war das eher weiße satt kastanienbraune Haar. Bella saß an einem der Tische und starrte ins Nichts vor sich. Ihr Blick wirkte leer und ausdruckslos, als wäre sie nur noch eine Hülle. Ihre Haut war noch blasser, als sonst. Dieser Anblick war eine zweite Hölle für mich. Auch Andy sah geschockt aus, konnte sich jedoch nicht rühren. Ich war so über diesen Anblick entsetzt, dass ich keine anderen Stimmen wahrnahm. Erst als Emmett mir in die Rippen stieß, konnte ich mich wieder bewegen.

Ich war im Nu bei ihr, immer noch geschockt über diesen Anblick, der sich mir erbot und ging in die Hocke, um mit ihr auf gleicher Augenhöhe zu sein.

„Bella?“, fragte ich mit angsterfüllter Stimme. Sie regte sich nicht.
„Bella?“, versuchte ich es erneut. Diesmal mit lauterer und festerer Stimme.

Sie drehte ihren Kopf immer noch nicht zu mir. Sah nur weiterhin gerade aus, vor sich ins Nichts. Sie regte sich nicht. Kein Finger krümmte sich. Kein Muskel zuckte. Ihre Miene blieb unverändert. Weder Trauer, noch Wut, noch Freude war darin zu erkennen. Bella war einfach…leer.

Meine Stimme schien sie anscheinend nicht zu erreichen. Vielleicht hatte ich mit meiner Berührung mehr Erfolg? Dann fiel mir aber ein, was der rothaarige Carlsile gesagt hatte und meine Hoffnung wurde immer kleiner. Ich nahm ihre Hand in meine. Sie fühlte sich kalt an. Für ihre Verhältnisse geradezu eisig. Diese Tatsache versetzte mir einen neuen kleinen Schock. Doch was ich hörte, oder eher nicht hörte, war viel schlimmer.

Ich hielt Bellas Hand, aber auch wieder reagierte sie nicht. Kein Zucken eines Muskels. Nicht einmal ihr Herzschlag, den ich so sehr liebte, reagierte nicht wie sonst immer. Er hatte sich bei meiner Berührung nicht ein bisschen verändert. Keine winzig kleine Erhöhung seiner Geschwindigkeit. Auch ihr Puls „raste“ nicht. Ich konzentrierte mich und lauschte auf ihren Herzschlag. Doch er war nicht mehr derselbe.

Ihr Herz gab nur ein sehr leises, und wie ich fand, schwaches Klopfen von sich. Fast so, als quälte es sich. Es hörte sich so an, als wäre jeder Herzschlag, den ihr Herz von sich gab, der letzte. Ihr Herzklopfen hörte sich nicht mehr lebendig an. Ja, körperlich lebte Bella, doch innerlich sah es nicht im Entferntesten danach aus. Auch ihr lebender Körper schien auf seine Weise sagen zu wollen, dass er eigentlich tot ist.

Carlisle hatte wirklich Recht. Vor mir saß eine atmende Leiche. Mehr nicht. Nur ein Körper. Meine Bella war nicht hier. Sie war irgendwo, aber nicht hier an der Oberfläche.

Ich war ihr wieder so nah, wie seit langem nicht mehr. Und doch, war ich so weit von ihr entfernt.

Dieser Anblick ließ meinen ganzen Körper innerlich verbrennen. Es war noch schlimmer als damals am Grabstein, wenn es denn überhaupt noch schlimmer ging. Doch eine Option hatte ich noch. Auf diese Berührung musste sie einfach reagieren. Das tat sie immer.

Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und drehte es in meine Richtung. Als ich in die leeren schokoladenbraunen Augen schaute, holte mich die Verzweiflung wieder ein und ich hätte fast mein Vorhaben abgebrochen. Doch ich riss mich zusammen. Bella war noch irgendwo dort drinnen. Ich musste stark bleiben. Für sie. Ich beugte mich weiter zu ihr, bis ich meine Lippen ganz sanft auf ihre drücken konnte. Jetzt hätte ich eigentlich meine Augen geschlossen. Aber ich behielt sie offen, damit ich Bellas Reaktion genau sehen konnte. Es war furchtbar. Selbst ihre Lippen fühlten sich nicht mehr warm an. Auch sie waren kalt. Dieser Kuss, der sie eigentlich aus ihrem „Schlaf“ erlösen sollte, hatte etwas Kaltes, Bitteres an sich.

Nach 3 Sekunden löste ich meine Lippen widerstrebend von ihren und die Enttäuschung überkam mich prompt. Bella reagierte auch dieses Mal nicht. Kein einziger Muskel hatte sich bewegt. Nicht einmal ihr Herzschlag hatte sich etwas erhöht. Mir schien es, als sei er noch langsamer geworden. Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert. Die Arme, die sie sonst vor Verlangen um meinen Nacken geschlungen hatte, lagen immer noch schlaff an ihrem Körper. Nein. Die Verzweiflung schien mich endgültig umschlungen zu haben.

Ich habe nicht meine Bella geküsst, sondern eine Hülle. Eine Leiche, die atmete.

Ich nahm meine Hände von ihrem Gesicht und starrte sie gequält an. Leer erwiderte sie meinen Blick. Hatte ich sie endgültig verloren? Was ist nur in den letzten Tagen geschehen? Ich hatte keine Antwort auf diese Fragen, aber ich brauchte sie dringend. Ich regte mich nicht mehr. Konnte einfach nicht fassen, in welcher Lage ich mich befand. Es war grausamer als jeder Alptraum, den man sich nur vorstellen konnte.

Ich merkte gar nicht, dass Andy neben mir getreten war, Bella nun intensiv musterte und ihre linke Hand in seine rechte nahm. Er schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. 5 Sekunden später öffnete er sie wieder.

„Jetzt verstehe ich, warum unsere Verbindung immer schwächer wurde.“, sagte er leise und bedrückt zu sich selbst.

Er ließ ihre Hand wieder los. Dann wendete er sich zu mir. Ich konnte etwas Hoffnung in seinem Blick erkennen, was mir neue Kraft schenkte. Vorerst zumindest.

„Bella ist noch da drinnen. Sie ist nur…“, er zögerte.
„Ach, wie soll ich das jetzt am besten ausdrücken, ähm? Sie ist in ihrem Körper oder Geist gefangen.“

Ich richtete mich wieder auf und schaute erwartungsvoll und fragend in seine braunen Augen.

„Ich habe es…gespürt.“, beantwortete er meine unausgesprochene Frage.

„Wie kann denn so etwas möglich sein?“, fragte ich Andy, obwohl ich wusste, dass er die Antwort nicht kannte.

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“

Ich drehte mich zu den anderen um, die den Schock über Bella so gut wie verarbeitet hatten. Es war noch nicht alles verloren. Bella war noch nicht verloren. Ich war bereit, um sie zu kämpfen. Ich war zu allem entschlossen. Nur wusste ich leider nicht, wie ich um sie kämpfen musste, um sie zu befreien.

„Alice, kannst du ihre Zukunft sehen?“

Ihr Gesicht wurde für 10 Sekunden ausdruckslos. Solange dauerte es sonst nie. Sie schien sich wirklich anzustrengen. Alices Gesicht wurde bekümmert und schüttelte den Kopf. Ein Schmerz durchfuhr meinen Körper, den ich zu ignorieren versuchte.

„Elizabeth, Jasper. Spürt ihr irgendetwas?“

Da ich mit ihrer Antwort gerechnet hatte, tat es nicht ganz so weh. Dennoch erschütterte mich diese Tatsache. Beide schüttelten den Kopf.

°Sie ist genau wie du, kurz nachdem du sie verlassen hast, nur viel schlimmer. Erstaunlich, dass ein menschlicher Körper das aushalten kann. Ich fühle überhaupt nichts. Als wäre sie kein Lebewesen, sondern ein Gegenstand.°, dachte er besorgt.

Ja, Jasper hatte nicht Unrecht. Sie erinnerte mich an mich selbst. Ein schmerzvoller Anblick. Es war fast genauso schlimm, als wenn Bella wirklich tot wäre. Schnell verscheuchte ich diesen Gedanken. Daran durfte ich jetzt nicht denken. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Auf meine Stimme, meine Berührungen, sogar auf meine Küsse reagierte sie nicht mehr. Alice konnte ihre Zukunft nicht sehen und Gefühle konnte man auch nicht wahrnehmen. Ich wusste nicht, wie ich jetzt darauf kam, aber in diesem Moment war ich mir ziemlich sicher, dass, wenn meine Fähigkeit bei Bella funktionieren würde, ich auch keinen einzigen Gedanken fassen könnte. So wie Bella da saß, deutete alles darauf hin. Wie sollte ich nur zu ihr durchdringen? Ich überlegte fieberhaft, doch auch nach zwei Minuten fiel mir immer noch nichts ein.

Da durchbrach Andy die Stille. Er sprach zögernd und bedächtig.

„Wir müssten es irgendwie schaffen…in ihrem…Geist einzudringen.“

Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Da stürmte Elizabeth auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Körper. Sie war so voller Freude, dass sie ihn fast erdrückte. Hatten Andys Worte sie etwa auf eine Idee gebracht? In ihren Gedanken konnte ich nichts erkennen. Dafür war ihr Gefühlsausbruch einfach zu groß.

„Weißt du, wie sehr ich dich liebe?“, fragte sie ihn.

Natürlich wusste er das, hoffte ich doch. Aber wenn er seiner Schwester auch darin ähnelte dann…

„Keine Luft!“, brachte er mühsam heraus.

Sie verstand, gab ihn frei und trat einen Schritt zurück. Er keuchte und rang nach Atem.

„Was soll das?“, krächzte Andy.

„Na weil du der klügste Mann bist, den man sich wünschen kann.“, antwortete sie enthusiastisch.

Andy hatte sich nun wieder etwas erholt und konnte wieder normal sprechen.

„Soweit würde ich nicht gehen.“, wischte er ihr Kompliment weg. „Aber warum sagst du das?“

Elizabeth strahlte ihn an. „Weil du vielleicht gerade deine – nein, unsere – Schwester gerettet hast.“

Diese Worte waren wie ein Rettungsanker für mich. Gespannt, wie die anderen, wartete ich auf die Erklärung.

„Ach ja?“ Seine Stimme klang zweifelnd und hoffnungsvoll zugleich. Elizabeth nickte.

„Ja, es gibt da jemanden, der genau das kann.“

Alle unsere Augen wurden groß. Es soll jemanden geben, der in den Geist von Menschen dringen kann. Anders als ich?

„Los, wir müssen nach Hause.“ Sie packte seinen Arm und zog ihn mit sich zur Tür.
„Wir haben viel zu besprechen und außerdem müssen wir die Denalis anrufen. Aber ich bin sicher, dass das Alice schon getan hat.“, sagte Elizabeth mit freudiger Stimme.

Ich verstand sie immer weniger. Was hatten bitte DIESE Denalis damit zu tun? Sollte das etwa bedeuten, dass jemand von ihnen diese Fähigkeit besaß? Aber soweit ich wusste, gab es da niemanden. Und ich dachte, dass diese Welt eine „Spiegelwelt“ sei. Dass sich die Personen nur vom Charakter unterscheiden können, körperlich und hinsichtlich ihrer übernatürlichen Fähigkeiten völlig identisch seien.

Doch das war nun unwichtig. Andys und Elizabeths Worte hatten der Hoffnung in mir neue Nahrung gegeben.

Nun gab es also eine Möglichkeit, meine liebste Bella zu retten.

Unerwartete Hilfe





Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




„Los, Andy. Du musst Bella entlassen.“

Andy schaute Elizabeth kurz verdutzt an, dann nickte er.

„Das brauchst du mir nicht zweimal sagen.“

Er ging zu meiner Bella, nahm ihre beiden Hände in seine und hob sie vom Stuhl hoch. Sie wehrte sich nicht dagegen, arbeitete aber auch nicht mit. Sie tat einfach nichts. Wie eine Puppe. Eine wunderschöne Puppe. Andy legte seinen linken Arm um ihre Taille, um sie zu stützen und zog sie sanft mit zur Zimmertür. Mechanisch und mit leerem Blick, ohne zu registrieren wo sie war, machte sie einem Schritt vor dem anderen.

„Komm, Schwesterchen. Jetzt geht es nach Hause.“

Er sprach zu ihr, wie zu einem Kleinkind. Oder einer alten demenzkranken Frau. Eigentlich wollte ich an Andys Stelle sein. Ich lief jedoch an Bellas anderer Seite und nahm ihre Hand. Ich hoffte, dass ihr Unterbewusstsein irgendwo registrierte, dass ich jetzt bei ihr war. Alle anderen gingen hinter uns. Langsam – sehr langsam – gingen wir alle mit Bella zum Fahrstuhl und schließlich, als wir im Erdgeschoss wieder ankamen, zum Empfangstresen.

„Was haben Sie denn vor?“, fragte die Frau hinter dem Schreibtisch entsetzt, als sie Bella bei uns sah.

„Ich werde meine Schwester mit nach Hause nehmen.“, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Auch sein Blick war eine an sie gerichtete Warnung.

„Sind Sie überhaupt volljährig?“, fragte sie mit Hoffnung in der Stimme. Ihr missfiel es, dass wir eine Patientin einfach so entlassen wollten.

°Das werde ich nicht zulassen!°, hörte ich sie.

„Ja.“ Andy grinste selbstgefällig.

Er warf mir einen Blick zu und „übergab“ Bella an mich. Ich schlang meinen Arm um ihre Taille, um ihr wieder festen Halt zu geben. Körperlich wäre sie natürlich durchaus in der Lage gewesen, selbst zu gehen. Aber ohne Hilfe, wäre sie wahrscheinlich umgefallen. Ich seufzte erleichtert, als ich Bella in meinen Armen spürte. So düster die Situation auch war, es war doch ein sehr befreiendes Gefühl, sie wieder in meinen Armen zu wissen. Ich sah, wie Andys Mundwinkel hoben. Er hatte mein Seufzen gehört. Ich sah, wie Bellas Zwilling in einer seiner Hosentaschen fasste und seine Brieftasche herausholte. Er klappte sie auf und hielt sie der Empfangsdame direkt vor die Nase.

°Nein, er ist wirklich schon 18.° Verärgert zog sie ihre Augenbrauen zusammen.

Wie dumm können Menschen sein? Wenn Bella 18 ist, dann ist es ihr Zwilling auch. Und es war doch bestimmt noch nicht allzu lange her, dass Bella hier eingeliefert wurde. Wieder fiel mir ein, dass ich keinen Schimmer hatte, wie viel Zeit inzwischen verstrichen war. Andy steckte seine Brieftasche wieder ein.

„Auch wenn Sie schon volljährig sind, möchte ich Ihnen von einer frühzeitigen Entlassung abraten. Immerhin geht es hier um das Wohlergehen ihrer Schwester.“, versuchte sie es wieder.

Andys Gesichtsausdruck wurde so zornig, dass sogar ich schon etwas Angst verspürte. Er knallte seine Hände auf den Tresen und funkelte die Frau an. Kaum zu glauben, dass Andy so schauen konnte.

„Jetzt hören Sie mir mal zu, sie Vorzimmerdame! Sie haben ja überhaupt keine Ahnung, was gerade in meiner Schwester vorgeht! Was fällt Ihnen ein, mir vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe!? Ich bin ihr Bruder, verdammt nochmal! Das Wohlergehen meiner Schwester und meiner Familie steht bei mir an erster Stelle. Also wagen Sie es ja nicht, mir noch einmal mit ihrem dummen Geschwätz zu unterstellen, dass ich nicht wüsste, was das Beste für meine Schwester ist. Ich kann das tausendmal besser beurteilen als Sie! Bella kann hier in dieser Irrenanstalt nie wieder gesund werden. Sie muss nach Hause zu ihrer Familie und ihrem Mann! Und jetzt geben Sie mir die Entlassungspapiere, damit ich unterschreiben kann!“, brüllte er die Frau an.

Hatte er gerade „und ihrem Mann“ gesagt?

Diese Worte ließen kurz meine Sorgen wieder vergessen. Er hatte mir vor Tagen doch von einem Traum erzählt, den er gehabt hatte. Er hatte gesehen – oder geträumt –, wie Bella und ich heirateten. Bella die in einem atemberaubenden weißen Kleid und mit ihrem liebevollen Blick zu mir ihr endgültiges „Ja“ sagte. Diese Vorstellung war wie Balsam für mich. Automatisch hoben sich meine Mundwinkel und ich lächelte. Wenn er das als mögliche Zukunft gesehen hatte, bedeutete das dann nicht, dass Bella wieder zu mir zurück kehrte? Vielleicht. Nein, ganz sicher! Mehr und mehr begann ich Bellas männliche Variante zu lieben. Ich fand es einfach beeindruckend, wie er sich für seine Schwester einsetzte.

Wäre er jetzt ein Vampir gewesen, wäre er ihr an die Gurgel gesprungen. Ach ja. Wenn sich Bella an mich binden wollte, hieß das natürlich auch, dass ich sie verwandeln müsste. Einerseits wollte ich das. Für immer mit ihr die Ewigkeit verbringen. Ja, das wäre mein persönlicher Wunsch. Auf der anderen Seite, wollte ich, dass meine Liebste ein Mensch blieb, was sehr schwierig werden würde, da sie es ja hasste, älter zu werden, was ich nie wirklich nachvollziehen konnte. Aber dieses Thema hatten wir schon besprochen. Bella und auch natürlich Andy würden wenigstens noch bis zum Schulabschluss menschlich bleiben. Und bis dahin waren es noch ein paar Monate. Emmetts Gedanken brachten mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

°Man, war das cool! Wenn die männliche Bella schon so ausrasten kann, wie sieht’s dann wohl mit dem weiblichen Andy aus?° Er kicherte leise.

°Oh, das nenne ich mal einen kleinen Wutanfall.° Jasper grinste.

°Mhh…Wenn du wütend bist, liebe ich dich noch viel mehr. Sehr sexy. Wer hätte das gedacht? Dich sollte man lieber nicht reizen, obwohl…?° Als ich diese Gedanken von Elizabeth vernahm grinste ich noch breiter.

°Nicht…schlecht.° Dieser Kommentar kam erstaunlicherweise von Rosalie. Sie klang bewundernd und verärgert zugleich. Für ihre Verhältnisse war das aber bereits ein gewaltiger Fortschritt.

Die Vorzimmerdamme – wie Andy sie genannt hatte – zuckte vor seiner Feindseligkeit zurück und gab ihm ohne zu zögern die entsprechenden Papiere und deutete mit dem Finger auf die Stellen, wo er seine Unterschrift setzten musste. Er stach fast mit dem Kugelschreiber das Papier durch und krakelte seine Unterschrift nur so dahin, noch krakeliger als sonst. Er war noch immer sehr aufgebracht. Als er fertig war, lächelte er die Dame grimmig an.

„Danke sehr.“, sagte er bissig.

Daraufhin machten wir alle kehrt und verließen diesen schrecklichen Ort. Ich war froh gewesen, keine anderen Gedanken dort aufgeschnappt zu haben, da Bella meine ganze Konzentration eingenommen hatte. Das Gebäude schon zu sehen, ließ Gift in mir aufsteigen, da brauchte ich nicht auch noch Gedanken von psychisch instabilen Personen. Ich lief mit Bella voran zum Wagen, während die anderen mir folgten.

Elizabeth, die sich an Andys Arm geklammert hatte, sagte beeindruckt: „Wer hätte gedacht, dass so eine Seite in dir steckt.“

„Da hat Elli Recht, Kleiner. Das war so cool.“, stimmte Emmett ihr grinsend zu.

„Tja, Schwäne sind schöne und liebreizende Vögel. Doch sie können sehr ungemütlich werden, wenn sie ihre Flügel ausbreiten.“, erwiderte er.

Jasper, Emmett, Alice und Elizabeth prusteten los. Rosalie schmunzelte in Gedanken.

„Na, diese Anspielung passt ja.“, antwortete Jasper glucksend darauf. „Ich hoffe der Schwan hat seine Flügel wieder angelegt.“

Jetzt musste Andy lachen. „Das fragst ausgerechnet du?!“, fragte er ungläubig und belustigend zugleich. Nun mussten wir alle lachen. Alle, bis auf eine.

Wir waren wieder im unserem Haus, nein, im Haus der anderen Cullens. Bella, immer noch leblos wirkend, saß auf dem Sofa in meinen Armen liegend. Alle waren da, bis auf meinen Doppelgänger. Natürlich wussten sie schon bescheid, was passiert war. Die andere Alice hatte es ihnen bereits erzählt.

Als wir ankamen, hatten sie alle Andy nacheinander umarmt, auch die andere Rosalie. Wieder wünschte ich mir, dass unsere auch so wäre. Sie alle waren begeistert von seiner Idee und ziemlich optimistisch. Nach unserer Ankunft hatte Andy mit Charlie, dem anderen, den ich noch nicht kannte, telefoniert. Er hatte ihn darüber informiert, dass er, erstens wieder da war, zweitens Bella entlassen hat, drittens sie beide jetzt bei Dr. Cullen zuhause waren und dort auch die Nacht verbringen würden, und viertens Dr. Cullen eine Idee hatte, wie Bella wieder „normal“ werden könnte. Er bat Charlie allerdings nicht zu kommen, da es Dr. Cullen nicht für ratsam hielt und dass „die Experimente“ vielleicht etwas dauern könnten, er sich aber so bald wie möglich melden würde. Charlie war letztendlich mit allem einverstanden. Aber hatte ich vermutet, dass er einen Wutausbruch bekommen würde, weil Andy Bella entlassen hatte, doch ich wurde eines Besseren belehrt.

Als er sein Telefonat beendet hatte, stellte ich an Carlisle gewandt meine Frage. Nebenbei telefonierte die andere Alice mit ihrem Edward, um ihm auf dem neusten Stand zu bringen. Auch bat sie um ein besseres Verständnis für mich. Doch weiter konnte ich mich darauf jetzt nicht konzentrieren. Dafür war die Frage einfach zu lebensnotwendig.

„Carlisle, würdest du mir bitte erzählen, was passiert ist?“

Er verstand sofort. Man merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel, darüber zu sprechen, dennoch wusste er, dass wir die Wahrheit verdient hatten.

„Bella versuchte einen Übergang zu bewältigen und ich sollte ihr dabei helfen sich zu entspannen, damit sie sich besser konzentrieren und auf ihre Fähigkeit einlassen konnte. Ich glaube auch, dass es funktionierte. Aber plötzlich schrie Bella auf und bekam wie von Geisterhand Schnittwunden an Armen und Beinen.“

Das erklärte, warum ihr Duft zu stark in ihrem Zimmer verteilt war. Auch wenn Carlisle die Wunden genäht hatte und schon einige Tage vergangen waren, war das Blut noch deutlich zu riechen. Bei diesen Worten zuckte ich zusammen und drückte den Sinn meiner Existenz fester an mich und küsste aufs Haar. Leider zeigte sie keinerlei Reaktionen. Es schmerzte mich, obwohl ich damit gerechnet hatte.

„Natürlich war es ein Geist. Ich konnte ihn zwar mit Beschwörungen vertreiben, dennoch meinte sie, es sei sinnlos, die Übungen weiter fortzuführen, wenn ein Geist sie immer wieder daran hindern würde.“
Carlisle holte tief Luft, bevor er weitersprach.
„Dann kam Bella auf die Idee, mit dem Geist zu reden und ihn danach zu fragen, warum er sie daran hindern wollte, die Seite zu wechseln. Sie meinte, dieser Geist würde nicht freiwillig zu ihr kommen. Sie müsse zu ihm kommen.“

Ich erstarrte.

„Also versetzte ich Bella in eine Art künstliches Koma, damit sie die Möglichkeit bekam, mit dem Geist in Kontakt zu treten. Natürlich hatte ich meine Bedenken. Aber Bella hatte mich angefleht und so hatte ich schließlich nachgegeben. Nach ein paar Minuten geschah aber etwas Merkwürdiges. Ihr ganzer Körper zappelte und ihre Gehirnströme stiegen zu schnell an. Es schien, als würde sie von Erinnerungen überflutet werden. Im nächsten Moment fiel ihre Gehirnaktivität auf ein so niedriges Niveau, dass sie kurz vor dem Gehirntot stand. Aber mit Mühe und Not hatte ich es doch geschafft, sie wieder ins Leben zurück zu holen. Aber seitdem war sie nicht mehr dieselbe.“, beendete er seine Erzählung.

Wieder drückte ich meine Bella an meine Brust und konnte einfach nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte. Sie hatte wohl eine der waghalsigsten Dinge getan, die ich mir nicht einmal hätte vorstellen können. Nur meinetwegen hatte sie diese Gefahren aufgenommen. Dagegen verblasste diese andere Sache mit meinen Halluzinationen. Auch die anderen waren stumm vor Entsetzten.

„Oh mein Gott!“, brachte Alice nach ein paar Sekunden Stille heraus.

°Bella schafft es sogar von den Toten aufzuerstehen. Dieses Mädchen ist einfach unglaublich.° Emmetts Stimme klang bei seiner scherzhaften Wortwahl dennoch sehr ernst. Ich war sehr dankbar dafür. Ich hätte es jetzt einfach nicht ertragen, wenn er Witze darüber gemacht hätte.

°Sie ist wirklich ein besonderes kleines Ding.°, dachte Jasper bewundernd.

°Wie kann man nur so dumm sein und freiwillig fast sterben?° Ich knurrte Rosalie heftig an. Sie konnte es einfach nicht lassen.

°Bella, was fällt dir ein fast zu sterben! Mach das nicht nochmal!°, dachte Jaspers Frau.

Ich konnte natürlich nicht hören, was Andy dachte, doch auch er wirkte noch ziemlich geschockt. Dann sagte er etwas, was mich und auch Elizabeth zutiefst erschütterte.

„Ich hätte an ihrer Stelle das Gleiche gemacht.“

Wir alle sahen ihn an, als hätte er seinen Verstand verloren. Elizabeth knurrte ihn leise an, was er aber geflissentlich ignorierte.

„Hat Bella gesagt, ob sie den Geist kannte? Hat sie ihn beschrieben?“, fragte er Carlisle, nachdem er seine Stimme wieder gefunden hatte.

Carlisle schüttelte nur den Kopf und sah traurig aus. Er machte sich Vorwürfe, weil er sich für Bellas Zustand verantwortlich fühlte. Wieder hallten die Worte in meinem Kopf wieder, die mein Doppelgänger bei unserer Ankunft zu mir gesagt hatte. Ja, es stimmte. Carlisle traf keine Schuld. Bella ebenso wenig. Nur ich allein trug die Verantwortung für Bellas gegenwärtige Situation. Alice stellte die nächste wichtige Frage, die uns alle brennend interessierte.

„Elizabeth hatte gesagt, die Denalis könnten Bella bei…ihrem Problem helfen. Gibt es denn da jemanden, der die Fähigkeit hat, in den Geist von anderen einzutauchen?“ Sie runzelte die Stirn. „Also in der anderen Welt kann das keiner von Tanyas Familie.“

„Na jetzt gibt es ihn auch nicht mehr.“, antwortete ihre andere Version. „Edward, also Bellas Edward, hat ihn ja umgebracht.“

„WAS?“, fragten wir, die nicht wussten, wer damit gemeint war.

Dann sah ich die Antwort in ihren Gedanken. „Das ist doch wohl ein Scherz!“, sagte ich empört. „Laurent? Laurent soll Bella helfen können? Aber nur über meine Leiche!“, knurrte ich.

Meine Cullen-Familie und Andy starrten mich überrascht an, dann richteten sie wieder ihre Blicke auf Alice.

„Hey, ruhig Edward.“, sagte sie beschwichtigend zu mir. „In dieser Welt ist er mit Irina zusammen und er ernährt sich vegetarisch. Du brauchst also keine Angst um Bella zu haben. Außerdem würde ich auch nie zulassen, dass Bella ein Haar gekrümmt wird!“, zischte die andere Alice ernst.

In ihren Gedanken sah ich Laurent mit Irina zusammen. Er hielt sie in seinen Armen und schaute sie liebevoll mit goldenen Augen an. Irina erwiderte seinen Blick. Es war merkwürdig Laurent mit solchen Augen zu sehen. Aber so wie es aussah, war dieser Laurent wirklich anders, als den, den ich umbrachte. Ich zog die Stirn in Falten und dachte kurz darüber nach. Warum eigentlich nicht? Schließlich unterschieden sich die beiden Rosalies doch auch voneinander. Ich zuckte ergeben mit den Schultern und seufzte.

„Aber Laurent soll wirklich diese Fähigkeit haben?“, fragte Jasper interessiert. Die andere Alice nickte.

„Ja. Er hat sie erst ziemlich spät entdeckt. Dazu muss er dem Menschen oder Vampir an die Stirn fassen und sich konzentrieren. Er hatte diese Gabe erst entdeckt, als er eine Zeit lang mit Irina zusammen war. Schließlich berührt er ja nicht die Stirn von jedem.“
Alice lächelte mich aufmunternd an.
„Er wird Bella schon helfen. Keine Sorge. Die Denalis werden morgen früh hier sein.“

„Na hoffentlich.“, sagte Andy mit Zweifel in der Stimme.

„Natürlich wird er das, Liebster.“, wischte Elizabeth seine Zweifel beiseite, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn leidenschaftlich.

Ich schaute den beiden zu und seufzte sehnsüchtig. Wie gerne würde ich meine Bella auch küssen. Aber dafür war sie viel zu weit von mir entfernt…

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meine Bella im Arm zu halten. Jetzt, da alles Wichtige geklärt war, hatte ich nur noch Augen für sie. Ich blendete alle Stimmen in meinem Kopf aus und sah sie unverwandt an. Sie bewegte sich so gut wie nicht und reagierte auf die Frage, ob sie was zu essen wolle, ebenfalls mit Schweigen. Ich wurde immer besorgter um sie. Andy saß mit Elizabeth neben seiner Schwester, nahm ihre Hand und schaute ebenso besorgt aus, wie ich. Andy zeigte an diesem Abend ebenfalls einen Mangel an Appetit. Keiner sagte aber etwas dazu.

Als die Uhr 21. 36 anzeigte, flatterten Bellas Augenlieder und ihr fielen die Augen zu. Noch immer hielt ich sie in meinen Armen. Sie hatte die ganze Zeit kein einziges Wort gesagt. Sie hatte nicht einmal gezittert. Ein Teil von mir war überrascht, dass sie so nah an meiner Haut nicht fror. Andererseits war ich es nicht, da ja Jasper gesagt hatte, dass Bella überhaupt nichts fühlen würde. Andy verließ auch den ganzen Abend nicht das Sofa, was mich abermals wunderte. Es musste doch für einen Menschen extrem unangenehm sein, solange Zeit dieselbe Position beizubehalten. Doch seine Sorgen stellte er hinten an. Seine Schwester hatte oberste Priorität. In diesem Punkt stimmte ich mit Andy überein.
Irgendwann fielen auch Andy die Augen zu und er legte seinen Kopf auf Elizabeths Schoß. Er gähnte herzhaft, bevor er in den Schlaf sank.

„Gute Nacht.“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Als ich das hörte, holte ich dies auch bei Bella nach. Alice, also unsere, holte zur Sicherheit noch zwei Decken für unsere zwei Menschen zur Sicherheit. Bella und Andy sahen nicht einmal im Schlaf friedlich aus. Auch redeten beide kein einziges Wort, was ich bedauerte. Ich hatte gehofft, wenigstens im Schlaf ihre Stimme zu hören. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seitdem ich zuletzt ihren wunderbaren Klang vernehmen durfte. Selbst im Schlaft regte sich Bella so gut wie nicht. Sie schlief…wie eine Tote. Es schüttelte mich. Eine grauenhafte Vorstellung.

7 Stunden, 29 Minuten und 3 Sekunden später schlugen beide Swans synchron die Augen auf. Wenigstens etwas hatte sich nicht verändert. Als Bella aufwachte, sah sie mir in die Augen, obwohl sie mich nicht sah. Ihr Blick war immer noch leer und ausdruckslos. Dieser Anblick ließ die Intensität meiner Qualen jedes Mal ins Unermessliche steigen. Andy stand dann doch vom Sofa auf und ging in die Küche, um etwas zu essen. Bella schien jeglichen Appetit verloren zu haben. Hatte sie die letzten Tage überhaupt etwas zu sich genommen. Ihr Gesicht wirkte schon jetzt schmaler, als sonst.

Schon 20 Minuten später hörte ich die Gedanken der anderen Denalis und Laurent. Ich verzog den Mund. So richtig konnte ich mich noch immer nicht damit abfinden. 2 Minuten später kam ein Auto vorgefahren. Es war ein orangefarbiger Scion. Die Denalis stiegen aus ihren Wagen aus und wollten „unser Haus“ betreten, hielten aber kurz inne, als sie Bellas und Andys Geruch wahrnahmen. Sie kamen herein und wurden von allen begrüßt. Die andere Alice hatte ihnen alles erzählt. Dass es Doppelgänger gibt und warum sie hier waren. Meinen Doppelgänger hatte ich seit unserem Zusammentreffen nicht mehr gesehen. Er war wohl immer noch voller Zorn auf mich.

Die Denalis: Tanya, Kate, Eleazar und Carmen, Irina und Laurent standen nun vor Elizabeth, Andy, Bella und mir. Wir vier saßen immer noch auf dem Sofa. Keiner von uns hatte jedoch die Absicht, sich zu erheben. Aber in ihren Gedanken sah ich, dass die Denalis dieses Verhalten nicht als unhöflich empfanden.

„Na so etwas sieht man ja auch nicht jeden Tag.“, sagte Tanya und musterte die Swan-Zwillinge interessiert.
„Ich weiß nicht was merkwürdiger ist. Ein Doppelgänger oder eineiige Zwillinge unterschiedlichen Geschlechts.“

Andy kicherte. „Da ist wahrscheinlich kein großer Unterschied.“, antwortete er lächelnd.
„Hallo, schön auch mal die anderen guten Vampire kennen zu lernen.“

°Erstaunlich, er scheint wirklich überhaupt nicht vor unserer Art zurückzuschrecken. So, wie er mit Elizabeth verschlungen ist. Bewundernswert. Und wie die beiden sich ansehen. Er scheint sie zu lieben, obwohl er weiß, was Elizabeth ist. Und sie scheint ihn zu lieben, auch wenn er ein Mensch ist und eine Verlockung für sie darstellt.°, dachte Carmen.

°Dieser Andy sieht wirklich attraktiv aus und er scheint eine warmherzige Art an sich zu haben.° Tanya seufzte sehsüchtig.
°Aber so, wie er seinen Arm und Elizabeth gelegt hat… Da würde ich nur wieder erneut abgewiesen werden.°

Elizabeth verstärkte ihren Griff um Andy besitzergreifend. Tanyas Blick huschte zu mir.

°Jetzt gibt es auch schon einen zweiten Edward, doch auch dieser würde meine Gefühle nicht erwidern.°

Wieder seufzte Tanya. Ich lächelte ihr entschuldigend zu. Die arme. Sie war wirklich eine wunderschöne Frau, natürlich nicht so schön wie meine Bella, und hatte in all der Zeit immer noch keinen Gefährten gefunden. Ja, Tanya, beide Tanyas taten mir wirklich leid. Nun fielen die Blicke der Denalis auf meine leblose Bella, die in meinen Armen lag und ins Nichts starrte.

°Ach du meine Güte! Ich habe schon einiges gesehen. Aber so etwas in all der Zeit noch nicht! Sie hat etwas von einem Vampir und dennoch von einem Toten. Ein grauenvoller Anblick.°, dachte Irina bestürzt. Ich stimmte ihr nickend zu.

Eleazar dachte an etwas, jedoch traten seine Überlegungen für mich in den Hintergrund, da nun Laurent an Bella und mich heran trat. Ich wusste natürlich, dass dieser Laurent anders war. Das konnte ich in seinen Gedanken deutlich sehen. Ich sah dort keinen Durst, kein Verlangen, das übermächtig für ihn werden könnte. Er fand nur ihren Geruch sehr „anziehend“, vertiefte diesen Gedanken zu meinem Glück jedoch nicht weiter. Laurent war wirklich besorgt um sie. Trotzdem ich all dies wusste, drückte ich Bella beschützend an meine Brust, als Laurent vor uns in die Hocke ging, um Bella besser betrachten zu können.

°Darf ich?°, hörte ich ihn fragen.

Seufzend gab ich nach und entspannte mich ein wenig. Dennoch behielt ich Laurent genau im Auge. Man konnte ja nie wissen. Er nahm Bellas Gesicht in seine Hände und drehte es in seine Richtung. Sie zeigte keine einzige Regung.

„Das ist also das Problem.“, sagte er resigniert nach einer Weile. Laurent ließ Bellas Gesicht wieder los und wendete sich ihrem Bruder zu.
„Ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber ich vermute, dass du Recht hast. Deine Schwester scheint in ihrem Geist gefangen zu sein. Ich glaube, ich kann ihr helfen.“

Diese Worte schwächten meine inneren Qualen etwas ab. Erleichtert war ich aber noch lange nicht. Das würde ich erst wieder sein, wenn Bella wieder Bella ist. Laurent lächelte ihn anerkennend und freundlich an, aber nicht auf eine düstere Art.

„Bella kann froh sein, einem Bruder, wie dich zu haben.“
°Schließlich bist du auf die Idee gekommen, dank eurer Verbindung. Zwillinge sind wirklich faszinierend.°, fügte er in Gedanken hinzu.

Andy schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kann froh sein, so eine Schwester zu haben.“

Laurent ließ diese Bemerkung unkommentiert, lächelte nur leicht. Dann wurde seine Miene ernst. „Wir wollen keine Zeit verlieren! Also, wer kennt Bella am besten? Diese Frage schien von großer Bedeutung zu sein.

„Ich!“, sagten Andy und ich aus einem Munde. Wir lächelten uns beide entschuldigend zu. In Gedanken musste Laurent schmunzeln, sein Gesichtsausdruck veränderte sich jedoch nicht.

„Ihr müsst euch entscheiden. Ich kann nur einen von euch in Bellas Kopf bringen.“

Ich zog verwundert die Augenbrauen zusammen.

„Du kannst nicht mitkommen?“, stellte Andy jedoch die Frage.

„Das ist mir in diesem Fall leider nicht möglich.“, antwortete Laurent betrübt.
„In Bellas Fall wäre es ratsam, wenn nur jemand in ihre Gedankenwelt eintritt, dem sie sehr nahe steht. Also fungiere ich hier nur als ‚Brücke‘, um die Verbindung aufrecht zu erhalten. Ich kann somit nicht mit kommen.“

Ich runzelte die Stirn, während ich über seine Worte nachdachte. Andys Stimme unterbrach meine Überlegungen.

„Dann mach du das!“, bestimmte er.

Fragend schaute ich ihn an. „Bist du dir sicher? Ich bin der Ansicht, dass du als ihr Zwillingsbruder eine engere Verbindung zu ihr hast.“

Auch wenn ich mich über seine Entscheidung freute, wollte ich was Bella betraf, nur das Beste. Und in diesem Fall war es einfach besser, wenn Andy das tun würde. Nicht ich. Aber woher sollte ich wissen, was für Bella das Beste war? Schließlich hatte ich nur um ihretwillen sie schweren Herzens verlassen, damit sie ohne Monster leben konnte. Durch meine Entscheidung, habe ich sie einmal und nun ein zweites Mal – und diesmal noch schlimmer – verletzt. Alles war meine Schuld. Würde es mich nicht geben, dann würde Bella nie all das Leid durchleben müssen. Meine Schuldgefühle stürmten erneut auf mich ein.

„Hey, Edward. Jetzt hör auf, wieder in Selbsthass zu versinken.“, versuchte Andy mich aufzuheitern.
Mein Gesichtsausdruck war wohl sehr ausdrucksstark gewesen.
„Du machst das und kein anderer!“, befahl er.

„Bist du dir da sicher?“, hörte ich meine Stimme wütend und zweifelnd fragen. Mein Doppelgänger stand nun neben Tanya und schaute Andy durchdringend an.
„Schließlich ist er doch für ihre Situation verantwortlich.“

In Gedanken warf er mir alle Schimpfwörter in sämtlichen Sprachen zu, die er kannte. Innerlich zuckte ich zusammen. Natürlich hatte er Recht. Was Andy allerdings darauf erwiderte, überraschte mich sehr. Seine Stimme klang etwas wütend, als man in diesem Ton mit ihm sprach. Er verlor allerdings nicht so sehr die Beherrschung, wie im Saint Marris.

„Edward. Keiner sagt, dass die Liebe und alles was mit ihr zusammenhängt, einfach ist. Wenn sie es denn wäre, dann ist es keine richtige Liebe. Ich meine, sie dir die zwei doch mal an.“
Andy machte eine Geste zu Bella und mir.
„Ein Vampir und ein Mensch. Wenn Edward, sie nicht lieben würde, dann wäre Bella schon längst tot. Bellas Edward macht das und niemand sonst!“, beendete er schroff das Thema.

Seine Worte lösten meine Qualen in mir auf. Ich konnte einfach nicht fassen, was er da gerade gesagt hatte. Auch er hatte zu großes Vertrauen in mir, wie meine Familie. Ein Vertrauen, welches ich genau genommen nicht verdient hatte. Aber dennoch war ich verwirrt. Ich dachte, dass er sich selbst noch mit in seiner Argumentation mit einbringen würde, um mein Ebenbild noch mehr zu überzeugen. Warum tat er es nicht? Bedeutete dies etwa, dass er die Liebe zwischen ihm selbst und Elizabeth nicht für so stark hielt, wie meine Liebe zu Bella? Ich hoffte, dass ich mich irrte. Aber hoffen und glauben waren zwei unterschiedliche Dinge.

„Ja, Brüderchen.“, tadelte Elizabeth ihren Bruder, „Bring dir mal etwas mehr Verständnis entgegen. Schließlich weiß ich am besten, wie sich mein anderer Bruder fühlt.“

Elizabeth verstärkte ihren Griff um Andys Taille und sah ihn bedeutungsvoll in die Augen.

°Andy hat vollkommen Recht, mit dem, was er sagt. Schließlich liebe ich auch einen Menschen.°, teilte sie ihrem Bruder mit.

Mein Ebenbild hob ergeben die Hände. „Schön. Macht doch was ihr wollt.“, erwiderte er missmutig und verschwand die Treppe hinauf in sein Zimmer. Wir alle schauten ihn hinterher. Es folgte ein paar Sekunden unangenehme Stille.

„Ja…Dann fangen wir mal an.“, versuchte Laurent die „schlechte Stimmung“ zu zerstreuen.

Er forderte, dass Elizabeth und Andy von Sofa aufstanden. Ich sollte meine Bella loslassen und ein Stück zur Seite rutschen, sodass sich Laurent zwischen uns setzen konnte. Auch während dieser Prozedur sprach Bella kein einziges Wort und reagierte auch auf sonstige Weise nicht. Sie atmete nur und starrte vor sich auf dem Fußboden. Als Laurent zwischen uns beiden saß, sah ich über seine Schulter besorgt zu meiner Bella hinüber.

„Edward.“, sprach Laurent mich an und sofort hatte er meine ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Ich werde nun die Verbindung herstellen, damit du in ihren Geist vollständig eintauchen kannst. Sei vorsichtig. Dort drinnen kann dich alles erwarten. Alles ist dort möglich.“
Laurent runzelte nachdenklich die Stirn.
„Ich habe so etwas noch nicht gemacht. Darum kann ich nicht sagen, wie lange ich die Verbindung aufrecht halten kann. Diese Fähigkeit ist selbst für einen Vampir sehr anstrengend. Wenn du dir zulange Zeit lässt und die Verbindung abbricht, bevor du sie gefunden hast, dann kann es passieren, dass du in Bellas Geist ebenfalls gefangen bleibst. So gäbe es dann zwei leblose Körper und jemand müsste kommen, um wiederrum euch beide zu befreien. Beeil dich, also!“, mahnte er mich.

Ich nickte ernst. Ich holte tief Luft und bereite mich innerlich auf das vor, was mir nun gleich bevor stand. Ich würde in Bellas Gedankenwelt, nein in ihr ganzes Innerstes eindringen. Das hatte ich mir, seit ich sie zum ersten Mal in der Cafeteria erblickt hatte, gewünscht. Mein Wunsch würde sich nun mehr oder weniger erfüllen, auch wenn die Umstände alles andere als günstig waren. Denn so, hatte ich mir das Ganze absolut nicht vorgestellt. Ich war froh, dass dies jetzt geschah.

Aber was würde mich dort erwarten? Was würde ich dort sehen? Konnte ich Bella überhaupt finden? Der Zweifel und die Angst wurden von der Entschlossenheit verdrängt. Auf diese Fragen würde ich vermutlich gleich eine Antwort erhalten. Laurent hob seine beiden Arme und legte jeweils einen Zeigefinger an meine und Bellas Stirn. Er schloss die Augen und begann sich zu konzentrieren.

°Schließe deine Augen.°, befahl er.

Ich tat es.

Dann schlug ich die Augen wieder auf.

In Bellas Kopf




Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Es kam mir vor, als seien nur wenige Sekunden vergangen. Ich erstarrte kurz vor Schreck und Erstaunen. Ich war woanders. Nicht mehr im Wohnzimmer auf dem Sofa.

Und das Schlimmste war: ICH WAR ALLEIN!

Ja, ich war allein. Als ich mich von dem Schock erholt hatte, sah ich mich um. Um mich herum war nur Schwärze. Egal wie weit ich auch in die Ferne sah, ich konnte nur Schwärze erblicken. Eine Schwärze, die sich endlos zu erstecken schien. Schwarz, wie das Nichts. Ich fühlte mich, wie in meiner eigenen Hölle. Genauso hatte es in mir ebenfalls ausgesehen, nachdem ich Bella verlassen hatte.

Ich rannte und rannte. Irgendwo musste es doch einen „Ausgang“ aus dieser Finsternis geben. Doch etwas war merkwürdig. Ich bewegte mich…so langsam. Ich schaute hinunter auf meine Füße. Selbst der Boden war schwarz. Meine Beine bewegten sich zu langsam. Sie bewegten sich mit menschlicher Geschwindigkeit. Ich stöhnte. Die Vampirgeschwindigkeit war also hier außer Kraft gesetzt. Laurent hatte gesagt, dass hier alles möglich sei. Aber dieses Defizit war ein harter Schlag für mein Selbstbewusstsein.

Trotz des Nachteils „rannte“ ich weiter, weiter und weiter. Mir kam es vor, ich würde eine Ewigkeit rennen. Viele Stunden und Minuten. Doch es war kein Ende in Sicht. Ich sah nur Schwärze. Ich sah nicht einmal so etwas wie Wände, die den Raum auf irgendeiner Art eingrenzten. Die Verzweiflung ergriff mich.

Obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, rief ich: „Bella, wo bist du?“

Ich hörte viele Echos meiner eigenen Stimme. Wider meiner Erwartung bekam ich eine Antwort. Aber nicht in Worten. Vor mir tauchte ein kleines Mädchen mit kastanienbraunen Haaren und schokoladenbraunen Augen auf. Ihre Haut war für einen Menschen ungewöhnlich blass. Sie schien ungefähr 7 oder 8 zu sein, schätzte ich. Sie lächelte nicht und ihr Blick war eigenartig.

„Bella?“, fragte ich unsicher.

Das Mädchen nickte, schüttelte aber auch den Kopf. Ich dachte, sie würde mir antworten. Doch sie hob stattdessen ihren linken kleinen Arm und deutete mit dem Zeigefinger auf etwas. Ich schaute in die Richtung und ein paar Meter vor mir, war plötzlich eine Tür aus Mahagoni.

Ich drehte mich wieder zu dem Mädchen um, das Bella sehr ähnlich aussah und wollte mich bedanken, aber sie war nicht mehr da. Wieder fielen mir Laurents Worte ein und ich schüttelte verwirrt den Kopf. Es war eine Tür mit 2 Flügeln und 2 Türklinken. Ich ging zu der Mahagonitür, nahm die 2 Klinken in die Hände und machte die Tür auf. Erstaunlicherweise war sie nicht abgeschlossen.

Dort, wo sich eigentlich der Durchgang befinden müsste, befand sich ein Spiegel. Mein Spiegelbild runzelte verwirrt die Stirn.

„Das ist alles sehr verwirrend.“, sagte ich zu mir selbst.

„Wem sagst du das.“, hörte ich Stimmen sagen, die wie meine klangen.

Aber ich hatte nichts gesagt. Ich schaute zum linken und zum rechten Flügel und wich vor Überraschung einen halben Schritt zurück. An den beiden Flügeln der Tür, waren Spiegel angerbracht. Doch das war es nicht, was mich erschrocken hatte. Ich sah mich selbst jeweils in den 3 Spiegeln. Doch meine Spiegelbilder von den Flügeln der Tür, hatten einen anderen Gesichtsausdruck, als mein Spiegelbild im „Zentrum“, also im Durchgang. Außerdem unterschieden sie sich von meinem Spiegelbild in der „Mitte“.

Links sah mich jemand an, der aussah wie ich. Nur war seine Haut nicht so blass und seine Augen waren smaragdgrün.

Rechts, sah ich mich ebenfalls. Allerdings hier mit der gleichen blassen Haut und mit leuchtenden rubinroten Augen.

Hatten etwa die Spiegelbilder links und rechts von mir, mit mir gesprochen?

„Genauso ist es.“, sagte mein rechtes Spiegelbild mit den rubinroten Augen.

Ich begriff, was das hier war. Das, was ich hier sah, waren die Teile meiner selbst. Links der menschliche Mann in mir, der Bella über alles liebte. Rechts das Monster in mir, was nach Bellas Blut lechzte.

„Was hat das hier alles zu bedeuten?“, fragte ich verwirrt.

„Wir sind in Bellas Kopf.“, erinnerte mein linkes Spiegelbild mich. „Hier ist alles möglich. Das hat doch Laurent gesagt.“

„Warum bin ich – sind wir – überhaupt hier?“, fragte das Monster in mir.
„Warum machst du dir überhaupt die Mühe? Warum nimmst du all das auf dich? Hättest du dieses dumme Menschenmädchen damals in der Cafeteria nicht einfach gleich beißen und trinken können? Warum hast du dich damals so gegen mich gewehrt? Es wäre so einfach gewesen.“

Er leckte sich genüsslich die Lippen und grinste düster. In seinem Kopf – oder in meinem eigenen, es fühlte sich aber nicht so an – sah ich grässliche Szenarien. Ich zuckte synchron mit meinem linken Spiegelbild und das, welches sich im Durchgang befand, zusammen.

„Höre nicht auf ihn, oder dich?!“, sagte der Mann mit grünen Augen in mir eindringlich.
„Bella ist alles was wir haben. Sie ist es wert, von uns – von dir – gerettet zu werden. Sie ist es wert, dass sie von mir und dir geliebt wird. Vergiss das nie!“

„Aber was soll ich jetzt tun?“, fragte ich mein linkes Spiegelbild verzweifelt.

Er seufzte genervt. „Na was schon! Trete hindurch!“, erklärte er das Offensichtliche.

Ich runzelte verwirrt die Stirn und sah mein Spiegelbild im Zentrum an. Es sah genauso verwirrt aus, wie ich.

„MACH SCHON!“, schrie meine menschliche Seite mich an.

„Du wirst sie sowieso nicht retten können! Menschen und Vampire gehören nicht zusammen. Sauge sie einfach aus und dann ist alles vorbei. Was soll das denn alles bringen? Sie ist nur unsere Nahrung. Sonst nichts.“, hörte ich das Monster sagen.

Ich achtete nicht weiter darauf. Knurrte ihn – oder mich – nicht einmal an. Dafür hatte ich keine Zeit. Ich trat näher zum mittleren Spiegel heran, atmete tief durch, schloss die Augen und trat ohne zu Zögern durch den Spiegel hindurch. Ich hatte nichts gespürt. Eigentlich hätte ich gegen Glas laufen müssen. Es fühlte sich so an, als wäre der Durchgang nie durch einen Spiegel „blockiert“ gewesen.

Ich öffnete die Augen und sah sofort, dass ich woanders war. Ich sah mich selbst an einem Baum gelehnt am Waldrand hinter Charlies Haus stehen. Bella stand mir gegenüber. Ich drehte mich kurz um, doch eine Tür war nicht zu sehen. Schnell wendete ich mich wieder dem Geschehnis zu. Es kam mir nur zu gut bekannt vor.

„Du bist nicht gut für mich, Bella.“, sagte ich zu ihr.

Es war äußerst seltsam diese Szene aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Ich sah mich selbst, wie ich Bella verletzte, wieder mal. Wieder musste Bellas Reaktion sehen. Ihr Glanz in den Augen erlosch bei meinen Worten und ein tiefer Schmerz zeigte in ihren braunen Augen. Ich konnte nicht länger zusehen. Es war mehr, als ich ertragen konnte.

Ich rannte auf Bella, packte sie am Arm. Wollte sie in meine Arme schließen, ihr sagen, wie leid mir das alles tat und dass dies eine Lüge war. Doch als ich bei Bella ankam und ihren Arm berührte, löste sie sich auf. Nein, nicht nur sie. Ich löste mich auf. Die ganze Szene löste sich auf. Natürlich, dachte ich. Es war eine Erinnerung. Etwas, was schon geschehen ist. Etwas, was man nicht wieder ändern konnte. Etwas, dass sowohl Bella, als auch mir ewig im Gedächtnis bleiben würde.

Die Umgebung des Waldes wurde von der Schwärze verdrängt.

Vor mir formte sich eine neue Tür, aber keine mit Flügeln. Sie wirkte sehr verschlissen. Das was im Holz an der Tür eingeritzt war, raubte mir den Atem.

„Die größte Angst.“

Ich wollte diese Tür, aber ich sah keine andere. Ich sah keinen anderen Weg, wie ihr weiter vordringen könnte. Ich wollte diese Tür nicht öffnen. Es fühlte sich so falsch an, als würde ich Bella verraten. Dennoch tat ich es. Die Tür öffnete sich mit einem ohrenbetäubenden Knarren. Ich ging hindurch und drehte mich danach sofort wieder um. Wieder war die Tür verschwunden.

Erst jetzt, sah ich mich genau um. Ich war draußen auf einem Friedhof. Ich zuckte zusammen, aber es überraschte mich auch nicht. Sie hatte Angst vor ihrem Tod. Auch wenn sie es nicht zeigte, hatte sie doch tief im Inneren Angst vor ihrem Ende. Das war durchaus nicht ungewöhnlich. Doch irgendetwas war hier seltsam. Der war mit grauen Wolken verhangen. Es war Tag. Vor mir breitete sich eine Fläche mit vielen Grabsteinen aus und ein begehbarer Weg, der zu einem kleinen Hügel führte, auf dem auf zwei Podesten, 2 Särge platziert waren. Ich ahnte schon, wer dort oben drin lag. Aber dennoch nahm ich mir kurz Zeit, die anderen Grabsteine näher zu betrachten. Jeder dieser Namen ließ mehr und mehr Zweifel und Unsicherheit in mir aufkommen. Auffällig waren auch die Sterbedaten. Sie waren ALLE identisch. Sie alle starben in diesem Jahr. 2005, also.

Angela Weber

Mike Newton

Jessica Stanley

Eric Yorkie

Lauren Mallory

Ben Cheney

Tyler Crowley

Das waren alles Schüler der Forks Highschool.

Jacob Black

Sarah Black

Billy Black

Rebecca Black

Rachel Black

Charlie Swan

Renee Dwyer

Phil Dwyer

Die Namen ihrer Familie und den Hunden. Ja. Sie waren alle Nachfahren von Ephraim Black. Aber was hatten alle diese Namen in Bellas Kopf für eine Bedeutung. Die Blacks und ihre Familie und einige Schulfreunde? Dies alles war einleuchtend. Schließlich kannte Bella diesen Jacob, was mir nicht gefiel und somit auch seine Familie. Aber Crowley und Mallory? Das ergab für mich alles keinen Sinn. Mit diesen zwei Menschen hatte meine Bella doch am Wenigsten zu tun. Und besonders mögen tat Lauren sie auch nie. Seltsam.

Ich ging weiter und stand vor einem riesigen Grabstein. In riesigen goldenen Buchstaben stand „Cullens“ auf dem Stein. Darunter einzelne Namen in kleinerer Schrift.

Carlisle

Esme

Emmett

Rosalie

Jasper

Alice

Elizabeth

Ein Name fehlte. Auch hatte ich einen anderen noch nicht gesehen.

Mir kam ein furchtbarer Verdacht.

Ich merkte, wie ich erbleichte, rannte hinauf zu den 2 Särgen auf dem Hügel und sah nach, wer dort drinnen lag. Ich hatte mich schrecklich geirrt und mein Verdacht hatte sich bestätigt.

In einem Sarg lag Andy, blass mit verschlossenen Augen. Darauf war ich vorbereitet gewesen. Aber auf das hier nicht.

In dem anderen Sarg, lag nicht Bella, wie ich vermutete. Nein. Ich sah mich selbst tot im Sarg liegen. Auch meine Augen waren geschlossen. Die Miene ausdruckslos. Ein schmerzvolles Feuer tobte in mir und verbrannte meine Organe.

Nein. Bella hatte keine Angst um ihren eigenen Tod. Sie hatte Angst, vor dem Tod der anderen. Nein, das war nicht ganz richtig ausgedrückt. Sie hatte Angst vor dem Tod eines JEDEN MENSCHEN auf dieser Erde. Denn die Fläche mit den Grabsteinen schein sich endlos zu erstrecken, merkte ich jetzt, da ich vom Hügel aus einen besseren Ausblick hatte.

Ihre größte Angst war, ihren Bruder und MICH zu verlieren. Ich griff in meine Haare und brüllte meine Schmerzen hinaus. Mein eigener Schmerzensschrei dröhnte mir in den Ohren. Ich war mir sicher, dass ich Bellas eigenen Grabstein hier niemals finden würde. Mir kam es vor, als schrie ich eine Ewigkeit. Als ich keine Kraft mehr fand zu schreien, sah ich vor mir, wieder das kleine Mädchen stehen.

„Wo ist sie?“, brachte ich nur heraus. Ich hatte das Gefühl, dass meine Stimme heiser war.

Sie deutete auf den Sarg, indem ich drin lag. Ich schaute sie verzweifelt und verwirrt an.

„Ich verstehe nicht.“

Wieder deute sich den Sarg, fordernder. Ich schaute den Sarg an, dann wanderte mein Blick wieder zu ihr. Entsetzt riss ich die Augen auf.

„Ich soll mich den Sarg legen?“, fragte ich entsetzt. Sie nickte ernst.
„Aber da…“, erwiderte ich und schaute in den Sarg hinein.

Die Worte blieben mir im Halse steckten. Der Sarg war leer. Flehend sah ich das Mädchen, Bella, an.

„Gibt es denn keinen anderen Weg?“, meine Stimme zitterte vor Panik.

Sie schüttelte den Kopf.

Ich schaute in den leeren Sarg, als wäre er das Ende der Welt. Das war er auch. Alles in mir sträubte sich dagegen, sich dort hineinzulegen. Wenn ich das tat, machte ich dann nicht Bellas Angst ein Stück lebendiger? Was würde mit mir passieren, wenn ich dort drin lag? Aber wenn das half, um Bella zu retten, dann würde ich das tun. Ich dachte nur den Grund meines Hierseins und stieg entschlossen in den Sarg hinein und legte mich hin.

„Und jetzt?“ Meine Stimme klang immer noch panisch.

Das Mädchen trat an den Sarg heran und schaute ernst, aber mitfühlend auf mich hinab. Dann tat sie etwas, was meine Panik unerträglich machte.

Sie klappte den Deckel zu.

Alles wurde schwarz.
Selbst mit meinen Vampiraugen.

Ich schrie. Noch nie in meiner ganzen Existenz hatte ich solche Panik empfunden. Ich fühlte mich so hilflos. Wie ein kleiner Junge. Ich schrie und schrie, drückte mit den Händen gegen den Deckel, doch er öffnete sich nicht.

„Lasst mich hier raus!“, schrie ich.

Ich verlor völlig die Beherrschung und verfiel in einem Zustand von Hysterie. Nun verstand ich, was es hieß, lebendig begraben zu sein. Andy hatte mein Mitgefühl. Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Ich hatte aufgegeben. Kein Laut kam mehr aus meinem Mund. Versuchte nicht mehr, den Deckel zu öffnen.

Sollte das mein Ende sein? In den Geist Bellas gefangen? In Bellas größter Angst gefangen? Für immer? Würde jemand kommen und nach mir suchen? Nein, sagte ich mir. Was mit mir passierte, ist egal. Nur Bella war wichtig. Aber wenn sie nur Bella retten würden, hätten sie sie dann überhaupt gerettet. Wenn ich in ihrem Leben nicht mehr da war, hatte sich dann nicht ihre größte Angst erfüllt. Würde sie ihr Leben beenden wollen? Ich betete, dass dies nicht eintreffen möge. Aber ich glaubte nicht daran. Für Bella war ich alles. Das wusste ich. Sie konnte ohne mich nicht leben und würde es auch nicht mehr tun. Egal, ob sie körperlich „lebte“ oder nicht. Wenn ich oder ihr Bruder nicht mehr Teil ihrer Welt wären, dann wäre ihr Todesurteil geschrieben. Nun wurde es auch innerlich in mir finster.

Dann hörte ich Stimmen. Nein, eine Stimme. Ein Gebrüll, was mich zurück holte und gleichzeitig erneut mein Innerstes verbrannte. Angstschreie. Ich wusste, dass es Bellas Angstschreie waren. Ich wusste, warum sie schrie. Ich hörte jemand schwer atmen und leise kichern. Ich war wieder bei Verstand. Ich musste sie retten, wenn das überhaupt möglich war.

Ich versuchte, den Deckel zu öffnen und es…funktionierte.

Ich befand mich in einem dunklen Raum, der nur von einem etwas breiten Lichtstrahl erhellt wurde. Für meine Augen war das natürlich kein Hindernis. Ich stand aufrecht. Musste nicht wie erwartet, aus einem Sarg heraus klettern. Es war, als wäre der Sarg meine Tür gewesen. Und auch ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass sich hinter mir kein Sarg mehr befand. Auch sah ich keinen Sargdeckel auf dem Boden.

Bella schrie immer noch. Ein schrecklicher Laut. Der Hund lag über ihr, hielt ihre Hände fest und drang immer wieder in sie ein. Ein grauenhafter Anblick. Sie versuchte sich zu wehren und trat mit ihren Füßen nach ihm. Doch leider half es nicht. Wie sollte es auch? Sie war viel zu schwach, viel zu jung, um es mit einem Hund aufnehmen zu können. Bella weinte und schrie noch lauter, wie mir schein.

Ich wusste, dass dies eine Erinnerung war, dennoch wollte ich ihn daran hindern, ihn aufhalten. Laurent hatte gesagt, dass alles hier möglich sei. Ich musste es einfach versuchen. Ich war voller Wut auf ihn, hätte seinen Schädel zertrümmert, doch ich war erstarrt vor Angst. Dieser Anblick machte meinen Körper einfach bewegungsunfähig. Ich fühlte mich so hilflos und allein.

Im nächsten Moment, hatten sich der Raum und der Mann verändert. Alles war größer geworden. Ich schaute auf meine Hände. Sie waren kleiner und zierlicher. Nein. Ich war geschrumpft. Ich war zu einem 7-jährigen kleinen Jungen geschrumpft. Ich sah hilflos nach oben, unfähig zu sprechen. Plötzlich spürte ich etwas. Ich berührte meine Wange. Ich weinte. Ich weinte tatsächlich. Ich weinte, weil ich nichts tun konnte. Zu groß war die Angst in mir. Ich weinte, weil ich Bellas Leid hören musste. Ich weinte, weil ich an allem Schuld war.

Ein Schrei Bellas, der mich bis ins Mark erschütterte, brachte mich wieder zur Besinnung. Im nächsten Augenblick hatte ich den Rücken des Hundes umklammert und ihn von der kleinen Bella weggerissen. Ich war wieder gewachsen. Einen kurzen Moment, sah ich auf Bella herab. Sie war blass und ihre Augen waren rot und verquollen vom Weinen. In ihren Augen sah ich tiefste Dankbarkeit. Dann löste sie sich auf. Ich drehte mich um. Auch der Hund, den ich gegen die Wand geschleudert hatte, verschwand. Auch diese Erinnerung verblasste. Aber ich hatte eingreifen können. Das musste doch etwas wert sein!

Die Umgebung veränderte sich erneut. Dann stand ich in unserem Wohnzimmer unseres Hauses in der anderen Welt. Niemand war da. In Sekundenschnelle – die Vampirgeschwindigkeit funktionierte wieder – hatte ich das ganze Haus durchsucht. Ich war allein.

Natürlich.

In Bellas Kopf, waren wir nicht da. Ich hatte sie verlassen. Auch die Szene im Wald, die ich erneut sehen musste, deutete daraufhin. Das musste es sein. Bella war überzeugt, ich wäre nie zurückgekehrt. Was ohne mich aus ihr wurde, das habe ich ja gesehen. Wieder überrollten mich meine Schulgefühle und Reue, die ich aber sofort unterdrückte. Aber so musste es sein.

Außerdem hatte Carlsile gesagt, dass, als sie im Koma lag, ihre Gehirnaktivitäten drastisch angestiegen waren. Dass sie von Erinnerungen überflutet wurde. Nun glaubte ich zu wissen, dass es nur die Erinnerung an meine Lügen im Wald sein konnte. Sie musste sie wieder und wieder durchlebt und so den Bezug zur Realität verloren haben. Aber wo war sie jetzt? Sie war nicht hier. Dann gab es jetzt noch zwei Möglichkeiten.

Ich rannte aus unserem Haus zu Charlie. Mir fiel auf, dass ich keinen einigen Gedanken hören konnte. Ich sah keinen einzigen Menschen weit und breit. Nur ihre Autos. Alle leer. Es schien, als wäre ich der einzige hier in Forks. Niemand war in Charlies Haus. Er nicht. Bella nicht. Ich kletterte auf dem Baum und sah hinüber durchs Fenster in ihr Zimmer. Ich konnte sie nicht riechen. Ich konnte absolut nichts riechen. Sie war nicht hier. Ich sprang vom Baum hinunter und rannte zu Schule. Auch dort war keine Menschenseele. Die ganze Stadt schien tot zu sein. Niemand war hier. Ich war am Verzweifeln. Bella war nicht hier. Sie war nicht bei uns, nicht bei Charlie und nicht in der Schule.

Wo war sie dann?

Ich spürte einfach, dass sie hier irgendwo war. Warum konnte ich denn dann sonst durch ganz Forks rennen? Diesmal war alles anders. Es war keine einzelne Szene. Es war hier wie in der realen Welt, nur ohne einen einzigen Menschen. Wieder musste ich mir ins Gedächtnis rufen, dass ich mich in Bellas Kopf befand. Wo war sie nur? Ich überlegte angestrengt und dachte über alles nach, was ich hier erleben musste.

Dann hatte die Lösung. Ich rannte los.

Natürlich! Sie war von Anfang an die Lösung gewesen. Ich hatte es nur nicht gesehen. Das kleine Mädchen, das mir den Weg wies. Das war Bella. Sie hatte auf meine Frage hin genickt und den Kopf geschüttelt. Es war die Bella, die ich hätte kennen lernen können. Wenn ihr Leben nicht gewaltsam beendet worden wäre. Es war die Bella aus der anderen Welt, aus der ich kam. Ja, sie musste dort sein. Denn warum sollte Bella noch leben wollen, wenn alle Menschen, die sie liebte und die ganze restliche Menschheit, diese Welt verlassen hatten?

Bald war ich am Friedhof von Forks angelangt und war wieder vor dem Stein, vor dem ich einst stand.


Isabella Marie Swan


13. 09. 1987 – 14. 06.1994


Ich ging in die Knie und begann mit den Händen zu graben. Zum Glück hatte ich die schnelle Geschwindigkeit zur Verfügung. Sonst hätte das noch viel länger gedauert. Ich grub tiefer und tiefer, bis ich endlich nach einer halben Ewigkeit, Holz spürte. Ich war auf dem Sarg gestoßen. Ich grub noch mehr Erde beiseite, damit ich den Sarg besser greifen konnte. Ich hatte schließlich einen Griff ausgehoben. Ich nahm ihn fest in meine rechte Hand und zog daran. Im Nu hatte ich den kompletten Sarg aus der Erde gehoben und schob ihn ein paar Meter weiter vom Grabstein entfernt, bevor ich ihn wieder absetzte.

Ich betete, dass sie darin lag. Ich nahm den Deckel, hob ihn hoch und warf ihn weg.

Ja. Bella lag darin. Sie hatte hier wieder all ihre kastanienbraunen Haare, die ihr wunderschönes blasses Gesicht umrahmten. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Hand gefaltet auch ihren Bauch gelegt. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich beugte mich zu ihr herab und gab ihr einen zärtlichen Kuss. Nachdem ich mich etwas zurück wich, schlug sie die Augen auf. Erst volle Freude, dann sah ich Angst in ihren Augen. Ich sah sie voller Glückseligkeit an. Ihr Blick war nicht mehr leer und ausdruckslos. Innerlich zuckte ich bei ihrer Reaktion zusammen. Äußerlich versuchte ich dieses Gefühl zu verbergen.

„Ist das ein Traum?“, fragte sie mich.

Ich konnte die Gefühle alle gar nicht beschreiben, die auf mich einströmten. Es war herrlich, den Klang ihrer Stimme hören zu dürfen. Ich lächelte.

„Nein.“

Sie runzelte verwirrt die Stirn. Ihr Blick wirkte erleichtert und unglücklich zugleich.

„Warum bist du zurückgekehrt? Du liebst mich nicht!“, sagte sie traurig und voller Überzeugung.

Ich fühlte mich wieder an die erste Nacht in Bellas Zimmer nach meiner Rückkehr erinnert.

„Wenn dem so wäre, warum bin ich dann zurückgekommen, um dich von deinen Qualen zu erlösen, Dornröschen?"

Wieder runzelte meine Bella die Stirn und zog ihre Augenbrauen zusammen, sodass diese kleine Falte erschien. Ich musste mich zusammen reißen, um nicht meine Hand auszustrecken und diese Falte zu glätten.

„Ich weiß nicht.“, sagte sie ratlos dann nach einer Weile.

Ich hob Bella aus ihrem Sarg, hielt sie in meinen Armen und drückte sie fest an mich.

„Bella, erinnere dich. Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich ohne dich nicht leben kann. Ich liebe dich. Für immer.“, sagte ich beschwörend.

Bevor Bella auch nur irgendetwas erwidern konnte, presste ich gierig meine Lippen auf ihre und küsste sie mit voller Leidenschaft. Mir entrang ein Stöhnen, als ich ihre Lippen schmeckte. Sie fühlten sich richtig an. Warm und weich waren sie auf meinen.

Im ersten Moment erstarrte Bella, schlang aber dann ihre Arme um meinen Nacken und erwiderte meinen Kuss mit der gleichen Sehnsucht und Leidenschaft. Mein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Ich merkte, dass sie Luft brauchte und löste mein Gesicht widerstrebend von ihrem. In ihren Augen sah ich Liebe und Verbunden. Der Glanz und das Leuchten waren in ihren Augen wieder zurückgekehrt. Liebevoll sah sie mich an und berührte mein Gesicht.

„Tja, ein Kuss löst jeden Zauber.“, sagte sie.

Ich war mehr als glückselig. Meine Bella war wieder da. Ich hatte sie gerettet und unsere Liebe war wieder vorhanden und stärker denn je. Sie wollte mich. Köstliche Gefühle durchströmten meinen Körper. Wärmten ihn, verbannten jegliche Qualen und das Licht war wieder da.

Ich war so überwältigt, dass ich ohne nachzudenken sie etwas fragte: „Willst du meine Frau werden?“

Nachdem diese Worte meinen Mund verlassen hatten, bereute ich sie. Naja, eigentlich tat ich das nicht. Aber die Situation für einen Heiratsantrag war alles andere als angemessen. Wir waren nicht einmal in einer realen Situation! Bella schaute verdattert.

„Was?“


Dann riss ich die Augen auf. Ich war wieder im Haus auf dem Sofa. Laurent lächelte und nahm seine beiden Zeigefinger von meiner und Bellas Stirn. Er sah sehr zufrieden aus.

°Na, so wie es aussieht, hat ja alles hervorragend funktioniert.°, hörte ich.

Er erhob sich, damit nun nichts und niemand mehr zwischen mir und meiner Bella war. Ich schaute sie erwartungsvoll an. Hatte ich das wirklich gerade gesagt? Sie war wieder da. Abgesehen von ihren Haaren, war sie wieder die Bella, die ich liebte. Kein leerer, ausdrucksloser Blick mehr. Sie strahlte mich und warf sich in meine Arme. Dann sagte sie die Worte, die mich zum glücklichsten Mann der Welt machten.

„Ja, ich will.“, sagte sie und schluchzte vor Erleichterung und wahrer Freude.

Dankbar drückte ich sie fester an mich, bevor unsere Lippen zueinander fanden. Nebenbei konnte ich die Gedanken der anderen hören.

Alle, wirklich alle, standen nun im Wohnzimmer und waren um uns zwei versammelt. Sie fragten sich, was nur passiert war und auf welche Frage sich Bellas Antwort bezog. Aber eigentlich konnte man das sich doch denken, oder?

Doch was kümmerten mich jetzt die anderen.

Es zählte nur noch eins: Unsere Liebe.

Neue und interessante Gedanken





Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Ich küsste meine Bella mit all der Leidenschaft, die ich ihrem menschlichen Körper zumuten konnte. Wäre sie nicht so zerbrechlich und wären wir jetzt allein, hätte ich mich nur sehr schwer beherrschen können, nicht über sie herzufallen. Manchmal - eigentlich immer öfter - wegaß ich, dass sie so zerbrechlich war, wenn meine Gefühle übermächtig wurden. Es war ein so unbeschreibliches Gefühl, ihre warmen weichen Lippen beziehungsweise ihre Haut zu spüren. Jedes Mal, wenn ich diese Wärme empfing, schossen unzählige Blitze der Leidenschaft durch meinen gesamten Körper. Wenn ich diesen Gefühlen doch nur nachgeben könnte. Mir entwich ein Stöhnen aus Leidenschaft und Bedauern. Als sie mit ihrer Zunge meine Unterlippe entlang für, raubte mir das fast den Verstand. Ich vernahm ein erneutes leises Stöhnen von mir. Ab und zu, hörte ich auch Bellas leise Laute der Begierde. Ich merkte, dass sie Luft benötigte und wich zurück, hielt sie aber weiterhin fest in meinen Armen.

Kaum hatte sie 2 Sekunden Pause von meinem Verlangen nach ihr, bekam sie die Lippen ihres Bruders kurz aufgedrückt, nachdem er auf sie zugestürmt war und ihr - wenn auch etwas unbeholfen - sehsüchtig die Arme um den Körper schlang. Dann war sein Kopf auf ihrer linken Schulter und er schluchzte ihr sehr laut ins Ohr. Andy war einfach überglücklich - das Wort reichte allerdings nicht im Mindesten aus, um seine Gefühle auszudrücken -, dass er seine Zwillingsschwester wieder hatte. Ich wusste, dass Bella ihren Bruder ebenfalls gerne umarmt hätte, was ihr aber in dieser Situation verwehrt blieb. Meine und Andys Arme machten es ihr nicht möglich. So weinte sie auch. Jedoch konnte ich nicht genau sagen, ob sie Tränen der Freude oder der "Schuld" vergoss. Denn obwohl ich Bella schon recht gut kannte, war sie immer noch ein Rätsel für mich.

Nach langen 7 Minuten und 23 Sekunden hatten sich beide wieder einigermaßen beruhigt und Andy gab seine Schwester frei. Beide sahen sich tränenüberströmt glückselig an. Dann sprach Andy:

"Erstens, mach so etwas nie wieder mit mir! Zweitens, ich bin froh, dass du wieder da bist. Und drittens: Herzlichen Glückwunsch!"

Er wischte sich mit seinem Shirt die Tränen ab und grinste uns breit an.

°WAS?! Soll das etwa heißen...?°, hörte ich von allen.

Ich erhob mich zusammen mit Bella und schaute die anderen bedeutungsvoll an.

"Ja, ihr habt richtig vermutet. Ich habe Bella in ihrem Kopf gefragt, ob sie meine Frau werden will."

Als ich diesen Satz ausgesprochen hatte, durchströmte mich das herrliche Gefühl der Freude und Glückseligkeit. Ich schaute ihr in die schokoladenbraunen Augen und sah meine Gefühle darin widergespiegelt. Wieder neigte ich meinen Kopf zu ihr hinunter und küsste sie, diesmal jedoch zarter. Erneut schlang Bella ihre Arme um meinen Hals, wurde mit ihren Lippen allerdings ebenso wenig drängender. Als ich die Luft zum Atmen fehlte, lies sie von meinen Lippen ab und wich etwas zurück. Ich löste meine Arme von Bellas Taille und ging einen Schritt zurück.

Im ersten Moment schaute Bella verdutzt und ihre Miene verfinsterte sich, wurde trauriger. Ich lächelte amüsiert. Da kam auch schon Alice, unsere Alice, auf Bella gestürmt und drückte sie an ihren Körper.

"Oh, das ist ja wundervoll!" Ihre Stimme schnellte eine oder sogar zwei Oktaven höher vor Freude.

Nachdem Bella ihre Umarmung erwidert hatte, wurde sie frei gegeben, um von allen anderen noch umarmt zu werden. Alle beglückwünschten uns, obwohl Bella noch gar keinen Ring trug. Jasper umarmte Bella nicht, sondern lächelte ihr nur zu. Er hatte Angst, dass er einen Fehler machen könnte. Ich war ihm dafür sehr dankbar. Bella hatte für sein Verhalten Verständnis und lächelte schüchtern zurück.

"Na das wurde aber Zeit, dass du meine Schwägerin beziehungsweise Schwester wird!", lachte unser Emmett ihr ins Ohr, als er sie fast mit seinen breiten Armen erdrückte.

Als Reaktion auf diese Bemerkung, wurden Bellas Wangen glühend rot. Es war so schön, ihre körperlichen Reaktionen wieder sehen zu können. Glücklich seufzte ich. Der andere Emmett schaute etwas bedrückt, setzte aber dann ebenfalls ein breites Grinsen auf, als er an der Reihe war.

"Tja, echt Schade. Ich hätte dich auch gerne als meine Schwester gehabt."

Mein Lächeln schwand bei seinen Worten etwas. Ja, eigentlich gehörte Bella in diese Welt, nicht in meiner. Sie hätte vielleicht mein Ebenbild kennen gelernt, wenn es Jasper hier geben und Alice somit nicht zu ihm gehören würde. Oder vielleicht hätte sie einen normalen Mann kennen gelernt. Wer weiß? Aber wenn dies so wäre, dann wäre ich nie wirklich vollständig geworden. Mein egoistischer Teil in mir grinste.

Die andere Rosalie umarmte Bella sanft. Diese Handlung hatte etwas von Esmes mütterlicher Art. Ja, Bella war für sie eine Schwester.

°Sie ist nicht ich!°, hörte ich die giftigen Gedanken unserer Rosalie.

Ich funkelte sie daraufhin an. Nach 2 Sekunden schaute sie weg.

"Ich bin froh, dass du glücklich bist. Du hast wirklich eine gute Wahl getroffen, auch wenn er ein Vampir ist."

Bei ihren letzten Worten klang sanfter Tadel mit. Auch diese Rosalie war von Bellas Entscheidung nicht begeistert. Dennoch freute sie sich für sie und zeigte keinerlei Abneigung. Die andere Rosalie lächelte Bella unverhohlen an, was sie erwiderte. Als mein Ebenbild Bella umarmte, zögerte sie. Wahrscheinlich dachte sie, sie würde mich mit dieser Aktion eifersüchtig machen und verletzen. Ja, natürlich war ich eifersüchtig. Etwas. Aber verletzt war ich trotz dieser Umarmung nicht.
Schließlich hatte sie "Ja" zu mir gesagt und nicht zu ihm. Außerdem hatte er Alice. Ich brauchte mir also keine Sorgen zu machen, dass er - oder ich? - mir den Sinn meiner Existenz weg nahm. Mein anderes Ich schaute mich finster mit schmalen Augen an, beglückwünschte aber Bella mit guten Worten und seiner Samtstimme. Kein Zorn war in seinen Worten zu hören. Jedenfalls in seinen lauten Worten. In seinem Kopf sah es anders aus.


°Auch wenn du sie gerettet hast, muss ich dich nicht mögen. Sie hat dir zwar verziehen, aber all dies ändert nichts an der Tatsache, dass du sie verletzt hast. Das wirst du nie wieder gut machen können und ein kleiner Zweifel wird bestimmt immer in ihr bleiben. Ich werde dir nie für deine schreckliche Tat verzeihen können, weil immer wenn ich dich sehe, sehe ich mich selbst, und ich könnte in Selbsthass versinken, obwohl ICH dafür gar nichts kann. Wegen DIR musste sie - und ICH - leiden. Und ich leide immer noch, wegen DIR!°


Ich zuckte bei seinen Gedanken zurück. Er grinste, als er dies sah. Bald wurde Bella von jeden umarmt. Von allen, außer von unserer Rosalie. Sie stand etwas abseits und hatte ein bösartiges Funkeln in ihren Augen.

°Wie können sie sich nur darüber freuen? Verstehen sie denn nicht, dass sie letztendlich auch zum Vampir werden und ihr menschliches Leben aufgeben muss? Wie kann sie nur ihr menschliches Leben wegwerfen? Sie ist verrückt, genau wie ihr Bruder. Sie versteht nicht, was sie damit alles aufgibt.°

Rosalie hatte recht mit dem, was sie dachte. Bella würde ihre Sterblichkeit gegen die Unsterblichkeit eintauschen. Ebenso wie ihr Bruder. Sie würde sich nie wieder verändern und konnte dann kein Kind mehr empfangen. Bei diesen Gedanken wurde mir schwer ums Herz. Wie sehr wünschte ich mir, dass sie nicht mit mir leben müsste. Ich wollte mit ihr leben. Ich würde um jeden Preis wieder ein Mensch werden wollen. Für sie. Und für mich. Dann könnte ich ihr alles geben, was ich ihr gerne geben würde, ohne mich ermahnen zu müssen, vorsichtig zu sein: Wärme und nicht nur die geistliche, sondern auch die körperliche Liebe, wenn sie überhaupt darauf Wert legte. Das konnte ich mir aber gut vorstellen, aufgrund ihrer Andeutungen, die sie von Zeit zur Zeit machte.

Vor allem könnte sie aber von mir ein Kind empfangen. Es würde sich in ihrem Körper entwickeln können, ganz wie die Natur es geplant hatte. Bella und ich könnten dann eine richtige Familie gründen. Ein wundervolles Bild schlich sich in meinem Kopf. Ich mit meiner Bella in den Armen. In ihrem Leib wuchs ein Kind heran. MEIN Kind. Ich, mit einem wunderschönen kleinen Baby in den Armen. Ein kleines Wesen mit rosa Wangen und Grübchen, wenn es mir ein Lächeln schenkte. Ein Baby mit den gleichen schokoladenbraunen Augen, die mich liebevoll ansahen. Kein Monster, dass nach Blut durstete und mit blutroten Augen danach forderte. Ich und Vater? Wenn ich in diesem Augenblick zum ersten Mal darüber nachdachte, würde ich gerne Vater eines Kindes werden. Nein, nicht von einem Kind. Nur von Bellas Kind. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus.

Ich hatte mir früher eigentlich gar keine Gedanken über Kinder gemacht. Dafür war ich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. In meiner Zeit war ich bereits ein Mann gewesen, hatte aber nicht nach einer Frau gesucht. Und selbst wenn, wäre meine Suche vergebens gewesen. Nein, damals wollte ich unbedingt Soldat werden und für mein Land in den Krieg ziehen. Als ich ein Vampir wurde, stellte ich mein neues Leben, meine Existenz, infrage. Ich akzeptierte Carlisles Sicht, zweifelte sie jedoch an. Ich musste töten, um überleben zu können, vorzugsweise Leben auslöschen. Tierblut war zwar eine Alternative, allerdings war sie sehr gewöhnungsbedürftig. Nachdem ich eine Zeit lang bei Carlisle und Esme gelebt hatte, ging ich für kurze Zeit meine eigenen Wege. Ich widersetzte mich Carlisles Lebensweise und nahm meine natürlichere Nahrung zu mir. Da ich ja die Gedanken aller Menschen hören konnte, wählte ich nur Schwerstverbrecher und Vergewaltiger aus.

Vergewaltiger.

Bei diesem Gedanken knurrte nicht nur ich, sondern auch ER leise. Ja, ich hatte mir geschworen Bellas Vergewaltiger zu töten. Aber würde ich das letztendlich auch wirklich tun? Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Nun sollte ich nicht an solche Dinge denken. Ja, das Leben als Vampir hatte auch seine Schattenseiten. Das warme Gefühl welches ich vorhin verspürte, war nun gänzlich verschwunden. Nein. Dieser Wunsch, Vater zu werden, dieses Bild, würde niemals wahr werden. Bella und ich konnten keine Familie gründen. Bella konnte nicht von mir schwanger werden. Nicht von einem Wesen, einem Monster, das wider der Natur ist. Ich seufzte sehnsüchtig. Der Wunsch war nun in mir erwacht und brannte allmählich immer stärker. Aber ich würde nie der Vater von Bellas Kind sein können. Dies war einfach nicht möglich. Ich würde nie ihr und mein Kind in meinen Armen halten. Meine Mundwinkel verzogen sich automatisch etwas nach unten.

"Edward, was hast du denn?", hörte ich die besorgte Stimme meiner Liebsten.

Augenblicklich tauchte ich aus meinen Gedanken wieder auf. Ich lächelte und schaute sie mit meiner ganzen Liebe an.

"Nichts, Liebste. Es geht mir gut.", versicherte ich ihr.

Bella schaute mich immer noch besorgt an. Ich hatte sie nicht überzeugt. Die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen erschien. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und glättete mit meinem Daumen lächelnd ihre kleine Falte. Natürlich hätte ich Bella sagen können - sagen müssen - was in mir vorging. Aber was würde das ändern? Ich hatte es ihr schon einmal versucht zu erklären, doch sie wollte es nicht hören. Sie wollte nur mich. Alles andere war ich egal. Sie wollte nur mich und meine Liebe. Wenn ich meine Gedanken aussprechen würde, dann würde sie bestimmt wieder Angst bekommen.

Angst, weil ich dann wieder auf die Idee kommen könnte, dass es besser wäre, wenn ich sie verließe, damit sie ein normales Leben, älter werden und Kinder haben kann. Ja, das wäre ein guter Grund, sie zu verlassen. Doch ich wusste, dass ich das nie wieder über mich bringen konnte, selbst, wenn sie mich nicht mehr wollte und bat, aus ihrem Leben zu verschwinden. Dann würde ich ihr wie ein Schatten folgen, sie beschützen und über sie wachen. Aber es war sehr unwahrscheinlich, dass sie mich in die Hölle schickte. Ich hatte schließlich gesehen, was mit ihr ohne mich werden würde.

Innerlich zuckte ich vor Schmerzen zusammen, als ich die leblose Bella wieder vor meinem inneren Auge sah. Ich zog Bella wieder in meine Arme und drückte meine Lippen sanft auf ihre. Sie erwiderte meinen Kuss und ich musste ein Seufzen unterdrückten, als sie mit ihrer Zunge meine berührte. Schließlich waren wir nicht allein. Dies schien Bella jedoch egal zu sein. Sie seufzte wohlig, nachdem unsere Lippen und Zungen zueinander gefunden hatten. Irgendwann musste unser Spiel jedoch enden, da Bella Sauerstoff dringend benötigte. Sie wich zurück und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Ich hörte amüsiertes kichern.

Plötzlich schaute Bella stirnrunzelnd zu den Denalis, speziell zu Laurent. Auch sie hatten Bella und mir gratuliert. Sie hatte auch nicht einmal zusammen gezuckt und hatte ohne Zögern Laurents Umarmung erwidert. Sie wusste, dass dieser Laurent anders war und er dabei geholfen hatte, sie zu retten.

"Danke, dass du dabei geholfen hast, mich zu retten." Sie lächelte Laurent dankbar an.

„Gern geschehen.“, antwortete Laurent unverhohlen. „Ich bin froh, dass alles gut geklappt hat. Und ich musste nicht einmal lange aushalten.“

Ich zog die Augenbrauen zusammen, dann begriff ich. „Wie viel Zeit ist denn vergangen?“, fragte ich interessiert.

„Nur 43 Minuten und 12 Sekunden.“, sagen beide Alice‘ gemeinsam und lächelten sich kurz darauf gegenseitig an.

Nur 43 Minuten sollen vergangen sein? All das, was ich in Bellas Kopf erleben musste, sollte nicht einmal eine dreiviertel Stunde her sein? Das ewige Umherlaufen in dieser endlosen Schwärze mit menschlicher Geschwindigkeit, das lange Anschauen der vielen, jedoch längst nicht allen Grabsteinen, mein Schmerzensschrei, als ich mich selbst im Sarg erblickt hatte, und vor allem diese Ewigkeit im geschlossenen Sarg, was zu den schlimmsten Ereignissen meiner Existenz nun dazugehörte. Diese ganzen Ereignisse waren nicht einmal eine Stunde her?

Zeit war für mich schon relativ unbedeutend. Jedoch nicht, seitdem ich Bella getroffen hatte. Seit diesem Tag lernte ich die Zeit schätzen. In Bellas Kopf verlief die Zeit anders. Eine Ewigkeit dort, kann nur ein Wimpernschlag hier sein. So verhält es sich ebenso bei mir.

Als ich begriff, dass meine Gier nach ihrem Blut sich zu Liebe umwandelte, wollte ich ihr ganzes Menschenleben mit ihr zusammen sein. Damals – eigentlich auch heute – war und ist ihre Verwandlung in einem Vampir „undenkbar“. Ich wollte mit ihr zusammen ihre 60 bis 80 Jahre verbringen. Mit ihr zusammen alt werden, nur, dass ich nicht altern konnte. Ja, das war für mich eine Option gewesen. Denn wenn sie sterben würde, würde ich ihr folgen. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert. Und wird es auch nie. Für mich sind diese 60 bis 80 Jahre eine sehr kurze Zeitspanne, da Vampire ewig leben.

Ja, Zeit war relativ zu sehen. Zeit war für mich wertvoll, jedoch wird sie an Gewicht verlieren, wenn Bella die Zeit für immer hinter sich lassen wird. Während ich über all dies nachdachte, sah ich, wie sich die Augen meines Ebenbildes kurz weiteten, als er hörte, was ich in Bellas Kopf erlebt hatte. Seine Augen wurden vor Erstaunen groß, dann kniff er sie wieder zusammen.

°Geschieht dir recht, wenn du in ihrem Kopf leiden musstest.°, dachte er verächtlich.

Ich zuckte innerlich zusammen. Diese Feindseligkeit mir gegenüber hatte etwas von unserer Rosalie. Bella schaute auf einmal…schuldbewusst. Etwa weil ich einiges durchmachen musste, um sie zu retten? Sie musste doch wissen, dass ich ALLES für sie tun würde. Ich fragte mich, ob ihr bewusst war, was ich alles für sie ertragen habe. Schließlich war ich ja in ihrer Gedankenwelt. Ich musste sie einfach fragen.

„Was hast du?“, fragte ich besorgt.

Eigentlich hätte ich diese Frage anders formuliert, aber ich wollte sie nicht bedrängen. Bellas Gesichtsausdruck wurde vorsichtig. Ehe sie etwas erwidern konnte meldete sich Eleazar zu Wort. Ein Teil von mir ärgerte sich darüber, dass er Bella daran hinderte, zu sprechen. Doch was er sagte, entfachte meine Neugier. Aber nicht nur meine.

„Edward.“, sprach er mich an.
„Du – oder ihr beide –,…“, er sah zu meinem Ebenbild und dann wieder zu mir, „…könnt‘ ihre Gedanken wirklich nicht hören, oder?“, sagte er nachdenklich.

Ich und ER runzelten die Stirn.

„Und von ihm auch nicht.“, sagte Eleazar erneut bedächtig und deutete auf Andy, der neben Bella stand.

Andy und Bella schauten verwirrt und zogen ihre Augenbrauen zusammen, sodass die kleine Falte erschien.

„Nein.“, antworten wir beide gleichzeitig. ER funkelte mich wütend an.

„Sehr interessant. Ich hätte nie gedacht, dass es zweimal dasselbe gibt. Aber schließlich seid ihr ja Zwillinge. Zwillinge heterogener Art. Ein männlicher und weiblicher. Zwei Gegensätze, zwei Gegenstücke. Ying und Yang. Wenn ein Teil zerstört wird, wird der andere ebenfalls nicht mehr existieren.“

Sein Blick wanderte kurz zu den Haaren der Zwillinge. Beide hatten kastanienbraune/weiße Haare.

„Eure Verbindung ist eine ganz besondere. Sie ist sogar schon jetzt genauso stark, wie die Verbindung zwischen Vampiren. Allein die Tatsache, dass du wusstest, dass Bella in ihrem Geist gefangen war, ist Beweis genug dafür.“

Eleazar runzelte die Stirn und dachte darüber nach. Natürlich waren die beiden interessant. All dies, was er sagte, wusste ich schon. Aber ich merkte, dass mehr hinter seinen Überlegungen steckte.

„Worauf willst du hinaus?“, verlangte ich zu wissen.

Eleazars Ausdruck veränderte sich, dann sah er mich an.

„Du weißt, dass ich in der Lage bin, Fähigkeiten bei Menschen und bei Vampiren zu erspüren, wenn welche vorhanden sind. Aber bei diesen beiden funktioniert meine Gabe nicht. Sie wehren mich ab. Ich glaube, man könnte sagen, dass die beiden ein jeweils ein Schutzschild sind.“

Überrascht weiteten sich meine Augen. Aber das Gesicht von den Zwillingen blieb glatt und interessiert, nicht überrascht. Es schien so, als wüssten sie schon über Eleazars Theorie Bescheid.

„Das war auch schon meine Theorie.“, mischte sich der rothaarige Carlsile ein.
„Dann hatte ich also tatsächlich Recht.“, sagte er selbstzufrieden.

Mein Blick und die Blicke meiner Familie wanderten zu ihm. Nun verstand ich, warum die anderen Cullens und die Zwillinge so unbeeindruckt taten.

„Vor allem sind wir aber nicht geschützt.“, warf Andy ein.
„Alice, egal welche, kann in unsere Zukunft sehen und Jasper und Elizabeth…“, er sah ihr kurz lächelnd in die Augen, „…können unsere Gefühle beeinflussen.“

„Wirklich interessant. Euer Schild scheint sich nur auf euren Geist zu beschränken. Es ist zwar eingeschränkt, aber stark.“

Andy schaute bedauernd. Als Elizabeth diesen Ausdruck auf seinem Gesicht sah, stieß sie ihn leicht in die Rippen, damit er keinen blauen Fleck bekam. Sie lächelte ihn an.

„Komm schon. Ihr habt noch andere Fähigkeiten. Also schau nicht so bedrückt.“

Sie lachte, aber es klang auch sanfter Tadel in ihrer Stimme mit. Die Augen der Denalis wurden groß vor Überraschung, Verwirrung und Erwartung.

„Was meinst du damit?“, fragte Tanya mehr als interessiert.

Bella und Andy seufzten und erzählten ihnen, zu was die beiden noch alles in der Lage sind. Da waren ihre Zwillingsfähigkeiten: Empathie und Telepathie und ihre besonderen Träume beziehungsweise Visionen, egal ob Tag oder Nacht. Hauptsächlich aber nachts. Und natürlich, dass sie tote Menschen sehen und zwischen den Welten hin und her reisen konnten.

„Unglaublich! Ihr seid nicht einmal ‚normale Zwillinge‘! Ihr seid schon jetzt etwas Besonderes und das in so vielerlei Hinsicht.“

Eleazar war wirklich fasziniert von Bella und Andy. Aber wer war das nicht?

°Wer weiß, was aus ihnen wird, wenn sie erst einmal zu Vampiren geworden sind?°, fügte er in Gedanken hinzu.

Eleazar hatte recht mit seiner Theorie. Bella und Andy haben also ein Schutzschild, was die beiden davor bewahrte, dass ich ihre Gedanken lesen konnte. Ungerecht war das. Aber genau das war einer der Gründe, warum ich Bella lieben gelernt hatte.

Plötzlich klingelte ein Handy.

Geheimnisse




Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Das Geräusch kam aus Andys Hosentasche. Er zuckte vor Schreck zusammen. Er griff mit seiner Hand und wollte das Handy schnellstmöglich herausholen. Doch so leicht war es nicht, da sich noch etwas anderes in der Hosentasche befand. Als er das Handy schließlich mit seinen Händen gut greifen konnte, zog er es mit einem Ruck heraus. Dabei fiel etwas anderes auf dem Boden. Andy bekam dies wohl nicht richtig mit, da er zu sehr mit seinem Handy beschäftigt war.

„Hallo?“, fragte er, nachdem er das Gespräch entgegen genommen hatte.

„Andy?“ Das war Charlies Stimme. Die Stimme des anderen Charlie wohlgemerkt.

„Dad?“, rief Andy überrascht und erleichtert zugleich.
"Was ist los?“ Jetzt klang er beunruhigt.

"Ich wollte dir nur sagen, dass ich…“.

Weiter kam Charlie nicht. Denn als Bella ebenfalls wusste, wer am anderen Ende der Leitung war, riss sie Andy das Handy aus der Hand, legte es sich ans Ohr und begrüßte voller Freude ihren Vater.

„Dad?“

Einen kurzen Moment war es still.

„B…Bella? Bella? Oh mein Gott! Du bist es wirklich! Dir geht es wieder besser?!“

Charlie war außer sich vor Erleichterung. Ich konnte nur allzu gut verstehen, wie er sich jetzt fühlte.

„Ja.“ Bellas Gesicht wurde ernst.
„Dad, was ist? Warum hast du angerufen?“

Charlie lachte kurz auf.
„Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich bis morgen unterwegs sein werde. Aber das ist jetzt hinfällig.“, wischte er mit dieser Bemerkung seine Pläne weg.
„Ich will dich sofort sehen! Die Arbeit kann heute auch mal warten!“

„Aber was ist mit der Schule?“, erwiderte Bella daraufhin. „Ich muss dort hin. Schließlich war ich…“.

Bella runzelte die Stirn. Sie versuchte sich wohl daran zu erinnern, wie lange sie in dieser Anstalt war.

„…eine Weile nicht mehr in der Schule.“, schloss sie.

„Auf diesen einen Tag kommt es jetzt auch nicht mehr an.“

Charlie ließ nicht davon ab. Bella ließ ein kleines Lachen ertönen. Was für ein wundervolles Geräusch. Ich seufzte leise.

„Okay. Dann komme ich jetzt nach Hause.“

„Bis gleich. Ich freue mich auf dich.“ Charlies Freude war bald mit den Händen zu greifen.

Als Bella das Gespräch beendet hatte, fiel ihr Blick (wieder) auf die Plastiktüte, die aus Andys Hosentasche gefallen war. Keiner von uns hatte dieser Kleinigkeit weiter Beachtung geschenkt, da wir uns auf Bella und das Telefonat konzentriert hatten.

„Was ist das da eigentlich?“

Bella legte ihre Stirn in Falten und beugte sich hinunter, um die Tüte näher zu betrachten. Stimmt, es war DIE Tüte. Der Schreck durchfuhr mich. In aller Aufregung um Bella hatte ich völlig vergessen, dass Andy das bei sich trug. Die Kette, die Bella an das schlimmste Erlebnis in ihrer Kindheit erinnerte. Eigentlich hätte ich mir die Tüte schnappen und verstecken sollen. Aber jetzt war es zu spät, da Bella die Tüte entdeckt hatte. Bellas Augen wurden groß und sie nahm die Tüte in ihre Hand. Sie schaute auf deren Inhalt und ihr Gesicht erbleichte. Bella fasste sich jedoch erstaunlich schnell wieder und drehte sich zu ihrem Bruder fragend um. Ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe. Als sie zu sprechen begann, konnte man hören, wie aufgewühlt sie war, obwohl sie es versuchte zu verbergen.

„Du hast sie also gefunden?“ Er nickte.

Bella umarmte ihren Bruder und flüsterte ihm „Danke.“ Ins Ohr. Die Denalis und meine Familie runzelten die Stirn. Wir alle verstanden diese Reaktion nicht. Nach 18 Sekunden löste sich Bella von ihrem Bruder. Ich hatte den Eindruck, dass dies nicht nur eine Umarmung war. Bella sah Andy ernst an.

„Dann haben wir ja noch einen Grund, um zu Charlie zu gehen.“

Andys Augen weiteten sich kurz, dann wurde sein Gesicht ebenso ernst. „Natürlich.“, sagte er.

„Kann uns bitte jemand nach Hause fahren?“, fragte Bella höflich.

„Natürlich Liebste.“, hätte ich geantwortet.

Aber ich musste mir wieder bewusst werden, dass dies nicht meine Welt, nicht mein Haus ist. Also antwortete ich nicht.

°Ganz recht°, dachte der andere Edward.

„Ich mache das.“, sagte er laut zu Bella.

Er wollte gerade in Richtung Garage aufbrechen, als er am Arm festgehalten wurde. Doch bevor das geschah, sah ich ein Bild in meinem Kopf. Ich sah, wie Bella mich küsste. Aber etwas war komisch an diesem Kuss. Nein. Etwas war komisch an diesem ganzen Bild. Ich konnte nur nicht sagen, was es war. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ich hatte eine mögliche Zukunftsvision gesehen, begriff ich jetzt. Mein Ebenbild schaute verwirrt zu der Person, die ihn am Gehen hinderte. Alice, seine Alice, lächelte.

„Nein, Schatz. Lass mich das machen. Ich habe außerdem etwas mit Bella zu besprechen. Das ist eine Frauensache.“ Er erwiderte nichts, sondern schaute sie nur misstrauisch an.

Ich verstand genauso wenig wie er ihre Einmischung. Trotzdem gab er ihr, was sie wollte. Er nickte ergeben.

„Kommt, ihr zwei.“

Auch die Zwillinge schauten etwas skeptisch, folgten ihr aber in die Garage. Nach 2 Minuten hörte ich, wie ein Auto rasend davon fuhr. Ich wollte natürlich sofort hinter her, doch ER stellte sich vor mir.

„Wo willst du denn hin?“, fragte er verärgert und verblüfft zugleich.

Ich zog verwundernd die Augenbrauen zusammen. „Das weißt du doch.“, sagte ich forsch zu ihm.

„Hast du nicht gehört, was meine Liebste gerade gesagt hat? Sie wünscht keine weiteren Zuhörer. Es reicht schon, wenn ihr Bruder dabei ist. Aber er hat ja schließlich kein so gutes Gehör, wie ein Vampir.“

„Ja, natürlich habe ich das gehört.“, erwiderte ich fast schon wütend.
Ich musste mich darauf konzentrieren, nicht die Beherrschung zu verlieren.
„Aber ich muss zu Bella. Ich kann nicht ohne sie sein. Außerdem hat sie immer noch die Kette. Sie wird das bestimmt Charlie erzählen. Ich will einfach bei ihr sein, wenn sie ihn damit konfrontiert."

Seine Augen wurden schmal.
Plötzlich sah ich die Antwort in ihren Gedanken, als ich die Kette erwähnt hatte. In ihren Gedanken lauschte ich einem Gespräch, was Bella mit den anderen Cullens einmal geführt hatte. In diesem Gespräch erzählte sie ihnen, dass sie bei den Blacks – den Werwölfen – ihren Vergewaltiger wieder getroffen hatte. Der Hund, der meine Bella angefasst hatte. Dass Charlie ihn daraufhin festnahm, der Hund jedoch zu ihr sagte, sie habe ja gar keine Beweise, sodass er nicht lange weggesperrt sein würde. Leider könnte ich nur Bellas Worten lauschen, nicht sein Gesicht erkennen. Denn wenn ich wusste, wie er aussah, dann…

Mir entfuhr ein fürchterliches Knurren.

„Hey Edward, was hast du?“, fragte unser Emmett verwirrt.

„Bella hat ihren Vergewaltiger wieder getroffen.“, brachte ich zähneknirschend heraus.

Meine Familie reagierte daraufhin geschockt und bestürzt. Auch Elizabeth.

°Meine arme Bella.°, dachte unsere Alice besorgt.

Jasper verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen.
°Elende Hunde.°

Emmett knurrte angriffslustig.
°Toll. Vielleicht gibt’s mit diesem Hund und mit seinem Rudel noch einen Kampf.°
Typisch Emmett. Er war einfach unverbesserlich.

°Wer meiner Schwester Bella weh tut, der tut meinem Liebsten weh. Und wer meinem Andrew weh tut, der hat nicht mehr lange zu leben.°, dachte Elizabeth.

Ihr Gesicht war wutverzerrt. Wieder entfuhr mir ein Knurren, als ich Elizabeths Gedanken hörte. Wäre es anders herum, würde ich genauso denken wie sie. Alle, die diese Geschichte noch nicht kannten, reagierten so, wie ich es erwartet hatte. Nur Rosalies Miene blieb unbeeindruckt. Sie sah gleichgültig aus.

Im nächsten Moment war die andere Rosalie bei ihr und gab ihrem Ebenbild, unserer Rosalie, eine nicht gerade sanfte Ohrfeige. Zuerst rührte sich keiner von uns. Dafür waren wir alle zu perplex. Die andere Rosalie knurrte unsere heftig an. Alle fragten sich, was in ihr gefahren sei. Alle, nur ich nicht. Ich wusste, warum sie es getan hatte. Unser Emmett knurrte warnend, wusste aber nicht, ob er die andere Rosalie wirklich angreifen könnte. Schließlich war sie ja auch Rosalie. Irgendwo.

„Was fällt dir ein?!“, zischte unsere Rosalie ihre Doppelgängerin an.

°Genau!°, stimmte Emmett wütend zu.

„Was das soll? Du fragst mich ernsthaft was das soll?“
Rosalies Augen funkelten vor Zorn.
„Du hast gerade erfahren, dass Bella ihren Vergewaltiger wieder getroffen hat und dir ist das völlig egal?“, fragte sie fassungslos.
„Dir ist völlig egal, wie sie sich dabei fühlt?“

„Ich mag Bella nicht so besonders, wie DU! Warum sollte mir das also was bedeuten?“

Die andere Rosalie knurrte daraufhin noch lauter.
„Auch wenn dir nichts an Bella liegt. In dieser Sache könntest du wirklich etwas mehr Mitgefühl zeigen.“

„Warum sollte ich das tun?“, gab sie giftig zurück.

Die andere Rosalie holte tief Luft.
„Weil sie von diesem Hund vergewaltigt wurde. Erinnerst du dich an Royce King, unseren Ex-Verlobten, der uns vergewaltigt hat?“

Bei diesen Worten, zuckte unsere Rosalie heftig zusammen. Im nächsten Moment stürmten schreckliche Bilder in meinem Kopf ein. Bilder, zu der Zeit, als sie noch ein Mensch war. Als ich das sah, zuckte ich ebenfalls, wie mein Ebenbild zusammen. Die andere Rosalie grinste voller Genugtuung grimmig.

„Ja genau. Du solltest wissen, wie Bella sich fühlt. Und bei Bella war es noch schlimmer. Sie war noch ein unschuldiges Kind.“

Rosalie wurde blass und war sprachlos. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. In ihrem Kopf konnte ich nur Fragmente aus ihrer Vergangenheit als Mensch sehen. Nach 20 Sekunden änderte sich Rosalies Gesichtsausdruck. Unsere Rosalie sah nun so betrübt und beklommen aus, wie ich es noch nie bei ihr gesehen hatte. Ich glaube, dass ich sogar Mitleid mit ihr bekam. Unsere Rosalie sagte nichts mehr. Dazu war sie einfach nicht mehr in der Lage. Sie nickte nur und ihr ganzer Körper schien zu erschlaffen. Die andere Rosalie warf ihr einen finsteren Blick zu und verschwand aus dem Haus.

°Na endlich hat sie es begriffen.°, hörte ich noch.

Im Nu war unser Emmett bei ihr und nahm sie tröstend in die Arme, während sie tränenlos schluchzte. Es war merkwürdig, Rosalie so verletzlich zu sehen. Immer wieder strich Emmett ihr sanft über den Rücken und versuchte sie zu beruhigen. Ich wendete den Blick von ihr ab. Das war jetzt zu viel für mich. Ich wollte jetzt bei Bella sein. Mein Blick fiel auf dem anderen Emmett.

„Warum läufst du ihr nicht hinterher?“

„Sie will jetzt allein sein. Das weiß ich. Mach dir keine Sorgen, ich kenne meine Rose!“
Er grinste mich an. Nur leicht war ihm die Sorge anzumerken.

Ich konnte hier nicht länger bleiben. Ich musste zu meiner Bella. Ein kleiner Teil fragte sich auch, was die andere Alice mit Bella zu besprechen hatte. Ich hörte ein Knurren. Ich schaute zu meinem Ebenbild.

„Du kannst gehen, wenn meine Alice wieder da ist.“.

Es klang wie Versprechen und Drohung zugleich. Oh, wie gern würde ich jetzt…

„Vergiss es. Ich kann alles, was du kannst. Ein Kampf gegen mich – irgendwie gegen dich selbst – wäre also sinnlos.“ Mein Ebenbild grinste selbstgefällig.

Also wartete ich grimmig. Es war furchtbar. Elizabeth nahm meine Hand und drückte sie mitfühlend.

°Tut mir leid. Aber so mein anderer Bruder nun mal. Wenn es um seine Alice geht, kann er richtig ungemütlich werden. Reize ihn lieber nicht. Aber das weißt du ja.°

Ich lächelte sie an. Natürlich wusste ich das. Ich würde mich…ähnlich verhalten, wenn es um Bella ginge.

8 Minuten und 12 Sekunden später könnte ich die Gedanken der anderen Alice hören. Rosalie, die immer noch in Emmetts Armen lag, hatte sich langsam wieder beruhigt. Dennoch war sie sehr bedrückt. Die andere Rosalie hatte mit ihren Worten wieder eine alte Wunde aufgerissen. Emmett verfluchte sie in Gedanken. Ich konnte es ihm nicht verübeln.

„Na los, geh schon!“, sagte ER diesmal etwas freundlicher.

Diese Worte waren die Erlösung für mich. Ich sah, wie er die Augen verdrehte.

°Jetzt tu mal nicht so, als ob sie wieder so gut wie vor dem Sterben steht.°
Seine Stimme klang belustigt und ernst zugleich.

Ich achtete nicht auf ihn. Ich sah kurz noch einmal alle im Raum an. Alle schauten etwas besorgt aus. Naja, Emmett war immer noch mit Rosalie beschäftigt und hatte somit seine eigenen Sorgen.

„Na dann los.“, sagte Elizabeth zu mir und schon rannten wir los.

Kurze Zeit später waren wir am Haus der Swans angelangt. Wir kletterten die Hauswand hoch, ich machte Bellas Fenster auf und wir schlüpften hinein. Es war seltsam. Ich war noch nie hier. Dennoch hatte ich das Gefühl, als kannte ich dieses Zimmer schon eine kleine Ewigkeit. Das Zimmer war dem anderen von Bella drüben sehr ähnlich.

°Erstaunlich nicht wahr?°

„Du warst schon mal hier?“, fragte ich überrascht.

„Klar. Ich muss doch wissen, in was für einer Umgebung mein zukünftiger Ehemann aufwächst.“, sagte sie locker. Ich schmunzelte.

„Deinen zukünftigen Ehemann? Du tust ja schon so, als hätte er dir schon die Frage gestellt.“

Jetzt kicherte Elizabeth leise. „Naja, noch nicht.“, erwiderte sie lachend.

Da hörten wir Stimmen zu uns durchdringen.

„Das ist sie also die Kette. Gut, dann haben wir ja jetzt einen Beweis.“
Charlies Stimme klang wütend und zufrieden.

Ich hörte, dass er etwas in den Händen hielt. Es war bestimmt die Plastiktüte.

„Was ist eigentlich mit…“ – Bella schluckte schwer – „…mit Joshua Uely.“
Bellas Stimme klang angespannt.

Elizabeth und mir entfuhr ein leises Knurren. So hieß dieser Hund also, der das wertvollste meiner Existenz verletzt hatte.

„Naja…“, begann Charlie.
„Es sind seitdem du…krank warst, 12 Tage vergangen. Ich musste ihn wieder laufen lassen. Ich konnte ihn nur sagen, dass er die nähere Umgebung nicht verlassen darf. Ob er sich daran hält, ist eine andere Sache. Ich wette diesem Typen sind Klagen egal. Dieser Kerl schreckt vor nichts zurück. Aber Sam und Jacob waren ja bei mir, als ich ihn freilassen musste. Und ich glaube, dass er, solange die beiden und die anderen aus La Push in seiner Nähe sind, nicht fortgehen wird. Ich werde das gleich mitnehmen und nach La Push fahren, um dieses Schwein erneut festzunehmen.“
Charlies Stimme wurde mit jedem Wort härter.

„Hast du…eigentlich Renee erzählt, dass ich…krank war?“, fragte Bella kleinlaut.

Krank? Das war aber mehr als milde ausgedrückt. Es gab eigentlich kein vernünftiges Wort, was ihren Zustand hätte beschreiben können. Tot wäre ein Wort gewesen. Das war sie aber nicht. Jedenfalls nicht körperlich. Aber lebendig war sie auch nicht, obwohl sie körperlich gesund war.

Nein, „krank“ war wirklich nicht das passende Wort dafür. Aber wahrscheinlich fiel ihnen kein besserer Begriff dazu ein. Mir auch nicht. Ich hörte, wie sich die Luft bewegte. Hatte Charlie gerade seinen Kopf geschüttelt?


„Nein.“, bestätigte er meine Vermutung.
„Ich wollte sie damit nicht unbedingt belasten. Das ist nichts für die Zarten. Ich hatte gehofft, dass dein Zustand nicht allzu lange anhalten würde. Es war sowieso alles ziemlich merkwürdig. Da ruft man mich auf der Wache an und sagt mir, dass du im Krankenhaus bist und in eine Art ‚Wachkoma‘ liegst. Ich habe riesige Angst um dich gehabt. Alle Ärzte waren da, auch Dr. Cullen. Ich hatte ihn gefragt, was passiert war. Schließlich bist du zu ihm gefahren, damit er dir bei deinen Übungen half. Er antwortete mir nur, dass er keine Ahnung habe, was passiert sei. Er habe dich nur in eine Art Hypnose versetzt, um dir besser helfen zu können und plötzlich ist es geschehen. Ich war so oft da, wie ich konnte und habe mit dir gesprochen, aber nie hast du reagiert. Trotzdem habe ich die Hoffnung nie aufgegeben. Auch Sarah und Jacob hatten dich besucht.“
Charlie seufzte.
„Ja, ich hätte vielleicht noch eine oder zwei Wochen gewartet. Wenn dann keine Veränderung bei dir festzustellen gewesen wäre, dann hätte ich Renee angerufen.“
Er seufzte erleichtert.
„Zum Glück ist das aber nicht notwendig. Ich bin so froh, dass du wieder da bist.“


„Ich auch.“ Bellas Stimme klang glücklich, aber auch nachdenklich.

Woran dachte sie nur? An diese Zeit im Saint Marris? Diesem Hund!? Oder diesen Jacob? Sorge und Eifersucht machten sich in mir breit. Elizabeth stieß mir in die Rippen.

„Dafür ist jetzt keine Zeit.“, zischte sie mir zu und warf mir einen warnenden Blick zu.

„Bella?“ Charlies Stimme klang jetzt zittrig und zögernd.
„Was hat Dr. Cullen eigentlich mit dir gemacht?“

Meiner Liebsten stockte der Atem. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Andy antwortete für sie. Was er sagte, ließ mich zusammen zucken, dann leicht wütend werden.

„Dad, du weißt ja, dass Bella…nicht zu erreichen war. Also hat Dr. Cullen sie an einem Gerät angeschlossen, damit wir versuchen konnten anders zu ihr durchzudringen. Ach, wie soll ich das jetzt sagen? Wir haben versucht, Bella in ihrem Geist zu erreichen.“

Als wir alle diese Worte vernahmen, wurde es sehr still. Elizabeth und ich erstarrten und Charlie sah die beiden nur an. Er konnte darauf erst einmal nichts sagen. Charlie hatte dies noch nicht ganz begriffen.

°Was…? Was soll das jetzt bedeuten? Sie haben versucht Bella in ihrem Geist zu erreichen? Wie soll das denn funktionieren? Ist so etwas überhaupt möglich? Muss es wohl, sonst säße meine Bella mir nicht so gegenüber. Aber das ist doch so verrückt, dass man das nicht glauben kann. Das kann doch nicht sein!°

„Willst du…damit andeuten, dass…ihr in…Bellas…Kopf….wart?“, brachte Charlie leise und mühsam heraus.

°So etwas geht doch nicht! Das ist zu verrückt!°

Andy und Bella nickten. „Genau.“, bestätigte Andy trocken.
„Aber es war ja nur einer in Bellas Kopf.“

°Das soll wirklich möglich sein?! Ach, was soll’s? Ich tue einfach so, als würde ich ihnen das glauben.°

„Wer hat denn Bella gerettet?“
Seine Stimme klang äußerst ruhig und gelassen.
Bitte Andy sag jetzt bloß nicht…

„Edward Cullen.“

Die Wut und Angst erfassten mich. Wie konnte er nur so leichtsinnig sein? Warum tat er das? Etwa, weil ihm keine Ausrede einfiel, die Charlie überzeugen würde?

°Keine Sorge. Andrew weiß schon, was er tut. Du kannst ihm ruhig vertrauen.°

Ich warf Elizabeth einen zweifelnden Blick zu. Sie verzog leicht den Mund.

°Immerhin, hat er ja nicht die ganze Wahrheit erzählt.°, erinnerte sie mich.

°Was?! Was hat denn jetzt der Sohn von Dr. Cullen damit zu tun?°, dachte Charlie verwirrt.

Ich spürte, dass Charlie einen Muskel bewegte. Wahrscheinlich hob er eine Augenbraue hoch.

°Und was wenn…?°

„Ist dieser Edward Cullen etwa dein Ex-Freund von dem du dich getrennt hattest?“

Als ich diese Worte hörte stockte mir erneut der Atem. Was hatte Bella diesem Charlie – den ich nicht kannte – alles über mich erzählt? Hasste er mich jetzt auch, wie der andere Charlie? Durchaus denkbar. Ja, er sollte auch wütend auf mich sein. Wieder stieß mir „meine Schwester“ in die Rippen und sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an.

°Mensch, kleiner Bruder! Jetzt hör auf mit deinen Selbstvorwürfen! Das ist ja nicht zum Aushalten.°, tadelte sich mich besorgt.

Bella nickte. „Mmhh.“, machte sie leise.
„Aber jetzt sind wir wieder zusammen und nichts wird uns mehr auseinander bringen. Das habe ich dir aber bereits gesagt.“, sagte Bella lauter und überzeugend.

Diese Worte waren der Himmel für mich. Ja, Bella wusste, wie sehr ich sie liebte und das ich sie NIE wieder allein lassen würde, egal was kommen mag. Ich sah, wie Elizabeths Mundwinkel sich hoben. Ihre Gedanken hatten in diesem Moment glücklicherweise nicht viel mit mir zu tun.

°Mir gefällt das nicht! Er hat meiner Bella weh getan. Was, wenn er sie wieder verlässt?°

Das warme Gefühl in mir verschwand wieder.

„Mir gefällt das nicht!“, sagte Charlie leise und wütend.

Er versuchte nicht die Beherrschung zu verlieren. Charlie holte tief Luft. Er wollte sich weiter dazu äußern, wurde jedoch von Andy unterbrochen.

„Hey Dad, ich weiß, dass du dir um Bella Sorgen machst. Aber das ist unnötig. Ich kenne Edward. Er würde Bella nie wieder verletzen. Er tut Bella gut. Du weißt gar nicht, wie gut.“ Andy grinste und zwinkerte Charlie zu.

°Ach ja, die Sache mit diesen Zwillingsfähigkeiten.°

Charlie seufzte. „Okay.“, gab Charlie nach.
„Aber wenn du ihn mal zu uns bringst, um ihn mir offiziell mal vorzustellen, muss ich mit ihm ein ernstes Gespräch führen.“

Bella und Andy hoben die Augenbrauen. Ich machte die Augen schmal.

°Tja, das hast du dir leider selbst eingebrockt. Er ist zwar ziemlich wütend, aber das wirst du schon heil überstehen.°, dachte Elizabeth und lächelte mich ermutigend an.
Ich erwiderte leicht ihr Lächeln.

„Apropos Freund?“ Charlies Stimme klang jetzt anders.
„Wie ich höre, bist du mit der Schwester von diesem Edward, dieser Elizabeth zusammen.“

°Jetzt wird’s interessant.° Elizabeth strahlte.

Andy warf Bella einen vernichtenden Blick zu. Vielleicht kommunizierten sie auch miteinander? Andys Blick wanderte wieder zu Charlie.

„Also Dad, ich…“ Andy lief rot an und sein Herzschlag beschleunigte sich. Diese Reaktionen kamen mir doch sehr bekannt vor.

°Er wird rot. Wie süß!° Ich grinste.

Bellas Bruder senkte den Kopf. „Ja, das stimmt.“, murmelte er und wurde noch röter.

°Was ist, wenn sie meinen Sohn auch irgendwann verlässt? Vielleicht ist sie genau wie ihr Bruder?°

Ich knurrte leise. Elizabeth sah mich verwirrt an. Aber sie erhielt von mir keine Antwort. Zum Glück sprach er diesen Gedanken nicht aus.

„Wann stellt du sie mir denn mal vor?“

„Wenn auch Edward kommt.“, antwortete Bella prompt.

Charlie sah verwirrt zu Bella und Andy warf ihr einen dankbaren Blick zu.

„Na gut.“ Charlie beließ es dabei und beendete das Thema.

°Wir werden mal sehen…°, dachte er noch.

Charlie sah seine Kinder noch kurz an, dann fiel sein Blick wieder auf die Tüte, die er immer noch in der Hand hielt. Er spannte sich an.

„Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt los fahre? Ich habe wirklich noch viel zu tun und außerdem muss ich nach La Push.“

Ich sah, wie sich Andy und Bella ebenfalls anspannten und nickten. Charlie stand vom Stuhl auf, trat auf Bella und Andy zu und umarmte die beiden liebevoll.

„Ich liebe euch beide. Und passt gut aufeinander auf. Und Bella…“, sagte Charlie und sah ihr tief in die Augen, nachdem er sich von den beiden gelöst hatte, „…dies gilt besonders für dich! Ich will nicht, dass du nochmal ins Koma fällst oder sonst was!“, sagte er streng und besorgt.

„Klar, Dad.“, antwortete Bella. Sie sah traurig und schuldbewusst aus.

Die Swans verabschiedeten sich voneinander und Charlie fuhr mit dem Streifenwagen davon. Die Kette hatte er natürlich mitgenommen.

°Na endlich!°, seufzte Elizabeth.

Sie wollte die Tür aufmachen und gerade runter in die Küche zu Andy stürmen, als ich sie am Arm festhielt. Sie sah mich fragend an.

„Was soll das?“

„Hör doch.“, riet ich ihr.


Bella und Andy kamen die Treppe hoch. Ahnten sie etwa, dass wir in einem ihrer Zimmer warteten? Sicherlich. Das kannte doch Bella von mir. Doch sie gingen weder in sein Zimmer, noch in ihres. Nein. Sie gingen in das Schlafzimmer von Charlie. Wir hörten, wie eine Schublade aufgemacht wurde. Dann strich Andy mit dem Daumen über einen Stoff. Seltsam. Die Schublade wurde wieder zugemacht. Ein Klicken. Als würde etwas auf- oder abgeschlossen. Ein sehr leises „Oh!“ von Bella. Selbst mit unseren Ohren war sie schwer zu verstehen. Bella und Andy kicherten leise. Dann wieder dieses Klicken. Dann hörten wir, wie Andy etwas in seine Hosentasche steckte. Was war das wohl? Es war grausam, dass ich von KEINEM der beiden die Gedanken lesen konnte. Sie verließen Charlies Zimmer, schlossen die Tür und bewegten sich auf Bellas Zimmer zu. Wieder hörten wir ein Kichern. Diese Neugier brachte mich – nein, uns beide – fast um. Sie betraten das Zimmer lächelnd. Was erheiterte sie nur?

Andy umarmte seine Elizabeth und ich nahm meine Bella in die Arme. 2 Pärchen, die sich umarmten und küssten. Naja, Andy war wie immer etwas zögerlich. Als Bella von mir abließ, schaute ich sie besorgt an.

„Bella, Liebste. Geht es dir auch wirklich gut?“

„Bei dir immer.“, antwortete sie und streichelte mein Gesicht.

Ich lächelte über ihre Worte und ihrer Geste der Zuneigung. Dann wurde mein Gesicht wieder ernst.

„Bella, das meine…“

Sie hielt mir mit einer warmen weichen den Mund zu.

„Ich weiß, was du meinst. Mach dir nicht immer solche Sorgen um mich. Jetzt wird hoffentlich bald diese ganze Sache vorbei sein.“

Sie wollte wohl unbeschwert klingen, doch in ihren letzten Worten war etwas Wut rauszuhören. Und Bella sagte mir, ich solle mir um sie keine Sorgen machen. Diesen Wunsch konnte ich ihr leider nicht erfüllen. Sie war das Wertvollste, was ich je besitzen durfte. Ich wollte – konnte sie nicht verlieren. Konnte es nicht ertragen, wenn sie litt. Denn wenn sie litt, litt ich ebenso. Ich drückte sie fester an mich, ließ ihre Bemerkung jedoch unkommentiert.

„Und was jetzt?“, fragte Elizabeth.

„Na was schon. Ab in die Schule.“, sagten Andy und Bella gleichzeitig.

Meine Schwester und ich lachten. Wie sehr hatte ich diese Symphonie vermisst. Gesagt, getan. Elizabeth rannte zum Haus zurück und kam kurze Zeit später mit ihrem silbernen VW zurück. Als sie fort war, fragte ich Bella, was die andere Alice mit ihr zu besprechen hatte. Doch sie schnaubte nur verächtlich und gab mir einen sehr leidenschaftlichen Kuss. Ich würde wohl auf diese Frage keine Antwort erhalten. Vorerst. Dann sah ich Andy an.

„Was hast du da eigentlich vorhin in deine Hosentasche gesteckt?“

Er wurde rot und holte etwas Kleines aus der Tasche seiner Jeans. Es war eine kleine schwarze viereckige Schachtel. Andy reichte sie mir. Sollte das etwa sein, was ich dachte? Ein Ring? Ich öffnete die Schachtel und meine Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. In dem schwarzen Satin steckte ein zierlicher goldener Ring. Ich erblickte kleine feine Diamanten, die zusammen eine kleine Rose bildeten.

„Woher hast du ihn?“, fragte ich erstaunt.

Andy zuckte mit den Schultern. „Das ist der Ring, den Charlie eigentlich Renee schenken wollte. Sie fand ihn aber zu kitschig. Er ist ein Erbstück und sie wollte einen moderneren.“

„Mh.“, machte ich.

„Meinst du, er wird ihr gefallen?“, sagte er mit leiser schwacher Stimme.

Ich schloss die Schachtel und gab sie ihm wieder zurück.

„Sie wird auf jeden Fall ‚Ja‘ sagen.“, erwiderte ich nur.

Verstand er denn wirklich nicht, dass es ihr herzlich egal war, wie der Ring aussah? Er wollte ihr ihn anstecken. Das war es, was für Elizabeth zählte und sonst nichts. Sie wollte ihn und sie war froh, wenn er sie auch wollte. Er steckte die Schachtel wieder in seine Hosentasche. Bella runzelte die Stirn.

„Meinst du nicht, dass das ein bisschen zu schnell geht?“

Er sah seine Schwester verständnisvoll an.
„Ja, ich weiß. Aber ich glaube – nein, ich weiß, dass sie die Eine für mich ist. Das müsstest DU doch eigentlich am besten wissen.“

Sie lächelte und ihr Blick huschte zu mir. Ich lächelte sie an, als unsere Blicke sich begegneten.

„Außerdem…“, sprach Andy weiter, „…werde ich sie ja nicht sofort fragen.“

Bella und ich hoben skeptisch eine Augenbraue hoch. Andy sah uns beide an. Es sah so aus, als fühlte er sich bedrängt.

„Ich…ich will ihn einfach…griffbereit haben!“ Es klang, als müsste er sich verteidigen.

„Aja.“, sagte Bella zweifelnd, jedoch zu leise, dass ihr Bruder es nicht hören konnte. Ich sagte nichts dazu.

„Und keine Sorge.“, sprach ich Andy lächelnd an. „Ich werde nichts verraten.“

Andy und Bella lachten.
„Tja, da bin ich dir wohl einiges voraus.“, sagte er schelmisch.

„Nicht unbedingt.“

Bellas Augen wurden groß. "Moment mal, was?“

Ich legte ihr einen Finger auf die Lippen und schüttelte belustigt den Kopf. Sie sollte jetzt wohl besser nichts mehr sagen, sonst ist die ganze Überraschung dahin. Ich ging mit den beiden hinunter, damit sie sich fertig anziehen konnten.

48 Sekunden später hörten wir ein Auto draußen hupen. Ich lachte.
„Sie wird langsam ungeduldig. Beeilt euch lieber.“

Als wir an der Schule ankamen und aus dem Wagen ausstiegen, wandte sich Bella an Elizabeth.

„Wie soll das heute – oder keine Ahnung wie lange wir hierbleiben – eigentlich ablaufen? Ich meine, die anderen Cullens sind doch auch hier.“

Ja, das war eine wirklich gute Frage. „Meine Schwester“ zuckte die Schultern.

„Sie können sich ja abwechseln. Heute sind eure Alice und meine Cullens hier. Abgesehen von Edward. Schließlich ist ja schon einer hier.“

Bellas Blick wurde seltsam, als Elizabeth Alice Namen erwähnte. Irgendwie besorgt. Was hatte meine Liebste nun wieder? Das hatte bestimmt etwas mit dem Gespräch der anderen Alice zu tun. Elizabeth sah mich lächelnd an.

°Außerdem wäre das bestimmt nicht so gut, wenn ihr beide ständig aufeinander hockt.°

Ich verzog den Mund. Das würde garantiert nicht einfach werden. Ich seufzte.

Meine Schwester sah mich entschuldigend an. Dann nahm sie Andys Hand und ging mit ihm zum Unterricht. Ich nahm die Hand von Bella und ging mit ihr zusammen den anderen beiden hinterher.

Hochzeitsfieber





Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Rosalies M3 stand auf dem Parkplatz. Naja, der M3 von der anderen Rosalie. Sie hatten haargenau den gleichen Geschmack, wenn es um Autos ging. Bella seufzte.

„Was ist?“, fragte ich besorgt.

Sie drückte meine Hand und sah mich mit leuchtenden Augen an.

„Nichts. Nur es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich so etwas wie einen normalen Alltag hatte. Einen normalen Alltag mit DIR.“, betonte sie.

Ich lächelte sie dankbar an. Das war meine Bella. Immer wieder überraschte sie mich. Ich dachte wieder, dass sie etwas bedrückte, das sie an das Gespräch mit der anderen Alice dachte. Sie war einfach nur glücklich, dass ich bei ihr war. Das wir zusammen sind.

„Ich liebe dich.“ flüsterte ich ihr ins Ohr, als wir im Schulgang waren.

Sie erwiderte nichts. Ich wurde etwas besorgt. Empfand sie nicht mehr dasselbe für mich? Nach 5 Sekunden antwortete sie immer noch nichts. Was war nur mit ihr los? Sie lächelte verschmitzt.

„Was ist?“ Ich konnte den Schmerz nicht ganz aus meiner Stimme raushalten.

Sofort änderte sich ihre Miene, als sie meinen Gesichtsausdruck sah, lächelte aber immer noch etwas.

„Ich liebe dich für immer, mein Ehemann.“

Ich war zu perplex. Bella nahm mein Gesicht in ihre Hände, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich erst zart, dann sehr verführerisch.

Mein Ehemann.

Wenn ich diese Worte aus ihrem Mund hörte, dann war es, als würde mein totes Herz vor Liebe und Glückseligkeit zerspringen.

°Kaum ist sie wieder hier und schon hat sie Alice Cullen ihren Freund ausgespannt. Was für ein Luder. Und was ist nur mit Edward los? Warum lässt er sich so leicht von dieser Bella um den Finger wickeln? Vielleicht kommt er an Alice im Moment nicht ran und jetzt versucht er es gleich bei der nächsten. Die Typen sind doch alle gleich!°, hörte ich von Lauren.

Ich ließ von Bella an und knurrte leise, sodass es nur Bella hören konnte. Sie schaute mich verwirrt an.

„Was ist denn?“

Ich hob meine Hand und hob einen ihrer Mundwinkel an.

„Sie halten mich für ihn.“, antwortete ich leise.

Bella runzelte die Stirn, machte dann große Augen. Sie begriff.

„Oh! Dann sollten wir vielleicht nicht…“

Das konnte nicht ihr ernst sein! Wir sollten in der Schule Distanz zwischen uns wahren? Nein, niemals! Diese Vorstellung war einfach unerträglich für mich. Sie bereitete mir körperliche und seelische Schmerzen.

„Sei nicht albern.“, widersprach ich ihr.
Ich musste mich daran erinnern, dass ich leise sprechen musste.
„Was kümmert es mich, was die anderen denken. Ich will alle Zeit der Welt mit meiner Ehefrau verbringen.“

Als ich diese zwei Worte aussprach grinste ich breit, sodass ich meine Zähne zeigte. Bella lächelte zaghaft und ihre Wangen färbten sich rot. Sie sah so wunderschön aus, wenn sie rot wurde. Ich seufzte und berührte ihre Wange.

„Wie sehr ich diese Reaktion an dir liebe.“
Bella sagte nichts. Nur mehr Blut schoss ihr in die Wangen.

„Pfft.“, machte sie nur. Ich lachte.

„Komm, wir gehen in den Unterricht.“, sagte ich.

Der Unterricht war nur sehr schwer zu ertragen. Nicht wegen dem Schulstoff, den ich schon zu gut kannte. Nicht wegen den Lehrern. Nein, es waren die Gedanken der anderen Schüler, die Bella und mich „heimlich“ beobachteten.

°Oh, man. Der geht fremd. Und das vor der ganzen Schule. Und vor Alice! So ein Mistkerl! Naja, vielleicht haben sie sich auch getrennt. Aber das kann doch eigentlich nicht sein. Gestern war er doch noch ziemlich oft mit Alice zusammen und wie die beiden sich immer ansahen. Das hätte ich nie von Edward gedacht!°

Solche und andere Gedanken drangen immer wieder zu mir durch. Ich versuchte sie auszublenden, was nicht ganz so einfach war, da sie auch Bella beleidigten. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte jeden, der was Schlechtes über sie dachte, den Hals umgedreht. Ja, es würde hier in dieser Welt, wenn ich mit Bella zusammen sein wollte, nicht einfach werden. Bellas Blick huschte ab und zu immer besorgt zu ihren Mitschülern. Natürlich hatte sie mitbekommen, wie uns die anderen beäugten. Ich riss von meinem Schreibblock ein Stück Papier ab und schrieb darauf:


Mach dir keine Gedanken.

Wir werden das schon durchstehen.

Und ich will nicht von dir getrennt sein. Auch nicht in der Schule.


Ich schob Bella den Zettel hinüber. Sie nahm ihn und schaute mich an. Sie las ihn, seufzte resignierend und schrieb eine Antwort.


Ich auch nicht.

Vielleicht wäre es besser, wenn der andere Edward auch zur Schule kommt. Dann sagt ihr eben, dass ihr eineiige Zwillinge seid, was ja auch stimmt.

Irgendwo.


Bella brauchte mir den Zettel nicht rüber zu schieben. Ich nickte ihr zu. Das wäre eine Möglichkeit. Mir war dies herzlich egal. Ich wollte nur Zeit mit ihr verbringen. Es würde zwar nicht einfach mit ihm, meinem Ebenbild, in einem Raum zu sein, aber was macht das schon, solange ich in Bellas Nähe sein durfte. Wir hatten keine Zeit mehr miteinander zu schreiben. Der Unterricht schien einfach nicht vorbeizugehen, dennoch ließ ich ihn über mich ergehen.

In der Mittagspause steuerte Bella gleich den Tisch der Vampire an, was mich wunderte. Für sie schien das absolut normal zu sein. Die anderen Cullens, Alice und Andy waren bereits da. Am Tisch angekommen begrüßten wir alle und Bella stellte ihr Essenstablett auf dem Tisch, bevor sie sich neben Andy setzte. Ich nahm neben meiner Liebsten Platz. Die Zwillinge aßen, während wir das Essen zerrupften, was man zerrupften konnte.

„Warum wollte die andere Alice nicht mitkommen.“, fragte Bella im lockeren Ton.
Aber es versteckte sich viel mehr hinter ihrer Bemerkung. Unsere Alice verzog das Gesicht.
„Es ist nicht so, dass ich die andere lieber mag.“, versuchte Bella Alice zu beruhigen.

Meine Bella. Immer machte sie sich so viele Sorgen um andere und bekam schnell ein schlechtes Gewissen. Es funktionierte. Alices Gesicht hellte sich etwas auf, wirkte aber weiterhin nachdenklich.

„Keine Ahnung.“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Sie meinte nur, dass sie dich erst mal sehen möchte. Sie sagte, du wüsstest schon warum.“

Bellas Blick wurde traurig.
„Oh.“, sagte sie resignierend und schuldbewusst.

Es schien, als hätte sie diese Antwort bereits voraus geahnt. Ich schaute Alice prüfend an.

°Nein. Mehr hat sie nicht gesagt. Und nein, ich habe nicht gesehen, um was es da ging. Ich habe nur gesehen, dass sie sich mit Bella unterhalten wollte. Sie hatte wohl sich nie richtig entscheiden, wie sie etwas zu Bella sagte. Du weißt also nicht worum es ging? Bella hat dir nichts gesagt?°

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Diese Ungewissheit frustrierte mich sehr.

„Worum ging es denn?“, fragte der andere Emmett Bella.

Sie machte eine abwertende Geste.
„So wichtig war es nun auch nicht. Frauengespräche. Davon versteht ihr Männer nichts.“
Sie lachte, um ihr Unbehagen zu verbergen. Meine Augen wurden schmal.

°Sehr seltsam.°, dachte Alice.

Emmett wandte sich an Andy. „Du warst doch dabei, oder nicht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Es war ein Frauengespräch. Das bedeutet keine Männer.“

Er verdrehte die Augen, wirkte aber nicht so neugierig wie wir anderen. Er wirkte eher desinteressiert. Warum das? Immerhin ging es hier um seine Schwester? Oder sollte bedeuten, dass er…

„Aber ich denke, dass du Bellas Gedanken lesen kannst. Weißt du dann nicht, worum es in diesem Gespräch ging? Oder vielleicht hast davon geträumt?“, wandte Rosalie, die andere, die Bella mochte, ein.

Stimmt. Das war ja eine Möglichkeit.

„Nein.“, erwiderte Andy sofort.
„Keine übersinnliche Macht und kein Geist hat mir einen Traum geschickt. Nein, ich habe nichts in Bellas Gedanken gesehen, weil sie wahrscheinlich nicht daran gedacht hat.“

Der letzte Teil seiner Antwort klang eher wie eine Ausrede. Ob er es wusste? Vielleicht. Ich schaute Elizabeth an. Jasper war ja nicht da. Schließlich gab es ihn hier in dieser Welt ja nicht. Außerdem wäre diese ganze Sache mit der Schulanmeldung nicht so schnell verlaufen. Vielleicht hätte Jasper auch keine Lust. Es war wirklich nervenaufreibend das ganze Menschentheater.

°Naja, ihm ist das Thema etwas unangenehm. Es wäre gut möglich, dass er was weiß. Aber lassen wir das. Wir werden das schon erfahren. Also mach dich und uns andere nicht verrückt.°

Meine Augen bewegten sich nach oben, was sie als „Ja“ interpretierte. So unterhielt ich mich immer mit Alice. Es war ganz praktisch. Alice kicherte leise.

°Tja, eine Unterhaltung zwischen seiner weiteren und sogar richtigen Schwester.°

Dann änderte sich Alices Gesichtsausdruck. Sie wollte das Thema wechseln.

„Oh, Alice! Bitte!“, mahnte ich sie. Sie steckte mir die Zunge heraus.

°Ich kann nicht mehr warten Außerdem ist diese unangenehme Stimmung dann weg.°

Nein, das Thema würde unangenehm sein. Nicht für mich, sondern für Bella. Ich hob zweifelnd eine Augenbraue hoch.

„Bella?“

Sie schaute meine Liebste mit großen goldenen Augen an und machte einen Schmollmund. Jeder Mensch würde bei diesem Gesichtsausdruck sofort einknicken. Und Bella gab relativ früh nach. Und wenn Alice etwas wollte, war sie nur sehr schwer zu bremsen.

„Ja?“, fragte sie vorsichtig.
Ich glaube, dass sie sich schon dachte, worum es ging.

„Kann ich bitte deine Hochzeit ausrichten?“

Sie sah Bella flehend an, als ging es um das Wichtigste der Welt. Bella und Andy rissen beide die Augen auf.

„WAS? NEIN, TU MIR DAS NICHT AN!“, sagten beide gleichzeitig.

Einerseits war ich wütend, andererseits belustigt. Belustigt, weil Andy dasselbe gesagt hatte wie seine Schwester. Er tat ja schon so, als hätte Alice gefragt, ob sie auch seine Hochzeit ausrichten könnte. Mit Sicherheit würde sie das auch tun. Hatte sie etwa auch schon eine Vision zu Andys und Elizabeths Hochzeit gehabt? Alice kicherte.

°Nein, ich habe nur gesehen, dass er den Ring griffbereit hat, wie er es sagte. Aber ich habe keinen Antrag gesehen.°, beantwortete sie mir meine Frage.

Elizabeth schaute Andy mit großen Augen an. Sie sah mehr als neugierig aus. Andy lief knallrot an, röter ging es überhaupt nicht. Er rutschte in seinem Stuhl immer tiefer und schien sich im wahrsten Sinne des Wortes verkriechen zu wollen. Er funkelte Alice an. Ihm schien das Thema genauso wenig zu gefallen, wie seiner Schwester. Auch, wenn Alice ihn nicht angesprochen hatte.

°So ein intensives Schamgefühl. Aber warum sollte er denn…? Edward!°

Elizabeths Blick huschte zu mir und sah mich prüfend an. Ich seufzte unhörbar. Sie wusste es ja schon. Es hatte wohl nicht viel Sinn es zu leugnen. Ich nickte ergeben. Andy sah meine Bestätigung.

°Oh, mein Gott! Er will mich heiraten!°

Ihre Augen leuchteten heller als jedes Sonnenlicht. Sie konnte sich einfach nicht mehr halten und musste ihre Freude zum Ausdruck bringen. Sie stand vom Stuhl auf, ging – noch in menschlicher Geschwindigkeit – zu Andy und umarmte ihn fest. Davor hatte sie jedoch seine Arme gepackt und ihn hochgezogen, sodass er aufrecht stand. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und ich konnte ihr strahlendes Gesicht sehen, was auf seiner linken Schulter lag. Andy sah ich nur von hinten.

„Ich weiß, eigentlich sollte ich noch damit warten, aber: ‚Ja, ich will!‘ Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin."

Sie lachte und schluchzte ihm voller Freude ins Ohr und ihre Augen glühten. Andys Blut floss wieder in andere Regionen seines Körpers, dennoch war er rot, nur nicht mehr so intensiv. Er freute sich über Elizabeths Reaktion.


*Man, ich hasse dich Alice und dich auch Edward. Geheimhaltung und Privatsphäre sind bei Vampiren wohl ein Fremdwort.*, hörte ich eine Stimme sagen.


Sie klang wie Andys Stimme. Doch sie klang viel zu klar und deutlich. In dieser Situation hätten seine Worte eher keuchend klingen müssen, da Elizabeth ihn bald vor Freude erdrückte. Seltsam. Wirklich seltsam. Elizabeth lockerte ihren Griff und küsste ihn mit aller Leidenschaft, die sie Andy zumuten konnte. Er erwiderte ihren Kuss etwas zögerlich. Immer noch diese „leichte Angst“. Ich schmunzelte. Er rang nach Luft und Elizabeth gab ihn frei. Sie hielt seine Hand.

„Ja, also…danke.“, sagte er nur.

Wieder wurde er röter. Emmett brüllte vor Lachen.

Rosalie grinste.
°Wie süß!°

„Wir müssen jetzt zum Unterricht ihr quasi Verlobten.“, sagte Rosalie lachend.

Andy ließ Elizabeths Hand los und nahm sein Tablett in die Hände. Sie lächelte amüsiert über sein ausweichendes Verhalten. Andy war immer noch rot. Er sah seine Schwester hilfesuchend an. Doch Bella verzog nur den Mund und zuckte mit den Schultern. Wir standen nun alle auf, nahmen unsere Tabletts von unserem Tisch und brachten sie weg.

Bevor wir uns alle trennten, um in unsere Klassenräume zu gehen, sagte Alice belustigt und ernst zu Andy: „Ich kann ja auch deine Hochzeit ausrichten.“

Sie grinste Andy breit an. Andys Blut schoss wieder in seine Wangen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck.

„Oh, Alice!“

Er griff nach Bellas Hand, zog sie mit sich und „rannte“ mit ihr förmlich zum Unterricht. Eigentlich wollte ich Bellas Hand weiterhin halten, dennoch ließ ich es zu, dass Andy mir meine Liebste entriss. Naja, ich schmunzelte, als die beiden davon liefen.

„Super Alice. Musstest du schon wieder damit anfangen? Er ist im wahrsten Sinne des Wortes vor diesem Thema geflohen. Und Bella war auch nicht gerade begeistert darüber. Du weißt doch, wie sehr es die beiden hassen, im Mittelpunkt zu stehen. “, sagte Elizabeth verärgert.

„Wieso? Er will dich doch eh heiraten.“, antwortete Alice. Fast lächelte Elizabeth.

„Ja, schon. Aber erstens hast du ihn und Bella in eine unangenehme Situation gebracht, zweitens habe ich davon erfahren, dass er vorhat, mich zu fragen, und drittens hast du seinen und meinen Moment zerstört. Er hat sich garantiert nicht vorgestellt, dass ich so über seine Pläne erfahre. Außerdem wir wissen ja alle, was dabei herauskommt, wenn du dort deine Finger im Spiel hast.“, sagte sie forsch und tadelnd.

Alice verdrehte die Augen.
„Er kann dir doch noch immer einen Antrag machen.“, erwiderte Alice, ohne auf ihre letzte Bemerkung einzugehen.

„Ja, ja.“, sagte sie und wollte das Thema dadurch jetzt endlich beenden.

Rosalie kicherte leise. Dann gingen wir alle zu unseren Räumen. Ich ging zu meinem zukünftigen Schwager/Bruder und meiner zukünftigen Ehefrau. Ich lächelte und fühlte mich leicht und unbeschwert.

Die letzte Stunde ging schnell herum und bald saßen Bella, Andy, Elizabeth und ich wieder in ihrem Auto auf dem Weg zur Charlies Haus. 2 Kilometer vor dem Haus stieg meiner Schwester und mir ein ekelhafter Geruch in die Nase. Wir stöhnten.

„Was habt ihr beide denn?“, fragte Andy.

Elizabeth schaute ihn angewidert mit gerümpfter Nase an.
„Es stinkt nach Hund.“

„Jacob!“, bekamen wir sofort von den Zwillingen als Antwort.

Ich schaute zu Bella hinüber und sah, dass sie leicht lächelte. Das versetzte mir einen Stich. Was bedeutete er ihr? Sie schien ihn vermisst zu haben. Und wie stand dieser Jacob hier zu Bella? War der andere Jacob Black auch in sie verliebt? Ich knurrte leise für die Menschen im Wagen unhörbar. Ich sah im Rückspiegel wie Elizabeth die Augen verdrehte.

°Ja, sie mag ihn. Aber lieben tut sie dich.°

Es ging mir besser. Ein wenig. Aber dass Hunde bei Bella und Andy zu Hause waren, gefiel mir nicht. Sie könnten beide in großer Gefahr sein. Was ist, wenn sie sich nicht in der Gewalt hatten und sich verwandeln würden? Ein eiskalter Schauer fuhr durch meinen Körper, als ich mir das vorstellte. Jetzt waren wir bei Charlies Haus angekommen und ich parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Nun sahen Bella und Andy ein fremdes Auto auf Charlies Auffahrt, der Beweis, dass jemand da war.

Wir vier stiegen aus und überquerten die Straße. Die Besucher waren jedoch schon im Haus, was mich verwirrte. Bella sah meinen Gesichtsausdruck und antwortete mir, als könnte sie meine Gedanken lesen.

„Dieser Charlie ist sozusagen mit Sarah, der Witwe von Billy Black zusammen. Sie hat einen Schlüssel. Deswegen sind sie schon alle drin.“

Ich schaute sie überrascht an, dann lächelte ich ein wenig. Sie kannte mich so gut. Charlie war mit einer der Blacks zusammen? Schwer vorstellbar. Aber dieser Charlie schien ebenfalls anfällig für Gefahren zu sein. Andy holte tief Luft und schaute seine Elli - wie er sie manchmal nannte - und mich ernst an.

„Wollt ihr mit rein kommen oder müssen wir befürchten, dass ihr euch gegenseitig an die Gurgel springt?“

Bella spannte sich an und drückte meine Hand fester. Sie wollte natürlich nicht, dass es so kam.

„Na ja, es wäre wirklich besser, wenn Vampire und Werwölfe nicht zusammen in einem Raum sind.“, antworte Elizabeth nachdem sie einen Moment überlegt hatte.

Andy trat auf sie zu und legte ihr die Arme um die Taille. Er sah sie flehend und mit großen schokoladenbraunen Augen an.

„Und wenn dich dein Andrew ganz lieb bittet mitzukommen? Außerdem brauche ich doch meine persönliche Kälte ganz nah an meiner Seite bei so viel Hitze im Raum.“

Sie war zu perplex, um etwas darauf zu erwidern.

°Das hat er zwar seltsam ausgedrückt, aber schön gesagt. Aber ich frage mich warum?°, dachte Elizabeth.

Andy nahm ihr Gesicht in seine Hände, näherte sich ihr langsam und küsste anfangs wie immer etwas zögerlich.

„Warum findest du mich eigentlich nicht abstoßend, weil ich so eiskalt bin. Müsstest du nicht vor meiner Kälte zurück schrecken? Schließlich wurdest du im Boden verscharrt und hast somit keine gute Erfahrung mit der Kälte gemacht.“, fragte sie nach Ende des Kusses.

Elizabeth biss sich auf die Lippe.
°Mist! Ich bin so dumm. Warum konnte ich nicht meinen Mund halten!°

Er lächelte sie liebevoll an.
„Da magst du Recht haben. Aber du bist eine andere Art Kälte. Ich empfinde das als sehr angenehm. Außerdem bist du nur körperlich kalt, weil du ein Vampir bist. In deinem Inneren hast du so viel Barmherzigkeit und Liebe in dir.“

Auf Elizabeths Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und man konnte ihre strahlend weißen Zähne sehen.

°Oh, das war das Netteste, was je einer zu mir gesagt hat. Ich liebe dich so sehr, dass es fast schmerzt!°

„Na, wenn mich mein zukünftiger Ehemann schon so bittet, wie soll ich da nein sagen.“, antwortete Elizabeth.

Andy wurde natürlich wieder rot. Meine Schwester lachte leise.

°Ich konnte einfach nicht anders. Auch wenn er mich noch nicht gefragt hat, ist es schön, dass Wort jetzt schon zu gebrauchen. Der Gedanke ist einfach…überwältigend. Und ich liebe es, wenn er rot wird. So ein schöner und kräftiger Rotton…°

„Weißt du, wie sehr ich diese Reaktion der dir liebe?“, sagte sie mit ihrer Samtstimme zu ihm.

„Pfft!“, machte Andy.
„Los wir sollten jetzt mal rein gehen.“, sagte er schnell, um vom Thema abzulenken.

„Kommst du auch mit?“, fragte mich Bella, sah aber nicht sehr hoffnungsvoll aus.

Ach, Bella. Ich lächelte sie liebevoll an und streichelte ihr Gesicht. Eigentlich widerstrebte es mir, mit diesen Hunden in einem Raum zu sein, aber ich wollte und würde Bella vor allem beschützen.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nie wieder allein lasse!“, sagte ich und schaute sie mehr als ernst an.

Sie sollte die Wahrheit in meinen Augen sehen. Sollte wissen, wie ernst ich es meine. Sie erwiderte mein Lächeln und drückte meine Hand.

„Dann los.“, sagte sie für meinen Geschmack etwas zu enthusiastisch.

Wir gingen zur Haustür, ließen aber Bella und Andy vorgehen. Es war besser so.

°Oh Gott, ist mir schlecht! Ich glaube, dass ist das erste Mal, dass ich jetzt wieder einem Werwolf gegenüber stehe, seitdem der Vertrag geschlossen wurde.°, dachte sie bedauernd.

Ich schmunzelte und sah sie mitfühlend an.

Das Leben hielt die eine oder andere Überraschung für einen bereit. Und ganz besonders für mich…

Ein ungewöhnliches Abendessen




Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Andy nahm den Ersatzschlüssel unter dem Dachvorsprung und steckte den Schlüssel ins Schloss.

„Und bereit?“, fragte er uns zwei Vampire. Ich versuchte zu lächeln.

„Überhaupt nicht. Also los.“, erwiderte ich im lockeren Tonfall.

Bella sah besorgt zu mir auf, doch ich streichelte mit meinem Daumen ihre Hand, während ich sie ansah, damit sie sich beruhigte. Ihr Bruder drehte den Schlüssel im Schloss.

°Boah! Dieser Geruch! So ekelhaft süß. Wie der in der Nase brennt. Zwei von den Cullens ist hier. Der eine ist dieser mit den bronzefarbenen Haaren. Aber den anderen Geruch kenne ich nicht. Was wollen die denn hier? Und warum kommen die zusammen mit Bella und Andy?°, dachte eine Stimme, die ich in der anderen Welt damals auf dem Abschlussball gehört hatte.

Es war die von Jacob Black. Vom anderen Jacob Black. Diese Stimme klang aber viel aggressiver, nicht so schüchtern. Ja, bei diesem Jacob musste sich das Werwolf-Gen aktiviert haben. Ich dachte an den anderen Jacob, der mir damals auf dem Abschlussball ein paar Minuten mit meiner Bella geraubt hatte. Ich weiß noch, dass ich ihn mit meiner abweisenden Stimmung und Haltung eingeschüchtert hatte. Aber dieser Jacob war anders. Er würde sich nicht mehr so leicht von mir verunsichern lassen. Das konnte ich an seinem Tonfall erkennen. Seine Stimme klang rauer und tiefer. Fast wie die, eines erwachsenen Mannes, aber noch jugendlich. Er klang selbstbewusst und…angriffslustig, aber auch beschützerisch.

Vielleicht dachte er, wir würden über seine Mutter herfallen. Sie roch nicht so ekelhaft, wie die Wölfe, dennoch würde ich Tierblut tausendmal lieber vorziehen. Der Geruch dieser Hunde klebte an ihr. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass sie nichts von den Werwölfen und Vampiren wusste. Ihre Gedanken waren unbeschwert. Sie freute sich nur, Bella und Andy endlich wiederzusehen. Ein kleiner Teil fragte sich, warum er mich schon „kannte“. Ich kannte diesen Jacob Black jedenfalls nicht. Natürlich. Er musste dem anderen Edward begegnet sein. Warum? Und wann?

°So ein Mist! Na, wenn das mal gut geht…°, hörte ich eine weitere Stimme.

Es war ein anderer Hund, der ebenfalls im Haus war. Diese Stimme und dieser Geruch war mir fremd. Elizabeth und ich schauten uns bedeutungsvoll in die Augen und wir atmeten beide noch einmal tief durch.

°Na dann auf in den Kampf!°, hörte ich in meinem Kopf von Elizabeth.

Andy öffnete die Tür, trat ein und wir anderen folgten ihm.

°Widerlich!°, sagte der andere Hund in Gedanken, den ich nicht kannte.

„Charlie?“, fragte eine mütterliche, besorgte Stimme. Andy lächelte.

„Nicht ganz.“, gab er als Antwort.

°Oh mein Gott! Das ist ja Andy.°, dachte Sarah Black voller Überraschung und Freude.

In ihrem Kopf sah ich die zwei Werwölfe, die mit ihr am Küchentisch saßen. Ich runzelte die Stirn. Dieser Jacob hatte sich äußerlich sehr verändert. Das musste wohl mit dem Werwolf-Gen zusammen hängen. Er hatte kurz geschnittenes Haar und eine große breite, sehr muskulöse Statur. Sein Gesicht wirkte viel älter und das Kinn war kantiger geworden. Ich weiß nicht, warum ich dachte, denn schlaksigen Jacob Black anzutreffen. Der andere Hund, der neben Jacob Black saß, ähnelte seiner Gestalt sehr. Ebenfalls sehr muskulös und kurzes schwarzes Haar. Jedoch war er 2, 8 cm kleiner als Jacob Black. Im Gesicht wirkte er jedoch viel älter. Er schien nicht mehr jugendlich zu sein. Ich schätzte ihn Anfang zwanzig.

Ich sah, wie sich die Augen der Hunde vor gespielter Überraschung weiteten, sich aber ungespielt ihre Mundwinkel hoben. Andy und Bella betraten die Küche und schon schlang Sarah Black die Arme um Bella. In ihren Augen glitzerten Freudentränen.

„Bella. Ich kann es gar nicht fassen! Endlich bist du wieder gesund. Ich hatte solche Angst um dich. Jage mir nie wieder so einen Schreck ein!“, mahnte sie und schluchzte leise.

Bella erwiderte ihre Umarmung. „Nie wieder.“, versprach sie, nachdem Sarah sie losließ.

Dann umarmte sie auch Andy. „Schön, dass du auch wieder hier bist. Wir haben dich ganz schön vermisst.“

°Was fällt dir nur ein, in der anderen Welt zu sein, als es deiner Schwester so schlecht ging!°
In ihren unausgesprochenen Worten schwang sanfter Tadel mit.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Sie wusste also, dass es eine Parallelwelt gibt? Wenn sie das wusste, dann wussten es auch diese Hunde.

°Das weiß sie also.°, hörte ich Elizabeths Stimme in meinem Kopf.

„Ich freu mich auch wieder hier zu sein.“, antwortete er lachend.

„Hallo Bella.“, sagte der andere Jacob und legte ganz selbstverständlich die Arme um sie.

Ich sah in seinem Kopf, wie sie leicht lächelte und auch ihre Arme um seinen Körper legte. Ich knurrte leise.

°Oh, ist da jemand eifersüchtig.°, dachte er spöttisch.

Er verstärkte seinen Griff, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich habe dich vermisst.“

So. Das reicht. Mehr konnte ich nicht ertragen. Das war zuviel für mich. Es waren nicht nur seine Worte, die mich gereizt haben, sondern auch der Tonfall. Es klang nicht nur nach Erleichterung und Wiedersehensfreude. Ich war mir sicher, dass da noch viel mehr war. Ich schaute erwartungsvoll zu meiner Schwester. Sie zuckte die Schultern.

°Er mag Bella. Aber da scheint noch mehr zu sein. Er ist sich mit seinen Gefühlen selbst noch nicht ganz sicher. Ein Durcheinander. Es KÖNNTE möglich sein, dass er sich langsam in Bella verliebt.°

Wieder knurrte ich leise. Nein. Bella war mein. Ich habe sie gerade erst wieder bekommen. Ich lass sie mir nicht einfach von einem dahergelaufenen Köter wegnehmen. Und erst recht nicht von einem Hund, da sie von einem derer Art vergewaltigt wurde. Nein, Jacob könnte sie nicht verletzten, jedenfalls nicht absichtlich. Das konnte ich in seinen Gedanken sehen. Aber dennoch wollte ich Bella nicht verlieren. An einem Köter schon gar nicht. Bella in den Armen eines anderen. Bella, deren warmen weichen Lippen einen anderen küssten. Unerträgliche Vorstellung. Bella gehörte mir. Ich habe schon so viel durchmachen müssen. Ich würde sie niemandem kampflos überlassen.

°Edward, jetzt übertreibe nicht so. Ein bisschen Eifersucht ist ja in Ordnung. Aber was ich von dir empfange…°

Ich funkelte sie an. „Könntest du dir denn vorstellen, dass Andy eine andere Frau küsst.“, sagte ich leise, schnell und bissig.

Sofort verfinsterte sich ihre Miene und sie kniff ihre Augen zusammen. Ein ganz leises Knurren war zu hören. Ich nickte nur. Dann trat ich mit ihr weiter vor in die Küche.

Jacob, der immer noch Bella in seinen Armen hielt, schaute zu mir auf und sah mich prüfend an. Ich knurrte leise und bedrohlich.

°Hey, hey! Ganz ruhig du Blutsauger. Reiß dich ja zusammen.°, warnte er mich und ließ Bella endlich los. Augenblicklich änderte sich sein Gesichtsausdruck, als Bella ihn wieder ansah.

„Oh!“, sagte Sarah überrascht, die uns erblickt hatte und Andy losließ.

°Diese zwei sind ja wirklich sehr blass. Das müssen die Kinder von Dr. Cullen sein, von dem Charlie erzählt hat.°, dachte sie.

Sie lächelte uns freundlich an. „Wie ich sehe, habt ihr noch weitere Gäste mitgebracht.“

„Ja, darf ich euch meinen Freund Edward Cullen und Andys Freundin Elizabeth Cullen vorstellen?“, sagte Bella, schaute Sarah, diesen anderen Hund und Jacob an.

Sie wendete ihr Gesicht zu mir und Elizabeth und strahlte uns an. Ihre Augen leuchteten vor Liebe und Stolz. Ich merkte, wie sich automatisch meine Eifersucht auflöste. Wie Bella mich ansah, war einfach das schönste Geschenk, was sie mir machen konnte. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass sie mich, ein Monster, wollte.

°Siehst du.°, teilte mir Elizabeth mit.

Wir setzten beide unser schiefes Lächeln auf und traten an Sarah Black heran. Andy griff sofort nach Elizabeths Hand und sah sie liebevoll an. Sie erwiderte seinen Blick. Ich legte besitzergreifend und beschützend zugleich meinen rechten Arm um Bellas Hüfte. Sie seufzte leise und ich war mehr als froh, dass sie so auf meine Geste reagierte.

„Guten Tag Ms. Black. Es freut uns sehr sie kennen zu lernen.“, sagte ich mit beruhigender Samtstimme und reichte ihr meine Hand. Sie nahm und schüttelte sie.

„Mich freut es ebenso.“ Auch Elizabeth und Sarah reichten sich die Hände.
„Das ist mein Sohn Jacob und sein Freund Sam Uely.“, stellte sie die jungen Hunde vor.

Ihre Augen wurden schmal. Sie trauten uns nicht. Verständlich. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.

„Hallo.“, brachten beide nur mühsam und gezwungen freundlich heraus.

Da dieser Sam Uely Bella und Andy somit auch das erste Mal begrüßte, nickte er den beiden kurz - und freundlicher - zu.

„Wie lange seit ihr denn schon hier“, fragte Andy.

„Noch nicht allzu lange. Vielleicht 20 Minuten. Ich wollte Charlie und euch mit einem Essen überraschen.“
Ihr Gesicht wurde ernster.
„Er hat nämlich gesagt, dass ihr beide hier seid, als er in La Push war und Joshua Uely wieder festgenommen hat. Er sagte, es seien Beweise aufgetaucht. Und da haben wir beschlossen, euch zu besuchen. Sam wollte unbedingt mitkommen.“, antwortete Sarah.

Charlie hatte also erneut diesen Köter festgenommen. Interessant. Aber ich fragte mich, warum er das mit sich hat machen lassen. Vielleicht stand er unter Beobachtung? Vielleicht unter Beobachtung von diesem Sam. Ich konnte mir gut vorstellen, dass dies sein Sohn war. Elizabeth war auch geschockt über diese Worte, zeigte es aber nicht. Nur ihre Augen weiteten sich kurz.

°Gut, dass Andrew den Beweis mitgenommen hat. Ich glaube, dass das alles Schicksal war.
Wie hatte er das heute in der Mittagspause ausgedrückt? Eine übersinnliche Macht.°

Meine Schwester hatte da wirklich einen interessanten Gedanken. Sam, Jacob und Sarah sahen Bella besorgt an.

„Mir geht es gut.“, sagte sie wenn auch nicht ganz überzeugt.

„Wirklich?“, fragte Sam sie.

Bella nickte. „Ja, jetzt wo ich die Kette habe, wird er hoffentlich bald seine rechte Strafe bekommen und dann wird diese Geschichte endlich vorbei sein.“

°Hoffentlich hast du recht.°, dachte Sam und nickte Bella aufmunternd zu.

„So. Aber nun erzählt doch erst einmal, was eigentlich alles passiert ist.“, sagte Sarah um die schlechte Stimmung zu zerstreuen.

Daraufhin setzten wir uns alle an den Küchentisch und Bella und Andy fingen an zu erzählen. Sie erzählten ihnen, dass Bella Hilfe bei dem Übergang brauchte, um die Kette zu holen, es aber leider etwas dabei schief ging. Sie sagte ihnen, dass sie sich nicht daran erinnern könne, was es war. Jacob runzelte nachdenklich die Stirn.

°Bella, ich weiß, dass du etwas auslässt. Du weißt ganz genau was passiert ist. Du willst es nur nicht vor meiner Mutter sagen, weil sie nicht weiß, was du alles kannst.°

Das überraschte mich. Er wusste also wirklich alles. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Jacob sah meine Reaktion.

°Was soll denn das? Er tut ja so, als wüsste er nichts von der Geschichte. Oder als wüsste er, dass sie etwas auslässt und sich darüber wundert.°

Ich grinste in mich hinein. Natürlich wusste er nicht, dass ich Gedanken lesen konnte. Bella erzählte weiter, dass sie so in ihren Zustand schließlich geraten ist und sich an die Tage im Saint Marris bewusst so gut wie nicht erinnern kann. Andy berichtete, dass er dann rüber gekommen war, weil er spürte, dass mit Bella etwas nicht stimmte und gleich die Kette mitbrachte, die er in ihrem Zimmer gefunden hatte. Bella habe ihm gesagt, wo sie sich befand, erklärte er. Er half schließlich dabei Bella zu retten, indem Dr. Cullen sie wieder in eine Art Hypnose versetzt hatte, und er so besser zu ihr durchdringen konnte.
Dass Elizabeth ich und meine Familie mit rüber wechselten, ließ er weg, wofür ich sehr dankbar war. Das wäre für sie alles zu kompliziert gewesen. Auch ließ er die ganze Geschichte mit Laurent und seiner Fähigkeit außer Acht. Ich muss sagen, dass man diese Geschichte sogar fast glauben konnte. Na ja, bei einem Vampir wäre ich mir nicht so sicher.

Auf die Frage, wo wir vier uns denn kennen lernten, antwortete Elizabeth, dass es in der Schule war. Es war ja zumindest die halbe Wahrheit. In Elizabeths Kopf sah ich, wie sie Andy zum ersten Mal begegnete und die Umstände dieses Treffens ließen mich vor Schreck zusammen zucken. Zum Glück war sie damals zur Rettung gekommen. Ich wollte gar nicht daran denken, was passiert wäre wenn…

Bella erkundigte sich bei Sarah wie es denn Charlie in all der Zeit ging, als sie abwesend war. Es ging ihm selbstverständlich sehr schlecht. Er war nicht mehr er selbst und konnte sich auf nichts mehr konzentrieren. Sie erzählten noch über allerlei andere Sachen und während sie alle miteinander redeten, bereitete Sarah das Abendessen vor. Dieses Menschenessen stank bestialisch! Aber wir Vampire ließen es über uns ergehen. Sarah sagte, sie mache Lasagne. Na ja, wem es schmeckt?

Wenn immer es sich ergab, brachten Elizabeth und ich uns ein. Abgesehen davon, dass wir unseren Feinden gegenüber saßen, war es eine sehr nette Zeit. Die Hunde und wir Vampire sprachen uns nie gegenseitig an. Wenn, war es Sarah, die uns in die Unterhaltung integrierte. Wenn vor allem Bella etwas erzählte, hörten die drei aufmerksam zu. Jacob hörte für meinen Geschmack etwas zu aufmerksam zu. Und wie er sie ansah? Gift stieg in meinem Mund vor Ekel und ich musste ihn wieder hinunterschlucken. Auch musste ich mich sehr beherrschen und meine Wut und mein Knurren unterdrücken. Es war anstrengend, seine entspannte Haltung beizubehalten.

13 Minuten und 43 Sekunden nachdem das Essen fertig und der Tisch gedeckt war, hörten wir ein Auto auf die Auffahrt fahren und kurz darauf kam Charlie herein. Er war mehr als verwundert über die Situation, die er sah.

„Ach, hallo.“, begrüßte er uns alle verwirrt und überrascht.
Er musterte Elizabeth und mich prüfend.
°Das sind sie also.°, dachte er.

„Guten Abend Chief Swan.“, erwiderten meine Schwester und ich höflich.

Nachdem Charlie auch von den anderen begrüßt und von Sarah liebevoll umarmt wurde, setzte er sich neben Sarah, während sie von allen die Teller mit diesem grässlichen Essen füllte. Auch meinen und Elizabeths Teller. Als Sarah und Charlie nicht hin sahen, rümpften wir beide angewidert die Nase. Die Zwillinge sahen uns besorgt an.

°Na, was nun, Blutsauger.°, dachte Jacob und grinste süffisant.

°Mal sehen, was sie jetzt machen.°, fragte Sam sich und kicherte leise.

Elizabeth sah Jacobs selbstgefälliges Grinsen. Sie sah mich bedeutungsvoll an.
°Los! Wir essen diese Portion jetzt. Davon sterben wir ja nicht und wir können es ja nachher wieder herauswürgen. Dem wird schon sein Grinsen vergehen!°

Ich nickte. Es wird zwar nicht angenehm werden, aber was macht das schon. Außerdem freute ich mich schon darauf, deren ungläubige Gesichter zu sehen. Dieser Gedanke war mein Ansporn,, dies hier hinter mich zu bringen. Als Sarah fertig mit dem Auffüllen der Teller fertig war, nahm sie neben Charlie Platz.

„Ach ja, Dad?“, begann Andy, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
„Du wolltest doch die beiden offiziell mal kennen lernen.“
Er machte eine Handbewegung in unsere Richtung.

Charlie betrachtete uns skeptisch. „Ja, stimmt.“, erwiderte er vorsichtig.
°Aber so habe ich mir das ja nun nicht vorgestellt.°, dachte er wütend und bedauernd.
„Edward und Elizabeth Cullen.“, sagte er trocken.

„Freut mich, sie endlich kennen zu lernen, Sir.“, sagte Elizabeth freundlich und unverhohlen.
Sie lächelte ihn an.

°Meine Güte! Diese Augen. So…fesselnd.°

Charlie fiel es schwer, jetzt da meine Schwester die Gewalt ihres Blickes entfachte.
„Äh… ja also nennt mich bitte Charlie.“ brachte er schließlich heraus, aber immer noch sehr konfus.

„Danke für die Einladung.“, sagte ich zu Charlie gewandt, obwohl ich eigentlich Sarah hätte darauf ansprechen müssen.

Ihre Mundwinkel hoben sich leicht, als sie meine Worte vernommen hatte.

°Tja, das erste Treffen mit den anderen Eltern ist nie einfach für den jeweiligen Partner.°, dachte sie belustigt.

„Na ja, Sarah hat für euch ja schließlich alle gekocht. Eigentlich müsst ihr beide euch bei ihr bedanken und nicht bei mir.“, wehrte Charlie ab.

°Außerdem kann ich ja nicht einfach die Partner meiner Kinder rausschmeißen. Ich kenne sie ja nicht wirklich. Sie sind nur etwas…eigenartig.°

Wenn Charlie wüsste, wie eigenartig wir sind.

„So nachdem die offizielle Vorstellung jetzt vorüber ist, wollen wir essen, bevor es noch kalt wird.“, wechselte Sarah das Thema und schenkte uns vier ein kleines Lächeln.

Das Essen schmeckte scheußlich. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Einfach nur eklig. Dennoch rissen Elizabeth und ich uns zusammen und aßen doch tatsächlich alles auf, was auf dem Teller war. Die Zwillinge und die Hunde schauten uns ungläubig und erstaunt dabei zu. Über die Gesichter von Jacob Black und Sam Uely konnte man sich einfach nur amüsieren. Ihnen entglitten sämtliche Gesichtszüge und ihre Augen wurden sehr groß. Ihre Münder standen offen und konnten einfach nicht fassen, was sie da sahen. Nun war das selbstgefällige Grinsen von Jacob Black wie weggewischt. Wir zwei mussten uns ein Lachen verkneifen. Ein wahrlich köstlicher Anblick.

°…Die essen das wirklich! Aber das muss doch für sie scheußlich schmecken! Für mich wäre Blut schließlich auch kein Genuss! Unfassbar! Das hätte ich echt nicht gedacht!°, dachte Jacob fast entsetzt.

°Respekt! Das hätte ich wirklich nicht erwartet. Ich dachte, sie würden sich irgendwie rausreden.°, dachte Sam Uely.

Auch tranken wir etwas Wasser, um diese Fassade weiterhin gut zu spielen. Das Wasser ging vom Geschmack her.

„Dad, wie geht es jetzt eigentlich mit der Sache weiter.“, fragte Bella im ernsten Ton, nachdem wir das Abendessen beendet haben.

Er schaute erst zu Elizabeth und mir, dann zu Bella und beantwortete ihre Frage. Er wusste im ersten Augenblick nicht so recht, ob er während unserer Anwesenheit darüber sprechen sollte.

„Da wir ja jetzt einen Beweis haben, werde ich alles Notwendige in die Wege leiten, damit wir einen Gerichtstermin bekommen. Vorher muss allerdings die Kette auf Blut- und DNA-Spuren untersucht werden Joshua Uely ist wieder in Untersuchungshaft.“

Mein Körper spannte sich an, als Charlie das gesagt hatte. Mein Gesicht zeigte nur ernstes Interesse.

°Hoffentlich bekommt er dann endlich das, was er verdient.°, dachte Sam grimmig.

Das überraschte mich. Er schien wirklich seinen Vater zu hassen für das, was er Bella damals angetan hatte. Einen Kinderschänder zum Vater zu haben war sicherlich kein schönes Gefühl. Sam schaute voller Zorn und machte seine Augen schmal.

Charlie lächelte aufmunternd. „Keine Sorge, das wird schon.“

Bella wirkte ganz gelassen, ebenso wie ihr Bruder. Jedenfalls sah es äußerlich so aus. Ich schaute zu Elizabeth.

°Innerlich hat Bella etwas Angst, verspürt aber eine leichte Hoffnung. Und Andy schluckt seinen Ärger hinunter.°

Ich nahm mitfühlend Bellas Hand und drückte sie. Sie erwiderte den Druck.

Nach 2 Stunden weiteren weniger heiklen Themen verabschiedeten Elizabeth und ich uns offiziell, da wir sahen, wie müde „unsere Zwillinge“ waren. Sarah, Jacob und Sam schlossen sich uns an. Charlie, Bella und Andy begleiteten uns alle zur Haustür, wo wir uns alle gegenseitig mit Händeschütteln, Umarmungen und netten Lächeln verabschiedeten. Jacob Black und Sam Uely gegenüber blieben wir eher reserviert. Die Feindschaft zwischen Vampiren und Werwölfen war einfach zu tief verwurzelt. Abschiedsküsse gab es nicht. Wir wollten Charlie nicht gleich zu viel zumuten.

Die Blacks stiegen in ihr Auto und wir Vampire in Elizabeths. Dann gab sie Gas und fuhr davon. Na ja, weit weg fuhr sie eigentlich nicht. Sie bog nur in eine von Charlies Haus entfernte Straße ein, die Jacob Black nicht genommen hatte und parkte das Auto auf der Straßenseite.

Wir beschlossen, noch jagen zu gehen, bevor wir zu unseren liebsten Menschen auf der Welt zurückkehrten.

Schlafenszeit




Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Ich war mir undeutlich bewusst, dass ich mein Versprechen „brach“, aber ab und zu mussten Vampire nun mal auf die Jagd gehen. Wir beschlossen hier in Forks zu bleiben. Wir rannten in den Wald und fingen an, uns unseren Instinkten zu überlassen.
Doch vorher würgten wir erst einmal das grässliche Menschenessen wieder hoch und spuckten es angewidert aus. Unser Körper konnte keine menschliche Nahrung verarbeiten. Würden wir es nicht aus unserem Körper entfernen, dann würde dieser ekelhafte Klumpen für immer drin bleiben. Wir streckten unsere Sinne aus und achteten auf die kleinsten Geräusche. Da hörten wir das Schmatzen und Atmen von einem Rudel Rehe.

°Ich nehme das dritte von links.°, bestimmte Elizabeth, rannte los und ich hinterher.

Wir hatten keine Lust darauf unsere Beute lange zu jagen und sie eine Weile vor uns weglaufen zu lassen. Sie hörten, dass etwas Bedrohliches ankam. Das Rudel riss die Köpfe hoch und wollte gerade davon rennen, aber zwei von ihnen konnten nur ein paar schnelle Schritte tun, bevor wir sie gepackt und unsere Zähne in ihren Hals bohrten. Das Tier zappelte vergeblich und je mehr Blut aus seinem Körper entwich, desto kraftloser wurde es, bis es schließlich seinen letzten gurgelnden leisen Laut von sich gab. Es war ein befreiendes Gefühl, als das Blut des Tieres in meinem Mund und schließlich in meine brennende Kehle gelangte.

Auch wenn ich über die Versuchung von Bellas Blut hinweg war, das Monster in mir verlangte immer nach Blut und Bella roch einfach zu köstlich, dass das Brennen in meiner Kehle immer etwas intensiver wurde. Auch war das Monster in mir nicht abgeneigt, seine Zähne in Andy Kehle zu bohren, da ihre Gerüche sehr identisch waren. Aber das Verlangen nach ihrem und auch seinem Blut war absolut nicht der Rede wert. Ich konnte es fast zu leicht ignorieren. Meine Liebe, die ich für meine zukünftige Ehefrau und meinem zukünftigen Schwager/Bruder empfand, könnte es nicht im Mindesten mit dem Monster in mir aufnehmen.

Ich fragte mich, wie es wohl Elizabeth mit Andys Blut ging. Er roch für sie, wie Bella für mich roch. Süßer als jedes andere Blut. Sie liebte ihn sehr und würde ihn nie verletzen, dass konnte ich nur zu deutlich sehen. Aber sie hat Andy noch nie bluten sehen. Würde sie stark bleiben können? Damals auf dieser unglücklichen Geburtstagsfeier konnte ich mich zwar beherrschen, doch es hatte mich meine ganze Selbstbeherrschung gekostet und noch mehr. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie es schaffen würde, trotzdem hoffte ich inständig, dass diese Situation niemals eintreten möge.

Aber wenn doch, dann würde sie Andy nie verlassen, auch wenn sie es für eine „gute Idee“ halten würde. Sie hatte schließlich gesehen, was das bei Bella – und auch bei ihm angerichtet hat, da Andy Bellas Qualen miterlebt hatte oder es sogar jetzt noch tut. Auch wenn Bella mir eine zweite Chance gab, auch wenn sie meine Frau werden wollte, konnte ich noch einen Abklatsch von der Qual auf ihrem Gesicht sehen. Ich hoffte, dass ihre Zweifel und schwachen Qualen verschwinden, wenn sie offiziell mir und ich ihr für immer gehören würde. Wieder einmal konnte ich es nicht glauben, dass sie mich immer noch wollte, nach all dem, was ich ihr angetan hatte.

Das dachte alles ein kleiner Teil meines Gehirns, während sich der große Teil mit der Jagd beschäftigte. Elizabeth und ich tranken noch zwei weitere Rehe leer – es war mehr als genügend, aber sicher ist sicher – und wir gingen „langsam“ zu Charlies Haus zurück. Es waren erst wenige Minuten nach unserem Abschied vergangen. Charlie saß unten im Wohnzimmer und schaute sich ein Baseballspiel an. Ich konnte einfach nicht begreifen, was er daran so erheiternd fand. Ich fand, dass es ein ziemlich langweiliger Sport war. Andy war im Bad, um sich für die Nacht fertig zu machen, während Bella in ihrem Zimmer darauf wartete, dass sie endlich ins Bad konnte.

Elizabeth und ich kletterten die Hauswand hoch. Ich machte Bellas Fenster auf, huschte schnell hinein und machte es wieder zu. Meine Schwester kletterte diesmal freundlicherweise durch Andys Zimmerfenster, das sich ein paar Meter weiter rechts befand. Fast im selben Moment war sie auch im Haus und machte sein Fenster ebenfalls zu. Bella lag auf ihrem Bett, hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Schlief sie etwa schon? Gut möglich. Sie sah wirklich sehr müde aus. Im nächsten Moment lag ich neben ihr auf dem Bett und berührte mit einem Finger sanft ihre warme weiche Wange. Sie hatte den Luftzug und meine kalte Berührung gespürt und riss sofort die Augen auf. Sie sah mich an und schmiegte sich an meinem kalten Körper, während ich einen Arm um sie legte. Ich konnte ein Seufzen hören. Ich schmunzelte.

„Ich dachte, du schläfst schon.“ Sie schaute verwirrt.

„Nein. Ich habe mich nur kurz ausgeruht. Außerdem wollte ich dich doch nicht verpassen.“

Sie presste sich noch enger an mich. Ich lächelte. Eigentlich war ich zu sehr auf Bella fixiert, um auf etwas anderes zu achten, aber es war durchaus amüsierend meine Schwester im Nebenzimmer zu beobachten.

°Ah, da ist sie ja. Ich bin einfach zu neugierig. Ich schaue ihn mir nur ganz kurz an.°

Ich hörte das Rascheln des Jeansstoffes, dann das Klicken der kleinen Schachtel, indem der Ring steckte. Sie sah ihn für 5 Sekunden stumm an und dachte an gar nichts.

°Oh, ist der schön. Und diese kleine Rose. Einfach traumhaft.°

Sie klappte die Schachtel wieder zu und steckte sie wieder zurück in die Jeanstasche.

°Ich konnte einfach nicht widerstehen. Ich tue dann ganz einfach überrascht, dass er es mir abkauft. Ich bin eine sehr gute Schauspielerin.°

Ich hörte ein leises kichern. Ich grinste.

„Was ist so lustig?“, fragte Bella mich.

„Elizabeth konnte es einfach nicht abwarten und hat sich schon mal den Ring angeschaut.“, sagte ich wahrheitsgemäß.

Sie schaute mich missbilligend an, dann seufzte sie.
„Eigentlich hätte ich mir das ja denken können. Vor euch Vampiren etwas zu verstecken ist so gut wie unmöglich. Ihr habt einfach ein zu gutes Gehör.“

Ich zog sie an mich. „Sie wird ganz überrascht tun. Dein Bruder wird also nichts merken.“

„Wenn du meinst?“, erwiderte sie nicht ganz überzeugt.

Ich hörte, wie Andy aus dem Bad kam und in sein Zimmer schritt. Ich küsste meine Bella und berührte ihr Gesicht. Sie tat es mir nach.

„Das Bad ist jetzt frei, Liebste.“, sagte ich etwas außer Atem, als unser viel zu kurzer Kuss vorbei war.

Sie lächelte mich an, drückte kurz ihre Lippen auf meine, nahm ihren Jogginganzug und ihre kleine Kosmetiktasche und verschwand aus dem Zimmer.

„Na, du hast ja nicht lange auf dich warten lassen.“, sagte Andy zur Begrüßung.

Elizabeth schritt auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. Dann küssten sie sich leidenschaftlich. Doch natürlich beginnt der Kuss wie immer etwas zögerlich, da Andy wie immer leichte Bedenken hatte.

°Oh, diese warmen weichen Lippen. Ich kann es nicht fassen, dass er meine kalten auf seinen Lippen so genießt. Eigentlich müsste es für ihn doch abstoßend sein, etwas Hartes und Kaltes zu begehren. Aber so ist er eben. Zum Glück. Ich habe ihn einfach nicht verdient.°

Ich beschloss den beiden etwas Privatsphäre zu geben und blendete ihre Gedanken vollständig aus. Aber als ich diese Gedanken hörte, fiel mir wieder ein, was Andy vor ein paar Stunden zu Elizabeth gesagt hatte. In mir brannte die Neugier und ich musste Bella einfach diese Frage stellen. Nach wenigen Minuten kam Bella aus dem Bad zurück und legte sich wieder neben mich. Sofort legte ich wieder meinen Arm um sie und seufzte, als sie zu mir näher heranrutschte und mich küsste. Natürlich endete er wie jeder unserer Küsse viel zu früh.

Das Verlangen nach ihr wurde jede Sekunde immer stärker und ich musste mich leider von ihr lösen, da ich sonst über sie hergefallen wäre. Aus Bellas Augen strahlte die Erregung, die ich meinerseits stark unter Kontrolle halten musste. Meine Begierde brachte mich noch um den Verstand. Nachdem wir beide wieder einigermaßen ruhig atmen – obwohl ich eigentlich nicht zu atmen brauchte – zog ich sie fester an mich und sah sie ernst an.

„Bella.“, sagte ich.
„Ich möchte dich bitten, mir eine Frage zu beantworten. Aber natürlich musst du es nicht tun, wenn du es nicht möchtest.“

Sie lächelte. „Dann lass mal hören.“

„Erinnerst du dich, was Elizabeth Andy heute Nachmittag gefragt hat?“, sagte ich vorsichtig.

Ich wollte sie nicht gleich mit meiner Frage überrumpeln. Bella zog ihre Augenbrauen zusammen und die kleine Falte erschein wieder. Dann wurde ihr klar, was ich meinte.

„Ja.“, sagte sie ganz gelassen.

„Weißt du, auf was ich hinaus möchte?“

Ich wollte diese Frage lieber nicht laut aussprechen. Sie nickte, runzelte dann die Stirn. Sie schien zu überlegen, wie sie es am besten ausdrücken sollte, was sie mir zu sagen hatte.

„Edward. Ich bin überrascht, dass du darauf noch nicht selber gekommen bist.“, sagte sie dann unerwartet.
Ich runzelte die Stirn.
„Ich finde deine Kälte nicht abstoßend, da ich mit der Hitze…schlechte Erfahrungen gemacht habe. Das solltest du eigentlich wissen, da du bestimmt an der Kette gerochen hast. Diese Kälte – deine Kälte – beruhigt mich. Sie fühlt sich nicht erdrückend sondern sanft an.“

Sie hob ihren Arm und streichelte mit ihrer Hand mein Gesicht. Sie lächelte und ihre schokoladenbraunen Augen leuchteten vor Liebe und Begierde. Ich erwiderte ihren Blick und lächelte sie an.

„Klingt einleuchtend.“, sagte ich, näherte mich ihrem Gesicht und küsste sie wieder.

Als ich mich wieder von ihr lösen musste, wickelte ich sie gut in ihrer Decke ein, damit sie auch ja nicht fror und drückte sie an meine Brust. Dann fing ich an, unser Schlaflied zu summen, zu dem sie mich einst inspiriert hatte. Ich wollte, dass Bella endlich einschläft, da sie sehr müde war. Allmählich fielen ihr die Augen zu. Bella atmete ruhig und entspannt und war schließlich eingeschlafen. Während sie schlief, strich ich ihr übers Haar.

„Ich liebe dich, Bella. Für immer.“, flüsterte ich ihr inbrünstig ins Ohr.

Sie seufzte. „Ich liebe dich auch Edward.“, murmelte sie.

Diese Worte zu hören, selbst wenn ihr Unterbewusstsein die Kontrolle übernahm, war einfach überwältigend. Mir fielen keine passenden Worte ein, die meine Gefühle hätten beschreiben können. Zu hören, dass sie mich liebte, war einfach das Himmlischste auf Erden. Plötzlich verzog Bella ihre Mundwinkel nach unten und ihre Stimme bekam einen traurigen Klang.

„Verlass mich nicht!“, flehte sie mit leiser Stimme.

Ich zuckte zusammen.

„Sie hat dir zwar verziehen, aber all dies ändert nichts an der Tatsache, dass du sie verletzt hast. Das wirst du nie wieder gut machen können und ein kleiner Zweifel wird bestimmt immer in ihr bleiben.“, kamen mir wieder die unausgesprochenen Wortes meines Ebenbildes in den Sinn.

Nein, das durfte nicht sein! Wieder überkam mich der Selbsthass für meine unermessliche Dummheit. Ich verstärkte meinen Griff um sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich bin bei dir, für alle Zeit.“

Bella seufzte glücklich, nachdem sie diese Worte in sich aufgenommen hatte und ihre Mundwinkel hoben sich leicht. Ich küsste sie auf die Stirn, atmete ihren köstlichen Duft ein, seufzte zufrieden und schloss die Augen.

Das nächste, was ich spürte, war etwas Kaltes auf oder in meinem Gesicht. Merkwürdig. Ich hatte doch nur kurz meine Augen geschlossen. Warum hatte ich das nicht „vorhergesehen“? Was war das überhaupt? Es fühlte sich…wie…Wasser an? Was war mit meiner Bella? Erschrocken über die plötzliche Nässe riss ich meine Augen auf und was ich sah, verschlug mir die Sprache.

Ich lag immer noch in Bellas Bett, ein Arm ausgestreckt. Sie lag nicht mehr neben mir. Mein Gesicht und meine Haare waren nass. Sie tropften. Vor mir standen Elizabeth, Bella und Andy, der einen Eimer in seinen Händen hielt. Die Innenseite in meine Richtung geneigt. Hatte er mir das Wasser über das Gesicht geschüttet? Jetzt erfasste ich das Gesamtbild und wusste, warum ich sprachlos war.

Es war hell in Bellas Zimmer.

Die Sonne stand schon am Himmel und schien durch den Vorhang des Fensters. Wie konnte es von einem Augenblick zum nächsten wieder hell werden? Ich runzelte verwirrt die Stirn.

„Na endlich bist du wach!“, sagte Andy und stellte den Eimer zu Boden.

Trotz der großen Verarbeitungskapazität meines Gehirns brauchte ich ein paar Sekunden, um das zu verarbeiten. Hatte er „wach“ gesagt? Was meinte er mit „wach“?

Doch nicht etwa…?

„Was meinst du damit?“, fragte ich vorsichtig, immer noch nicht imstande die Tatsache zu erkennen.

„Du hast geschlafen.“, antwortete Andy mir.

Geschlafen? Ich zog die Augenbrauen zusammen. Vampire waren nicht in der Lage zu schlafen. Seit ich im Sommer 1918 von Carlsile verwandelt wurde, hatte ich nicht mehr geschlafen. Vampire brauchten keinen Schlaf. Ihre Sinne waren immer geschärft. Ihr Körper brauchte keine Ruhe. Sie wurden nie müde. Das war nicht möglich. Aber dennoch, war es die einzige Erklärung, warum es von einem zum nächsten Moment hell war. Ich soll geschlafen haben? Unvorstellbar! Ich konnte es einfach nicht fassen.

„Ja.“, bestätigte Bella.
„Ich bin aufgewacht und du lagst mit geschlossenen Augen neben mir, einen Arm immer noch um mich geschlungen. Ich rief deinen Namen, doch du reagiertest nicht. Nur dein leises ruhiges Atmen konnte ich hören. Ich rief erneut deinen Namen, aber du hast dich nicht gerührt. Ich war natürlich sehr verwirrt gewesen und dachte erst, dass du dir mit mir einen Scherz erlaubst. Dann rekelte ich mich und wollte deinen Arm wegschieben, damit ich frei kommen und aufstehen konnte. Aber sobald ich versuchte, deinen Arm von meinem Körper zu nehmen, hast du deinen Griff sofort unbewusst verstärkt.
Als ich das sah, schaute ich wieder zu dir. Aber noch immer hattest du deine Augen geschlossen. Dann hast du geseufzt, meinen Namen gemurmelt und gesagt, dass du mich liebst und dass ich bei dir bleiben soll. Da wusste ich, dass du doch tatsächlich schläfst. Aber ich konnte mich ja nun nicht aus deiner Umarmung befreien, also habe ich nach Elizabeth und Andy gerufen. Sie konnte deinen Arm von mir wegziehen, sodass ich aus dem Bett steigen konnte. Wir brüllten dich an, dass du aufwachen sollst, aber du warst völlig…im Tiefschlaf. Also hat Andy schließlich etwas Wasser über dich geschüttet, damit du endlich wach wirst.“

Ich schaute sie alle drei nur ungläubig mit großen Augen an.

°Ja. Du hast wirklich geschlafen.°, dachte Elizabeth bestätigend.

Ich konnte es noch immer nicht glauben. Schon immer – seit meiner Verwandlung – hatte ich mir gewünscht, dass ich wieder schlafen konnte, vor allem, seit ich Bella kannte, brannte diese Sehnsucht in mir. Ich wollte schlafen, um von ihr zu träumen. In meinen Träumen könnte ich mit ihr zusammen sein, so, wie ich es mir wünschte. Ich könnte ihr so nahe sein, ohne sie zu verletzen. Ich könnte mich an ihren Körper pressen, ihn erforschen, ohne mich darauf konzentrieren zu müssen, sie nicht umzubringen.

Ja, aus diesem Grund wollte ich schlafen können. Aber nie in meiner ganzen Existenz hätte ich gedacht, dass dies je wieder möglich sein würde.

„Ich glaube, wir sollten mal zu Carlisle gehen.“, beschloss meine Schwester.

Nebenwirkungen





Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




Ich ging erst einmal ins Bad, um mir das Gesicht trocken zu wischen. Ich stand vor dem Spiegel, drückte mir das Handtuch aufs Gesicht, und rieb solange, bis es nicht mehr nass war. Dann rieb ich mit dem Handtuch meine Haare trocken. Anschließend nahm ich den Föhn, dessen Kabel um einen Haken gewickelt war, um mein Haar trocken zu föhnen und versuchte es mit einem Kamm zu bändigen, was immer etwas schwierig war. Als ich den Föhn nicht mehr brauchte, schaltete ich ihn aus und wickelte ein Teil des Kabels wieder um einen Hacken, sodass der Föhn in der Luft hing. Nun arbeitete ich nur noch mit dem Kamm, um meine Haare in die richtige Lage zu bringen. Plötzlich sah ich etwas, runzelte verwirrt die Stirn und zog meine Augenbrauen etwas zusammen.

„Was zum...?“, murmelte ich leise.

Ich legte den Kamm beiseite und nahm ein Haarbüschel zwischen meine Finger. Ich schaute darauf und sah meinen entsetzten Gesichtsausdruck im Spiegel. Zwischen meinen Fingern befand sich eine weiße Strähne. Seit wann hatte ich diese? Schon immer? Nein, eher nicht. Dann hätte ich sie schon viel früher entdeckt. Ich musste sie erst seit kurzem haben. Es war merkwürdig und erschreckend. Diese Strähne sah genauso weiß aus, wie Bellas und Andys fast gänzliches Haar. Ich zuckte zusammen, fing mich wieder und kämmte mein Haar fertig.

Danach ging ich hinunter in die Küche, wo Elizabeth auf einen Stuhl saß und bereits wartete. Die Zwillinge waren oben in ihren Zimmern um sich anzuziehen und ebenfalls frisch zu machen. Sie erblickte mich und lächelte neckend.

„Na, wie war denn dein erster Schlaf seit fast einem Jahrhundert, Brüderchen?“

Mein Lächeln wurde etwas zynisch. „Es war…eigenartig.“

„Hast du etwas geträumt?“ Ich runzelte die Stirn.

„Nein. Eigentlich nicht. Mir kam es so vor, als wäre nur ein kurzer Augenblick vergangen, nachdem ich meine Augen geschlossen hatte.“

Elizabeth nickte nachdenklich. „Du warst dir wirklich nicht bewusst, dass du schläfst.“, stellte sie fest.

„Mhh.“, machte ich bestätigend.

Dann hellte sich die Miene meiner Schwester auf.
„Es war so süß, wie du im Schlaf Bellas Namen gemurmelt und deinen Griff verstärkst hast, als ich sie von dir befreien wollte. Und du hast gelächelt. Du musst etwas sehr Schönes geträumt haben.“

„Ich hätte sie im…Schlaf erdrücken können!“, sagte ich ernst.

Sofort schüttelte sie den Kopf. „Nein, hättest du nicht. Unbewusst war dir klar, dass du Bella im Arm hälst. Du hättest also nie in der ganzen Zeit deine Kontrolle verloren. Und als sie sich beziehungsweise ich sie befreien wollte, hast du deinen Griff nur verstärkt, weil du sie bei dir haben und beschützen wolltest. Und selbst wenn du sie gequält hättest, hätte ich das schon mit bekommen und sie dann gewaltsam von dir befreit. Also lasse diese Ängste hinter dir.“, mahnte Elizabeth mich.

Ich seufzte. „Du hast Recht. Jetzt müssen wir erst einmal heraus bekommen, warum ich schlafen konnte.“

Nach 20 Minuten kamen unsere Liebsten die Treppe hinunter. Elizabeth „warf“ sich in Andys und Bella in meine Arme. Dann küssten wir uns jeweils sehr leidenschaftlich. Die Herzschläge von den Zwillingen überschlugen sich beinahe bei den kalten Berührungen. Bella vergrub ihre Hände in mein Haar und „krallte“ sich daran fest. Nicht nur ihr, sondern auch mein Mund wurde immer drängender und unsere Zungen spielten wild miteinander. Sie seufzte, als ich mit meiner Zunge über ihre Unterlippe fuhr.

*Bitte hör nicht auf!*, hörte ich Bellas Stimme sagen.

Moment mal? Wie konnte sie etwas sagen, wenn meine Lippen ihre vollkommen beanspruchten? Überrascht über ihre Worte riss ich die Augen auf, beendete widerwillig unseren Kuss und löste ihre Hände von meinem Kopf. Bella schaute verwirrt und erschrocken zu mir auf. Sie holte Luft und wollte etwas sagen, doch ließ ich sie nicht zu Wort kommen. Die Neugier war einfach zu übermächtig.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich schon im drängenden Ton.

Bella runzelte verwirrt die Stirn.

„Edward, was ist los?“, hörte ich die Stimme meiner Schwester.

Elizabeth und Andy, dessen Kuss ebenfalls beendet war, schauten mich fragend an. Langsam wurden die Herzschläge der Zwillinge wieder normal. Mein Blick huschte zu den beiden, dann wieder zu Bella.

„Bella, bitte sage mir, wie du das gemacht hast.“, sagte ich fast mit flehender Stimme.

Immer noch schaute sie mich ratlos an. „Was meinst du?“, erwiderte sie entgeistert.

Ich seufzte voller Ungeduld.
„Du sagtest gerade zu mir: ‚Bitte hör nicht auf!’ und das, obwohl dich meine Lippen daran hinderten klare Worte hervorzubringen.“

Jetzt schaute sie noch verwirrter als vorher. „Ich habe nichts gesagt.“, erwiderte sie nachdenklich nach ein paar Sekunden.

Ich verstand nun überhaupt nichts mehr. Wie war das möglich? Ich hörte, wie Elizabeth in ihrem Kopf ebenfalls darüber grübelte. Nach 7 Sekunden rissen Andy und Bella die Augen vor Schreck auf und sahen sich an.

„Oh, Gott!“, sagten sie beide mit erschreckend lauter Stimme.

„Was? Was?“ Elizabeths Stimme klang etwas panisch.

Andy wandte sich ihr zu. „Verstehst du denn nicht?“ Er schaute sie an, als würde sie etwas sehr Offensichtliches nicht verstehen.

„Du…hast…meine Gedanken gelesen.“, sagte Bella zu mir und wirkte verlegen.

°WAS?° Elizabeth war mehr als erstaunt über das eben Gesagte.

Meine Augen waren vor Überraschung weit geöffnet und ich starrte Bella an. Ich musste diese Worte erst einmal in mir aufnehmen und dafür, dass ich ein Vampir war, geschah das langsam. Ich sollte Bellas Gedanken gehört haben? Das hatte ich mir schon immer gewünscht, seit ich Bella mit meinen schwarzen Augen erblickt hatte. Aber ich konnte es einfach nicht glauben. Ich dachte, durch Bellas und Andys Schutzschild blieben mir ihre Gedanken für immer verborgen. Oder konnte ich jetzt Bellas Gedanken hören, da wir eine tiefe Beziehung zueinander haben?

Vielleicht musste ich sie einfach besser kennen lernen, um ihren Schutz zu durchdringen. So, dass sie mir schließlich Eintritt gewährte, da sie mir vertraute, da ich ihr wichtig war. Vielleicht. Es war aber nur eine Theorie. Dann erinnerte ich mich an den gestrigen Tag, als Elizabeth Andy ihr Ja-Wort gab und ihn heftig in der Cafeteria umarmt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hörte ich ihn etwas sagen. Was, wenn das seine gedachten Worte waren und nicht seine gesprochenen, wie ich annahm. Ich blinzelte, dann schaute ich zu ihrem – und meinem Bruder.

„Andy. Was hast du eigentlich gestern gesagt, als Elizabeth dich umarmt und dir ihr Ja-Wort gegeben hat?“

Er runzelte verwirrt die Stirn. „Ich habe mich nur bedankt. Warum fragst du?“

„Also doch…“, murmelte ich leise.

„Was also doch?“, fragte mich Elizabeth verärgert und neugierig zugleich.

Ich brachte ein kleines verschmitztes Lächeln zustande. Ich habe also auch seine Gedanken gelesen. Interessant. Aber dann zog ich kurz die Augenbrauen zusammen. Hinsichtlich Andy hatte ich keine wirkliche Theorie. Naja, vielleicht eine. Bella und Andy sind Zwillinge. Sie sind miteinander verbunden. Vielleicht, weil ich eine tiefe Verbindung zu Bella habe, habe ich auch eine Verbindung zu ihrem Bruder. Natürlich ist es eine andere Art Verbindung. Man könnte sie als…Bruderliebe bezeichnen. Ja, es wäre gut möglich, dass ich aus diesem Grund auch seine Gedanken hören konnte.

„Ich habe gehört, wie du: ‚Man, ich hasse dich Alice und dich auch Edward. Geheimhaltung und Privatsphäre sind bei Vampiren wohl ein Fremdwort.‘ gesagt…oder eher gedacht hast.“

Aus meiner Stimme war deutlich die Selbstsicherheit herauszuhören. Als mir klar wurde, dass ich in der Lage war, die Gedanken von den einzigen zwei Personen hören zu können, bei denen meine Gabe bis jetzt nicht funktioniert hatte, breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus. Andy Augen wurden groß vor Erstaunen.

„Stimmt. Genau das habe ich gedacht.“
Er klang verlegen und lief leicht rot an. Auch spürte ich, wie Bellas Blut sich in ihren Wangen sammelte. Ich zog erneut die Augenbrauen zusammen, da mir plötzlich etwas bewusst wurde.

„Seltsam ist diese ganze Situation dennoch. Ich konnte noch nie eure Gedanken hören, außer eben gerade und gestern Mittag. Aber es war jeweils nur ein Fetzen gewesen. Danach war eure mentale Stimme wieder stumm für mich. Und auch jetzt in diesem Moment, währen ich euch das sage, kann ich nichts von euch hören.“

Elizabeth dachte einen Augenblick über meine Worte nach.
„Soll das bedeuten, dass du nur ab und zu Fetzen hören kannst?“

Ich nickte. Vielleicht konnte ich ihre beiden Schilde noch nicht völlig durchdringen. Aber er muss „Risse“ bekommen haben. Vielleicht, wenn Bella und Andy Vampire waren, könnte meine Gabe einwandfrei funktionieren. Durchaus denkbar. Ich hörte ein erleichtertes Seufzen von den Zwillingen nachdem ich genickt hatte. Was mir ein Dorn im Auge war, war den beiden nur mehr als Recht. Beiden war es wichtig mit ihren Gedanken allein – beziehungsweise nur zu zweit zu sein.

„Merkwürdig. Ich bin gespannt, was Carlisle dazu meint.“, erklang die versonnene Stimme Elizabeth.

Bella und Andy sagten nichts mehr. Sie waren beide in Gedanken versunken und kauten jeweils auf ihrer Unterlippe herum. Innerlich verfluchte ich die Tatsache, dass ihre Stimmen gerade in diesem Augenblick wieder stumm für mich waren. Wenn sie weiter so auf ihre Unterlippen bissen, dann würden sie noch bluten und wer weiß, was dann mit Elizabeth beziehungsweise ihrem Geliebten passiert… Während der ganzen Fahrt zu den anderen Cullens – ich konnte es eigentlich immer noch nicht glauben, dass es eine zweite Welt gab – gaben Andy und Bella keinen einzigen Ton von sich.

Manchmal schauten die beiden sich bedeutungsvoll in die Augen. Sie kommunizierten nicht mit lauten Worten. Warum schlossen sie mich – uns – aus? Am liebsten hätte ich sie angefleht oder angeschrien, mir zu sagen, worüber sie sich den Kopf zerbrachen. Aber natürlich würde ich das niemals tun. So wurde ich nicht erzogen und außerdem respektierte ich die Privatsphäre anderer ja auch. So gut wie möglich jedenfalls. Dennoch frustrierte mich das alles sehr. Elizabeth, die auf dem Beifahrersitz saß, warf mir missbilligende Blicke zu und tadelte mich in ihren Gedanken. Ich seufzte leise auf.

Ein paar Minuten später standen wir vier im Wohnzimmer vor allen anderen und Elizabeth und ich erzählten, was vorgefallen war. Die Augen jedes Vampirs im Raum wurden groß vor Erstaunen und es fiel ihnen allen nicht leicht, das eben Erzählte zu verarbeiten.

„Das ist wirklich faszinierend.“, durchbrach Carlisle die Stille.

Dann berichtete ich allen von meiner Theorie, die ich hatte. Bella und Andy schauten mich mit einem undefinierbaren Blick an.

„Da wäre noch etwas.“, sagte ich schließlich. Alle schauten mich an.

Ich trat auf Carlisle zu, fuhr mir mit den Fingern einer Hand durch die Haare und hielt schließlich die kleine weiße Strähne zwischen Zeige- und Mittelfinger. Alle Vampire sahen, was ich Carlsile zeigte. Was dachten jetzt Bella und Andy in diesem Moment?

„Wie kann das sein?“, sagte Carlisle entsetzt zu sich selbst.

Nun traten die Zwillinge näher an mich heran und sahen die Strähne. Kurz darauf weiteten sich ihre Augen.

„Edward, hattest du in letzter Zeit ein sehr emotionales oder gar traumatisches Erlebnis gehabt?“, fragte mich der rothaarige Carlisle mit seiner sanften ruhigen Stimme.

Sofort wandte ich meinem Blick wieder ihm zu. Ich überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. Es gibt kaum etwas wovor ein Vampir sich fürchtet. Mir fiel der Moment am Grabstein von Bella auf der anderen Seite ein. Sicher, das war schon ein erschreckendes Erlebnis für mich gewesen. Aber emotional wurde ich dabei nicht. Um mich herum hatte ich nur die Finsternis, also nichts, gefühlt. Das ich davon weiße Haare bekommen hatte, war mehr als unwahrscheinlich. Carlisle runzelte verwirrt die Stirn, sah ratlos und sorgenvoll aus. Endlich durchbrach Andys Stimme die Stille. Innerlich seufzte ich auf. Endlich hörte ich eine der zwei Stimmen von den Menschen, die mir am Wichtigsten waren. Von Elizabeth vernahm ich ein leises Seufzen, welches für Menschen jedoch unhörbar war.

„Und was ist, wenn Edward etwas erlebt hatte, was nicht real war?“

Alle goldenen Augenpaare waren auf ihn gerichtet.

"Kleiner, was meinst du damit?“, fragten beide Emmetts simultan.
Sie warfen sich kurz belustigende Blicke zu, dann warteten sie gespannt auf eine Antwort.

Mein menschlicher „Bruder“ kaute auf seiner Unterlippe herum und die Falte zwischen seinen Augenbrauen erschien. Er wirkte nervös und etwas unsicher. Natürlich. Andy mochte es nicht im Mittelpunkt zu stehen.

„Naja, ich wollte dich fragen, ob du dieses traumatische Ereignis vielleicht in Bellas Kopf erlebt hast.“

Ich dachte an alles, was mir im Kopf meiner Liebsten widerfahren war. Dann fiel mir die Lösung ein. Es gab nur ein sehr emotionales, schreckliches Ereignis für mich.

„Ich glaube, du hast Recht. Dort geschah etwas mit mir, was mir bestimmt die grauen Haare beschert hat.“
Ich machte eine theatralische Pause, holte tief Luft und sprach weiter.
„Auf der Suche nach dir…“, sagte ich und lächelte Bella leicht an, „…musste ich in einen Sarg steigen, dessen Deckel geschlossen wurde. Ich schrie verzweifelt und geriet in Panik, da sich der Deckel einfach nicht mehr öffnen ließ. Für mich schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis ich irgendwann keine Kraft mehr fand, zu kämpfen.“
Ich schaute Andy bedeutungsvoll in die Augen.
„Jetzt weiß ich, wie du dich fühlst.“

Nachdem ich das berichtet hatte, stießen alle Vampire einen fast unhörbaren Schreckenslaut aus. Andys und Bellas Blick wurde bekümmert. Er nickte langsam, während meine Liebste schuldbewusst aussah. Ich schaute Bella durchdringend an und schüttelte leicht den Kopf. Nein. Sie sollte sich nicht für meine Erlebnisse schuldig fühlen, selbst wenn alles in ihrem Kopf passiert war. Bellas Blick veränderte sich nicht. Ich seufzte, trat auf sie zu und zog sie in meine Arme.

„Es ist nicht deine Schuld.“, raunte ich ihr ins Ohr.

Ich löste mich von ihr, hielt aber ihre linke Hand in meiner und drückte sie, als Carlisle wieder das Thema aufnahm.

„Das wäre gut möglich. Aber das erklärt noch immer nicht, warum Edward in der Lage war zu schlafen.“

Die Zwillinge sahen sich bedeutungsvoll in die Augen. „Sollen wir es ihnen sagen?“

Bella nickte ihrem Bruder zu und drückte meine Hand so fest sie konnte.

„Was sagen?“, fragte Elizabeth im dringenden Tonfall.

Sie trat zu Andy heran und nahm seine rechte Hand in ihre, durchbohrte ihn mit ihrem Blick. Pure Neugier lag darin. Neugier, aber auch Sorge.

„Wir haben unsere eigene Theorie entwickelt. Wir denken, Edwards ist falsch.“

Dann sagte Andy nichts mehr. Alle waren gespannt, was jetzt kommen würde, sogar mein Ebenbild, doch Andy blieb stumm. Darum waren die beiden die ganze Zeit so still gewesen. Ich versuchte verzweifelt, mich auf ihre mentalen Stimmen zu konzentrieren. Aber nichts. Kein einziger Gedanke, ja nicht einmal ein Fetzen, drang zu mir – oder meinem anderen Ich – durch. Gerade wollte Carlisle Andy bitten, seine Theorie uns anderen mitzuteilen, als er seiner Schwester zunickt, sie Luft holt und schließlich das Gespräch fortführte. Noch immer war in ihrem Blick die Schuld zu erkennen.

„Wir glauben, dass Edwards Reise in meinem Kopf nicht nur für seine grauen Haare, sondern auch für seinen Schlaf verantwortlich ist. Wann könnte diese ‚Zeichen‘ als Nebenwirkungen bezeichnen.“

Meine Augen wurden groß, dann kniff ich sie zusammen.
„Was meinst du – ihr – mit ‚Nebenwirkungen‘?“

Auch alle anderen waren gespannt auf die Antwort. Ich konnte mich jetzt auf keinen anderen konzentrieren. Meine ganze Aufmerksamkeit galt den Zwillingen. Bella atmete ein paar Mal tief ein und aus, bevor sie wieder etwas sagte.

„Andy und ich sind uns fast sicher, dass du nicht ohne Grund schlafen kannst.“

Nicht ohne Grund schlafen? Ich verstand das alles nicht. Verwirrt schaute ich sie an und wartete auf mehr.

„Als du in meinem Kopf warst, hast du wahrscheinlich meine Fähigkeiten als…“
Bella stockte und verzog das Gesicht.
„…Medium bekommen. Vielleicht nur vorüber gehend. Verstehst du, was ich damit sagen will?“

Ich dachte für meine Verhältnisse sehr lange über ihre Worte nach. Bella und Andy hatten gesagt, dass sie ebenso wie Alice Dinge sehen würden, jedoch aus allen Zeiten. Sie hatten gesagt, dass sie hauptsächlich in ihren Träumen etwas sehen. Nachts, wenn sie schlafen. Sollte das etwa wirklich heißen, dass ich schlafen kann, weil ich nun in der Lage war, Dinge zu sehen? Vielleicht. Das meinte sie mit: „Nicht ohne Grund schlafen“. Etwas übersinnliches, vielleicht Gott, wenn es ihn denn gab, wollte, dass ich das kann, was die Zwillinge ebenfalls können. Aber wozu? Oder wollte er mir nur das Geschenk des Schlafes für eine Zeit geben? Nein. Bella hatte Recht. Ich sollte bestimmt nicht aufgrund persönlichen Vergnügens schlafen. Aber wenn das wirklich stimmt...

„Aber warum kann ich mich nicht daran erinnern, etwas geträumt zu haben?“, hielt ich dagegen.

Andy zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht kommt das diese Nacht. Wir haben ja auch nicht jede Nacht diese speziellen Träume. Sonst würden wir ja noch den Verstand verlieren.“
Er lächelte leicht und wirkte dabei arrogant.
„Aber pass‘ auf. Denn wenn du wirklich diese Fähigkeit jetzt haben solltest, lass dir sagen, dass sie nicht immer einfach sein wird.“, sagte er jetzt im ernsten Tonfall.

Ich hob eine Augenbraue, nickte dann aber.

„Mh. Sehr interessant.“, murmelte Carlisle.
°Mal sehen, ob die beiden Recht haben.°

°Mh, ich weiß nicht, was ich davon halten soll?°, dachte mein Ebenbild.

Die beiden Alice‘ sahen mich mit einem neidischen Blick an. Darüber konnte ich nur schmunzeln. Dann fuhren Elizabeth, die Zwillinge und ich zurück zu den Swans. Es war Samstag und Bella brauchte Hilfe bei den Schulaufgaben. Es standen ein paar Arbeiten an, die sie nachholen musste. Das sah ich in Alices Gedanken. Wir saßen zu viert in der Küche am Tisch mit aufgeschlagenen Büchern und Heftern.

Natürlich brauchte auch Andy Hilfe, auch wenn er es nicht gerne zugab. Elizabeth bereitete es große Freude, ihrem Liebsten zu helfen, wo sie konnte. Genauso ging es mir mit Bella. Geschichte stand auf dem Plan und den Zwillingen entfuhr ein genervtes Stöhnen. Wir mussten uns ein Grinsen verkneifen. Der erste Weltkrieg, deren Auslöser, Folgen und Situation waren Thema der Arbeit. Andy hatte diese Arbeit zwar bereits auf der anderen Seite geschrieben, aber hier musste er sie ebenso nachholen.

„Nicht schon wieder.“, stöhnte er und presste seine Hände an die Schläfen und runzelte die Stirn.

Er sah wirklich sehr verzweifelt aus. Elizabeth nahm seine rechte Hand von seiner Schläfe, hielt sie in ihrer und küsste sie. Ein leichter Rotton überzog Andys Wangen und sein Herzschlag erhöhte sich leicht. Sie lächelte ihn an.

„Du hast das doch schon einmal geschafft.“, erinnerte sie ihn sanft.

„Schon, aber es bleibt dennoch schwierig. Du weißt ja, dass ich in Geschichte nicht so bewandert bin.“

Dann leuchteten seine Augen auf und er erwiderte ihren Blick erwartungsvoll.

„Du hast doch zusammen mit deiner Familie und deinen Brüdern den ersten Weltkrieg miterlebt. Ist das nicht langweilig, dass immer und immer wieder durchzukauen. Außerdem muss das doch eine schwierige Zeit für euch gewesen sein.“

In seiner Stimme klang Neugier und Sorge mit. Andys Blick huschte auch zu mir. Wir zuckten beide mit den Schultern.

„Schön war es nicht. Aber es ist trotzdem ein Teil unserer Geschichte, über das man Bescheid wissen muss.“, versuchte ich auf das eigentliche Thema zurückzukommen.

„Sicher.“, antworteten Bella und Andy hoffnungslos und gelangweilt.

Elizabeth kicherte. Dann nahm sie sein Gesicht in die Hände und küsste ihn sanft und verführerisch. Ich tat es ihr nach und schon gab sich Bella dem Kuss wieder etwas zu leidenschaftlich hin. Ihr Herz überschlug sich fast und ihre Lippen wurden drängender. Jedoch gab ich ihr diesmal nicht nach. Als Bella wieder die Luft zum Atmen fehlte beendete ich unseren sanften Kuss, drückte sie fest an meine Brust und ließ Bella Zeit, wieder Sauerstoff einzuatmen. Andy, der ebenfalls gewaltsam von seiner Geliebten gelöst wurde, rang nach Atem und schaute sie begierig an. Es erinnerte mich an meinem Blick, wie ich Bella ansah.

„Ihr seid ganz schön gemein.“, maulten beide gleichzeitig.

Daraufhin lachten Elizabeth und ich. Es war ein herrliches Gefühl, etwas ganz Alltägliches zu tun. Natürlich war dies nur wundervoll, da Andy und Bella diesen Moment mit uns zwei Vampiren teilten. In solchen Momenten vergaß ich alles andere. Victoria, die Werwölfe, sogar meine Fähigkeit zu schlafen. Nur die Zeit mit ihr war wichtig.

„Na los ihr zwei Medien, zurück zum Thema.“, lachte Elizabeth, obgleich in ihrer Stimme auch Autorität mit schwang.
„Oder sollte ich sagen, dass wir jetzt drei Medien hier im Raum haben.“, sagte sie neckend zu mir und grinste mich an.

Ich erwiderte ihr Grinsen.
„Das wird sich noch herausstellen. Außerdem, sind drei besser als zwei, oder nicht?“

Bella und Andy hatten die Köpfe in ihre Bücher gesteckt, kicherten aber. Mir wurde in diesem Moment wieder bewusst, dass ich die ganze Zeit keinen einzigen Gedanken von den beiden gehört hatte. Gott, war das ärgerlich. Würde ich je wieder irgendetwas von den beiden hören? Hatten die beiden Recht damit, dass meine Theorie völlig falsch war? Dass auch das Hören ihrer Gedanken eine Nebenwirkung von meiner Reise in Bellas Kopf war. Wenn ja, warum hörte ich sie nicht? Ich war doch in ihre Gedankenwelt völlig eingetaucht. Warum könnte ich nicht wenigstens sie unentwegt hören? War der Schutzschild wirklich so stark? Hatte ich ihn nicht durchdrungen, als ich auf der Suche nach Bella war?

Aber die Tatsache, dass ich Gedanken von den beiden gehört habe, war nicht zu leugnen. Vielleicht hätte ich länger in Bellas Kopf bleiben müssen, damit meine Fähigkeit jetzt besser funktionieren kann. Absurde Gedanken. Je länger ich da geblieben wäre, umso größer wäre die Gefahr gewesen.

Den ganzen Tag halfen wir den beiden beim Lernen von Geschichte, aber auch von Mathe und Politik. Für die beiden war es wirklich ein sehr anstrengender Tag gewesen. Am Abend kurz bevor Charlie kam verabschiedeten wir uns, während Andy die Schulsachen wegräumte und Bella den Tisch für das Abendessen vorbereitete. Kochen musste sie zum Glück nichts, da noch genug von der ekelhaften Lasagne übrig war, die Sarah Black gestern zubereitet hatte. Sie war es gewohnt in größeren Mengen zu kochen, damit Charlie genug zu essen hatte. Ich hatte sofort gemerkt, dass die beiden Gefühle füreinander haben. Mir widerstrebte es, dass der Vater von Bella und Andy mit einer Black zusammen war. Aber schließlich war es sehr unwahrscheinlich, dass sie dieses spezielle Gen in sich trug. Sie war ja angeheiratet. Elizabeth und ich gaben unseren beiden Menschen jeweils einen sehr leidenschaftlichen Abschiedskuss, bevor wir uns zum Haus der Cullens aufmachten. Jagen zu gehen war noch nicht nötig.

Als wir ankamen, fiel mir auf, dass mein anderes Ich nicht da war. Auch hatte ich keine seiner Gedanken auf dem Weg hierher gehört. Wo war er? Aber das konnte mir eigentlich egal sein. Aber irgendetwas in mir, wollte um jeden Preis wissen, wo er sich gerade aufhielt. Ich verstand mich selbst nicht. Etwas Gutes hatte es ja, dass er nicht da war. So konnte ich an seinem Klavierflügel gehen und mich von der Musik trieben lassen, ohne dass ich von ihm angefallen wurde. Er hätte mich wohl zerstückelt, wenn ich mich seinem Flügel auch nur einen Schritt genähert hätte. Die anderen hörten mir bei meinem Spiel zu. Als ich das Lied, Bellas Schlaflied ausklingen ließ, riss ich überrascht die Augen auf und schaute zur anderen Rosalie.

„Was?“, fragte ich.

„Naja, Andy hat dieses Lied auch mal gespielt, obwohl er eigentlich nicht spielen kann. Keiner von uns kannte es. Nur er und seine Schwester.“

„Oh!“, hauchte ich leise.

Andys Verbindung zu Bella war so stark, dass er irgend einer Weise das Lied kannte. Erstaunlich. Mein Blick fiel auf Elizabeth die auf dem Sofa saß, ein Block auf ihren angezogenen Beinen liegend, während sie mit einem Bleistift in ihrer rechten Hand etwas auf das Papier zeichnete. Was es war, konnte ich nicht erkennen. Neugierig stand ich von der Sitzbank auf, ging zu ihr und schaute über ihre Schulter. Sie ließ sich nicht von mir stören und zeichnete weiter. Ihre Hände flogen förmlich über das Papier. Für menschliche Augen würden die Bewegungen ihrer Hand verschwammen, so schnell war sie.

„Du kannst aber gut zeichnen.“, lobte ich.

„Das konnte ich schon immer gut. Auch als Mensch.“, sagte sie schmunzelnd.

Etwas verdutzt schaute ich ihr Bild an, woran sie noch Feinarbeiten, wie Konturen nachziehen, Schatten und weiteres, durchführte.

„Warum zeichnest du das?“

Auf dem Bild waren 2 Schwäne auf einem See zu erkennen, deren Köpfe aneinander lagen. Die Schnäbel der beiden Vögel berührten sich leicht. So wie sich ihre Hälse bogen, formten sie ein Herz. Um sie herum schwammen Wasserrosen, während das Sonnenlicht schien und Schatten sich zur rechten Seite des Bildes ausstreckten. Es sah wirklich schön aus.

„Weißt du noch, was Andy vorgestern gesagt hat.“

Natürlich wusste ich es noch.

„Und diese zwei Schwäne sollen Andy und dich symbolisieren.“, mutmaßte ich.

„Naja, nicht nur.“, erwiderte sie neckend mit einem verschmitzten Lächeln.

„Ach so.“, kicherte ich.

Ich sah Elizabeth weiter beim Zeichnen zu und hing meinen Gedanken nach. Nach 33 Minuten fiel mir auf, dass der andere Edward immer noch nicht da war. Ich erwog es, seine Alice zu fragen, verwarf diesen Gedanken jedoch schnell wieder. Warum machte ich mir über ihn Gedanken. Erneut wunderte ich mich über mich selbst. Ich sah jedoch, wie Alices Gesichtsausdruck veränderte. Sie schaute irgendwie verärgert und zerknirscht.

Warum? Weil ihr Edward weg war? Ich versuchte in ihren Gedanken den Grund für ihre Stimmung herauszufinden, doch leider verbarg sie ihre Gedanken vor mir. Es erstaunte mich, wie sie und meine Alice das nur schafften. Ich konnte nur unwichtiges Zeug in ihrem Kopf sehen. Sie übersetzte einen vor kurzem geschriebenen Aufsatz in der Schule in alle Sprachen, die es auf der Welt gibt. Französisch, Holländisch, Japanisch, Russisch, Chinesisch, Finnisch, Spanisch, Portugiesisch, Latein, und viele, viele mehr. Warum tat sie das nur? Dann entfuhr ihr ein leises Knurren, was alle Vampire im Haus aufhorchen ließ. Es war aber wohl nichts „Ernstes“, da die Alice nichts dazu sagte.

°Warum ist sie nur so eifersüchtig?°, hörte ich Jaspers Gedanken, der ebenfalls im Haus, jedoch nicht im selben Raum war.

Fragend schaute ich Elizabeth an, die bestätigend nickte.
°Ich habe keine Ahnung.°, hörte ich von ihr.

Ich hätte am liebsten meine Alice gefragt, doch die war mit der anderen Rosalie und der anderen Esme jagen. Carlisle war ebenfalls nicht da. Wahrscheinlich war er im Krankenhaus.
Elizabeth, die schon längst ihr Schwanenbild perfektioniert hatte, fing nun etwas Neues an zu zeichnen. Sie fertigte ein Portrait von Andy an, wobei sie versuchte, mit Ölfarben das Leuchten und die Schönheit von seinen schokoladenbraunen Augen auf das Papier zu bringen. Seinen Augen mit allen möglichen passenden Farbtönen den passenden Ausdruck zu verleihen. Doch so etwas, konnte man einfach nicht „kopieren“.
Diesen Blick, egal ob von ihm oder Bella, konnte man nicht einfach einfangen und künstlerisch verewigen. Nachdem sie doch tatsächlich über 20 Minuten an den Augen gearbeitet hatte, legte sie alles beiseite stöhnte verzweifelt.

„Nein, das ist einfach unmöglich.“, sagte sie zu sich selbst.

Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Auch wenn du Recht hast, kommt das doch sehr der Wirklichkeit nahe.“, versuchte ich sie aufzubauen und schaute auf das Bild.

Es war ein exaktes Abbild von ihm. Besonders fielen die braunen Augen auf, da sie das einzige im Bild waren, was nicht mit Bleistift gezeichnet wurde. Sie waren sehr ausdrucksstark und lebendig, dennoch reichten sie nicht ganz an das Original heran.

„Ja.“, seufzte sie, „Aber eben nur fast.“

Elizabeth beschloss Kunst heute Kunst sein zu lassen und räumte ihre Utensilien weg. Nur der Block blieb auf dem Tisch aufgeschlagen liegen, da die Farbe noch trocknen musste. Der andere Edward war immer noch nicht zurück. Auch konnte ich seine Gedanken nicht hören. Wo war er nur? Auch wenn er mir egal war, irgendwo, musste ich einfach wissen, wo er sich aufhielt. Diese Ungewissheit raubte mir den Verstand. Nur eine einzige Person konnte mich jetzt ablenken. Meine liebste Bella.

Es war nun fast eine Stunde vorüber. Das Abendessen sollte also nun vorbei und die Zwillinge in ihren Zimmern sein. Zumindest mit höchster Wahrscheinlichkeit Bella, da sie sich ja nicht besonders für die Sportsendungen interessierte, die sich auch dieser Charlie hier ansah. Bei ihrem Bruder – unserem Bruder – war ich mir nicht sicher. Beim Gedanken daran wieder zum Sinn meiner Existenz zurückzukehren, wurde mir wieder so leicht ums Herz. Mein Herz würde nun schlagen, wenn es das könnte. Elizabeth bemerkte meinen Stimmungswechsel.

°Viel Spaß. Und stellt nichts Unanständiges an.° Sie schmunzelte.

„Kommst du nicht mit?“, fragte ich verwirrt.

Sie winkte ab.
„Später. Andrew schaut bestimmt noch zusammen mit Charlie ein Baseballspiel an. Glaub mir, ich kenne ihn inzwischen sehr gut. Das hat er mit dem anderen Charlie drüben auch sehr oft gemacht. Und es scheint ihm wirklich zu gefallen, wenn auch nicht so wie Charlie. Er ist nicht so besessen von diesem Sport wie sein Vater. Er will hauptsächlich mit ihm Zeit verbringen. Zumindest glaube ich das.“
Sie lächelte mich an.
„Das ist wohl eine Männersache. Da bin ich wohl fehl am Platz.“

Ich ließ das unkommentiert, lächelte ihr aber entschuldigend zu, bevor ich zu Charlies Haus aufbrach. Ich freute mich wie ein kleiner Junge darauf sie endlich wieder in meinen Armen zu halten und meine Lippen auf ihre zu pressen. Automatisch hoben sich meine Mundwinkel bei diesem Gedanken. Plötzlich hörte ich etwas, was mich zutiefst erschreckte.

°Das fühlt sich eigenartig, aber gut an. So warm und weich. Ganz anders.°, hörte ich meine Stimme in meinem Kopf.

Aber es war nicht meine Stimme, sondern SEINE. Diese Worte jagten mir einen tiefen Schmerz durch die Brust und ich rannte noch schneller. Nein. Das konnte nicht sein! Bitte lass das nicht wahr sein! Ich befürchtete schon das Schlimmste. Bitte lass mich irren, dachte ich verzweifelt. Ich muss mich verhört haben. Das war nicht möglich! Ich kletterte die Hauswand hoch und spähte durch ihr Fenster. Was ich hinter Bellas Fensterscheibe zu sehen bekam, ließ mich innerlich verzweifelt aufschreien, da mir mein Herz gewaltsam aus der Brust gerissen wurde.

Ich kannte dieses Bild bereits, da ich es schon gesehen hatte. Dennoch traf es mich unvorbereitet. Es war als würde jemand mein Herz in kleine Stücke schneiden und es dann in einen Mixer tun, um es zu pürieren, den Schmerz noch unerträglicher zu machen. Bella und ER saßen auf ihrem Bett und sie beide küssten sich. Ja, Alices Vision hatte sich nun bewahrheitet. Doch ich hatte mich geirrt. Sie küsste nicht mich, sondern den anderen Edward. Warum tat sie das? Wollte sie mich nicht mehr? Liebte sie diesen Edward mehr als mich? Nein, das wollte ich nicht glauben. Oder wollte sie, dass ich sie dabei erwischte, wie sich „mich“ küsste, um sich an mir für meine Dummheit zu rächen? Aber das konnte es auf gar keinen Fall sein. Das passte einfach nicht zu ihrer Art. Unzählige Blitze des Schmerzes durchfuhren meinen kalten toten Körper und ich fühlte mich so leblos und einsam. Wollte sie mich verlassen für ihn? Dann fiel mir etwas auf, trotz der Finsternis, des Schmerzes, des Nichts, die mich verschlingen wollten.

Der Kuss zwischen ihnen war eigenartig. Beide hatten die Augen geschlossen, aber Bellas Arme lagen ruhig an ihrem Körper. Sie schlangen sich nicht um seinen Hals, weder durchfuhren ihre Hände sein Harr. Nur ER hatte seine Arme um ihre Taille gelegt und begann sie langsam an sich zu ziehen. Ich hätte etwas machen sollen. Ich hätte in ihr Zimmer stürmen und ihn von ihr wegzerren sollen. Er sollte sie nicht anfassen. Nicht er! Ja, ich hätte irgendetwas unternehmen sollen. Doch ich war wie erstarrt von dem Anblick, den ich ertragen musste. Mir fiel auf, dass seine Lippen immer drängender auf den ihren wurden, ihre jedoch weiterhin sanft, ja fast hauch zart blieben. Als ich das registrierte, fühlte ich mich etwas erleichtert. Aber nur ein wenig. Er wollte mehr von ihr, aber Bella nicht. Sie erwiderte den Kuss nicht so leidenschaftlich, wie sie meinen immer erwiderte. Diese Tatsache gab mir etwas Hoffnung, dass ich sie doch nicht an mich selbst verloren hatte. Nein. An diesem Kuss konnte ich erkennen, dass sie nicht dieselbe Liebe für ihn empfand, die sie mir schenkte.

Plötzlich hörte ich schnelle Schritte, die sich dem Zimmer näherten. Es waren Andys. Mein Ebenbild war so in dem Kuss vertieft, dass er nichts davon mitbekam. Ich konnte nur mit Mühe ein Knurren unterdrücken. Die Tür sprang auf und ruckartig löste sich Bella zu meinem Glück von ihm und er ließ ebenfalls von ihr ab. Andy war puterrot im Gesicht, jedoch nicht vor Scham, sondern vor Wut. Er tat jetzt das, wofür ich bis jetzt nicht in der Lage gewesen war. Diesen Mann musste man einfach „lieben“. Meine Mundwinkel hoben sich und ich feuerte meinen Bruder insgeheim an. Sein und Bellas Blick waren auf ihn gerichtet.

°Was will er hier? Warum hat er gestört?°

Was erlaubt er sich eigentlich?! Mein Gesicht verwandelte sich in eine Maske voller Wut, dennoch blieb ich wo ich war. Andy schloss kurz die Augen, atmete tief durch um nicht die Beherrschung zu verlieren. Er musste sich wohl daran erinnern, leise zu sprechen, da Charlie sich unten im Wohnzimmer befand und sich ein Spiel ansah. Er flüsterte die folgenden Worte nur. Aber aus jedem war der Zorn nicht zu überhören.

„Was fällt dir ein?!“, zischte er durch seine Zähne und funkelte mein Ebenbild an.

Genau diesen Blick hatte er im Saint Marris gehabt, als wir Bella entlassen wollten. Dieser Blick. Sogar für einen Vampir durchaus furchteinflößend. Ich hörte, wie ER Luft holte, um etwas erwidern zu wollen, doch Bella antwortete.

„Jetzt regt dich nicht so auf.“, sagte sie beschwichtigend.
„Es war…nur ein Test.“

Ein Test? Was sollte das denn heißen. Ich versuchte in den Gedanken von IHM etwas zu lesen, konnte jedoch nur seine Gedanken an den Kuss ausmachen. Es war widerlich! Nun verstand ich, warum seine Alice so zerknirscht und verärgert ausgesehen hatte. Andy wandte sich seiner Schwester zu und zog ungläubig eine Augenbraue hoch.

„Ein Test? Nun, dieser Test gefällt mir aber absolut nicht und ihm noch viel weniger.“

„Was?“, fragte Bella verwirrt.

Andy erwiderte meinen Blick und nickte in meine Richtung. Ich hörte den anderen Edward leise fluchen, während Bella erschrocken herum fuhr und mich mit großen geschockten Augen betrachtete. Nachdem sie sich von dem Schock erholt hatte, sah sie so bekümmert und schuldbewusst aus, dass mir das Herz brechen wollte. Sie lief rot an und schaute auf den Boden, als hoffte sie, dass er sich unter ihr auftun und sie verschlucken würde.

Ich kam in das Zimmer hinein, setzte mich neben sie aufs Bett und nahm sie tröstend in MEINE Arme, während sie leise zu schluchzen begann.

„Sch.“, machte ich beruhigend und wiegte sie.

Leise wimmerte sie an meiner Brust, während die Tränen über ihre Wangen liefen. Als ich IHN ansah, funkelten meine Augen und versprühten meinen ganzen Zorn.

°Sie ist mein! Tu das nie wieder!°

Er schaute mich erstaunlicherweise bittend, flehend, ja sogar entschuldigend an.

°Tut mir Leid, wirklich. Aber ich musste es herausfinden.°, erwiderte er in meinem Kopf.

„Was?!“, entfuhr es mir gereizt und etwas zu laut.

Charlie hörte jedoch nichts. So versunken war er in dem Spiel. Bella atmete tief durch, wich etwas zurück und hob den Kopf.

"Er kam zu mir in mein Zimmer und sagte mir, dass er sich vielleicht in mich verliebt haben könnte.“

Bei diesen Worten schäumte ich vor Wut und Schmerzen ließen mich innerlich erbeben. Äußerlich ließ ich mir nichts anmerken.

„Er fragte mich, ob er mich küssen könnte, nur um zu sehen, ob er was fühlen würde. Ehrlich Edward. Das war alles. Ich liebe DICH! Das musst du mir glauben!“.

Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen und sie baten um Vergebung.
Es war so absurd. Sie bat mich um Vergebung? Ich war es doch, der hoffte, dass sie mir wirklich eines Tages meine schreckliche Dummheit verzeihen würde. Ich war ihrer einfach nicht würdig. Das war ich noch nie. Ich war ein Wesen der Finsternis und sie ein Wesen so rein wie das Sonnenlicht. Ich hatte sie nie verdient und dennoch wollte sie mich unter allen Umständen. Wollte bei mir bleiben und hoffte verzweifelt, dass ich sie bei mir sein ließ. Leicht lächelte ich. Ich wollte sie für immer und ewig. Konnte nur existieren und leben, wenn ich bei ihr sein durfte. So war es in Wirklichkeit. Nicht anders herum. Wie konnte sie nur Angst haben, dass ich sie wegen so einer Lappalie, wie mir diese ganze Sache jetzt erschien, nicht mehr wollte. Ich hatte ihr doch versichert und geschworen, dass ich sie nie mehr verlassen würde. Ich zog sie wieder an mich.

„Ich liebe dich auch.“, sagte ich nur.

Nach einer Weile entspannte sich Bella wieder, während ich sie immer noch in den Armen hielt und ihren Körper an meiner Brust barg. Ein Teil von mir fragte sich, warum sie sich hat von ihm küssen lassen? Vielleicht, weil ich wie er aussehe und er sie mit seinem Blick fesselte, wie ich es konnte. Vielleicht wollte sie ihm auch einfach nur Gewissheit geben, damit er mit dieser Sache abschließen konnte.

„Und? Fühlst du was für sie?“, fragte Andy mein Ebenbild jetzt ruhiger.

Ruckartig wich Bella zurück und schaute zu ihm hinüber. Neugier lag in ihrem Blick. Auch ich war gespannt auf seine Antwort, aber immer noch leicht wütend. Das er überhaupt Bella darum gebeten hatte. Unverschämtheit! Ich verstand ihn nicht. Er hatte doch schon seine Seelenverwandte. Die andere Alice.

Und was, wenn sie nicht seine wirkliche zweite Hälfte war? Was, wenn es doch Bella war, so wie sie es vielleicht hätte werden können, wäre ihr Leben anders verlaufen wäre? Mit einem Mal überkam mich nicht nur Wut, sondern auch Angst und Verzweiflung. Automatisch, fast reflexartig verstärkte ich meinen Griff um das Wertvollste, was ich besaß. Ich konnte – durfte sie einfach nicht verlieren. Nicht schon wieder. Er sollte mir Bella lassen. Die andere aus der anderen Welt konnte ich schließlich nicht bekommen, geschweige denn kennen lernen. Ich hielt gespannt die Luft an und wartete.

„Ich weiß nicht genau. Ich denke…nicht.“

Erleichterung durchströmte mich bei diesen Worten.

„Sicher liebe ich Bella. Wie eine Schwester. Aber in letzter Zeit, besonders nach der Sache mit dem Koma spielten meine Gefühle vor Sorge und Wut verrückt. Ich verstand das selbst alles nicht. Aber ich bin eigentlich fast sicher, dass meine Gefühle zu dir nicht über Geschwisterliebe hinaus gehen.“

Als er das Wort Koma erwähnt hatte, zuckte ich zusammen. Ich konnte ihn verstehen. Natürlich war er wütend. Wütend auf mich. Da ich die Schuld für alles trug. Oder wenigstens war ich mit dafür verantwortlich. Nein, ALLES war meine Schuld! Denn wenn es mich nicht geben würde, dann hätte Bella all dies nie erleben müssen. Aber ich war schon immer ein egoistisches Wesen gewesen. Ein Teil von mir war froh, dass es mich gab. Dass Carlisle mich verwandelt hatte, damit ich später Bella kennen und lieben lernen durfte. Selbst eine Bella, die ich normalerweise nie kennen gelernt hätte.

„Es ist kompliziert.“, beendete mein Ebenbild seine Erklärungsversuche.

Andy schnaubte. „Nein. Da irrst du dich aber. Es ist alles ganz einfach.“

Wir drei sahen ihn erstaunt an. „Ach ja?“, fragte mein anderes Ich zweifelnd.

„Ich möchte, dass du mir jetzt eine Frage beantwortest.“, sagte er ernst. Er nickte.
„Okay, du hast Gefühle für meine Schwester. Aber wirkt ihr Blut auf dich irgendwie anziehend. Ich meine auf eine spezielle Art und Weise?“

Er runzelte die Stirn und sagte 5 Sekunden lang nichts.
„Was meinst du damit?“, fragte er vorsichtig.

Ich wusste, was Andy meinte, vermied es aber daran zu denken. Daran zu denken, wie ich Bellas Geruch am 18. Januar dieses Jahres zum ersten Mal gerochen hatte. Es war Verführung und Folter zugleich gewesen. Damals hatte ich Bella für ihren Geruch und ihre Stummheit gehasst. Jetzt kam mir das mehr als albern vor. Schließlich konnte sie ja nichts dafür und ich war damals ein anderer Mann.

„Ich meine, riecht Bellas Blut für dich besonders als das Blut aller anderen Menschen? Keine Ahnung, irgendwie anders. Ich weiß nicht mit welchen Geschmacksrichtungen ihr Vampire es beschreiben würdet.“

Bei den Wort „Geschmacksrichtungen“ verzog ich angewidert den Mund. Dieses Wort erinnerte mich schlagartig daran, was Bella für mein Wesen ursprünglich sein sollte. Nahrung. Nahrung, um überleben zu können. Nichts weiter. Ich schauderte und Bella presste sich enger an mich. Diese Geste ihrer Zuneigung spendete mir Trost und ich atmete erleichtert aus. Sie hatte mein Schaudern gespürt und wollte mich wissen lassen, dass sie hier bei mir war. Dass sie mich trotz allem wollte. Mich, einem Vampir. So selbstlos. Immer machte sie sich Sorgen um andere, vor allem um ihren Bruder und mich. Ihr eigenes Leben stellte sie wie immer hinten an. So war sie eben, meine Bella. Mein anderes Ich legte seine Stirn noch mehr in Falten und dachte wirklich für einen Vampir sehr angestrengt nach, bevor er Andys Frage beantwortete.

„Nein.“

Das war alles, was er sagte. Dieses Wort befreite mich aus meiner Angst und Verzweiflung. Aber warum, konnte ich nicht in Worte fassen.

„Da haben wir es doch.“, sagte Andy selbstgefällig.

Verwirrt schaute der andere Edward ihn an. Auch Bellas und mein Blick waren auf Andy gerichtet. Er seufzte genervt.

„Das ist doch mehr als offensichtlich. Ich weiß nicht, ob du es weißt, aber für ihn…“, Andys Blick huschte zu mir, „…riecht Bellas Blut viel süßer als jedes andere. Und nur für IHN riecht es so.“

Ich fragte mich, woher er das wusste. Vielleicht hatte er es gesehen. Entweder in seinen Träumen oder in Bellas Kopf.

„Verstehst du nicht? Schon bevor sich die beiden näher kamen, reagierte Edward instinktiv auf sie. Bellas Blut zog ihn an, wie einen Magneten. Und das war ein Zeichen, dass die beiden zusammen gehörten. Nur blieb die Frage offen, ob Bella dabei leben würde, oder nicht.“

Bei diesen Worten zuckte ich kaum merklich zusammen. Mein Ebenbild ging es ebenso.

„Der Vampir in Edward reagierte auf ihr Blut und Bella war von seinem Aussehen, seinen Augen und seiner Stimme hypnotisiert. Also reagierte ihr Körper auf den Vampir. Erst später lernten sie beide jeweils den Menschen kennen. Die Anziehung zueinander war nicht mehr rein instinktiv, sondern beruht jetzt auf eine tiefe emotionale persönliche Verbindung. Das Schicksal wollte ihnen von Anfang an sagen, dass die beiden seelenverwandt sind, auch wenn es für Edward zu Beginn sehr schwierig war.“

Als Andy mit seiner Erklärung fertig war, klappte uns allen der Mund auf. So hatte ich das noch nie gesehen. Wollte mir das Schicksal, Gott, oder wer auch immer auf diesem Wege sagen, dass sie die ist, die mich vervollständigte? Hatte er aus diesem Grund Bellas Blut mit so einem Geruch „gesegnet“? Aber es hätte schief gehen können. Hätte ich dem Monster in mir nachgegeben, dann wäre Bella jetzt nicht hier. Oder hatte er mir diesen Weg als eine harte Prüfung auferlegen wollen. Eine Prüfung, die ich bestehen musste, um zu erkennen, wie sehr ich sie liebte. Um zu erkennen, dass ich sie brauchte.

Hatte er auch deshalb Bella gegen meine Fähigkeit immun gemacht, damit sie mich, neben ihrem Geruch, noch mehr fesselte und faszinierte? Hatte er sie darum das schreckliche Erlebnis in ihrer Kindheit erleben lassen, damit sie den Weg zu mir finden konnte? Hatte er darum Bellas Schutzinstinkt verändert beziehungsweise minimiert, damit sie sich auf mich einließ und nicht vor meiner Kälte zurück wich? Sich nicht instinktiv von mir abwandte, da Vampire Raubtiere waren?

Diese und viele weitere Fragen schwirrten in meinem Kopf herum. Fragen, auf die ich nie eine wirkliche Antwort erhalten würde. Doch dann wurde mir bewusst, dass ich irrte. Natürlich hatte ich die Antwort. All das war geschehen, weil wir zusammen gehörten. Für immer. Ich konnte nicht sagen warum. Aber tief in meinem Innern wusste ich, dass Andy mit seinen Worten die reine Wahrheit ausgesprochen hatte. Auf einmal überkam mich ein Gefühl der Dankbarkeit. Ich war Gott, oder wem auch immer, dankbar dafür, dass er mir dieses Licht in meine Existenz gebracht hatte. Ich drückte sie fester an mich und atmete ihren Duft ein.

Dann wurde mir etwas bewusst und kurz überkam mich eine Welle des Kummers. Wenn das wirklich alles der Plan einer übersinnlichen Macht war, dann sollte das geschehen, was Bella an ihrem 18. Geburtstag widerfahren war. Ich sollte sie verlassen. Es war eine Notwendigkeit gewesen. Für mich war es wichtig, um zu erkennen, dass ich ohne sie nicht leben konnte und meine Verbindung zu ihr noch mehr an Stärke gewann. Für sie war es ebenso von Bedeutung. Denn nur weil ich sie verlassen hatte, gelang es ihr, in ihre Welt zurückzukehren, fand ihren Bruder wieder und war mit dafür verantwortlich, dass Elizabeth und Andy zueinander gefunden hatten. Wenn ich Bella nie verlassen hätte, hätte sie vielleicht nie zu ihrem männlichen Gegenstück zurück gefunden und Elizabeth hätte nie ihren Seelenverwandten getroffen.

Alle Ereignisse, waren Teile eines größeren Plans. Das war mir nun klar. Nun machte alles einen Sinn. Auch die Tatsache, dass ich jetzt diese „Nebenwirkungen“ besitze. Dafür, dass ich schlafen konnte, gab es einen Grund. Ich wusste nur nicht, welcher es war. Noch nicht. Aber ich spürte ganz genau, dass der Grund von immenser Bedeutung sein musste.

„Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.“, riss mich die Stimme meines anderen Ichs aus meinen Gedanken.

Seine Worte waren an mich und Andy gerichtet. In seinen Kopf hörte ich, wie er langsam Verständnis für mich entgegen brachte. Wer weiß? Vielleicht konnte sich unsere Beziehung doch noch ändern. Sein Blick huschte kurz zu mir, dann sah er Andy durchdringend an.

„Ich höre nämlich im Kopf meiner Schwester, wie sie deinen Geruch verklärt. Für sie ist er Segen und Fluch zugleich.“

Andys Gesicht veränderte sich. Seine Augen wurden groß und er schaute beinahe entsetzt. „Wirklich?“, fragte er flüsternd im unsicheren zweifelnden Tonfall.

Ich – also er – kicherte.
„Warum überrascht dich das denn? Du hast mir – nein, uns – doch gerade einen Vortrag über instinktive und emotionale Verbindungen gehalten.“

„Äh…“, stammelte er und lief rot an.
„Ja, schon. Aber bei Bella und Edward weiß ich es eben ganz sicher.“

Andy wollte noch etwas sagen, doch er wurde von ihm unterbrochen, dessen Augen groß wurden, als ihn die Erkenntnis traf.

„Oh mein Gott! Du zweifelst an sie und ihrer Liebe. Du hast insgeheim Angst, dass sie dich verlässt, genau wie er Bella verlassen hat.“, stellte er fest und klang überrascht und verwirrt.

Ich zuckte zusammen, Bella ebenso und wir beide verstärkten den Griff um den anderen. Keiner sagte etwas. Ich wollte etwas erwidern, aber mir viel in diesem Moment nichts ein. Die Stille dehnte sich aus. Andys Blut wich aus seinem Gesicht und wirkte so krank und blass, dass es mich schlagartig an Bella vor meiner Rettung erinnerte. Seine schokoladenbraunen Augen waren voller Kummer und Zweifel, dass mir der Atem stockte. Ich hörte, wie auch Bella aufhörte zu atmen.

°Das dachte ich mir.°, hörte ich nur. Es klang aber mitfühlend und nicht spöttisch.

„Ist das wirklich wahr?“, erklang eine leise melodische Stimme hinter uns.

Alle fuhren wir herum. Wieso hatten ich und er es nicht mit bekommen, dass sie kam. Vielleicht hatte diese Situation unser ganzes Denken benötigt. Andy, der mit traurigem Blick ins Nichts gestarrt hatte, wie es schien, blinzelte entgeistert, und schien sie erst jetzt wirklich wahrzunehmen. Elizabeth stand hinter dem Fenster und schaute Andy in die Augen. Schmerz und Trauer waren in ihnen zu erkennen.

°Wie kannst du das nur denken?°, dachte sie verzweifelt.

Keiner erwiderte etwas zur Begrüßung. In Vampirgeschwindigkeit war sie bei ihm und legte sanft ihre Arme um seine Mitte. Sie sah zu ihm auf und schaute ihm mit aller Überzeugungskraft in seine Augen, die sie trotz Trauer aufbringen konnte.

„Andrew Thomas Swan.“

Es war das erste Mal, dass sie seinen vollen Namen aussprach.

„Ich liebe dich für immer und ich werde dich nie verlassen. Begreifst du, was ich sage?“, fügte sie hinzu, als spräche sie mit einem Kind.

Tränen stiegen ihm in die Augen und eine floss über seine Wange.
„Und was, wenn so etwas passiert, wie an Bellas Geburtstag?“
Seine Stimme versagte bei den letzten zwei Worten.

Elizabeth hob eine Hand und legte Andy einen Finger auf die Lippen.
„Nichts und niemand wird uns je trennen. Das schwöre ich dir!“ In ihrer Stimme lag eine solche Ernsthaftigkeit, um ihren Worten eben genau diesen Ausdruck zu verleihen.

Mehr und mehr Tränen rannen über seine Wangen und er fing an, leise zu schluchzen.
„Aber ich bin nur…“, setzt er an, doch seine Worte wurden von Elizabeths Lippen erstickt.

Ihre Lippen bewegten sich zärtlich auf seinen, doch er erwiderte den Kuss kaum. Mehr Tränen flossen hinab, während er die Augen zur Zeit des Kusses geschlossen hielt. Ein schöner und schmerzvoller Anblick zugleich.

„Komm.“, sagte Elizabeth mit sanfter Stimme und zog Andy zur Zimmertür hin.

Sie wollte mit ihm in sein Zimmer gehen, um wenigstens etwas ungestörter zu sein. Sie nahm seine Hand und ging voran. Leise schluchzend folgte Andy ihr.

°Und wir sprechen uns noch!°, hörte ich wütend brüllend in meinem Kopf.

Diese Worte waren natürlich nicht an mich gerichtet. Ich sah, wie er zusammen zuckte. Als sich Bellas Zimmertür schloss und beide Andys Zimmer betraten, wurde der Blick meines anderen Selbst schuldbewusst und bekümmert. Er wollte nicht, dass es Andy schlecht ging. Wenn es ihm schlecht ging, dann ebenso seiner Schwester, was ihm höchst zuwider war.

„Ich gehe dann mal.“, sagte er tonlos und war im nächsten Moment auch schon verschwunden.

In seinem Kopf hörte ich, wie er sich Vorwürfe machte. Ein Teil von mir grinste schadenfroh darüber. Ein anderer fühlte mit ihm. Elizabeth saß mit Andy auf seinem Bett und sie hielt ihn in den Arm, während er den Kopf auf ihrer Schulter barg und weinte, dass es mir das Herz zerriss. Es erinnerte mich an dem Abend, als ich Bella von meiner Liebe zu überzeugen versuchte, sie mir aber nicht glaubte.

Elizabeth sagte nichts. Er ließ ihn einfach weinen, bis er sich allmählich beruhigte und er sich leise wimmernd aufs Bett drücken ließ. Sie lag neben ihm, sein Kopf auf der Stelle liegend, wo die Schulter in die Brust überging, und fuhr mit ihrem Fingern tröstend durch sein Haar.

„Mein armes Bruderherz. Ich kann ihn verstehen.“, flüsterte Bella traurig auf meiner Brust liegend in mein Hemd hinein.

Ich lag mit ihr auf ihrem Bett und hatte tröstend die Arme um sie geschlungen. Der Schmerz in ihrer Stimme spiegelte meinen eigenen wider. Bruderherz. Dieses Kosewort hatte ich sie noch nie sagen hören. Tröstend streichelte ich über ihren Rücken.

„Es wird alles gut. Er wird sich wieder fangen.“
Leise verfluchte ich mich für meine Dummheit.
„Er hat wirklich keinen Grund an ihren Gefühlen zu zweifeln.“
„Und du auch nicht.“, flüsterte ich nach einer Pause.

Bella sagte nichts, atmete tief ein und aus und klammerte sich noch mehr an mich, bevor sie ihre Augen schloss. Nach 23 Minuten schien Bella eingeschlafen zu sein. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Auch Andy schien hoffentlich in einem friedlichen Schlaf gefallen zu sein. Ich hörte, wie Elizabeth mein komponiertes Schlaflied leise summte. Entweder um Andy oder um sich selbst zu beruhigen. Eigentlich hätte ich mich darüber aufregen sollen, da dieses Lied nur Bella und mir gehörte. Aber ich fühlte mich geschmeichelt. Auch befanden wir uns in so ähnlichen Situationen. Warum sollte ich also verärgert sein? Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich ihre summende Stimme hörte.

Ich fuhr Bella liebevoll durch ihr Haar und atmete tief ein.
„Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Vergiss das nie!“, flüsterte ich in ihr Ohr.

Ich hörte ein erleichtertes Seufzen. Dann antwortete sie mir, als hätte sie meine Worte wirklich und bewusst vernommen.

„Das geht nicht.“, hauchte sie lächelnd.

Jetzt lächelte ich ebenso. „Warum nicht?“, flüsterte ich neckend zurück.

„Weil ich das schon tue.“, erwiderte sie kaum hörbar.

Ich gab ihr einen Kuss aufs Haar.

„Ach, Bella…“

Dann merkte ich, wie meine Augenlieder schwer wurden und sie mir allmählich zufielen. Bevor ich in die Schwärze versank, fragte ich mich, was jetzt wohl kommen würde.


Es war dunkel. Ich konnte zuerst nichts sehen. Dann sah ich, wie Licht den Raum erfüllte und ich machte eine Tür auf. Nein nicht ganz auf. Nur einen Spalt breit. Nur so breit, dass ich in den dunklen Raum schlüpfen konnte, der hinter der Tür lag. Ich hörte ein leises Wimmern im Raum, den ich nun betreten hatte. Er war zwar schwach beleuchtet, dennoch konnte ich ein kleines Mädchen erkennen, dass in der linken hintersten Ecke verzweifelt und zusammen gekauert saß. Angst konnte ich in ihren Augen erkennen. Sie erstarrte, als ich näher an sie heran trat, unfähig etwas zu sagen.

Es war ein hübsches kleines Mädchen. Vielleicht 7 oder 9. Sie trug ein Kleid mit einem Blumenmuster und schaute angsterfüllt zu mir auf. Links und rechts bildete ihr blondes Haar zwei Pferdeschwänze. Ich streckte die Hände nach ihr aus und hob sie hoch. Sie blieb weiterhin vor Angst erstarrt und ich konnte ihren panischen Herzschlag aufgrund der Stille im Raum hören. Ich trug sie zu einem Bett, das gegenüberstand und legte sie sanft darauf. Dann ging ich zwei Schritte zurück, griff nach meinem Gürtel und zog langsam meine Hose und meine Shorts aus. Dabei ließ ich das verängstigte Mädchen, das mit ausgestreckten Gliedmaßen auf dem Bett lag und mich betrachtete, nicht aus den Augen. Noch immer war sie nicht fähig auch nur einen Muskel zu bewegen. Als ich fertig war, sagte ich mit freundlicher Stimme.

„Du musst mir deine Unschuld heute schenken. Dafür bekommst du auch etwas von mir.“

Die grünen Augen des Mädchens weiteten sich vor Angst und sie keuchte. Ich trat auf sie zu, legte mich über sie und hielt ihre kleinen Hände fest. Mit der anderen freien Hand schlug ich den Saum ihres Kleides zurück und zog ihren Slip bis zu den Schuhen hinunter, die sie immer noch trug. Dann begann ich in sie einzudringen und mich in ihr langsam zu bewegen, während das Mädchen vor Schmerzen und Angst laut aufschrie. Sie brüllte so laut sie konnte, doch das kümmerte mich nicht. Ihr Gesicht wurde mit Tränen überströmt und sie flehte mich an, aufzuhören. Doch ich tat das nicht. Das Gefühl war einfach zu berauschend.

Dann veränderte sich das Bild.

Ich sah immer noch ein Mädchen unter mir liegen, doch es war nicht mehr dasselbe. Auch dieses Gesicht wär tränennass und ihr Blick war erfüllt von Angst und Schmerz. Doch dieses Mädchen hatte schulterlanges schwarzes glattes Haar und braune Augen. Auch sie schrie und flehte. Doch ich machte weiter.

Im nächsten Moment war wieder ein anderes Mädchen unter mir.

Sie hatte kurzes dunkelblondes Haar und war sehr schmächtig. Ihre Augen waren so blau wie das Meer in der Sonne.

Wieder ein anderes Mädchen.

Langes hellblondes Haar mit einem Zopf, kiwigrüne Augen, ein rundliches Gesicht.

Dann wieder ein anderes Gesicht.

Ein Mädchen in mit dunkelbraunem Haar und schokoladenbrauen Augen, das wild um sich schlug. Ich wusste, wer das war, dennoch hörte ich nicht auf.

Dann veränderte sich wieder das Bild.

Das Mädchen hatte blaugrüne Augen und blondes/braunes Haar, das ihr über die Schultern gingen. All diese Mädchen weinten entsetzlich. Doch ich hörte nicht auf.

Dann veränderte sie ganze Szene.

Ich sah, wie ich all diesen Mädchen von hinten etwas umlegte. Eine Kette. Ja, ich konnte den Anhänger erkennen. Es war ein kleiner blauer Schmetterling. Die Mädchen wimmerten leise und hielten still, während ich ihnen die Kette umlegte.

Wieder veränderte sich alles.

Ich war nicht mehr im Raum, wo ich mich mit den Mädchen vergnügt hatte. Ich war draußen. Es war Nacht. Ich sah in ein tiefes Loch hinein, welches sich vor meinen Füßen befand. Im Loch lag jemand. Das erste Mädchen. Das blonde mit den Pferdeschwänzen. Um ihren Hals trug sie die Kette mit dem Schmetterling als Anhänger. Sie sah erschrocken und weit weg aus. Vor allem atmete sie ruhig. Zu ruhig.

Dann nahm ich den Spaten, stach in die Erde und fing an, das Grab allmählich wieder mit Sand zuzuschütten. Immer mehr wurde das Mädchen vom Sand verdeckt. Ich konnte ihr Husten hören und wie sie langsam durch die Erde, die auf sie fiel, erstickte.

Während ich das Grab wieder mit Erde füllte, sah ich für Sekundenbruchteile nacheinander alle anderen Mädchen jeweils in dem Grab mit der gleichen Kette um den Hals liegen. Auch ihr Husten und Ersticken konnte ich hören.

Es war furchtbar. Ja, alle Mädchen begrub ich. Alle, außer eins.

Das Mädchen mit dem blauen Kleid, dem schokoladenbraunen Augen, dem blassem Gesicht und dem braunen Haar. Nein. Sie begrub ich nicht.

Als ich fertig war, das Loch mit Erde zu füllen, legte ich den Spaten beiseite, wischte mir mit dem Arm über meine schweißnasse Stirn und murmelte folgende Worte in die Nacht, während ich auf das Grab schaute.

„Etwas Reines, was unrein wurde, darf nicht weiterleben. Etwas Unreines wird über die Jahre nur noch mehr verderben. Deine Seele ist geschunden. Finde nun auf diesem Weg Erlösung.“


Ich riss die Augen auf und mir entfuhr ein markerschütternder Schrei, während ich mich ruckartig aufrichtete. Ich riss Bella mit, da sie immer noch auf meiner Brust gelegen hatte. Durch meine Reaktion und meinem Schrei war sie ebenfalls erwacht. Das war der schlimmste Alptraum, den ich je hatte. Ich keuchte laut. Es war morgen. Wie spät wusste ich nicht.

„Edward. Was ist los? Was hast du?“, fragte Bella.

Erst jetzt richtete ich meinen Blick auf sie und sah sie richtig an. Erleichterung durchströmte mich und ich hätte jetzt weinen können, wenn dies möglich wäre. Voller Trauer, Liebe und Glückseligkeit sah ich ihr in die Augen.

„Du bist hier.“, schluchzte ich ohne Tränen.

Bella, die ich immer noch in meinen Armen hielt, drückte ich nun fest an meine Brust und ich legte mein Kinn auf ihrem Kopf. Ich sog ihren köstlichen Duft ein. Nahm ihn ganz in mir auf. Ich drückte sie noch fester an meinen Körper. Musste mich vergewissern, dass sie hier bei mir war. Dass sie lebte und atmete. Ich wiegte sie hin und her.

„Du bist hier.“, hauchte ich voller Glück.

„Edward. Was hast du?“, fragte sie mit zittriger und panischer Stimme.

Langsam beruhigte ich mich wieder und lockerte meinen Griff, sodass sie zurück weichen und mich besorgt ansehen konnte. Ich seufzte.

„Du warst nicht die Einzige.“, sagte ich mit Schmerz in der Stimme zu ihr.

Bella verstand sofort und ihr Gesicht erbleichte.

Geistermädchen





Edwards POV - Reguläres Universum


(Paralleluniversum)




„Mr. Cullen? Mr. Cullen?!“, hörte ich eine Stimme forsch meinen Namen rufen.

Ich blinzelte ein paar Mal und schaute zu Mr. Banner.

„Wie bitte, was? Verzeihen Sie meine Unaufmerksamkeit. Wie war nochmal die Frage?“

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich sie nicht mitbekommen hatte. Und so etwas passierte ausgerechnet mir, einem Vampir, der außerdem noch Gedanken lesen konnte.

°Was ist in letzter Zeit nur mit ihm los? Er ist doch sonst so ein ausgezeichneter Schüler.°, hörte ich seine Stimme verwirrt und tadelnd.
„Können Sie mir sagen, zu welcher Familie die Linse gehört?“

Ich brauchte nicht seine Gedanken zu lesen, um die Antwort zu wissen. Ich seufzte. Manchmal fragte ich mich, warum ich mir das alles überhaupt antat. Ich wusste so viel mehr, als irgendjemand sonst. Aber das war nun mal ein Teil der ewigen Verdammnis.

„Die Linse ist eine Hülsenfrucht und gehört zu der Familie der Schmetterlingsblütengewächse.“, sagte ich fast gelangweilt.

Mr. Banner nickte. „Machen wir weiter. Mr. Newton. Nennen Sie mir eine Pflanze, die zu der Familie der Korbblütler gehört.“

Ich hörte nicht mehr hin und blendete alles aus. Da spürte ich eine warme weiche Hand, die meine berührte. Sie fühlte sich wie ein warmer Sonnenstrahl an, der auf meiner Hand strahlte. Ich drehte meinen Kopf leicht nach rechts und schaute in das schönste Braun, was die Welt erschaffen hatte. Meine Liebste sah besorgt, ja sogar sehr verhärmt aus, wie so oft in letzter Zeit. Ich spürte einen zarten Druck an meinen Fingern.

„Geht es dir gut?“, fragte sie flüsternd mit ihrer lieblichen Stimme.

Dann verzog sich ihr Mund etwas. Vielleicht fand sie, dies sei eine dumme Frage, war jedoch nicht in der Lage, ihre Sorge mit anderen Worten auszudrücken. Ich drückte ihre Hand leicht. Natürlich machte sie sich Sorgen um mich, wie alle anderen auch. Ich versuchte es immer zu überspielen, jedoch konnte ich niemandem etwas vormachen. Außerdem konnte ich diese mitleidigen Blicke einfach nicht mehr ertragen. Aber wie konnte ich erzürnt darüber sein, wenn mich meine Bella oder ihr Bruder mit ihrem wunderschönen schokoladenbraun so ansahen. Ich seufzte zu leise für Bellas Ohren.

„Solange du bei mir bist, immer.“, schwor ich und schenkte ihr mein schiefes Lächeln, bei dem sie jedes Mal dahin schmolz und ihr Herz in der Brust hämmerte.

Ich wollte sie von ihren Sorgen ablenken, was mir mit dieser Methode oft gelang, jedoch nicht für lange Zeit. Bellas Blick huschte zu Mr. Banner, der nun wieder kurz davor war, nach vorne zu schreiten. Dann sah sie wieder mich an und flüsterte einen Hauch von Worten, die nur ich verstehen konnte.

„Es tut mir so leid und ich liebe dich.“

Wieder lächelte ich, jedoch nicht wie vorhin. Innerlich seufzte ich auf. Bella fühlte sich verantwortlich für meinen jetzigen Zustand, was natürlich blanker Unsinn war. Was konnte sie denn dafür? Wie oft hatte ich Bella versucht zu erklären, dass sie keinerlei Schuld auf sich zu laden brauchte. Aber natürlich waren all meine Erklärungsversuche vergebens gewesen. Bella war nun mal ein Dickkopf und wenn sie von etwas sehr überzeugt war, war es mehr als schwierig, sie umzustimmen.

Mr. Banner war nun wieder vorne an der Tafel und wandte sich der Klasse zu. Bella hatte nun während des Unterrichts kaum eine Gelegenheit, mich besorgt anzusehen. Sie musste sich auf den Unterricht konzentrieren, wofür ich dankbar war. So konnte ich meine Gedanken schweifen lassen und über alles nachdenken, was in den letzten Wochen passiert war.

Nach meinem schrecklichen Alptraum hatte ich mich nur sehr schwer wieder beruhigen können. Aber WIRKLICH beruhigen konnte ich mich einfach nicht. Es fiel mir sehr schwer, ja fast weigerte ich mich, Bella aus meinen Armen zu lassen. Nie wieder wollte ich sie loslassen. Und diesmal, meinte ich es wörtlich. Ich wollte sie keine Millisekunde aus den Augen lassen, umso mehr, da ich ja ihre Gedanken nicht hören konnte. Nicht einmal Fetzen waren in den letzten Tagen zu mir durchgedrungen. Ich wollte sie am liebsten sogar mit ins Bad begleiten, wenn sie auf Toilette gehen oder sich duschen wollte. Doch das konnte ich nun wirklich nicht tun! Auch wenn die Vorstellung, mit ihr zu duschen, mehr als nur verlockend war…

Doch diesen Gedanken hatte ich dann schnell wieder von mir geschoben, da diese Situation meines Erachtens alles andere als spaßig war. Als ich dem rothaarigen Carlisle und allen anderen erzählt hatte, was ich geträumt hatte, sah ich in verwirrte und besorgte Gesichter. Sogar mein Ebenbild zeigte Mitgefühl. Doch die Blicke von den Zwillingen brachten mich fast um. Es war schon schwer genug ein besorgtes schokoladenbraunes Augenpaar ertragen zu müssen. Zwei waren einfach zu viel. Dennoch versuchte ich alles zu über- beziehungsweise herunterzuspielen. Doch der Traum war alles andere als unbedeutend gewesen. Das wussten alle.

„Du hast also in die Vergangenheit gesehen.“, hatte unsere Alice beiläufig gesagt.

Doch auch Neid und Respekt hatte in ihrer Stimme mitgeklungen. Ich hatte genickt und den Traum vor meinen Augen wieder gesehen. Ich war er gewesen. Hatte alles aus seiner Perspektive, mit seinen Augen gesehen. Ich – also dieser Hund – hatte die Mädchen verletzt. „Verletzt“ war mehr als untertrieben. Und dann hatte er sie lebendig verscharrt mit der Kette um den Hals. Als Andy dies gehört hatte, hatte er laut nach Luft geschnappt, seine Augen traten hervor und sein Gesicht wurde mehr als bleich. Ich verstand den Sinn einfach nicht. Warum hatte ich etwas von der Vergangenheit dieses widerwärtigen Hundes geträumt? Sollte ich etwa sehen, was mit den Mädchen passierte, nachdem er ihnen die Kette umgelegt hatte? Wenn ja, warum?

Dann war mir eine mögliche Erklärung eingefallen und mich hatte so ein heftiger Schmerz durchzuckt, der drohte, mein Körper auseinander zu reißen. Ich hatte meine Arme um Bella geschlungen und sie fest an mich gezogen, als sie plötzlich gezappelt und „Au!“, gesagt hatte. Schuld war über mich gekommen, als ich begriffen hatte. Verzweifelt und glücklich hatte ich ihr in die Augen gesehen und meinen Griff etwas gelockert, sodass Bella etwas entspannen konnte. Aber ich konnte Bella einfach nicht loslassen. Nein, nicht nachdem ich diesen Traum gehabt hatte. Denn er hatte mir gezeigt, dass ich Bella, auch diese Bella in meinen Armen, hätte verlieren können, wenn sich nicht ihre Fähigkeit aktiviert, und sie so den Weg in die andere Welt gefunden hätte. Sie wäre genau wie die anderen Mädchen ebenfalls lebendig begraben worden. Wäre an der Erde schließlich erstickt. Diese Vorstellung löste einen so intensiven Schmerz und Zorn in mir aus, dass ich mich darauf musste, nicht loszuschreien. Immer wenn ich daran dachte, zog ich Bella fester an mich, jedes Mal darauf achtend, ihrem menschlichen Körper nicht zu schaden.

„Gut. Ich habe also in die Vergangenheit dieses Monsters gesehen. Aber was soll mir das großartig bringen?“, hatte ich Carlisle verzweifelt gefragt.

„Ich schätze, du musst einfach abwarten, was passiert, mein Junge.“, hatte er etwas beklommen erwidert.

Einfach abwarten und…weiter träumen? Das war sein Vorschlag? Aber andererseits, was hätte er auch anderes sagen können? Ich hatte hilfesuchend zu Andy geschaut, der mir aufmunternd zugenickt hatte. Also musste ich wohl oder übel alles seinen Lauf lassen. Ein Teil von mir, wollte nie wieder so etwas Schreckliches träumen. Aber ein anderer Teil erinnerte mich daran, dass Bella einst gesagt hatte, dass ich nicht ohne Grund schlafen würde. Daran klammerte ich mich. Vielleicht, hatte ich gedacht, musste ich weiter träumen, um mehr zu erfahren. Wichtige Informationen, um diesem Hund das Handwerk zu legen, hatte ich gedacht, würden mir die Träume nacheinander offenbaren. Doch diesen Eindruck hatte ich nicht.

Jede Nacht hatte ich den gleichen Traum, nur, dass es jedes Mal andere Mädchen waren. Am meisten verärgerten mich meine – nein seine Worte, die er immer zum Schluss sagte, als er mit dem Begraben fertig war. Ich erwachte jede Nacht mit einem Schreck und schloss Bella jede Nacht in meine Arme und dankte Gott, oder wem auch immer dafür, dass sie lebte. Mit jedem Tag, der verging, wurden sie und die anderen immer besorgter. Mit der Zeit hatte ich sogar Angst zu schlafen und schämte mich für diese Schwäche. Ja, ich fing sogar leise an zu schluchzen, während Bella einen Arm um mich legte, mir sanft über den Rücken streichelte und mit der anderen Hand tröstend durch mein Haar fuhr, meinen Kopf tätschelte und mit ihren waren weichen Fingern meine Wange berührte, während ich neben ihr lag, den Kopf auf ihrer Brust bettend. Ironie, dachte ich. Nun hatten wir die Rollen getauscht. Irgendwie hasste ich das alles.

Sie tröstete mich.

Es sollte aber anders herum sein. Ich wollte sie trösten. Ich wollte sie beschützen. Es kam noch schlimmer. Sie begann schließlich dann immer jede Nacht ihr Schlaflied für mich zu summen, damit ich zur Ruhe kommen konnte. Da wurde mir bewusst, dass ich sie noch nie singen, geschweige denn summen gehört hatte. Es war wirklich sehr beruhigend für mich. Auch fand ich es im nächsten Moment dann gar nicht so schlimm in ihren Armen zu liegen, während mein Kopf auf ihrer Brust lag. So konnte ich ihren Herzschlag noch deutlicher hören. Das Klopfen ihres Herzens beruhigte mich ebenso. Ich seufzte jede Nacht erleichtert, wenn ich mit ihr in dieser Position auf ihrem Bett lag.

„Danke.“, hatte ich ihr in der Nacht gesagt, als sie zum ersten Mal das Schlaflied für mich summte.

So konnte ich nun glückselig und lächelnd jede Nacht in den Schlaf gleiten. Dafür wachte ich jeden Morgen – manchmal auch mitten in der Nacht – mit Schecken wieder auf, wobei Bella ebenfalls immer wach wurde. Ich hasste mich dafür, da sie den Schlaf viel nötiger hatte, als ich. Denn es hatten sich dadurch Ringe unter ihren Augen gebildet, was sie noch erschöpfter wirken ließ.

Auch wenn ich schlafen konnte, ich war ein Vampir und konnte keine Augenringe bekommen. Aber ich konnte dem Gefühl der Müdigkeit jetzt nicht mehr entkommen. Wenn mein Körper es brauchte, oder für „richtig“ hielt, schlossen sich meine Augen. Wie sehr ich auch hoffte – oder wir alle hofften – änderten sich die Träume nicht und ich wurde immer verzweifelter. Es war grausam, jede Nacht das Gleiche durchleben zu müssen, ohne etwas dagegen tun zu können. Es belastete mich doch inzwischen sehr, doch ich versuchte allen, besonders den Zwillingen, meinen Schmerz nicht zu zeigen. Mit jeder Nacht, die verging, stieg der Hass auf diesen Hund immer weiter an. Erstaunlich, dass ich ihm noch nicht den Kopf abgerissen hatte. Aber er war in Untersuchungshaft hinter Gittern und würde niemandem etwas tun.

Im Moment wenigstens nicht.

Unerwartet sah ich ein kleines Mädchen vor meiner Schulbank stehen. Sie war über und über mit Erde bedeckt, selbst ihr Gesicht. Ihr schönes hellblondes Harr bildete zwei Pferdeschwänze. Um den Hals trug sie eine Kette. Meine Augen weiteten sich und mir stockte der Atem. Sie war es. Das erste Mädchen von dem ich geträumt hatte. Aber sie war tot. Natürlich, dachte ich. Das war ihr Geist. Jetzt wusste ich auch, warum sie so schmutzig war. Außerdem konnte ich ihren Geruch nicht wahrnehmen. Sie sah mich mit einem leeren und doch so wissenden Blick an. Ihre grünen Augen musterten mich. Sie sagte nichts, starrte mich nur an. Ich wollte etwas zu ihr sagen, wusste aber nicht recht was. Dann wurde mir bewusst, dass ich nicht allein war. Ich wollte gerade zu Bella schauen, wollte wissen, ob sie auch das kleine Mädchen sah. Doch da war sie auch schon wieder verschwunden.

Plötzlich wurde mein Gesicht von warmen Händen nach rechts gedreht und warme weiche Lippen berührten meine für einen kurzen Moment, dann verschwanden sie. So wie es schien, hatte Bella das eben Geschehene nicht mitbekommen. Ich beschloss später darüber nachzudenken, warum ich dieses kleine Mädchen gesehen hatte. Jetzt nahm Bella wieder mein ganzes Denken ein. Ich verzog enttäuscht den Mund. Bellas Mundwinkel hoben sich, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.

„Gut. Ich habe also deine Aufmerksamkeit.“ Ich runzelte die Stirn.
„Tja, Mr. Cullen. Es hat bereits geklingelt. Die Biologie-Stunde ist vorbei. Ich habe immer deinen Namen gerufen, nachdem es geklingelt hat, aber du warst noch immer so abwesend, wie in der restlichen Zeit. Also musste ich mir eine andere Methode einfallen lassen, um dich wieder in die Realität zurück zu holen.“

Bella hatte also auch nicht gesehen, wie sich meine Augen geweitet hatten. Gut. Ich wollte sie jetzt damit nicht belasten. Aber später würde ich ihr davon erzählen. Ich lächelte Bella neckend an.

„Diese Methode gefällt ausgesprochen gut. Doch sie ist noch verbesserungswürdig.“

Ihre Augen leuchteten und sie grinste breit. „Ach ja? Wie denn?“, fragte sie überflüssigerweise.

„Ich zeig’s dir.“, erwiderte ich, nahm ihr Gesicht in meine Hände und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss, den sie erwiderte.

Sie schlang ihre Arme um meinen Hals, während unsere Zungen zueinander fanden.

°Oh mein Gott. Man kann es auch übertreiben.°, hörte ich wütend von Mike Newton.

Ich unterdrückte ein Knurren. Ich konnte ihn noch nie leiden. Weder den einen, noch den anderen. Das Schlimme war, dass auch dieser Mike Newton Gefühle der Lust für Bella empfand. Und seine kleinen Fantasien in seinem Kopf machten mich rasend vor Wut. Aber ich wollte schließlich nicht meine Familie und mich gefährden. Es kostete mich meine ganze Selbstbeherrschung, nicht aufzuspringen und diesem Newton das Genick zu brechen. Nun drangen auch Gedanken von anderen Personen in meinem Kopf, die sich über unseren Kuss beschwerten. Seufzend und schweren Herzens beendete ich ihn. Sie machte einen Schmollmund, der mich zum Kichern brachte.

„Komm, meine Geliebte. Du musst zur Turnhalle.“, sagte ich lächelnd zu ihr, nachdem wir unsere Sachen eingepackt und unsere Schultaschen auf unsere Rücken gehievt hatten.

Sie stöhnte, nahm meine Hand aber allzu gerne entgegen. Gemeinsam gingen wir zur Turnhalle. Andy und Elizabeth waren bereits dort und warteten auf uns. Oder besser gesagt, Andy wartete auf seine Schwester. Sie hatten gemeinsam Sport. Wenigstens war einer bei ihr, der sie notfalls vor Mike Newton oder irgendeinem anderen Jungen „schützen“ würde. Jedenfalls hoffte ich das. Bei dem Gedanken, dass er einer seiner Annährungsversuche starten könnte, stieg in mir die Eifersucht und mir entfuhr ein leises Knurren. Aber natürlich würde ihr Bruder sie vor anderen Jungen schützen, wenn dies nötig wäre. Schließlich hatte er auch vor Wut gekocht, wie man so sagt, als er mein Ebenbild dabei ertappt hatte, wie er MEIN Mädchen küsste. Ich war ihm immer noch sehr dankbar dafür. Durch diese Tat, wurde meine Bruderliebe, welche ich für ihn empfand, nur noch stärker. Bella tat so, als hätte sie mein leises Knurren nicht gehört.

°Ach, Edward.°, hörte ich schmunzelnd von meiner Schwester.

Nun waren wir bei den beiden angekommen.

„Na, ihr zwei.“, begrüßte Elizabeth uns.
°Also diese Gefühle, die ich von dir empfange… Es erstaunt mich, dass du ihr noch nicht die Sachen vom Leib gerissen hast.°, hörte ich belustigt in meinem Kopf.

Elizabeth lächelte verschmitzt. Ich sah sie ernst und belustigt zugleich an, während ich die Augen verdrehte. Natürlich verlangte mein Körper nach dem ihren. Aber ich konnte meinen Gefühlen nicht nachgeben. Dann würde ich sie selber töten. Warum sah Elizabeth das nicht ein? Wahrscheinlich dachte sie, ich würde mit so einer Situation zurecht kommen, weil ich Bella im Schlaf nicht erdrückte. Aber diese Sache war etwas gänzlich anderes.

„Man. Ich hasse Sport!“, stöhnte Andy.

„Da bist du nicht der einzige.“, erwiderte Bella ebenfalls stöhnend.

Dann hoben beide jeweils einen Arm hoch und schlugen ihre Handflächen gegeneinander. Elizabeth und ich lachten.

„Wie habt ihr nur 11 Jahre ohne den anderen aushalten können?“, fragte Elizabeth belustigt.

„Das habe ich mich auch schon gefragt.“, antworteten beide prompt aus einem Munde.

Nun lachten wir alle.

„Habt ihr euch zwei schon überlegt, was ihr Weihnachten machen möchtet?“

Meine Schwester hatte Recht. Das Fest der Liebe stand wieder vor der Tür. Ich hatte an so etwas gar nicht mehr gedacht, da meine neue Fähigkeit mich sehr in Anspruch nahm. Beide runzelten die Stirn. Dann hellte sich Bellas Gesicht auf und wandte sich ihrem Bruder zu.

„Ach Schwesterherz, ich weiß nicht recht.“, antwortete er auf eine Frage, die wir nicht hören konnten. Oh, war das ärgerlich!

„Was ist?“, fragte ich neugierig.

Ein spitzbübisches Grinsen huschte über Andys Gesicht, als er die ersten Worte aussprach.

„Deine Verlobte…“ – Bella verzog das Gesicht und stieß ihm leicht verärgert mit ihrem Ellenbogen in seine Rippen, aber er lachte nur – „…hat vorgeschlagen, dass wir Weihnachten bei Renee verbringen könnten. Bei der anderen. Die, die ich noch nicht kenne.“

Bella schaute sich hastig um, wollte sich vergewissern, ob auch niemand das Wort „Verlobte“ gehört hatte. Ich runzelte die Stirn und wollte gerade über ihr Verhalten nachdenken, als mir die Antwort förmlich ins Gesicht geschrien wurde.


°Hoffentlich hat das keiner gehört! Oh Gott. Das wäre einfach zu peinlich, wenn die anderen das wüssten! Ich bin doch erst 18. Ein vernünftiges Mädchen heiratet nicht in diesem Alter, sondern geht zuerst aufs College. Renee hat mir auch immer gesagt, dass ich die Ehe ernst nehmen und nichts überstürzen soll. Sie will, dass ich nicht genau so handle, wie sie damals, auch wenn sie es nie bereut hat, mich zu bekommen. Und das, obwohl sie MICH ja gar nicht bekommen hat. Meine Güte, ist das alles kompliziert. Ich liebe Edward und ich möchte ihn wirklich heiraten, aber ich will keine große Zeremonie haben. Ich würde es lieber still und heimlich machen wollen, ohne dass andere etwas davon mitbekommen. Ich will nicht, dass hinter meinem Rücken über mich getratscht wird und mich die Leute schief anschauen. Aber es würde bestimmt seine Gefühle verletzen. Er wünscht sich bestimmt eine klassische Hochzeit, mit allem, was dazu gehört.°


Ich versuchte meine Gesichtszüge zu kontrollieren, konnte aber nicht verhindern, dass sich meine Augen ganz kurz weiteten. Hatte das Bella mitbekommen? Ich hoffte es nicht. Ich war einfach zu erstaunt darüber, was gerade geschehen war. Ich hatte Bellas Gedanken gehört. Und diesmal nicht nur einen Fetzen. Jetzt, da ich das wusste, konnte ich sie viel besser verstehen. Ich seufzte erleichtert. Sie wollte mich heiraten, machte sich aber Gedanken über andere und über das, was ihr ihre „Mutter“ gesagt hatte. Warum war es ihr nur so wichtig was die anderen Leute dachten? Sollten sie doch reden. Mir war das herzlich egal. Das hatte bestimmt damit etwas zu tun, weil sie bei dieser Hochzeit im Mittelpunkt stehen würde. Was war daran so schlimm? Das würde meine Bella schon überstehen. Aber ich konnte ihre Sicht der Dinge beziehungsweise die ihrer Mutter gut verstehen.

Ja, heutzutage war es nicht üblich dass so junge Frauen gleich nach der Highschool heiraten. Aber in meiner Welt war ich bereits ein Mann. Und hätte ich Bella damals gefunden, dann wäre ich vor ihr niedergekniet und hätte um ihre Hand angehalten, auch wenn ich erst 17 war. Damals, zu meiner Zeit, hätte sich niemand gewundert, wenn man so jung heiratet. Auch vermutete Bella richtig, dass ich mir eine klassische Hochzeit wünschte. Aber ich wollte, dass sie glücklich war. Ich würde mich mit ihr schon irgendwie auf etwas einigen können. Aber ich konnte nicht verhindern, dass ein kleiner Teil in mir verletzt war, dass ich nicht diese Art Hochzeit bekommen würde. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich ein Bild in Bellas Kopf sah.

Sie und ich auf einer Veranda sitzend. Bella im langem Rock, hochgeschlossener Spitzenbluse, die Haare aufgesteckt. Ich in einem schwarzen Anzug.

°Das sind nur Bilder von Ann of Green Gables.°
Bella schüttelte leicht den Kopf.

Dann hörte ich eine andere belustigt klingende Stimme.
°Wo sind wir denn hier? Bei „Bella of Green Gables“? Außerdem, selbst wenn ihr klassisch heiraten würdet, wärt ihr nicht gerade das klassische Paar. Ein Vampir und ein Medium.°, dachte Andy, sein Blick immer noch auf mir ruhend.

Dann sah ich ein Bild in seinem Kopf.

Bella und ich vor dem Altar stehend. Sie in einem wunderschönen weißen Kleid und leicht lockigen Haaren, die wie Seide ihr schönes Gesicht umrahmten. Ich in einem Smoking. Wir hielten einander unsere Hände und strahlten uns an, während sich meine Augenfarbe veränderte. Von Gold zu Schwarz, dann zu Rot, dann zu Smaragdgrün und wieder zurück zu Gold. Mein strahlendes Gesicht änderte sich dabei jedoch nie.

Bei dieser Vorstellung hoben sich leicht seine Mundwinkel. Ich musste mich sehr stark bemühen, meine Haltung beizubehalten, um meine Glückseligkeit nicht nach außen dringen zu lassen. Bella, nachdem sie sich hastig umgeschaut hatte, hatte mir die ganze in die Augen geschaut, während ich die neuen Gedanken las. Im nächsten Moment schickte sie neue Gedanken zu ihrem Bruder hinüber, ohne ihn dabei anzusehen. Ihre Stimme klang fast schon bissig.

°Ach ja, dann schaut euch mal an.°

Andy grinste ganz kurz über diese Bemerkung, schaute seiner Schwester dabei aber nicht in die Augen. Augenblicklich endete die stumme Unterhaltung. Sie endete wirklich, da ich nun nichts mehr hören konnte. Die Verbindung war abgebrochen. Schade und ich dachte wirklich…

„Das ist doch eine tolle Idee. Ich würde sie auch gerne kennen lernen wollen.“, erwiderte meine Schwester ganz begeistert.

Ich lächelte, ebenfalls von Bellas Idee angetan. Ich wollte, dass eine sehr große Distanz zwischen ihr und diesem Hund lag. Phoenix in der anderen Welt? Eine größere Entfernung konnte es wohl kaum geben.

„Aber ist das für euch okay?“, fragte Bella besorgt.

Ich schenkte ihr mein schiefes Lächeln, nahm ihre Hand, führte sie zu meinem Mund und küsste sie. Ich war noch völlig überwältigt, von dem, was ich gerade alles hören dürfte. Bellas Herzschlag setzte kurz aus, dann beschleunigte er sich wieder.

„Solange ihr beide glücklich seid, ist uns alles recht.“, sprach ich zu ihr und empfand so ein Hochgefühl bei den Bildern, die ich gesehen hatte und bei dem Gedanken, dass Bella mich wirklich heiraten wollte.

Dass ich mit ihr noch einen Kompromiss finden musste, konnte meine Stimmung nicht trüben. Allein die Vorstellung, dass sie bald zu MIR gehören würde, machte mich mehr als glücklich.

„Da kann ich meinem Bruder nur zustimmen.“, sagte Elizabeth und fügte in Gedanken hinzu: °Mensch, du strahlst ja so? Woran liegt das nur?°

„Aber vielleicht ist das keine so gute Idee. Wer weiß, wie sie auf mich reagieren wird?“, sagte Andy und seine Stimme bekam einen betrübten Klang.

Bella entzog sich meiner Hand und richtete ihren Blick auf Andy. Sie lächelte ihn aufmunternd an. „Hey, wenn Charlie damit klar kommt, wird auch Renee mit dir zurecht kommen. Sie wird dich lieben. Immerhin liebt sie mich auch. Und du bist ja schließlich ich, oder?“

Er lächelte zurück, sah aber nicht ganz überzeugt aus. Er wechselte das Thema.
„Komm, mein weibliches Ich, unser Lieblingsfach wartet.“, sagte er verachtend und ironisch.

Bella stöhnte. „Bis später.“, sagte sie bedrückt, als sie sich wieder mir zuwandte.

Ich gab ihr einen leidenschaftlichen Abschiedskuss und hob einen ihrer Mundwinkel an. Sie sollte nicht traurig sein. Das stand ihr nicht.

„Bis später.“, murmelte ich ebenso bedrückt wie sie, obwohl ich lächelte.

„Ich wünsch‘ euch viel Spaß.“, sagte Elizabeth aufmunternd zu den beiden, nachdem sie Andy einen Kuss gegeben hat, der alles andere als zart gewesen war.

Er machte einen Schmollmund. „Ich wünschte, du könntest mitkommen.“, erwiderte er sehnsüchtig.

Sie riss die Augen auf und antwortete mit gespielter Entrüstung: „Du willst, dass ich in die Männerumkleide mitkomme? Na, dann können sich ja alle in diesem Raum nur auf eine Sache konzentrieren, die absolut nichts mit Sport zu tun hat.“, endete sie im neckenden Tonfall und zwinkerte ihm zu.

Wie von ihr erwartet, lief Andy rot an und wusste nichts mehr zu sagen. Er drehte sich um und ging in die Turnhalle. Bella sah ihren Bruder hinterher.

„Du kannst es nicht lassen, oder?“, sagte sie verärgert und belustigt zugleich.

Dann drehte sie sich um und verschwand ebenfalls in der Turnhalle, während wir zwei Vampire kicherten.

„Und, warum strahlst du so?“, fragte Elizabeth mich, als die anderen gerade vom Parkplatz mit Rosalies Auto fuhren und wir beide noch auf die Zwillinge warteten.

Ich grinste sie an. Vor der Turnhalle habe ich ihre Gedanken gehört.“

Sie riss die Augen vor Erstaunen auf. „Kannst du sie jetzt ständig hören?“, fragte sie interessiert.

Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Es war wieder nur relativ kurz. Nur vor der Turnhalle konnte ich sie hören, danach nicht mehr.“

Elizabeth sah nachdenklich aus und fragte sich, warum das wohl so war.

Beim Gedanken daran, wie ich durch Angela Webers beziehungsweise Mike Newtons Kopf Bella und Andy beim Sport beobachtet hatte, musste ich grinsen, aber auch ein Knurren unterdrücken.

Andy war, obwohl er kräftiger gebaut war als Bella, erstaunlicherweise auch so ungeschickt wie sie. Naja, vielleicht nicht so extrem. Heute sollten sie Volleyball spielen und Andy hatte es doch tatsächlich geschafft, den Ball mit seinem Aufschlag direkt in Taylor Crowleys Gesicht zu schmettern, der in der gegnerischen Mannschaft spielte. Auch wenn es ein Softball war, ein leichter Abdruck ist dennoch in seinem Gesicht zu erkennen. Andy musste wohl seine ganze Kraft in diesem Schlag gesetzt haben. Er wollte sich beweisen. Das geschah ihm ganz recht. Aber noch schöner wäre es gewesen, wenn er Newton getroffen hätte.

Kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, ist meine Bitte wenige Zeit später erfüllt worden. Bella, die in der anderen Mannschaft mit Newton war, stand während des gesamten Spiels im Hintergrund und niemand spielte den Ball zu ihr, da sie ja auch in dieser Welt inzwischen mit Bellas Ungeschicklichkeit vertraut waren. In Angelas Kopf konnte ich erkennen, dass Bella mehr als glücklich über diese Tatsache war. Ein einziges Mal flog der Ball in Bellas Richtung. Sie versuchte ihn zu einem ihrer Kameraden zu spielen, verlor beim Pritschen das Gleichgewicht und fiel hin, während der Ball das Netz berührte und somit die gegnerische Mannschaft einen Punkt bekam.

Am Ende des Spiels, als einige Schüler beim Abbauen helfen sollten, während die anderen schon gehen und sich umziehen durften, wagte dieser Newton doch tatsächlich meine Bella anzusprechen. So musste ich jetzt in seinem Kopf schauen.

„Das war doch ein gutes Spiel.“, begann er das Gespräch im lockeren Tonfall.

War es nicht. Sie hatten verloren. Dieser Newton war so erbärmlich. Am liebsten wäre ich in die Turnhalle gestürmt. Sie lächelte ihn höflich an. Das war nicht das liebevolle Lächeln, welches sie mir und ihrem Bruder schenkte.

„Sicher.“, antwortete sie leicht ironisch und lachte kurz auf.

°Oh man, wie soll ich es nur sagen?°, hörte ich Mikes Stimme.

Er schien sich mehr als unbehaglich zu fühlen. Bella zog ihre Augenbrauen zusammen, sodass die kleine Falte zum Vorschein kam.

°Oh… Jetzt sag’s einfach!°

„Was ist los?“, fragte Bella ohne Umschweife.

Sie klang vorsichtig, fast so, als wüsste sie schon, was jetzt kommen würde. Newton atmete tief ein und rückte damit heraus.

„Also ich wollte dich fragen, ob du mit mir zum Weihnachts…AU!“

Ein Ball hatte Mike am Kopf getroffen, bevor er seine Frage stellen konnte. Ich hörte von Bella ein erleichtertes Seufzen, während Mike sich seinen Hinterkopf rieb und in die Richtung schaute, aus der der Ball kam.

°War er das etwa?°

Er sah Andy an, der ganz unschuldig tat. Jedoch passte seine Miene nicht zu seinem Tonfall.

„Ach, das tut mir jetzt wirklich leid. Entschuldigung. War ein Versehen.“

Aus jedem seiner Worte war der Sarkasmus herauszuhören. Ich liebte meinen neuen menschlichen Bruder. Er war ein zweites Geschenk Gottes.

°Ja, klar!°, dachte Mike verächtlich.

Noch ehe er etwas erwidern konnte, sprach Bellas Zwillingsbruder weiter.
„Komm Schwester, beeilen wir uns. Unsere Cullens warten auf uns.“

Das Wort „Cullens“ betonte er dabei merkwürdig und grinste Mike schelmisch an.

„Ja, du hast Recht.“, stimmte Bella erleichtert zu, verließ zusammen mit Andy die Turnhalle und ließ einen völlig verdatterten Mike Newton zurück, dem es nicht gelungen war, sie zum Weihnachtsball einzuladen.

Zum Glück. Sowieso hätte Bella seine Einladung abgelehnt. Ich überlegte, ob ich sie fragen sollte, entschied mich aber dagegen, da sie es hasste tanzen zu gehen. Ich dachte kurz an den Frühlingsball im Mai auf der anderen Seite, als ich Bella so in den Armen hielt und sie führte. Es war so ein herrliches Gefühl.

Ich sah, wie die Zwillinge langsam näher kamen. Ich schmunzelte, als ich meine Arme um Bella legte.

„Na, wie war Sport?“, fragte ich unschuldig.

„Jetzt tu doch nicht so.“, tadelte Andy mich, während er in Elizabeths Armen war.
„Du hast wieder zugehört oder zugeschaut.“ Er seufzte.
„Manchmal ist deine Fähigkeit echt lästig.“

Ich wollte gerade etwas erwidern, jedoch wurde er von Elizabeths Lippen beschäftigt. Ich lachte leise und näherte mich Bellas Gesicht, damit unsere Lippen wieder miteinander verschmelzen konnten.


Es war Abend und ich lag wieder in Bellas Armen, während mein Kopf auf ihrer Brust lag. So auf ihrem Bett zu liegen war so ein vollkommener Augenblick, der inzwischen zur Gewohnheit geworden war. Ich schloss die Augen atmete tief ihren Duft ein, während ich ihrem Herzschlag lauschte. Die Stimme meiner Liebsten holte mich aus meiner Wonne des Glücks.

„Edward.“

Wie sehr ich es liebte, wenn sie meinen Namen aussprach.

„Mhh?“

„Machst du dir immer noch Sorgen darüber?“

Ich wusste, was sie meinte und seufzte. „Ja.“, antwortete ich ruhig.

Natürlich machte ich mir Sorgen. Charlie hatte nämlich beim Abendessen seinen Kindern verkündet – wir waren im Wohnzimmer, um nicht „essen“ zu müssen –, dass DNA-Spuren auf Bellas Kette gefunden wurden. Ihre und SEINE. Auch stimmte die DNA auf der Kette mit der von Joshua Uely überein. Natürlich war uns das allen klar. Es war nur eine Formsache. Dann sagte Charlie, dass er einen Gerichtstermin hatte. Alle hielten die Luft an und spannten sich an, Vampire mit eingeschlossen.

„Am 20. Dezember um 10 Uhr.“, hatte Charlie mühsam herausgebracht.

Keinem von uns gefiel das. Aber Charlie wusste, dass das Ganze nur so ein Ende nehmen konnte. Ich bewunderte Charlie dafür, dass er einen Termin noch in diesem Jahr bekommen hatte. Er hatte wohl seinen Einfluss als Polizeipräsident genutzt. Trotzdem gefiel es mir nicht, dass dieser Hund sich mit meiner Bella in einem Raum befinden würde. Elizabeth hatte neben mir kaum hörbar geknurrt. Auch ihr behagte dieser Gedanke nicht.

Ich blinzelte und landete wieder in der Gegenwart.

„Du nicht?“, gab ich zurück.

Ich spürte, wie ihr ganzer Körper sich anspannte. Bella blieb stumm. Doch das war jedoch Antwort genug. Ich hob meinen Kopf und sah ihr in die Augen, während ich mit einer Hand ihre Wange berührte.

„Keine Sorge. Ich bin ja da.“, versuchte ich sie zu beruhigen.

Ich näherte mich ihrem Gesicht und wir küssten uns sanft.

„Noch 8 Tage.“, sagte Bella versonnen und starrte an die Decke.

„Noch 8 Tage.“, stimmte ich zu.


Ich fuhr Auto und es war dunkel. Es nieselte, doch das kümmerte mich nicht. Ich fuhr eine Weile und sah ab und zu in den Rückspiegel meines Wagens. Auf der Rückbank saß ein kleines Mädchen angeschnallt und sah mich mit verängstigtem Blick an. Sie wimmerte leise, war unfähig sich zu bewegen. Dafür stand sie zu sehr unter Schock und hatte zu große Angst. Sie hatte rotoranges schulterlanges glattes Harr und eisblaue Augen.

„Schau mich nicht so an!“, befahl ich wütend, fast schreiend.

Sofort senkte das Mädchen den Blick.

„Ich kann diesen Blick nicht leiden.“, sagte ich etwas ruhiger.

Immer weiter fuhr ich, das Mädchen immer im Blick. Zum Glück traf sie nicht meinen Blick. Ich hasste diese Augen. Irgendwann hielt ich an, parkte ich auf dem schmalen Seitenstreifen und stieg aus. Ich machte den Kofferraum auf und holte meinen Rucksack heraus, indem sich meine Schaufel und mein Spaten befanden. Ich schnallte mir den Rucksack auf dem Rücken und machte den Kofferraum wieder zu. Dann machte ich die hintere Tür auf und löste den Gurt des Mädchens, das vermied mich anzusehen.

„Sieh mich an.“, sagte ich ruhig.

Sie reagierte nicht.

„Sieh mich an!“, forderte ich nun wütend.

Ängstlich hob sie ihren Kopf und sah mir tränenüberströmt ins Gesicht.

„Du kommst jetzt mit und wehe ich höre auch nur einen Mucks von dir.“, mahnte ich sie.

Sie riss die Augen vor Schreck auf, wusste, dass jetzt nichts Gutes passieren würde.

„Nein!“, schrie sie verzweifelt.

Ich packte sie am Arm und zerrte sie aus dem Wagen.


Ich schrak hoch ohne schreien, schnappte aber nach Luft, obwohl ich nicht zu atmen brauchte. Durch diese Bewegung fiel Bellas Arm, den sie um mich geschlungen hatte, von meinem Körper. Dieser Traum war anders gewesen. Ich hatte gesehen, wo er die Mädchen hinbrachte. Naja, nicht wirklich. Aber dieser Ort, an dem ich – nein er – geparkt hatte, kam mir etwas bekannt vor. Ich hatte es durch seine Augen gesehen, daher war das Bild für mich ziemlich undeutlich und verschwommen. Wie konnte er sich dann nachts zurecht finden? Entweder benutzte er noch eine Taschenlampe und ich war nur zu früh aufgewacht oder er fand den Weg bereits im „Schlaf“. Aber warum hatte sich der Traum jetzt verändert? Bella war leider durch meine Reaktion ebenfalls erwacht und mich besorgt an.

„Edward, geht es dir gut?“, fragte sie mitfühlend.

Ich atmete tief ein. „Ja, es ist nur…“

Plötzlich spürte ich ein Windhauch und sah zum Fenster. Dort stand das kleine Mädchen, welches ich heute in der Schule gesehen hatte. Bella folgte meinem Blick und stieß einen Schreckenslaut aus.

„Wer ist das?“, fragte sie, den Blick immer noch auf das Mädchen geheftet.

„Sein erstes Opfer, wie ich vermute.“, flüsterte ich Bella zu.

Der Blick des Mädchens war nicht leer wie vor wenigen Stunden. Nein, diesmal erwartungsvoll. Dennoch wirkten sie matt. Was wollte sie? Ich versuchte ihre Gedanken zu lesen, hörte aber nur bruchstückhaft etwas. Und es war viel zu leise, als alle anderen Gedanken, die ich jemals gehört hatte. Es erstaunte mich, dass ich überhaupt etwas von einer toten Person hören konnte.

°Zeit…gekommen…ist…soweit°

Ich runzelte die Stirn. Auch Bella sah verwirrt aus.

„Was möchtest du?“, fragte Bella freundlich, nachdem sie sich wieder im Griff hatte.
Sie versuchte das Mädchen anzulächeln.

„Seid ihr bereit?“, fragte sie mit ihrer kindlichen Stimme, die aber nach viel Erfahrung klang.

Merkwürdig.

„Wofür?“, fragte ich.

In ihren Gedanken konnte ich nichts Brauchbares lesen. „Die Wahrheit soll ans Licht kommen.“, sagte sie rätselhaft.

Waren alle Geister so? Es schien dem Mädchen wirklich sehr wichtig zu sein, dass wir ihr folgen sollten. Plötzlich verschwand sie wieder.

„Komm.“, sagte Bella mit ernster Stimme.

Wir standen auf und zogen unsere Sachen an.

„Und nun?“

„Aus dem Fenster.“, antwortete sie mir.

Ich hob sie hoch, nahm sie in meine Arme und wollte gerade zum Fenster schreiten, als ich inne hielt.

„Was ist?“, fragte Bella verwirrt.

„Dein Bruder möchte auch mitkommen. Er macht sich gerade fertig.“

„Mhh.“, machte Bella nachdenklich.
„Wahrscheinlich hat das Mädchen auch ihn gebeten mitzukommen.“

„Wahrscheinlich", stimmte ich zu.

Ich beugte mich zu ihrem Kopf hinab und küsste ihre Lippen zärtlich. Sie erwiderte meinen Kuss und schlang ihre Arme um meinen Hals.

„Wir können los.“, sagte ich zu ihr nach einiger Zeit etwas außer Atem.

Sie verstärkte ihren Griff um meinen Nacken und ich sprang geschmeidig durch das geöffnete Fenster und setzte leise auf dem Gras auf. Neben mir stand Elizabeth, die Andy gerade hinunter ließ, damit er wieder stehen konnte. Er trug eine dicke Jacke und warf mir nun eine zu, die für Bella bestimmt war. Schließlich war es Nacht uns eiskalt. Jedenfalls für Menschen. Ich stellte Bella auf die Füße und half ihr in die Jacke.

„Und jetzt?“, fragte Elizabeth verwirrt.

Da erschien wieder das blonde kleine Mädchen vor uns. Aber nur drei von uns konnten sie sehen. Elizabeth schaute in dieselbe Richtung und zog die Augenbrauen zusammen.

°Ich will sie auch sehen.°, hörte ich von ihr.

„Kommt.“, sagte das Mädchen mit seiner hellen Kinderstimme.

„Ihr nach.“, antwortete Andy auf Elizabeths Frage.

°Toll, wie denn? Ich kann sie ja nicht sehen.°

„Ich werde voran gehen und du folgst mir einfach.“, erklärte ich und Elizabeth nickte.

Die Zwillinge kletterten auf unsere Rücken, schlangen ihre Beine um unsere Hüften und schlangen ihre Arme um unsere Hälse. Dann rannte ich los. Ich rannte voraus und sah immer das Mädchen vor mir. Sie starrte mich wieder mit diesem leeren und gleichzeitig wissenden Blick an. Es wirkte so, als würde ich sie niemals einholen. Der Abstand zwischen uns schien sich keinen Millimeter zu verringern. Es kam mir so vor, als konnte ich ihre „Bewegungen“ selbst mit meinen scharfen Augen nicht wahrnehmen. Naja, sie war schließlich ein Geist. Ich konzentrierte mich ganz auf sie und ließ mich von ihr führen. Mein Blick ruhte nur auf ihr, während ich meiner Umgebung, die an mir vorbeiflog, keinerlei Beachtung schenkte.

°Diesen Weg kenne ich doch.°, hörte ich Elizabeth denken, achtete jedoch nicht weiter darauf.

Dann wurde der Abstand zwischen mir und dem Mädchen immer kleiner und ich hielt an, als ich wieder direkt vor ihr stand. Hier musste es wohl sein, dachte ich und schaute mich um. Als ich wusste, wo wir waren, erstarrten Elizabeth und ich. Wir waren auf der Lichtung. Auf unserer Lichtung. Nur war es ja hier eine andere, obwohl sie genau gleich aussah. Die Zwillinge öffneten die Augen, als sie merkten, dass der Lauf vorüber war und kletterten vorsichtig ohne Hilfe hinunter. Dann sahen sie sich ebenfalls um.

„Oh mein Gott, ist das nicht…?“, sagte Andy.

„Ja.“, antwortete Bella erstaunlich gelassen.

Hier sollte eine Leiche vergraben sein? Warum ausgerechnet hier? Da fiel mir ein, dass ich mit Bella in der ganzen Zeit, während wir beide hier waren, noch kein einziges Mal zu dieser Lichtung gegangen bin.

°Hier soll das sein?° Elizabeths Stimme klang nicht überzeugt.
„Sind wir hier richtig?“

„Sie hat uns hierher geführt.“ Meine Stimme wurde tonlos.

Warum musste dieser Bastard ausgerechnet diesen Ort für seine schrecklichen Taten verwenden? Ein Teil von mir wollte das immer noch nicht begreifen.

„Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Bella das kleine Mädchen mit zittriger wackliger Stimme.

Anscheinend konnte sie es auch nur sehr schwer akzeptieren, dass „unser Ort“ geschändet wurde. Etwas war merkwürdig. Wenn hier wirklich eine Leiche vergraben war, warum konnte ich das nicht riechen? Vielleicht lag es an dem Regen, der den Geruch weggespült hatte. Oder vielleicht überdeckte der Geruch von nasser feuchter Erde den Geruch von toten Menschen. Ich atmete nochmal tief ein, versuchte meinen Geruchssinn weiter auszudehnen. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nichts Ungewöhnliches riechen.

Wir alle (Elizabeth ausgenommen) sahen das Mädchen erwartungsvoll an. Ich betete inständig, dass sie den Kopf schütteln wurde. Doch zu unser aller Bedauern nickte sie.

Auf einmal veränderte sich die ganze Szene.

Im nächsten Moment standen überall auf der Lichtung die Geister der Mädchen verteilt, die er missbraucht hatte. Alle waren überall mit feuchter und trockener Erde bedeckt und alle trugen diese Kette. Ihre Blicke waren leer und ausdruckslos. Sie alle starrten uns an. Ich erkannte die Mädchen wieder, die ich in meinen Träumen gesehen hatte. Es standen aber noch einige auf der Lichtung, die ich nicht kannte. Ich ließ meinen Blick über die gesamte Lichtung schweifen. Bella und Andy taten es mir gleich. Es waren 33 Geistermädchen auf der Lichtung.

Andys Blut wich aus seinen Wangen und ich hörte, wie sich seine Muskeln anspannten und sein Magen verkrampfte. Sein Herzschlag setzte aus und schlug dann im nächsten Augenblick mit doppelter Geschwindigkeit. Er bemühte sich zu atmen. Dann sank er auf die Knie und es schien, als müsse er sich übergeben. Die Hände stützte er auf dem Boden, als wolle er Halt suchen. Sofort eilten wir zu ihm. Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn leicht.

„Andy, was hast du?“

Was für eine dumme Frage. Aber was Besseres fiel mir in diesem Moment nicht ein.

„Ich verstehe jetzt alles.“, brachte er flüsternd und mühsam heraus.

„Was meinst du?“, fragte seine Geliebte neben mir sorgenvoll, fast panisch.

„Die Mädchen stehen alle verteilt auf der Lichtung. Ihre Standorte scheinen aber nicht willkürlich zu sein. Und mir ist klar geworden warum. Ich weiß es einfach.“

„Was weißt du?“, fragte Bella ebenfalls sehr besorgt.

„Sie…stehen direkt…über ihren…Gräbern.“, raunte er mit schmerzvoller Stimme.

Sein Magen zog sich weiterhin zusammen. Bella erbleichte und Elizabeths Gedanken überschlugen sich vor Angst. Seine Reaktion war nur allzu verständlich. Er könnte es nicht ertragen auf einem (improvisierten) Friedhof zu sein, wo Menschen lebendig verscharrt worden waren. Nur, dass es bei diesen Opfern keinen Hohlraum, keine Holzkiste gab. Sie wurden eiskalt direkt unter der Erde begraben. Sie hatten keine begrenzte Luft zum Atmen gehabt wie er.

Dann hörte ich seine Gedanken klar und deutlich, als wäre der Schutzschild weg.

°Ich halte das nicht aus. Ich dachte ich würde es schaffen. Für meine Schwester. Aber ich halte es hier keine Minute länger hier aus. Ich will nach Hause. Nach Hause zu Mum.°, dachte er verzweifelt.

Im nächsten Moment schien es, als würde Andy „flackern“. Oh nein! Ich wusste, was das bedeutete. Ich wollte noch etwas sagen, bevor es geschah, aber dafür ging es viel zu schnell.


(Reguläres Universum)



Plötzlich befanden Andy und ich uns woanders. Ich sah mich um und fluchte innerlich über diese Situation, während meine Hände immer noch auf seinen Schultern lagen. Ich erblickte ein großes Bett, indem 2 Personen schliefen. Ein Mann und eine Frau. Ich erstarrte, als ich die Frau erkannte.

Es war Renee Dwyer, Bellas Mutter.

Dann musste der Mann neben ihr Phil Dwyer sein, den ich nun zum ersten Mal sah. Er lag hinter ihr und hatte einen Arm um sie geschlungen. Ich schaute auf den Wecker, der auf einem Nachttisch stand, der sich neben Renees Bett befand.

Es war 2. 50 Uhr.

Draußen war es noch dunkel aber bald würde auch hier die Sonne aufgehen. Und ich konnte hier nicht bleiben. Sonst würde ich unsere Existenz offenbaren. Das wäre zu gefährlich.

„Mist!“, zischte ich leise.

Nun hob Andy den Kopf und sah sich ebenfalls um.

„Oh oh!“, machte er leise, als er realisiert hatte, was passiert war. Er sah mich entschuldigend an.

Ich seufzte. „Na, da hast du ja erreicht was du wolltest.“, flüsterte ich leicht wütend.

Er riss die Augen auf. „Hast du etwa gerade meine Gedanken gelesen?“

Ich nickte. „Du hast dir gewünscht, bei deiner Mum zu sein, und jetzt bist du ja bei Renee. Nur nicht bei deiner.“

„Durch meine Panik habe ich wohl ausversehen den Ort gewechselt.“, sagte er leise und beschämt.

Den Ort gewechselt? Das war nur die halbe Wahrheit. Er hatte gleich die Welt gewechselt.

„Und jetzt?“, fragte Andy fast hilflos immer noch leise, um die zwei nicht aufzuwecken.

„Du musst uns wieder zurück bringen.“, bat ich.

Er verzog das Gesicht, seufzte und nahm meine Hände in seine. Andy schloss die Augen, sammelte sich, versuchte sich zu konzentrieren. Er zog die Augenbrauen zusammen und machte ein verkniffenes Gesicht. Nach 20 Sekunden schlug er die Augen wieder auf. Betrübt und verzweifelt sah er mich an.

„Es klappt nicht.“

Na großartig. Was sollten wir jetzt tun? Wo sollten wir jetzt hin?

„Ihr sollt noch nicht wieder gehen.“, hörten wir eine Stimme laut und deutlich neben uns.

Hier war noch einer im Raum? Warum hatte ich das nicht bemerkt? Und warum sprach diese Person nicht leise? Wollte sie etwa, dass Renee und Phil aufwachten? Andy und ich drehten unsere Köpfe und sahen in das Gesicht der 6-jährigen Bella, die ich schon kannte. Ein kleines Lächeln erhellte ihr Gesicht.

Andy holte vor Überraschung tief Luft. „BELLA!“, rief er laut aus und durchbrach somit die Stille.

Renee und Phil konnten natürlich den Geist Bellas nicht hören. Ich hielt Andy schnell eine Hand vor dem Mund und sah zum Bett hinüber. Ein Glück. Sie regten sich nur kurz, waren aber nicht aufgewacht. Ich nahm meine Hand wieder weg.

„Was machst du denn hier?“, fragte er jetzt wieder im Flüsterton.

Bella schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wichtig. Wichtiger ist, das ihr jetzt hierbleibt.“, sagte sie ernst.

„Aber warum?“, fragte ich mit leiser Samtstimme.

Ihre kindlichen schokoladenbraunen Augen taxierten mich kurz. Dann hoben sich leicht ihre Mundwinkel. Sie sah so niedlich aus. Mein kleiner Engel. Ein Schmerz durchfuhr meinen Körper. Warum musste sie nur so früh sterben? Was war das überhaupt für ein Gott?

„Das werdet ihr noch erfahren.“, antwortete sie mir rätselhaft und war im nächsten Moment wieder fort.

Plötzlich klingelte ein Handy laut in Andys Hosentasche. Wir zuckten zusammen. Er verzog das Gesicht und versuchte, das Handy schnell aus der Hosentasche zu bekommen, um das Gespräch anzunehmen. Panisch schaute er wie ich zum Bett, während er das Handy heraus holte, es aufklappte und sich ans Ohr hielt. Erstaunlicherweise waren die beiden von dem Klingeln nicht aufgewacht. Doch das konnte sich ja noch ändern, was wir nicht hofften.

Ankunft in Jacksonville




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)





„Hallo?“, flüsterte Andy ins Telefon.

„Andrew, wo steckst du gerade?“, kam eine etwas laute Gegenfrage meiner Schwester.

Ihre Stimme klang wütend und besorgt. Wenn er sich in einer ernsteren Situation wie jetzt befand, benutzte sie immer seinen vollen Namen. Panisch wanderte sein Blick wieder zum Bett, während er weiter sprach.

„Pssst! Sprich leiser!“, forderte er flüsternd.

Mein Blick war ständig aufs Bett geheftet, während ich dem Gespräch lauschte. Die Dwyers schliefen immer noch. Ich hörte ein Seufzen.

„Was? Warum? Und warum flüsterst du? Und was ist mit Edward?“, verlangte sie raunend zu wissen, schlug nun aber einen etwas freundlicheren Ton an, da sie jetzt wusste, dass es ihm gut ging.

Andy seufzte. „Durch meine Panik habe ich automatisch einen Übergang ausgelöst und weil Edward meine Schultern in diesem Moment berührt hatte, ist er mit mir rüber gewechselt.“, erklärte er ihr.

„Und wo seid ihr jetzt? Auf der Lichtung?“

Andy kicherte leise. „Ganz falsch. Wir befinden uns gerade im Schlafzimmer von der anderen Renee und dem anderen Phil.“

Daraufhin folgte eine kurze Stille.

Dann hörte ich, wie der Hörer seinen Besitzer wechselte. Nun sprach meine Bella.
„Was? Du bist wirklich bei Mum?!“, fragte sie verblüfft.

Andy nickte, obwohl die beiden das ja nicht sehen konnten.
„Ja.“

„Ist ja jetzt auch egal. Kommt doch einfach wieder zurück.“, bat sie und ich konnte die Sehnsucht und Sorge in ihrer Stimme hören.

„Das würden wir ja gern. Aber du lässt uns nicht.“

„Was soll das heißen: ‚Ich lasse euch nicht?'“, wollte sie wissen.

„Dein anderes 6-jähriges Ich kam zu uns und sagte, wir sollen noch hierbleiben. Und deshalb funktioniert meine Fähigkeit nicht.“

Wieder Stille.

„Dann kommen wir eben zu euch.“, mischte sich Elizabeth wieder ein.

„Auf kein Fall!“, widersprach er ihr, wobei seine Stimme etwas höher und ein kleines bisschen lauter wurde.
„Ihr bleibt auf der anderen Seite bleiben und…die andere Sache zu Ende bringen.“

Ich zog meine Augenbrauen zusammen bei dieser Antwort.

„Alles klar.“, erwiderte Bella am anderem Ende nach kurzen Zögern.

„Aber wie?“, fragte Elizabeth jetzt an Bella gewandt.

„Das kriegen wir schon hin.“, versicherte Bella ihr.

„Also, ich hoffe, dass ihr bald wieder zurück kommt.“
So wie Elizabeth diese Worte aussprach, klangen sie wie eine Drohung.
In Wirklichkeit bedeuteten die Worte: „Und wehe ihr erscheint nicht zum Gerichtstermin!“

Natürlich wollte ich dabei sein, genau wie mein Bruder. Doch zuerst mussten wir hier noch etwas erledigen. Was immer das auch war.

„Sicher.“, antworte Andy.  

„Wir vermissen euch?“, verkündete meine Schwester mit flüsternder bedrückter Samtstimme.

Andy sah mich bedeutungsvoll an. „Wir euch auch.“

Dann klappte er das Handy zu und steckte es sich wieder in die Hosentasche.

„Was sollen wir jetzt machen?“, fragte ich Andy hilflos.

Er zog die Augenbrauen zusammen, während er darüber nachdachte und biss sich auf die Unterlippe.

„Wir übernachten hier im Haus und werden den beiden am nächsten Morgen alles erzählen.“
Andy seufzte.
„Oh ja, darauf freue ich mich schon.“, raunte er sarkastisch.

Ich wollte ihm gerade sagen, dass er sich darüber keine Sorgen zu machen brauchte. Dass Renee ihn trotzdem lieben würde, auch wenn er zuerst ein Fremder für sie wäre. Ich beließ es jedoch dabei und fragte etwas anderes.

„Und wo sollen wir übernachten?“

Andy runzelte die Stirn. „Vielleicht in Bellas Zimmer? Im Wohnzimmer zu schlafen wäre keine gute Idee. Dann sehen sie ja uns sofort.“

„Guter Einwand.“, gab ich zu.

„Na dann führe mich mal. Du kannst doch bestimmt ihren Geruch wahrnehmen. Ich kann eh kaum was erkennen.“

Ich grinste selbstbewusst. In Wahrheit jedoch konnte ich Bellla überhaupt nicht in diesem Haus riechen. Wie auch? Sie war noch nie hier in Jacksonville bei Renee gewesen. Sie hatte es ja damals wegen mir abgelehnt. Diese kleine Tatsache musste Andy wohl entfallen sein.

Aber ich hatte eine Idee, um in Bellas Zimmer zu gelangen. Ich würde einfach der schwächsten, kaum vorhandenen Spur von Renees Geruch in diesem Haus folgen. Ich nahm an, dass sie Bellas Raum so wenig wie möglich oder sogar nie betreten hatte, da es keinen Grund gab.

Wir standen leise auf und ich ging voran zur Tür und öffnete sie so leise wie nur möglich. Ein leises Quietschen ertönte. Erschrocken sahen wir wieder zum Bett, doch zu unserem Glück blieb die Atmung der beiden gleichmäßig und ihre Augen geschlossen.

Wir verließen „auf Zehenspitzen“ das Schlafzimmer und als Andy und ich auf dem Flur waren, griff ich nach der Türklinke, drückte sie herunter und zog die Tür wieder leise heran. Andy seufzte leise vor Erleichterung. Ich ging den Flur weiter nach rechts und folgte der immer schwächer werdenden Spur. Wären wir nach links gegangen, würden wir zu einer Treppen gelangen, die in das Erdgeschoss des Hauses führte. An der nächsten Tür auf der linken Seite machte ich Halt und öffnete diese Tür ebenfalls leise. Dann traten wir ein und ich schloss die Tür wieder. Andy schaute sich um, aber ich bezweifelte, dass er überhaupt etwas erkennen würde. Für seine Augen war es noch nicht hell genug. Ich konnte alles gestochen scharf sehen.

Im Raum stand links von der Tür ein Schrank, an der hintersten rechten Ecke der Wand uns gegenüber lehnte ein Bett, welches beinahe 4/5 von der Breite der rechten Wand einnahm. Direkt der Tür gegenüber stand ein Schreibtisch mit Stuhl, darüber befand sich ein Fenster. Das Zimmer war mit einem Teppich ausgelegt, der die Farbe von blauviolett hatte. Und die Wände waren mit einer hellvioletten Tapete versehen, auf der ein Blumen-Ranken-Muster eingestanzt war. Ich erblickte den Lichtschalter und betätigte ihn. Sofort wurde der Raum von Licht erfüllt. Andy kniff die Augen fest zu und hielt eine Hand vor ihnen. Oh, das war etwas unüberlegt. Aber schließlich musste er doch sehen, wo sich das Bett befand.

„Oh! Bist du wahnsinnig?!“, fauchte er mich zurecht an.

Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und jetzt mussten sie sich erst wieder umstellen.

„Tut mir leid, aber schließlich musst du doch sehen, wo du schlafen wirst. Du sollst ja hier nicht im Dunkeln ewig rumtasten müssen.“, erklärte ich ihm.

Andy nahm die Hand von seinen Augen und versuchte langsam erst das eine, dann das andere Augenlied aufzuschlagen.

„Trotzdem hättest du mich vorwarnen können! Meine Augen sind nicht so perfekt wie deine!“, maulte er.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit und er sah sich Bellas Zimmer jetzt richtig an.

Nach ein paar Sekunden Stille sagte er zu mir: „Und wo schläfst du?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Auf dem Boden.“, antwortete ich trocken.

„Wenn du meinst?“, fragte Andy unsicher.

Ich nickte. Er ging auf das Bett – Bellas Bett – zu und legte sich hinein. Ich löschte darauf das Licht und lag im nächsten Moment schon auf dem Boden neben dem Bett.

„Ist das nicht unbequem?“, wollte er wissen.

Ich lachte leise. Ich war mir sicher, dass Andy sogar auf dem Boden schlafen würde, nur damit ich es bequemer hätte. So selbstlos. Ein wie ich fand guter Charakterzug, den die meisten Menschen heutzutage nicht mehr besaßen. Bei den Zwillingen war dieses Merkmal aber wieder zu stark ausgeprägt.

„Schlaf gut.“, beendete ich das Thema.

Und tatsächlich hörte er auf mich. Er seufzte und nach wenigen Minuten wurde seine Atmung ruhig und gleichmäßig. Sicher war er aber noch nicht eingeschlafen. Ich schloss meine Augen und lauschte seinem Herzschlag. Ich wusste, dass es eigenartig war. Aber ich hatte den Eindruck, dass sein Herzschlag genauso klang wie ihrer. Oder das gaukelte mir nur mein feines Gehör vor lauter Sehnsucht vor. Konnte man überhaupt die Herzschläge unterscheiden und sie der jeweiligen Person zuordnen? Was machten unsere Frauen wohl gerade? Bei den Worten „unsere Frauen“ schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen.

Waren sie immer noch auf dem Friedhof? Wenn ja, was taten sie dort? Wie sollte es jetzt weiter gehen, nachdem wir dort die Leichen seiner Opfer entdeckt hatten? Ging es Bella gut? Vermisste sie mich? Ich tat es mit jeder Faser meines steinharten toten Körpers. Selbst mein totes Herz schien sich vor Sehnsucht nach ihr schmerzhaft zu verkrampfen. Ich tröstete mich damit, dass wir, sobald wir hier das erledigt hatten, was immer es auch war, wieder zueinander finden würden. Und dann würde ich meine Bella wieder in meine Arme schließen und meine Lippen ewig mit dem ihren verschmelzen lassen. Ich sah vor meinem inneren Auge ihre wunderschöne elfenbeinblasse Haut, ihre wunderschönen schokoladenbraunen Augen, die voller Liebe und Erwartung leuchteten. Auch sah ich ihre wunderschönen rosa Lippen, die sich zu einem liebevollen Lächeln verzogen.

Im nächsten Moment – so kam es mir jedenfalls vor – wurde mein Körper leicht geschüttelt. Ich schlug die Augen auf und schaute in Andys Gesicht, der amüsiert dreinblickte. Mir wurde bewusst, dass ich traumlos geschlafen hatte. Erstaunlicherweise war das Segen für mich, vor allem deshalb, weil ich seit langer Zeit keinem Alptraum mehr gehabt hatte. Ich sah, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand und das Zimmer von hell gleisendem Tageslicht durchströmt wurde. Vor dem Fenster hing nur eine blassblaue Gardine. Die Jalousie zum Abdunkeln war hochgezogen. Andy lag nicht mehr im Bett, sondern saß mit den Knien auf dem Boden neben mir.

„Guten Morgen“, murmelte ich schlaftrunken, aber dennoch mit klarer Samtstimme.

Auch wenn ich schlafen konnte, klang meine Stimme nie kratzig nach der Nacht, wie bei einem Menschen. Ich hörte unten Geräusche. Klapperndes Geschirr und die Stimmen von Renee und Phil. Sie waren also unten in der Küche.

„Wie spät ist es?“

„Halb 10“, antwortete er mir.

Immer noch schaute er amüsiert, aber ebenfalls lächelte er verschmitzt. Warum?

„Was guckst du so?“

Um seine Mundwinkel zuckte es leicht. Andy antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf. Dann wurde seine Miene ernst und er seufzte.

„Dann los.“, sagte er stöhnend und hoffnungslos.

Jetzt lächelte ich ihn ermutigend an. „Das wird schon.“, versicherte ich ihm und stand auf.

Ich half Andy hoch. Er schaute mich fasziniert an und konnte sein Blick nicht mehr von meinem Gesicht wenden. Die durch die Fensterscheibe gelangten Sonnenstrahlen brachen sich auf meiner Haut und ich funkelte. Jedoch etwas schwächer, als wenn ich direkt in der Sonne stehen würde, aber für Menschen noch deutlich zu erkennen. Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Jetzt erzähl mir nicht, dass du das zum ersten Mal siehst?“, fragte ich sarkastisch.

Er blinzelte entgeistert und schüttelte den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Aber dieser Anblick ist einfach…Ach, wunderschön wäre untertrieben.“, sagte er ganz hingerissen.

Ich grinste ich ihn an und offenbarte meine scharfen Zähne.
„Tja, wir Vampire wirken eben sehr attraktiv auf unsere Beute. Aber das weißt du ja.“

Er schnaubte. Meine Miene wurde ernst. „Das wird noch ein Problem werden.“, sagte ich resigniert.

Als Reaktion darauf erschein wieder das verschmitzte Lächeln auf sein Gesicht. Ich zog die Augenbrauen zusammen und fragte mich, was das sollte. Jedoch würde ich darauf keine Antwort erhalten. Und im Moment konnte ich seine Gedanken nicht lesen. Furchtbar war das!

„Dann halte dich möglichst im Haus vor den Sonnenstrahlen fern, damit du nicht zu sehr auffällst.“, riet er mir, immer noch auf diese Weise lächelnd.

Ich wusste, dass er mir etwas verheimlichte. Aber was war das nur? Diese Unwissenheit brachte mich an den Rand meines Verstandes und würde mich noch in den Wahnsinn treiben. Ja, zwei Schutzschilde waren tausendmal schlimmer, als einer. Aber der genügte mir auch schon.

„Ich werde deinen Rat beherzigen.“, sagte ich höflich.

Andy atmete tief ein und schloss kurz die Augen. „Also auf ins Gefecht.“, stöhnte er, bevor er sich der Zimmertür zuwandte.

Ich konnte hören, Andy eigentlich langsam auch, dass sich Renee und Phil über sein Baseball-Team und dessen Training unterhielten. Langsam verließen wir den Flur und gingen die Treppe hinunter. Augenblicklich verstummte ihre laute Unterhaltung, als sie unsere Schritte vernahmen.

°Da kommt wer!°, hörte ich Phil denken.

°Oh mein Gott, Einbrecher sind im Haus.°, dachte Renee panisch.

Phil stellte sich schützend vor Renee und hielt einen Baseballschläger in der Hand, bereit zum Ausholen. Wäre die Situation nicht so „ernst“ gewesen, hätte ich gekichert. Ihre Körper waren vor Angst angespannt und ihre Blicke auf den Türbogen geheftet, den wir gleich erreichen würden, um in die Küche zu gelangen.

°Was wollen die hier? Es scheinen mehrere zu sein. Vielleicht zwei oder drei. Egal. Ich schlage sie windelweich!°, dachte Phil.

Erneut musste ich ein Lachen unterdrücken. Die Vorstellung, dass er mit einem Baseballschläger auf mich einschlagen würde, war einfach amüsant. Dabei würde der Schläger in tausend Stücke zerspringen und Phil würde sich etwas zerren oder sogar brechen. Andy und ich waren nun am Torbogen angelangt und betraten zaghaft – naja Andy tat dies – die Küche. In der Küche fielen kaum Sonnenstrahlen hinein. Das war gut. So musste ich mich nicht „merkwürdig“ gegenüber den beiden benehmen und nicht-sonnige Plätze in der Küche aufsuchen.

Als Renee und Phil uns erblickten, veränderte sich augenblicklich deren Mimik und in ihrem Köpfen herrschte ein wildes Durcheinander. Phils wütender, gespannter und Renees ängstlicher Gesichtsausdruck verschwanden und verwandelten sich in Unglaube, Zweifel und Verwirrung. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie uns – vor allem Andy – geschockt an.

°Bella?!°, dachten beide.

°Nein, das ist nicht Bella. Das ist ja ein Mann. Aber er sieht genauso aus wie sie. Wie ist das möglich? Hat Bella etwa einen…Zwillingsbruder? Warum hat mir Renee nie davon erzählt? Ich verstehe gar nichts mehr. Und wer ist dieser andere junge Mann? Diese Haarfarbe, diese sehr blasse Haut und diese komische Augenfarbe? Ist das etwa dieser Edward, der Bella verlassen hat?°, drang Phils Stimme in mein Kopf.

Diese Worte versetzten meinem Herzen einen Stich und ich versuchte, mir meinen Schmerz nicht anmerken zu lassen.

°Bella?! Nein, das ist sie nicht. Dieser ist ein Junge und er ist größer als sie. Aber ansonsten gleicht er ihr bis aufs Haar. Das gleiche Gesicht, der gleiche elfenbeinfarbene Hautton, die gleichen braunen Augen. Er sieht wie meine Tochter aus! Wie kann das sein? So etwas gibt es doch nicht? Das kann nur eines bedeuten. Aber…? Nein, unmöglich! Und was, wenn…?°



Dann strömten Bilder in meinen Kopf. Renee erinnerte sich an etwas.

Ich sah Bella, meine Bella, wie sie verstört auf dem Bett in ihrem Zimmer saß. Die Knie angewinkelt, die Arme um sie geschlungen, um sie näher an ihrem Körper zu pressen. Sie schaukelte sich selbst hin und her. Ihr Blick war verwirrt und verzweifelt. Sie weinte zwar nicht, doch konnte man ihr ansehen, dass sie in letzter Zeit viele Tränen vergossen hatte. Um den Hals trug sie eine Kette. Sie sah nicht verwahrlost aus und trug ein sauberes hellgrünes Kleid, das für ihren Körper bald zu klein erschien. Renee trat ins Zimmer und setzte sich aufs Bett. Mit Mühe hielt sie die Tränen zurück, die in ihr aufstiegen.

°Sie ist es wirklich! Aber wie kann das sein? Ich habe sie doch im Sarg liegen sehen?°, fragte sie sich.

„Bella, mein Schatz.“, sagte sie zaghaft.

Sie streckte die Arme nach ihr aus, wollte sie umarmen vor Glück, besann sich aber und ließ ihre Arme wieder sinken. Bella schaute ihr ins Gesicht.

Mit ruhiger, fast kalter Stimme sagte sie: „Du bist nicht meine Mutter.“

°Aber Bella? Wie kannst du nur so etwas denken!?°, dachte Renee entsetzt.

Es fiel ihr immer schwerer, die Tränen vor Glück und Trauer zurückzuhalten.

„Aber wie kommst du denn darauf?“
Sie wollte ruhig und gelassen klingen, jedoch kamen die Worte mit belegter und zittriger Stimme heraus.

Bella kniff ihre Augen zusammen. „Wo ist Andy?“, verlangte sie im scharfen Ton zu wissen.

„Wer?“, erwiderte Renee ruhig.

Tränen stiegen Bella in die Augen und liefen ihre Wangen hinunter.
„Ich hab es doch gewusst.“, sagte sie schluchzend und mit lauter werdender hysterischer Stimme.
„Du bist nicht meine Mutter! Meine Mutter würde wissen, dass Andy mein Zwillingsbruder ist!“

°Bella soll einen Zwillingsbruder haben? Nein. Ich hatte nur sie zur Welt gebracht. Ein zweites Baby gab es nicht. Weder lebend, noch tot. Sollte das etwa bedeuten, dass sie nicht MEINE Bella ist? Aber das gibt es doch gar nicht! Aber meine Tochter wurde überfahren. Sie ist tot. Charlie und ich haben sie im Juni beerdigt. Sie kann nicht mehr leben! Und Charlie hatte zu mir gesagt, dass sie aus dem Nichts aufgetaucht sei, total verstört und verängstigt und sie schien auch verwirrt über die Tatsache, dass ich in Phoenix lebe. Wenn sie MEINE Tochter wäre, dann müsste sie doch wissen, dass sie mit mir in Phoenix und nicht mehr in Forks lebte. Und…? Dieses Mädchen sieht etwas größer aus als meine Tochter.°

„Wie alt bist du?“, fragte Renee sie.

„Sieben.“, antwortete sie schluchzend.

°Darum ist ihr das Kleid bald zu klein. Es besteht nun kein Zweifel mehr, dass dieses Mädchen nicht meine Tochter ist. Aber wo kam sie her? Etwa aus einer anderen Welt, einem Paralleluniversum, in der Charlie und ich auch noch einen Sohn hatten und wir noch glücklich und gemeinsam in Forks leben? Das ist einfach zu verrückt, aber eine andere Erklärung habe ich nicht.°
Renee seufzte.

°Auch wenn sie nicht wirklich MEINE Tochter ist, werde ich für sie sorgen, als wäre sie mein Fleisch und Blut. Ich freue mich sehr, dass man uns Bella „wiedergegeben“ hat, auch wenn der Ausdruck etwas falsch ist. Aber wenn sie hier aufwachsen soll, dann muss sie auch wirklich davon überzeugt sein, dass sie hierher gehört. Das bedeutet, wir müssen ihr klar machen, dass sie keinen Bruder hat. Sonst können wir vielleicht nie eine richtige Beziehung zueinander aufbauen, wenn sie daran zweifelt, dass ich ihre Mutter bin. Irgendwo tut es mir bereits leid, aber anders geht es nun mal nicht. Ich hoffe, dass du irgendwann zu deiner anderen Familie zurück findest und dass du mir für meine Tat einmal verzeihen wirst.°  

Die Erinnerung endete.



Ich musste mich darauf konzentrieren, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Diese Erinnerung war zu schmerzhaft für mich. Meine arme Bella. So unglücklich. So verwirrt. So…allein, in diesem Moment. Am liebsten wäre ich zusammen gebrochen, doch das war wohl jetzt alles andere als angebracht.

°Und was macht Edward hier? Er hat doch meine Bella verlassen.°

Phil ließ vor Entsetzen den Baseballschläger zu Boden fallen.

Das Geräusch des Aufpralls durchbrach die Spannung in der Luft. Die Stille dehnte sich aus. Es vergingen nur 3,7 Sekunden. Aber es schien, als würde eine Ewigkeit verstreichen.

Dann endlich fand Renee ihre Stimme wieder.
„Bist du etwa…Andy?“, fragte sie zweifelnd, aber auch hoffnungsvoll.

Ich sah wie Andys Augenbrauen sich zusammen zogen. „Ja.“, bestätigte er nach kurzem Zögern.

Dann tat sie etwas, was uns alle vier überraschte. Sie trat langsam auf ihn zu, sah ihm einen Augenblick lang in die Augen, während sich eine Träne aus ihrem linken Auge stahl, umarmte und drückte ihn ganz fest an ihre Brust. Phil schaute verwirrt auf das Bild, welches er sah. Als ich das Bild sah, musste ich unwillkürlich lächeln. Wenn ich weinen könnte, dann hätte ich das jetzt getan. Renee hatte die Augen geschlossen und weinte stumm weiter. Andy war erst wie erstarrt von ihrer Reaktion, erwiderte dann ihre Umarmung und ich konnte ein leises Wimmern von ihm vernehmen, welches für menschliche Ohren fast nicht zu hören war.

°Oh mein Gott. Dann hatte Bella also damals nicht gelogen. Es muss also wirklich eine zweite Welt geben. Ich kann es nicht glauben! Es ist so ein unbeschreibliches Gefühl ihren Bruder zu sehen und ihn in den Armen zu halten. Vielleicht hätte er auch MEIN Sohn sein können…°, dachte Renee.

Sie schlug nach ein paar Sekunden ihre Augen wieder auf und ihr Blick wanderte kurz zu mir.

°Warum ist er mit Edward hergekommen? Ob er auch aus dieser alternativen Welt ist? Aber wenn das stimmt, dann hat ER ja nicht Bella verlassen, oder?°

Sie löste sich aus der Umarmung und schaute Andy glückselig in die Augen, in denen sich wieder Tränen sammelten.

„Du siehst genauso aus wie sie.“, sagte sie nachdenklich und berührte seine Wange.

Auch Andy hatte ein paar Tränen vergossen.

„Würde mir mal bitte jemand erklären, was hier eigentlich los ist?“, sagte Phil drängend.

Renee drehte sich zu ihrem Mann um. „Das ist Andy. Bellas Zwillingsbruder.“

Er hob die Augenbrauen und schaute sie skeptisch an, als könnte er es noch immer nicht glauben.
„Und warum erfahre ich erst jetzt von ihm? Und wo kommen die beiden überhaupt her?“

Renee seufzte.
°Ganz klar. Er wird mich für verrückt halten. Aber wenn er mich liebt, wird er schon damit zurecht kommen.°

„Also, ich weiß, dass sich das jetzt total verrückt  anhört, aber es ist so.“

Phil wartete gespannt auf eine Erklärung, während Andy sie überrascht schaute.

„Nehmen wir einmal an, dass es mehr als eine Realität gibt.“, begann sie zögerlich und klang etwas unsicher.
„Dass mehrere gleichzeitig nebeneinander existieren. Welten, in denen die gleichen Personen leben und die ihren Doppelgängern sehr ähnlich sind.“

Sie brach ab und wartete auf eine Reaktion von Phil. Andys Augen wurden groß und ihm fiel die Kinnlade herunter. Phil schaute sie an, als ob sie ihren Verstand verloren hätte.

Nach wenigen Sekunden antwortete er: „Du meinst also, dass es möglich wäre, dass es Doppelgänger von uns gibt, die in auch auf der Erde leben, nur auf einer…anderen?“, fragte er zweifelnd und verzog das Gesicht.

°Bitte sag mir, dass das alles ein Witz ist.°, dachte Phil, glaubte aber nicht daran, dass Renee seine Aussage widerlegen würde, als er ihren ernsten Gesichtsausdruck sah.

Renee nickte.

°Oh Gott, sie ist verrückt geworden!°
Fassungslos starrte Phil sie an, sagte aber nichts mehr, sodass Renee schließlich fortfuhr.

„Ich glaube nämlich, dass es so etwas gibt.“, beteuerte sie.
Dann veränderte sich ihre Stimme und ihr Blick war nun von Kummer erfüllt.
„Weißt du…ich habe dir nie erzählt, dass meine Tochter mit 6 Jahren gestorben ist.“

Phil riss vor Schreck die Augen auf und das Blut wich aus seinem Gesicht.

„Sie wurde in Forks überfahren. Und zu der Zeit kannten wir uns noch nicht“

Ein paar Sekunden war es still.

„Aber…wenn Bella…tot ist, wer…ist dann das Mädchen gewesen, dass mit uns zusammen gelebt hat?“
Phils Stimme klang hohl. Es fiel ihm außerordentlich schwer, diese Information zu verarbeiten. Da wurde mir bewusst, dass auch Phil Bella wie eine Tochter liebte.

Renee holte tief Luft und wollte gerade auf seine Frage antworten, als Andy das für sie übernahm. Seine Stimme klang fest.

„Das war auch Bella, aber aus einer anderen Welt. Die Bella, die du kennst, ist meine Schwester.“

Phils Blick wanderte zu Andy. Er starrte ihn geschockt an, dann blinzelte er ein paar Mal entgeistert. Nun konnte er wieder klare Gedanken fassen.

„Aber wenn das wirklich alles stimmt, was ihr sagt, wo ist dann…“. Er zögerte kurz. „…dein Doppelgänger?“, beendete er seine Frage.

°Das ist doch alles viel zu verrückt. Doppelgänger. Das ich dieses Wort überhaupt benutze. Wenn ich an so etwas glauben sollte, kann ich mich auch gleich einweisen lassen.°

Renee schaute zu Andy und sah ihn bedeutungsvoll und wehmütig an.

„Ich weiß es von Charlie.“, sagte er ruhig.

°Charlie weiß schon alles?°

Sie wandte sich wieder Phil zu.

„Ich habe nur eine Tochter geboren.“, erklärte sie ruhig.

„Oh.“, brachte er nur heraus.

„Es gibt schon Unterschiede von…Welt zu Welt. Sie ähneln sich zwar, sind aber nicht völlig identisch, weißt du?“, deklarierte Andy weiter.

°Okay…?!°
Phil schüttelte den Kopf hin und her, als versuchte er so seine Gedanken neu zu ordnen.

„Nehmen wir mal an, ich würde das glauben, was ihr mir hier erzählt. Dass Bella gestorben, eine andere hergekommen und mit uns hier aufgewachsen ist. Wie ist das denn möglich? Ich meine, wie kam sie hierher?“
Er richtete seinen Blick auf mich und Andy.
„Wie seid ihr hierhergekommen?“

Nun schaute auch Renee mich und Andy fragend an.

°Das habe ich mich auch schon die ganzen Jahre über gefragt.°, dachte sie.

Andy schloss die Augen, holte tief Luft, öffnete sie wieder und fing an zu sprechen.

„Bella und ich haben die Fähigkeit zwischen den Welten hin und her zu reisen.“

Die beiden erwiderten nichts, schauten ihn nur gespannt und erwartungsvoll an und warteten auf die Fortsetzung.

„Als Bella damals aus unserer Welt verschwand beziehungsweise in eurer aufgetaucht war, hatte sie panische Angst und war völlig verstört, stimmt’s?“

Renee nickte.

„Bella kam im Oktober wieder in unsere Welt zurück.“
Bei dieser Erinnerung hoben sich seine Mundwinkel etwas.
„Wir waren alle aus dem Häuschen. Der andere Charlie und die andere Renee und ganz besonders ich. Sie hatte völlig vergessen, dass sie ursprünglich aus dieser Welt stammt. Somit war ich für sie am Anfang ein Fremder. Doch nach und nach bauten wir wieder eine Verbindung zueinander auf und fanden schließlich heraus, warum Bella in die andere Welt gewechselt war.“

Er machte eine Pause. Renee und Phil waren gespannt.

„Sie wurde an ihrem 7. Geburtstag verschleppt und…“ – er schluckte – „…vergewaltigt.“

Renee schnappte entsetzt nach Luft und Phils ganzer Körper spannte sich bei diesen Worten an.

„Durch die Angst, die sie empfand, wurde der Übergang, der Wechsel, ausgelöst. Es war vielleicht eine Art Schutzmechanismus. Nach und nach lernten wir unsere Fähigkeit besser zu kontrollieren und einen Übergang willkürlich auszulösen.“

°Oh mein Gott! Mein kleines Mädchen wurde vergewaltigt. Das war also auch ein Grund, warum sie so verstört und manchmal auch apathisch gewesen war. Meine arme Bella.°, dachte Renee wehmütig.

Völlig geschockt war sie von dieser Nachricht und sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht. Ihr Herzschlag hatte kurz ausgesetzt, nachdem diese Worte in sie eingesunken waren.

°Selbst wenn das alles stimmt, und das eine andere Bella ist. Wie können Menschen es wagen, sich an Kindern zu vergreifen!°
Phil spannte sein Kiefer und ballte die Hände zu Fäusten. Sein Gesicht war wutverzerrt.

Ein paar Sekunden sagte niemand etwas. Langsam beruhigten sich Renee und Phil wieder.

°Bella geht es gut.°
Renee verzog das Gesicht und schaute mir traurig ins Gesicht.
°Mehr oder weniger.°

Bei diesen Gedanken konnte ich nicht verhindern, dass ich zusammen zuckte. Selbsthass und Schuld kamen in mir auf. Renee hatte meine Reaktion gesehen und wunderte sich darüber.

°Was? So wie es aussieht, tut ihm alles Leid, was Bella widerfahren ist. Und er ist zusammen gezuckt, als er meinen traurigen Blick sah. Aber er wirkt die ganze Zeit schon so verletzt. Was ist, wenn das der Edward ist, denn ich damals im Krankenhaus kennen gelernt habe? Wenn er das wirklich ist, dann scheint es wirklich so, dass er immer noch etwas für Bella empfindet. Ja, vielleicht liebt er sie noch?!°

Ich versuchte, mein Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, ihr nicht noch mehr von dem Schmerz zu zeigen, den Renees Erinnerung und Andys Erzählung in mir heraufbeschworen hat. Renee war wirklich eine beeindruckende Frau. Sie bemerkte so viel mehr und war genauso aufmerksam wie Bella. Bei ihr musste ich wirklich vorsichtig sein.

°Aber das würde auch erklären, warum Bella in letzter Zeit nicht mehr auf meine Mails reagiert und Charlie mich immer mit irgendwelchen Ausreden hingehalten hat. Wie konnte sie auch, wenn sie seit Oktober wieder in ihrer Welt ist? Aber warum hat mir das Charlie einfach nicht gesagt? Wahrscheinlich dachte er, dass ich damit nicht umgehen könne.°

Wieder nahm Renees Blick einen traurigen Ausdruck an.

°Ich freue mich für sie. Aber jetzt da ich weiß, dass sie wieder nach Hause zurückgekehrt ist, zu ihren Eltern, zu ihren Bruder, da vermisse ich sie nun noch mehr.  Wird sie je wieder kommen? Hasst sie mich für das, was ich ihr als kleines Mädchen eingeredet habe? Was würde ich dafür geben, sie nur noch ein einziges Mal sehen und sie umarmen zu können. Ihr ein letztes Mal zu sagen, wie sehr ich sie liebe, obwohl ich nicht IHRE Mutter bin.°

Wieder zuckte ich zusammen, doch diesmal sah das Renee nicht. Diese Gedanken erinnerten mich an meine eigene persönliche Hölle, die ich erlitten hatte. Die ganzen schrecklichen Tage, als ich von ihr getrennt war, wünschte ich mir genau dasselbe, woran Bellas Mutter gerade dachte.

„Wo ist Bella jetzt?“, fragte Phil plötzlich mit ruhiger Stimme, dennoch konnte man die Wut noch heraus hören.

„In der anderen Welt.“, meldete ich mich das erste Mal zu Wort.

„Kommst du auch aus der anderen Welt? Also kennst du mich?“, wollte Renee von mir wissen.

„Ja, ich komme mit Andy von drüben. Aber ich komme eigentlich aus dieser Welt und ja ich kenne Sie. Wir sind uns damals im Krankenhaus begegnet, als Bella ihren Unfall gehabt hatte.“

Bei diesen Erinnerungen, Bella im Krankenhausbett mit gebrochenen Gliedern und James, der ihr das angetan hatte, überkam mich wieder eine Welle der Traurigkeit und Wut.

°Also, doch! Und sein schmerzerfüllter Blick. Er liebt meine Bella immer noch. Da bin ich mir jetzt ganz sicher.°, dachte Renee und schenkte mir ein kleines Lächeln.

Ich erwiderte es und innerlich hasste ich mich dafür, dass ich meine Gefühle in diesem Moment nicht besser verbergen konnte. Aber auf der anderen Seite war das vielleicht ganz gut so, wenn mir schon mal Renee verzeihen würde. Bei Charlie, diesem Charlie in dieser Welt, würde es allerdings sehr viel schwieriger werden.

°Dann ist das wirklich der Kerl, der Bella das Herz gebrochen hat.°, dachte Phil wütend.
Sein ganzer Körper spannte sich an und wieder ballte er seine Hände zu Fäusten.

„Du mieser…“, begann Phil mich zu beschimpfen und dachte darüber nach, mir eine zu verpassen, wurde aber zu seinem Glück von Renee aufgehalten.

Sie stellte sich vor mich, als wolle sich mich tatsächlich beschützen, falls Phil auf die Idee kam, gewalttätig zu werden.

„Phil, ganz ruhig. Es tut ihm sehr leid, was er Bella angetan hat und ich verzeihe ihm.“

Diese Worte waren die Absolution für mich. Phil nahm eine etwas entspanntere Haltung ein.

°Wie kann sie ihm nur so leicht vergeben? Sie hat mir doch erzählt, wie aufgelöst und hysterisch Bella bei ihrem letzten Besuch war. Wie verletzt sie war. Hat sie das etwa alles schon wieder vergessen?°

Ein heftiger Schmerz fuhr durch meinen Körper, als ich die Bilder sah, die Phil mithilfe von Renees Erzählungen, in meinen Kopf strömen ließ. Es waren nur Vorstellungen von ihm. Schließlich war er ja nicht wirklich dabei gewesen. Dennoch ließen diese Bilder mich innerlich erschaudern. Diesmal schaffte ich es wieder, meine Reaktion zu verbergen.

Als hätte Renee seine Gedanken gelesen, antwortete sie ihm: „Siehst du nicht, wie leid ihm das alles tut?“

Phil musterte mich eindringlich, dann kniff er seine Augen zusammen.
°Naja, er scheint wirklich nicht in der besten Verfassung zu sein.°
„Ja, doch.“, gab er widerwillig zu.
°Aber Gnade dir Gott, wenn mir noch einmal so etwas zu Ohren kommt.°, dachte er verschwörerisch und warf mir einen finsteren Blick zu, als Renee ihn gerade nicht ansah, sondern sich wieder Andy und mir zuwandte.

„Geht es Bella gut?“, wollte Renee wissen und schaute uns mit kindlichen, aber ernsten Augen an.

„Ja.“, begann Andy zögerlich. „Eigentlich schon.“

°Oh oh! Das hört sich gar nicht gut an!°, dachte sie besorgt.

„Was ist los? Und warum seid ihr hergekommen? Ich habe das Gefühl, dass dies kein Höflichkeitsbesuch ist.“, erwiderte sie und hatte mal wieder ins Schwarze getroffen.

Andy biss sich nervös auf die Unterlippe. Er rang mit sich.

°Genauso sieht Bella aus, wenn sie das macht.°

Dann atmete er tief ein und hatte eine Entscheidung getroffen. Ich wusste, dass er Angst hatte und hoffte, diese Entscheidung nicht bereuen zu müssen.

„Also, das ist eine lange Geschichte…“, begann er zu erzählen, während Renee und Phil mit gespitzten Ohren lauschten.
  

Sonne und Schlange




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




„Du meinst das ernst, oder?“, fragte Phil Andy nachdem er geendet hatte und musterte ihn eindringlich.

„Ja.“, antwortete er mit fester Stimme.

°Geister sehen, Träume, die die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigen. Das ist kann nicht sein Ernst sein. Es fällt mir schon schwer zu glauben, dass es eine alternative Welt gibt.°, dachte er spöttisch.

Renee schaute Andy interessiert an, war aber seine Erzählung nicht so abgeneigt, wie ihr Mann. „Kannst du das nicht irgendwie beweisen?“, bat sie.

Phils Blick ruhte erwartungsvoll auf ihm.

„Tja…äh…“ Andy war verunsichert, wusste nicht, was er jetzt tun sollte.

Da spürte ich einen Windhauch und Andy und ich sahen die 6-jährige Bella links neben ihrer Mutter stehen. Sie lächelte uns zaghaft an. Andys Blick wanderte kurz zu ihr, dann hoben sich seine Mundwinkel und er sprach wieder.

„Bella – also deine Bella – trug ein dunkelblaues Kleid mit weißen Punkten, einen blauen Haarreif und weiße Schuhe mit Klettverschluss.“

Phil schaute erwartungsvoll zu Renee, während ihre Augen groß wurden und Andy voller Erstaunen nur anschaute. Nach ein paar Sekunden sagte sie mit brüchiger leiser Stimme: „Woher weißt du das?“

Er lächelte sie schüchtern an. „Weil sie gerade links neben dir steht.“

Sie drehte ihren Kopf in diese Richtung, aber natürlich konnte sie nichts sehen, dennoch wünschte sie sich nichts sehnlicher.

„Renee stimmt das, was er sagt?“, wollte Phil wissen.

Er brauchte eine Bestätigung. Sie wandte sich wieder Andy zu, während sich Tränen in ihren Augen sammelten.

„Ja, diese Sachen trug sie, als wir sie beerdigt hatten.“, beantwortete sie Phils Frage und ihre Stimme versagte zweimal.
„Du siehst sie also wirklich.“, stellte sie fest.

Er nickte nur, doch ich konnte auch sehen, wie ihm die Tränen in den Augen standen.

„Dann ist also alles wahr, was du uns erzählt hast?“
Es war eher als rhetorische Frage gemeint und man konnte sehen, wie sich Phils Unglaube langsam auflöste.

Ja, Andy hatte ihnen alles erzählt, warum wir plötzlich hier waren und was die Ursache dafür war. Sie wussten, vom anstehenden Gerichtstermin und das uns Andys Träume – alles sollten sie nicht wissen – zu dem Ort vieler Leichen geführt habe. Auch natürlich hat er ihnen verschwiegen, was ich und Bellas Vergewaltiger war.

„Wann ist die Verhandlung? Und warum will Bella…“ – Phil verzog den Mund – „…nicht, dass ihr wieder zurück geht?“

Andy runzelte die Stirn. „Die Verhandlung ist in einer Woche und wir wissen nicht, warum wir noch hier bleiben sollen. Das hat meine Schwester uns leider nicht gesagt.“
Renee lächelte leicht, als sie hörte, wie er Bella genannt hat.
„Aber es muss was sehr wichtiges sein.“

Phil sah auf die Uhr.
„Mist!“, fluchte er. „Ich sollte schon längst unterwegs sein.“

Phil nahm seine fertig gepackten Sachen und warf sie sich über die Schulter.
„Tschüss, Schatz.“, verabschiedete er sich und gab Renee einen Kuss.
Dann wandte er sich zu uns.
„Also, wenn ihr meine Hilfe bei irgendetwas brauchen solltet, zögert nicht, mir Bescheid zu sagen. Bis dann.“
Er machte eine Handgeste zum Abschied, verließ das Haus, stieg in sein Auto und fuhr davon.

„Ich biete euch auch meine Hilfe an.“, versprach Renee feierlich.
Wir erwiderten ihr lächeln.
„Also, da ihr beide ja jetzt hier in Jacksonville seid, können wir doch runter zum Stand gehen, wenn ihr wollt.“, fragte sie vorsichtig.
°Eigentlich kommt mir das ziemlich unpassend vor, wenn man bedenkt, warum sie eigentlich hier sind. Ach, meine kleine Bella… Aber solang sie nicht den genauen Grund kennen, können sich Edward und Andy trotzdem etwas amüsieren. Ich denke, dass sich der Rest schon ergeben wird. Außerdem hat doch Bella gesagt, dass sie den Grund ihrer Reise noch erfahren werden.°

„Weißt du Mum…“, begann Andy, während Renees Augen so hell bei diesem Wort strahlten, wie noch nie.
„Das ist schon eine gute Idee, aber Edward hat es denke ich nicht so mit der Sonne.“

°Das sieht man ihm auch an.°, dachte sie nachdenklich und schmunzelte.

„Außerdem wäre es ganz gut, wenn wir vielleicht ein paar Sachen einkaufen würden. Ich weiß ja nicht, wie lange wir hier bleiben werden. Tut mir leid, dass ich dich darum bitten muss. Ich weiß, dass du nicht viel Geld hast und mein Portemonnaie habe ich leider nicht dabei.“

°Ich kann es einfach nicht fassen, dass Charlie so viel mehr verdient, geschweige denn, dass er Polizeipräsident ist.°

Renee schüttelte den Kopf.
„Mach dir mal darüber keinen Kopf. Aber du hast Recht. Ihr zwei braucht wirklich ein paar Sachen. Dann gehen wir zwei eben einkaufen und Edward kann ja hierbleiben.“, schlug sie vor, sah mich aber gleich darauf besorgt an.
„Also nur, wenn dir das recht ist.“

Ich lächelte sie an. Das wäre das Beste so. Außerdem würde ich die Zeit alleine schon überstehen. Schließlich hatte ich das die letzten Stunden auch geschafft, obwohl ich Bella so sehr vermisste, dass es schmerzte.

„Das ist schon in Ordnung.“, versicherte ich ihr.
„Ich muss noch einen Aufsatz für die Schule schreiben.“
Das war nicht einmal gelogen.

„Okay. Dann los.“, sagte Renee zu Andy.

Sie nahm ihre Handtasche, die auf einem Stuhl lag und verließ mit ihrem neuen Sohn das Haus. Andy drehte sich noch einmal zu mir um und sah mich bedeutungsvoll an. Wahrscheinlich sollte sein Blick mir sagen, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte. Weder um Bella, noch um ihn. Ich nickte ihm zu und er stieg schließlich mit Renee ins Auto.

Ich sah ihnen aus dem Fenster nach wie das Auto davon fuhr und seufzte. Nun war ich ganz allein. In der anderen Welt und ausgerechnet in Jacksonville. Ich wusste nicht, wie viele Tage ich hier noch verweilen sollte. Wie viele Tage ich noch ohne Bella überstehen musste. Jede Sekunde von Bella getrennt zu sein, jagte mir kleine Schmerzen durch meinen Körper, die nach längerer Zeit immer stärker werden. Auch wenn ich wusste, dass Bella nicht allein war, dass meine Familie und die anderen Cullens auf sie aufpassten, machte ich mir dennoch enorme Sorgen um sie. Das tat ich immer. Denn Bella schien – wie ihr Bruder – jegliche Gefahr anzuziehen. Und jetzt war ich hier und konnte sie nicht vor Gefahren bewahren. Wieder seufzte ich. Ich ging die Treppe hoch in Bellas Zimmer, um wenigstens so ihre Nähe spüren zu können. Ich hatte jetzt keine Ambition einen Aufsatz zu schreiben. Das ließ sich auf später verlegen, denn mit meiner Schnelligkeit, wäre diese Arbeit in wenigen Minuten erledigt.

Oben angekommen ließ ich als ersten die Jalousien hinunter, damit kein Sonnenstrahl mehr auf meine Haut treffen konnte. Nur zur Sicherheit. Dann ließ ich mich auf Bellas Bett nieder und legte mich auf dem Bauch, den Kopf in das Kissen vertieft und atmete tief ein. Ich konnte sie nur schwach riechen, doch das genügte mir für diesen Moment. Immer wieder versuchte ich so viel wie möglich von Bellas Geruch in mir aufzunehmen. Es beruhigte mich und ich konnte entspannen. Ich schloss die Augen und merkte, wie sich meine Mundwinkel hoben, als ich Bella vor meinem inneren Auge sah. Sie lächelte mich liebevoll an, warf sich in meine Arme und küsste mich so leidenschaftlich wie noch nie. Ich drückte sie fest an mich und erwiderte ihren Kuss sehr drängend. Ich hörte gar nicht mehr auf sie zu küssen. Immer und immer wieder fanden unsere Lippen, unsere Zungen zueinander.

Dann wurde mein Körper geschüttelt und ich schlug die Augen wieder auf. Andy stand vor mir und schaute amüsiert.

„Ich sollte mich wohl nicht wundern, dass du solange schläfst. Schließlich musst du ja bald 100 Jahre nachholen.“ Er lachte.

Meine Augen weiteten sich. Ich habe schon wieder geschlafen?

„Seit wann bist du wieder hier?“, fragte ich.

„Seit gut 3 Stunden.“

Ich hob eine Augenbraue hoch. Solange sollte der Einkauf gedauert haben. Andy verstand und seufzte resignierend.

„Ja, Mum und ich wir haben uns verquatscht. Sie wollte alles über mich wissen.“

Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Ich spürte, dass da noch mehr war, jedoch wollte er nicht darüber reden.

„Was ist?“ Ich versuchte meine Stimme locker, fast desinteressiert klingen zu lassen.

Andy lief rot an. „Nichts. Nichts.“, antwortete er schnell.

Natürlich, dachte ich. Ich wartete ab. Doch er sagte nichts, sondern das Blut strömte noch mehr in seine Wangen. Langsam wurde ich ungeduldig.

„Sag’s mir!“, sagte ich energisch.

Andy seufzte und gab mir eine Antwort, die alles andere als zufriedenstellend war.

„Wir haben auch ein bisschen über dich geredet.“

Meine Augen weiteten sich und ich wartete auf die Fortsetzung. Andy schüttelte stur den Kopf.
„Keine Chance!“

Ich seufzte und beließ es dabei, vorerst jedenfalls.

„Komm mal mit ins Badezimmer. Ich will etwas ausprobieren.“

Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht. Ich runzelte die Stirn, folgte ihm jedoch. Im Bad war ein Fenster, durch das die Sonne schien, sodass mein ganzer Körper schließlich funkelte und glitzerte. Auf dem Toilettendeckel lag eine Tüte, aus der Andy etwas herausholte. Als ich sah was es war, runzelte ich die Stirn. Warum sollte ich ins Bad kommen, wenn er sich mit Sonnencreme einrieb? Auch verwirrte mich der Lichtschutzfaktor, der auf der Flasche stand. Er betrug 50 + und war somit sehr hoch. Sicher, er war sehr blass für einen Menschen, dennoch fand ich diesen Lichtschutzfaktor etwas übertrieben. Ich war mir ziemlich sicher, dass Mittel ausreichend für ihn war, dennoch konnte ich es natürlich nicht mit absoluter Gewissheit sagen.

„Warum bin ich nochmal hier?“, fragte ich ihn, bekam aber keine Antwort.

Er schaute zur Sonne, dann auf meine glitzernde linke Hand. Sein Blick war so ernst auf sie gerichtet, dass man denken konnte, er wolle sie studieren, jede Struktur ausmachen. Dann seufzte er. Plötzlich tat er etwas, womit ich nie in meiner ganzen Existent gerechnet hätte. Andy nahm meine linke Hand und benutzte seine andere Hand dafür, mir Sonnencreme auf die Hand zu aufzutragen. Die Flasche hatte er kurz vorher bereits geöffnet. Nebenbei gesagt, war das für eine Hand viel zu viel. Immer mehr trug er auf, bis ich glaubte, dass er 1/8 der Flasche leer gemacht hatte. Während er die Flasche wegstellte, zogen sich meine Augenbrauen vor Verwirrung zusammen. Warum tat er das nur? Vampire brauchten doch keinen Schutz vor der Sonne, da sie sich sowieso von ihr fern hielten. Als nächstes verteilte er die Creme auf meiner Hand, bis sie von der Creme fast gänzlich weiß erschien. Nun hatte ich auf meiner linken Hand eine massive Schicht Sonnencreme.

Verwirrt schaute ich auf meine Hand, dann zu Andy. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Dann hob Andy meine Hand wieder mehr in die Sonne und schaute sie prüfend an. Auch ich blickte auf sie und meine Augen weiteten sich vor Entsetzen und Staunen, als das Bild in mein Gehirn durchgedrungen war. Die Hand funkelte nur noch ganz leicht in der prallen Sonne. Das Funkeln war kaum zu sehen. Das wollte er also ausprobieren. Hatte er darum heute Morgen so belustigt geschaut? Wusste er bereits, welche Wirkung Sonnencreme auf die Vampirhaut hat? Wenn ja, so war er mir um einiges voraus. Ich wusste das bis zu diesem Augenblick nicht. Selbst Carlisle verfügte nicht über dieses Wissen. Wie auch? Welcher Vampir würde schon auf die Idee kommen, sich mit Sonnencreme einzucremen, damit er vielleicht hoffen kann, in der Sonne zu spazieren?

„Wie ich es mir gedacht habe.“, hörte ich Andy zu sich selbst sagen und er ließ meine Hand los.

Ich blinzelte, um wieder meine Gedanken ordnen zu können.

„Du hast das gewusst, oder?“

Andy verzog den Mund. „Nicht direkt.“, sagte er ausweichend.
„Ich hatte nur eine Ahnung.“
Dann leuchteten seine braunen Augen und er grinste bis über beide Ohren.

„Was?“, fragte ich misstrauisch.

„Das fragst du noch? Du kannst jetzt in die Sonne gehen!“

„Also ich bin mir nicht sicher, ob…“

„Ach, sei nicht so spießig“, tadelte er und nahm wieder die Sonnenmilch zur Hand.


30 Minuten später war ich doch tatsächlich draußen in der Sonne. Am liebsten wäre ich jede Sekunde fortgelaufen. Es war für einen Vampir schließlich ungewohnt in der Sonne zu sein, während sich viele Menschenmassen ebenfalls in seiner Gegenwart aufhielten. Aber Andy hatte so einen bestimmenden Tonfall angeschlagen und mich geradezu genötigt mit rauszugehen, dass ich letztendlich nachgegeben hatte. Und eigentlich hatte er Recht. Nun funkelte ich nicht mehr so extrem wie ein Diamant. Dennoch war ich sehr wachsam und belauschte zur jeder Zeit die Gedanken anderer Personen. Auch war es ein herrliches Gefühl, die Sonne auf seiner Haut zu spüren, auch wenn sie dick mit Sonnencreme eingesalbt war. Die Leute machten sich schon Gedanken über mein merkwürdiges Aussehen, doch ich achtete nicht darauf. Es kümmerte mich herzlich wenig, was die anderen Leute über mich dachten, solange sie nicht meinem Geheimnis auf die Spur kamen.

Ich war doch etwas besorgt. Was war, wenn die Creme gänzlich in meiner Haut eingezogen ist? Würde ich dann nicht wieder stärker funkeln? Ich teilte meine Bedenken Andy mit, der allerdings nur verächtlich schnaubte. Er sagte mir, dass er sich sicher sei, dies würde nicht passieren. Meine Haut habe eine kristalline Struktur und sei daher für die meisten Stoffe undurchlässig. Also würde die Creme solange auf meiner Haut sein, bis ich sie mir wieder abwusch. Ich schaute ihn überrascht und verblüfft mit großen Augen an. Er hatte Recht. Es war logisch. Der Stolz durchfuhr mich, einen so aufmerksamen und klugen Bruder haben zu dürfen. Tja, somit konnte ich nicht in der Öffentlichkeit schwimmen gehen. Man konnte eben nicht alles besitzen. Aber es war für mich schon völlig ausreichend, mich frei in der Sonne bewegen zu können. Ich war gespannt, was Carlisle zu dieser neuen Entdeckung sagen würde. Ob es nun der rothaarige oder meiner war, spielte keine Rolle. Schließlich waren sie ja fast identisch.

Ich schaute hoch zum Himmel direkt in die Sonne und konnte mit meinen Augen alle Farbspektren des Lichts in ihr erkennen. Es war ein herrlicher Anblick. Auch fühlte ich mich wohler, aber es machte mich ebenfalls traurig. Denn diese Wärme erinnerte mich an den Menschen, der mir immer seine Wärme geschenkt hatte. Bella. Der Schmerz sie nicht bei mir zu wissen erklomm neue Höhen und steigerte sich bis ins Unermessliche. Was machte sie gerade? Ging es ihr gut? Was war mit den toten Mädchen auf der Lichtung? Vermisste sie mich ebenso wie ich sie?

Meine Gedanken waren von diesem Augenblick an auf Bella fokussiert, sodass ich immer weniger auf meine Umgebung achtete. Ich nahm nur am Rande wahr, dass Andy mit mir einen Stadtbummel machte und wir schließlich in ein Buchladen gegangen sind. Ich ging gerade durch die Reihen, sah mir die Titel an, schaute in dieses oder jenes Buch hinein, um etwas zu lesen. Ich war mir durchaus bewusst, warum mein kleiner Bruder mit mir hier hineingegangen war. Er wusste, dass ich viel las und somit viele Bücher kannte. Er wollte mich ablenken, da er bemerkt hatte, dass ich nicht mehr ganz bei der Sache war.

Ich blätterte gerade in ein Buch, welches ich ziemlich interessant fand, als Andy rief fröhlich: „Komm Edward, ich kenne noch einen weiteren Buchladen.“

Ich schlug das Buch „Die Bedeutung und Interpretation von Träumen“ zu und ging versonnen in Richtung Kasse. Da stieß ich plötzlich mit einem Mann zusammen, der durch dieses Aufeinandertreffen vor Schreck sein Buch fallen ließ. Warum hatte ich ihn nicht gesehen beziehungsweise gehört? Die Gedanken an Bella nahmen wohl viel mehr von meinem Gehirn in Anspruch, als ich mir vorgestellt hatte.

„Oh, verzeihen Sie bitte. Es war meine Schuld. Ich habe Sie nicht gesehen.“, sagte ich höflich, bückte mich um sein Buch aufzuheben und musterte den Fremden.

Er war breit und ziemlich muskulös. Er hatte dunkelblondes verwuscheltes Harr, und war etwas größer als ich. 1,93 Meter um genau zu sein. Er trug Turnschuhe mit kurzen Socken, dunkelblaue Shorts und ein schwarzes T-Shirt, das die Konturen seiner muskulösen Brust zeigte. Er hatte stark ausgeprägte Wangenknochen und ein sehr markantes Gesicht. Doch was mich am Meisten erschreckte, faszinierte, wie man es auch immer nennen möchte, waren seine grünen Augen. Obwohl seine Miene freundlich wirkte, sagten seine Augen etwas ganz anderes. Sie waren von einem eigenartigen Giftgrün. Diese Augen wirkten auf mich wie die Augen einer Schlange. Eine Schlange, die nicht zögerte, ihr Opfer zu töten. Natürlich brauchte ich vor diesem Menschen keine Angst zu haben, dennoch hatte er etwas Düsteres an sich, auch wenn er dies jetzt nicht offen zeigte. Auch in seinen Gedanken konnte ich nichts Boshaftes entdecken. Dennoch spürte ich einfach, dass dieser Mann nicht der Geselligste war. Ich würde ihn Mitte oder Ende 30 schätzen.

°Wie sieht der den aus? Voller Sonnencreme eingeschmiert. Der kriegt wohl gleich von einem einzigen Strahl einen Sonnenbrand. Und diese Augen. Merkwürdig. Sie sehen so goldfarben aus. Ach was! Meine Augen spielen mir sicher einen Streich. Muss wohl an der vielen Sonne liegen.°

Auch er musterte mich eindringlich, bevor er sagte: „Kein Problem. Ich hätte auch aufpassen müssen.“

Er lächelte mich entschuldigend an. Aber mein Instinkt sagte mir, dass das Lächeln falsch war. Ich merkte, wie sich mein Mund ebenfalls zu einem höflichen Lächeln verzog.

„Hier, bitte!“

In dem Moment, als ich ihm das Buch zurück gab und wir beide das Buch „Die Kontrolle über seine Emotionen“ gleichzeitig berührten, sah ich etwas in meinem Kopf.

Es war mir bereits vertraut, da ich dieses Szenario schon einmal in Charlies Kopf gesehen hatte. Ich zuckte vor Schreck zusammen, hatte meinen Körper darauf aber gleich wieder unter Kontrolle.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte der Mann.

„Ja, machen Sie sich keine Gedanken.“, erwiderte ich.

Er zog kurz die Augenbrauen zusammen, dann steckte er das Buch in eine Tüte.

°Was ist denn mit dem los?°

Offenbar hatte ich einen falschen Ton angeschlagen. Er schaute mich misstrauisch an, doch ich schenkte ihm keinerlei Beachtung mehr und ging an ihm vorbei zur Kasse. Andy wartete schon auf mich. Er schaute etwas verdutzt, als er meine Miene sah. Ich atmete tief durch und versuchte mich etwas zu entspannen. An der Kasse angekommen, legten Andy und ich unsere Bücher auf die Theke.

„Kannst du mal?“

„Sicher.“, antwortete ich etwas ruhiger.

Ich bezahlte mit meiner Karte unsere Bücher. Als wir sie in Tüten verpackt wieder bekamen und den Laden verließen, packte ich Andy etwas unsanft am Arm und zerrte ihn zu einer etwas abgelegenen Stelle der Einkaufsmeile. Als ich eine gefunden hatte – was gar nicht so leicht war – blieb ich stehen und schaute ihm ernst in die Augen.

„Was ist los?“

Andy versuchte wohl normal zu klingen, doch unter seiner Stimme hatte sich leichte Panik gemischt. Ich schloss die Augen, holte tief Luft und öffnete sie wieder. Dann ließ ich meine Tüte fallen und legte meine Hände auf seine Schultern. Andys Herzschlag beschleunigte sich etwas. Mein Verhalten irritierte ihn.

„Edward. Du machst mir Angst.“, brachte er heraus.

Er wartete gespannt auf meine Antwort. Wieder seufzte ich. Dann sprach ich endlich.

„Ich glaube, ich weiß jetzt, warum wir hier sind.“

Ich konnte meine Stimme kaum unter Kontrolle halten, obwohl ich leise sprach.

Die Vergangenheit wird zur Gegenwart und die Gegenwart zur Vergangenheit




Bellas POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




„Bella, alles in Ordnung?“, fragte Edward, während mich Elli, Alice – seine Alice – und die restlichen Cullens am Tisch in der Cafeteria besorgt ansahen.

Die anderen Cullens, also Alice, Emmett, Rosalie, und Jasper aus der anderen Welt, in der sich mein Edward und mein Bruder gerade befanden, waren nicht hier. Ich sah ihn ihre dunklen bernsteinfarbenen Augen, die mich musterten. Sie sahen mich alle an, als befürchteten sie, dass ich jede Minute in Ohnmacht fallen würde. Ich zuckte mit den Schultern und lächelte leicht.

„Mir geht’s gut.“

Alle sahen mich misstrauisch an und ihre Augen verengten sich ein wenig. Natürlich wussten sie, dass ich log. Ich war schon immer eine miserable Lügnerin gewesen. Nein, es ging mir nicht gut. Aber war das nicht verständlich seit der Nacht auf der Lichtung, als ich die anderen Mädchen sah und Edward mit meinem Bruder verschwand? Aber natürlich sollten sie sich keine Sorgen um mich machen. Es waren meine Probleme, nicht ihre. Aber auf mich hörte sowieso niemand. Vor allem Elizabeth, ihr Bruder und die beiden Alice‘.

Naja, wenigstens hatte ich mit der Alice aus dieser Welt wieder eine bessere Beziehung. Damals, als Alice Andy und mich nach meinem „Erwachen“ zu Charlie gefahren hatte, bestand sie darauf mit mir ein Frauengespräch zu führen. Sie bat – eher forderte –, dass Andy nicht zuhören sollte. Das hat er natürlich auch getan, aber als ich am Abend des Tages wieder daran gedacht hatte, wusste er natürlich worum es gegangen war. Er hatte mich darauf aber nicht angesprochen. Alice hatte mich damals böse angefunkelt, aber im Gegensatz zu ihrem Gesichtsausdruck war ihre Stimme relativ ruhig. Sie war nur etwas angespannt gewesen. Aber ich sah, dass sie mir am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre.

Ich wich etwas zurück, da ich diesen Blick von Alice nicht kannte. Sie hatte mich „gebeten“, dass ich mich von Edward so gut wie möglich fern halten solle. Ich hatte nicht nach dem Grund ihrer Bitte gefragt und sie hatte keine weitere Erklärung geboten. Ich hatte ihr nur noch gesagt, dass ich den anderen Edward liebe. Was sollte ich denn dann mit ihrem? Sie hatte mich daraufhin argwöhnisch angestarrt und widerwillig genickt. Dann, als der andere Edward mich geküsst hatte, wusste ich, was Alice gemeint hatte. Aber später hatte sie mir erzählt, dass die beiden sich noch einmal ausgesprochen hatten und sie nun unumstößlich wusste, dass ich keine „Gefahr“ für ihr Liebesleben war.

Ehrlich gesagt, war ich das nie. Wie war sie nur auf so einen Gedanken gekommen? Seit dieser Sache war nun auch die zweite Alice wir wieder freundlich gesonnen, worüber ich sehr glücklich war. Doch seit dieser Nacht hing sie an mir, wie eine Klette und versuchte mich ebenso wie ihre andere Version zum Shoppen zu überreden. Das war eine Folter zum Quadrat. Eine Alice war schon anstrengend genug. Zwei jedoch brachten mich jedes Mal am Rande der Verzweiflung.

Ich seufzte. Aber warum regte ich mich nur auf? Sie machten sich doch alle nur Sorgen um mich. Kein Wunder. Ich schloss die Augen und sah alles wie eine Rückblende vor mir.


Nachdem Andy mit Edward hinüber gewechselt war, geriet ich beinahe in Panik. So viele Mädchen, die das gleiche durchleben mussten wie ich und die beiden Männer, die mir immer den Halt gaben, waren gerade nicht da. Naja, Andy war in diesem Moment eh nicht in der Verfassung gewesen mir Halt zu geben. Den hatte er selber dringend gebraucht. Tief in mir, hatte ich es gewusst, was für ein großes Opfer er brachte und das nur meinetwegen. Elizabeth war mein Fels in der Brandung und konnte mich beruhigen. Im nächsten Moment hatte sie ihr Handy gezückt und meinen Bruder angerufen. Nachdem wir erfahren hatten, wo sie genau waren und dass sie im Moment nicht zurück kommen konnten, fühlte ich mich für einen Moment so allein wie ich war, als Edward mich verlassen hatte. Doch auch dies Mal half Ellis Anwesenheit und sie schaffte es, dass ich im Hier und Jetzt blieb.

„Also, wie lautet nun dein Plan?“, hatte sie neugierig gefragt.

Ich hatte ein paar Mal tief durchgeatmet. Sie kommen ja wieder, sagte ich mir.

„Also, in ein paar Stunden, wenn es hell genug ist, sage ich Charlie, dass ich einen Traum gehabt habe und erzähle ihm alles von der Lichtung. Und Charlie sagt seinen Kollegen einfach, dass er einen anonymen Hinweis bekommen hat. Dann schickt er einige Polizisten mit Hunden hierher, die dann die Leichen riechen. Diese werden dann obduziert und die Ketten werden alle auf DNA-Spuren untersucht. Somit haben wir noch mehr Beweise, die alle gegen…“ – ich hatte kurz gezögert – „…ihn sprechen. Somit kann er seiner Strafe nicht entkommen und er kann nie wieder einem Mädchen so etwas antun.“

„Klingt einleuchtend“, hatte Elizabeth darauf erwidert, nachdem ich es ihr erklärt hatte.

Dann hatte mich Elizabeth nach Hause gebracht, aber an Schlaf war nicht einmal zu denken. Ich hatte ständig die Lichtung vor Augen, auf der die anderen Mädchen standen. Also hatte ich wach in meinem Bett gelegen und an die Decke gestarrt. Ich sagte Elizabeth zwar, dass sie ruhig nach Hause gehen könne, jedoch bezweifelte ich stark, dass sie das wirklich tat. Sie verließ zwar mein Zimmer, aber das hatte nichts zu bedeuten. Sicherlich hatte sie mich beobachtet.

Um halb 7 war Charlie in die Küche gekommen und hatte mich dort am Tisch sitzen sehen. Er hatte meinen ernsten Gesichtsausdruck gesehen und wurde sofort besorgt, klang aber geschäftsmäßig.

„Bella, was ist los?“, wollte er wissen, nachdem er auf mich zugekommen war und mich umarmt hatte.

„Dad, ich muss dir was Wichtiges erzählen.“

Mein Blick hatte er richtig interpretiert und sich daraufhin hingesetzt. Ich hatte tief Luft geholt und redete.

„Gestern Nacht hatte ich einen Traum. Also ich meine einen besonderen Traum. Ich habe eine Stelle im Wald gesehen, auf der sich viele Geister befanden. Geister von jungen Mädchen, die er über die Jahre missbraucht hatte.“

Erst hatte Charlie entsetzt geschaut, dann hatte ihn die Wut gepackt und er hatte seine Hände so zu Fäusten geballt, dass die Sehnen hervortraten.

„Bist du dir sicher, dass er es war?“, hatte er mit bebender Stimme gezischt.

Ich nickte. „Alle Mädchen trugen dieselbe Halskette.“, hatte ich mit fast tonloser Stimme geantwortet.

Sein Körper hatte sich etwas entspannt und seine braunen Augen waren groß geworden. Mitleidig hatte er mich angesehen.

„Möchtest du heute in die Schule gehen?“

Seine Stimme hatte so liebevoll und besorgt geklungen, dass es mich bald zerriss. Jetzt machte ich auch noch meinem Vater Angst! Ich hatte mein Unbehagen mit einem kurzen Auflachen überspielt.

„Dad, ich bin nicht aus Zucker!“, hatte ich ihm im lockeren Ton geantwortet.

Seine Mundwinkel hatte er daraufhin etwas angehoben, doch die Sorge war nicht aus seinen Augen verschwunden.

„Okay. Ich werde alles in die Wege leiten und diese Stelle untersuchen lassen. Kannst du mir ungefähr sagen, wo sie ist, Kleines?“

Ich hatte etwas das Gesicht verzogen. Irgendwie gefiel mir diese Sache nicht, dass die Lichtung zu einem Tatort wurde. Dabei spielte es keine Rolle, dass es nicht die Lichtung war, auf der ich mit Edward die schönsten sonnigen Stunden verbracht hatte. Aber die Wahrheit musste schließlich ans Licht kommen und die Mädchen sollten endlich Frieden finden. Vielleicht konnten ihre Geister dann endlich mit der Sache abschließen und dort hingehen, wo auch immer Geister hingehen.

Ich hatte ihm gesagt, dass er auf der 101 Richtung Norden fahren und auf die 110 rechts abbiegen müsse. Dann sollte er nur geradeaus fahren, bis die Straße endete und ein Pfad auftauchen würde. Schließlich müsse er rechts in den Wald gehen. Ich hatte gehofft, dass diese Wegbeschreibung ausreichen würde. Aber natürlich war sie alles andere als ausreichend gewesen. Doch Charlie nickte nur und hatte mich verblüfft und fragend angeschaut. Es hatte ihn bestimmt verwundert, woher ich die genauen Angaben wusste. Denn schließlich war es einer meiner leichtesten Übungen, mich hoffnungslos zu verlaufen. In Wahrheit wusste ich ja nicht, wo er lang fahren musste. Edward wusste das. Ich hatte mich nur an das erinnert, was er mir einst gesagt hatte, als wir unseren ersten Tag auf der Lichtung hatten.

„Wir werden sie schon finden.“, hatte Charlie mir versichert.

Ich hatte ihn nur leicht angelächelt, bevor er das Haus schließlich verlassen hatte. Aber ich fragte mich, wenn nicht einmal Vampire die Leichen riechen konnten, waren dann Hunde besser dafür geeignet? Daraufhin hatte ich leicht den Kopf geschüttelt. Natürlich, sagte ich mir. Tiere reagieren sehr viel sensibler als Menschen. Und Vampire waren Menschen. Irgendwo. Sie waren nur sehr spezielle Menschen. Außerdem waren die Hunde auf solche Fälle hart trainiert worden. Ich betete inständig, dass sie die Lichtung finden würden. Der arme Charlie. Ich hatte ihn nun zum stundenlangen Suchen einer Lichtung verdonnert. Allmählich hatte ich ein schlechtes Gewissen bekommen.


Ich öffnete wieder meine Augen und war wieder in der Cafeteria angekommen.


Ob Charlie die Lichtung bereits gefunden hatte? Ich hoffte es.

„Alice?“, fragte ich.

Sie legte den Kopf schräg und sah mich neugierig an. „Ja?“

„Kannst du Charlie sehen?“

Ihr Gesicht wurde für ein paar Sekunden ausdruckslos und sie konzentrierte sich darauf, etwas zu sehen.

„Tut mir leid. Ich sehe ihn immer noch im Wald herum irren.“, antwortete sie betrübt.

Ich nickte enttäuscht. Das konnte ja noch heiter werden.

„Wenn er sie heute nicht findet, dann können wir ihm ja helfen.“, versuchte Rosalie mich aufzubauen.

Zweifelnd sah ich ihr ins Gesicht.
„Ach ja. Und wie bitte schön? Ich kann mir den Weg nicht merken, selbst wenn ihr ihn mir tausend Mal erklärt. Und die Tiere rennen doch sofort weg, wenn sie euch sehen.“, gab ich zurück.

Es klang sehr missmutig. Sofort schämte ich mich für mein Verhalten und schaute sie alle entschuldigend an. Dann blitzte in Alice Augen etwas auf, aber kurz darauf verzog sie angewidert das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

„Naja.“, begann zögerlich und widerstrebend.
„In diesem Fall könnten sich die Hunde vielleicht nützlich machen.“
Bei diesen Worten rümpften alle am Tisch die Nase, außer ich natürlich.
„Sie haben ja schließlich auch einen guten Geruchssinn und wären Charlie bei der Suche bestimmt gern behilflich.“

Überrascht schaute ich Alice an. Dass diese Idee gerade von einem Vampir kam, erstaunte mich. Ich spürte, wie die Hoffnung in mir wuchs. Als ich in die goldenen Augen sah, erkannte ich Widerstreben und Abneigung. Natürlich gefiel ihnen die Idee nicht besonders. Und das alles nur wegen dieses Vertrages. Aber wenigstens hatte mich Alice nun auf die Idee gebracht und ich fühlte mich etwas wohler. Ich holte mein Handy heraus und wählte die Nummer der Blacks.

„Hallo?“, fragte eine weibliche Stimme höflich.

„Hallo Sarah, hier ist Bella.“

„Oh, hallo Bella. Was kann ich für dich tun?“

Mit einem Mal kam mir ein Gedanke. Es war erst Mittag und Jacob war bestimmt noch nicht zuhause. Es war dumm, ihn bereits jetzt anzurufen. Verzweifelt seufzte ich, versuchte es jedoch. Vielleicht hatte ich ja Glück. Aber das Glück und ich kamen meistens nicht gut miteinander aus. Ich war schon mehr als glücklich, dass ich Edward kennen lernen und meinen Bruder wieder finden konnte.

„Äh…Ist Jacob vielleicht schon da?“, fragte ich unsicher.

„Das ist heute wohl dein Glückstag.“, antwortete Sarah und ich hörte das Lächeln, welches in ihrer Stimme mitschwang.
„Warte, ich gebe ihn dir mal.“

Ich wartete einen Augenblick.

„Hallo Bella.“, hörte ich seine angenehm raue Stimme.

Es schien, als würde er vor Freude gleich platzen.

„Hallo, Jake.“, begrüßte ich ihn leicht lachend.
Seine gute Laune war ansteckend.

„Was gibt’s? Sag jetzt bloß nicht, dass du die Schule schwänzen willst und du rufst an, damit ich dich abholen soll.“, mutmaßte er amüsiert und gespielt entrüstet.

Ich meinte neben mir leises Kichern zu hören, achtete aber nicht darauf.

„Und was ist mit dir?“, gab ich trotzig zurück.

„Ich hatte früher Schulschluss.“
Seine Stimme klang fest und selbstbewusst, doch dann veränderte sich sofort sein Tonfall.
„Also. Was ist los?“
Nun klang er ernst und besorgt.

Ich biss mir auf die Lippe, unsicher, wie ich es ihm erzählen sollte. Dann holte ich tief Luft und erzählte ihm dieselbe Geschichte, die ich Charlie heute Morgen erzählt hatte. Er musste ja nicht unbedingt wissen, dass Edward diese Träume hatte und nicht ich.

„Und nun wollte ich dich bitten, ob du Charlie bei der Suche nach den…Leichen vielleicht behilflich sein könntest?“

Die letzten Worte flüsterte ich nur zur Sicherheit, aber ich wusste, dass Jake mich auch so verstehen würde. Während meiner ganzen Erzählung hatte er mich kein einziges Mal unterbrochen. Als ich geendet hatte, wartete ich gespannt auf seine Antwort. Ich konnte ihn selbst durch das Telefon leise aber schwer atmen hören.

„Okay. Ich werde sofort losziehen und Charlie helfen.“, sagte Jacob mit gepresster Stimme.
Dann hörte ich ein tiefes Einatmen.
„Mach dir keine Sorgen. Es wird schon alles gut, Bella.“, sagte er jetzt wieder mit sanfterer Stimme.

Er wollte mir damit die Anspannung nehmen und tatsächlich ließ sie bei seinen Worten etwas nach. Ich atmete laut aus.

„Danke, Jake.“, erwiderte ich erleichtert.
„Dann viel Glück.“

Jacob lachte leise. „Bis dann.“, schloss er und beendete die Verbindung.

Ich steckte mein Handy zurück in meine Hosentasche und wandte mich wieder meinem Essen zu. Ich hatte bis jetzt nicht viel gegessen.

„Geht es dir jetzt besser?“, fragte Edward mit seiner Samtstimme mitfühlend und drückte meine Hand.

Ich sah zu ihm auf und lächelte leicht. „Etwas.“, gab ich zu.

Er lächelte sein schiefes Lächeln und ich wusste, dass er mich damit beruhigen wollte. Auch spürte ich eine Welle der Gelassenheit, die mich plötzlich erfasste. Mein Gott, dachte ich verärgert. Dachten denn wirklich alle, dass ich aus Porzellan wäre? Ich sagte nichts, sondern ließ alles auf mich zukommen.

„Bella?“, sprach Edward mich an.

„Mhh?“, gab ich kauend von mir.

„Es tut mir leid, aber wir werden morgen nicht bei dir sein können.“, sagte er im verhärmten Tonfall.
„Es wird morgen schönes Wetter sein. Und wir alle müssen mal wieder jagen gehen. Also wirklich alle.“

Ich schluckte mein Essen hinunter. Wirklich alle Cullens wollten zusammen jagen gehen? Dann wird das ja wirklich ein großer Familienausflug.

„Okay.“, antwortete ich gleichgültig.

Edward schaute mich besorgt und prüfend an. Ich senkte den Blick, starrte auf meinen Teller und aß weiter.


Später am Abend, als ich mit Charlie am Abendbrottisch saß, erzählte er mir alles.

„Wir sind zu der Stelle gefahren, die du mir sagt hast und sind dann mit den Hunden in den Wald gelaufen. Wir haben stundenlang gesucht, aber nie haben die Hunde angeschlagen. Meine Kollegen murrten schon herum, dass der anonyme Hinweis ein Scherz war, doch ich zwang sie dazu, mit mir weiter zu suchen. Ich gab es nicht gern zu. Aber mit jeder weiteren Minute die verging, schrumpfte auch meine Hoffnung. Und ganz plötzlich kam Jacob durch das Farnengestrüpp gelaufen und sagte mir, dass du ihn angerufen und um seine Mithilfe gebeten hast. Im ersten Augenblick gefiel mir das nicht. Aber dann dachte ich, warum denn nicht? Schließlich ist Jake für sein Alter schon sehr erwachsen und sehr verantwortungsbewusst. Er ging manchmal neben mir her, meistens ging er voraus und ich konnte ihn manchmal tief einatmen hören. Man hätte ja fast denken können, dass er die Fährte aufnehmen wollte.“

Ich lachte leise in mich hinein. Charlie runzelte nachdenklich die Stirn und fuhr dann fort.

„Es war wirklich seltsam. Naja. Dann lenkte er uns plötzlich in die eine oder andere Richtung und ganz unvermittelt schlugen die Hunde an und rannten voraus. Wir rannten so schnell wir konnten hinter ihnen her, aber Jake war natürlich viel schneller. Er ist ja auch noch jung. Wir gelangten auf eine schöne Lichtung und sahen zu den Hunden, die total verrückt spielten. Sie bellten und fingen an, an verschiedenen Stellen Löcher zu buddeln und schnüffelten und schnüffelten. Dann nahmen wir unsere Schaufeln und fingen an zu graben.“

Charlie stockte und schaute mich prüfend an. Er war sich nicht sicher, ob er weiter erzählen sollte. Doch ich schaute gespannt mit großen Augen und wartete auf die Fortsetzung. Er seufzte resignierend und nahm den Faden seiner Geschichte wieder auf.

„Und tatsächlich haben wir die Leichen von Mädchen gefunden, die alle eine Kette mit einem blauen Schmetterling trugen.“

Seine Stimme hatte bei diesen Worten einen traurigen und wütenden Klang bekommen. Dann brach ich das erdrückende Schweigen.

„Wie viele habt ihr gefunden?“, fragte ich zaghaft mit tonloser Stimme.

Nach einer Weile sagte er: „33.“

Ich nickte. „Das sind alle.“, bemerkte ich.

Das hoffe ich wenigstens, fügte ich in Gedanken hinzu.

Charlie erwiderte nichts darauf. Er schaute ein paar Sekunden stumm auf seinen Teller, dann aß er wieder. Ich tat es ihm gleich und den Rest des Essens verbrachten wir schweigend. Nachdem die Küche wieder sauber und ordentlich war ging ich nach oben in mein Zimmer, ohne Charlie eine gute Nacht zu wünschen. Auch er sagte nichts. Ihm machte dieses Thema auch sehr zu schaffen.

Ich seufzte und stellte mich auf eine weitere Nacht ohne meinen Bruder, ohne Edward ein. Was die beiden wohl in Jacksoville machten? Ich hatte überlegt, Edward anzurufen und den beiden von den neusten Entwicklungen zu berichten, entschied mich aber dagegen. Das würde die beiden nur unnötig in Panik versetzen. Und dann hätten sowohl Edward, als auch Andy keine ruhige Sekunde mehr. Sie sollten sich lieber auf ihre Aufgabe konzentrieren, welche immer das auch war.

Die Nacht verging traumlos. Nur noch 6 Tage bis zum Gerichtstermin. Ob es Edward und Andy bis dahin schaffen würden? Ich hoffte es. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob ich das ohne die beiden durchstehen würde. Obwohl das schreckliche Datum lauerte, lief mir die Zeit geradezu davon. Gerade war ich aufgestanden, schon war ich wieder in der Schule. Man sollte meinen, dass ich bangen sollte, da ich bald wieder auf dieses Monster treffen würde. Aber irgendwie wollte sich dieses Gefühl bei mir einfach nicht einstellen. Noch nicht. Ich wollte nur, dass diese ganze Sache endlich ein Ende hatte und dass die Seelen der Mädchen erlöst wurden. Was mit mir geschah, rückte bei mir noch nicht in den Vordergrund. Bestimmt würde ich erst in Panik verfallen, wenn es soweit war, wenn ich im Gerichtssaal saß. Aber bis dahin dauerte es noch ein paar Tage.

In der Schule war es genauso wie immer. Irgendwie war ich froh, dass keine Cullens heute da waren. Somit musste ich nicht diese besorgten Blicke ertragen. Ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Es gelang mir ziemlich gut und ich konnte für ein paar Stunden die Lichtung und die Leichen der Mädchen vergessen. Sogar in Sport arbeitete ich eifrig mit, während meine Mitschüler mich die ganze Zeit nur ungläubig anstarrten.

Als die Schule aus war, ging ich zu meinen Transporter, startete den Motor und fuhr nach Hause. Jedoch wollte ich gleich wieder losfahren, da ich nur in den Kühlschrank und in die Regale sehen wollte, um einen Einkaufszettel erstellen zu können. Ich sah überall nach und hatte nach 10 Minuten meine Liste mit Besorgungen fertig. Ich ging nach oben, holte meine Handtasche und lief wieder nach unten, um mir die Schuhe anzuziehen. Als ich für das Wetter bereit war, trat ich hinaus – es regnete leicht –, schloss die Tür ab und deponierte den Schlüssel unter dem Dachvorsprung. Ich ging zurück zu meinem Transporter und hatte meine Hand am Türgriff.

Plötzlich wurde mir etwas vor dem Mund gehalten und ich konnte diese unerträgliche Hitze wieder spüren. Ich schlug und trat wild um mich, doch schon im nächsten Moment verlor ich das Bewusstsein. Alles um mich herum war schwarz. Ich hörte ein Summen. Ein Summen, das immer lauter und klarer wurde.

„Wach auf!“, sagte eine Männerstimme kurz angebunden.

Ich schlug die Augen auf und erschrak. Mir wich sämtliches Blut aus dem Gesicht und die Angst und Panik durchfuhren mich. Ich sah in das Gesicht von Joshua Uely. Er machte ein verbissenes Gesicht, als müsse er seine Wut im Zaum halten. Ich sah mich kurz um und schnappte erschrocken nach Luft.

Ich befand mich in demselben Raum, indem ich vor 11 Jahren war. Mit einem Unterschied. Dieses Mal war der Raum hell beleuchtet und ich konnte das Bett sehen. Mein Blick wanderte wie mechanisch wieder zu ihm. Er wollte sich rächen. Er wollte vielleicht seine Tat zu Ende bringen. Ich wollte etwas sagen, aber die Angst schnürte mir die Kehle zu. Es hatte sich rein gar nichts verändert. Ich hatte mich nicht verändert. Äußerlich mag ich zwar um 11 Jahre gealtert sein, aber in diesem Moment war ich wieder das kleine 7-jährige Mädchen. Dann traf mich die Erkenntnis und in meinen Augen sammelten sich Tränen. Ich gab jedoch keinen Laut von mir. Bitte nicht. Bitte. Nicht noch einmal.

„Wurde aber auch Zeit.“, sagte er bissig und trat auf mich zu.

Dann erwachte mein Selbsterhaltungstrieb und ich konnte mich wieder bewegen. Ich richtete mich vom Boden auf. Zorn und Verzweiflung stiegen in mir auf. Ich ballte die rechte Hand zu einer Faust, holte aus und schlug ihn so kräftig ins Gesicht, wie ich nur konnte. Ich hörte ein Knacken und spürte, dass meine Hand gebrochen war. Es war, als hätte ich gegen hartes Zement geschlagen. Es tat höllisch weh, doch ich gab keinen Schmerzensschrei von mir. Soweit hatte ich mich im Griff. Es fiel mir erstaunlicherweise leicht den Schmerz in meiner Hand zu ignorieren.
Sein Kopf hatte sich durch meinen Schlag nicht ein bisschen nach links gewendet. Es war, als hätte er überhaupt nichts gespürt. Er verzog das Gesicht zu einem boshaften Grinsen.

„Magst du solche Spielchen? Ich kann dich auch härter anfassen.“

Sein Grinsen erstarb und wurde von einer wutverzerrten Maske ersetzt. Er holte aus und verpasste mir eine Ohrfeige. Auch diesen Schmerz spürte ich deutlich, konnte aber auch diesen ignorieren. Ich wandte mich ihm wieder zu. Sein Gesicht strahlte immer noch Wut aus.

„Komm. Wir haben noch was vor.“

Seine Stimme klang etwas ruhiger, obwohl sein Gesicht etwas anderes sagte. Er deutete aufs Bett. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Nein! Nein! Nicht das Bett. Meine Augen fanden die Tür und ich rannte los. Doch natürlich hatte ich keine Chance. Er hatte mich schon am Arm gepackt und begann mich langsam zum Bett zu zerren, während ich mich mit aller Macht wehrte. Auf dem Weg zum dorthin fing er plötzlich an zu reden und in seiner Stimme schlich sich wieder leichte Wut.

„Denkst du etwa ich weiß nicht, dass du die Ruhestätte gefunden hast?“

Die Ruhestätte? So nannte er den Ort der Begräbnisse?

„Ich habe alles mitgehört, was dein Freund Jacob Black gedacht hat, als er auf dem Weg zur Lichtung war.“

„Aber wie?“, hörte ich mich selbst mit zittriger Stimme sagen.

„Hat er dir das nie erzählt? Wenn wir in Wolfsgestalt sind, können wir die Gedanken der anderen hören. Naja, ich habe mich öfters im Gefängnis in einen Wolf verwandelt, ohne dass jemand etwas davon mitbekam, um auf dem Laufenden zu bleiben. Es war ja immerhin sehr gut möglich, dass du ihn um Hilfe bitten würdest. Und als ich diese Worte hörte, bin ich in der Nacht ausgerissen. Wölfe sind ziemlich stark.“

Ich schluckte.

„Aber warum hat Jacob oder ein anderer Wolf dann nichts von deinen Plänen mitbekommen?“

Ich musste ihn und mich selbst ablenken. Jede Sekunde wurde die Panik in mir größer.

„Ich habe gelernt meine Gedanken über die Jahre zu kontrollieren. Ich kann sie gut verbergen, wenn ich will. Also konnte niemand meine Gedanken hören.“

Ich hörte ein Lächeln in seiner Stimme. Oh nein. Und er hat sich bestimmt den heutigen Tag ausgesucht, weil er keine Vampire in meiner Nähe gerochen hatte. Somit war ich ihm schutzlos ausgeliefert. Ob Charlie schon wusste, dass er ausgebrochen war? Ich hatte ihn heute noch nicht gesehen. Wir waren am Bett angelangt und er wandte sich mir zu.

„Zieh dich aus.“, sagte er brüsk.

Ich regte mich nicht.

„Du willst mich doch nicht wütend machen, oder?“, sagte er herausfordernd.

Wieder musste ich schwer schlucken, aber ich regte mich nicht. Nach wenigen Sekunden war sein wütender Gesichtsausdruck wieder zurück gekehrt und er zerrte an meinen Kleidern, riss sie mir vom Leib. Ich schrie auf, während er das tat und ich schließlich nackt vor ihm stand. Meine Unterwäsche hatte er mit einer kleinen Handbewegung ebenfalls zerrissen. Er packte meinen Arm und warf mich unsanft aufs Bett.

Mit einem Mal pochte der Schmerz in meiner rechten Hand, doch dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, den ich gleich erleiden sollte. Die Angst und die Panik füllten meinen ganzen Körper aus. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich konnte nicht weglaufen. Er war zu stark und zu schnell für mich. Ich konnte ihm ja nicht mal eine verpassen und ihn bewusstlos schlagen. Ich konnte nichts tun. Das Handy war in meiner zerrissenen Hose, doch daran kam ich nicht heran.

Ich sah ihn geschockt an, doch ich sah ihn nicht wirklich. Wie benommen nahm ich war, wie er seine untere Körperhälfte frei machte. Dann zog er meine Schuhe aus und warf sie achtlos quer durch den Raum. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich war wie paralysiert. Was würde er mit mir machen? Mich wieder vergewaltigen und dann woanders verscharren? Oder würde er mich gleich nach dem Akt töten? Oder währenddessen. Mein ganzer Körper wurde eiskalt vor lauter Angst.

Er legte sich auf mich und drang in mich ein. Mit ruckartigen und schnellen Stößen bewegte er sich in mir. Es war noch brutaler als damals, falls das überhaupt möglich war. Ab und zu ertönte ein wohl lustvolles Stöhnen seinerseits. Dieses Geräusch schmerzte in meinen Ohren. Dieses Mal hielt er meine Arme nicht fest. Ich schlug nicht um mich, versuchte erst gar nicht mich zu wehren. Es hatte keinen Sinn.

Mir wurde bewusst, dass ich Edward, meinen Bruder, meine beiden Elternpaare, meine zwei Vampirfamilien nie wieder sehen würde. Stumm liefen mir die Tränen über die Wangen, während er mich weiterhin hart nahm. Ich brachte es nicht fertig meinen Schmerz und meine Verzweiflung nach außen dringen zu lassen. Kein Laut verließ meinen Mund, während ich innerlich Höllenqualen erlitt. Irgendwann wurden die Abstände zwischen seinen Stößen kürzer und er bewegte sich immer schneller in mir. Gleich würde es vorbei sein.

Dann plötzlich packte er mit seinen Pranken meine Kehle und sah mich mit einer Mischung aus Wut und Lust an, während er mir die Luft abschnitt. Immer fester drückte er zu, während ich nach Luft rang. Jetzt würde ich sterben. So hatte ich mir meinen Tod nicht vorgestellt. Nein, absolut nicht. Ich wollte für immer mit Edward und den anderen zusammen sein. Aber dieser Traum würde nun hier enden.

Keiner würde zu meiner Rettung kommen.

Keiner wusste, dass ich hier war.

Ich würde hier und jetzt sterben.

Ich dachte ein letztes Mal an alle Menschen, die ich liebte. Ich hoffte, dass Edward und Andy mit meinem Tod zurecht kommen und meinetwegen keine Selbstmordgedanken hegten würden. Ich dachte an meine Eltern. An die zwei Charlies und an die zwei Renees. Wie traurig sie sein würden, wenn sie von meinem Tod erfahren würden. Aber sie würden ihr Leben weiterleben und ich hoffte, dass sie eines Tages wieder glücklich werden konnten.

Auch wünschte ich Elizabeth und Andy alles Glück dieser Welt. Ich stellte mir kurz ihre Hochzeit ihre strahlenden Gesichter vor.

Edward.

Ich wünschte ihm ebenfalls alles Gute dieser Welt. Ich wünschte mir, dass auch er irgendwann wieder glücklich sein konnte. Irgendwann in ferner Zukunft. Er sollte leben und nicht sterben, nur weil ich diese Welt gleich verlassen würde. Vielleicht würde er eines Tages eine hübsche Vampirfrau kennen lernen, die auch sein Herz berühren konnte.

Macht’s gut, dachte ich und sah ein letztes Mal jedes einzelne Gesicht vor meinen inneren Augen.


Charlie.

Renee.

Elizabeth.

Alice.

Jasper.

Emmett.

Rosalie.

Andy.

Edward.


Ich spürte, wie mir das letzte bisschen Luft aus meiner Lunge entwich. Eine letzte Träne lief aus meinem rechten Auge.


Plötzlich lockerte sich der Griff um meinen Hals und die schrecklich heißen Hände waren fort. Ich zog die Luft in mir ein, als meine Atemwege nicht mehr blockiert waren und hustete ein paar Mal. Einige Augenblicke später konnte ich wieder meine Umgebung wahrnehmen, richtete mich auf und sah mit weit aufgerissenen Augen, was sich vor mir abspielte. Emmett, Jasper und Edward standen einem riesigen feuerroten Werwolf gegenüber. Ich wusste nicht, welcher Emmett es war, der da mit ihnen kämpfte. Sie sprangen auf dem Werwolf zu und er schnappte nach ihnen und schüttelte sie ab, als sie versuchten, ihn zu beißen. Das Spiel ging hin und her und viel zu schnell für meine menschlichen Augen. Ich hörte ein Aufheulen.

Plötzlich tauchte ein Gesicht vor mir auf und ich wich vor Angst zurück. Ich blinzelte ein paar Mal und erkannte, dass es der rothaarige Carlisle war.

„Sch.“, machte er beruhigend.
„Bella, ich bin’s. Habe keine Angst.“

Er musterte mich eindringlich und sein Blick fiel auf meine rechte Hand. Seinem Blick mach zu urteilen, wusste er, dass sie gebrochen war. Noch immer unter Schock stehend, sah ich ihn mit angsterfüllten großen Augen an. Ich brachte kein Wort heraus. Hinter uns lief der Kampf weiter. Ich hörte lautes Krachen, doch ich konnte mich darauf nicht konzentrieren. Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren.

Carlisle musste meine rechte Hand berührt haben, denn ich spürte eine Kälte, vor der ich im ersten Moment zurück wich, dann aber sofort als angenehm empfand. Plötzlich strömten mir die Tränen über die Wangen, während ich langsam wieder richtig atmen konnte. Diese angenehme Kälte erinnerte mich an ihn.

Edward, dachte ich verzweifelt. Ich will jetzt zu Edward.

Die Tränen verschleierten meine Sicht, dennoch konnte ich erkennen, dass meine Umgebung flackerte. Im Inneren wusste ich, was nun geschah. Aber diese Tatsache gelangte noch nicht sofort in mein Bewusstsein. Ich sah, wie Carlisles Mund sich bewegte und er etwas zu mir sagte. Aber leider verstand ich nichts. Es kam mir vor, als würde ich herum gewirbelt werden? Wo war ich? Alles war so verwirrend. Wo befand ich mich gerade? Gerade sah ich noch Carlisles besorgten Blick vor mir und im nächsten Moment, sah ich nichts mehr. Ich spürte, dass ich auf Stoff lag, der sich kalt anfühlte.


(Reguläres Universum)




„BELLA?!“, schrie eine Stimme erschrocken und verwirrt zugleich.

Es war die herrlichste Stimme von allen. Es war seine Stimme. Aber konnte ich meiner Wahrnehmung trauen? Gaukelte mir mein Gehör nur etwas vor? Ich hob den Kopf und sah in das schöne blasse Gesicht mit den goldenen Augen, die groß vor Erstaunen und Schreck waren. Der Kopf wurde vom verwuschelten bronzefarbenen Haar bedeckt. Ja, es war wirklich Edward. Ich lag auf seiner Brust. Als ich das realisiert hatte, strömten Tränen der Freude über mein Gesicht.

Edward blinzelte. Er schien den Schock endlich überwunden zu haben, richtete sich mit mir auf und umklammerte mit seinen kalten Armen meinen nackten Körper so fest, dass ich dachte, ich würde wieder ersticken. Ich hörte, wie etwas zu Boden fiel. Ich schlang die Arme um seinen Hals und presste mich enger an ihn und schluchzte leise an seiner Kehle. Ich keuchte und inhalierte so oft wie möglich seinen köstlichen Duft. Ich war bei ihm. In seinen Armen.

Das musste der Himmel sein, dachte ich. Halt! Ich war ja gar nicht tot.

Edward wiegte uns etwas zu schnell hin und her, um mich zu beruhigen. Auch er war ziemlich aufgewühlt. Das konnte ich spüren.

„Bella. Bella, Liebste. Ich bin da. Ich bin bei dir. Keine Angst.“, sagte er immer wieder und schluchzte ebenfalls leise, allerdings ohne Tränen.

Drei Pärchen




Bellas POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




Mir kam es wie eine Ewigkeit vor und doch nur wie wenige Sekunden, als Edward aufhörte uns hin und her zu wiegen. Ich hatte mich langsam wieder beruhigt und mein Körper hatte sich mit der Zeit immer mehr entspannt. Es war sehr befreiend, wieder seine Kälte zu spüren. Ich merkte, dass Edward sich auch wieder gefasst hatte. Keiner von uns beiden schluchzte mehr. Einen Moment hielt er mich einfach in seinen Armen und strich mir tröstend durchs Haar. Dann löste er sich von mir und musterte mein Gesicht eindringlich. Auch ich sah ihm ins Gesicht.

Ich könnte mich irren, aber für einen kurzen Moment dachte ich, dass seine Augen sich für einen minimalen Augenblick von meinem Gesicht abwandten. Es geschah so schnell, dass ich mir nicht sicher war. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Neben Freude, Schrecken, sah ich noch etwas anderes in seinem Blick. Könnte es Verlegenheit sein? Da drang wieder eine Tatsache in mein Bewusstsein. Ich saß nackt vor ihm auf seinen Schoß. Sicher, es war Edward und ich hatte mir schon öfter Gedanken darüber gemacht, wie es wohl wäre mit ihm zu schlafen. Dennoch war es mir etwas peinlich. Denn unter diesen Umständen sollte er nie meinen Körper sehen. Meine Wangen wurden so heiß vor Scham, dass ich dachte, sie wurden brennen.

Dann spürte ich etwas anderes. Etwas, was sich unter meinem Becken beziehungsweise unter meinem linken Oberschenkel bemerkbar machte.

Etwas…Hartes…?

Meine Augen weiteten sich und ich kämpfte gegen den Drang an nach unten zu schauen, konnte mich aber nicht beherrschen, so schwer es auch war. Ich konnte zwar nichts sehen, dennoch wusste ich, was es war. Was ich da fühlte. Augenblicklich schoss mein Kopf wieder hoch und lief noch röter an. Mein ganzer Kopf müsste jetzt einer Tomate gleichen. Ich wunderte mich, dass mein Herz noch Blut zum Pumpen hatte. Es raste, drohte mir aus der Brust zu springen. Wie war das möglich? Müsste es eigentlich vor Scham nicht stehen bleiben, da mein ganzes Blut in mein Gesicht floss? So kam es mir jedenfalls vor. Mein Gesicht glühte und das war noch milde ausgedrückt.

Ich schaute Edward ins Gesicht. Diese Situation schien ihm ebenso etwas unangenehm zu sein. Er sah wirklich mehr als verlegen aus. Scham spiegelte sich in seinem blassen Gesicht und ich merkte, dass er leichte Probleme damit hatte, seinen Blick auf mein Gesicht liegen zu lassen. Wenn Vampire erröten könnten, dann wäre sein Gesicht vor lauter Scham explodiert. War es ihm vielleicht genauso peinlich, dass ich merkte, dass sein Körper auf mich reagierte, wie es mir peinlich war, dass ich entblößt vor ihm saß? Edward sog die Luft ein, öffnete seinen wundervollen Mund, wollte etwas sagen, stockte dann aber. Vielleicht schien er seine Stimme nicht zu finden. Nach kurzem Zögern durchbrach er endlich das Schweigen.

„Äh…“, begann er hauchend, dann sprach er mit klarer fester Stimme.

Sein Blick nur auf meinem Gesicht ruhend. Er sah immer noch besorgt aus.

„Bella, geht es dir gut?“, fragte er mehr als aus Höflichkeit.

Seine Stimme hatte noch immer einen leichten verlegenen Beiklang. Ich nickte nur. Mir fiel auf, dass ich bis jetzt kein einziges Wort gesagt hatte. Edward räusperte sich und holte tief Luft, als brauche er sie, um weitersprechen zu können.

„Gut. Ich werde unten auf dich warten.“, sagte er und wollte meine Schultern packen, zögerte jedoch kurz.

Dann nahm er sie sanft, darauf achtend mir nicht weh zu tun und setzte mich aufs Bett. Seine Augen fixierten dabei mein Gesicht. Es schien, als müsse er eine Menge Kraft aufbringen, um nicht woanders hin zu schauen. Er stand vom Bett auf, schritt zur Tür, warf mir über die Schulter einen besorgten Blick zu und verließ das Zimmer, wobei er die Tür hinter sich schloss. Ich starrte ihm wie gebannt hinter her.

Als ich hörte, wie die Zimmertür leise ins Schloss fiel, blinzelte ich und versuchte meine Gedanken wieder zu sammeln. Ich sah mich im Raum um, in dem ich mich befand und erkannte nach ein paar Sekunden, dass es mein Zimmer war. Ich seufzte erleichtert. Ich verließ das Zimmer und ging ins Bad, um meine Haut von diesem schrecklichen Angriff wieder reinzuwaschen. Zuerst erschrak ich ein wenig, als das heiße Wasser meinen Körper traf, dann beruhigte ich mich wieder. Ich rieb meinen ganzen Körper, jede Stelle mit Shampoo ein, dann spülte ich es wieder ab.
Diese ganze Prozedur wiederholte ich noch zweimal. Ich wollte einfach sichergehen, dass keine Spur mehr von diesem Ereignis zu sehen oder für einen Vampir zu riechen war. Ich wusste schließlich, dass der Geruch von Werwölfen für Vampire sehr unangenehm roch. Außerdem wollte ich selbst nicht, dass noch irgendetwas an meinem Körper von ihm haften blieb. Nachdem ich mir sicher war, dass alles sauber war und ich nur noch das Shampoo riechen konnte – es war Erdbeershampoo –, begann ich es in meine Haare einzumassieren. Auch dabei ließ ich mir sehr viel Zeit.

Während ich meinen ganzen Körper pflegte, hing ich meinen Gedanken nach.

Ich war also durch die Kraft meiner Gedanken, oder durch meine Fähigkeit wieder rüber gewechselt. Ich war wieder bei Edward. Ich konnte es eigentlich noch immer nicht fassen. Ich dachte wirklich, dass ich sterben würde und jetzt war ich hier in Jacksonville im Haus meiner…anderen Mutter, bei der Renee mit der ich die letzten Jahre meines Lebens verbracht hatte, und stand unter der Dusche. Ich war am Leben. Ich war ihm erneut entkommen.

Aber warum erst nachdem er mich missbraucht hatte? Warum nicht vorher oder mitten drin? Bevor er seine Hände an meinen Hals gelegt hatte. Ich verstand das nicht. Das Adrenalin war nur so durch meinen Körper gerauscht und ich war vor Angst und Panik wie gelähmt. Warum hatte sich meine Fähigkeit nicht eher aktiviert? Warum erst danach?

Ich dachte ein paar Sekunden darüber nach und hatte dann eine mögliche Erklärung gefunden. Sicher hatte mich die Angst gepackt. Aber ein Teil tief in mir drin, auch wenn er noch so klein war, hatte gewusst, dass ich ihm nicht entkommen konnte. Dieser kleine Teil hatte bereits alles aufgegeben. Hatte sich mit dem Tod abgefunden. Jetzt fragte ich mich, warum es diesen Teil in mir gab. Hatte der Übergang aufgrund dieser Tatsache deshalb nicht eher statt gefunden? Warum hatte ich aufgegeben, irgendwo? Hatte ich etwa keinen Grund mehr zum Leben gesehen? Warum habe ich nicht eher an Edward gedacht? Oder hätte ich früher und intensiver an ihn denken müssen?

Lag es vielleicht daran, dass ich diese Sache nun nicht mehr mit den Augen eines Kindes gesehen habe? Habe ich vor 11 Jahren viel früher und intensiver an die Menschen gedacht, denen ich etwas bedeutete? Hatte ich mich damals so an den Wunsch geklammert, sie wiederzusehen, dass ich ihm schließlich entkommen, das „Eis brechen“ und sich meine Fähigkeit das erste Mal entfalten konnte? Lag es vielleicht wirklich daran, dass ein Teil von mir bereit war zu sterben?

Vielleicht.

Schließlich war ich damals auch zum Sterben bereit gewesen, als ich im Frühling hier in diesem Phoenix von James angegriffen wurde. Ich hatte mich mit meinem Schicksal damals abgefunden. War bereit gewesen alles aufzugeben, obwohl ich Angst verspürt hatte. Wäre ich der Konfrontation damals anders gegenüber getreten, wäre ich dann aus dem Ballettstudio in die andere Welt verschwunden? Dann wäre alles anders gekommen. Edward hätte nicht mein Blut saugen müssen, um das Gift von James zu entfernen und ich wäre nie im Krankenhaus gelandet.

Wer weiß schon, wie meine Geschichte dann weiterverlaufen wäre?

Fragen, Fragen, Fragen. Es waren alles nur Vermutungen und Theorien.
Aber was blieb einem schon anderes übrig?

Ich seufzte. Ich fragte mich, wie es wohl den anderen Cullens ging und was mit dem feuerroten Werwolf geschehen ist? Hatten sie ihn endlich töten können? Oder konnte der Werwolf sie überwältigen? Angst durchzuckte meinen Körper, als ich mir ihre Leichen und ihn in Wolfsgestalt vorstellte. Sogar in meiner Einbildung hatte der Werwolf das gleiche boshafte Grinsen auf seinem Gesicht, welches er ebenfalls als Mensch hatte. Diese Grimasse vor meinen inneren Augen offenbarte seine spitzen Zähne. Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Ich nahm mir vor, sobald wie möglich Kontakt mit den anderen aufzunehmen. All diese Theorien und Überlegungen schwirrten in meinem Kopf herum, während ich fertig geduscht, mit einem abgetrockneten und einem Handtuch umwickelten Körper das Badezimmer wieder verließ und in meinem Zimmer Sachen zum Anziehen raussuchte.

Es war merkwürdig, leichte Kleidung auszusortieren. Eine dreiviertel Jeans und eine ärmellose blaue Bluse. Während ich mir die Sachen zurecht legte und mich anzog, fiel mir auf, dass so gut wie kein Sonnenstrahl in mein Zimmer drang. Kein Wunder. Die Jalousie war herunter gezogen. Warum? Natürlich, dachte ich und hätte mir fast mit der Hand an die Stirn geschlagen. Edward war ja hier. Und schließlich musste er sich von der Sonne fern halten um nicht aufzufallen. Ich fragte mich, wie er wohl mit seiner neuen Umgebung zurecht kam. Es war für ihn bestimmt nicht einfach.

Ich grübelte weiter darüber nach, während ich wieder mit dem Handtuch ins Bad zurück kehrte, nachdem ich fertig angezogen war. Ich hing das Handtuch wieder an den Hacken und nahm den Föhn zur Hand, um meine Haare zu bearbeiten. Als ich damit fertig war, putzte ich mir abschließend sehr gründlich die Zähne. Als meine Zähne wieder glänzten und mein Atem wieder angenehm roch spülte ich den Mund mit Wasser aus, stellte die Zahnbürste wieder in den Becher und wischte mir den Mund trocken. Ich sah mein Gesicht im Spiegel an. Es war immer noch leicht blass von dem…Erlebnis. Auch in den Augen konnte man erkennen, dass diese Sache nicht spurlos an mir vorbei gegangen war. Besonders auffällig waren die Abdrücke an meinem Hals. Auch war meine eine Wange noch etwas rot. Dort konnte ich ebenso einen leichten Abdruck erkennen. Ich schloss die Augen, holte tief Luft und öffnete sie wieder. Ich versuchte ein echtes Lächeln auf mein Gesicht zu legen, ging hinaus und die Treppe hinunter.

Am Fuße der Treppe stand mein persönlicher Engel und wartete schon sehnsüchtig auf mich. Als er mich sah, lächelte er sein schiefes Lächeln und seine Augen leuchteten vor Glück und Freude. Doch unter der Oberfläche war noch immer die Sorge zu erkennen. Ich zog die Augenbrauen zusammen, als ich ihn näher betrachtete.

Erst jetzt fiel mir auf, wie eigenartig seine Haut aussah. Sie war weiß. Zu weiß. Sein Gesicht war mit etwas eingeschmiert. Ich runzelte die Stirn. Was war das? Und warum hatte er das getan? Warum war mir das nicht schon früher aufgefallen? Wahrscheinlich hatte ich noch unter zu großem Schock gestanden.

Am Fuße der Treppe angelangt – erstaunlicherweise ohne zu stolpern – sah er mir in die Augen und ich merkte, wie sich meine Mundwinkel hoben. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wurde vorsichtig, unsicher, ja fast schmerzvoll. Was bedrückte ihn nur? Ich hörte ein leises Seufzen. Dann hob er die Hände und näherte sich meinem Gesicht. Sie berührten es. Nein nicht ganz. Dann ließ er die Hände wieder sinken. Seine goldenen Augen waren vom Schmerz erfüllt, den ich mir nicht erklären konnte.

„Edward, was hast du?“, fragte ich besorgt.

Ich sah, wie es um seine Mundwinkel zuckte, als er meine Stimme hörte. Er holte tief Luft. Seine Stimme klang unsicher, wackelig und eine kleine Spur wütend. Was er sagte, verwirrte und überraschte mich zugleich.

„Darf ich nahe kommen? Gestattest du mir, dich zu berühren?“

Seine Augen wanderten zu meinem Hals und Wut blitzte in ihnen auf. Ich runzelte die Stirn. Warum fragte er das? Schließlich hatte er mich doch nach meiner Ankunft bereits in den Armen gehalten. Er hatte bestimmt schon eine Ahnung was mit mir passiert war, war sich aber nicht sicher, wie ich auf seine Berührungen, auf Berührungen überhaupt reagieren würde, nachdem ich wieder bei klarem Verstand war. Ich seufzte und lächelte ihn an. Wie konnte er nur denken, ich würde seine Nähe jetzt nicht ertragen können? Er war schließlich einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Er war es, zu dem ich wollte. Seine Kälte war es, die ich fühlen wollte. Seine Haut sollte meine äußere und innere Hitze vertreiben.

Ich nahm sein Gesicht fest in meine Hände. Es fühlte sich eigenartig an. Leicht glitschig und etwas „weicher“ als sonst. Ich fragte mich nur, warum er diese Gesichtscreme aufgetragen hatte. War das vielleicht eine Maske zur Pflege der Haut? Wozu brauchte er so etwas? Er war das schönste Wesen, das ich kannte und seine Haut war makellos.

Ich zog sein Gesicht zu meinem heran und drückte meine Lippen auf seine. Zuerst schien es, als würden seine Lippen, sein ganzer Körper erstarren. Dann bewegten sie sich im Einklang mit meinen und wir küssten uns zärtlich, während ich mit meiner Zunge gegen seine Lippe stieß und um Einlass bat. Er seufzte und öffnete den Mund. Unsere Zungen fanden einander und verschlangen sich gegenseitig. Im nächsten Moment spürte ich seine Arme um meinen Körper und er drückte mich enger an seinen Körper. Wieder seufzte er. Ich ebenso.

Unser Kuss zog sich hin und nach einer Weile wurden seine Lippen drängender, bewegten sich fordernder auf meinen. Nur allzu gern tat ich dasselbe. Es war so herrlich seine spiegelglatten Lippen wieder zu spüren, zu schmecken. Obwohl wir noch nicht lange voneinander getrennt waren, kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Er verstärkte seinen Griff um mich, als wollte er, dass wir ewig miteinander verschmolzen blieben. Doch irgendwann ging mir die Luft aus und er gab mich frei, damit ich meine Lungen mit Sauerstoff füllen konnte.

Seine Augen waren einen Ton dunkler als vorhin, dennoch strahlten sie voller Glück und Erleichterung. Hatte er wirklich gedacht, dass ich ihn nicht mehr wollte? So ein Unsinn! Ich würde ihn immer wollen. Ich erwiderte seinen Blick und merkte, dass ich auf einer Wolke des Glücks schwebte. Automatisch hoben sich meine Mundwinkel, als ich wieder richtig atmen konnte. Dann hörte ich endlich wieder seine wunderschöne Samtstimme.

„Ich bin froh, dass du wieder bei mir bist.“
Er beugte sich hinab und legte seine Stirn an meine.
„Ich liebe dich.“, flüsterte er.

Sein Atem streifte mein Gesicht und sein süßer Duft war einfach überwältigend. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich gleich in Ohnmacht fallen.

„Ich liebe dich auch.“

Das schiefe Lächeln erhellte sein Gesicht wieder und er wich etwas zurück, hielt mich aber immer noch fest in den Armen. Ich zog erneut die Augenbrauen zusammen und musterte sein Gesicht. Verwirrt sah er mich an.

„Bella, Liebste. Was ist?“, es klang etwas besorgt.

„Was ist das eigentlich?“, sprach ich mehr zu mir selbst, ohne auf seine Frage zu antworten.

Dann betrachtete ich meine Hände und runzelte verwirrt die Stirn. Das sah aus und roch wie…

“Ist das Sonnencreme?“, fragte ich entsetzt und verblüfft.

Ich blickte Edward ernst in die Augen. Er grinste breit, sodass ich seine weißen Zähne sehen konnte.

„Ja.“, bestätigte er.

„Wozu?“

„Andy hat herausgefunden, dass Sonnencreme mit einem hohen Lichtschutzfaktor das Glitzern der Haut abschwächt. Es ist kaum noch wahrzunehmen. Wenn ich eingecremt bin…“ – er runzelte die Stirn – „…dann kann ich mich frei in der Sonne bewegen.“, erklärte er.

Mit großen Augen und offenen Mund starrte ich ihn an. Okay. Edward hatte also mit der Sonne keine großen Probleme mehr. Also brauchte ich mir darüber keine Sorgen mehr zu machen. Somit hatte ich eine Sorge weniger. Dann sickerte eine andere Information in mein Gehirn.

„Andy? Wo ist er? Und wo ist Renee?“, brach es aus mir heraus.

Es klang schon beinahe hysterisch. Ich war wohl doch noch etwas aufgekratzt von der ganzen Sache. Edward strich mir beruhigend durch mein geföhntes leicht gelocktes Haar.

„Die beiden sind in der Stadt. Sie werden bald hier sein.“, versuchte er mich mit seiner Antwort zu beruhigen.

Ich atmete erleichtert aus. Ich lächelte.

„Warum bist du nicht mitgegangen?“, neckte ich ihn.

Auch er lächelte.

"Nur weil ich jetzt im Sonnenlicht nicht mehr auffalle, heißt das nicht unbedingt, dass ich mich ständig draußen aufhalte. Es ist für mich noch etwas schwer, mich an diesen neuen Umstand zu gewöhnen.“
Er machte eine Pause und seine Miene wurde ernster, während das Lächeln fast ganz aus seinem Gesicht verschwand.
„Außerdem wenn ich nicht hier geblieben wäre, hätte ich deine…Ankunft verpasst.“

Auch ich wurde ernst und schüttelte den Kopf.
„Das hätte keine Rolle gespielt. Ich wäre überall angekommen, wo immer du dich auch aufgehalten hättest.“

Seine Augen wurden schmal.

„Möchtest du mir nicht erzählen was passiert ist?“, bat er.

Er berührte meine gerötete Wange und meinen Hals. Ich atmete tief ein, bevor ich antwortete.

„Lass uns dafür lieber ins Wohnzimmer gehen.“, schlug ich mit ruhiger Stimme vor.


Nachdem ich Edward erzählt hatte, was nach seiner „Abreise“ alles geschehen war, war sein Gesicht wutverzerrt, seine Hände zu Fäusten geballt und seine Augen funkelten voller Zorn. Mit einem Mal hatte ich Angst um unsere Möbel. Er sah so aus, als müsse er auf irgendetwas einschlagen. Naja, verdenken konnte ich es ihm nicht. Besorgt sah ich ihn an, doch ich bezweifelte das er mich wirklich sah. Sein Blick war für einen kurzen Moment auf meinen Hals gerichtet.

„Ich bring ihn um!“, zischte er durch seine Zähne.

In diesem Augenblick sah er wirklich gefährlich aus. Wie ein Vampir. Dann fiel mir etwas wieder ein.

„Kannst du die anderen nicht anrufen?“, fragte ich, um ihn aus seiner Wut zu befreien.

Er blinzelte und sofort entspannte sich sein ganzer Körper und seine Augen wurden weicher.

„Ja.“, sagte er seufzend.
„Eine gute Idee.“

Er legte einen beschützend einen Arm um mich, holte sein Handy heraus und wählte eine Nummer. Ich sah noch, dass er die Lautsprecher-Funktion aktivierte, sodass ich gleich mithören konnte. Nach dem ersten Klingeln wurde abgehoben.

„Hallo?“, fragte eine aufgeregte, panische Stimme.

Es war seine Stimme. Also die Stimme des anderen Edwards. Es war irgendwie seltsam seine Stimme aus einem Telefon und ganz nah neben mir zu hören. Ich fragte mich, warum er gerade sich – oder ihn – angerufen hatte. Edwards Mundwinkel hoben sich leicht und er schaute amüsiert.

„Hallo, Edward. Hier ist Edward.“, antwortete er.

Ein kurzes Lachen ertönte, erstarb aber wieder sofort.

Ich betrachtete Edwards Gesicht. Es war wieder ernst. Die Belustigung war wieder verschwunden.

„Bitte sag mir, dass Bella bei mir…“ – er stockte – „…nein, bei dir ist.“

Es klang verzweifelt und dennoch hoffnungsvoll. Er musste sich wirklich große Sorgen gemacht haben. Alle mussten sich große Sorgen gemacht haben. Was war mit Charlie?

„Ja. Sie ist wohlbehalten bei mir angekommen und sitzt gerade neben mir.“, antwortete Edward neben mir ruhig.

„Wie geht es ihr?“, fragte er sofort voller Sorge.

Edward wollte gerade antworten, doch ich kam ihm zuvor.

„Mir geht es wieder gut.“, sagte ich laut und versuchte überzeugend zu klingen.

Ein erleichtertes Seufzen war zu hören.

„Gut. Wir waren alle sehr besorgt um dich. Vor allem Carlisle. Ich habe ihn noch nie so aus der Fassung erlebt. Mach das bloß nie wieder mit uns.“, mahnte er.

„Versprochen.“, gab ich zurück.

„Wie geht es deiner Hand? Carlisle sagte, sie sei gebrochen.“

„Oh.“, kam es fast lautlos von meinem Edward.

In seiner ganzen Wut muss er dieses Detail übersehen haben. Er schaute mich besorgt an. Sein Blick bat um Entschuldigung. Er nahm meine rechte Hand sanft in seine kalten Hände, sodass es nicht weh tat. Ich hatte die ganze Zeit seit ich hier war, an den Schmerz nicht mehr gedacht. Ich musste ihn wohl gut verdrängt haben. Oder alle anderen Emotionen hatten diese überlagert. Er inspizierte die Hand genau. Dann sprach er wieder zum Telefon, ohne mein Gesicht aus den Augen zu lassen.

„Darum werde ich mich schon kümmern.“, versprach er.
„Was ist mit diesem Hund?“, knurrte Edward fast.

Daraufhin war es kurz still. Ich befürchtete schon das Schlimmste. Waren welche bei diesem Kampf umgekommen?

„Er ist tot. Und Bella, ich kann dich beruhigen. Alle sind wohl auf und niemand ist verletzt.“, beantwortete er meine Frage, als könnte er doch meine Gedanken lesen.

Ich seufzte erleichtert und schmiegte mich an Edwards Brust. Er zog mich an sich. Es war vorbei. Er würde nicht wieder kommen. Er konnte einem Mädchen nie wieder etwas antun. Er war tot. Hoffentlich konnten die Seelen der Mädchen nun endlich ihren Frieden finden. Es war vorbei. Für immer.

„Tja. Damit ist der Termin im Gericht wohl hinfällig.“, sprach der andere Edward leichthin weiter.

Meine Augen weiteten sich und ich verkrampfte leicht. Stimmt. Auch daran hatte ich nicht mehr gedacht. Ich seufzte, als mir bewusst wurde, dass mir dieser Tag im Gericht erspart bleiben würde. Dann kam mir ein neuer Gedanke.

„Was ist mit Charlie?“, fragte ich panisch.

„Den haben wir bereits informiert. Wir werden ihm erzählen, dass wir durch Andy herausgefunden hätten, wo du dich befunden hast. Er habe einen Traum beziehungsweise eine Vision gehabt und es seiner Freundin erzählt. Und als wir ihn von dir wegzerrten, hat er sich gewehrt, es ist zum Kampf gekommen und wir haben ihn getötet.“
Seine Worte klangen ziemlich nüchtern, doch eine Spur Wut war dennoch in ihnen zu hören.
„Das ist wenigstens sehr nahe an der Wahrheit dran.“

Edward seufzte und verstärkte seinen Griff ein wenig. Edward wollte darauf etwas erwidern, doch ich hinderte ihn daran.

„Wie wollt ihr denn die Bissspuren erklären?“, fragte ich geradewegs aus Neugier heraus.

Edward war mir einen besorgten und verblüfften Bick zu.

„Mh. Da wird uns schon was einfallen.“, sagte er nachdenklich.

Dann waren Geräusche zu hören. Es klang wie Sirenen.

„Charlie wird gleich hier sein.“
Er zögerte und atmete tief ein.
„Und ein Hund auch. Ich glaube, es ist dieser Jacob Black.“, stöhnte er.
„ Ich werde ihnen alles berichten. Werde ihm sagen, dass es dir gut geht, wo du dich jetzt aufhälst und du in Sicherheit bist.“

„Danke.“, sagte ich inbrünstig.

Ein Lachen war zu hören.

„Bis bald. Und Edward. Pass bitte gut auf sie auf.“
Es klang belustigt und ernst zugleich.

Edward schaute mir ernst ins Gesicht während er antwortete.
„Natürlich.“, sagte er knapp.

Dann wurde aufgelegt und er steckte das Handy zurück in seine Hosentasche.

„Komm, Liebste.“, sagte er liebevoll und lächelte sein schiefes Lächeln, was mein Herz zum Rasen brachte. Er gluckste kurz und leise.
„Ich muss deine Hand verarzten.“

Ich nickte und ergriff mit meiner linken Hand seine, die er mir hinhielt und folgte ihm ins Bad, wo sich unser Arzneischränkchen befand. Im Bad verarztete er sie und wickelte sie in einem Verband ein. Ich hätte jedes Mal erleichtert aufgeseufzt, wenn er mit seiner kalten Hand meine berührte. Aber ich hielt mich zurück. Jetzt spürte ich den Schmerz wieder etwas deutlicher, nachdem sich meine ganze Aufregung und Anspannung gelegt hatte. Bewundernd schaute ich ihm bei der Arbeit zu und immer wenn sich unsere Blicke trafen, schenkte er mir ein Lächeln, bei dem mir jedes Mal das Herz hätte stehen bleiben können. Natürlich hörte er meine kurzen Aussetzer und bemühte sich nicht zu grinsen.

Als er fertig war, musterte er meine Hand aufmerksam, lächelte und sagte zufrieden: „Fertig.“

Ich errötete leicht und flüsterte ein „Danke“ zurück. Er wollte sich gerade zur Tür umdrehen, wohl um voraus zu gehen, als ich mich in seine Arme warf und seinen Körper regelrecht umklammerte. Ja, fast krallte ich mich an ihm fest, während mein Gesicht an seiner Brust lehnte. Ich wusste auch nicht, warum ich so überstürzt handelte. Es war einfach ein Impuls gewesen. Wahrscheinlich hatte ich mich doch noch nicht so ganz von der Sache erholt. Edward schien im ersten Moment etwas überrascht, legte dann seine Arme um mich.

„Bella?“, raunte er leise und besorgt.

Aus heiterem Himmel stiegen mir wieder die Tränen in die Augen und ich wimmerte leise. Ich spürte, wie Edwards Körper sich anspannte. Er zog mich enger an sich.

„Ich bin so froh, dass ich wieder bei dir bin.“

Meine Stimme brach. Ich hob den Kopf und sah in sein besorgtes Gesicht. Er sah sehr unglücklich aus.

„Ich liebe dich.“, sagte ich stumm weinend.

Freude blitzte in seinen Augen auf, dennoch war in ihnen mehr Sorge zu erkennen. Er beugte seinen Kopf zu mir hinunter.

„Es ist alles gut, Liebste.“

Er wischte mir mit den Fingern die Tränen von den Wangen, zog mich an seine Brust und legte sein Kinn auf meinen Kopf.

„Er kann dir nichts mehr tun. Es ist vorbei.“, versicherte er mir.

Ich seufzte und beruhigte mich langsam wieder, aber meine Hände umklammerten noch einige Zeit fest seinen Körper. Ich brauchte einfach seine Nähe, seine Kälte. Ich musste die Hitze in mir loswerden. Als mein Körper sich schon schüttelte vor Kälte, löste er sich von mir, ich mich aber nicht von ihm.

Auch wenn mein Körper mir sagte, ich habe genug von der Kälte, mein Innerstes war noch lange nicht dieser Meinung. Edward schien verwirrt über meine Reaktion.

„Bella du frierst.“
Es klang besorgt und doch vorwurfsvoll.

Er verstand nicht, warum ich immer noch nicht locker ließ. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass mein Zittern immer stärker wurde, und ich hatte so gut wie gar nicht das Klappern meiner Zähne wahrgenommen. Aber jetzt spürte ich es immer deutlicher. Auch merkte ich, dass meine Lippen kälter wurden. Ebenso wie meine Hände.

„Bella, lass doch bitte los.“, bat er, wenn auch widerwillig.
„Das tut dir nicht gut.“

Ich hörte nicht auf ihn. Mein Zittern und mein Klappern steigerten sich. Noch immer hielt sich seine Mitte fest in meinen Armen. Ich konnte nicht anders. Ich brauchte die Kälte. Ich brauchte ihn. Ob die Hitze in mir noch immer wütete, konnte ich mit der Zeit nicht mehr sagen. Ich wollte ihn einfach nicht mehr loslassen. Ich hörte ihn etwas schneller atmen, dann ein Seufzen. Dann spürte ich Hände an meinen, die meine Verbindung zu ihm lösen wollten. Ich wehrte mich dagegen, doch natürlich hatte ich keine Kraft. Dann nahm ich nichts mehr wahr und verlor das Bewusstsein.


Ich erwachte auf dem Sofa und sah sofort in warmes flüssiges Gold, das mich besorgt musterte. Ich hörte knistern. Dann merkte ich, dass es sehr warm im Raum war. Edward musste wohl den Kamin angemacht haben. Ich blinzelte etwas benommen, versuchte meine Gedanken zu ordnen. Versuchte mich zu erinnern, was eigentlich geschehen war. Mit einem Schlag fiel mir schließlich alles wieder ein.

Ich hatte so eine Art „Kälteschlag“ gehabt und bin dann in Ohnmacht gefallen. Ich richtete mich auf und schaute Edward entschuldigend an. Er saß neben mir auf dem Boden und schaute mir in die Augen.

„Bella.“, rief er erleichtert.

Ihm war wohl eine große Last von seinen Schultern gefallen. Er hatte sich wieder einmal große Sorgen um mich gemacht. Das tat er immer. Zögerlich nahm er meine gesunde Hand und legte sie in seine.

„Tut mir leid.“, sagte ich beschämt.

Er seufzte verzweifelt.
„Bella, geht es dir auch wirklich gut? Soll ich dich nicht lieber ins Krankenhaus bringen?“

Sobald ich das Wort Krankenhaus vernommen hatte, schüttelte ich energisch den Kopf. Krankenhaus bedeutete Ärzte. Und Ärzte bedeuteten Nadeln. Ich verzog das Gesicht, als die Erinnerung an meinen letzten Krankenhausaufenthalt wieder hoch kam.

„Was soll ich nur mit dir anstellen?“, stöhnte er hilflos.
„Was ist nur mit dir los?“

Er fesselte mich mit seinem Blick, darauf versessen der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Mein Herz raste, als mich seine goldenen Augen in den Bann zogen. Ich blinzelte, dann seufzte ich ergeben.

„Ich wollte nur die Hitze in meinem Inneren wieder wettmachen.“, erklärte ich ihm ruhig.

Er sah mich prüfend an und zog seine Augenbrauen zusammen, während er darüber nachdachte. Nach einigen Sekunden sprach er wieder mit Samtstimme. Ich war mich sicher, dass er diese Zeit gebraucht hat, um seine Wut herunter zu schlucken.

„Und jetzt ist keine Hitze mehr in dir vorhanden?“

Ich lächelte.
„Ja, aber eigentlich spielt das keine Rolle. Ich bekomme ja sowieso nie genug von dir.“, neckte ich ihn.

Er lachte erleichtert und verstand den tieferen Sinn meiner Worte. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich so verführerisch, dass ich ein lustvolles Stöhnen hörte. Es kam von mir. Meine Arme waren um seinen Hals geschlungen. Das machte er mit Absicht, mich gerade so zu küssen und ein bisschen ärgerte ich mich darüber. Er beendete unseren Kuss, bevor mir gänzlich die Luft ausging.

„Bella?“, begann er sanft und sah mir eindringlich in die Augen.

„Ja?“, japste ich.

„Mach so etwas bitte nie wieder mit mir.“
Es klang flehend mit einem strengen Unterton.

Ich zog eine Schnute.

„Hey, das ist nicht allein meine Schuld.“, verteidigte ich mich.
„Was kann ich dafür, wenn ich SO verrückt nach dir bin.“

Da fing er plötzlich an zu lachen und ich stimmte in sein Lachen ein.

„Okay, okay. Versprochen.“, brachte ich unter Lachen heraus.

„Gut.“

Er streichelte mit dem Zeigefinger der anderen Hand meinen Handrücken. So angenehm. So hauchzart auf meiner Haut. Dann blitzte etwas in seinen Augen auf und er lächelte verschmitzt.

„Was ist?“, fragte ich, obwohl ich mir schon denken konnte, was gleich passieren würde.

„Wir bekommen Besuch.“, bestätigte er meine Vermutung und 30 Sekunden später wurde das Schloss der Haustür geöffnet und ich hörte sie aufgehen.


„Mum, warum hast du das alles nochmal eingekauft?“, hörte ich die zweitschönste Stimme sagen.

Moment mal. Hatte mein Bruder gerade „Mum“ gesagt? Ich lächelte. Obwohl die beiden sich noch nicht lange kennen, scheinen sie schon eine sehr gute Beziehung zueinander aufgebaut zu haben. Ich wusste doch, dass diese Renee ihn lieben würde.

„Damit ihr noch mehr Sachen und Kosmetika habt. Dann könnt ihr mal öfter auf einen Sprung vorbeischauen.“, erklärte meine Mum ihm.

Es war schön auch ihre Stimme wieder zu hören. Ich lachte. Erst einen Augenblick später merkte ich, dass Andy ebenfalls lachte. Sofort hörten wir beide gleichzeitig auf. Ich sah zu Edward, der amüsiert schaute und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Es gelang ihm aber nicht. Ich schmunzelte.

Etwas wurde zu Boden fallen gelassen, wahrscheinlich Einkaufstüten, und sehr schnelle Schritte näherten sich dem Wohnzimmer. Andy rannte fast ohne zu zögern hinein und sprang mir förmlich in die Arme. Edward ist natürlich schnell zurück gewichen. Andy sagte nichts, sondern umarmte mich nur. Ich erwiderte seine Umarmung und sagte ebenfalls nichts. Wir beide genossen nur die Gegenwart des anderen.

Jetzt fühlte ich mich wieder richtig komplett. Ich war mit meiner ersten ersten männlichen Hälfte und meiner zweiten ersten männlichen Hälfte wieder vereint. Tja. Edward musste sich nun mal den ersten Platz teilen. Schließlich kannte ich Andy seit meiner Geburt. Ich hörte Edwards leises Lachen.

Renee stellte Einkaufstüten ab und während sie ins Wohnzimmer schritt, fragte sie: „Andy, was ist…“

Sie stockte und blieb stehen, als sie sah, wen Andy in den Armen hielt. Ich lächelte sie an. Sie sah immer noch erschrocken und erstaunt aus. Andy und ich lösten uns voneinander und er drehte den Kopf zu Renee.

„Hallo, Mum.“, sagte ich zärtlich.

Nach kurzem Zögern war sie ebenso bei mir und hatte ihre Arme um mich geschlungen. Ich hörte sie an meinem Hals leise Schluchzen vor Überraschung und Glück. Nach einer gefühlten Ewigkeit gab sie mich wieder frei, sah mich liebevoll an und legte ihre Hände an meine Wangen. Dann wanderte ihr Blick zu meinem Hals und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Ihr Gesicht wurde blass.

„Bella, was ist mit dir passiert?“, fragte sie besorgt.

Ihre Stimme wurde fast schrill. Andy runzelte die Stirn und sah ebenfalls zu meinem Hals. Auch sein Gesichtsausdruck veränderte sich.

„Das ist eine lange Geschichte.“, seufzte ich.

Ich konnte es nicht ertragen, wenn Renee mich so besorgt ansah. Manchmal war das wirklich zu viel für mich.

°Weiß sie es?°, fragte ich telepathisch meinen Bruder, ohne ihn anzusehen.

°Ja, alles. Außer von Vampiren und Werwölfen. Und wir haben Phil und ihr erzählt, dass ich diese Träume von den Mädchen hatte, nicht Edward. Und sie glaubt das wirklich alles.°, antwortete er mir.

Renee wartete besorgt auf meine Erklärung, währenddessen füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen. Ich holte gerade Luft, wollte anfangen zu reden, als ich es hinter mir und Renee, neben Andy und Edward flackern sah.

Gleich darauf erschien Elizabeth auf der Bildfläche, sah sich um und lächelte uns alle an. Andy und Edward waren geschockt von ihrem plötzlichen Auftreten. Sie starrten sie mit großen Augen an. Ich versuchte, meine Gesichtszüge zu kontrollieren, wollte nicht, dass Renee sich umdrehte. Ihr Blick glitt zu Edward, der mit ihr stumm zu kommunizieren schien. Dann erst bemerkte sie ihr Erscheinungsbild. Sie funkelte wie ein Kristall, aufgrund der Sonnenstrahlen, die das Wohnzimmer erhellten. Sie war ja nicht wie Edward geschützt. Sie sah Edward kurz fragend an, dann blitzte etwas in ihren Augen auf. Im nächsten Moment war sie verschwunden. All dies war in wenigen Sekunden passiert und Renee hatte nichts davon mitbekommen.

Ich richtete meinen Blick wieder gänzlich auf sie und begann schließlich zu erzählen. Renee und Andy wurden immer blasser und ihre Augen weiteten sich immer mehr vor Entsetzen. Ich schaffte es, meine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen. Wenn ich emotional geworden wäre, hätte das Renee nur noch mehr in Panik versetzt. Ich spürte die ganze Zeit Edwards Blick auf mir ruhen.

Auch erzählte ich ihnen, dass er jetzt tot war und es somit keinen Gerichtstermin mehr gab. Eine Sache hatte ich allerdings ausgelassen. Nämlich die Tatsache, dass ich nackt hier angekommen war. Ich sagte ihnen, dass ich nur noch einen BH getragen hatte. Sicher, ich redete hier mit meiner Mutter, die mich seit meinem 8. Lebensjahr großgezogen hatte und mit meinem Zwillingsbruder. Aber das war für mich doch etwas zu intim und zu peinlich um es zu erzählen. Irgendwo wusste ich, dass es albern war. Wenn ich nicht mit meiner Mutter über so etwas reden könnte, mit wem dann?

Und Andy war wie ich und er spürte genau dasselbe wie ich. Ein kleiner Teil fragte sich, warum er meine Qualen nicht gespürt hatte. Er war wirklich genauso überrascht gewesen wie Renee. Nichts war gespielt. Vielleicht lag es daran, weil wir uns in verschiedenen Welten befanden? Nein, das glaubte ich nicht. Egal. Aber er war dennoch ein Mann. Und schlimm genug, dass mich Edward in dieser Verfassung nackt sehen musste. Bei der Erinnerung errötete ich wieder leicht.

Als ich geendet hatte, drückte mich Renee so fest an sich, dass ich gar keine Luft mehr bekam. Die Tränen in ihren Augen liefen über und sie schluchzte heftig, begann mich hin und her zu wiegen.

„Oh Bella, Bella, Bella. Es tut mir so leid.“, brachte sie leise und mühsam heraus.

Ich ließ ihr Zeit, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Irgendwann ließ sie mich frei und hielt mich ein Stück von sich weg, sodass sie mir in die Augen schauen konnte.

„Beruhige dich Mum. Mir geht’s gut. Edward hat sich gut um mich gekümmert.“

Ich warf ihm einen Seitenblick zu.

Schon schlang sie Edward ihre Arme um seinen Hals und sagte mit fast wieder fester Stimme: „Danke.“

Edward lächelte über dieses Geste und erwiderte ihre Umarmung.

„Das war doch selbstverständlich.“, sagte er nur.

Ein lautes Räuspern war zu hören.

Wir drehten uns alle in die Richtung, aus der das Geräusch kam und Renee ließ von Edward ab. Elizabeth stand am Türbogen – natürlich mit Sonnencreme eingeschmiert – und lächelte uns alle an. Nun funkelte sie nur noch ganz, ganz schwach. Es war fast nicht zu sehen.

„Hallo. Störe ich?“

Ich hob die Augenbrauen. Eine tolle Begrüßung.

°Naja, wenigstens hocken wir alle zu viert wieder aufeinander°, ergänzte mein Andy schmunzelnd.

„Wer sind Sie denn? Wo kommen sie auf einmal her?“, fragte Renee erstaunt.

Elizabeth sah bedeutungsvoll zu Andy. Renee folgte ihrem Blick und ihr Kopf bewegte sich zwischen Andy und ihr hin und her. Andy lächelte zaghaft und errötete. Er räusperte und erhob sich.

„Tja, Mum.“

Er machte eine Geste zu Elli, bedeutete ihr zu ihm zu kommen und er legte einen Arm um ihre Taille. Sie tat es ihm gleich. Renee schaute die beiden erwartungsvoll an.

„Das ist meine Freundin, Elizabeth Cullen.“, stellte er sie feierlich vor.

Renee betrachtete sie aufmerksam.
„Mh.“, machte sie.
„Du bist also auch eine Cullen.“
Dann lächelte sie Elli an.
„Du siehst deinem Bruder Edward sehr ähnlich.“

Um Elizabeths Mundwinkel zuckte es. Andy schmunzelte.

„Danke sehr.“

Elizabeth strahlte Renee an. Es schien, als ließ sie die ganze Macht ihres Blickes auf Renee los. Plötzlich lachte Renee laut auf. Wir alle schauten sie an. Mein Blick wanderte kurz zu Edward, der Mühe hatte, nicht mit zu lachen.

„Naja. Ihr seid jeweils mit der Geschwisterperson des jeweils anderen zusammen.“
Renee kicherte.
„Das sieht man auch nicht alle Tage.“

Renee lachte wieder und wir drei stimmten alle mit ein.

„Kommst du auch aus der anderen Welt?“, fragte meine Mutter sie, nachdem wir uns alle wieder beruhigt hatten.

„Ja.“, bestätigte sie.
„Ich kann ebenfalls zwischen den Welten hin und her reisen, beherrsche diese Fähigkeit aber nicht so gut, wie die Zwillinge.“

Das war nur die halbe Wahrheit. Aber Renee musste ja nun wirklich nicht alles wissen. Ihr Blick wanderte zu mir, dann zu Andy.

„Ach ja. Meine Zwillinge.“, seufzte sie.
„Und warum bist du hier?“, fragte Renee interessiert.

„Weil ich es einfach nicht mehr ohne meinem Andrew ausgehalten habe und ihm bei der Sache hier in Jacksonville helfen wollte.“

Elizabeth sah Andy liebevoll an, er errötete jedoch leicht.

„Ach so.“, antwortete Renee lachend.

Dann verfinsterte sich ihre Miene etwas. Bestimmt fragte sie sich, was das wohl war, was wir hier noch zu erledigen hatten. Renee seufze. Ihre Miene hellte sich wieder auf.

„Na dann herzlich willkommen bei den Dwyers. Jetzt haben wir 3 Pärchen in unserem Haus“, fügte Renee zufrieden hinzu.

Daraufhin lachten wir alle.

Dann sahen Andy und ich jeweils unserem Seelenverwandten tief in die Augen.

Wünsche




Bellas POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




Als Phil später am frühen Abend nach Hause kam, staunte er nicht schlecht, als er Elli und mich sah. Renee erklärte ihm alles und er schaute etwas verdutzt, dann aber ergeben. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob er die Geschichte nun wirklich glaubte.

Den ganzen restlichen Abend spürte ich Phils besorgten Blick auf mir ruhen. Er war auch nicht gerade begeistert darüber, dass ich (wieder) vergewaltigt wurde. Mit Elizabeth verstand er sich auf Anhieb gut. Vielleicht hatte sie auch ein wenig nachgeholfen. Als er erfuhr, dass Andy und Elli ein Paar wie Edward und ich sind, sah ich, wie Phil schelmisch angrinste und leicht mit seinem Ellenbogen in Andys Rippen stieß. Andy konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken, ebenso wenig wie seine Röte.

Wir verbrachten noch zusammen einen angenehmen Abend und es überraschte mich sehr, wie sich Edward und vor allem seine „Schwester“ an den Thema Baseball beteiligten. Ich verstand nicht viel. Sport hatte mich noch nie interessiert. Auch beim Abendrot aßen unsere Vampire etwas. Ich warf Edward einen mitleidigen Blick zu, den er aber nur mit seinem schiefen Lächeln erwiderte. Das musste doch für ihn sehr unangenehm sein. Auch achtete ich darauf, Edward so wenig wie möglich zu berühren. Ich wollte nicht unsere Beziehung so zur Show stellen. Vor allem wollte ich es nicht, da Renee uns Zwillinge und vor allem unsere Partner sehr prüfend musterte. Ahnte sie etwas? Durchaus denkbar. Sie bemerkte viel mehr als Charlie. Andy tat es mir nach und auch unsere Vampire schienen unsere Gedanken gelesen zu haben. Obwohl es noch entspannte Stunden waren, fragte sich ein kleiner Teil in mir ständig, ob Renee dem Geheimnis auf die Spur kam oder wenigstens etwas zu misstrauisch wurde.

Als es Zeit war schlafen zu gehen, wies uns Renee unsere Zimmer zu, getrennt versteht sich. Ein Zimmer für die Jungs. Ein Zimmer für uns Mädchen. Innerlich grinste ich in mich hinein. Phil und Renee konnten ja nicht wissen, dass Edward und Elli in der Nacht wenn sie schliefen die Zimmer jeweils tauschen würden. Aber wenn ich so darüber nachdachte, war ich mir gar nicht so sicher, ob Edward zu mir kommen würde. Er könnte ja dann schon eingeschlafen sein. Wir machten uns alle für die Nacht fertig und Edward und Elizabeth wuschen sich auch die Sonnencreme von ihren Körpern. So gefielen sie mir – und Andy natürlich – viel besser. Wir wünschten uns allen eine gute Nacht und gingen in unsere Zimmer, nachdem ich Edward und Andy Elli geküsst hatte. Ich sah Edward sehnsüchtig in seine bernsteinfarbenen Augen, bevor unsere Tür geschlossen wurde. Auch in seinem Blick konnte ich die Sehnsucht erkennen.

Ich seufzte, legte mich in mein Bett, während Elli in einem aufklappbaren Gästebett schlafen sollte. Kurz nachdem das Licht gelöscht wurde und Elizabeth doch tatsächlich im Bett lag, seufzte ich wieder. Jetzt waren mein Edward und ich wieder in einer Welt und er war nicht bei mir. Einen Augenblick lang war ich sauer auf Renee, aber das legte sich schnell wieder. Sie wollte ja nur das Beste für mich. Sie wollte, dass ich – und Andy ja nun auch – keine Dummheiten anstellte. Ich konnte sie verstehen. Sie wollte nicht, dass ich denselben Fehler machte wie sie damals, obwohl sie mir immer versichert hatte, dass ich das Beste war, was ihr jemals widerfahren war. Anderseits wusste sie, dass ich niemals so gedankenverloren handeln würde wie sie. Dafür war ich viel zu vernünftig. Logisch, da ich, je älter ich wurde, mehr und mehr die Erwachsene spielen musste.

Mein Unbehagen wuchs.

Ein vernünftiges Mädchen würde aufs College gehen und sich um eine Ausbildung bemühen und nicht mit 18 den Bund fürs Leben – oder für die Ewigkeit – schließen. Ich hatte jetzt schon Bammel, wenn ich daran dachte, wie ich Renee erzählen würde, dass ich vorhabe zu heiraten. Mir kam es vor, als würde ich jetzt schon ihre Standpauke hören. Schnell schob ich diesen unangenehmen Gedanken beiseite und beschloss, über etwas anderes nachzudenken.

Ich stellte mir vor, wie ich in einem weißen Kleid vor dem Altar stand und Edward mein Ja-Wort gab. Für jedes Mädchen auf der Welt wäre das die schönste Vorstellung ihres Lebens, doch da man mir beibrachte, die Ehe ernst zu nehmen, verursachte diese Vorstellung bei mir leichte Magenschmerzen. Ich mochte noch nie großen Trubel und selbst im Mittelpunkt war für mich immer schon schlimm gewesen. Ob ich wohl Edward dazu überreden konnte, die Hochzeit klein zu halten? Bestimmt. Alice würde aber sehr enttäuscht sein und mir wieder ein schlechtes Gewissen machen, sodass ich wieder sofort nachgeben würde. Ich schüttelte leicht den Kopf und dachte an etwas anderes.

Auch wenn Edward und ich noch nie darüber gesprochen hatten, war ich mir doch ziemlich sicher, dass diese Heirat eine Art Bedingung war, um ein Vampir werden zu können. Ich hatte das überirdische Strahlen in seinen Augen gesehen. Es muss ihm wirklich sehr viel bedeuten. Mehr noch, es könnte sein allergrößter Wunsch sein. Auch, wenn ich das nicht ganz nachvollziehen konnte, warum ihm diese Heirat so wichtig ist. Natürlich hatte ich schon inoffiziell „Ja“ gesagt. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich wahrscheinlich nur mehr als froh darüber, endlich wieder unter den Lebenden zu weilen. In diesem Moment hätte ich vor lauter Glück zu Allem und Jedem „Ja“ gesagt. Das war wenigstens meine Erklärung, die ich mir jetzt zurecht legte. Vielleicht ist das so. Aber vielleicht tief in mir drin, finde ich es auch sehr schön, dass Edward mein Mann wird. Dann würde er für immer MIR gehören. Mir, der tollpatschigen Bella aus Forks. Nun bereitete mir die Vorstellung etwas weniger Magenschmerzen. Ich spann den Gedanken weiter.

Wenn wir dann verheiratet wären, dann würden wir auch…

Als ich mir das vorstellte, empfand ich ein solches Glücksgefühl, wie ich es noch nie verspürt hatte. Ich merkte, wie sich meine Mundwinkel unwillkürlich hoben. Dann würden wir miteinander schlafen. Doch halt! Würde ich, wenn wir miteinander schlafen würden, immer noch ein Mensch sein? Oder würde er mich gleich in der Nacht verwandeln und erst danach sich mir körperlich nähern? Ich biss mir auf die Lippe. Würde er oder würde er nicht? Aus irgendeinem Grund wollte ich aber diese Erfahrung noch als Mensch machen, da ich wusste, dass Vampire anders fühlten als Menschen. Als Vampir wäre ich dann eine andere und vielleicht wären meine Gefühle für Edward ebenfalls anders. Würde ich ihn dann noch so wollen, wie ich es jetzt tat?

Sicher konnte ich mir nicht sein. Ja. Ich wollte – nein musste diese Erfahrung noch als Mensch erleben. Ich nahm mir vor, mit Edward darüber zu sprechen. Ich hoffte, dass er sich darauf einlassen würde. Ich hatte allerdings nicht viel Hoffnung, wenn ich an unser Gespräch dachte, was wir einst geführt hatten, als er die erste Nacht bei mir geblieben war.


„Bella, ich glaube nicht, dass ... das ... möglich wäre bei uns.“, hatte er gesagt.

„Weil es zu schwer für dich wäre, wenn ich so ... nahe bin?“

„Das wäre wahrscheinlich auch ein Problem, aber ich meine was anderes. Du bist so zart - so zerbrechlich. Wenn wir zusammen sind, muss ich mich ununterbrochen kontrollieren, um dich nicht zu verletzen. Ich muss nur eine hastige Bewegung machen ... eine Sekunde lang nicht richtig aufpassen - schon kann es passieren, dass ich versehentlich deinen Schädel zerschmettere, obwohl ich eigentlich nur meine Hand ausstrecken wollte, um dein Gesicht zu berühren. Du hast ja keine Ahnung, wie unglaublich zerbrechlich du bist. Ich darf es mir niemals auch nur eine Sekunde lang gestatten, in deiner Nähe die Kontrolle zu verlieren.“


Ich seufzte. Nein, meine Chancen mich durchzusetzten waren alles andere als gut. Aber heute war ich nackt in seinen Armen gewesen und dies für sehr lange Zeit und er hatte mir nichts getan. Vielleicht hatte ich ja doch Glück, ihn zu überzeugen. In meinen Gedanken stellte ich mir vor, wie er einwilligte und wir uns schließlich leiben konnten. Ja, dann konnte er mich verwandeln. Dann runzelte ich die Stirn. Ich musste ihn einfach dazu bringen. Ich wusste, dass es für einen Vampir anfangs sehr schwierig werden würde, seinen Durst zu kontrollieren und dass dieser besonders in der ersten Zeit das ganze Denken einnahm. Jasper war dafür ein gutes Beispiel. Nur die Gier nach Blut bestimmt den Vampir. Andere Bedürfnisse treten erst mal in den Hintergrund.

Das würde bedeuten, dass ich nach meiner Verwandlung Edward nicht so nahe sein könnte, wie ich es jetzt wollte. Erst zu einem späteren Zeitpunkt würden meine Gefühle für ihn wieder kommen. Aber wann würde das sein? Wie lange würde das dauern? Jetzt wollte ich mehr denn je sexuelle Erfahrungen vor meiner Verwandlung sammeln. Es würde nicht einfach werden mein Ziel zu erreichen, aber ich war bereit, alles dafür zu tun. Ich hing meinen Gedanken nach und versuchte Gesprächsstrategien zu entwickeln. Schließlich wurde ich irgendwann so müde, dass mir die Augen zu fielen. Ich träumte von unserer Hochzeitsnacht. Mir war so, als könnte ich tatsächlich Edwards kühlen Körper spüren. Es war ein sehr schöner Traum.

„Bella, aufstehen, mein Schatz.“, hörte ich eine Stimme irgendwann sagen.

Es war Renee. Ich schlug die Augen auf und gleißendes Sonnenlicht erhellte mein Zimmer. Zu meiner geringen Enttäuschung musste ich feststellen, dass ich allein in meinem Bett lag. Aber das war mir eigentlich klar. Ich seufzte. Ich war aber sicher, dass Edward in der Nacht neben mir gelegen hatte. Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke. Was, wenn ich wieder im Schlaf geredet und Edward es gehört hatte? Wie würde er darüber denken? Sorge und Scham machten sich in mir breit und ich merkte, wie ich leicht errötete. Ich schüttelte den Kopf um den Gedanken daran vorerst zu vertreiben.

„Ich komme gleich.“, antwortete ich nun mit nicht mehr schlaftrunkener Stimme.

Die leichte Panik hatte mich auf der Stelle wach werden lassen. Ich ging in eins der zwei Bäder um mich fertig zu machen und ging, nachdem ich fertig war, in die Küche hinunter. Alle waren schon dort. Phil war nicht da. Er war wahrscheinlich schon zum Training aufgebrochen. Ich war natürlich wie immer die letzte, die kam. Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor elf. Ein Seufzen entfuhr mir. Womöglich hatte ich solange geschlafen, weil ich das schreckliche Erlebnis verarbeiten musste. Ich schaute durchs Fenster und sah Renee wie sie draußen im Garten arbeitete. Mein Bruder stand am Herd. Er kochte bereits das Mittagessen.

Dann sah ich zu Elizabeth und Edward. Er lächelte mich an, seine Schwester ebenso. Alle ihre sichtbare Haut war wieder mit einer guten Schicht Sonnencreme überzogen. Ich konnte noch sehen, wie Elizabeth angewidert das Gesicht verzog und ihre Nase rümpfte, bevor sie sich mir zuwandte. Mein Herz setzte aus, dann schlug es wieder schneller. Noch immer konnte ich mich einfach nicht an seine Schönheit gewöhnen. Und bei diesem Lächeln war ich wortwörtlich wie Wachs in seinen Händen. Andy drehte sich zu mir um und wünschte mir einen guten Morgen, dann war er wieder am Herd beschäftigt.

Während Elli mich ebenfalls begrüßte, trat Edward auf mich zu, nahm mich in die Arme und sagte mit seiner Samtstimme: „Guten Morgen, Liebste.“ zu mir.

Er gab mir einen zärtlichen Guten-Morgen-Kuss. Ich schlang die Arme um seinen Hals und mein Herz raste wie immer, wenn er mich berührte. Es war merkwürdig jemanden zu küssen, der so viel Creme auf der Haut hatte. Nachdem er den Kuss beenden musste, zog ich eine Schnute.

„Von Morgen kann ja wohl nicht mehr die Rede sein.“, brummte ich.

Er lachte über meine Worte und mein Gesicht. Ich löste meine Arme von ihm, sah auf meine Handflächen, verteilte die Sonnencreme und legte meine Arme um seine Mitte. Als ich in sein schönes strahlendes Gesicht schaute fragte ich mich erneut, ob er was letzte Nacht gehört haben könnte. Wenn ja, dann ließ er es sich nicht anmerken. Jetzt zumindest nicht.

„Du hast heute aber länger geschlafen als sonst.“, riss mich Edward aus meinen Gedanken.

Ich hoffte, dass ich keinen zu nachdenklichen Ausdruck eben noch hatte. Seine Stimme klang belustigt, sehnsüchtig, aber auch sorgenvoll. Ich lächelte ihn an.

„Wie lang hast du denn geschlafen?“, neckte ich ihn.

Sein Lächeln wurde breiter.
„Ich bin seit über zwei Stunden wach. Und sieben Stunden habe ich letzte Nacht bei dir verbracht.“, hauchte er mir ins Ohr, wobei seiner Stimme mit jedem Wort rauer wurde.

Zuerst war ich etwas verdutzt, dann glühte mein Gesicht, woraufhin er wieder in glückliches Gelächter ausbrach. Auch hörte ich Ellis musikalisches Lachen. Sie musste ihn geweckt haben, damit er wieder ins andere Zimmer ging, bevor Renee und Phil wach wurden. Bei seinen Worten und seiner Stimmlage fiel mir wieder mein Traum ein, sodass ich wieder rot anlief. Doch augenblicklich wurde ich nervös und die Röte wich aus meinem Gesicht. Edward betrachtete mich aufmerksam.

„Komm, wir gehen mal hoch in dein Zimmer.“, sagte er lächelnd, doch ernsthafter.

Er hatte in der letzten Nacht also doch etwas gehört. Es folgte eine erdrückende Stille. Im ersten Moment sagte niemand etwas. Selbst Andy schien den Atem angehalten zu haben. Er warf mir einen halb besorgten, halb ermutigenden Blick zu. Er wusste natürlich, was mit mir los war. Entweder durch meine Gedanken oder Elizabeth hatte es ihm irgendwie erzählt.

°Du packst das schon.°, hörte ich seine Stimme in meinem Kopf.

Na Super, dachte ich. Mein Bruder ermutigte mich mit meinem Freund Sex zu haben. Irgendwo hatte die Sache etwas Komisches. Aber bei Edwards Worten blieb mir das Lachen im Hals stecken.

Hätte ich es nicht besser gewusst, dann hätte er genauso gut sagen können: „Wir müssen uns mal unterhalten.“.

Das war ja der klassische Anfang, um eine Beziehung zu beenden. Aber natürlich war das nicht die Absicht seiner Worte. Mein Blick huschte zu Elizabeth. Sie sah skeptisch aus. Ich war mir sicher, dass sie wusste, worüber Edward mit mir sprechen wollte. Ich sah Edward wieder an.

„Klar.“, sagte ich unglaublich gelassen und locker.

Ich wunderte mich selbst. Am liebsten wäre ich eigentlich vor Scham im Boden versunken. Ich gab ihn frei, er nahm meine Hand und ging mit mir nach oben. Bevor wir die Küche hinter uns ließen, sah ich erneut zu Andy, der mir ermutigend zulächelte.

°Nicht auf- oder nachgeben°, hörte ich, als wir die Treppe hinauf stiegen.

Manchmal war diese Telepathie wirklich lästig. Ich seufzte. Im Zimmer angekommen, schloss er die Tür und wir setzten uns aufs Bett. Er betrachtete mich. In seinem Gesicht konnte ich nichts erkennen. Er wirkte ruhig und entspannt. Auch ich bemühte mich ein eher unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen, was mir durch leichte Errötung nicht ganz gelang. Es kam mir vor, als er würde er mich mit seinem Blick durchdringen und könnte so in mein Innerstes blicken. Ich fühlte mich etwas befangen.

Eine Weile, die mir wie zwei Leben vorkam, schwiegen wir beide, sahen uns nur in die Augen. Meine Wangen waren nun nicht mehr rot. Ich wollte nicht diejenige sein, die das Schweigen brach. Dazu fühlte ich mich einfach nicht entschlossen genug. Ich wusste, dass er wusste, worüber wir gleich sprechen würden. Also sollte er ruhig den ersten Schritt machen. Edward zog etwas die Luft ein, dann begann er zu sprechen.

„Als mich Elizabeth heute früh geweckt hat, damit ich zur Sicherheit wieder im anderen Zimmer bin, habe ich…“, er zögerte, „…lustvolle Laute von dir gehört. Und meinen Namen.“
„Du sagtest: ‚Edward, oh Edward, komm zu mir.‘“, fügte er nach einer Pause hinzu.

Nun glühte mein Gesicht nicht nur, es brannte. Mein Herz raste, dass ich Angst hatte, es würde mir jeden Moment aus der Brust springen. Warum musste ich auch im Schlaf reden? Ich hasste mich für diese kleine Angewohnheit. Ich drohte vor lauter Scham zu explodieren und brachte kein Wort heraus. Auch Edward sagte nichts, sondern sah mich nur an. Ich konnte sehen, wie es um seine Mundwinkel zuckte. Fand er das Ganze etwa witzig? Dann wurde sein Gesicht wieder ernst.

„Du begehrst mich also so sehr, dass du…die Nacht so mit mir verbringen willst?“

Er klang vorsichtig, unsicher. Warum? Ich schaffte es zu nicken. Sprechen konnte ich noch immer nicht. „Bist du dir wirklich sicher?“ Jetzt klang er wirklich besorgt. Meine Röte wich und mein Herz beruhigte sich etwas. Ich verstand seine Reaktion nicht. Er wusste doch, wie sehr ich ihn liebte. Dann war es doch nur logisch, dass ich auch mit ihm schlafen will.

„Natürlich.“, sagte ich nach einer kleinen Weile mit fester Stimme.
Ich wollte, dass es stimmte, was ich sagte. Er sollte keine Zweifel an meine Worte haben. „Warum fragst du?“

Er sah mich misstrauisch an und musterte mich eindringlich, als er fortfuhr.
„Ich war mir nicht sicher, ob du diese Erfahrung mit mir teilen würdest. Schließlich wurdest du zweimal missbraucht.“

Bei den letzten Worten wurde seine Stimme immer leiser. Er wollte damit seine Wut aus seiner Stimme raushalten, was ihm aber nicht ganz gelang. Ich beschloss die Stimmung mit meinem folgenden Worten etwas aufzulockern.

„Aber du bist doch kein Werwolf.“, erwiderte ich locker.

Edward zog eine Augenbraue hoch. Er wollte etwas sagen, doch ich war noch nicht fertig.

„Außerdem hilft die Kälte gegen die Hitze.“

Ich war mir sicher, dass er den Sinn meiner Worte verstehen würde. Ich lächelte ihn an, während er seine Stirn in Falten legte und über meine Worte nachdachte. Ich hörte ein leises erleichtertes Seufzen, dann hoben sich seine Mundwinkel etwas, doch sein Blick verriet Vorsicht, Ernsthaftigkeit und Sorge.

„Das ist schön zu wissen.“, unterstrich er mit diesen Worten sein Lächeln.
„Aber du musst dich noch gedulden, da ich erst nach deiner Verwandlung mit dir schlafen werde.“, sagte er bestimmt.

Bei dem Wort „schlafen“ runzelte er die Stirn. Entweder weil Vampire eigentlich nicht schlafen können oder weil er gerade in der Lage war zu schlafen. Das hatte ich mir gedacht. Jetzt musste ich mich für mein Vorhaben einsetzen. Er sah mir in die Augen und wartete auf meine Reaktion. Ich ermahnte mich, ruhig zu bleiben. Ich schloss die Augen, atmete tief ein um meine Gedanken etwas zu sammeln, dann atmete ich aus und öffnete die Augen wieder.

„Edward.“, begann ich.
„Sag es mir bitte, wenn ich mich irre. Aber ist es möglich, dass diese Heirat eine Bedingung ist, um ein Vampir werden zu können?“

Seine Augen weiteten sich kurz, dann überlegte er genau, bevor er antwortete.

„Nicht unbedingt. Nur wenn du möchtest, dass ich dich selbst verwandle, gilt die Heirat als Bedingung. Du kannst die Verwandlung auch von Carlisle durchführen lassen, wenn dir das so lieber ist.“

Er sagte es ganz ruhig mit einem unbeteiligten Gesicht, aber ich konnte trotzdem den leisen Schmerz in seinen Worten wahrnehmen, den er zu verbergen versuchte. Augenblicklich hasste ich mich für diese Frage. Es war ihm wirklich wichtig. Und auch wenn ich erst jetzt genau darüber nach dachte, wollte ich eigentlich sowieso, dass Edward mich verwandelte. Seine Lippen sollten mich zuletzt als Mensch berühren. Er sollte den Wunsch haben, mich für immer und ewig bei sich haben zu wollen. Seine Miene verfinsterte sich ein wenig. Die ruhige Maske fiel in sich zusammen. Schnell antwortete ich, um seine schlechte Stimmung zu zerstreuen.

„Gut. Im Prinzip habe ich nichts dagegen, dich zu heiraten.“
Seine Miene erhellte sich wieder und in seinen Augen trat ein Leuchten.
„Aber können wir es etwas im kleinen Rahmen halten? Ich will es nicht so öffentlich haben mit einer Zeremonie in der Kirche und dem ganzen Drumherum.“

Zu meiner Überraschung lächelte er sein schiefes Lächeln und zog mich an sich, dann sah er mir liebevoll in die Augen.

„Natürlich. Wir können es so machen, wie du es wünscht. Ich muss nichts Großes sein und mir ist es egal, was die anderen Leute denken. Ich möchte es nur offiziell haben, dass du zu mir gehörst und zu niemandem sonst.“

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Konnte es denn noch offizieller werden, als es ohnehin schon war?

„Dann wäre das ja geklärt.“

Eigentlich wollte ich noch mehr sagen, doch dazu gab er mir keine Gelegenheit. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich so leidenschaftlich, dass mir am Ende beinahe schwindelig wurde. Seine bernsteinfarbenen Augen strahlten vor Freude und Triumph. Seine Zähne blitzen und automatisch lächelte ich ebenso. Als ich wieder genug Luft zum Atmen hatte, war ich wieder ganz bei der Sache. Ernst sah ich ihn an.

„Edward. Ich möchte aber schon vor der Verwandlung diese Erfahrung mit dir machen.“

Als ich das gesagt hatte, erstarrte er und er spannte sich an. Sein Griff um meinen Körper wurde für einen Augenblick etwas fester. Er sah erschüttert aus.

Nachdem er sich wieder gefasst hatte, erwiderte er kopfschüttelnd: „Nein Bella, dass ist zu gefährlich.“

Ich holte Luft, wollte etwas entgegnen, doch er legte einen Finger auf meine Lippen.

„Lass mich bitte ausreden.“, bat er.
„Wenn wir auf diese Weise zusammen sind, werde ich meine Kräfte nicht kontrollieren können. Du bist so zart und zerbrechlich. Ich würde dir nur wehtun.“, erinnerte er mich.

„Aber nach der Verwandlung werde ich eine Andere sein. Nach der Verwandlung wird mich hauptsächlich nur die Gier nach Blut bestimmen. Meine Gefühle für dich gibt es dann erst einmal nicht mehr. Und ich werde immer Durst haben. Anderes wird immer zweitrangig bleiben. Edward. Ich möchte diese Erfahrung noch als Mensch erleben, da ich dich dann nicht mehr so wollen kann, wie jetzt. Ich begehre dich körperlich im Moment am Meisten.“
„Als Vampir werde ich anders empfinden.“, sagte ich nach einer kurzen Pause.
„Ich möchte es doch nur versuchen. Wenn es nicht klappt, dann ist es ebenso.“
Meine Stimme wurde flehend.
„Bitte Edward, das ist das Einzige, was ich mir wünsche.“

Er sah gequält und verzweifelt aus. Seine Arme umklammerten mich fester und er zog mich wieder an sich.

„Bella.“, flüsterte er mir zittrig in mein Ohr.
„Bitte, versteh‘ doch. Es ist nur zu deiner Sicherheit.“, versuchte er es wieder, aber ich merkte, wie sein Widerstand bröckelte.

Halb verärgert, halb belustigt erwiderte ich neckend: „Ach, du meinst also dass du erst nach der Verwandlung mit mir schlafen willst, weil ich dann schöner aussehe?“

Um ihn mit meinen Worten nicht zu verletzen, lächelte ich. Er bemühte sich ernst zu bleiben und schob mich auf Armeslänge von sich, sodass er mir wieder ins Gesicht blicken konnte.

„Rede nicht so einen Unsinn! Du weißt, dass das nicht der Grund ist.“, brachte er leicht verärgert und etwas entsetzt heraus.

Als er mein lächelndes Gesicht sah, hoben sich gegen seinen Willen seine Mundwinkel etwas.

„Bitte Edward.“, flehte ich wieder.

„Bella.“, erwiderte er gequält und stöhnte verzweifelt.

„Ich weiß, dass du dich kontrollieren kannst. Schließlich hast du meinen zerbrechlichen Körper gestern sehr lange im Arm gehalten.“

Dass ich nackt war, wollte ich lieber nicht erwähnen. Es war mir immer noch etwas peinlich, wenn ich an die Umstände dachte. So war das ja nicht geplant. Edward begriff sofort.

„Da war ich aber in einer ganz anderen emotionalen Verfassung.“, hielt er dagegen.

Ich grinste.
„Das mag schon sein. Aber später habe ich gespürt, dass du doch sehr erregt warst. Und du bist nicht über mich hergefallen und konntest deine Kräfte unter Kontrolle halten.“, erinnerte ich ihn süffisant.

Damit hatte Edward nicht gerechnet. Der verärgerte, angespannte Ausdruck wich aus seinem Gesicht und Überraschung zeigte sich. Dann leichtes Unbehagen und wieder diese Verlegenheit. Ich konnte es ja nur vermuten, da Vampire nicht rot werden konnten.

Edward war sprachlos und runzelte dann die Stirn. Fieberhaft schien er zu überlegen, was er darauf erwidern sollte. Ich warte nicht lange, sondern fuhr fort.

„Du musst dir dieses Ereignis immer wieder ins Gedächtnis rufen. So kannst du vielleicht noch besser die Kontrolle behalten.“

Edward presste seine Lippen zusammen, wusste nicht, was er sagen sollte. Ich glaubte wirklich gewonnen zu haben. Leicht lächelnd sah ich ihn in die Augen, wartete auf seine Antwort.

Lange Zeit war es still.

Dann atmete er schwer aus, lächelte leicht und sprach die erlösenden Worte.

„Na gut. Du hast mich überzeugt – oder besser gesagt konnte ich dir nicht mehr länger widerstehen.“, fügte er leiser hinzu, dass ich es noch gerade so hören konnte.
„Wir werden es versuchen. Nach der Hochzeit.“, betonte er.

„Nach der Hochzeit.“, wiederholte ich seine Worte, bevor ich mich an ihn presste und unsere Lippen leidenschaftlich miteinander verschmolzen.

Nachdem ich mich losreißen musste, um nach Luft zu schnappen, legte ich meinen Kopf an seine Brust.

„Ich liebe dich.“, flüsterte ich, noch immer etwas außer Atem.

„Du bist mein Leben.“, antwortete er lächelnd.

Ich lächelte ebenfalls. Genau dieselben Worte hatte er gesagt, als ich ihm zum ersten Mal bewusst meine Liebe gestand. Er legte das Kinn auf meinen Kopf, verstärkte seinen Griff um mich und atmete tief ein. Auch ich holte tief Luft, um seinen köstlichen Duft einzuatmen. Die Stille umhüllte uns.

Nach wenigen Minuten – glaubte ich zumindest – flog die Tür auf und Andy stand an der Tür.

„Los ihr zwei.“, er lächelte, „Essen ist fertig.“

Edward und ich lösten uns voneinander und folgten Andy hinunter in die Küche. Als wir mit dem Essen fertig waren – es gab Irish Stew – beschlossen wir vier einen Strandspaziergang zu machen, während Renee heute vorhatte, Phil bei seinem Training auch körperlich zu unterstützen. Als alles abgeräumt und wieder sauber war, machte sich Renee fertig und fuhr mit dem Auto davon.

Nach Renees Abfahrt gingen wir gutgelaunt und jeweils Händchen haltend zum Strand. Es war einfach schön, die Sonne auf der Haut zu spüren. Ich legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen, sog die Luft ein und genoss diese Wärme. So angenehm. Es war sehr merkwürdig Edward neben mir in der Sonne zu sehen. Nicht nur, weil er nicht glitzerte, sondern auch, weil wir vielen Menschen begegneten. Es war schon seltsam. Eigentlich mieden Vampire das Sonnenlicht und erst recht, wenn sie nicht allein waren. Wer hätte gedacht, dass die Lösung so einfach war? Einfach Sonnencreme auftragen und schon können sie in der Sonne herum laufen.

Immer wenn ich zu ihm schaute, lächelte er sein schiefes Lächeln, was mir jedes Mal fast den Verstand raubte. Wir vier sprachen nicht viel miteinander. Genossen einfach nur die Gegenwart des anderen und diesen glücklichen Augenblick. Am Strand angekommen blieben wir vom Wasser entfernt, denn schon etwas konnte die Füße zum Funkeln bringen. Und das wollten wir ja alle nicht. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, wie viel Aufmerksamkeit Edward und Elizabeth dann auf sich ziehen würden.

Aber auf der anderen Seite brauchten sie dazu keine funkelnden Füße. Fast jedes Mädchen und jeder Mann, die an uns vier vorbei liefen, betrachteten Edward beziehungsweise Elizabeth bewundernd, obwohl sie dick eingecremt waren. Meistens drehten sie sich auch nochmals zu uns um, wenn sie an uns vorbei waren. Das war wirklich lästig. Erst empfand ich Eifersucht, dann Zweifel. Das führte mir wieder einmal vor Augen, wie begehrenswert Edward doch war und ich noch immer nicht verstehen konnte, warum er sich ausgerechnet für mich entschieden hatte. Ich war doch völlig durchschnittlich, dennoch wollte er mit mir zusammen sein, obwohl ihm alle Frauen zu Füßen lagen. Ich sah zu meinem Bruder, der ebenfalls bedrückt wirkte. Er dachte an das Gleiche wie ich.

Aus heiterem Himmel nahm mich Edward in die Arme und küsste mich drängend, während er sich immer weiter vorbeugte und mich somit immer weiter nach hinten zog. Er beendete unseren Kuss und zog mich mit sich wieder nach vorne.

Dann flüsterte er mir ins Ohr: „Du bist hier die Schönste aller Frauen.“

Ich seufzte. Natürlich hatte er gesehen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Elizabeth hatte wie Edward die Initiative ergriffen und schließlich den leidenschaftlichen Kuss wieder beendet. Den Kuss an sich konnte ich zwar nicht sehen, aber ich spürte Andys Gefühle, die mehr als eindeutig waren. Aber seine Zweifel waren immer noch da, genau wie meine. Ich sah, wie Elli meinem Bruder etwas ins Ohr flüsterte. Bestimmt ähnliche Worte, wie die von Edward, aber verstehen konnte ich sie nicht.

Wir gingen weiter den Strand entlang und ich versuchte die gaffenden Blicke der anderen Leute so gut es ging zu ignorieren, als Edward plötzlich einen Arm fest um meine Taille legte und mich beschützend an sich zog. Elli tat das gleiche. Sofort war ich wachsam und schaute mich um. Edwards Körper spannte sich an.

Drohte Gefahr?

Hatte Edward gefährliche Gedanken von jemandem aufgeschnappt?

Edward und Elizabeth blieben stehen, somit Andy und ich auch. Edward verstärkte seinen Griff und ein leises bedrohliches Knurren entfuhr ihm aus seiner Brust. Erschrocken sah ich ihn, dann folgte ich seinem Blick. Ich sah einem Mann auf uns zu kommen.

Er war breit und ziemlich muskulös und hatte dunkelblondes verwuscheltes Haar. Mir fiel auf, dass er ein halben Kopf größer als Edward war. Er keine Socken, nur Sandalen. Dazu schwarze Shorts und ein weißes T-Shirt, das die Konturen seiner muskulösen Brust zeigte. Ich betrachtete sein Gesicht. Es war sehr markant und die Wangenknochen stark ausgeprägt. Als ich aber die Farbe seiner Augen sah, erstarrte ich und klammerte mich hilfesuchend an Edward.

Ich wusste nicht warum, aber diese grünen Augen machten mir Angst, obwohl der Mann, der sich uns näherte zuerst nichts Feindliches ausstrahlte. Die Iris war seltsam grün. Für mich wirkte es wie ein giftiges Grün, was dem Mann etwas Bedrohliches gab. Für mich zumindest. Als der Mann schließlich uns alle gut erkennen konnte, blieb er wie angewurzelt stehen und betrachtete uns mit großen geweiteten, giftgrünen Augen. Der ganze Trubel um uns war vergessen. Wie gebannt und ängstlich starrte ich zu dem Mann gegenüber. Etwas anderes konnte ich nicht mehr wahrnehmen. Ich blinzelte und musterte ihn noch genauer.

Nein, er betrachtete nicht uns, sondern sein Blick glitt zwischen Andy und wir hin und her, bis er schließlich an mir haften blieb. Der Mann sah mich geschockt und fassungslos an. Ich starrte zurück. Verstand nicht, warum er mich so ansah. Die Angst packte mich wieder und suchte noch mehr Halt an Edward. Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte sich der Mann wieder in Bewegung, um an uns vorbei zu gehen. Mein Gesicht ließ er dabei nicht aus den Augen. Auch ich konnte sein Gesicht nicht aus den Augen lassen. Als er parallel zu Edward und mir war und mich immer noch so merkwürdig betrachtete, sah ich Bilder, die in meinem Kopf einströmten.


Ein kleines Mädchen mit Charlie, das die Straße überquert. Ein Auto, das mit ungeheurer Geschwindigkeit um die Ecke gebogen kommt und sein Tempo nicht drosselt. Er überfährt das kleine Mädchen und Charlie und rast einfach davon. Das kleine Mädchen bin ich. Nein, nicht ich – sondern mein anderes Ich, meine andere Version. Die Bella, die mit sechs Jahren verstorben ist.

Dann andere Bilder.

Ein Hotelzimmer. Irgendwo. Eine Uhr. Sie zeigt 01.54 Uhr.
Ein Nachttisch mit Briefumschlägen. Einige sind auf dem Boden verstreut. Darauf ist der Name des Hotels bedruckt. „One Ocean Resort Hotel & Spa“.

Ein weiterer Raum. Die Tür ist offen. Ich höre Laute. Sie klingen seltsam. Als ob jemand nach Luft ringt.

Im Raum sehe ich den Mann, den ich eben gerade begegnet bin. Seine Hände sind um den Hals eines anderen Mannes gelegt. Er ist dabei ihn zu erwürgen. Sein Opfer schnappt nach Luft, versucht zu befreien und zappelt herum. Er greift mit seinen Händen die Handgelenke seines Täters, schafft es aber nicht, dass sich die Hände von seinem Hals lösen. Er tritt seinem Täter zwischen die Knie. Die Hände lösen sich von seinem Hals, sein Täter stößt einen Klagelaut aus und beugt sich reflexartig nach vorn. Doch nach einem kurzen Augenblick fasst er sich wieder, steht wieder in aufrechter Haltung vor ihm, ballt die rechte Hand zu einer Faust und schlägt sein Opfer direkt ins Gesicht. Durch den Schwung prallt sein Hinterkopf gegen den Spiegel, der in tausend Scherben zersplittert. Blut klebte am Spiegel und dessen Scherben.

Der nun tote Mann hat einen ausdruckslosen – toten Blick. Er sinkt nach unten und sackt in sich zusammen. Sein Mund ist leicht geöffnet. Blut läuft an seinem Nacken herunter. Das Opfer hat schwarze kurze Haare, ist schlank und hat blaue Augen, die nun leer waren. Er trug ein dunkelblaues Hemd und dazu passende Jeans.

Die Vision endete.


Ich wusste nicht, wie ich aussah, konnte es mir aber denken: Fahl mit weit aufgerissenen Augen. Der Mann war an uns vorbeigegangen. Ich erschlaffte, brach auf dem Sand zusammen, völlig geschockt.

„Bella!“, hörte ich drei Stimmen meinen Namen besorgt und laut rufen.

Ich hob den Kopf und sah Edward vor mir. Besorgt musterte er mich.

„Bella, Liebste. Was hast du?“

Im nächsten Augenblick schlang ich die Arme um seinen Hals und bettete meinen Kopf auf seine rechte Schulter. Ich merkte, dass ich leise zu schluchzen anfing. Ich spürte seine Arme um mich, die verhinderten, dass ich nicht völlig verzweifelte.

Nach ein paar Sekunden brachte ich jammernd heraus: „Er war es, nicht wahr?“

„Ja.“, antworte Edward zögerlich.

„Edward.“ Meine Stimme versagte.

Ich spürte, wie seine Arme mich noch fester umschlossen.

„Was ist Liebste?“, fragte er fast panisch.

Ich schluckte.

„Wir müssen ihn aufhalten.“, antwortete ich mit etwas kräftigerer Stimme.

Aus Täter wird Opfer





Bellas POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




Nach einigen Sekunden löste ich mich von Edward und er gab mich frei. Edward erhob sich zusammen mit mir.

„Schwesterchen,…“, begann Andy, doch ich erhob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Ich holte tief Luft, sammelte mich. Ich sah die drei nacheinander an.
„Hört zu.“, begann ich und erzählte, was ich gesehen hatte.

Alle hörten gespannt zu. Als ich geendet hatte, hörte ich Knurrgeräusche, die von Edward und Elizabeth kamen. Sie sahen – wie Andy – wutverzerrt aus.

„Weißt du wann das passieren wird?“, fragte Elizabeth mit auffallend ruhiger und sanfter Stimme.

„Ich…weiß nicht genau.“, murmelte ich. „Vielleicht…schon heute Nacht?“ Ich war sehr verunsichert, daher klang es wie eine Frage.
„Ich weiß nicht. Es ist nur ein Verdacht. Ich habe es erst eben gerade gesehen und ich hab’s einfach im Gefühl.“

Edward runzelte die Stirn. „Gut. Du sagtest die Uhr habe 01.54 Uhr gezeigt. Dann passiert es also heute Nacht im One Ocean Resort Hotel & Spa. Dann werde ich ihm später einfach später auflauern und kann so durch seinen Gedanken erfahren, in welches Zimmer er gehen wird. Ich habe ja seinen Geruch noch in der Nase…“
Bei diesem Satz bekam Edwards Stimme einen bissigen Ton und ein Grollen war aus seiner Brust zu hören.

„Wir kommen mit!“, stellten Andy und ich aus einem Munde sofort klar.

Edward und Elli sahen uns ernst an. „Auf gar keinen Fall!“, widersprachen sie beide zur gleichen Zeit.
Mir entging nicht, wie sie einen Blick austauschten.

„Denkst du – oder ihr –, dass ich zuhause rumsitze, während der Mörder meiner Schwester“ – er sah kurz zu mir und fügte noch hinzu – „meiner anderen Schwester frei herumläuft und wir endlich eine Gelegenheit haben ihn zu schnappen? Erstens verhindern wir, dass er jemanden tötet und zweitens würde ich gerne erfahren, warum er damals Fahrerflucht begangen hat.“, hielt mein Bruder energisch dagegen.

Er sprach mir aus der Seele. Andys Augen blitzten förmlich die zwei Vampire an. Ich sah flehend zu Edward.

„Bitte auch mir ist es sehr wichtig.“, erwiderte ich etwas leiser aber dringend.

„Andrew Liebster, versteh‘ doch…“, wollte Elizabeth mit sanfter und beruhigender Stimme auf ihn einreden.

Mein Bruder kniff seine Augen zusammen. Entweder weil sie ihn davon überzeugen wollte, dass wir nicht mitkommen sollten oder weil sie dabei seinen richtigen Namen verwendete. Vielleicht aber auch beides.

„Keine Chance!“, sagte er in einem gebieterischen Tonfall.

Wieder tauschten Edward und Elizabeth einen Blick miteinander und sie seufzte ergeben.

„Du bist so ein Dickkopf!“, tadelte sie ihn und schaute ihn streng an.
Doch in ihren Augen konnte man lesen, dass Elli sich geschlagen gab.

„Zwei Dickköpfe sind eben schlimmer als einer.“, sagte Edward mit einem kurzen leichten Lächeln und nickte mir zu.
Elizabeth sagte nichts, sondern seufzte nochmals.

Nach dieser Begegnung mit „meinem Mörder“ war der schöne Strandausflug dahin. Edward versuchte zwar mich abzulenken – nicht ohne seine Küsse – doch ich konnte an nichts anderes mehr denken. Bei meinem Bruder und seinem Vampirmädchen herrschte in den ersten Sekunden Funkstille. Andy blickte betreten zu ihr. Natürlich wusste er, dass sie nicht wollte, dass ihm etwas passierte. Als er schließlich einen Arm um sie legte, hörte man ein leises Seufzen und sie ließ sich zu ihm heran ziehen. Sie lächelte leicht und legte eine Hand an Andys Wange.

„Was würde ich nur ohne dich machen?“

Ich wusste nicht, ob Elli die Frage an sich selbst oder Andy richtete. Andy schmiegte seine Wange in ihre Handfläche und lächelte sie ebenfalls an, doch in seinem Gesicht war Ernsthaftigkeit und leichte Trauer zu erkennen, die er zu verbergen versuchte.

„Du würdest dein Vampirleben weiterleben.“, antwortete er ruhig und leise.

Elizabeths Augen wurden größer, starrten ihn erschüttert an, als hätte er etwas völlig Abwegiges gesagt. Wohl vor Schreck oder vor Staunen ließ sie die Hand sinken. Ich sah zu Edward. Seine Augen sind bei Andys Antwort schmaler geworden und sein Kiefer verhärtete sich. Nachdem die Schrecksekunde(n) vorüber war, stießen Edward und Elizabeth mit einem empörten „Pfft!“ die Luft aus. Nun blickte Elizabeth genauso finster wie Edward. Andy sah überrascht aus.

„Das denkst du also, ja? Wenn es dich nicht mehr in meinem Leben gäbe, würde ich einfach wieder zum Alltag übergehen?“, sagte sie scharf und versuchte den Zorn zurückzuhalten.
Trotzdem könnte ich in ihren Worten hören, dass sie auch etwas verletzt war.
„Wie kannst du nur so denken!“, fuhr sie ihn jetzt wieder etwas sanfter an.
„Du bist meine Welt – nein, mein Universum. Wenn es dich nicht mehr geben würde, dann…würde ich wohl zugrunde gehen.“

Elizabeths Stimme wurde mit jedem Wort trauriger. Elizabeth sah Andy prüfend in die Augen und wartete wohl auf eine Antwort. Er antwortete nicht mit Worten, sondern mit errötetem Wangen, woraufhin Elizabeth schmunzelte.

„Glaub ihr, Andrew.“, sagte Edward voller Ernst und durchbohrte meinen Bruder mit seinen bald immer dunkler werdenden Augen.
Dann brach Edward abrupt ab und sah etwas verdutzt aus. Ihm war wohl jetzt bewusst geworden, dass er Andrew zu ihm gesagt hatte. Hatte er ihn schon jemals so angesprochen? Ich glaube nicht.
Edward fing sich aber schnell wieder und fuhr fort:
„Ich weiß, wovon sie redet.“

Dann drehte Edward den Kopf zu mir und sah mich traurig lächelnd an. Die Schuld in seinen Augen war nicht zu übersehen. Ich nahm ihn in meine Arme, umklammerte ihn so fest ich konnte und legte mein Kopf auf seine Brust. Zur Antwort spürte ich nun seine Arme um meinen Körper und er vergrub das Gesicht in meinem Haar.

„Edward.“, sprach ich leise und beruhigend.
„Du wolltest nur das Richtige für mich tun. Hör auf, dir Vorwürfe zu machen.“
Ich hob meinen Kopf, sodass ich ihn in seine goldenen Augen sehen konnte.
„Nur die Gegenwart zählt. Das Hier und Jetzt. Und…ich liebe dich.“, flüsterte ich.

Er lächelte etwas und der Schmerz in seinen Augen dezimierte sich. Er beugte seinen Kopf weiter zu mir hinunter und gab mir einen zärtlichen, zerrissenen Kuss. Um meine Worte zu unterstreichen küsste ich leidenschaftlicher und ich meinte ein Schmunzeln zu hören, ehe er unseren Kuss beendete. Ich keuchte, nach Atem ringend.

„Womit habe ich dich bloß verdient?“, brachte ich heraus, nachdem sich meine Lungen wieder mit Luft gefüllt hatten.

Doch als ich zu Ende gesprochen hatte, wurde mir (und gewiss auch den anderen) bewusst, dass ich nicht die einzige war, die diese Worte ebengesprochen. Überrascht und mit großen Augen sah ich Edward an, der wenigstens genauso verblüfft war, wie ich. Dann brachen wir alle in Gelächter aus. Edwards Arme ließen mich frei, sodass ich mir den Bauch vor Lachen halten konnte. Ich hörte Edwards musikalisches glückliches Lachen. Doch ich war mir sicher, dass er auch lachte, weil ihn mein Anblick amüsierte. Denn sein Gefühlsausbruch war nicht so heftig wie meiner und der meines Bruders. Elizabeth lachte ebenso nicht so überschwänglich.

„Hast du gerade meine Gedanken gelesen?“, brachte ich immer noch leicht glucksend hervor.

„Nein.“, schmunzelte er und lächelte sein schiefes Lächeln, bei dem mein Herz wieder Sprünge machte und sein Tempo erhöhte.
Er kam auf mich zu und nahm mich in seine Arme.
„Das Atmen nicht vergessen, Bella.“, ermahnte er mich lächelnd, als er sich so tief hinabgebeugt hatte, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berühren konnten und ich seinen Atem schmecken konnte.

Ich weiß nicht wie, aber irgendwie brachte es mein Herz fertig, noch schneller zu schlagen. Er machte mich wahnsinnig. Tat er das mit Absicht? Langsam hatte ich so den Eindruck. Ich holte tief Luft, um nicht zu hyperventilieren.

„Aber woher wusstest du, was ich sagen wollte?“, fragte ich neugierig, wonach es jedoch nicht klang.

„Ich weiß es nicht.“, antworte Edward mir stirnrunzelnd.

„Vielleicht wird eure Beziehung langsam noch tiefer, noch inniger, sodass ihr bald wie einer denkt. Bella und Andy sind ja das beste Beispiel dafür.“, mischte sich Elizabeth ein und klang dabei so locker, als sei es das Verständlichste von der Welt.

„Klingt einleuchtend.“, sagte er fast stolz und sah mir in die Augen.

„Ach hör‘ doch auf!“, kam es von mir und meinem Bruder simultan an Elli gerichtet.

Ihre Mundwinkel hoben sich.
„Seht ihr, was ich meine?“

Wir gingen noch eine Weile am Strand entlang, doch immer wieder hatte ich das Bild von meinem Mörder vor Augen. Naja, der Mörder der anderen Bella genau genommen. Ich achtete immer weniger auf Edward, starrte gedankenverloren aufs Meer hinaus und dachte über das nach, was ich gesehen hatte. Warum wollte mein Mörder – ich wusste ja nicht, wie er hieß – den anderen Mann töten? Was hatte er ihm bloß getan? Machte es ihm Spaß, andere zu töten? Was war er wohl für eine Art Mensch? Und aus welchem Grund hatte er die andere Bella einfach überfahren? Er hatte – gemäß meiner Vision – ja nicht einmal versucht zu bremsen. Zugern hätte ich seinen Gesichtsausdruck in der Vision gesehen. War er damals panisch, entsetzt, ängstlich? Oder hatte er breitgrinsend hinter dem Steuer gesessen? Fragen, deren Antworten ich nicht wusste.

Nur eines war klar. Dass ich ihn – oder eher wir alle – aufhalten mussten, bevor er wieder jemandem das Leben nahm. Dann kam mir ein neuer Gedanke. Was, wenn das alles passieren sollte? Wenn es vorher bestimmt war, dass die andere Bella sterben sollte, damit ICH hierher kommen und Edward kennen lernen konnte? Wenn ja, dann war das Schicksal etwas Schreckliches. Ich schloss die Augen und versuchte mich an sein Gesicht vor ein paar Minuten zu erinnern. Er hatte eher überrascht und nicht wütend ausgesehen. Nein, ich hatte keinen wirklichen Zorn in seinen Augen finden können.

Plötzlich spürte ich Arme um mich. Jemand stand hinter mir. Vor Schreck zuckte ich zusammen und wollte fast aufschreien, als der Griff um meinen Körper fester und eine Stimme mir ins Ohr flüsterte: „Bella. Ruhig, Liebste. Es ist alles gut.“, murmelte Edward beruhigend.

Ich war so in meinen Gedanken vertieft gewesen, dass ich Edward nicht bemerkt hatte. Ich legte meine Hände auf seine, die er um meinen Bauch geschlungen hatte.

„Ich bin so froh, dass ich dich habe.“, seufzte ich.

„Und ich bin froh, dass ich bei dir sein darf.“, hauchte er und küsste meine Wange.
„Woran denkst du?“, stellte er seine typische Frage und legte seinen Kopf auf meine linke Schulter.

"Ich denke an heute Nacht, wenn du wieder bei mir bist.“

Natürlich verstand Edward die Anspielung und seufzte ergeben.

„Was mache ich nur mit dir?“, stöhnte er verzweifelt.

Mich verführen. Doch das sagte ich ihm nicht.
„Mir helfen“, antwortete ich und ließ meinen Kopf nach hinten gegen seine Brust sinken.

Elizabeth und Edward versuchten Andy und mich jeweils zum Schwimmen zu überreden, sie konnten es ja nicht. Doch ohne die zwei würde es nur halb so viel Spaß machen. Um uns besser ablenken zu können, hätten beide schon mit ins Wasser kommen müssen. Andy und ich verneinten also jedes Mal, wenn sie das Thema „Schwimmen“ ansprachen. Irgendwie haben wir die Zeit herum bekommen und waren noch etwas essen gegangen. Naja, nur Andy und ich aßen, während Edward und Elizabeth zusahen und angewidert die Nase rümpften.

„Blut würde für uns Menschen auch nicht gerade appetitlich sein.“, hatte Andy schmunzelnd darauf erwidert.

Nachdem wir noch etwas in Läden gestöbert hatten, machten wir uns auf dem Weg nach Hause. Phil und Renee waren bereits da und waren gerade beim Abendessen. Wir lehnten dankbar ab und gingen nach oben, um uns „bettfertig“ zu machen. Doch an Einschlafen war nicht zu denken, da wir diese Nacht noch etwas vorhatten…

Als die Uhr 00.30 anzeigte, setzte sich Edward mit mir in seinen Armen auf. Zu seinem Bedauern war ich nicht eingeschlafen.

„Möchtest du wirklich mit kommen?“, fragte er nochmals.

Ich sah ihn nur durchdringend an und Edward seufzte. Er machte das Fenster auf, nahm mich in die Arme und sprang in die Nacht hinaus. Er landete lautlos auf den Füßen. Da kam auch schon Elli mit Andrew in den Armen um die Ecke.

Nachdem sie uns jeweils auf ihre Rücken gehievt hatten, sagte Edward noch:
"Wir werden jetzt eine Weile unterwegs sein. Also haltet euch gut fest und schließt die Augen.“

Wir taten wie geheißen. Schlangen die Beine um den Bauch beziehungsweise die Hüfte und verstärkten den Griff um Edwards und Elizabeths Hals. Dann rannten sie los. Ich spürte, wie der Wind mir eiskalt ins Gesicht peitschte und er meine Haare erfasste. Obwohl ich es mir zugetraut hätte, ließ ich die Augen dennoch geschlossen. Umsonst hatte Edward uns gewiss nicht gewarnt und ich wollte keine Übelkeit bekommen. Also kniff ich so fest ich konnte die Augen zu und krallte mich an Edwards Körper fest, sodass man denken könnte, ich erwürgte ihn. Irgendwann – ich hatte nicht die leiseste Ahnung wie viel Zeit verstrichen war – hörte ich Edwards Stimme. Leise und sanft.

„Bella? Du kannst die Augen wieder öffnen, wir sind da.“

Ich hörte Wellenrauschen und dann öffnete ich langsam die Augen. Wir waren am Strand und das Wasser schlug kleine Wellen. Es war eine ruhige sternenklare Nacht und der Mond schien hell und im Wasser leuchtete sein Spiegelbild. Vor uns, einige Meter entfernt waren einige Gebäude, wobei eins besonders auffiel. Das musste das One Ocean Resort Hotel & Spa sein, da es selbst in der Nacht erleuchtet war. Ich kletterte Edwards Rücken hinunter und starrte gebannt auf das Hotel. Ich hörte laute, schmatzende Schritte und Andy stand neben mir.

„Wie lange waren wir eigentlich unterwegs?“, fragte er in die Stille hinein.

„So 26 Minuten.“, hörte ich Elizabeths Stimme sagen.

26 Minuten? Solange kam es mir überhaupt nicht vor. Aber andererseits war das Hotel ziemlich weit von Jacksonville entfernt. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schritten wir zum Hotel hinauf und verließen den menschenleeren Strand.

Kurze Zeit später waren wir nur wenige Meter vor dem beleuchteten Eingang und die Schrift „ONE OCEAN“ wurde hell von Lichtern erleuchtet. Die Buchstaben waren auf Metall befestigt, welches sich um eine Art Springbrunnen wand, der von einer Gesteinmauer umschlossen wurde und sich direkt vor dem Eingang befand. Viele dünne Wasserstrahlen schossen ununterbrochen aus der Mauer hervor nach oben. Dahinter befand sich das große hell erleuchtete Gebäude. Wäre es andere Umstände gewesen, hätte ich hier sogar mal Urlaub gemacht. Wir vier waren die einzigen, die sich hier befanden, worüber ich ganz froh war.

Ich schaute auf meine Uhr. Es war jetzt 01.12 Uhr. Wir mussten uns beeilen.

„Kannst du ihn hören, Edward?“, flüsterte Andy so leise, dass ich ihn kaum verstand.

Edwards Augen waren auf das Hotel gerichtet. Er sah sehr konzentriert aus, aber nach wenigen Sekunden schüttelte er den Kopf.
„Es ist schwer zu sagen. Dort drinnen sind zu viele Stimmen. Es ist nicht einfach nach genau der einen zu suchen, da mir seine Stimme noch nicht vertraut genug ist.“, sagte er bedauernd.

Da hatte ich eine Idee.

„Dann lasst uns doch herausfinden, ob er vielleicht schon drinnen ist.“, wisperte und ging entschlossen zum Eingang des Hotels.

„Bella!“, hörte ich ihre Stimmen hinter mir empört und überrascht flüstern.

Im nächsten Moment waren sie auch wieder an meiner Seite.
Edward packte mich am Arm.
„Was hast du vor?“, fragte er entsetzt.

„Vertrau mir einfach.“

Er sah nicht überzeugt aus, ließ meinen Arm aber wieder los und ich betrat als erste mit einem flauen Gefühl im Magen die hell erleuchtete Eingangshalle. Die Wände waren weiß, aber alles andere war beige-braun gehalten. Der Boden war gefliest mit braun- und beigefarbenen Rechtecken. Alle Möbel waren aus dunklem oder hellbraunem Holz. Geradezu war ein riesiger Empfangstresen, dahinter stand ein Mann mittleren Alters in seiner beigen Hotelkleidung. Er hatte blondes, sandfarbenes Haar und tippte gerade auf der Tastatur seines Computers herum. Rechts und links vom Tresen waren unzählige Tische und Stühle, die zum Sitzen einluden. Weiter hinten, schräg links vom Tresen, befand sich ein kleines Café, welches ebenfalls den Namen des Hotels trug. In einer Vitrine waren verschiedene Kuchensorten zu erkennen, die das Café neben Salate und Brötchen anbot. Auch der Geruch vom zermahlenen Kaffee lag in der Luft und wurde stärker, je näher man seinem Ursprungsort kam. Auf der rechten Seite des Tresens war die eine große Scheibe vollkommen verglast, sodass man einem guten Blick nach draußen auf die Hause und wenigen Sträucher hatte. Den Strand konnte man von hier aus leider nicht erkennen.

Als ich am Empfangstresen angelangt war, die anderen hatten Diskretionsabstand eingenommen, räusperte ich mich, damit mir der Mann seine Aufmerksamkeit schenkte. Ganz am Rande fragte ich mich, wie lange dieses Hotel wohl geöffnet hat.

„Guten Abend, Miss.“, begrüßte der Mann mich und lächelte höflich.

Auch ich lächelte, holte innerlich noch einmal tief Luft und hoffte, dass meine nächsten Worte überzeugend klangen.

„Guten Abend. Können Sie mir vielleicht sagen, ob mein Onkel Brandon bereits in diesem Hotel ist? Ich bin seine Nichte und wir haben uns zu dieser Stunde in seinem Zimmer verabredet, weil er mit mir etwas ganz Wichtiges besprechen wollte. Er ist ein großer, breiter, kräftig gebauter Mann mit dunkelblondem zerzaustem Haar und grünen Augen.“

Während ich das sagte, spürte ich die Blicke der anderen im Rücken, was mir etwas unangenehm war. Ich war mir ziemlich sicher, dass der Herr meine Lüge durchschauen würde, dafür war ich eben einfach nicht gut genug. Aber vielleicht würde es dennoch funktionieren. Der Mann betrachtete mich skeptisch und sah mich mit seinen braunen Augen ernst an.

„Hat Ihnen ihr Onkel nicht seine Zimmernummer gesagt?“, fragte er zweifelnd.

„Nein, leider nicht.“, erwiderte ich bedauernd.

„Es tut mir leid. Ich darf Ihnen keine Auskunft über unsere Gäste geben. Warum rufen Sie ihren Onkel mit ihrem Handy nicht selbst an? Er wird Ihnen sicher gerne seine Zimmernummer geben.“, sagte er mit einem hämischen Unterton.

Diese Antwort hatte ich erwartet.
„Danke für ihre Hilfe. Mal sehen, ob ich ihn erreichen kann.“, antwortete ich höflich, drehte mich um und ging zu den anderen zurück.
„Und?“, flüsterte ich Edward zu.

Er sah überrascht und amüsiert zugleich aus. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Auch Elizabeth schaute mich anerkennend an.

°Nicht schlecht.°, hörte ich Andys Stimme.

„Er hat deine Lüge durchschaut. Dennoch konnte ich hören, wie er bei deiner Beschreibung sämtliche neu hinzu gekommenen Gäste durchforstet hat. Und er hat diesen Mann noch nie hier im Hotel gesehen.“

Dann war er also noch nicht hier beziehungsweise hatte ein Zimmer gebucht. Er würde also noch kommen.

„Und was jetzt?“, fragte Andy.
„Ich meine, wir können ja hier nicht einfach in der Eingangshalle warten, bis der Kerl hier herein spaziert und uns sieht. Mhh…“
Er zog die Augenbrauen zusammen.
„Ich frage mich aber schon, wann der hier auftauchen will.“
°Wenn er heute Nacht überhaupt kommt.°, fügte er zweifelnd hinzu.

Ohne Andy anzusehen, stieß ich ihn mit meinem Ellenbogen leicht in die Rippen, während uns Elizabeth und Edward genau beobachteten.

„Dann warten wir woanders.“, sagte Elli unbekümmert und schritt aus der Halle hinaus nach draußen.

Wir anderen folgten ihr ratlos. Kaum waren wir alle vier wieder draußen, wollte ich gerade fragen, was sie denn vorhabe. Dazu blieb mir allerdings keine Gelegenheit mehr, da ich von Edward in die Arme genommen wurde und ich einen scharfen Luftzug spürte. Im nächsten Moment traute ich meinen Augen nicht, als Edward mich auch schon wieder absetzte. Wir befanden uns alle auf dem Dach des Gebäudes. Ich blickte nach unten in Tiefe und hatte ein unwohles Gefühl. Ich glaubte, dass mir die Höhe nicht bekam.

„Eine Vorwarnung wäre schon nett gewesen.“, tadelten Andy und ich unsere Vampire.

„Es ist besser, wenn wir uns hinlegen, sodass uns keiner mehr so leicht entdecken kann.“, riet Elli.

Wir legten uns alle auf dem Bauch – Edward und Andy neben mir – und konnten so den Eingangsbereich vor dem Hotel, die Straße und die Sträucher gut erkennen. So warteten wir gespannt, bis der eine hier auftauchte. Wir sagten kein Wort. Ich war dafür viel zu aufgeregt, außerdem hatte ich nichts zu sagen.

„Mir ist kalt.“, maulte Andy irgendwann im Flüsterton.

„Mir auch.“, sagte ich.

Da drückte Edward meine Hand und ich spürte, wie er mir mit der anderen sanft über den Rücken rieb, um mich zu wärmen. Ich lächelte ihn dankbar an, obwohl er wusste, dass ich wusste, dass es nichts bringen würde. Edward lächelte sein schiefes Lächeln, doch auch bedauern konnte ich in seinen bald gänzlich schwarzen Augen sehen.

„Und ich bin kalt.“, erwiderte Elli trocken.

Andy kicherte leise. „Das stimmt wohl.“

Andy sah aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch ihm stockte der Atem, als er eine Gestalt unten erkennen konnte, die das Hotel betreten wollte. Ich vergaß vor Schreck eine Sekunde zu atmen, sah dann fragend zu Edward hinüber. Er knurrte leise. Das war Antwort genug. Ich sah auf meine Uhr. 01.38 Uhr.

„Zimmer 412.“, zischte Edward leise.
„Aber er wird vorher noch die Toilette aufsuchen.“

„Na besser geht’s ja gar nicht.“, kommentierte Andy.

Etwa eine Minute, nachdem „mein Mörder“ ins Hotel gegangen war, wurde ich schon wieder in Edwards Arme gerissen, er sprang hinunter und landete lautlos. Ein Glück, dass uns niemand sehen konnte. Wir gingen wieder ins Hotel hinein. Die Eingangshalle war – ausgenommen des Mannes hinter dem Tresen – vollkommen leer.

„Und wie sollen wir jetzt unbemerkt an ihm vorbeikommen?“, fragte Andy.

Edward lächelte selbstbewusst.
„Vielleicht könnte eine schöne blasse junge Frau ihren Charme spielen lassen?“, fragte er sanft und sah seine Schwester bedeutungsvoll an.

Sie grinste zurück. Andys Blick huschte zu Edward, dann zu Elizabeth, dann wieder zu Edward. Er blickte missmutig drein und brummte etwas, was ich nicht verstand, aber seine Gedanken waren eindeutig.

°Mir gefällt das absolut nicht!°

Elli nahm sein Gesicht in ihre Hände, sodass sie ihn ansehen konnte.
„Dafür bist du der einzige Mann, der mir schöne Augen machen kann. Obwohl eigentlich brauchst du das nicht einmal.“

Sie lächelte ihr schiefes Lächeln, was dem von Edward ähnlich war und durchbohrte Andy mit ihrem Blick.

°Wie soll ich da noch Nein sagen. Diese Frau hat mich um ihren kleinen Finger gewickelt.°

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, während Andy seine Elli schwach anlächelte und nun etwas besänftigt war. Sie ließ sein Gesicht wieder los und schritt zum Empfangstresen.

„Entschuldigen Sie?“, bat Elli mit ihrer Samtstimme, die einen verführerischen Klang mit sich trug.

Der Mann schaute auf und war im ersten Moment vollkommen konfus.
„Äh…Was…? Ja…Wie kann ich ihnen helfen?“, stotterte er.

Ich war mir sicher, dass Elli nun die ganze Macht ihres Blickes einsetzte. Ich wusste nur allzu genau, wie der Mann sich jetzt fühlte. Es erinnerte mich an damals, als ich Edward kennen gelernt hatte und er mich mit seinem durchdringenden Blick ständig aus dem Konzept gebracht hatte, ohne es zu wollen. Und ehrlich gesagt, schaffte er das heute auch noch sehr gut.

Dann sagte Elli etwas, doch leider konnte ich es nicht verstehen, weil ein leises, aber hörbares Knurren aus Edwards Brust kam. Mein Bruder und ich sahen ihn fragend an.

„Was ist?“, wisperte ich.

Seine Miene hellte sich auf und er erwiderte freundlich meinem Blick.
„Nichts Relevantes.“, sagte er nur.

Da ich so auf Edward geachtet habe, ist mir das Gespräch etwas entgangen. Ich sah wieder zum Tresen und der Mann dahinter tippte auf der Tastatur seines Computers herum und sah doch ziemlich fahrig aus. Unauffällig stellte sich Elli nun so vor dem Tresen, das sie den Mann nun vollständig verdeckte.

„Los jetzt.“, flüsterte uns Edward zu und schob uns Richtung Fahrstuhl.

Nachdem der Fahrstuhl endlich im Erdgeschoss angekommen war – er ging glücklicherweise nicht mit einem lauten „Pling“ auf – gingen wir drei hinein und Edward drückte sogleich den Knopf für das vierte Stockwerk. 2 Sekunden später begann sich die Tür langsam zu schließen.

„Sollten wir nicht warten?“, fragte Andy, als Edward den Knopf betätigt hatte.

Doch kurz bevor die Tür ganz geschlossen wurde, spürte ich einen Luftzug und Ellis Stimme fragen: „Auf wem denn?“

Andy schaute sie überrascht an, sagte nichts, sondern lächelte nur ein wenig.

„Und wie geht’s jetzt weiter?“, fragte mein Bruder, während wir hochfuhren.

„Kannst du ihn hören?“, wollte Elizabeth von Edward wissen.

Er schloss die Augen und konzentrierte sich.
„Er ist gleich am Fahrstuhl im Erdgeschoss.“, informierte er uns.
„Aber er scheint…nervös zu sein. Fast so, als will er ihn nicht töten.“

„Warum denn das?“, wollte ich wissen, als der Fahrstuhl stoppte und seine Tür sich zum vierten Stock öffnete.

„Ich kann es nicht genau sagen. Seine Gedanken konzentrieren sich jetzt auf sein Vorhaben.“, antwortete Edward und wir gingen hinaus auf dem leeren Hotelflur.

Der Boden war hier genauso gestaltet wie in der Eingangshalle. Um zu den Zimmertüren zu gelangen, mussten wir rechts um die Ecke gehen. Die Türen waren alle weiß und auf ihnen waren jeweils die Ziffern der Zimmernummern aus dunklem Holz angebracht.

„Zimmer 412 ist befindet sich mittig auf der rechten Seite.“, sagte Elizabeth.

Wir beschlossen gleich hinter der Wand zu warten, die den Fahrstuhl von den Zimmern trennte, um auf ihn zu warten. Es konnte nun nicht mehr allzu lange dauern. Nach wenigen Sekunden hörten wir den Fahrstuhl aufgehen, dann Schritte. Er wollte gerade um die Ecke biegen, als ich entschlossener als mir zumute war, ihm zuvor kam und mich ihm in den Weg stellte. Große grüne Augen starrten mich überrascht an. Den Mund vor Erstaunen geöffnet.

„Wohin wollen wir denn?“, fragte ich ihn so locker und gelassen, dass es mich selbst erstaunte.

Sein Gesicht erblasste etwas, er wich etwas zurück und drehte sich um. Doch da erstarrte er in seiner Bewegung, als er plötzlich Edward gegenüberstand. Er musste wohl in Vampirgeschwindigkeit unbemerkt dorthin gekommen sein. Er starrte Edward an, der ihn mit kaltem Blick und angespannten Kiefer zurück starrte. Er drehte sich wieder zu mir um. Panik spiegelte sich in seinen Augen und Überraschung, als er Andy und Elizabeth bei mir stehen sah. Er schloss den Mund und schluckte hörbar.

„Was hast du denn vor?“, fragte Elli ihn mit ausdruckloser Miene und leichtem Zorn in der Stimme.

„D…Das geht euch nichts an!“
Es sollte wütend klingen. Doch da seine Stimme zitterte, hatte es nicht ganz den gewünschten Effekt.

„Ich finde, wenn du jemanden umbringen willst, dann geht uns das sehr wohl was an.“

Ich versuchte, meine Stimme weiterhin ruhig zu halten. Erst im nächsten Moment wurde mir klar, was ich eigentlich gesagt hatte. Woher nahm ich dieses Selbstbewusstsein? Lag es daran, dass ich nicht alleine war, sondern 2 Vampire mit übermenschlichen Kräften bei mir hatte? Oder lag es daran, dass ich unbedingt verhindern wollte, dass dieser Mann noch einen Menschen umbrachte, weil er bereits „mich“ auf dem Gewissen hatte? Ich wusste es nicht genau. Aber irgendetwas gab mir den Mut dazu, den ich jetzt brauchte. Auch Edward sah mich kurz überrascht an, obwohl er versuche, sich nichts anmerken zu lassen.

Die Augen meines Mörders wurden noch größer vor Überraschung, dann wurden sie wieder normal. Er holte tief Luft, versuchte seine Fassung wieder zu gewinnen.

„Woher wisst ihr das? Wer hat euch davon erzählt?“, zischte er mir entgegen.

Ich wich etwas zurück vor seiner Feindseligkeit, versuchte meine Panik, die langsam in mir aufstieg, nicht zu zeigen.

„Das ist jetzt nicht wichtig. Wir werden nur nicht zulassen, dass du noch jemanden tötest.“

Erneut war ich überrascht von den Worten, die aus meinem Mund kamen. Er hob die Augenbrauen, dann kam ein boshaftes Grinsen über sein Gesicht.

„Ach ja?“, fragte er zweifelnd und belustigt zugleich.

Ich war so auf seine giftgrünen Augen fixiert, dass ich nicht sofort realisierte, was geschah. Im nächsten Moment hatte er ein Taschenmesser gezückt und wollte mich erstechen. Doch gerade als er ausholen wollte, wurde sein Arm in der Bewegung festgehalten. Entsetzt sah ich, wie Elli seinen Arm festhielt. Das Messer in seiner geschlossenen Hand wenige Zentimeter vor meinem Körper. Ich unterdrückte einen Schreckensschrei. Auch Andy hatte Mühe sich zu beherrschen.

„Wenn du sie auch nur berührst, breche ich dir alle Knochen!“, fauchte Elizabeth leise und bedrohlich und blitzte ihn mit ihren gold-schwarzen Augen an.

Dann drückte sie – wie es schien – ganz zart seinen Arm und er stieß einen kurzen nicht allzu lauten Schmerzensschrei aus. Ich glaubte sogar ein leichtes Knacken gehört zu haben. Er schaute Elli verbissen an, musste jedoch einsehen, dass er ihr nicht gewachsen war, öffnet wütend seine Hand, sodass das Messer zu Boden fiel. Ein Zeichen dafür, dass er aufgab. Sie betrachtete ihn kurz prüfend, ließ dann aber seinen Arm los und er stöhnte auf. Elizabeth tauschte mit Edward einen Blick und er schüttelte den Kopf.

„Also, warum willst du den Mann in Zimmer 412 töten?“, verlangte sie zu wissen, versuchte dabei ihn nicht anzubrüllen.

Dann passierte etwas, mit dem ich nie und nimmer gerechnet hatte.

Er sah Elizabeth, dann mich, Andy und wieder mich an. Die Wut aus dem Gesicht des Mannes verschwand und Trauer und Verzweiflung waren nun zu erkennen. In seinen Augen glitzerte es und er brach auf dem Boden zusammen, die Hände dort nach Halt suchend abgestützt. Alle waren erstaunt über seine Reaktion, besonders als wir ein schwaches Schluchzen hörten. Niemand sagte etwas, außer Andy und ich, die ein überraschtes „Oh!“ ausstießen.

„Ihr versteht das nicht!“, brachte er mit belegter Stimme heraus.

„Was verstehen wir nicht?“, fragte Edward emotionslos.

„Ich weiß nicht…woher…ihr das wisst. Aber ich muss es tun.“

„Was soll das nun wieder heißen?“, brach es wütend aus Andy heraus.
Er war kurz vor dem Brüllen gewesen.

„Sie verlangen das von mir.“, raunte er, während er versuchte, sich wieder zu beruhigen.

„Wer?“, hakte ich nach.

Er wischte sich mit seiner Jacke die Tränen weg, blickte auf und sah mich irgendwie entschuldigend an. Dann sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. Es schien, als wollte er dies sich schon lange von der Seele reden.

„Es tut mir so leid. Alles tut mir so leid. Ich wollte das alles nie. Ich will das hier nicht tun und ich wollte dich auch damals nicht überfahren. Es war wirklich nicht meine Absicht gewesen. Aber hätte ich gebremst und wäre am Unfallort geblieben, dann hätte mir die Polizei Fragen gestellt und dann wäre ich unter zu großem Druck geraten und…und dann wären sie höchstwahrscheinlich hinter meinem Geheimnis gekommen. Und das durfte ich nicht riskieren.“

Ich lauschte begierig seinen Worten und traute meinen Ohren nicht. Mit so etwas hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Auch war ich mir sicher, dass er nicht log.

„Was ist das für ein Geheimnis?“, drängte ich ihn nun sanfter weiter.

Er sah mich weiterhin unverwandt an, schluckte, holte Luft und sprach weiter.
„Ich leihe mir Geld von einer Mafia, weil meine Schwester schwer krank ist. Ich brauche es sehr dringend um die Therapien für sie weiterhin bezahlen zu können. Sie leidet an Amyotrophe Lateralsklerose.“
Sein Gesicht war so erfüllt von Schmerz, dass ich mich plötzlich nicht mehr traute nachzufragen, was das eigentlich ist. Doch dann fuhr er fort.
„Durch die Muskelschwäche kann sie weder richtig schlucken, noch gehen, noch sprechen.“

Eine Träne lief aus seinem Augenwinkel des rechten Auges. Ich merkte, wie mein immenses Selbstbewusstsein schwand und meine Wut verrauchte. Ich konnte nicht anders, als Mitleid für ihn zu empfinden.

„Oh!“, hauchte Andy leise und sein Schmerz in der Stimme war unüberhörbar.
°Hätte ich vielleicht dasselbe getan wie er?°, fragte er sich und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen.

Ich traute mich aber nicht seinen Blick zu erwidern. Ich wollte diese traurigen, mitfühlenden Augen nicht sehen.

„Und diese Leute zwingen dich dazu, andere Unschuldige umzubringen?“, fragte Edward nun mit etwas mehr Gefühl in der Stimme.

Er wandte sich ihm zu.
„Sozusagen. Wenn ich es nicht tue…dann…werden sie mich töten und dann wäre meine Schwester ganz allein. Ich bin der einzige, den sie noch hat.“

„Und du denkst anderen Leuten das Leben zu nehmen rechtfertigt das?“, fragte nun Andy verdächtig ruhig.

Er drehte sich wieder zu uns.
„Nein, natürlich nicht. Aber ich war verzweifelt und wusste keinen Weg mehr hinaus. Durch meinen Job verdiene ich nicht viel und die Banken bewilligen mir keinen Kredit. Außerdem muss ich auch die Hypothek meines Hauses bezahlen. Es tut mir alles so leid.“

Seine Stimme klang mit jedem Wort verzweifelter und leiser. Mir lag eine Frage auf der Zunge, doch ich wagte sie nicht zu stellen. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich die Antwort überhaupt wissen wollte. Auch bat ich meinen Bruder per Telepathie darum, nicht diese Frage an ihn zu richten.

„Wer ist dort in dem Zimmer?“, führte Elizabeth das Verhör weiter.

„Die rechte Hand des Bürgermeisters.“, sagte er knapp und seine Stimme brach weg.

„Und wen hast du getötet, als du meine Schwester und meinen Vater überfahren hast?“, kam es von Andy, seine Hände zu Fäusten geballt.

Er sah ihn wehmütig an.
„Ich wollte das wirklich nicht.“

Dann sah er wieder mich an.
„Wie hast du es nur geschafft? Ich dachte du wärst gestorben?“, fragte er unsicher, zögernd.

Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Ich erstarrte und das Blut wich aus meinem Gesicht. Ich hörte Edwards unterdrücktes Knurren. Der Mann drehte sich vor Schreck zu Edward herum und bekam einen tödlichen Blick zu spüren. Er zuckte zusammen und drehte sich wieder zu mir und wartete auf meine Antwort. Ich hatte es geschafft, mich aus meiner Starre zu befreien und fand sogar meine Stimme um zu sprechen.

„Es war knapp.“, sagte ich unnatürlich gelassen und sah ihn an, ohne wirklich etwas zu sehen.

Ich merkte, wie sich in meinen Augen Tränen sammelten, die ich mit Mühe zurück halten musste.

„Zurück zum Thema!“, forderte ihn Andy auf und ich merkte, wie er um Fassung rang. Elli legte tröstend einen Arm um seine Taille.

Der Mann, der „mich“ getötet hatte, blickte nun meinen Bruder an und antwortete auf seine Frage.
„Ich musste jemanden töten, der seine Schulden nicht begleichen konnte.“, brachte er heraus.
„Als ich seinen toten Körper und das viele Blut sah, floh ich voller Schuldgefühle, Panik und Angst. Ich wusste damals nicht, wohin ich fuhr. Ich wusste nur, dass ich weg musste. Und so habe ich nicht allzu sehr auf die Straße geachtet. Zum Bremsen war es zu spät oder ich hatte es noch nicht wirklich begriffen, was in diesem Moment geschehen ist.“

Ich hörte diese Worte zwar, doch sie drangen aus weiter Ferne zu mir durch. Meine Augen fixierten ihn weiterhin und ein Tränenschleier verwischte meine Sicht. Ich sah ihn und doch wieder nicht. Im nächsten Moment spürte ich kalte Arme um meinen Körper, die mich festhielten. Mein Kopf lag an etwas. Vermutlich Edwards Brust.

„Ich werde dir zwar nie verzeihen können, was du getan hast. Aber meine Familie besitzt sehr viel Geld, womit du dich von ihnen freikaufen könntest. Jedoch musst du schwören, dass du nie wieder töten wirst und wir uns nach dieser Sache nie mehr wieder sehen. Denn sonst ist dein Leben wirklich beendet.“, hörte ich Edwards Stimme drohend sagen.

Nach ein paar Sekunden hörte ich ein schwaches „Ja“ und er stand auf.

Ein umwerfendes Weihnachtsgeschenk




Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




„Hey, die Plätzchen sind fertig.“, hörte ich Andy sagen.

Er nahm die Hände aus dem Spülwasser, ließ noch einmal sauberes Wasser über sie laufen, trocknete sie sich ab und ging mit Topflappen zum Ofen, um das fertige Blech mit den Plätzchen herauszuholen. Erstaunlicherweise waren sie von goldbrauner Farbe. Ich hätte eher gedacht, dass er sie schwarz werden ließ, da er uns alle ziemlich verrückt machen konnte und es ihm sehr schwer fiel, gleichzeitig das Geschirr abzuwaschen, den neuen Teig vorzubereiten und zu bearbeiten und auf die Plätzchen im Ofen zu achten. Doch natürlich halfen wir alle so gut es ging mit, um eine Enttäuschung zu verhindern. Alle, außer Phil, der sich davor drückte, indem er vorgab, er müsse einem Freund helfen.

Sogar Elizabeth und ich taten unser Bestes, beim Zufügen der Zutaten und beim Kneten des Teiges. Entweder hielten wir uns an das Rezept oder fragten die Zwillinge, wenn wir uns doch etwas unsicher waren. Wir Vampire hielten nichts vom menschlichen Essen jeglicher Art. Wir steckten nicht die Finger in die Schüssel und leckten ihn dann ab, um den Teig zu schmecken. Menschliches Essen schmeckte einfach grauenhaft! Außerdem verstand ich diese ganze Prozedur nicht. Was hatte es für einen Sinn haufenweise Plätzchen zu backen, nur weil die Weihnachtszeit bevor stand? Der Sinn erschloss sich mir einfach nicht. Für den geschmückten Baum und die Geschenke hatte ich Verständnis. Dafür jedoch nicht. Zumal wir Vampire eh keine dieser Plätzchen freiwillig essen würden. Ich fragte mich, ob ich als Mensch anders dazu gestanden hatte. Doch leider waren die Erinnerungen so sehr verblasst, dass sich nichts greifen ließ. Ich stand am Tisch, die Hände, von dünnen hautfarbenen Handschuhen überzogen und knetete doch tatsächlich Teig – es sollten sogenannte Vanillekipfel werden – und achtete darauf nicht zu stark zu drücken, um den Tisch nicht zu zerstören und schaute nach rechts zum Baum.

Neben mir stand meine Schwester, die ebenfalls Handschuhe trug, um keine Sonnencreme verwenden zu müssen, und versuchte verzweifelt mit einem Nudelholz diesen eklig klebenden und riechenden Teig auf die annehmbare Dicke platt zu walzen, damit man mit Formen Plätzchen ausstechen konnte. Doch leider gelang ihr das nicht sehr gut, da diese Masse immer am Nudelholz anstatt auf dem Tisch haften blieb. Sie fluchte leise vor sich hin und machte einen so verbissenen Gesichtsausdruck, dass man wirklich Angst um das Haus haben konnte.

°Oh, das kann doch nicht wahr sein! Ich verlier gleich die Beherrschung. Warum klappt das nicht?°, dachte sie wütend und verzweifelte jede Sekunde mehr.

Meine Mundwinkel hoben sich etwas. Vampire waren Wesen, die alles ohne Probleme perfekt bewältigen konnten, ohne je lange Zeit dafür zu beanspruchen. Das lag vermutlich auch unter anderem daran, weil unser Gehirn mehr in sehr kurzer Zeit verarbeiten konnte. Dass es nun eine Sache gab, die nicht wie gewöhnlich perfekt ablief, gefiel Elizabeth – und mir – ebenso wenig. Aber diese Erfahrung hatte ich auch schon machen müssen.


Im Mai nach dem Abschlussball, zudem ich Bella regelrecht hin schleifen musste, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, Kochen zu lernen. Nicht für mich, sondern für Bella. Ich wollte ihr auch etwas Ordentliches zum Essen anbieten können, wenn ihr Magen knurrte. Dies wollte ich unbedingt ändern, da sich meine Kochkünste auf eine Schüssel Cornflakes und Toastbrot beschränkte. Da ich nicht in der Lage war, menschliches Essen zu riechen oder zu schmecken, erwies sich das Kochen als eine wirklich harte Herausforderung.

Ich schaute mir allerhand Kochsendungen an, lauschte jedem Wort der Köche und analysierte jede ihrer Bewegungen. Wenn ich dann mal selbst mein Glück versuchte – natürlich nachts oder an sonnigen Tagen, wenn Bella nicht bei mir war – dann war ich nicht einmal in der Lage, Zucker und Salz voneinander zu unterscheiden. Diese zwei Zutaten sahen sich so ähnlich und waren doch so verschieden. Ein Geschmackstest war unnötig, da alles menschliche Essen für mich gleich „schmeckte“. Meine ersten Versuche etwas zu kochen, waren katastrophal. Töpfe und Pfannen brannten an, oder ich schlug beim Rühren ein Loch in den Topfboden. Ja, viele Utensilien wurden entsorgt und ich musste wirklich schon eine kleine Menge Geld verwenden, um Neues für meine Kochversuche zu kaufen. Wenn ich es dann doch endlich mal geschafft hatte, etwas zu produzieren, das nach was zu essen aussah, musste Charlie als Koster herhalten, natürlich ohne das Bella etwas davon mitbekam.

Im August wagte ich es endlich. Charlie war bei der Arbeit und ich hatte bereits den Tisch gedeckt und eine Kerze angezündet, als Bella schließlich die Tür öffnete. Ich begrüßte sie strahlend und sie erwiderte meinen zärtlichen Kuss etwas zu leidenschaftlich, so wie sie es immer tat. Lächelnd nahm ich ihre Arme von meinem Hals.

„Ich habe eine Überraschung für dich.“, sagte ich lächelnd, während ich ihr aus der Jacke half und sie an den Hacken hing.

Ihr Blick würde sofort argwöhnisch. Sie möchte keine Überraschungen. Vor allem, wenn sie nicht wusste, um was für eine es sich handelte.

„Was denn für eine?“

Ich nahm ihre Hand und zog sie mit mir in die Küche. Ihre Augen wurden groß vor Erstaunen, als die den gedeckten Tisch sah. Einen beladenen Teller, daneben liegendes Besteck, ein Glase Orangensaft und eine brennende Kerze.

Nach ein paar Sekunden Stille, brachte sie panisch heraus: „Bitte sag mir nicht, dass du das gekocht hast!“

Sie sah mich geschockt an. Mein Lächeln verschwand etwas. Ich verstand sie nicht, hoffte, sie nicht verärgert zu haben. Wollte sie nicht, dass ich für sie kochte? Warum nicht? Ich wollte ihr doch nur eine Freude machen. Wollte ihr mit dieser Geste zeigen, dass ich keine ihrer menschlichen Bedürfnisse vergaß und wie viel sie mir bedeutete. Ich nickte und wartete gespannt auf ihre Reaktion.

„Oh nein!“, seufzte sie.
„Ich dachte, dass es wenigstens eine Sache gibt, die ich besser kann als du!“

Ich musste ein Lachen unterdrücken. Ich hatte mich wieder in Bella getäuscht, wie so oft. Warum konnte ich sie nicht einfach hören?

„Warte doch erst mal ab und koste davon.“, schlug ich ihr vor und lächelte mein schiefes Lächeln, bei dem Bella sofort schwach würde.

Sie seufzte.
„Gut.“, murmelte sie äußerst widerwillig und ließ sich von mir zum Tisch ziehen und sanft auf dem Stuhl drücken.

So wie sie sich benahm, hätte man denken können, sie solle zur Schlachtbank geführt werden. Zu meiner Überraschung nahm sie ohne dass ich noch etwas sagen musste die Gabel in die Hand, füllte sich etwas auf und schob sie in ihren Mund. Sie zog die leere Gabel hinaus kaute und schluckte. Während sie das tat, beobachtete ich aufmerksam ihr Gesicht. Es war nicht einfach darin zu lesen. Ihr Gesichtsausdruck blieb neutral. Es verzerrte sich nicht, angesichts des vielleicht schlechten Geschmacks. Auch leuchteten ihre Augen nicht und auch ihre Mundwinkel bogen sich etwas nach oben, als Zeichen dafür, dass es ihr tatsächlich schmeckte.

„Und?“, fragte ich hoffnungsvoll, nachdem sie den ersten Bissen herunter geschluckt hatte.

Ihre Augen verengten sich etwas und ihre Mundwinkel bogen sich nach unten. Oh nein. Es schmeckt ihr nicht. Hatte ich wieder Zucker mit Salz verwechselt? Oder doch zu viel Pfeffer reingetan? Ich schämte mich für meine Schwäche. Es war einfach eine Zumutung, Bella mein Essen vorzusetzen, ohne dass Charlie es vorher probiert hatte. Und dabei hatte ich wirklich geglaubt, ich hätte jetzt genug Erfahrungen gesammelt. Ich stählte mich für Bellas kleinen Ausbruch. Doch er kam nicht. Sie stöhnte und sah dabei so unglücklich aus, dass mich die Sorge wieder umklammerte. Was hatte sie nur?

„Schmeckt es dir etwa nicht?“, wagte ich zu fragen.

„Doch. Das ist ja das Problem.“, sagte sie leicht genervt.

Ich hob verwirrt eine Augenbraue. Wenn es ihr schmeckte, warum machte sie dann so ein Gesicht? Bella war wirklich fernab jeder Normalität? Würde ich jemals hinter das Geheimnis ihrer Gedanken kommen? Oder würde sie für mich immer ein Rätsel bleiben?

„Es schmeck natürlich wunderbar. Jetzt bist du in Allem besser als ich.“

Ich lachte.
„Es gibt eine Sache, die du besser kannst als ich.“, widersprach ich zärtlich.

„Und welche soll das sein?“

In ihren Augen blitzte die Neugier und wartete gespannt auf meine Antwort.

„Du kannst so schön erröten, wie keine andere.“

Bella blinzelte und wirkte verlegen.
„Das ist eine unwillkürliche Reaktion meines Körpers. Dafür kann ich nichts.“, nuschelte sie und versuchte verärgert zu klingen.

Schon strömte das Blut in ihre Wangen und sie färbten sie rosa. Ich lachte wieder.


Ich blinzelte und landete wieder in der Gegenwart, mein Blick immer noch am Baum haftend.

Einen richtigen Baum zu bekommen erwies sich in Florida als ziemlich schwierig. Darum mussten sich die Menschen in diesem Haushalt mit einem künstlichen zufrieden geben, der in etwas Andys Größe hatte. Er wurde vor einer halben Stunde von Phil in die Küche gestellt, bevor er sich verabschiedet hatte, um der Plätzchenarbeit zu entkommen. Renee lachte.

°Diese junge Frau benimmt sich ja so, als hätte sie noch nie in ihrem Leben mit einem Nudelholz gearbeitet. So wie es aussieht, wird wohl Andy später die häusliche Rolle übernehmen. Aber vielleicht kann ich ja noch etwas retten.°

„Du musst den Teig mit Zucker bestreuen, wenn der Teig am Holz kleben bleibt.“, riet sie Elizabeth schmunzelnd.

Sie tat wie ihr geheißen und es klappte tatsächlich besser und der Teig ließ sich bis zur gewünschten Dicke ausrollen. Andy hatte das Blech zum Abkühlen auf ein Brett gestellt und schon längst die Hände wieder im Wasser, um das Geschirr weiter abzuwaschen. Meine Bella war dabei den Baum zu schmücken, darum war ich so darauf fixiert. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie die Lichterkette um den Baum auf die Zweige legte und schließlich den Stecker in die Steckdose steckte. Schon leuchtete der Baum.

Nun waren die Kugeln dran. Sie waren in Kartons verpackt, die um Bella herum standen. Nacheinander nahm sie jeweils eine sorgfältig verpackte Kugel heraus und hing sie an den Baum. Die Kugeln waren in unterschiedlichen Rottönen, manche sogar noch golden verziert. Hier hing sie mal eine kleine, dort eine größere Kugel an. Nach und nach wurde der Baum mit mehr und mehr Kugeln geschmückt, die alle gut verteilt hingen, damit der Baum nicht überladen wirkte. Fasziniert sah ich Bella dabei zu und musste sagen, dass sie dafür ein außerordentliches Talent besaß.

Natürlich vergaß ich den Teig nicht und knetete nebenbei weiter. Dann riss ich Stückchen von der großen ekligen klebrigen Masse ab, formte sie erst zu kleinen Kugeln, dann zu einem „U“ mit einer breiteren Öffnung. Sie würden haar genauso aussehen, wie die fertigen Plätzchen auf dem Foto im Backbuch. Dann bemerkte ich, wie sich Bellas Miene veränderte. Ihr kleines Lächeln verschwand, während sie nun kleine Anhänger an noch leeren Stellen anhängte. Es waren kleine Figuren und Strohsterne.

Ihr Blick wurde leer und sie schaute weiterhin zum Baum, doch ich bezweifelte, dass sie ihn wirklich sah. Das Schmücken, so schien es mir, geschah fast automatisch. Bella schien ganz weit weg zu sein und war mit etwas ganz anderem als dem Baum beschäftigt. Was bedrückte sie nur? Was bereitete ihr Sorgen? Wieder einmal hätte ich vor Frustration schreien können, weil mir ihre Gedanken verborgen blieben. Moment! Es gab jemanden, der sie hören konnte. Etwas wiederwillig wendete ich meinen Blick von ihr ab und sah zu ihrem Bruder hinüber. Doch der stand mit dem Rücken zu mir und war immer noch mit dem Abwasch beschäftigt.

Elizabeth schien ganz und gar mit dem Teig beschäftigt zu sein, der ihr immer noch etwas Schwierigkeiten bereitete. Bella schmückte noch ein paar Minuten, bis sie ganz aufhörte. Sie schien fertig zu sein, doch ihr Blick hatte sich nicht geändert. Ich hatte währenddessen die ganze Masse zu diesen vielen Formen verarbeitet. Wenn Renee mal nicht hinsah, tat ich das in Vampirgeschwindigkeit. Eigentlich war das sehr dumm von mir, da sich Renee schon über die vielen fertig geformten Plätzchen wunderte, die ich in der kurzen Zeit schon gemacht hatte. Doch glücklicherweise machte sie sich nicht mehr Gedanken darüber. Sie dachte, ich sei einfach sehr geschickt mit den Händen. Wenn sie wüsste, wie recht sie hatte. Der Grund, warum ich das tat war, dass ich schnell zu Bella wollte, um zu fragen, was sie auf dem Herzen hatte. Sie starrte den Baum an und fuhr mit den Fingern über eine kleine Engelsfigur. Ich war fertig, ging zu Andy hinüber an die Spüle und wusch mir die Hände – oder die Handschuhe. Ich trat hinter Bella und legte meine Arme um sie. Erschrocken von der unerwarteten Berührung zuckte sie zusammen.

Ich verstärkte meinen Griff, während ich ihr: „Was hast du, Liebste?“, besorgt ins Ohr flüsterte.

Sie legte ihre Hände auf meine und malte mit ihren Daumen Kreise auf meine Handrücken. Warme Wellen drangen durch meine eiskalte Haut bis in mein Innerstes. Wie ich jede einzelne Berührung von ihr genoss und wenn sie noch so klein war. Ich musste mich zusammen reißen, sie nicht zu mir zu drehen und meine Lippen auf ihre zu drücken.

„Ich war nur in Gedanken.“

Ich lachte ihr leise ins Ohr. So eine Antwort war typisch für Bella. Und das machte mich manchmal wirklich wahnsinnig.

„Das habe ich gemerkt.“
Ich versuchte ruhig zu klingen. Sie sollte nicht die Sorge aus meiner Stimme hören.
„Woran denkst du?“

Sie lachte leise kurz auf, verstummte dann aber sofort wieder.
„Ich habe nur daran gedacht, was alles passiert ist, seit wir hier sind. Und an Logan und seine Schwester.“, sagte sie gedankenverloren.

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, rasten meine Gedanken erneut zurück in die Vergangenheit.


Während wir vier Logan Marks – so hieß der, der Bella überfahren hatte – aus dem Hotel begleitet hatten, sagte er immer, wie leid ihm das alles tue und er es nicht gewollt habe. Das Messer hatte Elizabeth an sich genommen. Wir begleiteten ihn zu seinem Wagen und ich versprach nochmals Logan Geld zukommen zu lassen. Eigentlich hätte man ihn töten oder wenigstens der Polizei übergeben sollen. Doch er war der einzige, der für seine Schwester Olivia sorgen konnte, der sie am besten kannte. Wenn er ins Gefängnis kommen würde, dann käme sie in eine Einrichtung und somit in die Hände von Fremden. Und laut Logan konnte sie nur sehr schwer vertrauen zu einem entwickeln. Irgendwo empfand ich Mitgefühl für diesen Mann. Er liebte seine Schwester und war bereit, alles für sie zu tun. Er war nicht nur Täter, er war auch ein Opfer.

Nachdem er in sein Auto gestiegen war, nahm er mir das Versprechen nochmal ab, keine Morde mehr zu begehen und gefährliche Organisationen zu meiden. In seinen Gedanken sah ich, dass er zu seiner Schwester fahren wollte, ebenso sah ich die Gesichter, die der Mafia angehörten. Mir kam die Idee, dass ich wenigstens diese widerwärtigen Monster von Menschen nachts ausschalten konnte. Als mein Plan in meinem Kopf Form annahm, grinste ich teuflisch. Ja, mir gefiel diese Vorstellung wirklich gut. Sie würden allesamt ihr Leben lassen, dafür dass sie Logan und wer weiß wie viele Personen noch so übel mitgespielt hatten.

Ich konnte sie entweder jeden einzelnen kurz und schmerzlos in ihren Wohnungen töten. Jedem schnell und einfach das Genick brechen beziehungsweise sie aussaugen und das war’s. Ihr Blut zu trinken wäre allerdings keine Option, da ich Carlisle nicht enttäuschen wollte und meine Augen sofort wieder eine rötliche Färbung aufweisen würden, womit ich dann aufgefallen wäre. Oder aber ich könnte jeden dieser Mitglieder zu einem weit entfernten Ort fernab von Menschen verschleppen und sie dort zu Tode quälen. Ihnen jeden einzelnen Knochen brechen, bis zu vor Schmerzen aufschrien und mich um Gnade anflehen, ich jedoch nicht auf ihre Bitte eingehen würde. Und ich würde es genießen. Ja, das würde ich!

Erschrocken über mich selbst verdrängte ich jeden mordlustigen Gedanken aus meinem Kopf. Wie konnte ich nur so etwas denken? Ich wollte kein Monster sein! Ich wollte ein Beschützer sein, kein Mörder. Doch manchmal könnten diese Grenzen verwischen…

Als wir wieder in Jacksonville in Bellas Zimmer waren, halfen wir den Zwillingen jeweils von unseren Rücken hinunter. Da tauchte die kleine 6-jährige Bella wieder auf und lächelte ein glückliches Kinderlächeln.

°Was? Warum schauen die denn alle zum Schrank hin? Ach so, sie sehen wieder einen Geist.°, dachte Elizabeth und ärgerte sich zunehmend darüber, dass sie die einzige war, die den Geist Bellas nicht sehen konnte.

„Ich wollte euch danken.“, sagte sie.
„Vor allem dir.“

Die kleine Bella sah mir nun direkt in die Augen. Selbst diese braunen Augen durchbohrten mich, schienen meinen toten Körper wieder zum Leben zu erwecken. Ich versuchte den Schmerz, der sich in mir aufbäumte, zu unterdrücken. Es war einfach nicht gerecht, dass sie ihr Leben schon so früh lassen musste. Doch wie hatte Bella einst zu mir gesagt?

„Seit wann ist das Leben denn gerecht?“

„Gern geschehen.“, antwortete ich der kleinen und schenkte ihr mein schiefes Lächeln.

Ihr Lächeln wurde breiter. Ich hatte den Eindruck, dass diese Bella ebenfalls meinem Lächeln nicht widerstehen konnte. Sie ging langsam auf mich, während ich in die Hocke ging, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein. Als sie nun direkt vor mir stand, sah sie mir einige Sekunden eindringlich in die Augen. Ihr Lächeln war verschwunden. Auch ich betrachtete sie fasziniert. Wäre ich in ihrem Alter, wäre ich ihr garantiert verfallen, auch wenn die Liebe zwischen Kindern eine andere ist, als eine Liebe zwischen Mann und Frau.

Dann hob sie ihren kleinen rechten Arm und berührte mit ihrer Kinderhand meine Wange, streichelte sie. Ich schloss kurz die Augen und genoss das Gefühl. Es fühlte sich eigenartig an, von einem Geist berührt zu werden. Ich wusste, dass ich die Berührung an meiner Wange spürte, doch andererseits konnte ich mir nicht sicher sein.

Diese Berührung war zarter, als die einer Feder. Noch zarter, als die sanfte Berührung eines Vampirs. So hauchzart, dass man denken konnte, überhaupt nicht berührt zu werden. Auch strahlte ihre Hand weder Wärme, noch Kälte aus. Sie schien neutral zu sein. Nein, nicht ganz. Sie schien die gleiche Temperatur zu besitzen, wie die des Raumes, indem wir uns befanden. Ich hatte das Gefühl, dass die Luft meine Haut streichelte. Es war wirklich nicht einfach zu beschreiben. Es fühlte sich zwar fremd, aber auch gut und richtig an.

Als ich genug über diesen Hautkontakt gegrübelt hatte, öffnete ich meine Augen und mein schönes Gefühl schwand augenblicklich. Ich sah, wie ihr stumm eine Träne über die linke Wange lief. Sie nahm ihre Hand wieder weg. Ich wollte etwas sagen, wollte sie trösten, aber ich fand keine passenden Worte. Wieder sahen wir uns stumm an. Die anderen drei sagten nichts, sahen uns nur dabei zu, während Elizabeths Gedanken immer verzweifelter und ärgerlicher wurden.

Dann lächelte sie ein kleines Lächeln, doch ihre Augen blieben unglücklich. Sie sollte nicht weinen. Ich wollte meine Hand nach ihr ausstrecken, wollte sie in meine Arme nehmen. Ich wollte ihr versichern, dass alles gut ist. Doch waren das die richtigen Worte für ein kleines totes Mädchen? Ich wollte dem Drang sie zu berühren gerade nachgeben, als ich jedoch inne hielt und keinen Muskel bewegte. Bella war tot. Auch wenn ich das auch in einer Hinsicht war, so war ich dennoch am Leben. Sie nicht. Und Lebende – selbst wenn es sich um Vampire handelte – konnten keine Geister berühren. Das war nicht möglich. Selbst wenn ich es versuchen würde, würde sie dadurch vielleicht nicht noch trauriger werden? Meine Hand konnte keinen festen Körper greifen. Sie würde blind ins Leere tasten. Nichts Greifbares. Nichts Reales. Nichts Lebendes. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.

„Ich hätte dich gerne kennen gelernt.“, sagte mit solchem Bedauern in der Stimme, dass ich hätte laut aufschreien können.

Wie sehr wünschte ich mir, dass ich jetzt weinen könnte? Ich wollte meinen Schmerz – nein, musste – meinen Schmerz nach außen dringen lassen. Doch auf diese Art, würde ich das nicht können. Nicht mehr.

Ich wollte etwas wie: „Ich dich auch, meine kleine liebste Bella.“, erwidern, doch ich brachte keinen Laut heraus.

Es fühlte sich an, als sei meine Kehle zugeschnürt. Ich war wie erstarrt und konnte sie nur wehmütig betrachten. Dann, obwohl sie sich langsam zu mir vorbeugte, war ich nicht fähig, in irgendeiner Weise zu reagieren. Ich sah nur sie und doch sah ich nichts, als sie ihre Lippen auf meine legte.

In diesem Augenblick spürte ich so viel und doch so wenig. Die Zeit schien still zu stehen. Ich konnte auf gar nichts mehr achten. Keine anderen Gedanken nahm ich mehr wahr. Weder die von Elizabeth, noch von anderen schlafenden Personen in der Nähe. Das Gefühl, das ich auf meinen Lippen spürte – zarter als Luft, nicht wirklich real und doch wahrnehmbar – schien meinen Kopf lahm zu legen. Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren. Nur noch auf sie und diesem eigenartigem Gefühl. Meine Lippen bewegten sich nicht. Ihre ebenso wenig. Ich konnte sie nur anstarren. Ihre Augen waren geschlossen, meine waren es nicht.

Obwohl ich kaum etwas spürte, etwas, das weder warm noch kalt zu sein schien, wurde mein Körper von Wärme –und Glücksgefühlen geradezu überflutet. Dieser Kuss ließen Bilder in meinem Kopf entstehen. Bilder aus meinen wunderschönsten Zeiten mit der Bella, die ich kennen lernen durfte. Bella, wie sie reagierte, als ich sie zum ersten Mal ansprach. Bella, wie sie sich mit mir in der Cafeteria unterhielt. Bella, wie sie im Schlaf liebevoll meinen Namen murmelte. Bellas faszinierender Blick auf der Lichtung, als ich ihr mein Wesen offenbarte. Bellas Lippen auf meinen, als ich sie zum ersten Mal küsste. Bella in meinen Armen am Tag des Abschlussballs.

Dann verschwand die Wärme und das Glück aus meinem Körper und Schmerz und Kälte machten sich breit. Die Bilder veränderten sich. Bella, wie sie damals überfahren wurde. Ihr Körper blutbespritzt. Bella schreiend vor Angst, als sie missbraucht wurde. Bella am Boden liegend mit verrenkten Gliedern und vor Schmerzen schreiend. Bellas Arm blutüberströmt am Tag ihres 18. Geburtstages. Bellas schmerzerfüllter Blick, als sie meinen Lügen geglaubt hatte. Bella, mit ausdruckslosem leerem Blick und grauweißem Haar. Diese negativen Gefühle schienen mich zu erdrücken. Sie waren so viel mächtiger als die positiven zuvor. Jedenfalls hatte ich diesen Eindruck.

Irgendwo tief in meinem Inneren regte sich etwas.

Zorn vielleicht? Zorn darüber, dass diese Bella nicht erwachsen werden konnte? Dass sie nie die Chance bekam, ihre Leben zu leben? Dass ich sie nicht als junge Frau kennen lernen konnte? Sie nicht lieben lernen konnte? Ihr nicht mein Herz schenken konnte? Doch wenn ich in ihr Leben hätte treten können, was wäre aus der anderen Bella geworden? Natürlich. Sie wäre lebendig verscharrt worden, wenn sich nicht ihre Fähigkeit automatisch aktiviert hätte. Und wie hätte sich ihr Leben weiter entwickelt, wenn sie nicht an ihrem Geburtstag entführt worden wäre? Wäre sie jemals mit den Cullens in Kontakt gekommen? Wäre sie meinem Ebenbild begegnet? Hätte sie sich in ihm verliebt? Wäre sie daran zerbrochen, weil er ihre Gefühle nicht erwidern würde oder hätte sie zu einem anderem Ja gesagt? Ja zu diesem anderen Jacob, den ich bereits kannte?

Stopp.

Diese Gedanken führten zu nichts.

Man konnte nichts mehr an den Tatsachen ändern. Eine Bella war tot. Die andere überlebte durch eine nicht vorheersehbare Flucht. Nachdem ich mich mit den Fakten abgefunden hatte, verrauchte der Zorn. Dann fühlte ich nichts mehr. Ich fühlte mich leer, taub – tot.

Dann spürte ich Lippen – wenn ich sie denn überhaupt spüren konnte – nicht mehr. Sie wich zurück und öffnete wieder ihre Augen. Dann lächelte sie und verschwand. Ich hörte leises Schluchzen meiner Bella, die neben mir stand.

°Edward, was ist los?°, feuerte Elizabeth diesen einen Gedanken immer und immer wieder auf mich ab.

Ich blinzelte, erhob mich, schloss die Arme um meine reale Bella, legte das Kinn auf ihren Kopf und seufzte. Ich sagte nichts, sondern streichelte nur tröstend ihren Rücken, während sie sich langsam wieder beruhigte.

„Tja, da hat jetzt jeder Edward die Lippen der Bella zu spüren bekommen, die aus jeweils ihrer Welt stammte.“, sagte Andy trocken, während er die Arme um Elizabeth legte und versuchte, sein Schluchzen unter Kontrolle zu bekommen.


„Edward?“, hörte ich Bellas Stimme von der Ferne zu mir durchdringen.

Ich blinzelte und sah in ihr besorgtes Gesicht. Sie hatte sich umgedreht und ihre Arme um meinen Körper gelegt, während meine Arme schlaff neben meinem Körper hangen.

„Ich war nur in Gedanken, Liebste.“, antwortete ich lächelnd.

Sie öffnete den Mund und wollte etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders. Dann fragte sie mich nun ebenso lächelnd: „Warst du gerade in Gedanken?“

Ich nickte.

„Das habe ich gemerkt.“


Drei Stunden später als alle Plätzchen fertig gebacken und in verschiedenen Behältern aufbewahrt wurden – sie enthielten Vanillekipfel, Zimtsterne, Pistazienmakronen, Schokotaler und Heidesand – und die ganze Küche wieder völlig sauber und ordentlich war, nahm Andy seine Schwester bei der Hand und ging mit ihr die Treppe nach oben. Elizabeth und ich wollten den beiden folgen, doch Andy drehte sich um und hob warnend seinen Zeigefinger.

„Nein. Ihr bleibt hier. Wir müssen was alleine klären.“

Verdutzt und doch vielleicht etwas beleidigt blieben wir unten an der Treppe stehen uns starrten den beiden hinterher.

„Was sollte das denn?“, fragte meine Schwester mürrisch.

„Ich habe keine Ahnung.“

Warum konnte ich sie nicht einfach hören?! Wir gingen zurück und setzten sich an den Küchentisch.

„Ich muss ebenso noch etwas erledigen.“, verabschiedete sich Renee flüchtig und verzog sich in ihr Schlafzimmer.

Ich sah in ihren Gedanken, dass sie noch die Weihnachtsgeschenke für morgen früh fertig verpacken musste. Was das für Geschenke waren, konnte ich allerdings nicht sehen. Waren Andy und Bella darum nach oben gegangen, um Geschenke für uns zwei zu vollenden? Wie ich die beiden kannte, zerbrachen sie sich den Kopf, als ob ihr Leben davon abhinge. Dabei hatten unsere Familien so viel Geld, dass wir uns alles erdenkliche kaufen können. Wir haben alles was wir brauchen. Geld und Materielle Sachen bedeuteten uns nichts. Zeit war so viel kostbarer, als unendlicher Reichtum.

Und das war das Problem.

Bella und Andy konnten sich nur schwer damit abfinden, sich von uns beiden beschenken zu lassen, obwohl wir nichts als Gegenleistung erwarteten. Nur das Leben der beiden und die Zeit mit ihnen war das einzige, was wir wirklich brauchten. Die Zwillinge waren in Bellas Zimmer, jedoch hörten wir nicht ihre Stimme. Unterhielten sie sich etwa per Telepathie? Das war doch nun wirklich albern! Die Geschwister waren wieder unter sich und schlossen mich aus. Wie ich das hasste!

„Sag mal Edward. Was schenkst du eigentlich Bella?“, fragte meine Schwester leise und forderte durch ihre Frage meine ganze Aufmerksamkeit.

Ich grinste nur. „Das wird nicht verraten.“

„Du kannst ja so gemein sein!“, erwiderte sie gespielt verärgert und stieß mir lächelnd in die Rippen.

°Nicht mal seine Gefühle geben einen kleinen Hinweis darauf. Aber wie sollen mir seine Gefühle einen Tipp für Bellas Geschenk geben?°

„Und was schenkst du Andy?“

„Andrew…“, betonte sie mit ernster Miene, „…bekommt Karten für ein Baseballspiel geschenkt. Meinst du, dass er sich darüber freuen wird?“

„Gewiss.“, versicherte ich ihr lächelnd.

Oben im Zimmer hörte ich etwas, während Renee die einzelnen Geschenke verpackte. Sie hatte sogar etwas für Elizabeth und mich gekauft. Ein neuer Baseballschläger für Phil, eine zusammengeflickte Decke aus verschiedenen T-Shirts für Bella, die von ihren Reisen stammten, ein Rasierset für Andy und Parfüm jeweils für Elizabeth und mich. Ich musste schmunzeln, als sie auch noch beschloss uns jeweils Sonnencreme zu schenken.

Oben in Bellas Zimmer hörte ich das Kratzen von Stiften auf Papier. Ah, Bilder sollten wahrscheinlich unsere Geschenke sein. Aber egal was es auch war, wir würden uns über jedes Geschenk von ihnen freuen, und wenn es noch so einfach war.

„Kannst du es mir nicht sagen? Ich bin schließlich deine Schwester.“, quengelte sie.

Sie benahm sie ja schon fast wie Alice.

Ich kicherte nur und sagte: „Also genau genommen bist du es ja nicht.“

Sie lachte und trat mir gegen das Bein.

„Ich werde nicht nachgeben.“, warnte ich sie.

Ich hing meinen Gedanken nach.


Es war nicht einfach, etwas für Bella zu besorgen. Ich hätte ihr alles gegeben. Doch leider weigerte sie sich meine Geschenke anzunehmen, da sie nicht wollte, dass man für sie Geld ausgab. Ganz besonders ich durfte dies nicht. Damals hatte ich ihre Haltung dem Geld gegenüber nicht nachvollziehen können. Heute war mir dies möglich. Ein wenig zumindest.

Ich war also vor Tagen in die Stadt gegangen und erledigte in einer Bank den Dauerauftrag für Logans Schwester. Monatlich würde er eine Gutschrift von 50.000 Dollar bekommen. Für andere mag das viel Geld sein. Für die Cullens war das nur ein kleiner Teil.

Plötzlich hatte ich den rettenden Einfall. Ich konnte ihr das Wertvollste schenken, was ich ihr anbieten konnte. Und es kostete nicht einen Cent. Ich rief sofort mit meinem Handy meine Esme und meinen blonden Carlisle an, die froh waren, wieder etwas von uns zu hören. Wir waren schließlich schon einige Zeit in der anderen Welt gewesen und konnten daher nur telefonisch miteinander in Kontakt bleiben. Beide vermissten uns alle schrecklich – auch die Zwillinge – und machten sich große Sorgen um uns. Besonders wieder, nachdem ich ihnen erzählt hatte, was seit unserer Ankunft hier in dieser Welt alles geschehen war. Esme war fast hysterisch und erkundigte sich vor allem nach Bella.

Nachdem ich beide besänftigen konnte und Carlisle mehr als neugierig geklungen hatte über die Entdeckung mit der Sonnencreme, bat ich Esme, Bellas Weihnachtsgeschenk nach Jacksonville zu schicken. Vorgestern war das Päckchen ohne das Wissen der Zwillinge und Renee angekommen. Ich hoffe, dass Bella mein Geschenk annehmen würde.


Später am Abend, als Bella und Andy wieder die Treppe hinunter kamen und sich von uns umarmen ließen – sie waren über 3 Stunden alleine oben – kam auch Phil wieder zurück und lobte uns für die vielen Plätzchen und den schön geschmückten Baum. Es war Zeit für das Abendessen, doch keiner der Menschen schien den Drang zu verspüren etwas zu sich zu nehmen. Sie waren von der Arbeit noch etwas geschafft und von dem Kosten der Plätzchenteige noch satt. Phil sagte, er habe bei seinem Freund gegessen, was stimmte. Jedoch hatte er auch die Zeit genutzt, um Geschenke für Bella und Andy zu besorgen. Eine schlichte silberne Halskette – auf dem Rat der Frau seines Freundes – und eine Basecap von Andys Lieblingsbaseballmannschaft. Was anderes ist ihm nicht eingefallen. Für uns Vampire hatte er keine Geschenke, was mich nicht störte. Was hätte er uns auch schenken sollen? Blutkonserven aus dem Krankenhaus? Ich grinste in mich hinein, als ich mir das vorstellte.

Wir sechs verbrachten noch einige Zeit gutgelaunt im Wohnzimmer, dann legten wir uns alle früher schlafen als sonst. Diese ganze Bäckerei war wohl doch etwas anstrengend gewesen. Selbst ich verspürte das Gefühl der Müdigkeit. Ich war sogar so müde, dass ich es nicht mehr schaffte, zu Bella ins Zimmer zu gehen und mich neben sie zu legen, nachdem wir uns alle bettfertig gemacht hatten. Ich fiel sozusagen tot ins Bett.


Schnee bedeckte die dunkel wirkende Stadt. Es war Nacht. Nicht einmal Straßenlaternen beleuchteten die dunkle Straße. Niemand war dort. Doch. Jemand lief den Bürgersteig entlang. Eingehüllt in einem dicken Mantel, mit Mütze und Schal. Doch etwas war eigenartig. Ich wusste nur nicht, was es war. Der junge Mann, der einsam durch den Schnee stapfte – er war nicht tief – drehte sich um, als hätte er was gehört. Irgendetwas stimmte nicht. Der junge Mann mit blauen Augen und geröteten Wangen beschleunigte seine Schritte, lief schneller. Immer schneller. Es war, als hätte er vor irgendetwas Angst. Aber dort war niemand außer ihm.

Er war allein.

Oder doch nicht?

Im nächsten Moment sah ich einen Schatten auf ihn zurasen. Er packte blitzschnell seine Hand und biss hinein. Der Schatten ließ die Hand des jungen Mannes los und verschwand wieder. Eine blutige Bisswunde war zu erkennen. Sofort nachdem der Schatten verschwunden war, brach der junge Mann auf dem Boden zusammen, schrie und krümmte sich vor Schmerzen. Er schrie und schrie, doch niemand kam ihm zu Hilfe.

Jetzt wusste ich, was hier nicht stimmte. Ich hatte einen Vampir gesehen, der einen Menschen gebissen hatte, sein Aussehen blieb mir leider verborgen. Doch das war es nicht, was mich verwirrt hatte. Obwohl ich sah – und wusste – dass das Opfer schrie, hörte ich keinen einzigen Ton seinen Mund verlassen. Er war zwar weit geöffnet, aber ich konnte nichts hören. Weder seine Schreie, noch seine Schritte im Schnee konnte ich nicht hören. Nichts konnte ich vernehmen. Keinen Ton von irgendetwas oder irgendjemandem.


Ich erwachte, schlug die Augen auf und richtete mich auf. Es war hell im Zimmer und die Uhr zeigte 08.48 Uhr.

Heute war der 25. Dezember und bald würde es Zeit für die Bescherung sein.

Ich sah zu Andy, der immer noch seelenruhig schlief. Ihn plagten wohl keine Alpträume. Was sollte dieser Traum? Warum verwandelte ein Vampir irgendeinen Menschen auf der Straße? Warum ließ er die Verwandlung zu? Warum ernährte er sich nicht von ihm? War das die Vergangenheit? Die Gegenwart? Die Zukunft? Und was mich am Meisten beschäftigte: Warum konnte ich keinen einzigen Ton hören? Es war, als hätte ich von einem Stumm-Film geträumt, nur in Farbe.

Merkwürdig. Wirklich merkwürdig.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte diesen rätselhaften erst einmal zu verdrängen, damit ich mich auf die Bescherung konzentrieren konnte. Ich beschloss solange im Bett liegen zu bleiben, bis Renee uns alle rufen beziehungsweise aufwecken würde. Naja, zwei von uns würde sie nur aufwecken müssen. Eigentlich wäre ich jetzt hinüber zu Bella gegangen, aber ich war einfach zu beschäftigt mit dem, was bald kommen sollte…

42 Minuten und 12 Sekunden später hörte ich auch schon Renees Stimme, die uns aufforderte, fertig gekleidet nach unten in die Küche zu kommen. Ich rüttelte Andy leicht an den Schultern.

„Hey, aufwachen. Heute gibt es Bescherung.“, sagte ich fröhlich, als würde ich mit einem Kind sprechen.

Er öffnete seine tiefgründigen braunen Augen und sah mich verschlafen an.

„Ich bin doch kein Kind mehr.“, brummte er.

„Das heißt ja nicht, dass du dich nicht freuen kannst.“, erwiderte ich.

Dann grinste er und in seinen Augen blitzte es, was mich meinerseits sofort misstrauisch machte.

„Dann sag mir doch, in welchem Päckchen du die Unsterblichkeit verpackt hast.“

Ich sah ihn finster mit zusammen gekniffenen Augen an. Konnte er denn nur daran denken? Das Leben ist ein Geschenk und ein Segen, das man nicht so leichtfertig weg werfen sollte. Anscheinend hatte mein Bruder mit genau so einer Reaktion gerechnet, denn er streckte mir frech die Zunge heraus. Meine Miene hellte sich etwas auf.

„Du kannst ja doch etwas kindisch sein.“

Seine Miene veränderte sich wieder schlagartig und nun schaute Andy so finster und ernst drein, dass man denken konnte, er sei der Tod höchst persönlich.

„Nein. Bin ich nicht.“, widersprach er trotzig mit seiner düstersten Stimmlage, die er aufbringen konnte.

Dann lachte ich über diese Starrsinnigkeit. Andy stimmte in mein Lachen ein. Nachdem wir alle unten in der Küche waren und unser Frühstück aufgegessen hatten – wir Vampire würden es im Bad wieder hervor würgen – klatschte Renee in ihre Hände und ihre braunen Augen strahlten wie die eines kleinen Kindes.

„So. Dann geht’s ans Geschenke auspacken.“, rief sie überschwänglich und schritt zum Baum, unter dem die Geschenke bereits lagen.

Einer nach dem anderen wurde von Renee beschenkt und wir alle freuten uns über diese kleinen Aufmerksamkeiten. Meine Schwester musste ein Lachen unterdrücken, als sie die Sonnencreme sah und bedankte sich dafür. Bella strahlte, als sie die Decke in den Händen hielt und umarmte ihre Mutter ganz fest. Andy bedankte sich auf für sein Geschenk und ich hatte den Verdacht, dass er es bald ausprobieren würde, da er mit seinem Finger seinen Hals hinauf bis zu seiner Wange fuhr. Ich konnte zwar seine Barthaare deutlich sehen, aber für einen Menschen wäre das eher ein etwas stärker gewachsener Drei-Tage-Bart. Phil war ganz begeistert von seinem neuen Schläger und damit schon zur Probe durch die Luft schlagen.

Dann war Phil an der Reihe, schenkte Bella die Halskette, die ich nur zu gern umlegte. Sie schauderte, als meine Finger ihren Nacken berührten und ich lachte leise. Andy freute sich wirklich über sein Basecap und es machte ihm wirklich nichts aus, das er nur so etwas geschenkt bekam. Um sein Weihnachtsgeschenk auch gleich zu nutzen, setzte er sich das Cap auf. Renee bekam von Phil zwei goldene Ohrstecker, die die Form eines Parallelogramms hatten. Er trat auf uns zu uns sagte, dass es ihm wirklich sehr leid tue, dass er nichts für uns habe. Wir antworteten ihm, es sei in Ordnung und er solle es einfach vergessen.

Nun wollte Elizabeth Andy sein Geschenk überreichen, doch plötzlich stieß er einen Laut aus und brachte ein überraschtes „Oh!“ heraus. Er rannte nach oben und kam kurze Zeit später mit zwei sehr flachen Päckchen zurück.

„Hier das ist für euch.“, sagte er stolz und erwartungsvoll.

Er reichte uns jeweils ein Päckchen.

°Meine Güte sind die beiden aber nervös. Und dabei haben sie gar keinen Grund.°, dachte Elizabeth schmunzelnd.

Ich wickelte es aus und riss erstaunt die Augen auf. Ich hielt einen kleinen Bilderrahmen in den Händen, darin ein nur mit Bleistift gezeichnetes Bild. Es wurden verschiedene Stärken verwendet, um manche Linien stark hervorzuheben, andere dezent erscheinen zu lassen. Es zeigte Bella und mich. Ich, wie ich ihre rechte Hand in meiner linken hielt, während meine rechte Hand auf ihrem Rücken und ihre linke auf meinen Rücken lag. Ich trug einen Smoking, sie ein Kleid. Das Bild zeigte uns tanzend, während wir uns lächelnd in die Augen sahen. Obwohl es nur mit Bleistift gezeichnet wurde, wirkte das Bild für mich sehr ausdrucksstark, ja fast lebendig. Ich war einfach überwältigt von diesem Geschenk. Nachdem ich die Überraschung verarbeitet hatte, sah ich meine Liebste lächelnd an.

„Hast du das gezeichnet?“, fragte ich sie.

Ihre Wangen färbten sich rot und Bella nickte.

„Ich wusste ja gar nicht, dass du so ein Talent hast.“, neckte ich sie.

„Also gefällt es dir?“

Sie sah so süß und unschuldig aus.

„Alles was du mir schenkst, gefällt mir.“

Bellas Blut strömte in ihre Wangen und sie senkte verlegen den Kopf. Ich hob mit meiner einen Hand ihr Kinn an, damit sie mich wieder ansah und gab ihr einen dankbaren zärtlichen Kuss.

„Das ist wirklich ein wunderschönes Bild. Du hast wirklich Talent.“, lobte meine Schwester Andy.

In ihren Gedanken sah ich sein Bild vor mir. Dieses war ebenfalls eine Bleistiftzeichnung. Es zeigte Andy und Elizabeth Arm in Arm miteinander verschlugen und sich gegenseitig liebevoll betrachtend. Andy war natürlich ebenso rot angelaufen wie seine Schwester. Komplimente konnten die beiden nicht einfach verkraften.

„Schön, dass es dir gefällt.“, brachte er vor Verlegenheit heraus.

Ich löste Bellas und meine Lippen voneinander und schaute den beiden zu. Andy starrte mit rotem Kopf Elizabeth an, während sie ihm amüsierend und freudig zugleich zulächelte.

„Vielen Dank.“, sagte sie, trat auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Körper und küsste ihn.

Es war ebenso ein zarter wie unserer. Schließlich waren ja Phil und Renee noch mit im Raum. Elizabeth löste sich seufzend aus Andys Armen und von seinen Lippen und legte ihr Geschenk auf einem kleinen Tisch, der neben dem Baum stand. Sie griff nach einem flachen Päckchen und drückte es Andy in die Hand.

„Das ist aber leicht.“, bemerkte er erstaunt mit hochgezogenen Augenbrauen.

Wir alle beobachteten Andy, der nun sein Geschenk auspackte.

Für einen kurzen Augenblick wanderten meine Gedanken zum 13. September zurück. Diese Szene kam mir nur zu gut bekannt vor. Damals hatten wir alle gespannt Bella beim Geschenke auspacken zugesehen, bis das Unglück passierte…

Ich hoffte inständig, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholte. Meine Sorge war unbegründet. Andy schaffte es sein Geschenk blutlos zu entpacken und öffnete die flache Schachtel. Sofort machte er große Augen und sog überraschend die Luft ein.

„Oh mein Gott!“, sagte er fassungslos.

Er holte die zwei Karten heraus und betrachtete sie, als sähe er so etwas zum ersten Mal. Dann sah er Elizabeth mit eigenartiger Miene an.

„Aber das ist doch viel zu viel.“, tadelte er sie sanft.

Elizabeth ging nicht auf seinem Tonfall ein, sondern lächelte und erwiderte im fröhlichem Tonfall: „Freut mich, dass dir dein Geschenk gefällt.“

Sofort änderte sie Andys Miene. Erst schaute er schuldbewusst, dann lächelte er breit und schlang die Arme um sie.

„Danke. Ich freue mich wirklich.“

Sie erwiderte seine Umarmung, lachte und hauchte ihm „Ich weiß.“, ins Ohr.

Dann lösten sie sich voneinander und schauten erwartungsvoll zu mir, ebenso wie Phil und Renee. Bella schaute eher misstrauischen Blick an, der sagte: „Ich hoffe du hast nichts ausgegeben.“

Nun, das hatte ich ja auch nicht. Ich legte Bellas Geschenk ebenfalls auf dem Tisch, wo die anderen lagen – der Baseballschläger lehnte an der Wand, während Renee ihre Ohrstecker natürlich schon trug –, schloss meine Augen und atmete noch einmal tief durch.

Ich blickte Bella unverwandt an, während ich vor ihr niederkniete.

Bellas Augen wurden mit jeder meiner Bewegungen größer vor Überraschung und/oder Entsetzen. Ihr Mund war leicht geöffnet, aber sie sagte nichts. Phil lächelte und legte einen Arm um seine Frau.

°Oh, da geht aber einer ran. Da hat er sich ja den perfekten Tag ausgesucht. Aber so früh schon? Er ist doch noch so jung.°

Renee sah so aus, als würde sie auf und ab hüpfen, wenn Phil sie nicht festhielt.

°Oh, mein Gott! Ist es etwa das was ich denke? Jetzt schon? Meine kleine alte Bella. Ich kann es gar nicht fassen!°
Renees Stimme klang traurig, platzte aber vor Vorfreude.

Man hatte den Eindruck, sie wäre diejenige, vor der ich knien würde.

Andy wollte vor Überraschung einen Schrei ausstoßen, doch Elizabeth tritt ihm auf dem Fuß. Er verzog kurz das Gesicht, brachte aber keinen Ton heraus. Vielleicht war er zu überrascht oder aufgeregt, um den Schmerz wirklich zu spüren.

°Oh, Edward. Da machst du einer Frau aber das schönste Geschenk, das es auf der Welt geben kann. Tja, du bist eben ein Romantiker.°
Elizabeth schmunzelte.

Die Spannung im Raum war mit den Händen zu greifen. Acht Augenpaare starrten gebannt zu uns und warteten. Ich langte mit meiner rechten Hand in meine Hosentasche und holte eine kleine schwarze Schachtel heraus. Mit der linken Hand klappte ich sie auf und offenbarte ihr somit den Ring meiner verstorbenen Mutter. Es war ein Ring, der ein kleines glitzerndes Oval trug, das aus vielen kleinen Diamanten bestand, welche in einem fragilen Netz schräg eingewoben waren. Er steckte im schwarzen Satin und wartete nur darauf, angesteckt zu werden.

Ich schaute zu ihr auf und versuchte all meine Liebe in meinen Blick zu legen, die ich für sie empfand. Ich hoffte, dass ich sie mit meinem Blick nicht zu sehr verwirrte, da sie mir ja noch antworten sollte. Doch sie sollte sehen, wie ernst mir diese Angelegenheit war, wie viel sie mir bedeutete. Sie bedeutete mir alles.

„Isabella Marie Swan. Ich verspreche dir, dass ich dich immer lieben werde. Jeden Tag, bis in alle Ewigkeit. Willst du meine Frau werden?“, fragte ich sie voller Ernst und Demut.

Gespannt wie alle anderen, wartete ich auf ihre Antwort. Bellas Blick hatte sich nicht verändert. Noch immer waren ihre Augen groß, noch immer schien sie ihre Stimme nicht gefunden zu haben. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos.

Es vergingen 2 Sekunden, die mir vorkamen, wie 1000 Jahre. Allmählich verwandelte sich die leichte Unsicherheit in Angst. Wollte sie diese Bindung nicht mit mir eingehen? Aber sie hatte doch bereits Ja gesagt. Hatte sie es sich anders überlegt? Wollte sie doch kein Vampir werden? Einerseits war ich froh darüber, andererseits war dieser Gedanke sehr schmerzhaft. Denn wenn sie doch kein Vampir werden wollte, dann würde sie auch mich (irgendwann) nicht mehr wollen. Der Wunsch, Vampir zu werden, war doch immer mit mir verknüpft gewesen. Wollte sie nicht mehr zu mir gehören? Oder hatte sie beschlossen, Carlisle die Verwandlung durchführen zu lassen, weil sie keine Hochzeit wollte?

Die Spannung im Raum war deutlich spürbarer denn je. Sie war unerträglich.

In der nächsten Sekunde rührte sie sich endlich. Aber zu meinem Bedauern, antwortete sie nicht auf meine Frage, sondern drehte den Kopf kurz zu Renee. Bellas Augen – immer noch unverändert – sahen in die Augen ihrer Mutter, die ihr aufmunternd zunickte.

°Was fragst du mich, Bella? Es ist deine Entscheidung. Außerdem, was sollte ich dagegen einzuwenden haben? Wenn du denkst, dass du bereit für diesen Schritt bist, dann gehe ihn auch.°

Innerlich atmete ich auf und war mehr als dankbar für Renees Segen. Bella drehte den Kopf wieder zu mir – immer noch mit großen Augen und starrte mich an, als fiel es ihr schwer, das sich ihr darbietende Bild zu verarbeiten. Dann schloss sich ihr Mund und ihre Mundwinkel hoben sich kaum merklich nach oben, doch die Größe ihrer Augen änderte sich nicht. Wie sehr wünschte ich mir, in diesem Moment ihre Gedanken hören zu können. Doch leider blieb sie - wie immer – stumm für mich.

°Nun sag doch etwas!°, flehte ich innerlich.

Natürlich hoffte ich auf ein „Ja“, doch wenn sie nicht bald antworten würde, war ich von einem „Nein“ nicht mehr weit entfernt.

Dann geschah etwas, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte.

Aber die Zwillinge schafften es eben, mich immer wieder zu überraschen.

Ohne dass es jemand vorheersehen konnte, fiel Bella nach hinten – immer noch mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck – und fiel wie erstarrt auf dem Boden.

Eigentlich hätte ich sie blitzschnell auffangen können. Mein Gehirn jedoch realisierte erst ein paar Sekunden nach ihrem Sturz, was eigentlich geschehen war. Ich war zu perplex, um überhaupt zu zucken.

Ich hatte mit einem Ja gerechnet. Auch mit einem Nein. Aber niemals mit so einer Reaktion. Wer hat schon von einer Frau gehört, die bei ihrem Heiratsantrag in Ohnmacht gefallen ist!

„Also ein einfaches ‚Ja‘ hätte es auch getan.“, kommentierte Andy trocken.

Seine Stimme befreite mich aus meiner Starre. Ich steckte den Ring wieder ein, hob Bella auf meine Arme und trug sie zum Sofa ins Wohnzimmer. Ich betrachtete sie besorgt, während ich sie hinlegte.

Warum war sie in Ohnmacht gefallen? War mein Antrag so schrecklich? Hätte ich vielleicht damit warten sollen, bis wir ungestört waren? War es auch eine dumme Idee gewesen, sie am Weihnachtstag zu fragen? Ich dachte, es wäre eine gute Idee gewesen. Ich fragte sie zur Weihnachtszeit, dem Fest der Liebe, ob sie mit mir den Bund der ewigen Liebe eingehen würde. Und dass uns andere Leute dabei zusahen, empfand ich nun wirklich nicht schlimm. Erstens musste sich Bella mal daran gewöhnt, dass es Momente in ihrem Leben gab, in denen sie im Mittelpunkt stehen würde. Zweitens waren es nur die engsten Personen. Menschen, die zu ihrer Familie gehörten. Menschen, denen sie vertraute. Es sollte ein Moment werden, den sie nie vergessen würde. Jetzt hat sie dafür gesorgt, dass ich diesen Moment nie vergessen würde. Vielleicht war diese ganze Idee mit dem Antrag doch zu verfrüht gewesen.

Die anderen waren nun bei mir und beugten sie ebenso besorgt über Bella.

„Also das habe ich ja auch noch nie erlebt.“, sagte Renee nachdenklich.

°Edward. Jetzt mach dich nicht verrückt. Es war eine schöne Idee und sie hat ja auch nicht nein gesagt.°, versuchte mich Elizabeth zu beruhigen.

Nach 10 Sekunden flatterten Bellas Augenlieder und sie schlug die Augen auf.

„Oh, Bella.“, rief ich erleichtert.

Sie setzte sich auf und strahlte mich an. „Ja.“, sagte sie nur.

Meine Besorgnis verschwand und ein Glücksgefühl immenser Intensität durchströmte meinen Körper. Dieses Wort machte mich zum glücklichsten Mann der Welt. Sie wollte mich. Für immer. Ein breites Lächeln erhellte mein Gesicht, während ich wieder in meine Hosentasche griff, um den Ring herauszuholen. Ich klappte die Schachtel auf, nahm ihn heraus und steckte ihn Bella auf dem linken Ringfinger. Wie bereits von mir vermutet, war er für Bellas Finger wie gemacht.

Ich küsste den Ring, dann küsste ich sie, während sie ihre Arme um meinen Hals schlang. Ich versuchte, all meine Dankbarkeit in diesen zarten Kuss zu legen. Bella erwiderte ihn überraschenderweise genauso zärtlich. Ich konnte mich nicht länger zurück halten. Ich musste diese Frage einfach stellen. Widerstrebend löste ich mich von ihr und sah sie glückselig und fragend an.

„Warum bist du denn ohnmächtig geworden? War mein Antrag denn so schlecht?“

Sie schüttelte lachend den Kopf. Hinter mir und neben mir hörte ich auch Gelächter.

„Nein.“, widersprach sie mir.
„Dein Antrag war nicht schlecht. Er war einfach…“

„Umwerfend.“, beendete Andy ihren Satz, woraufhin wir alle lachten.

„Ja, das war er wirklich.“, meinte Phil glucksend.

„Und außerdem war das alles so…so…überraschend und ich wusste nicht, was Mum dazu sagen würde.“, erklärte Bella weiter und sah zu ihrer Mutter.

Renee lächelte und sah ihre Tochter voller Verständnis an.

„Bella. Du bist nicht wie ich. So machst du auch nicht meine Fehler. Du bist viel verantwortungsbewusster, als ich es in deinem Alter war. Du verhälst dich nicht wie ein Teenager, der unüberlegte Entscheidungen trifft. Außerdem hatte ich das Gefühl – trotz deiner Ohnmacht – dass du dich bereits entschieden hast, diesen Weg zu gehen. Bella, du weißt, was gut für dich ist. Und wenn er derjenige ist, der dich glücklich macht, dann halte ihn fest.“

Bella schaute Renee mit großen Augen und offenem Mund an.

„D…Danke.“, brachte sie nur heraus, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.

Dann wendete sie sich wieder mir zu, ihr Blick jetzt misstrauisch.

„Wie viel hast du dafür bezahlt?“, fragte sie mit verhohlenem Ärger.

Ich lächelte sie an.
„Gar nichts. Es ist ein Erbstück. Er gehörte meiner Mutter.“

Sie schaute nachdenklich auf ihre Hand. Auch die anderen Blicke waren darauf gerichtet.

„Oh.“, hauchte Bella.

°Wirklich? Der ist aber auch hübsch.°, dachte Renee.

„Gefällt er dir?“, fragte ich und versuchte meine Angst vor ihr zu verbergen.

Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und zog es zu ihrem heran, damit unsere Lippen aufeinander trafen. Wieder durchströmte mich so viel Glück und Freude, dass mein Körper zu zerspringen schien, weil er diese Gefühle alle nicht aufnehmen konnte. Sie beendete unseren etwas leidenschaftlicheren Kuss abrupt und lächelte mich an, während ihre schokoladenbraunen Augen leuchteten.

„Ist das Antwort genug?“, neckte sie mich.

Ich lachte und hauchte ein „Ja“, bevor wir uns erneut küssten.

„Na dann, alles Gute für das glückliche Brautpaar.“, rief Phil begeistert und lachte herzlich.

Andy und Elizabeth kicherten, während Renee in die Küche zurück ging, um den Fotoapparat zu holen.

Silvester




Elizabeths POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




Weihnachten war vorüber und Silvester stand vor der Tür. Das Jahr 2005 neigte sich nun allmählich dem Ende zu und wenn ich ehrlich sein soll, war ich sehr glücklich darüber. Nicht weil das Jahr vorbei war, sondern weil ein neues Jahr beginnen würde, welches ich jetzt mit jemandem teilen konnte, außer meiner Familie. Ich war der festen Überzeugung, dass dies ein tolles Jahr 2006 werden würde.

Wir vier waren immer noch in Jacksonville bei Phil und Renee, die ich in der kurzen Zeit sehr lieb gewonnen hatte. Bella und Andy konnten sich glücklich schätzen, so eine tolle Mutter zu haben, und dass, obwohl sie nicht wirklich ihre Mutter war. Manchmal fragte ich mich, wie die andere Renee wohl war. Aber laut Andrew war sie eher das Gegenteil von dieser Renee. Nach diesem besonderen Heiratsantrag, den Bella mit einem Ja beantwortet hatte, wurden viele Erinnerungsfotos gemacht. Renee war wirklich schwer zu bremsen und konnte einfach nicht aufhören, den Auslöser zu betätigen. Ein Foto des frischen verlobten Paares, ein Foto von den Zwillingen, ein Foto von Andrew und mir, ein Foto von uns vier mit Phil zusammen, nochmal ein Foto von Bella und Edward, wobei der Ring besonders auffiel, ein Foto von uns allen und so schien es endlos weiter zu gehen.

Für Vampire waren Fotos nichts Außergewöhnliches, da wir ein unfehlbares Gedächtnis besaßen und keinen einzigen Moment vergaßen. Dennoch war es eine schöne Idee, diesen Tag und dieses Weihnachtsfest auf Fotos festzuhalten. Wir verbrachten noch schöne Weihnachtsfeiertage, in denen Andrew seine Kochkünste wieder einmal unter Beweis stellte. Er bereitete für alle eine Ente vor, die er mit Gemüse ausgefüllt und mit Gewürzen eingerieben hatte. Nachdem sie einige Zeit lang im Backofen war, hatte er sie noch mit Honig bestrichen, um ihr die notwendige Süße zu verleihen. Natürlich schmeckte die Ente fabelhaft – jedenfalls sagten das ihm die Menschen. Mein Bruder und ich aßen zwar ebenfalls etwas, aber schmecken konnten wir leider nichts. Wir verzogen nur leicht – fast unmerkbar – die Gesichter und setzten gute Mienen auf. An solchen Tagen bedauerte ich das sehr, menschliches Essen nicht zu vertragen. Auch wir Vampire lobten Andrew für sein Essen, während die Zwillinge uns mit einem ungläubigen Blick beäugt hatten, als litten wir unter Geschmacksverirrung.

Doch nach diesem Essen merkte ich, wie mein Liebster in den nächsten Tagen immer missmutiger, ja fast unfreundlich wurde, was ich von ihm überhaupt nicht gewohnt war. Er war doch immer so ein sanfter und lebensfroher Mann gewesen, der sich nur selten über etwas ärgerte. Mir fiel nur die Szene im Saint Marris ein, als man sich weigerte, Bella zu entlassen. Ich empfand natürlich größtes Verständnis für seine Gefühle. Doch nun waren sie mir ein Rätsel.

Je näher der 31. Dezember rückte, desto mehr wandelte sich Andrews Stimmung. Als ich ihn dann fragte, was er denn habe, meinte er nur es sei nichts. Es ginge ihm gut und ich solle mir keine Sorgen machen. Doch da verlangte er etwas Unmögliches von mir. Er hatte es mit einem Lächeln gesagt, aber es wirkte nicht echt. Es war nicht das liebevolle Lächeln, welches er mir immer schenkte. Auch sein kurzes Auflachen klang in meinen Ohren so falsch, dass es in meinen guten Ohren schmerzte. Seine schlechte Laune basierte auf seinen Gefühlen. Ich setzte wirklich nur ungern meine Fähigkeit ein, wenn es denn nicht wirklich notwendig war. Aber ich wollte – nein, musste – Andrew verstehen. Ich versuchte seine Gefühle zu lesen, wollte ergründen wie tief und intensiv sie waren, doch ich konnte sie nicht erfassen.

Naja, lesen konnte ich sie schon, aber es war, als würde ich mich auf einem tiefgefrorenen See befinden und war nur in der Lage, an der Oberfläche zu kratzen. Es war, als hätte er eine Mauer um sich herum errichtet, die mir das Eindringen in sein Innerstes so schwer wie nur möglich machte. Es war sogar noch schlimmer als damals, bevor wir ein Paar wurden. Zu dieser Zeit hatte er auch seine Gefühle vor mir verborgen, weil er Angst vor meiner Reaktion gehabt hatte. Wie er es angestellt hatte, war mir unbegreiflich. Doch jetzt wollte er mit allen Mitteln versuchen, mich aus seinem Körper auszuschließen, was wiederum mein Gemüt belastete. Ich verstand Andrew einfach nicht. Ich war doch seine Freundin. Jemand, der er sich anvertrauen konnte. Er konnte mit mir doch über alles reden. Warum tat er es nicht? Wir würden damit schon zurechtkommen, ganz gleich was es auch immer war.

Als er merkte, dass ich seine Gefühle zu beeinflussen versuchte, sagte er mit kalter, fast emotionsloser Stimme: „Lass das!“

Er hatte mich nicht angesehen, als er dies zu mir gesagt hatte. Was war mit ihm nur los? Ich erkannte meinen Andrew gar nicht mehr wieder. Er war so kalt und abweisend in den letzten Tagen geworden, dass die Distanz zwischen uns Tag für Tag immer größer wurde. Selbst wenn ich in seinen Armen lag, schien die Wärme nicht wie sonst auf meinen kalten Körper überzugehen. Ich spürte seine Wärme und doch spürte ich sie nicht. Wenn ich die Arme um ihn legte, schien ihn das nicht im Mindesten zu beruhigen. Aber zu meiner Überraschung und Erleichterung stieß er mich nicht weg. Jedoch hatte ich nicht das Gefühl, dass die Kluft zwischen uns kleiner wurde. Wir waren uns zwar körperlich nah, doch geistig hätten wir nicht weiter voneinander entfernt sein können. Wenn wir uns küssten, lagen seine Lippen wie immer sanft auf meine. Aber auch wenn das gewiss nicht seine Absicht war, konnte ich auch in diesen Momenten seine Reserviertheit spüren. In diesen Tagen musste ich öfter die Initiative ergreifen als sonst, was mir Tag für Tag mehr zu schaffen machte.

Meist war er nie bei der Sache und reagierte nur noch selten so, wie ich es gewohnt war. Herzrasend, nach Luft ringend und voller Liebe betrachtend, war er mir am liebsten.

Nicht so…kontrollierend.

Ich mochte es nicht, wenn er den Kuss so bereitwillig enden ließ. Ich möchte es nicht, wie er mich entschuldigend anlächelte und Worte sagte wie: „Nicht jetzt.“ oder „Später.“

Ich möchte es nicht, meine Hände von ihm aus seinen Haaren nehmen zu lassen, in das ich so gerne fasste und damit spielte. Ich liebte sein langes, nun wieder fast gänzliches kastanienbraunes Haar. Nur noch einige weiße Strähnen verunstalteten seine Haarpracht. Hoffentlich würde sich nie einen Kurzhaarschnitt zulegen.

Mit diesem Verhalten, welches er in letzter an den Tag legte, hatte er sehr große Ähnlichkeit mit einem Vampir, was mich zutiefst erschreckte. Seine sehr blasse Haut, die sich nicht sonderlich von meiner unterschied. Seine braunen Augen, die dunkler waren als sonst. Sie leuchteten nicht und schienen ihren Glanz verloren zu haben. Nein, das war nicht richtig. Sie besaßen einen Glanz, jedoch einen anderer Art. Früher waren seine Augen auch schon dunkler gewesen, wenn ihn dann doch die Leidenschaft und das Verlangen überwältigt hatte, was bei ihm selten der Fall war, da er meist sehr sanft und vorsichtig war. Mein Andrew war sich durchaus bewusst, dass seine Freundin ein Vampir war und somit fähig ihn zu töten. Sicher hatte er Recht, doch ich würde ihm nie etwas tun. Eher würde ich mich selbst verbrennen. Dann diese Kälte, die er ausstrahlte, obwohl er warm war. Und natürlich diese aufgesetzte fröhliche Maske und dieses falsche Lachen.

Ich hatte Bella geradezu angefleht, dass sie mit ihrem Brüder reden möge, doch auch das schien nicht viel versprechend zu sein. Sie kam mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck wieder zu mir und schüttelte bedauernd den Kopf.

„Hast du nicht mal etwas in seinem Kopf gesehen?“, fragte ich verzweifelt.

Sie waren doch Zwillinge. Sie stammten aus einer Eizelle. Waren miteinander verbunden. Sie musste mir etwas sagen können. Irgendetwas. Doch leider wurde ich enttäuscht.

„Nein.“, flüsterte sie.

Ich war völlig am Ende. Wie konnte das nur geschehen? Bis vor wenigen Tagen war noch alles in Ordnung. Wir waren glücklich, haben miteinander gelacht und uns für Bella und Edward gefreut. Ich konnte den Andrew auf den noch nicht greifbaren Fotos mit dem, den ich jetzt vor mir hatte, nicht in Einklang bringen. Seine ganze Persönlichkeit schien sich schlagartig verändert zu haben.

In der Nacht vom 30. zum 31. Dezember stand ich draußen auf der Veranda und sah in den sternenklaren Himmel zum Vollmond hinauf. Er war rund und schön, leuchtete so hell wie immer. Er beglückte die Dunkelheit der Nacht mit seinem Licht, wie er es immer tat. Dieses Bild hatte immer eine besondere Wirkung auf mich gehabt.

Der Mond gehörte zur Nacht, wie ich und andere meiner Art. Wir waren Gefangene der Dunkelheit und im Licht der Sonne nicht willkommen. Im Gegenteil. Sie bestrafte uns, indem sie offenbare, was wir sind. Sie schien uns damit zu verhöhnen. Sagte uns damit, dass wir seelenlose Monster nicht das Recht auf den Tag, auf die Wärme, auf das Licht und die Schönheit haben. Wir haben nicht das Recht, wie die Menschen im Licht zu wandeln, da wir alle Monster waren. Monster, die jene Wesen des Lichts töten mussten, um ihre erbärmliche Existenz aufrechterhalten zu können.

Nein.

Wir gehörten in die Schatten der Nacht und nicht in die Welt der Lebenden. Doch immer, wenn ich den Mond sah, schöpfte ich etwas Hoffnung. Selbst für uns.

Der Mond war einzigartig und wunderschön. Erhellte mit seinem Licht die Dunkelheit, als wolle er sagen: „Auch ihr Wesen der Nacht habt Licht und Schönheit verdient. Ich bin für euch da und werde euch den Weg weisen, wenn ihr es nur zulässt. Für jeden gibt es Hoffnung. Für jeden. Auch die Nacht besitzt Schönheit. Ihr müsst nur in der Lage sein, sie zu erkennen.“

Ja, der Mond war für mich immer eine Art Wächter für die Wesen, denen das Licht verboten war. Er war der Wächter meiner Art. Mein ganz persönlicher Wächter, der auf jede Frage eine Antwort zu haben schien, wenn ich ihn nur ansah. Ein Wächter, der uns nicht verurteilte, sondern dabei half, unsere Sorgen und unseren Schmerz zu vergessen. Oder wenigstens ihn zu verdrängen.

Ich schaute wie gebannt zum Mond und flehte ihn an, mir Antworten zu geben.

Dieses Mal gab er mir keine.

Ich bat ihn, mir Linderung zu verschaffen.

Dieses Mal tat er es nicht.

Es schien, als hätte er sich von mir abgewandt. Obwohl er da war, ließ er mich im Stich.

„Warum hast du dich gegen mich verschworen?“, flüsterte ich in die Nacht hinaus.

Plötzlich wurde die Verandatür geöffnet und jemand kam von hinten auf mich zu und legte tröstend die Arme um mich.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte ich, das Gesicht immer noch auf dem Mond gerichtet.

Sein Kopf lag auf meiner Schulter und er gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Nein. Ich mache mir zu große Sorgen um dich.“, flüsterte mein Bruder und blickte nun ebenfalls zum Mond.

Ich lächelte leicht. Ich war froh, dass er hier bei mir war. Mich nicht allein ließ, auch wenn er mir keine Antworten geben konnte.

„Ich weiß auch nicht, warum.“, sagte er.

Ich sah noch einen Moment den Mond an, dann konnte ich nicht mehr. Ich drehte mich in seinen Armen und schlang meine Arme so fest um seinen Körper, wie ich nur konnte. Er wusste, wie aufgelöst ich war und gab mir mit seinen Eisenfesseln den notwendigen Halt. Ich schluchzte heftig an seiner Brust, versuchte mich zu beruhigen, doch ich konnte einfach nicht. Meine Gefühle schienen mich zu überrollen. Wenn ich jetzt weinen könnte, dann hätte ich Seen weinen können.

„Ich…Ich weiß einfach nicht, was ich noch machen soll.“, brach aus mir unglücklich heraus.
„Er hat sich in den letzten Tagen so verändert und ich weiß nicht wieso. Er ist so kalt und distanziert, dass ich mich so allein fühle, wie schon seit Jahren nicht mehr. Er redet nicht mit mir, schließt mich aus. Warum lässt er keinen an sich heran? Warum will er sich nicht von mir helfen lassen?“

Mein Körper bebte förmlich und Edward bebte mit. Er fuhr tröstend mit der einen Hand meinen Rücken auf und ab.

„Ich weiß es nicht.“, sagte er mit wackliger Stimme.
Auch er schien den stummen Tränen nah zu sein. Mein Schmerz war auch sein Schmerz.
„Ich kann dir leider nicht dabei helfen, da auch ich nicht in seinen Kopf schauen kann. Ich kann dir nur einen Rat geben.“

Er versuchte, die Fassung wieder zu erlangen. Er wollte mich trösten und nicht noch tiefer in den Schmerz ziehen.

°Und welchen?°

„Zeige ihm, dass du für ihn da bist, egal wie lange es dauert. Lass‘ ihn zu dir kommen. Es braucht seine Zeit, bis er bereit ist, sich dir gegenüber zu öffnen. Bedränge ihn nicht und setzte nicht deine Fähigkeit ein, auch wenn es dir sehr schwer fallen wird.“

Ich lachte kurz traurig auf.
„Das ist leichter gesagt, als getan.“, erwiderte ich.

„Wir sind ja alle für dich da. Ich bin für dich da.“, sagte mein Bruder nach kurzer Stille und hielt mich weiterhin in den Armen, damit ich auch noch nicht körperlich zusammen brach.

Irgendwann – nachdem ich mich wieder beruhigt hatte – hörte ich Edwards Gähnen und er ließ widerstandslos von mir ins Bett tragen. Noch ehe er darin lag, war er auch schon eingeschlafen. Ich betrachtete sein wunderschönes ruhiges Gesicht und streichelte es liebevoll, hoffte, dass er keine Alpträume haben würde. Dann sah ich zu Andy hinüber und wieder durchfuhr mich der Schreck.

Sein Gesicht war natürlich so schön wie immer und seine Lippen waren so rot und verlockend wie immer. Doch er wirkte noch angespannter und verzweifelter, als in den letzten Nächten. Auch hatte er nach dem letzten Weihnachtsfeiertag kein einziges Wort mehr in der Nacht geredet, was mich immer in Panik versetzte. Er redete immer. Jede Nacht sagte er meinen Namen und seufzte sehnsüchtig. Doch auch diese liebenswerte Eigenart schien er abgelegt zu haben. Selbst im Schlaf, wenn sein Bewusstsein nicht aktiv war, schien er mich ausschließen zu wollen.

Ich legte mich neben ihm und legte einen Arm um seinen Körper. Früher hatte er immer gelächelt. Als wüsste er ganz genau, dass ich bei ihm war. Das hatte er auch in den letzten Tagen auch gemacht, jedoch erstarb das Lächeln schnell wieder. Doch in dieser Nacht reagierte er völlig anders. Mit dieser Reaktion hätte ich nie im Leben gerechnet und diese verletzte mich so sehr, wie Worte es nie vermocht hätten.

Er zuckte zusammen.

Behagte ihm meine Nähe nicht mehr? Hatte sich sein Verhalten so sehr gewandelt, dass sein natürlicher Schutzinstinkt wieder stärker geworden war? War dies vielleicht ein Zeichen für das Ende unserer Beziehung? Ich hoffte es nicht. Es war nur ein Zucken. Es folgte kein (Auf-)Schrei und auch warf er sich nicht unruhig hin und her. Er lag einfach nur ganz still auf dem Rücken und atmete ruhig ein und aus. Äußerlich wirkte er ruhig. Nur sein Gesicht zeigte den Aufruhr, der in seinem Inneren herrschen musste. Schweren Herzens löste ich mich von ihm und setzte mich aufrecht hin. Die restliche Nacht starrte ich ihn wie hypnotisiert an und überlegte fieberhaft, was ich machen könnte.

Am nächsten Tag schien Andys Laune den absoluten Tiefpunkt erreicht zu haben. Selbst Phil und Renee fiel das natürlich auf und machten sich große Sorgen. Um ihn abzulenken – oder uns etwas Privatsphäre zu geben – schickte Renee uns vier nochmal zum Einkaufen, um Feuerwerkskörper zu besorgen. Es war zwar eine gutgemeinte Geste Renees, doch leider schien sie genau das Gegenteil zu erreichen.

Wir befanden uns in einem Laden, indem viele Kunden waren, die ebenfalls noch für Silvester etwas besorgten. Besonders die Kinder waren aufgeregt, lachten und plapperten munter. Andrew machte keine Anstalten sich mitreißen zu lassen oder Feuerwerkskörper auch nur anzufassen. Er folgte uns unwillig und gezwungenermaßen und machte so ein schlecht gelauntes Gesicht, dass ich die Befürchtung hatte, seine Fröhlichkeit für immer verloren zu haben. Edward und Bella hatten einige Sachen in den Einkaufswagen getan, während Andrew uns folgte, seine ganze Aufmerksamkeit aber auf die anderen Kunden gerichtet war. Manche luden so viel in ihre Wagen, dass das alles gut 1000 Dollar kostete.

„Lächerlich.“, entfuhr es Andrew, der die anderen fast schon verachtend musterte.

Was hatte er nur gegen Silvester? Selbst ich empfand diesen Brauch als schönen Zeitvertreib und liebte es, wenn die Raketen Funken versprühten, in den Himmel schossen und das Pulver in ihnen schließlich seine ganze Farbenvielfalt zeigte. Auch Bella und Edward verstanden ihn nicht. Ich wollte Andrew danach fragen, was daran denn so lächerlich sei, erinnerte mich dann an Edwards Rat und beschloss, es sein zu lassen. Es würde schon alles gut werden. Das hoffte ich zumindest.

Ich ging weiter nach vorne zu den anderen, nahm noch einiges und packte sie in den Einkaufswagen. Ein paar Minuten später waren wir an der Kasse und fingen an, unsere Sachen auf das Laufband zu legen. Bella drehte sich um.

„Hey, wo ist den Andy?“, fragte sie besorgt und verwirrt.

Auch Edward und ich drehten unsere Köpfe. Merkwürdig. Er war doch noch für kurzem hinter mir gewesen. Ich war so mit meinen eigenen Gefühlen und Gedanken beschäftigt, dass ich es nicht gemerkt hatte.

„Ich hole ihn.“, sagte ich den anderen beiden, nahm seinen unwiderstehlichen Geruch in meine Nase auf und ging zurück.

Ich hatte ihn schnell gefunden. Ich wollte zu ihm gehen, doch ich hielt für einen Moment inne und beobachtete ihn. Er stand vor einem Regal im Bereich der Schreibwaren und starrte auf Stifte, die sich direkt vor ihm befanden. Nein, es waren Kugelschreiber. Sein Blick war merkwürdig leer. Dann vorsichtig, ja fast ehrfürchtig, nahm er einen Kugelschreiber aus der Halterung und betrachtete ihn, als wäre er etwas wirklich Kostbares.

Er drehte ihn in seiner Hand hin und her, betrachtete ihn von allen Seiten. Es war ein Kugelschreiber in rotbrauner Farbe. Der Clip war golden und die Softgriffzone war kastanienbraun wie sein eigenes Haar.

Auf dem Schaft stand etwas in goldener Schrift: Words of Soul.

Er betätigte den Drücker und aus der Spitze lugte eine Miene mit roter Kugel hervor. Seltsam. Was hatte es mit diesem Kugelschreiber auf sich? Er schien eine Bedeutung für ihn zu haben. Warum? Es war doch nur ein Stift. Nichts Besonderes.

Ich räusperte mich laut. Andy löste den Blick vom Stift und sah zu mir auf in meine Richtung. Ich stand einige Meter von ihm entfernt. Ich wagte es nicht, ihn in diesem scheinbar besonderen Moment mit meiner Nähe zu stören.

„Kommst du?“, fragte ich und bemühte mich um einen fröhlichen Ton.

„Jaja.“, sagte er hastig und schien peinlich berührt über die Tatsache, dass ich ihn ertappt hatte.

Noch einmal betätigte er den Druckknopf und nahm ihn mit nach vorne zur Kasse. Edward zog fragend eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts. Andrew sagte auch nichts. Bella schien gleichgültig zu reagieren. Mir brannte die Frage auf der Zunge, was für eine Bedeutung dieser Kugelschreiber für ihn hatte, doch ich würgte sie herunter. Vielleicht würde ihn meine Frage nur aufregen und das wollte ich unbedingt vermeiden.

Der Rest des Tages zog sich in die Länge und wollte einfach nicht vergehen. Andrews Stimmung schien jede Minute noch schlimmer zu werden. Ich lag zwar in seinen Armen, doch das hatte nichts zu bedeuten. Die Minuten verstrichen, wir sechs waren im Wohnzimmer, unterhielten uns und sahen nebenbei fern. Um 23.30 Uhr rief mich Renee zu sich. Ich ging zu ihr in die Küche und war neugierig, was sie wohl von mir wollte.

„Phil und ich haben beschlossen zu einem seiner Freunde zu fahren und bei ihnen den restlichen Abend zu verbringen. Bringt das irgendwie mit Andy wieder in Ordnung. Ihr wollt doch nicht so das neue Jahr beginnen.“

Diese Frau war einfach unglaublich.

„Danke Renee.“, sagte ich ernst.
„Ich hoffe, dass es klappen wird.“

Hoffnung war das einzige, was ich noch hatte. Ich ging zu den anderen zurück und ließ mich von Andrew wieder in den Arm nehmen. Keiner fragte, was sie von mir wollte. Edward wusste es, Bella glaubte zu wissen, was ihre Mutter vor hatte und Andrew schien es nicht zu interessieren. Phil erhob sich aus dem Sessel und verließ das Wohnzimmer. Er ging in den Flur zu Renee, wo sie sich ihre Jacken anzogen. Dann kam Renee zurück.

„Also ihr Lieben. Phil und ich haben uns kurzfristig dazu entschlossen, Silvester anders zu verbringen. Dann seid ihr vier unter euch.“, sagte sie für meinen Geschmack etwas zu fröhlich und warf mir einen vielsagenden Blick.

„Okay.“, war die Antwort der Zwillinge.

„Da die Netze nachher alle überlastet sein werden, wünsche ich euch schon jetzt einen guten Rutsch ins neue Jahr.“, sagte Renee.

Drei bedankten sich, während einer nur verächtlich schnaubte. Daraufhin folgte eine unangenehme Pause.

„Ja…also dann bis später!“, verabschiedete sich Renee und ging zur Wohnungstür.

„Auch von mir jetzt schon ein guten Start ins neue Jahr.“, hörten wir Phil noch rufen, bevor die Haustüre ins Schloss fiel. Sie stiegen in ihr Auto und fuhren davon.

Die Stille die daraufhin folgte dröhnte mir in den Ohren. Keiner von uns sagte etwas, weil keiner wusste, was man sagen sollte. Wir starrten alle nur den Fernseher an, versuchten uns abzulenken, obwohl wir wussten, dass es nichts bringen würde.

„Los, Andy. Lass uns rausgehen auf die Veranda gehen und alles vorbereiten.“, sagte Edward gutgelaunt und lächelte ein aufgesetztes Lächeln.

Wortlos schob Andrew mich sanft von sich, stand auf und ging hinaus auf die Veranda. Edward holte Flaschen und unsere gekauften Sachen und war dann ebenfalls auf der Veranda. Ich seufzte.

„Wie lange soll das noch so weitergehen?“, fragte ich mehr mich selbst.

„Entweder abwarten oder meinen Bruder darauf ansprechen.“, meinte Bella merkwürdig gelassen.

„Edward meint, dass er auf mich zukommen und ich ihn nicht weiter bedrängen soll.“

„Vielleicht hat er recht.“

Ich sah wie Bella zur Verandatür, die Edward offen gelassen hatte. Obwohl es dunkel war, konnte Bella mit ihrem menschlichen Augen schemenhaft erkennen, was dort vor sich ging. Edward stellte die Flaschen hin und steckte die Raketen in deren Öffnungen, während Andrew einfach nur da stand, den Kopf zum Himmel gerichtet. Heute war kein Mond zu sehen. Edward sagte nichts. Andrew sagte auch nichts.

„Vielleicht.“, antwortete ich auf Bellas Antwort, glaubte aber nicht an meine Worte.

Die Uhr zeigte 23.59 Uhr.

„Komm. Wir wollen uns doch nicht das Feuerwerk entgehen lassen.“, sagte Bella.

Wir standen beide auf und traten hinaus in die Nachtluft. Keiner sagte etwas. Ich hatte erwartet, dass Bella laut den Countdown von 10 rückwärts aufsagen würde, wie Menschen das eben taten. Doch sie sagte nichts. Das Verhalten ihres Bruders bekam ihr ebenso wenig. Ich atmete die angenehme Nachtluft tief ein und schloss die Augen.

Erst als Edward ein „Bereit?“ hören ließ, öffnete ich sie wieder.

In Vampirgeschwindigkeit zündete er Rakete für Rakete versetzt an und war im nächsten Moment an Bellas Seite.

„Ich glaube, ich geh‘ wieder rein.“, verkündete Andrew und klang irgendwie nervös und verzweifelt.

„Ach komm schon. Willst du dir etwa dieses Schauspiel entgehen lassen?“, fragte ich, wobei mir meine Stimme selbst fremd klang. Ich wollte ihn doch nur aufheitern. Wer mag denn kein Feuerwerk?

„Tut mir leid. Aber ich bin nun mal keiner von denen, die ‚Ah‘ und ‚Oh‘ bei einem Feuerwerk sagen.“, sagte er wieder merkwürdig reserviert.

Er drehte sich um und wollte wieder hinein gehen.

„Pfff!“ Die erste Rakete schoss nach oben.

Jetzt reichte es. Ich musste irgendetwas unternehmen, sonst würde ich noch verrückt werden und ihn vielleicht endgültig verlieren. In diesem Moment ließ ich alle Zurückhaltung hinter mir und vergaß Edwards Rat. Wut packte mich. Wut darüber, weil Andrew sich so merkwürdig verhielt. Wut darüber, dass er sich nicht von mir helfen lassen wollte und mit mir nicht über seine Probleme redete. All die Wut, schien jetzt die Ratlosigkeit und die Verzweiflung der letzten Tage zu verdrängen und die Kontrolle zu übernehmen. Ich packte ihn am Arm.

„Was ist in letzter Zeit mit dir los?“, fragte ich eisig, versuchte die Wut nicht die Oberhand gewinnen zu lassen.

Die zweite Rakete schoss nach oben, während das Pulver der ersten schon den Nachthimmel mit ihrem Farbenspiel erhellte.

Edward warf mir einen warnenden Blick zu, doch ich ignorierte ihn. Bella schien überrascht und schien nicht direkt zu wissen, ob sie mein Verhalten gut oder schlecht finden sollte.

Er wollte sich mit entziehen, doch ich ließ es nicht zu. Er würde mir nicht entkommen. Nicht, bevor er mir sagte, was ihn beschäftigt. Er drehte sich um und blitzte mich an.

Ich merkte, wie der gefrorene See Risse bekam.

„Gar nichts ist mit mir los.“
Seine Stimme war jetzt lauter als sonst und ich hörte unterdrückten Zorn in seiner Stimme.

Die Risse wurden immer tiefer.

„Wenn nichts mit dir ist, dann kannst du mir doch sicher sahen, warum du dich in den letzten Tagen so seltsam verhälst.“, sagte ich sachlich und hob die Augenbrauen.

Die dritte Rakete folgte.

„Das verstehst du nicht.“, wehrte er mit ruhigerer Stimme ab.

„Dann hilf mir doch. Rede mit mir!“, flehte ich.

Die vierte Rakete flog in den Himmel. Das Feuerwerk wurde von Sekunde zu Sekunde gewaltiger und schien nimmer zu erlöschen.

Die Fassade bröckelte und fiel schließlich ganz.

Die Risse des Sees wurden immer tiefer und breiteten sich in rasender Geschwindigkeit aus.

Das ganze Eis brach und ich wurde gewaltsam unter Wasser gezogen.

Als mich schon der erste Tropfen seiner verdrängten Gefühle berührte, wollte ich fliehen. Ich wollte fliehen vor dieser Wut, dieser Verzweiflung, diesen Schmerz, dieser Trauer. Aber ich konnte nicht, so sehr ich es auch wollte. Schon ein einziger Tropfen reichte aus, um mich seelisch zusammen brechen zu lassen. Auch körperlich hätte ich das schon längst getan. Doch ich musste stark sein und stählte mich jetzt gegen all diese Gefühle, die mich wie übermächtige Wellen überspülten und mich tiefer und tiefer unter Wasser zogen. Ich musste äußerlich standhaft bleiben, da ich Antworten wollte. Ich wollte Andrew, meinen Seelenverwandten, verstehen. Ich wollte ihm helfen können.

Das viele Wasser des Sees dieser gemischten Gefühle schien mich zu ertränken. Ich strampelte, versuchte verzweifelt wieder an die Oberfläche zu gelangen, doch ich konnte das Licht nicht mehr sehen. Um mich herum war nur Schwärze und ich wurde herumgewirbelt im Wasser. Ich hatte keine Kraft. Die Gefühle waren zu stark.

Widerstandslos sank ich tiefer.

Und tiefer.

Und tiefer.

Sein Gesicht war so schmerzerfüllt, dass sein Anblick mir den Atem raubte. Seine Augen füllten sich mit Tränen und schnell bahnten sie sich ihren Weg auf seinen Wangen hinab. Es waren Tränen der Trauer und der Wut. Dieser Anblick war unerträglich. Ich litt Höllenqualen, die nichts mit dem Brennen während meiner Verwandlung gemein hatten. Diese Schmerzen damals waren harmlos, im Gegensatz zu denen, die ich jetzt empfand.

Die fünfte Rakete verließ die Flasche.

Die Zeit schien eingefroren.

Ich hörte nichts mehr. Sah nur noch Andrew und seinen gequälten Blick.

Als er nach einer Ewigkeit endlich zu sprechen begann, schrie er so laut, dass mein ganzer Körper schauderte.

„DU WILLST REDEN? Vielleicht will ICH aber nicht reden! Ich hatte die letzten 11 Jahre niemanden zum Reden. Seit diesem Tag, war ich ganz allein mit meinem Schmerz. Ich hatte niemanden mit dem ich Reden konnte. Charlie und Renee haben sich immer mehr gestritten und mussten mit ihrer eigenen Trauer fertig werden, sodass sie sich nicht wirklich um mich kümmern konnten. Oder vielleicht haben sie es versucht und ich habe es nicht gemerkt, da ich mich in mir zurückgezogen hatte. In der Schule versuchte man auch mit mir zu reden, aber was hätte das genützt? Ich hatte keinen richtigen besten Freund, dem ich mich anvertrauen konnte. Und selbst wenn ich jemanden gehabt hätte. Keiner hätte meinen Schmerz verstanden. Keiner. Als dieses Jahr dann zu Ende ging, sagten mir alle, dass alles wieder gut wird. Dass es ein besseres Jahr wird und ich darauf hoffen sollte, dass meine Schwester eines Tages wieder nach Hause kommt. Und dann dieses Gerede darüber, dass man durch diesen lächerlichen Brauch die bösen Geister vertrieb, damit das ja auch wirklich ein besseres Jahr wird als das letzte, wurde mir, je älter ich wurde, mehr und mehr zuwider. Ich sehe Geister seit ich denken kann. Böse und Gute. Und ich musste viel zu früh erfahren, wie grausam diese Welt doch ist.“

Sein Redestrom brach ab. Er musste Luft holen, um fortfahren zu können, während er immer heftiger schluchzte und die Raketen nacheinander in den Himmel schossen und das Feuerwerk vergrößerten.

„Verdammte Scheiße! Ich war doch noch ein Kind. Ich war doch viel zu instabil für so etwas. Ich konnte nie wirklich das alles verarbeiten, weil ich mit niemanden reden wollte oder konnte. Ich verstand das alles nicht. Ich verstand nicht, warum meine Schwester nicht mehr nach Hause kam. Verstand nicht, warum jemand sie mitgenommen hatte. Verstand nicht, wie jemand so etwas tun konnte. Ich wusste weder ein noch aus. Und als sich Charlie und Renee dann später getrennt haben und sich meine Mutter immer mehr von mir entfernte, war das auch nicht gerade hilfreich für mich. Ich hatte zwar Phil, der versuchte, zu mir eine Beziehung aufzubauen. Aber ich wollte mit jemanden reden, der nicht zu meiner Familie gehörte. Ich wollte mit jemanden Außenstehenden reden. So einer war Phil für mich nie gewesen, seit er Mum kennen gelernt hatte. Doch vor allem wollte ich mit jemandem in meinem Alter reden.“

Wieder holte er tief Luft.

„Doch ich konnte nicht, weil ich nie so einen fand und wollte nicht, weil mich nie einer hätte verstehen können. Ich habe nie aufgegeben nach Bella zu suchen. Habe Anzeigen geschrieben, Zettel verteilt. Habe jeden Tag gebetet, dass Gott mir meine Schwester zurück bringt. Doch ich wurde am Ende eines Jahres immer wieder enttäuscht, da mir besonders an Silvester klar wurde, dass sich rein gar nichts verändert hatte. Meine Schwester war immer noch verschwunden. Ich wusste nicht, wann und ob ich sie wieder sehen würde. Ich wusste nicht einmal wirklich, ob sie überhaupt noch am Leben war. Ich war also immer noch einsam, obwohl ich nicht allein war. Mein Vorsatz für das neue Jahr war immer der gleiche: Bella finden. Und jedes Jahr konnte ich ihn nicht einhalten. In der Schule mieden mich alle oder tuschelten hinter meinem Rücken. Wie sollte ich jemals mit jemanden reden können? Wie sollte ich es schaffen, jemals jemandem zu vertrauen? Über die Jahre habe ich vergessen, was es heißt, einem Menschen zu vertrauen. Ich glaube ich habe sogar vergessen, wie das geht! Jeder hätte mich nur bemitleidet, aber nie wirklich verstanden was ich fühlte!“

Als all diese Worte aus Andrew Mund heraus sprudelten, rang er nach Atem und versuchte sein Schluchzen unter Kontrolle zu bringen. Oh mein Gott. Das musste er all die Jahre hinweg in sich hineingefressen haben.

Wie sehr wünschte ich mir, wir wären schon damals in Forks gewesen. Wie sehr wünschte ich mir, den kleinen 7-jährigen Andrew damals begegnet zu sein, damit er nicht allein war. Wie sehr wünschte ich mir, für ihn da gewesen zu sein. Ihn zu trösten. Jemanden, dem er sich anvertrauen konnte.

In diesem Augenblick sah ich ihn.

Den kleinen verletzten Jungen. Weinend mit roter Nase und verquollenen traurigen unglücklichen Augen. Noch immer wurde ich hinunter in die Tiefe gezogen, doch ich wagte es und ging auf ihn zu.

„Hör mir zu.“, bat ich.
Ich sprach ruhig mit meiner Samtstimme und schaute ihn mit aller Liebe und mit allem Verständnis an, was ich aufbringen konnte.

Weitere Raketen stiegen in die Luft.

„Ich weiß, wie du dich fühlst…“

Offenbar hatte ich genau das falsche gesagt. Er stieß mich grob von sich und sah mich so zornig an, dass, wenn Blicke töten könnten, ich jetzt tot umgefallen wäre. Ich hatte Angst. Doch vor allem war ich verletzt. Aber war das verwunderlich? Er wusste nicht mehr, was es bedeutete, sich einer Person wirklich zu nähern. Er wusste nicht mehr, was es bedeutete, sich jemandem komplett zu öffnen. Einer Person alles zu erzählen, was einem bewegt. Seine Ängste, seine Träume, seine Wünsche, seine Vergangenheit. Einfach alles.

„SAG NICHT, DASS DU WEISST, WIE ICH MICH FÜHLE!“, brüllte Andrew mich an.

Das Brüllen, was die Dame am Empfang der Anstalt von ihm zu hören bekam, war das eines Kätzchens. Dieses Brüllen hatte Ähnlichkeit mit einem Tiger oder einem Löwen. Seine Wut schien sogar das menschliche Maß zu sprengen. Ich wusste, dass es jetzt besser war, ihn mit meiner Fähigkeit nicht zu beruhigen. Ich hätte damit alles nur noch schlimmer gemacht und außerdem musste alles einmal rauslassen. Das wir – oder vielmehr ich diejenige war, die alles abbekam, war nun mal Schicksal. Wenn man den daran glaubt.

„Du kannst vielleicht meine Gefühle lesen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du mich verstehen kannst. Du weißt nicht, was es heißt, schreiend und weinend nachts aufzuwachen. Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn du nie eine richtige Antwort darüber erhalten kannst, wo deine Schwester ist. Du weißt nicht, was es heißt, 11 Jahre lang ohne deinen Zwilling leben zu müssen und nicht vollständig zu sein. Für Vampire mag das eine kurze Zeit sein. Aber nicht für einen Menschen. Nicht für mich. Du weißt nicht, was es heißt, 36 Stunden lebendig begraben zu werden und jegliche Hoffnung zu verlieren, und Angst zu haben, dass du stirbst. Du weißt nicht, was es bedeutet, allein zu sein. Du weißt nichts über mich.“

Mit jedem Wort wurde seine Stimme leiser und den letzten Satz zischte er mir entgegen. Und mit jedem Wort, das er sagte, verletzte er mich umso mehr. Worte waren so viel mächtiger, als Faustschläge. Mein Herz brach mit jedem Wort, das seinen Mund verließ. Mehr und mehr. Oder immer und immer wieder.

Doch so sehr seine Worte mich auch verletzten, ich wusste, dass all dies stimmte. Ich wusste nicht, wie sich all das anfühlte. Ich hatte keinen Zwilling. Ich war nie von Edward getrennt gewesen. Ich wurde nie lebendig beerdigt und ich war nie allein. Ich hatte immer Personen um mich, denen ich mein Vertrauen schenken konnte, außer Edward.

Erschöpft und kraftlos brach Andrew zusammen und jammerte leise, während die letzte Rakete in den Nachthimmel verschwand. Die Stille war vernichtend. Keiner brachte auch nur einen Ton heraus. Edward schien fassungslos und stand reglos da. Auch Bella konnte sich nicht bewegen. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen unnatürlich groß.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schritt ich auf Andrew zu, kniete vor ihm und nahm ihn in meine Arme. Erst versteifte sich sein Körper, dann war er wieder schlaff und wehrlos. Er weinte immer mehr Tränen, die nie mehr aufhören wollten zu fließen. Haltesuchend, eher reflexartig, legte er auch die Arme um mich, erwiderte aber die Umarmung nicht. Mein Kopf lag auf seiner rechten Schulter, sein Kopf auf meiner linken.

„Andy.“, begann ich langsam und ruhig.
„Du hast recht. Ich werde nie wirklich verstehen, was du alles durchmachen musstest. Keiner kann das. Aber ich will versuchen, dich zu verstehen. Ich will dir helfen, doch dafür musst du mir vertrauen. Glaub mir, dass kannst du.“

„Kann ich das wirklich?“, fragte er mit belegter Stimme.

„Ja.“, antwortete ich ernsthaft.

Ich streichelte tröstend seinen Rücken.

Nach einer Weile sagte er: „Wenn ich dir voll und ganz vertrauen soll, dann musst du mir was versprechen.“

„Alles.“

Er holte tief Luft.
„Du musst mir versprechen, dass du mich nie verlassen wirst. Das würde ich nicht aushalten. Ich würde daran zerbrechen.“

Ich zuckte bei seinen Worten und seinem Schmerz in der Stimme zusammen.

„Ich verspreche – nein – ich SCHWÖRE dir, dass ich niemals verlassen werde.“, versprach ich.

Er sagte nichts mehr, was ich als stumme Zustimmung interpretierte. Ich hielt Andrew eine Weile fest in den Armen, während ich die Oberfläche des Sees erblicken konnte. Ich war zwar immer noch im Wasser, doch irgendwann würde ich in der Lage sein, wieder aufzutauchen. Nein! WIR BEIDE würden irgendwann in der Lage sein, wieder aufzutauchen!

„Ich liebe dich.“

Er sagte nichts.

Fast wurde er nicht mehr von Schluchzern geschüttelt. Aber ich wusste, dass noch Tränen flossen.

„Ach, und Andy?“

„Ja?“, wisperte er.

„Ich verspreche dir, dass dieses Jahr ein gutes Jahr werden wird.“

Nun endlich erwiderte er meine Umarmung.

Ein Werwolf kommt selten allein





Bellas POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




Wer hätte je ahnen können, wie schlecht es meinem Bruder wirklich geht. Immer wenn er von seiner Vergangenheit erzählte, hatte sich das zwar auch traurig angehört, aber nicht so dramatisch. Er neigt wahrscheinlich genau wich ich dazu, die Sachen herunterzuspielen, damit sich andere keine Sorgen machen sollten. Und was dabei heraus kommen kann, das haben wir ja gesehen. Ich war total geschockt von seinen Worten. Doch noch mehr hatte mich seine Wut, seine Trauer und sein Schmerz entsetzt. Ich konnte ihn verstehen. Und auch wieder nicht. Es ist wirklich alles ziemlich kompliziert.

Auch Edward war fassungslos über den Neubeginn des Jahres und sprach kaum ein Wort. Er war blasser als sonst und seine Augen schienen tot zu sein. Doch dahinter konnte ich so viel Leid und Trauer erkennen. Diese Gefühle spiegelten meine eigenen wider. Nach Andys Gefühlsexplosion war er so erschöpft gewesen, dass er nach einer Weile in den Armen von Elli fast schlief. Es musste alles wirklich an seinen Kräften gezerrt haben.

Mein armer großer Bruder.

Seine Augen fielen ihm immer wieder zu und er schien gar nicht mehr richtig mitzubekommen, dass Elli ihn auf ihre Arme hob und ins Bett trug. Edward schien mich regelrecht umklammern zu wollen. Doch er hielt nur meine Hand, als wir den beiden die Treppe hinauf folgten. Elli legte Andy aufs Bett – seine Augen waren geschlossen und er atmete gleichmäßig – und deckte ihn zu. Sie fuhr ihm liebevoll durch sein langes Haar und betrachtete ihn mit einem wehmütigen Blick. Ich ging mit Edward zu seinem Bett und wir legten uns beide zusammen hin. Ich kuschelte mich in seine Arme und legte den Kopf auf seine Brust, atmete seinen Duft ein.

Auch er fuhr mit seinen kühlen Fingern durch mein Haar, was eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. So fiel es mit etwas leichter, das eben Geschehene besser zu verarbeiten. Mal streichelte er meine Wange, mal berührten seine Lippen mein Haar. Keiner von uns sagte etwas. Ich hörte ein Rascheln und wusste, dass Andy jetzt in den Armen von Elizabeth lag. Die Stille war erdrückend und angenehm zugleich. Keiner von uns wollte sie mit irgendeinem Gerede durchbrechen. So lagen wir eine lange Zeit da und hingen jeweils unseren Gedanken nach.

Warum hatte mir das Andy nicht schon alles fiel früher erzählt? Warum hatte er alles in sich hinein gefressen? Ich konnte ja ein bisschen verstehen, wenn er sie Elli gegenüber nicht öffnen wollte oder konnte. Aber warum hat er MIR nichts gesagt? Ich bin doch seine Schwester. Seine Zwillingsschwester. Die Schwester, die er seit Jahren vermisst und die er um jeden Preis wiederfinden wollte. Wir gehörten zusammen. Bildeten eine Einheit. Wir waren miteinander verbunden und er konnte sich mir nicht offenbaren? Warum nicht? Dachte er, dass unsere Beziehung dafür noch nicht tief genug war, weil ich 11 Jahre lang verschwunden war und ich seine Existenz einfach vergessen hatte? Ich wusste es nicht. Aber eine andere Erklärung fand ich dafür nicht. Ich grübelte noch lange über Andys Worte nach und schlief mit dem Wunsch ein, dass er mit mir doch reden sollte. Ich spürte Edwards Gegenwart im Schlaf und spürte immer noch seine Finger in meinem Haar, bevor ich in den Tiefschlaf sank. Ich hatte eigentlich keinen richtigen Traum gehabt. Es war nur eine Szene gewesen.


Es war sehr windig und es schneite.
Die Umgebung kannte ich nicht. Es sah aus, als...? Ja, es sah so aus, als würde man sich in einem Gebirge befinden.
Dann sah ich Edward.
Erst nur seinen Rücken, dann drehte er sich zu mir um. Seine Haut war kaum vom Schnee zu unterscheiden und seine goldenen Augen hoben sich besonders ab. Er lächelte mich warm an und sagte nur einen Satz.

„Sei die Stimme, die mich leitet.“

Er schaute mich bittend und flehend an, aber sein Lächeln verschwand nicht.

Dann endete der Traum, oder die Szene.


Ich schlug die Augen auf und fragte mich, was dieser Traum zu bedeuten hatte. War das etwas, was er in der Zukunft zu mir sagen würde? Oder war dieser Traum eher als Hinweis zu interpretieren? Aber ein Hinweis worauf? Ich wusste es noch nicht, aber ich schwor mir, es herauszufinden.

Ich lag immer noch auf seiner Brust und in seinen Armen. Langsam hob ich den Kopf und sah ihm ins Gesicht. Er sah so ruhig und entspannt aus. Sein Mund war leicht geöffnet und er atmete ruhig und gleichmäßig. Ich konnte einfach nicht anders. Seine Lippen bettelten geradezu um einen Kuss. Ich legte meine Hände auf seine Brust, drückte mich so etwas nach oben, bis ich seine Lippen erreichen konnte. Ich drückte sie sanft auf seine und küsste sie, liebkoste sie mit meiner Zunge.

In den ersten Sekunden geschah nichts und seine Lippen blieben ruhig, dann spürte ich kalte Arme um meinen Rücken und merkte, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen und er den Kuss sanft erwiderte. Sein Atem strömte in meinem Mund und ich schmeckte seine Zunge, die sanft und verlangend zugleich meine eigene liebkoste. Es war ein herrliches Gefühl seine Lippen auf meine zu spüren. Doch irgendwann konnte ich nicht mehr, fuhr ein letztes Mal mit meiner Zunge über seine Lippen, die fantastisch schmeckten, und löste mich von seinem Mund. Ich keuchte etwas und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Dieser Mann brachte mich mit einem einzigen Kuss schon um den Verstand. Das sollte verboten werden. Ich öffnete meine Augen und sah seine glühenden eigentlich schon sehr schwarze Augen und ein spitzbübisches Grinsen.

„Womit habe ich es denn verdient so geweckt zu werden?“, fragte er neckend.

Ich lächelte.
„Naja, das war der Neujahrskuss. Ich wünsche dir ein frohes neues Jahr.“

Er nahm mein Gesicht in seine Hände.
„Das brauchst du mir nicht zu wünschen.“, sagte er und sah ein wenig selbstgefällig aus.

„Und warum nicht?“

„Weil ich das Glück doch schon in den Händen halte. Und das schon seit dem letzten Jahr.“, erklärte er und schaute mich liebevoll an.

Wenn er in dieser Stimmung war, dann brauchte ich mir wohl keine Sorgen wegen seiner Ernährung zu machen. Manchmal fragte ich mich, wann und wo er Blut zu sich nahm.

„Ach, halt die Klappe und küss mich.“, sagte ich aus dem Bauch heraus.

Das ließ er sich nicht zweimal sagen und zog mein Gesicht zu seinem heran, um unsere Lippen wieder zu vereinen.

„Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr.“

Mir lag etwas auf der Zunge, doch ich sagte etwas anderes. Etwas, das viel Wichtiger war.

„Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“

„Wie geht es dir?“, fragte Edward plötzlich und sein Gesicht wurde ernst und besorgt.

Ich brauchte nicht lange, um zu verstehen, was er meinte.
„Naja…Ich war gestern einfach zu Tode erschrocken. Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, dass er so eine große Last in sich trägt. Jetzt bin ich schon mit ihm verbunden und habe das trotzdem nicht gewusst. Eine tolle Schwester bin ich.“, antwortete ich frustriert.

Er hob mit einem Daumen einer meiner Mundwinkel an.
„Du bist eine gute Schwester.“, erwiderte er ernst.

„Ja, das bist du.“, mischte sich Elli ein.

Sie saß kniend vor dem Bett, die Arme verschränkt auf der Decke und ihren Kopf darauf liegend.

„Wirklich?“, fragte ich und sah die beiden zweifelnd an.
„Warum habe ich nicht mal ansatzweise gespürt, wie schlimm es in ihm aussieht?“

Elli machte eine Handgeste, die mir sagen sollte, die Lautstärke etwas zu dämpfen.
„Etwas leiser bitte.“, fügte sie noch hinzu, um ihre Geste zu unterstreichen.

Mein Bruder schlief wohl noch.

„Weil er sich verbarrikadiert und eine Mauer um sich gebaut hat. Er war so viele Jahre allein, dass es ihm jetzt schwer fällt, sich zu öffnen. Kein Wunder, dass seine wahren Gefühle undurchdringbar sind, wenn er es nicht zulassen will. Da nützt auch meine Fähigkeit nichts. Der Schmerz muss ziemlich tief sitzen.“

„Ja, ich weiß. Aber warum konnte er es MIR nicht einmal erzählen!“, sagte ich aus meiner Verzweiflung heraus, erwartete aber keine Antwort darauf.

„Ich weiß es nicht. Aber jetzt, wo das Eis gebrochen ist, wird er sich nach gewisser Zeit wieder jemanden offenbaren können. Wir dürfen ihn einfach nicht zu sehr bedrängen. Er muss auf uns zu kommen, wenn er bereit dafür ist.“, stellte Elizabeth weiter klar und klang ein wenig bedauernd.

„Da magst du recht haben. Aber ich habe gestern fast einen Herzinfarkt bekommen, als er gestern…“ – Edward zögerte kurz – „…oder heute förmlich explodiert ist. Und dabei war ich nicht einmal derjenige, den er angeschrien hat. Auch ich hätte nie erwartet, dass er so viel Leid in sich trägt. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich in diesem Moment ganz froh darüber, nicht seine Gedanken hören zu müssen. Sonst hätte ich das wohl nicht ertragen können.“

Überrascht sah ich ihn an.
„Das ist ja mal was ganz Neues.“

Er lächelte mich kurz an, überging meine Bemerkung jedoch.

„Was?“, flüsterte Edward unvermittelt und sah seine Schwester fragend an.

Sie zuckte die Schultern.

„Könntet ihr mir mal bitte erklären, um was es geht?“, fragte ich schnippisch.

Ich fühlte mich ausgeschlossen und das mochte ich gar nicht.

„Ich habe gesehen, wie Andrew diesen Kugelschreiber so merkwürdig betrachtet hat, bevor er ihn mit nach vorne zur Kasse gebracht hat. Als wäre dieser Stift schon etwas Heiliges und ich habe mich gerade gefragt, was das wohl damit auf sich hat. Ich meine, es ist doch nur ein Stift.“

„Mag sein. Aber es wird bestimmt einen Grund geben, warum er ihn gekauft hat. Und ich denke, dass es nicht ratsam wäre, wenn du ihn gleich mit deiner Neugier überfällst. Du hast doch gerade gesagt, dass wir ihn nicht bedrängen sollten.“, antwortete ich Elli, während sie schmollte und ihre Unterlippe vorschob.

„Ich weiß. Aber ich würde es so gerne wissen.“
Es klang niedergeschlagen.

„Da bist du nicht die einzige.“, schlug sich Edward auf ihre Seite.

„Och.“, entfuhr es mir, legte die Hände auf seine Brust und richtete mich auf.
„Ihr seid unmöglich!“

„Bist du denn gar nicht neugierig?“, wollte Elli von mir wissen.

Ich biss mir auf die Lippe.
„Doch schon.“, nuschelte ich.

„Er wacht auf.“

Ich hörte ein Rascheln und schon richtete sich Andy im Bett halb auf, blickte verschlafen zu uns herüber und gähnte herzhaft, ohne die Hand vorzuhalten. Seine Haare sahen aus, als hätte er in eine Steckdose gefasst.

„Guten Morgen, Liebster. Gut geschlafen?“, begrüßte Elli ihn lächelnd.

Er riss die Augen auf und wirkte im nächsten Moment viel wacher.

„Ihr braucht gar nicht so zu gucken. Ich weiß, dass ihr über mich geredet habt. Ich bin doch nicht blöd.“

Darauf wusste keiner so recht etwas zu sagen.

„Ich möchte mich bei euch entschuldigen. Ich habe euch…mit…meinem Verhalten den Start ins neue Jahr verdorben. Ich wollte es nicht mit so einem Knaller beginnen. Es wird nicht wieder vorkommen.“, versprach reumütig.

Edward und Elizabeth seufzten genervt. Elli ging zu ihm und setzte sich auf sein Bett.

„Rede nicht so einen Unsinn! Du musst dich für nichts entschuldigen. Ich hoffe, dass du weißt – dass du WIRKLICH weißt, dass du uns alles sagen kannst. Dass du mir alles sagen kannst.“, betonte sie und nahm seine Hände in ihre.

Sie lächelte Andy an und er erwiderte es etwas. Dann beugte Elli sich zu ihm hin und gab ihm einen Kuss, den er noch schüchterner als sonst erwiderte.

„Ich weiß. Aber nicht heute, okay?“, bat er, nachdem der kurze Kuss beendet war.

„Okay.“, seufzte sie.

„Und bitte sagte keinem, was passiert ist.“

Andy sah uns der Reihe nach an und wir nickten alle drei. Andy war fast wieder so wie vorher. Ruhig und freundlich, wie immer. Es war, als hätten die letzten Tage gar nicht stattgefunden. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Er hatte bestimmt noch einiges zu sagen und dass er so ruhig reagierte, behagte mir irgendwie nicht. Ging es ihm wirklich schon wieder so gut? Oder wollte er einfach nicht, dass wir uns wieder Sorgen um ihn machten? Ich erkannte mich selbst in seiner Art wieder, wie so oft. Aber ich verstand nicht ganz. Also hieß das dann nicht auch, dass ich mich manchmal selber nicht verstand? Tja, ein Zwilling hat es auch nicht leicht.

Wir zogen uns alle an und gingen hinunter in die Küche. Renee hatte fast das Mittagessen fertig – es war 12.30 Uhr – und so setzten wir uns an den gedeckten Tisch. Phil und Renee fiel sofort auf, dass Andy gelöster erschien und ich war mir ziemlich sicher, dass sie glaubten, mit ihm wäre nun alles wieder in Ordnung. Doch das stimmte nicht. Seine Art hatte etwas…Unechtes, Falsches an sich.

„Ich hoffe ihr habt keine Dummheiten angestellt.“, sagte Renee mit gespielter Bedrohlichkeit.

„Wie meinst du das?“, fragte Andy und blickte genauso verwirrt wie ich.

Sie lächelte nur.
„Naja, ich wollte nur mal kurz nach euch sehen und da habe ich euch alle in einem Zimmer und jeweils zu zweit gesehen.“

Natürlich wurden Andy und ich knallrot.

„Mum!“, riefen wir beide entsetzt aus.

Renee lachte und alle stimmten ein, was uns noch röter werden ließ. Dann wurde Renees Blick wehmütig.

„Schade, dass ihr uns schon übermorgen wieder verlassen müsst.“

„Was? Wieso?“, kam es von Andy und mir.

Edward lachte leise.
„Naja, die Schule.“, erinnerte er uns.

Schule.

An so etwas Normales hatte ich gar nicht mehr gedacht. In letzter Zeit ist einfach so viel passiert. Die Sache gestern, mein…Geschenk, die Sache mit Logan und mit Sams Vater. Ich hatte ganz vergessen, dass es auch so etwas wie Normalität in meinem Leben gab.

„Oh.“

„Ja, oh. Und außerdem müsst ihr alle den Stoff nachholen, da ihr eure Ferien ja früher begonnen habt.“, sagte sie streng. Aber es klang nicht so.

Da hatte sie wohl recht.

„Wie macht ihr das überhaupt? Wechselt ihr immer die Welt und somit auch die Schule? Ich meine, ihr müsst euch schon für eine entscheiden, sonst bekommt ihr ja nie einen richtigen Abschluss.“, wandte Phil ein.

Da hatte er wohl recht.

Langsam fragte ich mich wirklich, wie wir jemals einen ordentlichen Abschluss schaffen sollten, wenn wir so oft fehlten.

„Okay. Wir bleiben einfach in diesem Forks hier unseren Abschluss.“, sagte Andy entschieden, wandte sich dann etwas besorgt und unsicher Elli zu.
„Das hießt, wenn das dir recht ist.“, lenkte er ein.

„Solange ich bei dir sein kann, ist mir alles recht.“, erwiderte sie nur und strahlte ihn an.

„Oh…“, machte Renee und Edwards Augen weiteten sich daraufhin.

Bestimmt als eine Reaktion auf Renees Gedanken. Gott war ich froh, dass meine Gedanken ihm verborgen blieben.

„Dann ist das ja geklärt. Da ihr ja übermorgen wieder geht, sollten wir heute noch den restlichen Tag nutzen.“, schlug Phil munter vor und wir stimmten alle zu.

Wir verbrachten noch einen wunderschönen letzten Tag, indem wir uns in der Stadt einiges ansahen. Eine Besichtigungstour durch eine Art Schloss aus dem 13. Jahrhundert, eine Ausstellung über die Unterwasserwelt und dann gingen wir noch ins Kino. Es war ein Liebesfilm namens David & Layla. Naja etwas zu schnulzig für meinen Geschmack aber ich hielt bis zum Ende durch.

Nächsten Tag am späten Vormittag fuhren uns Renee und Phil zum Flughafen, nachdem es Edward doch tatsächlich gelungen war, einen Flug nach Seattle zu organisieren. Wenn man Geld hatte, war wohl alles möglich. Zum Abschied reichte Renee uns die Weihnachtsfotos, die wir vor kurzem abgeholt hatten. Andy nahm sie dankbar an sich und dann umarmten wir uns alle zum Abschied, wie man das aus Filmen eben kennt. Es war nicht ganz leicht, meine Mutter wieder gehen zu lassen, aber meinem Bruder schien es noch schwerer zu fallen als mir. Er hatte zu ihr in der kurzen Zeit eine sehr tiefe und innige Mutter-Sohn-Beziehung aufgebaut, dass er sie schon als seine richtige Mutter war. Er hatte sogar Tränen in den Augen, als er sich dann doch von ihr lösen musste. Gott, war das süß.

Wir hatten natürlich Plätze in der ersten Klasse – was sonst – und Elli und Andy saßen gleich hinter uns. Während des Fluges sprachen wir kaum miteinander. Manchmal gähnte ich und schlief auch bald ein, während kühle Arme um meinen Körper geschlungen waren.

Als wir schließlich in Seattle ankamen, dachte ich, wir würden uns ein Taxi nehmen, doch wir wurden schon sehnsüchtig von jemandem erwartet. Er blickte etwas mürrisch drein, als er uns vier auf sich zukommen sah. Es war Charlie. Der Charlie, der mein Zombie-Zustand mit ansehen musste. Hatte Edward ihn angerufen? Wieso? War er lebensmüde geworden? Charlie hatte sich wieder gefasst und lächelte mich und Andy an.

„Hallo ihr zwei. Ich habe euch ganz schön vermisst. Ihr wart ja lange weg.“, begrüßte er uns und nahm uns zwei jeweils in seine Arme.

Dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst, aber immer noch freundlich.

„Hallo Elizabeth, es freut mich, dich wieder zu sehen.“

„Mich ebenso.“, entgegnete sie und lächelte ihn an.

Dann wandte sich Charlie zu Edward und sein Gesichtsausdruck wurde hart und seine Stimme eiskalt und reserviert.

„Edward.“, knurrte er und nickte ihm zu.

Charlie war nicht gut auf Edward zu sprechen, da ich ja zum Zombie mutiert worden war, als er mich verlassen hatte. Als ich in der anderen Welt „nicht ansprechbar“ und leer gewesen war, hatte Charlie Elizabeth kennen gelernt und erfahren, wer sie ist. Das hatte Charlie natürlich absolut nicht gefallen. Und als er dann auch noch erfahren hatte, dass ich mit Edward, meinem Edward, wieder zusammen war, war er laut Andy explodiert. Er hatte laut gebrüllt, dass das nicht so gehen kann und dass er mich einfach hat hängen lassen und dass er es nicht fassen kann, dass Andy das so einfach duldet. Dann hatte er verlangt, mit Edward zu sprechen und so hatte er wohl auch eine fette Standpauke erhalten. Andy sagte, er war überrascht, dass weder Fäuste noch Bleikugeln zum Einsatz kamen. Edward hatte alles stumm über sich ergehen lassen und Charlie recht gegeben. Edward hatte Charlie zwar geschworen, dass er mich nie wieder verletzen geschweige denn verlassen würde, doch Charlie hatte ihm wohl kein Wort geglaubt.

Wenn ich jetzt sein Gesichtsausdruck richtig deutete, glaubte er ihm wohl immer noch nicht. Dann fiel sein Blick auf Edwards und meine Hand, die er hielt. Nein! Charlie hatte den Verlobungsring gesehen. Jetzt war ich erledigt und Charlie würde spätestens jetzt die Pistole auf Edwards richten. Ich betete, dass dieser Moment schnell vorbei gehen möge. Sein Blick lag mit großen Augen und entsetztem Gesicht auf dem Ring. Verdammt! Warum hatte ich ihn nicht abgenommen? Er blickte dann erschrocken zu mir, dann zu Edward. Dann wurde sein Gesicht so rot und voller Wut, dass ich mir jetzt wünschte, mich verkriechen zu können.

„DU BIST SCHWANGER VON DIESEM KERL UND JETZT HEIRATEST DU DEN AUCH NOCH?!“, brüllte Charlie mich an und schaute dann mit blitzenden Augen zu Edward.

Das hatte ich befürchtet. Charlie machte hier auf dem Flughafen von Seattle eine Szene und alle umstehenden Menschen drehten sich neugierig, verwirrt und erschrocken zu uns herum. Das war ja eine tolle Idee von dir. Danke, Edward! Ich wurde sehr nervös und glühte vor Scham.

„Nein. Ich bin nicht schwanger.“, entgegnete ich energisch.

Erstaunlich, dass ich überhaupt meine Stimme wiedergefunden hatte. Ich merkte, wie wir immer noch beobachtet wurden, doch die meisten Leute gingen wieder weiter. Charlies Gesicht entspannte sich wieder, verlor an Farbe und die Ader an seiner Schläfe hörte langsam auf zu pochen. Er atmete ein paar Mal tief durch.

„Wann?“, fragte er immer noch etwas ärgerlich, aber wieder in normaler Lautstärke.

Ich schluckte.
„Am Weihnachtsmorgen.“, antwortete ich.

Er blickte kurz zu Edward und sah ihn mit einem verächtlichen Blick an. Charlie atmete wieder ein paar Mal tief durch. Eine Weile war es still und niemand wagte es, sie zu unterbrechen. Außer Edward.

„Charlie. Ich liebe Bella mehr, als alles andere auf der Welt und ich wäre stolz, ihr Ehemann sein zu dürfen. Ich schwöre dir, dass ich immer auf sie aufpassen werde. Und ich werde sie glücklich machen. Ich hoffe, dass du auf diese Weise erkennen kannst, wie wichtig Bella für mich ist. Eigentlich war das nicht richtig von mir. Ich hätte dich um die Hand deiner Tochter bitten müssen, aber da Bella bereits Ja gesagt hat, frage ich dich hiermit: ‚Gibst du uns deinen Segen?‘“

Mir klappte der Mund auf und ich konnte ihn nur verblüfft anstarren. Er sagte es so ruhig, so sicher. Auch Charlie war für einen Moment sprachlos, sodass jegliche Wut aus seinem Gesicht verschwand. Er blinzelte, um wieder zu sich zu kommen. Er wirkte etwas nervös und unsicher, als wüsste er nicht, wie er jetzt darauf reagieren sollte. Dann sah er mich mit einem ernsten Blick an.

„Bist du dir auch WIRKLICH sicher?“

Ich drückte Edwards Hand.
„Was Edward betrifft, bin ich mir sicher.“, sagte ich selbstbewusst.

Charlies Blick veränderte sich. Er schien angestrengt über etwas nachzudenken. Dann hellte sich sein Gesicht kurz auf, doch dann verfinsterte sich wieder seine Miene und seufzte. Sein Gesichtsausdruck wirkte…ergeben.

„Okay. Wenn selbst Renee ihre Zustimmung für…diese Sache gegeben hat und du dir wirklich sicher bist, dann bin ich wohl auch einverstanden.“, sagte Charlie etwas maulend.

Ich lächelte ihn an und umarmte ihn voller Freude.

„Danke Dad.“

Jetzt war ich in gewisser Weise froh, diese Hürde hinter mich gebracht zu haben. Die Autofahrt nach Forks war sehr lang und relativ ruhig. Charlie wirkte immer noch leicht verärgert – wahrscheinlich wegen Renee –, aber ich merkte, dass er froh war, mich und Andy endlich wieder zu sehen. Ich seufzte. Er würde uns so sehr vermissen, wenn wir Vampire sein würden. Er tat mir leid. Auch Renee und Phil taten mir leid. Aber ich wollte nun mal Edward. Daher ist die Verwandlung eine Notwendigkeit. Wir unterhielten uns über die verbrachte Zeit in Jacksonville. Doch von Silvester oder meiner Misshandlung erzählten wir kein einziges Wort. Charlie würde sich nur wieder aufregen und noch mehr Sorgen machen. Als wir zuhause ankamen, war es schon spät.

Wir verabschiedeten uns von Edward und Elizabeth, die erstaunlicherweise noch von Charlie heimgebracht wurden. Ich hätte mein ganzes Geld darauf verwettet, dass Charlie auf die beiden, besonders auf Edward nochmal einredete. Aber was soll’s. Er machte sich ja nur Sorgen und wollte das Beste für uns.

Die folgenden Schultage waren schwer für mich. Es war…so ungewohnt. Aber ich schaffte es irgendwie mich in den Alltag wieder hineinzufinden und den verpassten Stoff nachzuholen. Aber das schlechte war, dass ich auch viel lernen musste da ich so einige Arbeiten und Klausuren verpasst hatte. Ich war erstaunt, dass das alles überhaupt möglich war, weil ich in dieser Schule wochenlang gefehlt hatte. Die Ausrede von uns beiden war eine schlimme Seuche und die Lehrer glaubten das schließlich auch. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass ein gewisser Mr. Cullen beziehungsweise eine gewisse Ms. Cullen dafür verantwortlich war. Erst wollte ich mit Edward ein ernstes Wörtchen darüber reden, aber dann dachte ich, dass es in diesem Fall in Ordnung war. Das war aber eine Ausnahme.

Die Tage flogen so dahin und es fiel mir nicht leicht, mich nicht von Edward ablenken zu lassen. Ich hatte einfach zu viel zu tun. Aber dank Edward, der mir hilfreich zur Seite stand, schaffte ich das alles irgendwie. Ich fragte mich wirklich, wie. Andy erging es nicht anders. Aber der hatte ja zum Glück auch Hilfe von Edward und von Elli.

Am Samstag, den 14. Januar, als wir beschlossen nach langem Lernen eine Pause zu machen, machte Andy einen Vorschlag.

„Los Leute. Heute ist Jakes Geburtstag. Und ich habe ihm vor langer Zeit versprochen, dass ich komme.“

Elli und Edward sahen ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Ich wusste nicht mal, wann Jacob Geburtstag hatte.

„Aber er kennt dich doch gar nicht. Jedenfalls hast du ihn noch nie getroffen.“, warf ich ein.

„Doch nicht diesen hier. Den anderen drüben.“

Ein lautes Knurren war zu hören. Edward und Elli sahen so wütend aus, dass man Angst bekommen konnte.

„Nein.“, knurrten beide.

„Ach, kommt schon. Jacob würde uns nie was tun. Wir haben auch Zeit mit ihm verbracht bevor wir mit euch zwei in Kontakt gekommen sind.“, versuchte Andy sie zu überzeugen.

„Trotzdem. Das gefällt mir nicht.“, beharrte Elli.

„Da bin ich ihrer Meinung.“, sagte Edward.

Plötzlich trat ein schalkhafter, hämischer und wissender Ausdruck in Andys Gesicht und es blitzte in seinen Augen. Er deutete mit dem Zeigefinger auf Edward.

„Oh mein Gott.“, sagte er überrascht und grinste.
„Du bist eifersüchtig.“

Ich sah zu Edward, der seine Augen zu Schlitzen verengt hatte und verbissen aussah. Dann sah ich zu Elizabeth. Was in ihr vorging, konnte ich nicht sagen. Sie sah so gelassen aus. Als hatte sie diese Theorie schon viel eher gehabt und es sie nun nicht sonderlich interessieren würde. Ich wandte mich meinem Bruder zu.

„Was? Warum sollte Edward denn eifersüchtig sein?“, fragte ich, obwohl ich eine Ahnung hatte.

Er hob eine Augenbraue und sah mich zweifelnd an.
„Na weil ich glaube, - nein ich bin mir sicher –, dass Jacob auf dich steht.“

Was hatte er gerade gesagt? Jacob soll etwas für mich empfinden? Nein. Das kann nicht sein! Unmöglich! Und selbst wenn das stimmen mag, ist das nicht von Bedeutung. Ich empfinde nicht das für ihn, was er für mich empfindet. So einfach ist das.

„Hört zu. Selbst wenn du recht haben solltest, ändert das doch überhaupt nichts. Ich liebe nur dich.“, betonte ich und sah dabei Edward an, der sich etwas entspannte und mich leicht anlächelte.
„Du hast also gar keinen Grund eifersüchtig zu sein.“, fügte ich ernst hinzu.

Aber irgendwo war das schon süß, wenn ich ehrlich war. Dies sagte ich jedoch nicht.

„Also spricht doch nichts dagegen, wenn wir zu Jakes Geburtstagsparty gehen. Ich weiß, dass er uns nichts tun wird. Nein. Ich garantiere es euch.“, beteuerte ich und sah Edward und Elizabeth mit einem flehenden und ernsten Blick an.

„Bella hat recht. Lasst uns doch gehen. Wir nehmen auch unsere Handys mit, damit wir in Kontakt bleiben können.“

Edward und Elizabeth sahen angespannt und ziemlich misstrauisch aus. Dann tauschten die beiden einen langen Blick aus. Eher führten sie wohl eine stumme Diskussion. Elizabeths Gesichtsausdruck wurde wieder sanfter und schaute Edward bittend und irgendwie warnend an. Er sah zuerst immer noch ziemlich wütend aus, doch dann seufzte er und nickte seiner Schwester zu. Er schloss die Augen und rieb sich mit einer Hand die Schläfe.

Nachdem er die Augen wieder geöffnet hatte, sagte er zu meiner Überraschung: „Gut. Ihr dürft gehen. Aber ihr nehmt uns erst mal wieder mit ins andere Forks. Und sobald auch nur das Geringste passiert, ruft ihr sofort an, verstanden?“

Er sah uns zornig an und knurrte diese Worte fast, als hätte er sie am liebsten gar nicht aussprechen wollen. Er klang sehr mürrisch und widerstrebend, erlaubte es jedoch. Elli musste gute Überzeugungsarbeit geleistet haben. Ich merkte, wie ich mich auf Jacob freute. Und genau das machte mir etwas Angst, weil das Edward alles andere als gefiel. Wir räumten unsere Schulsachen weg und stellten uns dann in einem Kreis auf, um den Übergang vorzubereiten. Wir nahmen uns an den Händen und Andy und ich schlossen die Augen und konzentrierten uns.


(Paralleluniversum)




Einen Moment später, waren wir in der Küche vom anderen Forks. Charlie war auch hier nicht da. Er war wie immer arbeiten. Andy rief Jacob an und kündigte unser Kommen an, während Edward und Elizabeth mit den Zähnen knirschten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass Edward Jacob am liebsten umbringen würde. Doch das würde er natürlich nie tun. Außerdem würde Sarah ihren einzigen Mann in der Familie verlieren – Charlie zählte ja noch nicht offiziell dazu – und das wäre doch nicht sehr schön. Ich kannte Jacob zwar noch nicht allzu lange. Aber dennoch war er für mich eine wichtige Person in meinem Leben geworden. Ja, ich würde ihn als meinen Freund bezeichnen. Jacob jedoch meinen besten Freund zu nennen, wäre aber noch zu früh.

Elizabeth sah etwas angespannt, aber verständnisvoll und ergeben aus, während Edward mit blitzenden und schmalen Augen zum Telefon starrte. Andy sagte uns, er freue sich riesig auf uns. Besonders freute er sich, mich wiederzusehen. Das hätte er lieber nicht sagen sollen, denn daraufhin verfinsterte sich Edwards Miene nur noch mehr. Wir fuhren mit meinem – nein, Andys – Transporter nach La Push, nachdem wir uns verabschiedet hatten und Edward mich so wild und stürmisch geküsst hatte, bis mir schwindelig geworden war. Dieser Kuss war erst sanft, dann wurde er immer heftiger. Zum Ende hin, lagen seine Lippen sehr hart auf meinen und der Kuss wirkte sehr besitzergreifend. Auch hatte er mich fester als sonst umarmt, sodass ich schon fast etwas gesagt hätte. Man konnte ihm nur zu deutlich ansehen, dass er mich sehr ungern ziehen ließ. Auch Elizabeth schien es ähnlich mit Andy zu gehen. Dann waren sie im Wald verschwunden, aber ich wusste, dass sie uns heimlich bis zur Grenze begleiten würden.

Andy und ich fuhren schließlich gemeinsam nach La Push. Als wir die ersten Häuser hinter uns gelassen haben, sagte Andy plötzlich aus heiterem Himmel: „Tut mir leid, Bella. Aber ich kann nicht mitkommen.“

Ich warf ihm einen verwirrten Seitenblick zu. Er sah nachdenklich und nervös aus.

„Was? Wieso denn nicht?“

„Ich hinterlasse dir eine Nachricht zuhause.“, erwiderte er und schon im nächsten Moment war der Beifahrersitz leer.

Was war denn jetzt mit Andy los? Ich wusste ja, das noch was kommen würde. Mein erster Impuls war anzuhalten und sofort Elli beziehungsweise Edward zu benachrichtigen. Doch dann sagte ich mir, dass er schon einen guten Grund für sein Verschwinden haben wird. Außerdem sagte er mir, dass zuhause eine Nachricht auf mich warten würde. Vielleicht stand darauf warum er wohin ging. Auch war er erwachsen und in der Lage auf sich aufzupassen, wenn er nicht gerade Vampiren in die Arme läuft. Ich schüttelte den Kopf, um diesen negativen Gedanken zu verscheuchen. Es wird ihm schon nichts passieren. Aber ein wenig Sorgen machte ich mir doch. Ich atmete tief durch und konzentrierte mich weiterhin auf die Fahrt.

Bald hatte ich das kleine Holzhaus der Blacks erreicht. Kaum war ich an der Tür angekommen, wurde ich auch schon herzlich von Sarah umarmt. Ich glaube, sie sah mich und Andy fast als ihre eigenen Kinder an, und dass, obwohl sie drei eigene hat.

„Ich freue mich so sehr, dich mal wieder zu sehen. Wo hast du denn deinen Bruder gelassen?“, rief sie überschwänglich.

„Er musste leider etwas wichtiges erledigen“, sagte ich.

Sarah entfuhr ein enttäuschtes „Oh!“.

Ich trat ein und sah einige bekannte und unbekannte Gesichter. Rachel und Rebecca waren da. Mir fiel sofort auf, dass Rebecca die Arme um einen gut aussehenden jungen Mann geschlungen hatte. Jede Wette, dass dieser Mann der hawaiianische Surfer war, mit dem die andere Rebecca bereits verheiratet war. Quil, Embry und Sam waren ebenfalls da. Besonders Sam lächelte mich an. Neben Sam saß noch eine hübsche junge Frau mit langem glatten schwarzen Haaren und ebenso rostbrauner Haut, wie alle Bewohner La Puschs. Doch leider war ihr Gesicht zu einer grässlichen Maske verzerrt. Über die rechte Gesichtshälfte zogen sich drei lange Narben. Vom Haaransatz bis hin zum Kinn entstellten die verheilten, aber dennoch roten Narben ihr Gesicht. Ihr rechtes Auge war durch eine Narbe nach unten verzogen und eine andere verzerrte die rechte Seite ihres Mundes zu einer Grimasse. Ihre linke Gesichtshälfte lächelte mich an. Ich brauchte einige Sekunden, um ihr Lächeln zu erwidern und schaute schnell woanders hin, weil es sich einfach nicht gehörte, sie so anzustarren. Ob das das Werk eines Werwolfs gewesen war? Es war nur eine Vermutung. Aber immerhin war es möglich.

Im Wohnzimmer waren noch zwei sehr muskulöse Jungs, die ebenfalls kurze schwarze Haare hatten. Sie gehörten mit Sicherheit auch zum Rudel. Der eine der beiden hatte die Arme um Rachel geschlungen. Dann war da noch ein dritter unbekannter Junge. Er sah dünn und schlaksig aus und wirkte daher nicht so männlich wie die anderen. Ich konnte nicht sagen, ob er auch ein Teil des Rudels war, oder nicht. Und natürlich war da noch Jacob, das Geburtstagskind. Auch er schien jetzt vergeben zu sein. Er hielt die Hand eines Mädchens, das wie er rostbraune Haut hatte und schwarzes Haar, das bis zum Nacken ging. Sie sah sehr muskulös aus für eine Frau. Ich betrachtete sie genauer.

Konnte es womöglich sein, dass…? Nein, unmöglich! Aber, was wenn doch? Was, wenn Jacobs Freundin auch ein…ein Werwolf ist? Ein weiblicher Werwolf!? Naja, gleiches Recht für alle, oder? Aber etwas merkwürdig war der Gedanke schon. Ich versuchte mir die beiden zusammen als Werwölfe vorzustellen, jedoch gelang mir das nicht. Wenigstens musste sich Edward um Jacob jetzt keine Sorgen mehr machen. Das war das Gute daran.

Auch die anderen begrüßten mich freundlich und die mir Unbekannten stellten sich schließlich vor. Ich brauchte das nicht, da sie mich schon zu kennen schienen. Rebeccas zukünftiger Mann hieß Solomon Finau. Rachels Freund war Paul Lahote. Der andere Junge neben ihm war Jared Cameron und der schmächtige Junge trug den Namen Seth Clearwater. Es stellte sich heraus, dass er der jüngere Bruder von Jacobs Freundin war, die sich als Leah vorstellte. Sams wunderschöne Freundin, die ebenfalls einen Ring wie ich am Finger trug, stellte sich als Emily Young vor. Ich versuchte mich auf ihre linke Gesichtshälfte zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war. Ich gab ihnen die Hand oder umarmte sie zu Begrüßung. Natürlich blieb dabei auch mein Ring nicht unbemerkt.

„Oh!“, rief Emily überrascht und ihre linke Gesichtshälfte verzog sich zu einem Lächeln.
„Wer ist denn der glückliche?“, fragte sie.

Alle starrten mich an und ich wurde knallrot.
„Edward Cullen.“, wollte ich antworten, überlegte es mir dann doch anders.

Werwölfe und Vampire waren nicht gerade die engsten Freunde. Eher waren sie miteinander verfeindet. Auch, wenn ich das völlig albern fand, da die Cullens ja keine normalen Vampire waren. Aber meine Meinung tat hier leider nichts zur Sache. Was für eine Reaktion würde ich bei den Werwölfen in diesem Raum hervorrufen, wenn ich ihnen sagen würde, dass ich ein Vampir heiraten werde? Dann wüssten sie, dass er mich verwandeln würde. Er würde mich beißen. Ich wusste nicht, ob so etwas gegen diesen Vertrag verstoßen würde. Aber ich war nicht unbedingt begierig darauf, es herauszufinden. Wenn sie wüssten, dass Edward mein Mann wird und ich somit zum Vampir, dann würde ich vielleicht damit einen Kampf auslösen. Und das war das letzte, was ich wollte. Vielleicht sollten wir, wenn dieser Tag kam, Forks einfach verlassen und irgendwo anders hingehen, um Blutvergießen zu vermeiden.

„Ein sehr netter Mann.“, sagte ich ausweichend und versuchte ein echtes Lächeln.

„Ah.“, hauchte Emily nur und ihr Lächeln verschwand etwas.

Alle anderen im Raum schienen auch etwas zu ahnen und sahen für einen kurzen Moment verärgert aus. Nur Sarah, Rebecca und ihr Mann sahen weiterhin glücklich aus. Jetzt hatte ich wenigstens eine Bestätigung. Alle anderen, auch die Frauen und dieser schmächtige Junge Seth wussten über die Cullens und mich – und Andy – bescheid. Ich glaubte nun doch, dass auch Seth zum Rudel gehörte, auch wenn er sich äußerlich von den anderen unterschied. Nach Emilys Frage, bekam ich von allen Glückwünsche, auch wenn es von den Rudel-Mitgliedern nicht besonders überzeugend rüber kam.

Das Händeschütteln und Umarmen ging weiter und als ich zum Schluss Leah begrüßte und nun freundschaftlich Jacob zum Geburtstag gratulierte, der mich mit einer Mischung aus Freude und Ärger betrachtete, umarmte ich ihn. Und zu meinem Entsetzen, fühlte es sich genauso an, wie beim aller ersten Mal.

Ich spürte die bedrohliche Hitze in meinem Inneren. Das Feuer, das mich zu verbrennen versuchte. Ich fühlte mich eingeengt und Panik kroch langsam und allmählich in mir hoch. Dann wieder die Erinnerungsbilder. Joshua Uely, der mich mit seinen erhitzten Armen umklammerte, damit ich nicht fliehen konnte. Meine verzweifelten Schreie. Die Hitze, die immer unerträglicher wurde. Ich konnte die Flammen auf meiner Haut ganz genau fühlen.

Ich wollte mich schon verzweifelt und panisch aus seiner Umarmung lösen, als ich eine Vision empfing.


Es war Tag und sehr bewölkt. Ich sah eine Lichtung und wusste, dass dies die Baseball-Lichtung war. Es war die Lichtung, auf der ich zum ersten Mal auf Victoria, James und Laurent gestoßen war. Doch da waren viele, viele Menschen. Alle ungefähr in meinem Alter. Doch sie waren sehr blass.

Halt.

Es waren keine Menschen.

Es waren Vampire.

Sie hatten alle blutrote Augen und sahen bösartig aus. Fast so, als würden sie auf einem Kampf warten. An der Spitze sah ich eine rothaarige Vampirfrau. Victoria. Sie lag in den Armen einen großen blonden Jungen, der ebenfalls rote Augen hatte, wie alle anderen. Wie Victoria. Beide knurrten angriffslustig und Victoria leckte sich über ihre Lippen. Dann löste sie sich aus den Armen des Jungen und rannte auf mich zu.


Ich schrie auf und löste mich so schnell es ging von Jacob, der mich fragend, dann bestürzt ansah. Ich fragte mich, was in meinem Gesicht zu lesen war. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Verdammt! Warum war Andy jetzt nicht hier?

„Ich gehe mal raus, um frische Luft zu schnappen.“, sagte ich tonlos und verließ so würdevoll wie möglich das Haus.

Jacob verstand den Wink und kurze Zeit später, war er bei mir.

„Bella, was ist los?“, fragte er besorgt mit leichter Panik in der Stimme.

Ich brauchte einige Zeit, bevor ich ihm antworten konnte. Ich musste erst ein paar Mal tief durch atmen. Meine Lungen mit der frischen Luft füllen, da ich sonst zu ersticken drohte.

„Ich habe in einer Vision Victoria mit ihrer Armee von Vampiren gesehen. Sie hatten alle rote Augen und machten sich für einen Kampf bereit.“

Jacob hob fragend eine Augenbraue.
„Wer ist Victoria?“

Richtig, er kannte Victoria ja gar nicht.

„Victoria ist ein Vampir aus der anderen Welt, die mich töten will, weil Edward ihren Gefährten James getötet hat. Und nun soll ich, Edwards Gefährtin, sterben, damit er so leiden soll wie sie.“, erklärte ich.

Edward hatte mir das mal erzählt – wenn auch widerwillig – als ich mal auf das Thema Laurent zu sprechen kam, nachdem ich wieder geistig anwesend war. Mich hatte schon damals das Gefühl nicht losgelassen, dass Laurent nicht ohne Grund wieder in Forks aufgetaucht war. Es war natürlich schrecklich zu hören, dass sich mein Verdacht bestätigt hatte.

Jakobs Gesichtsausdruck war erst entsetzt, dann voller Wut und Zorn.
„WAS?!“, entfuhr es ihm etwas zu laut.

Seine zu Fäusten geballten Hände zitterten unkontrolliert und er versuchte sich krampfhaft wieder zu beruhigen. Er atmete ein paar Mal tief durch und sein Zittern legte sich allmählich wieder. Dann nuschelte er etwas. So schnell, dass ich es nicht verstand. Kurz darauf traten Leah, Seth, Sam, Quil, Embry, Paul und Jared aus dem Haus heraus und gingen auf uns zu. Ihre Mienen waren geschäftsmäßig. Hatte Jacob sie etwa gerufen? Warum?

„Nimm uns mit.“, befahl Jacob und sah mich mit einem funkelnden Blick an.

„Was? Wohin?“

Er seufzte genervt.
„Na, in die andere Welt. Du kannst das doch, oder? Außerdem hast du gesagt, dass es dort Doppelgänger von uns gibt. Naja, je mehr Werwölfe, desto besser. Schließlich müssen wir doch einige töten. Zwei Rudel für den Kampf ist besser als eines.“, erklärte er sehr ernst.

Erschrocken wirbelte ich herum und sah sie der Reihe nach an. Sie wussten es? Woher? Hatte Jacob es ihnen erzählt? Das hätte ich nie von ihm gedacht.

Doch dann fielen mir wieder die Worte ein, die Joshua Uely einst zu mir gesagt hatte: „Hat er dir das nie erzählt? Wenn wir in Wolfsgestalt sind, können wir die Gedanken der anderen hören. Naja, ich habe mich öfters im Gefängnis in einen Wolf verwandelt, ohne dass jemand etwas davon mitbekam, um auf dem Laufenden zu bleiben.“

Jacob musste wohl ungewollt mal daran gedacht haben. Naja, wer konnte es ihm verübeln? Ich wandte mich wieder Jacob zu.

„Wer sagt denn, dass die anderen mitkommen wollen?“

„Sie müssen. Ob sie wollen oder nicht. Ich bin hier der Anführer des Rudels und meine Befehle müssen befolgt werden.“, antwortete er.

„Oh.“, hauchte ich.

Jacob war der Anführer des Rudels? Aber er war doch nicht der Älteste. Spielte das Alter hierbei überhaupt eine Rolle? Wohl eher nicht.

„Na schön.“, gab ich kleinlaut nach.

Was hätte ich auch machen sollen, wenn man von so vielen Werwölfen bedrängt wurde.

„Bildet einen Kreis und fasst euch an den Händen.“, bat ich und alle taten wie geheißen.

Sie sagten nichts, sahen aber neugierig und gespannt aus. Jacob wollte mit mir den Kreis schließen, doch als er meine Hand nahm, spürte ich wieder diese unerträgliche Hitze und die schreckliche Angst. Ich zuckte zusammen und entzog mich seiner Hand. Ich verstand das nicht. Joshua Uely war tot. Er konnte mir nichts mehr antun. Warum war ich jetzt nicht in der Lage, Jacob zu berühren? Am Anfang erging es mir so und das leuchtete mir auch ein, da er verdrängte Erinnerungen in mir ausgelöst hatte, derer ich mir erst nicht bewusst war. Doch später hatte sich dieses Gefühl gelegt. Warum war es jetzt wieder da? So intensiv und schrecklich heiß, wie bei unserer ersten Umarmung? Ich fand leider keine Erklärung dafür. Warum reagierte ich so, obwohl der Grund für diese schrecklichen Erinnerungen längst nicht mehr existierte? War das so eine Art „Nachbeben“?

Jacob sah mich verwirrt an.

„Kann ich den Platz mit Jared tauschen?“, bat ich und versuchte ruhig zu klingen, meine Panik nicht nach außen dringen zu lassen.

Er tauschte mit mir ohne eine Erklärung zu verlangen. Jetzt kam dieses Gefühl nicht. Anscheinend ging es mir nur mit Jacob so? Ob es beim anderen Jacob wohl genauso sein würde. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Konzentrierte mich auf die andere Welt. Auf die anderen Blacks. Auf ihr Haus. Auf Billy.


(Reguläres Universum)




Ich schlug die Augen wieder auf und löste mich von den Händen. Auch alle anderen lösten den Kreis auf. Sie schauten alle verwirrt.

„Ist doch nichts passiert. Wir sind immer noch an derselben Stelle.“, meine Quil und sah maßlos enttäuscht aus.

Ich wusste es besser.
„Glaubst du!“, sagte ich trotzig und deutete auf die Haustür, die von Jacob geöffnet wurde.

Es war der Jacob, den ich kennen gelernt hatte. Ein großer, eher schlaksig wirkender Teenager mit langem schwarzem Haar, die offen an seinen Schultern herabfielen. Er blieb vor Schreck und Überraschung erstarrt stehen und starrte sich selbst mit großen Telleraugen an. Ja, das konnte man ihm wirklich nicht verdenken. Er sah sich immerhin selbst, nur eine gänzlich andere Person. Er blinzelte entgeistert und löste sich nach einer Weile aus seiner Starre. Auch die anderen sahen diesen Jacob entsetzt an.

Der kurzhaarige Jacob musterte sich selbst irgendwie fasziniert und vielleicht ein wenig wehmütig. Der schlaksige Jacob ging auf uns zu. Seine Augen fixierten die anderen – ebenfalls mit großen Augen und Verwirrung – dann fiel sein Blick kurz auf mich.

Nun standen sich beide Jacobs gegenüber.

Der eine verwirrt und entsetzt, der andere wissend, überrascht und leicht betrübt.

Sie sagten kein Wort, sondern sahen sich nur an.

Auch niemand andere durchbrach die Stille.

„Sehe ich mich gerade selbst?“, brachte der langhaarige Jacob leise und sehr unsicher heraus.

„Ja.“, antworte seine andere Version mit fester Stimme.

„Aber wie ist denn nur so was möglich?“, flüsterte er entsetzt und schaute einem nach dem anderen ins Gesicht.

„Jacob? Wer ist da?“, hörte ich Billys vertraute angenehme Stimme.

Alle blickten neugierig in die Richtung, aus der die Stimme kam und sahen dann erschrocken aus. Jacob drehte sich um und der kurzhaarige Jacob starrte an ihm vorbei, wollte unbedingt sehen, wer da denn gesprochen hatte. Billy kam mit seinem Rollstuhl zur offenem Tür und erstarrte mit großen Augen.

„Dad? Oh mein Gott!“, rief der kurzhaarige Jake erschüttert und betroffen und er sah aus, als würde er gleich zusammenbrechen und weinen.

Kein Wunder. SEIN Vater war ja tot.

„Wir haben Besuch von…mir?!“, beantwortete der langhaarige Jake die Antwort seines Vater und klang mehr als verwirrt.

Billy antwortete nicht. Er war noch immer zu erstarrt, um überhaupt einen Laut von sich geben zu können.

Plötzlich blinzelte der kurzhaarige Jacob und blickte tot ernst. Er packte sein anderes Ich an den Schultern und drehte ihn grob wieder zu ihm herum. Seine eigenen Augen sahen ihn erschrocken an.

„Hör zu, Jacob.“, begann der kurzhaarige zu erzählen.
„Die Kurzfassung. Es gibt eine Parallelwelt, in der es jede Person noch einmal gibt. Deswegen siehst du dir selbst ins Gesicht. Wir alle…“ – er machte eine Geste zu seinem Rudel und mir – „…kommen aus dieser Parallelwelt. Bella hat uns hierher gebracht. Wir sind gekommen, um euch zu warnen, um dich vorzubereiten, um dir zu helfen, um euch zu helfen.“

Der Jacob aus dieser Welt sah so aus, als würde er entweder kein Wort glauben oder verstehen.

„Jacob. Wir wissen, dass es hier in dieser Welt ein Vampir gibt, der Bella töten will.“

Der langhaarige Jacob stieß einen Schreckenslaut aus und hob die Augenbrauen. Der andere nickte.

„Ja. Die Legenden über die kalten Wesen sind wahr, Jacob. Der Vampir wird bald mit einer ganzen Armee aufkreuzen und alle Menschen, besonders Bella, werden in Gefahr sein.“

Als der kurzhaarige Jacob dies gesagt hatte, passierte alles so schnell, dass ich mir nachher nicht ganz sicher sein konnte. Der langhaarige Jacob sah sehr wütend aus und zitterte so heftig, so stark, dass sein ganzer Körper geschüttelt wurde.

„ZURÜCK!“, brüllte der andere Jake, ließ die Schultern seines Gegenübers los.

Alle anderen wichen zurück und Paul war plötzlich vor mir. Dennoch konnte ich erkennen, was da passierte. Doch was ich da sah, schockierte mich zutiefst.

Ich hörte ein Reißen und Jacob war verschwunden. An seiner Stelle war jetzt ein rostbrauner Wolf, der die Zähne bleckte und bedrohlich knurrte. Wieder ein Reißen und der kurzhaarige Jacob war ebenfalls verschwunden. Dort, wo er sich befunden hatte, war jetzt ebenfalls ein rostbrauner Wolf, der eine Verteidigungshaltung einzunehmen schien. Auch er knurrte und zeigte seine Zähne. Beide hatten also ihre Wolfsgestalt angenommen und für den langhaarigen Jacob war es mit Sicherheit das erste Mal gewesen.

„NEIN!“, hörte ich Billy verzweifelt brüllen, als der eine Wolf den Verteidiger angriff und versuchte seine Zähne in seinem Hals zu versenken.

Der kurzhaarige Jacob-Wolf wehrte sich, versuchte uns zu schützen und versuchte ebenso die Kehle des anderen Wolfes zu erwischen. Es war ein grauenhaftes Bild. Sie schnappten mit ihren messerscharfen Zähnen immer wieder nach dem anderen. Ich hörte immer wieder Billys verzweifeltes Brüllen, doch es entfernte sich von mir.

Ich empfand Sorge.
Sorge und Angst.

Angst um Jacob. Um den unschuldigen, langhaarigen Jacob. Um den Jacob, mit dem ich am Strand spazieren war und der mir die alten Geschichten einst erzählt hatte. Um den Jacob, der bestimmt nichts für seine Verwandlung konnte. Es bestimmt gar nicht wollte. War Wut der Auslöser dafür gewesen? Ich glaubte schon. Er wurde wütend, fing an zu zittern und schließlich war der menschliche Jacob verschwunden. Diese Verwandlung war nicht bewusst geschehen. Wie auch, wenn es höchst wahrscheinlich seine erste war. Der kurzhaarige Jacob-Wolf würde ihn umbringen. Das dürfte er nicht. Er konnte sich doch nicht selbst…? Der andere Jacob konnte nichts dafür. Er hatte es nicht verdient zu sterben.

„Nein!“, schrie ich so laut ich konnte, als ich meine Stimme wieder gefunden hatte.

Plötzlich flackerte meine Umgebung.

Nein, doch nicht jetzt.

Aber zu spät.


(Paralleluniversum)




Meine Umgebung verschwamm vor meinen Augen und schon im nächsten Moment war ich nicht mehr bei den Blacks und den zwei Werwölfen. Ich war in der anderen Welt in meinem Zimmer. Es dauerte eine Weile, bis ich das realisiert und mich mit tiefen und langen Atemzügen wieder beruhigt hatte. Manchmal war diese Fähigkeit wirklich lästig. Ich blickte mich um und sah auf meinem Schreibtisch einen Zettel liegen.

Der Zettel von Andy.

Ich rannte zum Tisch und nahm den Zettel in die Hand und las seine Nachricht.


Bella,
bitte versucht mir nicht zu folgen und sucht auch nicht nach mir. Ich habe etwas Wichtiges zu erledigen. Doch das muss ich unbedingt alleine tun. Macht euch keine Sorgen. Wenn ich zurückkomme, werde ich euch alles erzählen, versprochen.

Dein Bruder Andy


Schade, keine Erklärung. Aber das war jetzt im Moment nicht wichtig. Ich musste wieder zu Jacob. Ihm könnte etwas passiert sein. Ich schrieb schnell eine Antwort unter Andys Nachricht und legte den Zettel wieder auf den Schreibtisch.

Ich zückte mein Handy und wählte Edwards Nummer.

„Bella!?“, erklang Edwards panische Stimme.

Er wollte noch etwas sagen, doch ich schnitt ihm das Wort ab.

„Ich bin zuhause. Hol‘ mich sofort ab.“

Kurz war es still.

„Du bist zuhause? Was ist mit Andy?“, fragte er immer noch panisch.

„Der ist weg. Ich werde euch alles erklären.“, sagte ich und klappte das Handy einfach zu, ohne auf eine Antwort von ihm zu warten.

Schulzeit




Andys POV - Paralleluniversum


(Paralleluniversum)




Ich saß allein im Flugzeug auf dem Weg nach Phoenix und sah nachdenklich aus dem Fenster. Die Sonne erhellte das Innere der Maschine und manchmal musste ich mit gekniffenen Augen schauen, weil ihr Licht mich so blendete. Wenn ich mal in meinem Leben flog, liebte ich es, aus dem Fenster zu schauen. Ein Fensterplatz bei mir war also immer Standard gewesen. Tja, wenn ich irgendwann ein Vampir war, wäre mir das nicht mehr vergönnt. Es sei denn, die Sonne scheint mal nicht. Also genoss ich dieses Gefühl. Wer weiß? Vielleicht war das das letzte Mal.

Ich sah den hellblauen Himmel und noch etwas von der Wolkendecke über der ich mich befand. In solchen Momenten musste ich immer an das Lied „Über den Wolken“ denken, was mich schon immer irgendwie beruhigt hatte, wenn es mir mal schlecht ging. Ich fühlte mich eine Weile frei und losgelöst. Doch je näher ich Phoenix kam, desto unsicherer wurde ich. Vielleicht war das alles eine blöde Idee gewesen. Vielleicht sollte ich einfach den nächsten Flieger nehmen und wieder zurück nach Forks zu den anderen gehen.

Sicher, es war nicht ganz in Ordnung gewesen, einfach eines der Gutscheine für Flugtickets zu nehmen, die sich immer noch unter den Dielenbrettern in Bellas Zimmer befanden. Zusammen mit den anderen Geschenken, die Bella an ihrem 18. Geburtstag von Edward und den Cullens erhalten hatte. Aber es war mir jetzt ein Bedürfnis gewesen, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Als ich den Kugelschreiber in dem Laden an Silvester gesehen hatte, kam alles wieder an die Oberfläche. Außerdem hatten wir doch gerade Renee besucht, ohne die Gutscheine zu gebrauchen. Und wenn Edward wirklich mit Bella alleine noch einmal fliegen mochte, konnte er sich ja noch einen Gutschein kaufen. Sie hatten ja schließlich eine Menge Geld. Ich war mir sicher, dass er darüber schon hinweg sehen würde.

Nicht erfreut wären sie über meine etwas überstürzte Abreise. Da war ich mir sicher. Aber es war eher eine Blitzentscheidung. Ich hatte aus einem Impuls heraus gehandelt und hoffte, dass weder die eine, noch die andere Alice etwas gesehen hatte. Eigentlich hätte ich mich auch vom anderen Forks zu meinem Phoenix „teleportieren“ können. Doch ich war mir nicht sicher, ob das gelingen würde. Erstens war diese Fähigkeit nicht einfach zu kontrollieren und ich wollte sicher und am richtigen Ort ankommen. Zweitens war ich viel zu aufgeregt, sodass ich diesen Punkt einfach übersehen oder vergessen hatte. Ich hatte ihnen eine Nachricht hinterlassen und hoffte, dass sie es verstehen und mir nicht folgen würden.

Mir war klar, dass ich das nicht alleine hätte durchstehen müssen, aber ich musste zuerst allein damit fertig werden. Ich musste endlich einen Schlussstrich ziehen. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn mich meine Schwester, oder Elli, oder Edward, oder alle drei mich begleitet hätten. Aber es fiel mir immer noch nicht ganz leicht, meine Probleme mit jemandem zu teilen. Und auch war ich noch nicht bereit dazu, meiner Schwester diesen Teil meiner Vergangenheit zu offenbaren. Nein. Diese Sache musste ich erst selbst durchstehen, um anderen davon erzählen zu können.

Nachdem ich wieder im anderem Forks in meiner Welt war und die Nachricht geschrieben hatte, bestellte ich mir ein Taxi, welches sehr schnell kam, da ich sagte, es handele sich um einen Notfall, und ließ mich zum Flughafen nach Seattle fahren. Mein Charlie verdiente ja ziemlich gut und ich hatte auf meiner Karte schon etwas Geld. Also warum es nicht mal benutzen? Am Flughafen angelangt, buchte ich den schnellstmöglichen Flug nach Phoenix und ich hatte wirklich Glück. Der nächste Flug ging schon in 26 Minuten und es waren noch Plätze frei. Ich hatte den Eindruck, dass das Schicksal wollte, dass ich diesen Schritt jetzt ging. Ich sagte auch der Dame am Empfang, dass es sehr wichtig war. Sie wunderte sich zwar, warum ich kein Gepäck bei mir hatte und schaute mich einen Augenblick lang verwirrt an, sagte jedoch nichts, wofür ich ihr sehr dankbar war.

Nun saß ich hier im Flugzeug – meiner Vergangenheit immer näher kommend – und wurde immer nervöser. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück, schloss die Augen und versuchte, tief durchzuatmen. Ich war heil froh, keinen Sitznachbarn zu haben. Schon strömte eine alte Erinnerung in meinem Kopf hinein. Eine Erinnerung aus einer Zeit, die ich am liebsten aus meinem Gedächtnis streichen wollte.


Vor 5 Jahren saß ich ebenfalls in einem Flugzeug und ebenso wie heute am Fenster. Renee, meine Mutter, saß neben mir. Sie fuhr tröstend durch mein Haar, versuchte mich wohl aus meiner Starre, aus meiner Taubheit zu befreien. Sie hatte sich gerade von meinem Vater nach 6 Jahren getrennt, weil sie mit der Verzweiflung, der Trauer und den Streitereien – aufgrund des Verschwindens meiner Zwillingsschwester – nicht mehr umgehen konnte, oder eher wollte, und mich mitgenommen. Seit meinem 7. Geburtstag war ich nicht mehr derselbe. Ich fühlte mich leer. Unvollständig. Ich war zwar am Leben, doch konnte ich meinen wahren Zweck nicht erfüllen. Wie sollte das überhaupt gehen, wenn die Hälfte meines Selbst verschollen war.

„Es wird alles gut.“, trichterte mir meine Mutter zum tausendsten Mal ein.
„Wir werden einfach einen Neuanfang starten und uns hier ein neues Leben aufbauen. Du wirst sehen, dass alles wieder besser im Leben werden wird.“

Nein, das sollte es nicht werden.

Wie sehr sich meine Mutter doch damals geirrt hatte.

Schrecklich geirrt.


Bald landete das Flugzeug und ich rief am Flughafen ankommen erneut ein Taxi, um zu einem Hotel zu fahren, da ich mein Vorhaben heute nicht mehr umsetzen konnte. Dafür war es viel zu spät. Der Taxifahrer machte ein merkwürdiges Gesicht, als er mich sah. So ganz ohne Gepäck. Er sagte nichts, fuhr mich kommentarlos dorthin, wohin ich wollte. Fast eineinhalb Stunden später war ich in meinem Hotelzimmer, zog mich bis auf die Unterwäsche aus und legte mich ins Bett. Ich starrte an die Decke und versuchte nicht an den morgigen Tag zu denken. Es würde nur ein Besuch werden, doch er würde so viele alte Wunden wieder aufreißen. Und genau das war es, was mir Angst machte. Ich fröstelte und wusste gleich woran es lag. So sehr ich es auch krampfhaft versuchte, nicht an morgen zu denken, desto mehr kamen mir die Gedanken.

Ich sprang aus meinem Bett und wäre dabei fast über meine eigenen Füße gestolpert. Diese Tollpatschigkeit. War ja eigentlich zu erwarten, dass sie gerade jetzt wieder stärker zum Vorschein kam. Ich rannte zum Lichtschalter und drückte ihn. In der nächsten Sekunde wurde das Hotelzimmer von Licht durchflutet und ich atmete erleichtert aus.

Mein Handy, das ich auf dem Nachttisch gelegen hatte, vibrierte. Ich ging hin und sah auf das Display.

Elli.

Ich wollte gerade auf den Knopf drücken, als ich inne hielt und es mir anders überlegte. Ich wollte jetzt nicht reden. Ich musste Kraft für morgen sammeln. Ich konnte jetzt nicht ihre besorgte und bestimmt auch hysterische Stimme hören. Ich war jetzt noch nicht bereit, ihre Fragen zu beantworten. Nein, noch nicht. Ich drückte sie weg und schaltete mein Handy aus. Mit ihrem Wutausbruch würde ich mich später befassen. Jetzt brauchte ich einfach meinen Schlaf.

Ich legte mich wieder ins Bett und schlief mit dem Licht ruhig ein und erwachte glücklicherweise traumlos. Der heutige Tag würde schrecklich genug sein. Nachdem ich ins Bad gegangen war, um mich frisch zu machen und meine langen Haare zu bändigte, zog ich mich an, nahm all meine Sachen mit und wollte gerade das Zimmer verlassen, als ich inne hielt. Ich ging zum Schreibtisch, setzte mich auf den Stuhl, nahm ein Blatt Briefpapier und einen Stift und begann zu schreiben.

Ich schreib darüber, wie ich mich fühlte, als ich den Traum über Bellas Rückkehr gehabt hatte und wusste, dass ich sie endlich wiedersehen würde. Wie meine Laune sich von Tag zu Tag besserte, je mehr Zeit ich mit meiner Zwillingsschwester verbrachte. Dass sie, obwohl sie mich über die Jahre vergessen hatte, mich wieder in ihr Leben ließ. Wie froh ich war, dass wir wieder eine Beziehung aufbauen konnten und uns bald wieder so nah standen wie früher.

Ich schreib darüber, wie unglaublich glücklich ich darüber war, dass sie mich liebte und als Bruder respektierte. Ich schrieb, wie ich durch sie meine künftige Ehefrau kennen lernte. Dass ich durch Bella, der Person begegnete, der ich mein Vertrauen schenken konnte. Eine wundervolle junge Frau, die mir endlich zuhören und an der ich mich anlehnen konnte, wenn es mir schlecht gehen würde. Wie einfühlsam und geduldig sie ist. Dass sie Verständnis dafür zeigte, weil es mir nicht so leicht fiel, mich anderen zu öffnen. Dass sie mich liebte und so nahm, wie ich war. Denn ich war nun mal nicht heil, auch wenn meine andere Hälfte wieder da war. Dass sie mich vor allem beschützen würde, obwohl ich derjenige sein wollte. Schließlich war ich jahrelang stark für meine Eltern und einige Zeit speziell für meine Mutter gewesen, da ich meiner immer nach hinten gestellt hatte oder nicht wollte, dass sie sich zu sehr um mich sorgten. Obwohl auch ein gutes Gefühl war, mal der Schwache sein zu können und sich helfen zu lassen.

Weiter schreib ich, dass ich meine zweite Familie kennen und lieben lernte. Wie froh ich war, dass auch sie mich akzeptierten (- abgesehen von der einen Rosalie vielleicht). Dass ich durch Bella nicht nur meine Freundin, sondern auch meinen zukünftigen Schwager begegnete, der zufälliger Weise ihr Bruder ist.

Ich schrieb über die bevorstehende Hochzeit meiner Schwester und wie sehr ich mich für sie freute. Natürlich konnte ich es auch kaum erwarten, der Trauzeuge auf ihrer Hochzeit zu sein. Sie hatte mich zwar (noch) nicht direkt gefragt, aber ich ging einfach mal davon aus. Dass sich auch mit der Rückkehr meiner Bella auch meine familiären Verhältnisse gebessert hatten. Dass ich wieder eine Mutter hatte, die sich mir gegenüber wie eine Mutter verhielt. Eine Mutter, die mich liebte und stolz auf mich war. (Auch, wenn es sich hier nicht um meine „wirkliche Mutter handelte).

Diesen ganzen Kram mit Vampiren, Geistern, Träumen, Werwölfen und Parallelwelten ließ ich natürlich weg.

Als ich den Brief für gut genug hielt, legte ich den Stift beiseite und faltete nicht einen, sondern mehrere Blätter. Zum ersten Mal hatte ich meine Gefühle und Gedanken aufgeschrieben, so wie er es mir damals geraten hatte und ich war froh, dies endlich mal gemacht zu haben. Ich schob die Blätter mit einem Foto von Elli, mir, Bella und Edward an Weihnachten in einem Briefumschlag, steckte diesen in meine hintere Hosentasche, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich ging zum Empfang und meldete das Zimmer wieder ab, obwohl ich nicht genau wissen konnte, ob ich vielleicht doch noch länger hier bleiben würde. Ich betete inständig, dass dies nicht der Fall sein würde. Ich sehnte mich schon nach den moosbewachsenen Bäumen und dem ständigen Regen. Forks war schon immer meine wahre Heimat gewesen. Dort habe ich meine schönsten ersten sieben Jahre meines Lebens verbracht. Aber leider auch den Beginn meiner schwärzesten Zeit.

Es war 10.20 Uhr, als ich das Hotel verließ und mir ein Taxi bestellte, das mich zur „Phoenix Middle School“ fahren sollte. Jenen Ort, der in seinen vier Wänden einen Teil meiner Vergangenheit gefangen hielt. Wer hätte gedacht, dass ich Jahre später diesen Ort freiwillig aufsuchen würde? 20 Minuten später stieg ich aus und stand vor dem Schulgebäude. Ich betrachtete es einen Augenblick lang und je näher ich der Eingangstür kam, desto mehr fühlte ich mich wieder wie 13.

Ich ging sehr langsam, betrachtete genau meine Umgebung. Sah die langen Flure, die mir immer noch so lang vorkamen wie vor 5 Jahren. Sah die vielen Spints mit ihren schwarzen Nummern an den Wänden stehen, die genauso grün waren wie damals. Sah die vielen Türen, durch die man in die einzelnen Klassenräume schauen konnte. Sah die große alte Schulglocke, die lauthals den Beginn und das Ende jeder Stunde verkündete.

Ja, alles war genauso wie damals.

Nichts schien sich verändert zu haben.

Es war, als wäre ich nie weg gewesen. Während ich gemächlich durch die totenstillen Flure schlenderte – alle Schüler waren im Unterricht – und mal nach hier, mal nach dort schaute, entdeckte ich meinen ehemaligen Spint. Ich ging auf ihn zu und strich mit den Daumen über die Nummer.

1309.

Welche Ironie, dachte ich heute, wie auch damals. Meine Gedanken drifteten immer weiter ab und ich ließ die Erinnerungen nach all den Jahren – auch wenn es nur 5 waren – einfach laufen.


„Viel Spaß.“, meinte Mutter.

Ich sagte nichts, nahm meinen Rucksack, stieg aus dem Wagen und blickte geradeaus meiner persönlichen Hölle entgegen.

Es war Freitag und heute war mein erster Tag an meiner neuen Schule in einem neuen und sonnigen Ort. Ich würde der neue Schüler an der „Phoenix Middle School“ sein. Oh Gott, wie ich das hasste. Mein Leben war schon die letzten 6 Jahre nicht einfach und ein Schulwechsel gehörte ganz gewiss nicht zu den guten Dingen.

Es war nie gut, der Neue an einer Schule zu sein. Vor allem nicht, wenn gerade ich der Neue war. Ich war klein für mein Alter und mochte auf andere Leute eher schmächtig wirken. Ich war schon immer schlank, aber nie wirklich muskulös gewesen. Ich war zwar erst 13, aber manche in meinem Alter hatten meiner Meinung nach schon ordentliche Muskeln, was mich sehr einschüchterte. Ich war ein eher stiller Typ und hatte so gut wie keinen Kontakt mit Leuten meines Alters, denn mein 7. Geburtstag schien mich komplett verändert zu haben. Die ersten sieben Jahre kamen mir wie ein zweites Leben vor und schienen ganz weit weg und verschwommen zu sein.

Ich war immer für mich und konzentrierte mich auf die Schule, die mich immer von meinem Kummer ablenkte. Ich war schon immer ein zielstrebiger Schüler gewesen, da ich ein Lehrerstudium später anstrebte. Das einzige, was mich an meiner Mutter beeindruckte. Nach diesem schrecklichen Ereignis kam ich immer weniger mit meinen Mitschülern zurecht, was an meiner Vergangenheit, meines Wesens und auch teilweise an meinem Aussehen lag. Und genau das, würde sich heute wieder einmal bestätigen.

Ich atmete tief durch und schritt zielstrebig über das Gelände zur Tür hinüber. Ich kannte mich hier schon recht gut aus und wusste, wo sich mein Spint und meine Klassenräume befanden. Gestern Nachmittag, als alle Schüler schon weg waren, zeigte mir der Direktor alles und führte mich in der Schule herum. Heute war sehr dankbar dafür. Auf meinem Weg zum Klassenzimmer glotzten mich natürlich alle an.

Erstens: Ich war der Neue an der Schule. Das musste wohl jeder Neuling über sich ergehen lassen. Damit musste ich mich wohl abfinden.

Zweitens: Ich hatte lange braune glatte Haare, die fast bis zur Hälfte meines Rückens hinab flossen.

Ja. Ich, ein Junge, hatte lange Haare! Und die Kombination aus Neuling, Junge und lange Haare, war ganz und gar nicht gut. Ich drehte gerade am Knopf meines Spints, gab den richtigen Code ein, um ihn zu öffnen, als ich auch schon eine Stimme hörte – abgesehen von dem Getuschel.

„Na was bist du denn für ein Mädchen!?“, rief eine Jungenstimme großspurig.

Jetzt wusste ich, dass sich männliche Teenager und lange Haare nicht unbedingt vertrugen.

Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Meine braunen Augen sahen einen etwas breit gebauten Jungen mit blauen Augen und kurzem dunkelblondem Haar, das sein rundlich aussehendes Gesicht schmückte. Auch seine Arme wirkten breit und kräftig, was meinem Selbstbewusstsein alles andere als gut tat. Er war einen Kopf größer als ich und sah mich grinsend und herausfordernd an. Er wurde von zwei weiteren Jungen rechts und links flankiert. Sie waren etwas kleiner als er und wirkten im Vergleich zu ihm fast schon dünn und drahtig. Der linke hatte braunes und der rechte schwarzes kurzes Haar. Auch sie grinsten mich fies an und musterten mich mit ihren braunen Augen verächtlich. Ich wusste sofort, dass mit diesen dreien nicht gut Kirschen essen war. Vor allem nicht mit dem, der mich angesprochen hatte. Er schien der Anführer dieser Bande zu sein.

Super, dachte ich. Du bist nicht mal 20 Minuten hier und hast schon Totfeinde gewonnen, gratuliere! Ich starrte sie an und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.

„Wer seid ihr?“, sagte ich schließlich und versuchte, mit gleichgültiger Stimme zu sprechen.

Ich wollte ihnen nicht auf dem Leim gehen. Am besten die kalte Schulter zeigen und sie nicht beachten. Dann würden sie schon damit aufhören. Ich war überrascht, dass mein Körper noch da war, wo ich im Moment stand.

„Brian McDogan.“, sagte der Mittlere, der blonde.
„Und das sind“ – er machte eine Geste erst nach links, dann nach rechts – „Bob und Bastian.“

Mussten ihre Namen den alle mit einem B anfangen? Ich wusste nicht, was mich dazu verleitete. Aber die Worte kamen aus meinem Mund, ehe ich sie daran hindern konnte. Vielleicht lag es daran, weil ich nicht als Mädchen abgestempelt werden wollte und mich deshalb behaupten musste. Ich zog es allerdings vor, verbal anzugreifen und nicht mit den Fäusten.

„Ach! Und ich dachte eure das B in euren Namen steht für Bubi, Blödmann und Bekloppter.“

Ich biss mir auf die Lippe. Oh Gott, was sagte ich da eigentlich? Alle drei verengten ihre Augen zu Schlitzen und töteten mich mit ihren Blicken. Im nächsten Moment kam der Anführer Bubi so schnell auf mich zu, dass ich keine Chance hatte zu reagieren. Er schlug mir mit seiner rechten Faust direkt ins Gesicht und ich fiel rücklinks zu Boden. Ich merkte, wie Blut aus meinen Nasenlöchern floss. Ich schaute zu ihm auf und die Augen von Bubi alias Brian blitzten vor Zorn.

„Pass auf was du sagst, Mädchen!“, giftete er, drehte sich um und verschwand.

Natürlich hatten alle anderen Schüler auf dem Flur das ganze Schauspiel stumm beobachtet. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Ich fuhr mit meinem rechten Handrücken unter meine Nase und wollte mich gerade wieder erheben, als ich eine helfende Hand vor meinen Augen sah. Es war ein Mädchen mit schwarzen Haaren, die ihr bis zu den Schultern gingen. Sie schaute mich mit ihren braunen Augen an, als wollte sie sagen, ich hätte den Verstand verloren. Sie lächelte nicht. Dennoch nahm ich ihre Hand dankbar an und sie half mir wieder auf die Beine.

„Danke.“, sagte ich.

Sie musterte mich prüfend.

„Mhh. Auf mich wirkst du gar nicht mädchenhaft.“

Dieser eine Satz brachte mich auf die Palme und ich versuchte meinen Zorn runterzuschlucken. Ich wollte nicht auch noch die Person vergraulen, die mir geholfen hatte.

„Ich habe nie behauptet, dass ich auf Jungs stehe. Wie ist dein Name?“, hakte ich nach.

„Ich heiße Vanessa. Vanessa White.“, antwortete sie im etwas freundlicheren Ton.
„Und wie ist heißt du?“

„Andrew Swan. Aber nenn‘ mich Andy, ok?“

Sie nickte und musterte mich erneut.

„Andy, lass‘ mich dir einen Rat geben. Hier auf dieser Schule ist es nicht gut als Junge lange Haare zu haben. Das schadet einfach deinem Image, wenn man den überhaupt eins hat. Und vor allem solltest du dich nicht mit McDogan und seiner Bande anlegen. Das sind die übelsten Typen in der ganzen Schule. Aber das kommt jetzt wohl zu spät. Du hast dich bereits mit ihm angelegt und das bedeutet, er hat jetzt ein neues Opfer gefunden, dem er das Leben zur Hölle machen kann.“

In mir kochte es.

„Soll das etwa heißen, ich hätte mir das gefallen lassen sollen?“, fragte ich sie bissig.

„In deinem Fall wäre das besser gewesen.“
Vanessa seufzte.
„Und schneide dir auf jeden Fall die Haare. Es sei denn du findest es gut, als Mädchen oder Schwuchtel bezeichnet zu werden.“, riet sie mir nochmals.

„Nur weil mich so ein Idiot anmacht, soll ich meine Haare stutzen? Das hätte er wohl gen!“, erwiderte ich trotzig.

Sie hob ergeben die Hände in die Luft.

„Mach‘ was du denkst. Ich habe dich nur gewarnt.“

Mit diesen Worten verabschiedete sie sich, ging zu ihren Freundinnen und verschwand tuschelnd. Ich öffnete mein Spint, legte dort Bücher hinein, die ich jetzt noch nicht brauchte, knallte die Tür zu und ging ohne auf die anderen zu achten zu meiner ersten Stunde.

Ich kam zu einer Erkenntnis: Ich hasste diese Schule und würde hier garantiert nicht glücklicher werden.

Nur unglücklicher.

Erst die Sache mit Bubi McDogan und seinen Kumpanen, dann die Sache mit Vanessa, die mir riet, meine Haare zu stutzen. Das würde ich nie machen. Ich hatte schon immer lange Haare gehabt und es hat noch niemanden gestört. Jedenfalls in Forks nicht. Ich mochte meine Haare. Um ehrlich zu sein, war ich stolz darauf, mit so einer Haarpracht gesegnet worden zu sein.

Ich mochte es, manchmal Strähnen in den Mund zu nehmen, wenn ich nach dachte. Ich mochte es, meine langen Haare zu schütteln, wenn mich ein Lied meiner Lieblingsrockband mitriss, sodass ich die Lautstärke meiner Anlage voll aufdrehte. Ich fand es lustig, wenn ich morgens in den Spiegel schaute und meine Haare wie ein Heuhaufen aussahen. Ich mochte es, wenn starker Wind durch meine Haare wehte. Ich mochte es, wenn meine Haare meinen Nacken oder mein Gesicht kitzelten.

All diese Kleinigkeiten liebte ich. Vor allem hatte ich aber lange Haare, weil meine Schwester auch lange Haare hatte. Ich – nein, wir – haben es geliebt gleich auszusehen und uns die gleichen Sachen anzuziehen. Wir haben uns darüber halb tot gelacht, wenn uns die Leute verwechselten, weil sie uns beide von hinten sahen. Selbst haben uns manche nicht auseinander halten können, auch wenn sie in unsere Gesichter sahen. Jetzt war das natürlich eher unwahrscheinlich, wenn wir heute zusammen wären, da sich ja unsere Körper veränderten.

Meine langen Haare konnten schon als mein Markenzeichen gelten. Sie gehörten einfach zu mir. Ich mit kurzen Haaren? Ein Ding der Unmöglichkeit. Dann wäre ich kein Zwilling mehr. Dann hätte man mir einen Teil meiner Identität geraubt. Ich glaube das letzte und einzige Mal, als ich kurze Haare hatte, war mit 2 oder 3 Jahren. Schließlich mussten sie ja erst mal wachen. Selbst meine Eltern fanden das nie schlimm, dass ich als Junge langes Haar besaß. Natürlich wurden sie ab und zu beschnitten. Aber die Schulterlänge hatten sie nie verlassen.

Mir war es total egal, was andere sagten. Ich würde meine Haare behalten und stehe dazu. Ich fand diese geschlechtsspezifischen Erwartungen sowieso alle bescheuert. Warum sollen Jungs keine langen Haare haben dürfen? Es gab doch auch Mädchen, die mit einer Kurzhaarfrisur rumliefen und dagegen sagte keiner auch nur einen Ton. Auch gab es Frauenfußball. Warum sollten dann Jungs nicht auch Ballett tanzen dürfen? Nicht, dass ich das je in Betracht gezogen hätte. Ballett mal anzusehen hatte was. Aber selber tanzen? Nie im Leben!

Erstens würden sich alle die Mäuler darüber zerreißen und zweitens würde das bei meiner Tollpatschigkeit sowieso nie was werden.

Und subjektiv gesehen, empfand ich Ballett als eine reine Mädchendisziplin. Aber objektiv betrachtet, sollte es ruhig mehr männliche Balletttänzer geben, ohne diese zu verachten. Was ist mit Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau? Zählt das denn überhaupt nicht. Männer können am Herd stehen. Frauen können unter Autos liegen (und sie reparieren). Das war jedenfalls meine Meinung.

Manchmal fragte ich mich, ob ich der einzige Mensch auf diesem Planeten war, der die Dinge so betrachtete. Mangelte es mir deshalb an sozialen Kontakten, weil ich die Welt mit anderen Augen sah, als meine Mitmenschen? Stimmte mit meinem Gehirn etwas nicht? Je älter ich wurde, desto mehr glaubte ich daran.

Alle tuschelten über mich und glotzten mich an, wann immer sich die Gelegenheit bot. Die ersten zwei Stunden vergingen normal und alles war harmlos. Zwar glotzten mich alle an, aber wenigstens musste ich mich nicht vorstellen und verzog mich gleich nach hinten in die letzte Bank. Ich meldete mich nicht, da ich nicht das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hatte und auch die Lehrer Mr. Bader schienen mir gegenüber gnädig zu sein. Ich schrieb fleißig mit und sah wann immer ich konnte aus dem Fenster.

Ich sah hinauf zum Himmel und fragte mich, warum das Schicksal mich so quälen musste. Warum musste ich hier in Phoenix auf einer neuen Schule sein? Warum musste ich gleich am ersten Tag gehänselt werden? Warum mussten sich meine Eltern trennen? Warum musste mein 7. Geburtstag so schrecklich enden? Schwesterchen, wo bist du nur? Denkst du so oft an mich wie ich an dich? Geht es dir gut? Bist du glücklich? Hast du Angst? Bist du überhaupt noch am Leben? Ich bin mir sicher, dass du es bist.

„Andrew?“, hörte ich die Stimme des Lehrers energisch meinen Namen rufen.

Ich blinzelte und schaute zur Tafel.
„Was, wie bitte?“, fragte ich verwirrt und völlig desorientiert durch meine Grübeleien.

Anscheinend hatte der Lehrer kein Verständnis mehr für mich.

„Unser Mädchen hat wohl an ihrem Kerl gedacht.“, war Bubis Kommentar.

Er und seine zwei Bodyguards hatten mehr Muskel- als Gehirnmasse. Ich wollte gerade etwas darauf erwidern, als der Lehrer ihn aus dem Klassenzimmer schickte.

„Pass bitte etwas mehr auf.“, mahnte mich unser Lehrer und fuhr mit dem Unterricht fort, während alle Augen wie immer auf mich gerichtet waren.

Die Glocke ertönte und alle stürmten förmlich aus dem Klassenzimmer. Ich verließ als letzter den Raum und wollte mich zur nächsten Stunde aufmachen, als ich geschupst wurde und gegen die Spints knallte.

„Leg dich nicht mit mir an.“, drohte Brian und ging den Flur entlang.

Literatur stand jetzt auf dem Plan und ich folgte missmutig dem Bubi. Warum musste er auch in meiner Klasse sein? Auch dieser Lehrer verzichtete auf die Vorstellung. Aber etwas fiel mir sofort auf. Er betrachtete mich anders, als die anderen Lehrer. Nicht im negativen Sinne, sondern im positiven. Sein Name war Mr. Sanchez, doch alle Schüler nannten ihn nur Mr. S. Dieser Spitzname schien ihn nicht im Mindesten zu stören.

Er hatte braunes Haar mit einigen blonden Strähnen, blaue Augen und ein freundliches Lächeln. Dieser Lehrer war der Typ, der sich in die Schüler hineinversetzen und auf sie eingehen konnte. Das merkte ich sofort und durch seine angenehme und lockere Art war er mir sofort sympathisch. Doch durch die Aufgabe, die er uns stellte, schwand das Gefühl der Sympathie sofort wieder.

Wir sollten einen Aufsatz über unsere schönste Zeit im Leben schreiben und diesen mit möglichst vielfältiger Wortwahl ausschmücken. Was dachte er sich nur? Das konnte ich nie und nimmer erledigen. Er lächelte auch noch, als hätte er uns einen Gefallen getan. Einige stöhnten, andere schienen begeistert von dieser Idee. Ich stöhnte zwar nicht, aber diese Idee war eine wirklich schlechte. Das allerschlimmste war, dass dieses Projekt die ganze Stunde über dauern sollte. Alle fingen an zu schreiben, ob sie wollten, oder nicht.

Alle außer mir.

Mein leeres Blatt lag vor mir, mein Stift daneben. Weder nahm ich ihn in die Hand, noch schrieb ich ein einziges Wort. Die ganze Stunde über starrte ich aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach.

Ich zuckte zusammen, als plötzlich die Glocke ertönte und das Ende der Stunde verkündete. War die Zeit so schnell vergangen? Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Mr. Sanchez mich kein einziges Mal ermahnt hatte. Ihm konnte doch nicht entgangen sein, dass ich als einziger kein einziges Wort schrieb. Die anderen Schüler packten ihre Sachen zusammen und legten ihre Aufsätze vorne auf dem Lehrertisch. Er verabschiedete sich lächelnd von den meisten Schülern. Wie auch die ersten Stunden war ich der letzte im Raum und packte meine Sachen wieder zusammen.

Ich wollte nur noch raus hier. Raus aus diesem Klassenzimmer. Raus aus dieser Schule. Raus aus Phoenix. Obwohl Phoenix schön war und fast immer die Sonne schien, passte diese Stadt nicht zu mir. Die Stadt symbolisierte für mich schöne heile Welt. Alles ist Friede, Freude, Sonnenschein. Das entsprach absolut nicht meinem Wesen. In mir sah es aus, wie in Forks. Trübe, grau und regnerisch. Nach Forks. Da gehörte ich hin. Der Regen hatte etwas Tristes, aber auch etwas Tröstendes an sich. Wäre ich schon 18, würde ich alles hinschmeißen und sofort nach Forks zurück fliegen.

Doch dann musste ich an meine arme Mutter denken. Nein. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Mein schlechtes Gewissen hatte sich also gemeldet und so würde ich diesen Traum wohl nie wahr werden lassen. Ich war gerade am Lehrertisch angelangt, mein Gesicht zur Tür gewendet, als Mr. Sanchez zum ersten Mal meinen Namen rief.

„Äh…Andrew Swan, nicht wahr?“

Ich hielt inne, drehte mich aber nicht um.
„Andy.“, korrigierte ich ihn.

„Ich würde gerne mit dir sprechen, wenn du nichts dagegen hast.“, bat er freundlich.

Ich seufzte, drehte mich um und ging die paar Schritte zu ihm. Sein Blick war freundlich und verwirrt. Er schrieb etwas auf einem Zettel mit einem Kugelschreiber, der mir sofort auffiel.

Es war ein Kugelschreiber in rotbrauner Farbe. Der Clip war golden und die Softgriffzone war braun. Auf dem Schaft stand etwas in goldener Schrift: Words of Soul. Er betätigte den Knopf und legte den Kulli beiseite. Auf dem Zettel stand etwas in roter Farbe.

„Ich würde gerne wissen, warum du als einziger nichts geschrieben hast?“

Ich riss meinen Blick von seinem Kugelschreiber los und sah Mr. Sanchez an. Natürlich! Diese Frage musste ja kommen. Ich zuckte die Schultern.

„Ich konnte die Aufgabe nicht erfüllen. Ganz einfach.“, antwortete ich.

Er zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Ich habe schon gemerkt, dass du sehr unglücklich zu sein scheinst. Aber du musst doch irgendetwas Schönes in deinem Leben erlebt haben? Oder du hättest von etwas anderem Schreiben können. Von etwas, was dich glücklich macht. Deine Träume. Deine Ziele. Dir wäre doch sicherlich etwas eingefallen.“
Er klang besorgt und ratlos.

Es schien mir, als würde er sich für mein Leben ernsthaft interessieren. Er hatte gesagt, er sah, wie unglücklich ich bin. War das so offensichtlich? Man konnte wirklich alles von meinem Gesicht ablesen. Wie ein offenes Buch. Furchtbar war das. Ich beschloss ihm eine ehrliche Antwort zu geben. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie fühlte ich mich diesem Mann näher verbunden, als mit einem meiner Mitschüler. Und irgendwo war das ziemlich beängstigend. Ich verstand mich mit einem fremden Erwachsenen besser, als mit Leuten in meinem Alter. Ja, vielleicht sogar besser, als mit meiner eigenen Mutter, da sie sich ja ständig weigerte über meine Schwester Bella zu reden. Ich sollte wirklich mal zum Arzt gehen.

„Es gab glückliche Momente in meinem Leben. Doch als meine Schwester verschwand, machten mich all diese einst fröhlichen Augenblicke traurig. Und seitdem…habe ich nichts mehr zu lachen.“

Er sah mich ernst und mitfühlend an.
„Oh.“, sagte er beschämt.
„Das tut mir leid. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was du durchmachen musst. Aber denkst du, deine Schwester möchte, dass du traurig bist, wenn du dich an sie erinnerst? Meinst du nicht, dass sie möchte, dass du diese Erinnerungen als gute in deinem Herzen bewahrst und weiterhin fröhlich durchs Leben gehst? Ich bin mir sicher, dass ihr dein Glück sehr wichtig ist. Sicher, das ist leichter gesagt, als getan. Aber versuche es doch wenigstens. Halte nicht zu sehr an der Vergangenheit fest. Schau nach vorn. Denk an die Zukunft.“

Dieser fremde Mann berührte mich mit diesen wenigen Worten auf eine Weise, die ich nie für möglich gehalten hätte. Hatte er nicht vielleicht recht? War es vielleicht Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen – oder sie wenigstens nicht mehr festzuklammern – und nach vorne zu sehen? Vielleicht. Aber ich konnte die Vergangenheit nicht loslassen. Ich würde SIE niemals loslassen können.

Er sah wohl meinen nachdenklichen Gesichtsausdruck und lächelte leicht.
„Und wenn du dich nicht laut mitteilen willst, dann schreibe deine Gedanken und Empfindungen auf, wenn dir danach zumute ist. Aber auf irgendeine Art und Weise musst du dich ausdrücken. Du musst dich deinen Mitmenschen öffnen, sonst könnte das noch böse enden. Worte offenbaren deine Persönlichkeit, geben Einblick in deine Seele. Egal ob gesprochen oder geschrieben. Ich rate dir, dich deiner Welt mitzuteilen.“

Eindeutig. Dieser Mann konnte die Gespräche mit meiner Mutter ersetzen. Vielleicht könnte ich mich ihm öffnen, auch wenn er ein Fremder war.

„Haben Sie darum diesen Kugelschreiber?“

Sein Lächeln wurde breiter.
„Ah, er ist dir also aufgefallen?“, fragte er überflüssigerweise.

Ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich ihn betrachtet habe. Er nahm den Kugelschreiber in die Hand.

„Mhh.“, bestätigte ich.

„Hier.“, sagte er und streckte mir seine Hand entgegen, in der er den Kugelschreiber hielt.

Ich schaute mit großen erstaunten und verwirrtem Blick erst auf seine Hand, dann auf sein Gesicht.

„Was?“, fragte ich verwirrt.

Ich musste ihn falsch verstanden haben.

„Ich glaube, du brauchst ihn nötiger, als ich.“, antwortete er lächelnd.

„Sind Sie sicher?“, hakte ich nach.

„Natürlich.“

Ich nahm vorsichtig den Kulli aus seiner Hand und musterte ihn eindringlich. Dann hob ich wieder meinen Kopf.

„Danke. Dann bis nächste Woche.“

Seine Miene veränderte sich. Er blickte bekümmert drein.

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Aber das ist heute mein letzter Tag an dieser Schule. Ich werde eine gewisse Zeit im Ausland unterrichten. Deshalb auch die Aufsätze. Ich wollte ein paar schöne Erinnerungen haben.“

Er lächelte ein bedauerndes Lächeln. So viel Pech konnte doch niemand haben! Da hatte ich mal eine Person gefunden, die mir sympathisch war – auch wenn es ein Lehrer war – und der verlässt die Schule auch gleich wieder. Jetzt war es amtlich. Das Schicksal gönnte mir nicht mal ein bisschen Trost. Ich nickte enttäuscht, versuchte aber ein Lächeln.

„Tja. Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, Mr. Sanchez. Und danke.“, fügte ich ernst hinzu.

Ich drehte mich und wendete mich zum Gehen.

„Andy?“

„Ja?“

Ich wirbelte herum.

„Erstens: Nenn‘ mich Mr. S. und zweitens: Verliere nicht die Hoffnung. Wenn du glaubst, dass deine Schwester eines Tages wieder auftaucht, dann lasse dich nicht beirren. Egal, was andere sagen.“, sagte mit solcher Autorität und Ernsthaftigkeit, dass ich fast den Mund vor Erstaunen aufgeklappt hätte.

Er schien mich mit seinen blauen Augen zu durchbohren. Unglaublich! Besaß dieser Mann die Gabe ins Innerste der Menschen mit nur wenigen Blicken vorzudringen? Ich hatte fast diesen Eindruck. Jetzt bedauerte ich noch mehr, dass ich ihn wohl eine Zeit lang nicht mehr sehen würde. Naja, wenigstens hat er mir ein Erinnerungsstück gegeben. Ich lächelte zaghaft.

„Danke für alles Mr. S. Und viel Spaß im Ausland.“, sagte ich und verließ mit einem unwohlen Gefühl im Magen das Klassenzimmer meines Lieblingslehrer auf einer Schule, wo er nicht mehr sein würde und ich nicht sein wollte.

Das Leben war einfach ungerecht.

Als nächstes war Mathe dran. Dazu musste ich ins Nebengebäude gehen. Mit etwas besserer Laune und mit meinem neuen Schreiberling in der rechten Hand, war ich auf dem Weg zur nächsten Stunde. Der kleine Moment des Glücks – wenn ich denn so etwas mal überhaupt empfand – war leider nicht von langer Dauer.

Über das Schulgelände den anderen hinterhergehend, dachte ich über die Worte von Mr. S. nach. Vielleicht hatte er recht und ich sollte wirklich meine Gefühle und Gedanken aufschreiben, wenn ich schon nicht darüber mit jemandem reden konnte. Ich achtete nicht so sehr auf meine Umgebung, da ich in Gedanken war. Im nächsten Moment fühlte ich den Kugelschreiber in meiner Hand nicht mehr. Ich griff nur noch nach Luft. Ich sah auf meine rechte Hand, dann auf den Übeltäter. Natürlich, wie sollte es auch anders sein. Bubi, Blödmann und der Bekloppte standen mir schräg links gegenüber. Bubi hatte den Stift in der Hand, besah ihn sich kurz.

„Na was haben wir denn da?“

„Ein Kulli. Siehst du doch. Kann ich ihn jetzt bitte wieder haben?“

Eigentlich wollte ich noch etwas hinzufügen, wie: „Echt traurig, dass du nicht einmal weißt, wie ein Kulli aussieht.“

Aber ich hielt den Mund. Es war besser ihn diesmal nicht zu provozieren.

„Hat das kleine Mädchen nicht mal genug Kohle, um sich einen eigenen Kulli zu leisten?“, fragte er mit getragener Stimme.

Der Blödmann und der Bekloppte lachten.

„Das ist mein Kulli.“
°Du Vollidiot!°

„Red‘ keinen Scheiß! Ist das nicht der von dieser Pfeife Mr. S.?“

„Ja. Er hat ihn mir geschenkt. Und nenn ihn gefälligst nicht so, verstanden?!“

Ich versuchte meine Stimme fest und selbstsicher klingen zulassen. Er sah mich ungläubig und mit großen Augen an.

„DIR?“

Er sprach das das Wort aus, als wäre es eine Beleidigung.

„Niemals! Den hast du doch geklaut.“, meinte er und grinste fies.

Ich ballte die Hände zu Fäusten.

„Nein!“, zischte ich.

„Ist ja auch egal.“, wehrte er ab, als sei er es leid, darüber zu sprechen.
„Selbst wenn er dir diesen Stift geschenkt hat, würde mich das nicht wundern. Ich hasse diesen Typen. Er ist ne Schwuchtel. Das hat man ja bei der heutigen Aufgabe wieder gemerkt. Aufsatz über die besten Zeiten im Leben…“
Er schnaubte verächtlich.
„So ein Vollidiot. Wir können froh sein, dass dieser Typ von der Schule geht.“

Meine Hände zitterten immer stärker und wenn er nicht bald seine Klappe hielt, dann würde er meine Faust zu spüren bekommen.

„Ich habe solch eine angestaute Wut auf diesem Kerl. Mhh. Die muss jetzt mal wirklich raus.“, sagte er versonnen und blickte teuflisch grinsend auf den Kugelschreiber in seiner Hand.

Und noch ehe ich etwas tun konnte, war es auch schon zu spät. Er ließ den Stift zu Boden fallen und trat mit aller Kraft mit seinem Fuß darauf, sodass man das Gehäuse knacken hören konnte. Er nahm den Fuß wieder weg und lachte. Seine Bodyguards lachten mit. Meine Wut war verraucht. Bestürzung, Trauer und Fassungslosigkeit machten sich in mir breit. Verzweifelt beugte ich mich zum Boden, beäugte die zerbrochenen Teile. Nahm sie in die Hand und musterte sie erneut, als hoffte ich, doch noch irgendetwas retten zu können. Aber es war eben nur ein Kugelschreiber. Er war kaputt. Für immer. Dann spürte ich einen Fuß in meiner Magengegend. Bubi hatte mir in den Bauch getreten.

„Ahh!“, entfuhr es mir und ich würgte.

Wieder tritt er zu. Wieder und wieder und wieder.

Als er fertig zu sein schien, sagte er verächtlich: „Und du solltest auch hier verschwinden, genau wie die Pfeife Mr. S. Sonst überlebt du hier nicht lange, du Mädchen.“

Er trat ein letztes Mal zu, dann ging er mit den anderen beiden zur Mathestunde, während ich alleine und schluchzend auf dem Boden liegen blieb.

Das war ja ein toller erster Schultag.

In meinem Leben schien es nur noch Tiefpunkte zu geben.

So ging es Tag für Tag und Woche für Woche weiter.

Brians Bande mobbte mich immer wenn sich die Chance bot. Meist taten sie es mit Worten. Manchmal wurden sie auch handgreiflich. Zum Glück kam ich so gut wie nie mit einem blauen Auge oder blutverschmiert nach Hause, da ich seinen Schlägen meistens ausweichen konnte. Sicherlich hätte ich mich wehren können. Auch wenn ich nicht gerade der Schlägertyp war, steckte doch Kraft in mir. Jedoch wollte ich mich nicht auf das Niveau dieser Idioten begeben. Aber wenn die anderen mich festhielten, hätte ich mich sowieso schlecht wehren können.

Wenn ich heute so darüber nachdachte, hätte ich es doch wenigstens versuchen sollen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen…

Meistens schlug Brian auf meinen Bauch und auf meiner Brust ein. Mein Gesicht blieb meist unbeschädigt. Weiß der Teufel warum. Vielleicht musste er sich überzeugen, dass ich „Mädchen“ mit einer männlichen Brust geboren wurde.

Natürlich bekamen das die anderen Schüler mit. Doch niemals griff jemand ein und rief einen Lehrer zu Hilfe, da sie alle zu große Angst vor ihm hatten. Als mich Renee am ersten Schultag abholte, sah sie auf meine Nase, die wohl etwas geschwollen ausgesehen haben musste. Ich sagte ihr, dass ich die Spinttür zu schnell aufgemacht und sie mir so doll gegen die Nase geknallt habe, dass sie blutete. Zu meiner Überraschung kaufte sie mir das ab.

Ich wollte Mum nicht mit meinen Problemen belasten, da sie immer noch mit ihren eigenen zu kämpfen hatte. Die Sache mit der Trennung und die Gründe dafür. Doch immer wenn ich mit ihr darüber sprechen wollte, blockte sie ab. Sehr oft musste ich sie tröstend in die Arme nehmen, wenn ihre Nerven wieder einmal blank lagen. In den ersten Wochen war das sehr extrem gewesen. Als sie dann ein paar Monate später Phil kennen lernte, wurde es dann besser. Ab und zu musste ich sie immer noch tröstend in die Arme nehmen, wenn Phil mal nicht gerade da war. Ich sorgte mich um sie und kochte das Essen, wenn Renee dazu – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage war. Meine eigenen Probleme stellte ich immer hinten an. Und je mehr Zeit sie mit Phil verbrachte, desto mehr schien ich Luft für sie zu werden.

Ich versuchte mit Phil eine Beziehung aufzubauen, was eigentlich auch ganz gut funktionierte, aber ich konnte nicht mit ihm über meine Probleme sprechen. Es ging einfach nicht.

Im Dezember 2001, als ich mit 14 die Weihnachtsferien bei Charlie verbracht hatte und die nächste Katastrophe in meinem Leben sich ereignet hatte, ging es mir noch schlechter. Ich hatte Angst im Dunkeln und konnte nur mit Licht einschlafen. Sobald Charlie das Licht löschte, wenn ich schlief, stand ich kurz vor einem hysterischen Anfall. Um die Stromkosten nicht in die Höhe zu treiben, kaufte ich mir eine große Taschenlampe aus Stahl, mit der ich Nacht für Nacht ins Bett ging. Nacht für Nacht ließ ich sie an und ich konnte wieder etwas ruhiger schlafen.

Als ich dann wieder zurück nach Phoenix zu Renee und Phil ging, hatte ich die Taschenlampe natürlich mitgenommen. Seit diesem schrecklichen Tag, nahm ich sie überall mit hin. Auch in die Schule. Sie befand sich immer in meinem Rucksack und wurde nur dann herausgenommen, wenn ich sie zum Schlafen brauchte. Alle hatten Verständnis für mein Verhalten. Nur bei Renee war ich mir nicht so sicher. Seit sie Phil kennen gelernt und sich von mir entfernt hatte, war unserer Beziehung ziemlich unterkühlt. Sie musterte mich immer so merkwürdig, als sei verrückt oder so. Naja, vielleicht hatte sie sogar recht. Denn auch wenn ich in einer Anstalt war, war ich psychisch immer noch ziemlich angeschlagen.

Es war der 10. Januar.

Der Himmel war sehr dunkel, ja fast finster. Es war ein merkwürdiger Tag. Obwohl wir in Phoenix waren, war es heute kälter als gewöhnlich. Der Himmel war mit dunklen und grauen Wolken verhangen. Die Sonne konnte nicht durch die Wolkendecke dringen. Aber wenigstens regnete es nicht. Wenn ich so in den Himmel schaute, dachte ich manchmal, ich sei wieder in Forks. Selbst die Meteorologen konnten keine Erklärung dafür finden. War der Klimawandel schon so weit fortgeschritten, dass es bald in Phoenix nicht mehr so oft sonnig sein würde? Oder war das als schlechtes Omen zu deuten?

Meine Vermutung sollte sich bald bestätigen.

Es war ein Tag, an dem mein Leben wieder einen neuen Tiefpunkt erreichte.

Renee fuhr mich wieder einmal zur Schule. Sie schaltete den Wagen aus und starte zur Windschutzscheibe hinaus. Ich blieb sitzen, fühlte mich noch nicht bereit, mich dem Alltag zu stellen. Meine Mum sah mich an.

„Andy. Was ist mit dir los in letzter Zeit?“

Es schien eine einfache und normale Frage zu sein. Aber ich war sofort wütend. Was mit mir los ist? Wie konnte meine Mutter mich das auch nur fragen? War sie wirklich so blind? Ich funkelte sie an.

„Was mit mir los ist? Du fragst, was mit mir los ist?“

Meine Stimme wurde immer höher und lauter.

„Ich sage dir was los ist! Ich wurde lebendig begraben, MUM!“

Sie starrte mich erschrocken an, weil sie nicht mit einem Wutausbruch gerechnet hatte. Sie versuchte Fassung zu bewahren und wollte ruhig und besänftigend klingen, doch das brachte mich noch mehr zur Weißglut.

„Ja, ich weiß, Schatz. Aber da ist doch noch etwas anderes.“

Jetzt riss mir endgültig der Geduldsfaden.

„Ja, gut erkannt.“, sagte ich sarkastisch.
„Ich sage dir, was mit mir nicht stimmt. Bella ist verschwunden. Das ist los!“

Renee zuckte schmerzhaft zusammen und ihre braunen Augen bekamen einen traurigen Ausdruck.

„Andy, bitte fang nicht wieder damit an.“

Sie wollte noch etwas erwidern, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Ja. Da haben wir es wieder! Wenn dir ein Thema unangenehm ist, dann blockst du einfach ab. Immer wenn ich mit dir darüber reden wollte, bist du mir ausgewichen. Immer, wenn ich dir von den Träumen und von Geistern erzählen wollte, hast du das Thema gewechselt, weil das für dich alles Nonsens ist. Immer, wenn ich die Zeit fand, die Suche nach Bella voranzutreiben, hast du es mir verboten. Verdammt, Mum. Ich kann nie mit dir über meine Probleme reden, weil du mir einfach nicht zuhören willst. Du versuchst es nicht einmal. Weißt du, was ich denke? Besonders seit Phil in unsere Familie gekommen ist? Du nimmst mich so gut wie überhaupt nicht mehr wahr und ignorierst mich. Du verleugnest mich. Deinen eigenen Sohn. Und du verleugnest deine Tochter, weil du sie mit allen Mittel vergessen willst.“

Klatsch!

Renee hatte mir eine Ohrfeige verpasst.

Ich sah ihr ins Gesicht. Es war schmerzverzerrt und in ihren Augen glitzerten Tränen. Ich fasste mir mit einer Hand an die rote Wange.

„Sag so etwas nie wieder!“, fauchte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Ich muss jeden Tag an sie denken. Wie soll ich sie denn jemals vergessen können? Es tut jedes Mal weh, wenn ich dich ansehen muss. Wenn ich dich sehe, dann sehe ich sie. Es ist einfach schrecklich.“

Diese Worte waren so viel härter, als alle Faustschläge, die mir Brian je verpasst hatte und noch verpassen würde. Ich war zutiefst verletzt, doch meine Stimme zeigte nicht mein Innerstes. Sie war ganz ruhig und gelassen. Kalt und emotionslos.

„Das denkst du also, ja? Jetzt verstehe ich. Ich, der missratene Sohn, der dich an diejenige erinnert, die aus deinem Leben gerissen wurde. Es tut mir sehr leid, dass du so über mich denkst. Tut mir sehr leid für dich, dass ich ein Zwilling bin. Dass ich überhaupt existiere. Wenn mein Anblick so furchtbar für dich ist, warum hast du mich dann mitgenommen? Ich wäre viel lieber bei Charlie in Forks geblieben.“

Ab und zu zuckte es in Renees Gesicht als Reaktion auf meine Worte und innerlich bereitete es mir grimmige Genugtuung. Ich genoss es. Ich wollte sie verletzen.

„Was dabei heraus kommt, haben wir ja gesehen.“, verteidigte sie sich.

Das überging ich. Das hatte nichts mit Charlies Erziehung zu tun. Mit ihm wäre ich tausendmal besser dran gewesen.

„Ich weiß, warum du mich mitgenommen hast.“, sagte ich weiterhin gelassen.
„Du wolltest nicht allein sein. Du brauchtest eine Schulter, an der du dich ausweinen konntest, weil du mit deinem Schmerz nicht zurecht kamst. Und ich habe dich tagelang nach der Schule getröstet. Habe für dich gekocht, wenn du es mal wieder nicht konntest. Ich habe mich um dich gekümmert und meine Bedürfnisse zurück gestellt. Schließlich bist du ja meine Mutter. Aber was war – oder ist – mit mir? Wo war meine Schulter, an die ich mich hätte anlehnen können? Ach ja, die gab es ja nie. Immer musste ich stark sein für dich. Nie konnte ich mich wirklich gehen lassen und kann es heute immer noch nicht. Das war falsch von dir. Renee. Ich bin nicht dein Vater. Ich bin dein Kind. Du musst für mich da sein und nicht umgekehrt. Du musst mir durch meine Trauer hinweg helfen. Du musst dich um mich kümmern. Aber alles blieb die ganze Zeit im Großen und Ganzen an mir hängen. Du warst nie für mich wirklich da gewesen. Du hast als Mutter versagt, Renee. Du hast meinen Respekt verloren. Du hast mich so gut wie verloren.“

Ich nahm mein Rucksack und verließ den Wagen, ohne eine Antwort von Renee abzuwarten. Sie schien sowieso viel zu perplex zu sein, um etwas zu erwidern. Mir war das ziemlich egal. Ich hatte meine Mutter verloren. Sie ist zusammen mit meiner Schwester verschwunden. Diese Frau im Wagen ist zwar meine Mutter, aber nicht meine Mum.

Ich war heute spät und musste beeilen. Die Flure waren leer, was gut war, denn so konnte ich ungestört zu meinem Spint gehen und meine Bücher für heute heraus holen. Als ich gerade sie Tür meines Spints schloss, erschrak ich kurz, da plötzlich vor mir ein Geist aufgetaucht war. Es war ein Junge. Er war 15, wirkte aber durch seine grünen Augen sehr kindlich, unschuldig und hilflos.

Schon vor den Weihnachtsferien hatte er mich damit genervt, ich solle doch seinem besten Freund sagen, wo sich seine Tagebücher befinden, damit dieser sie seiner Mutter geben kann. Er wollte, dass seine Mutter alles über ihn erfuhr. Sie war sehr traurig über den Verlust ihres Sohnes und weinte wohl bitterlich. Auch sein Vater war wohl nah am Wasser gebaut.

An sich tat ich das gerne, aber ich hatte in der letzten Zeit einfach keinen Nerv dafür gehabt. Auch dass er immer dann auftauchte, wenn andere in meiner Nähe waren, war nicht gerade vorteilhaft für uns beide. Ich hatte natürlich versucht unauffällig zu reden, doch ich war mir ziemlich sicher, dass schon viele bemerkt hatten, dass ich manchmal Selbstgespräche führte. Und schon hatten die anderen wieder etwas zum Tratschen. Außerdem war er ja nicht der einzige Geist, der was von mir wollte.

Das war halt der Nachteil, wenn man als einziger in der Lage war, Geister zu sehen. Somit wurde ich immer unbeliebter, als ich es sowieso schon war.

Ja, mein Leben lief einfach perfekt!

Anfangs hatte mir mein toter Opa Thomas dabei geholfen, mit dieser Fähigkeit zurecht zu kommen. In meiner Familie war ja für Übersinnliches einfach nie Platz gewesen. Vor allem nicht nach Bellas Verschwinden. Vor kurzem sah ich auch meine Oma Marie, die vor über sieben Monaten gestorben war. Sie sagte mir, es ginge ihr gut und dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchten. Sie hatte ein langes glückliches Leben gelebt und war froh, wieder mit Opa vereint zu sein. Und ich muss es am besten wissen, da sie mich manchmal gemeinsam besuchten.

Ich hatte mir überlegt, meinen toten Großeltern von all meinen Problemen zu erzählen. Jedoch würden die langen Selbstgespräche sogar Renee auffallen und auf die folgende Unterhaltung wollte ich unbedingt verzichten. Also würde so etwas nur nachts möglich sein. Aber schließlich musste ich mir eingestehen, dass meine Großeltern nicht jedes Mal springen konnten, wenn ich etwas von ihnen wollte. Außerdem gehörte ich in die Welt der Lebenden.

Ich sollte mich einem Lebenden mitteilen, keinem Toten. Aber so einen fand ich nun mal einfach nicht. Es war zum verrückt werden. Heute war der der Junge also wieder da und ging mir auf die Nerven. Ich flüsterte, obwohl der Flur menschenleer war. Es war immerhin sehr gut möglich, dass mich jemand dennoch sah. Ich sagte ihm, dass ich seine Bitte erfüllen würde, sobald sich die Gelegenheit ergab und ich Zeit dafür finden würde. Er gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Fürs erste.

Der Tag verlief so wie immer. Ich wurde von Bubis Bande schikaniert, verhielt mich relativ ruhig im Unterricht, arbeitete dennoch fleißig mit. In der Mittagspause ging ich immer auf die Toilette. Das ist bei mir zu einem Ritual geworden und jeder wusste das wahrscheinlich. Aber sollten sie doch reden. Mir war das alles egal.

Doch an diesem Tag wäre es besser gewesen, von meinem Ritual abzuweichen.

Ich ging zum Jungsklo, machte die Tür auf und blieb vor Entsetzen stehen. Der Raum wirkte so finster und dunkel, dass ich leichte Panik verspürte. Es war zwar relativ finster draußen durch die Wolken, aber es war doch immer noch „hell“. Kaum einen winzigen Lichtstrahl konnte ich im Raum ausmachen. Es fehlte nicht mehr viel und es wäre hier genauso schwarz wie unter der Erde. Jedenfalls empfand ich das so. Man konnte seine Hand vor sich noch erkennen, wenn man den Raum betrat, aber sie wirkte so schemenhaft, dass das allein ausreichte, um mir einen eiskalten Schauer durch den Körper zu jagen.

Ich versuchte ruhig zu bleiben, betrat nun ganz die Toilette und schaltete heute das Licht an, da es ohne viel zu finster im Raum wirkte. Ich sah sofort warum. Die Jalousien der Fenster waren unten, was komisch war. Eigentlich reagierten die Sensoren nur auf sehr starke Sonneneinstrahlung, um dann die Jalousien runterzufahren. Aber angesichts der Wolkendecke, konnte man wohl kaum von Sonnenschein reden. Die Technik musste eine Macke haben. Der heutige Tag schien im wahrsten Sinne des Wortes ein schwarzer Tag zu werden. Gott, wie ich Mutter Natur heute missverstand.

Ich erledigte mein Geschäft und ging wie immer zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen. Ich hielt meine Hände gerade unter einem Wasserstrahl, als es plötzlich stockfinster wurde.

Jemand hatte das Licht abgeschaltet. Oder war der Strom ausgefallen?

Meine Atmung beschleunigte sich, genau wie mein Herz und mein Puls.

Ruhig, sagte ich mir. Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit. Du bist in der Schule. Doch es half nicht. Panik stieg in mir auf und wurde größer und größer, drohte mir die Kehle zuzuschnüren, dass ich nicht einmal schreien konnte. Das war eigentlich ziemlich albern. Warum sollte ein 14-jähriger um Hilfe schreien, nur weil er sich in einem dunklen Toilettenraum in seiner Schule befand? Er brauchte sich doch nur bis zur Tür zu tasten und den Raum verlassen.

Ganz einfach, möchte man meinen.

Aber nicht für mich.

Ich begann, wurde immer hysterischer, konnte kaum klar denken. Bilder des 20. Dezembers letzten Jahres strömten in meinem Kopf. Ich keuchte, rang nach Atem, obwohl doch genügend Luft vorhanden war. Ich musste hier raus. Sofort! Aber ohne Licht? Nein. Panisch und voller Angst riss ich meinen Rucksack von meinem Rücken, zog den Reißverschluss auf und griff nach meiner rettenden Hand. Ich schaltete meine Taschenlampe ein und versuchte mich wieder zu beruhigen.

Die Dunkelheit und ich konnten uns noch immer nicht vertragen. Die Wunde war einfach noch zu frisch. Ich spürte innerlich, wie ich ruhiger wurde, doch im nächsten schwoll die Panik wieder an.

Das Licht flackerte.

Ging an, ging aus.

Immer und immer wieder.

°Komm schon.°, flehte ich.
°Lass mich jetzt nicht hängen!°

Es war aber meine eigene Schuld.

Weil ich die Taschenlampe Nacht für Nacht leuchten ließ, waren die Batterien natürlich immer sehr schnell aufgebraucht. Und gerade jetzt, gaben die Batterien den Geist auf. So ein Pech. Gestern Nacht hatte sie noch perfekt funktioniert. Warum hatte ich keine Ersatzbatterien dabei gehabt? Doch was hätte das jetzt genützt, wenn eh kaum etwas sehen konnte? Warum habe ich nicht daran gedacht, sie heute Morgen wieder einmal zu wechseln? Es waren seit dem letzten Wechsel wieder einige Tage vergangen. Ich war auch zu blöd.

Ein letztes Mal erhellte ein Lichtstrahl den Raum, dann versagte die Lampe endgültig. Ich wollte schreien, fand jedoch meine Stimme nicht. Die Angst hatte mich in ihrer Gewalt, sodass ich nur zitternd dastehen und die Taschenlampe mit aller Kraft umklammern konnte. Ich drohte zu ersticken, hörte nichts mehr. Nicht einmal das noch laufende Wasser des Wasserhahns. In meinem Gehirn war für nichts mehr Platz.

Nur die Angst wohnte in diesem Moment dort drin.

Ich fühlte mich so allein und verlassen wie vor wenigen Tagen. Was würde jetzt mit mir geschehen? Mein lebendiges Begräbnis kam mir wieder in den Sinn. Ich fühlte so, wie ich in diesem Augenblick fühlte. Jetzt tat es mir leid, wie ich mit meiner Mutter umgesprungen war. Wenn ich das hier überleben sollte, schwor ich mir, es mit ihr noch einmal zu versuchen und unsere Beziehung wieder aufzubauen, wenn sie mir dabei half. Jahre schienen zu vergehen, dann wieder zähe Sekunden. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Schreien hörte ich mich immer noch nicht. Die Angst und die Panik hatten mich komplett gelähmt. Ich stand einfach nur da und konnte mich nicht bewegen. Vielleicht hoffte ich, jemand würde rein kommen und das Licht wieder anschalten oder das Licht würde von allein wieder angehen.

Plötzlich drang ein Geräusch an mein Ohr. Ich konnte nicht beschreiben, wonach es klang. Dafür war es viel zu weit weg. Dann spürte ich eine Hand an meiner Schulter und die Angst übernahm nun die volle Kontrolle über meinen Körper. Ich hatte Angst um mein Leben. Ich musste mich verteidigen, mich schützen. Ich dachte nicht darüber nach, was ich da tat. Das war mir in diesem Moment einfach nicht möglich. Plötzlich wusste ich wieder wie man schreit.

Ich schrie, umklammerte fest meinen rettenden Anker, wirbelte herum und schlug mit der Taschenlampe auf meinen Gegner ein. Immer und immer wieder. Voller Wut und Angst holte ich immer wieder aus. Hörte gar nicht die stumpfen Geräusche, sondern wollte nur mit aller Macht meinen eigenen Tod verhindern.

Mein Leben war alles andere als perfekt. Aber ich wollte leben. Für meine Schwester, die ich über alles liebte. Ich wollte weiter nach ihr suchen können. Wollte dabei sein, wenn sie nach Hause kam. Wollte sie wieder in meine Arme schließen, sie spüren und sie küssen, damit ich mir wirklich sicher sein konnte, dass sie wirklich bei mir war. Ja, ich würde sie vor Glück und Freude regelrecht abknutschen wollen. Das war der Grund, warum ich um mein Leben kämpfen musste.

Das war der Grund, warum ich meine Waffe immer und immer wieder benutze, bis die Gestalt, die mir an den Kragen wollte, zu Boden sank. Ich hörte auf zu schreien und atmete schwer vor Anstrengung. Versuchte mich und meinen Körper zu beruhigen.

Dann wie durch ein Wunder ging die Lampe wieder an.

Das Licht flackerte und war schwach, aber sie war an.

Ich leuchtete auf dem Boden und mir stockte der Atem. Vor mir lag jemand. Er hatte ein weißes Lacken über seinen Körper gestülpt, welches 2 Aussparungen für die Augen hatte. Nun, weiß war das Lacken nicht mehr. Ein großer roter Fleck war an der rechten Seite des Kopfes zu erkennen. Es schien, als söge das Lacken immer mehr Blut auf, sodass der Fleck größer und größer wurde. Ich merkte, wie ich leise zu wimmern anfing.

Ich wollte es nicht wissen.

Ich wollte nicht wissen, wer sich unter dem Lacken befand und noch war es ein innerer Zwang das Lacken zu entfernen. Ja, ich musste es einfach tun, obwohl ich es doch eigentlich schon so genau wusste, wen das Lacken offenbaren würde.

Dennoch griff ich nach einer weißen Stelle und zog es vom Körper herunter, um es in der nächsten Sekunde auch schon wieder fallen zu lassen. Jetzt wünschte ich mir, dass das Licht der Lampe wieder erlöschen würde, damit ich so wenig wie möglich von diesem Anblick ertragen musste. Doch leider wurde ich auch dieses Mal nicht erhört.

Mein Opfer war niemand anderer als Brian McDogan. Seine Augen waren geschlossen und an seiner Schläfe floss das Blut hinab. Es war eine Wunde zu erkennen.

Und…konnte es sein, dass ich da Knochensplitter sah?

Sein Gesicht und auch sein blondes Haar waren blutbespritzt. Ich ließ vor Schreck meine Waffe fallen und das Geräusch und die Wucht des Aufpralls – wodurch die Licht erneut erlosch – schein mir lauter zu sein als meine Schreie.

Ich hatte den Jungen, der mich seit meinem ersten Tag hier quälte, umgebracht. Ich, ein 14-jähriger Junge, war zum Mörder geworden. Ich hatte einen unschuldigen Jungen zu Tode geprügelt, nur weil er sich einen Streich mit mir erlaubte. Sicher, er war kein Engel gewesen. Aber niemand hatte den Tod vierdient. Niemand. Auch nicht er. Er war doch bloß ein dummer Teenager, der sein ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte. Und ich hatte es ihm genommen. Wer weiß, was aus ihm geworden wäre? Tja, das konnte man jetzt nie erfahren.

Ich schmeckte Salz in meinem Mund. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich weinte. Es war dunkel und wieder hatte ich Angst. Doch diese Angst war etwas anders als die vorherige. Was würde jetzt mit mir passieren? Wie sollte ich das seinen Eltern erklären? Ich würde für ihre Trauer verantwortlich sein. Ich habe ihnen diesen Schmerz zugefügt, den sie bald spüren würden. Wie sollte ich mit dieser Schuld leben? Wo würden sie mich hinstecken? Mit Sicherheit würde ich von der Schule fliegen. Was würden meine Eltern dazu sagen? Was würde Renee dazu sagen? Würde sie mich abschieben und zu Charlie schicken? Was, wenn Dad mich auch nicht wollte? Würde ich in ein Heim kommen? Oder würde ich den Rest meines Lebens in einer Anstalt verbringen?

Diese und andere Fragen wirbelten in meinem Kopf herum. Ich hatte Angst und wollte nur noch weg. Fort aus diesem Raum. Fort aus dieser Schule. Fort aus dieser furchtbaren Stadt. Ich wollte weg, ohne dass es jemand bemerkte. Eigentlich müsste ich für meine schreckliche Tat gerade stehen und stark sein. Doch ich war nicht stark. Das war ich nie. Ich habe nur meinen Eltern, Renee und mir selbst etwas vorgemacht. Ich war klein und schwach und feige. Feige, wie ich nun mal war, wollte ich weglaufen, doch meine Beine bewegten sich nicht.

Kein Muskel rührte sich.

Ich war wie gelähmt und schaute weinend auf die Leiche. Das musste der Schock sein.

Dann nahm ich etwas – trotz der Dunkelheit und den tränenverschleierten Augen – wahr.

Ein Flimmern. Oder ein Flackern.

Erst ganz leicht. Dann wurde es immer stärker.

Die Leiche von Brian – eher seine Umrisse – schien mehr und mehr zu verschwimmen. Nein, nicht nur die Leiche. Auch alles drum herum schien sich aufzulösen. Merkwürdig. Was ging hier vor?

Doch ehe ich noch weiter darüber nachdenken konnte, wurde der Raum von gleisendem Licht erhellt und ich schaute erschrocken hoch. Unbewusst wurde mir klar, dass das Flackern mit meinem Schreck verschwunden war.

Vanessa stand vor mir.

Vielleicht hatte sie die Schreie gehört und wollte nachsehen, was los war. Sie schaute erst erschrocken, blass und mit großen Augen zu mir, dann sah sie zu Boden und schrie vor Entsetzen laut auf, sodass das ganze Gebäude zu wackeln schien.

Dies war mein letzter Tag an dieser Schule gewesen.

Alle hatten Angst vor mir und wagten es nicht, mir in die Augen zu sehen. Auch tuschelten sie nicht, sondern sahen nur stumm zu, wie ich von der Polizei abgeführt wurde. Ich war mir sicher, dass Dad voller Zorn im Dreieck sprang, als er davon erfahren hatte.

Ich, der Sohn eines Gesetzeshüters, hatte ein Menschenleben ausgelöscht.

Das Gericht hatte entschieden, mich erst mal 2 Jahre in eine Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche mit psychologischer Betreuung zu stecken. Charlie wollte Einspruch erheben, doch es hatte nichts genützt. Mein Dad hatte geheult wie ein Schlosshund, während Renee mich nur mit ihrem kalten Ich-bin-sehr-enttäuscht-von-dir-Blick angesehen hatte. Sie hatte keine einzige Träne vergossen.

Sie konnte sich schließlich glücklich schätzen. Sie war mich jetzt immer hin 2 ganze Jahre los, wenn nicht länger. Mich, den schwergestörten und mordenden Sohn. Sogar Phil hatte ein paar Tränen verdrückt und hatte mich mitleidig betrachtet.

Die 2 Jahre dort waren zwar nicht gerade schön, aber etwas besser, als meine Schulzeit.

Dort herrschte eine wichtige Regel: Befolge alle Regeln und sei gehorsam.

Für mein soziales Umfeld galt eine andere.

Lass sie in Ruhe, so lassen sie dich auch in Ruhe.

Und diese Regel hielt ich nur zu gern ein. Ich war immer für mich, sprach mit keinem anderen, sondern beobachtete nur. Selbst das war schon gefährlich, da es einige absolut nicht leiden konnten, wenn man sie zulange anstarrte. Wenn man es denn doch tat, wurde man von 2 Fäusten begrüßt, wenn die Aufsichtsperson mal nicht hinsah. Das passierte mir zum Glück nie und ich konnte immer jeden Konflikt aus dem Weg gehen. Weil ich mich aus allem raus hielt, wurde nie beleidigt oder geschlagen. Das war aber auch das einzig Positive daran.

Dort gab es viele seltsame Typen. Auch einige Mädchen waren darunter, die so aggressiv waren, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Die Fäuste zu benutzen, stand bei denen auf der Tagesordnung. Heimlich und wann immer es mir möglich und sicher für mich war, beobachtete ich die anderen. Entweder das, oder ich träumte vor mich hin, war ganz tief in meinen Gedanken versunken.

Ich dachte über mein Leben nach.

Was ich hätte anders machen können. Über meine Eltern. Über Brian. Und ich dachte an Bella. Sehr oft. Jeden Tag. Jede Minute. Naja, außer wenn mich die „Schule“ unterbrach.

Aber ein wirklicher Unterricht war das nicht. Es war keiner im eigentlichen Sinne und ich wusste, dass ich den Stoff nachholen musste, wenn die 2 Jahre um waren. Ich hoffte, dass ich nicht länger hier drinnen bleiben würde. Deshalb verhielt ich mich unauffällig. Ich wollte ja wieder hinaus in die wirkliche Welt. Und das ging nur, wenn ich nicht negativ hervor stach. Also ließ ich alles stillschweigend über mich ergehen und beklagte mich nicht.

Die Sitzungen bei der Psychologin waren das Schlimmste. Man sollte meinen, dass Psychologen einfühlsam sind und auf den Patienten eingehen. Ihm helfen, seine Probleme auszudrücken und deren Ursachen herauszufinden. All das nur, damit der Patient seine Probleme in den Griff bekommen kann, sodass er beispielsweise nicht mehr seine Aggressionen auslebt. Genau das erwartete ich jedenfalls von so einer Person, die sich in diesem Fachgebiet bewegte. Besonders bei einem weiblichen Psychologen setzte ich so etwas voraus, da ja normalerweise Frauen einfühlsamer und sanfter sind als Männer. Es sei denn, sie sind auch Psychologen.

Aber diese Frau reichte nicht einmal annährend an meine Erwartungen heran. Ich war bitter enttäuscht und hätte ihr mal gerne meine Meinung gesagt. Doch leider spielte ihre Beurteilung für meine Entlassung eine wichtige Rolle.

Alle 2 Wochen musste ich über meinen Alltag reden. Wenn es das schon gewesen wäre. Nein. In JEDER Sitzung musste ich alles nochmal durchkauen. Mein ganzes Leben. Meine ersten 7 Jahre als ich noch eine glückliche Kindheit gehabt hatte. Die Jahre danach, wie ich mich seit Bellas Verschwinden fühlte, wie meine Beziehung zu meinen Eltern war. Das Ende meiner Kindheit. Dann wie und ob ich die Trennung meiner Eltern verkraftet habe und wie ich das Leben mit Renee und später auch mit Phil empfand. Wie ich mit der Situation umging, lebendig begraben worden zu sein, was ich in diesem Moment dachte und warum ich nicht aufgegeben hatte. Und schließlich mein Schulalltag bis hin zur Tat in der Jungentoilette.

An sich war das ja eine gute Sache, aber nicht immer und immer wieder. Die ersten zwei Sitzungen hatte ich geweint, doch dann habe ich mir einfach immer und immer wieder von der Seele geredet, wobei meiner Stimme jedes Mal ruhiger, bald emotionslos wurde. Ob sie das mitbekam wusste ich nicht. Und ich fühlte mich nach all diesen Sitzungen nicht wirklich besser. Ich hatte mir das nicht alles von der Seele geredet, um mich schließlich etwas leichter zu fühlen.

Nein.

Seit der zweiten beziehungsweise dritten Sitzung, sagte ich nur noch auf. Ich fühlte mich nicht erlöst oder leichter. Ich fühlte mich einfach müde, leer, matt und ausgelaugt. Diese Frau schien zu ihrem Job gezwungen worden zu sein, da sie nicht wirklich auf mich einging, ja nicht einmal versuchen wollte, meine Situation zu verstehen. Alles in allem hatte ich in jeder Sitzung viel geredet, aber nichts gesagt.

Alles nagte immer noch an und in mir und ich hatte das Gefühl, beinahe den Verstand zu verlieren, da ich nie meine Erlebnisse wirklich verarbeiten konnte. Ich hatte keine Person, mit der ich meine Vergangenheit teilen konnte oder durfte und diese „Psychologin“ zählte nicht als Vertrauensperson.

Einzig und allein die Besuche meines Dads waren meine Lichtblicke in dieser Hölle.

Es gab strenge festgelegte Besuchszeiten. Eigentlich gab es nur eine.

Dienstags von 15.00 bis 16.00 Uhr.

Und mein Dad kam JEDE Woche. Jede verdammte Woche kam er mich besuchen, hielt zu mir und stärkte mir den Rücken. Dieser Mann wurde für mich zum Mutterersatz geworden. Er hatte nicht gerade wenig zu tun, war mit seiner Arbeit und mit der Suche nach seiner Tochter beschäftigt. Trotzdem nahm er sich die Zeit und kam jede Woche zu mir. Ich heulte fast immer, wenn die eine Stunde Besuchszeit vorbei war und er gezwungen war, zu gehen. Und mein Dad wollte nie gehen. Wenn er gekonnt hätte, hätte er mich nicht mal einen kompletten Tag hier drinnen gelassen. Ich konnte förmlich jedes Mal, wenn wir uns verabschiedeten, die Idee in seinen – in meinen – Augen sehen.

Einfach meine Hand nehmen und wegrennen. Und wenn sich jemand quer stellte, dann würde einfach die Waffe gezogen werden. Aber das ging leider nicht. Nicht, wenn ich irgendwann wieder ein normales Leben führen wollte. Naja, normal für meine Verhältnisse.

Jedes Mal sagte Charlie dasselbe: „Halte durch, mein Junge. Du schaffst das. Wir stehen das zusammen durch. Und dann bist du wieder bei uns.“

Diese Worte brauchte ich auch jedes Mal. Und immer, wenn ich drohte verrückt zu werden, rief ich mir diese Worte in Erinnerung. Oh Gott, wie sehr ich meinen Vater liebte, auch wenn ich ihn manchmal Charlie nannte. Das störte ihn kein bisschen. Er wollte mich nur glücklich sehen und wissen. Aber um mein vollständiges Glück erreichen zu können, musste erst einmal Bella gefunden werden. Ich vergötterte diesen Mann und ich war stolz. Stolz der Sohn dieses Mannes zu sein. Stolz darauf, so einen Vater haben zu dürfen.

Er hatte genau das, was Renee seit Jahren fehlte: Liebe, Einfühlungsvermögen und einen Beschützerinstinkt.

Renee besuchte mich kein einziges Mal in diesen 2 Jahren. Seit unserem Gespräch im Auto, war sie schlecht auf mich zu sprechen.

Einerseits verspürte ich nicht das Bedürfnis auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln.
Andererseits hasste ich sie dafür, dass sie als Mutter ihr Kind einfach im Stich ließ.

Phil besuchte mich ab und zu, ohne das Wissen Renees, und half mir auch in gewisser Weise durchzuhalten. Manchmal fragte ich mich echt, was er in meiner Mutter sah. Sie hatte ihn überhaupt nicht verdient. Sicher, er hätte sich noch mehr um mich bemühen können, aber das verlangte ich auch gar nicht von ihm. Er hatte nie vorgehabt, meinen Vater zu ersetzen und das wollte ich auch nie. Er war ein Freund. Ein guter Freund. Nicht mehr und nicht weniger.

Renee war gar nicht bewusst, wie viel Glück sie mit Phil hatte. Aber vielleicht wusste Phil das auch und versuchte ihr die Augen wieder zu öffnen. Versuchte sie zu der Renee zu machen, die sie früher einmal war. Vielleicht blieb er deshalb bei ihr. Somit wurde mein Respekt gegenüber Phil nur noch größer.

Die Zeit verging langsam.

Aber sie verging.

Und irgendwann waren die 2 Jahre um und ich trat als 16-jähriger hinaus in die Freiheit.

Wie ein kleines Kind rannte ich meinem Vater in die Arme und schluchzte heftig. Auch mein Vater verdrückte einige Tränen. Es war mir so was von egal, ob uns jemand sah. Es war mir auch egal, dass ich mich, obwohl ich 16 war, in diesem Moment wie ein kleiner Junge verhielt. Meine Kindheit endete mit 7. Da musste ich einiges nachholen und konnte es mir daher manchmal erlauben kindisch zu sein. Wer ein Problem damit hatte, der sollte mir gestohlen bleiben. Außerdem hatte ich allen Grund gehabt zu heulen. Vor Wut, Freude und Trauer flossen Tränen über Tränen.

Ich war endlich frei.

Endlich raus aus dieser Anstalt.

Keine Sitzungen mehr. Nie mehr mit den anderen Jugendlichen in einem Raum sitzen. Nie mehr dieses grauenhafte Essen.

Als wir uns dann doch endlich beruhigt hatten, fuhr Dad mit mir in ein Café, wo ich 8 Stück von verschiedenen Torten gegessen hatte. Ich hatte so einen Hunger gehabt. Außerdem hatte ich abgebaut. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon etwas magersüchtig ausgesehen, was Charlie Sorgen gemacht hatte.

Nachdem ich 2 glückliche Wochen in Forks verbracht hatte, beschloss ich, wieder zu meiner Mutter zurück zu kehren und dort auf die Highschool zu gehen. Eigentlich wollte ich bei Charlie bleiben, aber mein schlechtes Gewissen hatte sie wieder einmal gemeldet. Außer mir hatte sie doch keinen. Sie hatte mich 2 ganze Jahre nicht gesehen und sie war doch irgendwo meine Mutter.

Charlie verstand das und ließ mich schweren Herzens wieder ziehen, was auch mir nicht gerade leicht gefallen war. Phil nahm mich freudestrahlend in die Arme und weinte ein wenig, was er aber natürlich nicht zugeben wollte. Auch Renee umarmte mich. Bei ihr fühlte sich diese Geste allerdings nicht so herzlich und warm an, aber ich erwiderte ihre Umarmung. Auch lief ihr eine Träne über die Wange.

Ich wurde problemlos an der Highschool angenommen und ging dort zur Schule. Sie war nicht die, die nahe meiner alten Middle School lag. Ich hielt es für besser auf eine Schule zu gehen, auf der mich so wenige wie möglich (wieder-)erkannten. Ich hatte also komplett neue Mitschüler und keiner kannte meine Vergangenheit. Außer dem Teil mit Bella, da ich auch nach meiner Entlassung nichts unversucht ließ, sie zu finden.

Auch akzeptierten mich alle und ich wurde nicht wegen meiner langen Haare gehänselt, sodass ich einige Schulfreunde gewinnen konnte. Einen besten Freund oder eine beste Freundin zu finden, erwies sich allerdings mehr als schwierig. Dann hätte ich nämlich komplett auspacken müssen, worauf ich keine Lust hatte. Also ließ sich so eine Person niemals von mir finden.

Einerseits wollte ich über alles reden.

Andererseits fürchtete ich mich davor. Davor, wie sie reagieren würden. Davor, auf Ablehnung zu stoßen. Davor, dass mein geschenktes Vertrauen missbraucht werden könnte.

So hatte ich über die Jahre vergessen wie es ist, jemandem voll und ganz zu vertrauen. Ich hatte verlernt, mich anderen vollständig zu öffnen. Ich wusste einfach nicht mehr wie das geht.

Und dann eines Nachts hatte ich den Traum, der mir mein größtes Glück beschert hatte und flog zusammen mit meiner Mutter nach Forks, um die Hälfte meines Selbst wiederzufinden.


Ich tauchte aus meinen Erinnerungen wieder auf und stand nun vor der Tür. Ich hatte Glück. Nicht nur, weil die Schüler alle längst draußen waren, sondern weil ich ihn endlich wiedersehen konnte. Ich öffnete die Tür, trat ein und ging zum Lehrertisch. Er stand mit dem Rücken zu, weil er die Tafel abwischte.

„Mr. Sanchez?“, fragte ich leise, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

Er drehte sich um. Er hatte sich kein bisschen verändert. Mein Lieblingslehrer sah noch genauso aus wie vor 5 Jahren.

„Hallo. Kann ich Ihnen helfen?“

Ich lächelte. Er siezte mich. Wie eigenartig sich das anhörte.

„Erinnern Sie sich an mich?“

Er musterte mich von oben bis unten und ich konnte förmlich sehen, wie sein Kopf rauchte. Er lächelte entschuldigend.

„Nein, tut mir leid. Ich kann ihrem Gesicht keinen Namen zuordnen.“

Dann half ich ihm eben etwas.

„Erinnern Sie sich an den Jungen, der an ihrem letzten Tag keinen Aufsatz abgeben konnte?“

Es machte Klick in seinem Kopf, seine Augen wurden kurz groß und er strahlte über das ganze Gesicht, als würde er einen verlorenen Sohn wieder in die Augen sehen.

„Andy Swan. Natürlich. Jetzt erinnere ich mich wieder an Sie.“

„Bitte hören Sie auf mich zu siezen, dass klingt so ungewohnt aus ihrem Mund.“, bat ich.

Er lachte und zeigte seine Zähne.

„Und ich habe dir schon damals gesagt, dass du Mr. S. zu mir sagen sollst.“

„Okay.“, lachte ich.

„Es freut mich, dich wieder zu sehen. Wie ich sehe, scheinst du sehr glücklich zu sein. Wie geht es dir?“

Er war immer noch genauso aufmerksam wie damals, oder ich war einfach leicht zu durchschauen.

„Gut. Meine Schwester ist im Oktober letzten Jahres wieder zurückgekehrt. Und seitdem geht es in meinem Leben fast nur noch aufwärts. Und ich habe es geschafft, mich meiner Umwelt mitzuteilen. Oder eher gesagt, ich bin noch dabei. “

Ich grinste ihn breit an.

„Ich freue mich wirklich für dich.“, erwiderte er und wurde plötzlich ernst.
„Ich habe oft an dich denken müssen. Besonders seit ich aus dem Ausland wieder gekommen bin. Ich habe mich immer gefragt, was aus dir geworden ist und ob ich dich wohl jemals wiedersehen werde. Weißt du, obwohl ich nur eine Stunde dein Lehrer war, bist du mir ans Herz gewachsen. Du warst so unglücklich und traurig, dass ich dir irgendwie helfen wollte. Darum habe ich dir auch meinen Kugelschreiber geschenkt. Hast du ihn denn noch?“

Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. Ich brauchte eine Sekunde, um mich zu fangen.

„Verloren.“, log ich.

Seine Miene wurde bedrückt.

„Aber es war wirklich eine nette Geste von Ihnen.“, fügte ich rasch hinzu und lächelte, um ihn wieder etwas aufzuheitern.

Er erwiderte mein Lächeln nicht. Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst und er schien mich mit seinen blauen Augen zu durchbohren. Genau wie vor 5 Jahren.

„Ich hatte gehofft, dich noch einmal wiederzusehen und mit dir zu sprechen, bevor du die Middle School verlässt, um auf die High School zu gehen. Aber leider warst du nicht mehr auf dieser Schule. Als ich mich nach dir erkundigte, sagte man mir, du habest einen Mitschüler mit einer Taschenlampe totgeschlagen, weil er dir einen Streich gespielt hat.“
Seine Augen blickten ernst, aber nicht feindlich.
„Stimmt das?“

Ich seufzte. Bei allen anderen würde es mir schwer fallen, darüber zu sprechen, bei Mr. S. jedoch hatte ich keine Hemmungen und gab ihm nach kurzem Zögern eine ehrliche Antwort. Auch war ich es mir schuldig, da ich aus diesem Grund hergekommen bin. Ich wollte mit meiner Vergangenheit abschließen. Da gehörte das nun mal dazu.

„Zum Teil.“, sagte ich und ich merkte, wie sich Schmerz und Trauer in meine Stimme legten.
Meine Augen blieben jedoch trocken.
„Es war auf der Jungentoilette. An diesem Tag war der Himmel komischerweise voller Wolken und alles wirkte dunkel und finster. Er hatte das Licht gelöscht und sich von hinten an mich herangeschlichen. Er wollte mir einen kleinen Schrecken einjagen. Aber er wusste nicht, welche Wirkung die Dunkelheit auf mich hat. Wissen Sie, ich wurde mal für 36 Stunden lebendig begraben und fürchte mich seither vor der Dunkelheit. Ich werde immer ganz hysterisch, wenn nicht wenigstens etwas Licht nachts mein Zimmer erhellt. Jetzt geht es einigermaßen, aber manchmal muss ich heute noch etwas Licht für die Nacht haben. Sonst würde ich durchdrehen. Damals lag dieses schreckliche Ereignis noch nicht einmal einen Monat zurück und ich war noch extrem anfällig für dunkle Räume. Ich hatte an diesem Tag wie immer meine Taschenlampe dabei. Doch in diesem Moment waren die Batterien so gut wie leer und die Lampe ging aus. Als ich dann seine Hand auf meiner Schulter spürte, hatte ich solche Panik, dass ich wie wild auf ihn eingeschlagen hatte.“
„Ich wollte ihn nicht töten.“, sagte ich nach einer Pause.
„Aber ich hatte einfach solche Angst gehabt.“

Mr. S. hörte mir zu, ohne mich zu unterbrechen, während sein Gesicht immer fahler wurde und er mich erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen ansah. Ich wartete geduldig, bis er wieder bereit war zu sprechen und seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte.

„Ich wusste, dass das nicht die ganze Geschichte war. Ich habe dich nie als gewalttätig eingeschätzt. Danke, dass du es mir gesagt hast.“, erwiderte er ernst und lächelte leicht.

Daraufhin wurde es still.

Ich holte Luft und sprach weiter.

„Ich bin hier her gekommen, weil ich Ihnen für alles danken wollte. Sie waren der einzige Mensch auf dieser Schule, der mir je etwas bedeutet hat.“

„Ich? Ich habe doch gar nichts gemacht.“, hielt er dagegen.

„Doch.“, sagte ich etwas zu laut.
„Sie haben sich mit mir auseinander gesetzt und haben mir gute Ratschläge erteilt. Ihre damaligen Worte haben mich sehr berührt. Das tun sie heute noch. Sie wissen gar nicht, wie sehr sie mir geholfen haben.“

Er wirkte sehr überrascht und noch ehe er etwas darauf erwidern konnte, umarmte ich ihn.

„Vielen Dank.“, sagte ich nochmal.

Er war perplex und schien nicht so recht zu wissen, wie er sich jetzt verhalten sollte. Er legte kurz die Arme um mich und klopfte mir väterlich auf dem Rücken.

„Gern geschehen. Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte.“, antwortete Mr. S. und ich löste mich von ihm und trat einen Schritt zurück.

Meine Hand langte nach den Brief, der in meiner hinteren Hosentasche steckte.

„Ich habe ein Abschiedsgeschenk für sie.“, informierte ich ihn lächelnd und reichte ihm den Umschlag.

Er sah mich verwirrt mit zusammengezogenen Augenbrauen an und nahm ihn entgegen.

„Was ist das?“, fragte er und schaute auf dem Umschlag.

Ich lachte.
„Na mein Aufsatz, mit dem ich mich Ihnen mitteile. Zwar 5 Jahre zu spät, aber besser spät als nie.“

Ich lächelte und er lächelte ebenfalls.

„Machen Sie es gut Mr. S. und bleiben Sie so, wie sie sind.“

Ich drehte mich um und ging zur Tür.

„Dasselbe gilt für dich und alles Gute für deine Zukunft.“, rief er mir nach, bevor ich die Tür des Klassenraumes hinter mir ließ.

Ich verließ die Phoenix Middle School und machte mich auf zum letzten Teil, den ich hier noch zu erledigen hatte.

Ich hatte lange mit mir gerungen, war aber zu dem Entschluss gekommen, dass ich es ihm schuldig war.

Ich bestellte mir ein Taxi und fuhr zum Ort meiner Ängste. Doch jetzt musste ich einfach stark sein und meine Angst herunterschlucken. Ich war schließlich so gut wie erwachsen.

Gute 15 Minuten später war ich da und hatte schließlich recht schnell mein Ziel erreicht.


Brian McDogan

03.11.1987 – 10.01.2002


Ich stand vor seinem Grab, starrte auf die Buchstaben, auf die Zahlen. Ich konnte nicht weinen. Ich war nur traurig. Traurig, dass er nie die Chance bekam, erwachsen zu werden wie ich. Traurig, dass es sein Name war, der den Grabstein zierte. Traurig, dass ich hier jetzt stehen musste. Traurig, dass alles so enden musste. Ich wusste nicht so recht, was ich ihm sagen sollte. Ich hatte nur eine Entschuldigung mehr nicht. Ich starrte noch einige Minuten auf den Stein und atmete tief ein, um die Kraft für das Sprechen zu tanken.

„Brian, bist du hier?“, flüsterte ich und war froh, dass ich alleine war.

Ich sah mich um, konnte jedoch keinen einzigen Geist entdecken. Kein Wind fegte über die Gräser. Kein Wind wehte durch meine Haare.

Es war hier wie…tot.

Wie passend.

Ich konnte nicht über diesen schwarzen Humor lachen. Auf einem Friedhof konnte man nicht lachen. Ich schon gar nicht. Ich sah wieder zum Grabstein, als ich fortfuhr.

„Brian, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich kann dir nur sagen, wie leid mir das alles tut. Ich wollte nie, dass das so endet. Ich wollte dich nicht töten. Niemals. Ich möchte nur, dass du weißt, wie sehr ich meine Tat bereue und ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst.“

Nach wenigen Sekunden machte ich kehrt und verließ seine Ruhestätte.

Auf einmal kam ein leichter kurzer Windhauch und wehte meine Haare etwas nach vorn.

Ich wirbelte herum.

Kein Brian war zu sehen.

Entweder wollte er sich mir nicht zeigen, oder er hatte seinen Frieden gefunden. Ich hoffte, dass es das zweite war. Für ihn und für mich.

Ich drehte mich um, schloss die Augen, atmete tief durch und konzentrierte mich. Es musste einfach klappen. Ich wollte nicht den ganzen Weg alleine zurück fliegen. Ich wollte nicht mehr länger alleine sein. Ich wollte bei den anderen sein. Sofort. Ich wusste nicht, ob das überhaupt funktionieren würde, aber ein Versuch schadet ja nicht. Ich atmete ruhig.

Einatmen. Ausatmen.
Einatmen. Ausatmen.

Ich versuchte mich nur auf mein Ziel zu konzentrieren und alles andere zu vergessen. Nur für diesen Moment. Es gab jetzt nichts Wichtigeres, als eine richtige TeIeportation. Ich merkte, dass mein Kopf immer stärker zu pochen begann. Der Schmerz wurde immer intensiver, je mehr ich mich zu konzentrieren versuchte. Ich kniff die Augen fest zu und sammelte mich weiterhin.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schlug ich die Augen wieder auf.

Es hatte geklappt, trotz der Kopfschmerzen.

Sie waren nicht mehr da.

Ich war wieder in meinem Zimmer. Super. Ich hatte einen Ortswechsel geschafft, ohne die Welt zu wechseln. Ich nahm den Rucksack von meinem Rücken und mein Blick fiel sofort auf dem Zettel, auf dem ich meine Nachricht geschrieben hatte. Er lag immer noch auf dem Schreibtisch. Ich ging auf ihn zu und sah, dass dort eine Antwort geschrieben stand.


Andy,

wir sind drüben in der anderen Welt bei den Blacks. Beim anderen Jacob. Komm sofort her, sobald du dies gelesen hast.

Bella


Oh Gott! Was war denn jetzt schon wieder los? Da war man einmal weg. Ich seufzte und überlegte. Wann hatte sie diese Nachricht geschrieben? Gestern Mittag? Wollte mir das Elli vielleicht sagen, als sie mich angerufen hatte? Ging es ihr bei diesem Anruf nicht nur um mich? Und ich Idiot hatte mein Handy immer noch ausgeschaltet. Ich seufzte. Ich beschloss, mich nicht auf Jacob, sondern auf Bella zu konzentrieren. Wer weiß, wo sie sich gerade aufhielt?

Es war besser, bei ihr zu sein. Wo Bella war, würde Elli nicht weit sein. Gott, wie ich mich auf diese Begegnung schon freute. Wieder schloss ich die Augen und konzentrierte mich nur auf Bella. Mist, die Kopfschmerzen waren wieder da. Ich versuchte sie zu ignorieren. Es schien ein echter Notfall zu sein.


(Reguläres Universum)



„Da bist du ja!“, hörte ich die überraschte, sorgenvolle und leicht verärgerte Stimme meiner Freundin sagen.

Ich spürte kalte um mich und blickte in ihr frohes und sorgenvolles Gesicht. Sie sah tot unglücklich aus. Ich merkte, wie die Kopfschmerzen langsam abklangen.

„Was ist?“, fragte ich sofort nach.

Ich sah auf und blickte in die Gesichter der zwei Cullen-Familien.

Und was mich wunderte: Sie ALLE waren da.

Jede Version jedes einzelnen Mitgliedes war anwesend. Abgesehen von Elli und Jasper natürlich.

Sie alle wirkten ratlos und besorgt. Die zwei Esmes sahen aus, als würden sie gleich in Tränen ausbrechen. Die beiden Emmetts grinsten nicht, als sie mich sahen, sondern schauten so bedrückt, dass meine Angst in mir wuchs. Emmett, egal welcher, und schlecht gelaunt? Die Lage musste sehr ernst sein.

Carlisle – der rote, als auch der blonde – sah aus, als würde er fieberhaft und verzweifelt über etwas nachdenken. Jasper hatte den gleichen Ausdruck in den Augen wie Elli. Er schaute traurig und schmerzerfüllt drein. Jaspers Alice lag in seinen Armen und sie streichelte tröstend seinen Rücken und sah alles andere als geladen und fröhlich aus. Selbst den beiden Rosalies konnte man ihre Trauer ansehen.

Alice und Edward aus meiner Welt schauten ebenso wie die anderen. Bella schaute fast so unglücklich wie damals, als wir uns wiedergefunden hatten und trat auf mich zu, während ich an ihr vorbei zu ihrem Edward starrte und meine Augen weiteten sich vor Schreck. Ich merkte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.

Edward saß zusammen gekauert in einer Ecke, die Beine angewinkelt, die Arme um die Knie geschlungen und sich selbst hin und her wiegend. Sein Blick war das Leiden Christi oder noch schlimmer. Wenn er hätte weinen können, dann stünde das ganze Haus unter Wasser. Er litt so sehr, dass mir meine Probleme so nichtig und unbedeutend vorkamen. Ich riss meinen Blick von ihm los und schaute meine Schwester an.

„Was hat er?“, fragte ich entsetzt.

Elli löste sich von mir und Bella holte tief Luft, bevor sie sprach.

„Edward ist vollkommen taub. Er hört nichts mehr. Keine Worte. Keine Gedanken. Auch hat sein Geruchssinn sehr stark nachgelassen.“, erklärte sie mit Schmerz in der Stimme und versuchte vergeblich die Tränen zurückzuhalten, die sich ihren Weg ins Freie bahnen wollten.

Fast hätte ich aufgelacht.

Vampire und taub? Das war doch nicht möglich! Wie konnten Vampire plötzlich taub werden? Das war so ein Unsinn, als würde man mir sagen, die Sonne sei rot. Aber Bella und die anderen machten so traurige und bedrückte Gesichter, dass das wohl oder übel stimmen musste.

„Und als ich bei Jacob war, habe ich in einer Vision gesehen, wie Viktoria mit einer Armee von neugeborenen Vampiren hier her kommen wird, um mich zu töten. Als ich das Jacob erzählt hatte, wollte er sofort mit seinem Rudel zusammen rüber kommen, da sich diese Version auf diese Welt bezog. Als die beiden Jacobs sich dann gegenüberstanden und der Kurzhaarige, dem Langhaarigen alles erzählte, wurde dieser so wütend, dass er sich in einen Werwolf verwandelte. Für ihn war es die erste Verwandlung. Der Jacob aus deiner – aus unserer Welt sagte: 'Zwei Rudel für den Kampf ist besser als eines.'“

Ich konnte Bella nur fassungslos anstarren und es dauerte eine Weile, bis ich diese neuen Informationen verarbeitet hatte. Kein Wunder, dass alle Cullens da waren. Tja, da würde meine Geschichte wohl warten müssen.

Worte aus vergangenen Tagen





Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Nichts.

Stille.

Totenstille, die mich wie ein Gefängnis umschlang.

So sehr ich auch die Ohren spitzte, um zu lauschen. So sehr ich mich auch zu konzentrieren versuchte. Das Ergebnis war immer dasselbe: Nämlich überhaupt keines.

In meinem Kopf und um mich herum herrschte absolute und undurchdringbare Stille. Es war unerträglich, obwohl das noch milde ausgedrückt ist. Ich war weder in der Lage Stimmen in Köpfen, noch Stimmen aus Mündern zu vernehmen. Ich fühlte mich entsetzlich. Wie konnte das nur geschehen? Ich schloss meine Augen, versuchte einmal tief durchzuatmen und dachte nach.


Nachdem Bella mich angerufen hatte, sind Elizabeth und ich sofort zu ihr gelaufen. Wir hatten sie gefragt, was denn los sei, aber sie wollte nichts erklären, bevor wir nicht bei den anderen waren. Bella machte uns große Angst. Ihr Herz hatte sehr schnell geschlagen und sie hatte sehr blass ausgesehen. Sie war einfach zu aufgewühlt gewesen, als dass ich sie hätte beruhigen können. Selbst Elizabeths Fähigkeit hatte nicht geholfen, was teilweise auch daran gelegen haben könnte, dass sie selbst in zu großer Sorge um Bella und vor allem um Andy gewesen war. Als wir wenig später beim Haus angekommen waren, hatte uns Bella alles erzählt. Andys unerklärlicher Alleingang, Bellas Vision von Victoria und ihrer Armee – ich konnte ein Knurren einfach nicht zurück halten – und schließlich die Sache mit den Hunden, deren Mitnahme in die andere Welt und dass sich dort wohl zum ersten Mal der andere Urenkel von Ephraim Black verwandelt hatte. Ich war unfassbar froh, dass Bella nicht verletzt wurde.

Was da alles hätte passieren können?

Nein, das wollte ich mir lieber nicht vorstellen, sonst würde ich ihm womöglich doch noch die Kehle durchbeißen.

Ihre Stimme war relativ gefasst und ruhig gewesen, aber ihr Körper hatte etwas ganz anderes gesagt. Die anderen wussten bereits von Victoria, da Elizabeth – die es von mir gehört hatte, als ich es den anderen damals nach meinem Kampf mit Laurent erzählt habe –, alles weitergesagt hatte. Nun hatten wir also drei Probleme. Andys Verschwinden, Victoria und ihre Armee und diese zwei Rudel von Hunden. Obwohl letzteres nicht wirklich unser Problem sein sollte. Als Bella schließlich geendet und wir uns wieder beruhigt hatten, hatten wir uns alle an den Händen genommen und einen Kreis gebildet, damit Bella uns alle in das andere Cullen-Haus bringen konnte. Doch kaum, da wir hinüber getreten waren, spürte ich, dass sich etwas verändert hatte.

Meine Mutter Esme und der blonde Carlisle hätten fast einen Herzinfarkt bekommen – wenn sie noch schlagende Herzen gehabt hätten – als wir alle plötzlich im Wohnzimmer aufgetaucht waren. Die Wiedersehensfreude war schier überwältigend gewesen. Besonders Esme hätte am liebsten Bäche geweint und hatte uns alle in kleine endlose Umarmungen gezogen. Auch die anderen – der rothaarige Carlisle und sie selbst ausgenommen – konnten sich ihr nicht entziehen. Doch natürlich wurden auch die anderen Eltern willkommen geheißen. Mein blonder Vater hatte uns alle mit einem strahlendem Lächeln begrüßt und in seinen Gedanken war die Freude und Sorge förmlich zu spüren gewesen.

Doch trotz all dieser wunderbaren Gefühle, wurde mir seltsam zu mute.
Irgendetwas stimmte nicht.

Während Esmes Umarmungen und und Begrüßungsworten, schien es mir, als würde ihre Stimme sich immer weiter von mir entfernen. Erst klang sie gedämpft. Als wäre zwischen uns eine 1000 Meter dicke Wand aus hartem Stahl, durch die ihre Worte nicht so deutlich zu mir durchdringen konnten. Sie wurde immer leiser, immer undeutlicher. Seltsam. Als ich dieses etwas beunruhigende Veränderung registriert hatte, begann ich mich mehr auf Carlisles Gedanken zu konzentrieren. Doch wie bei Esmes lauter Stimme, hatte seine leise hauchzart und weniger als ein Flüstern geklungen. Trotz meiner geschärften Sinne hatte ich nicht verhindern können, dass sich seine Gedanken schneller von mir entfernten, als Esmes laute Stimme. Im nächsten Moment war nur noch ein Hauch in seinem Kopf zu hören, als würde der Wind sanft die Gräser durchstreifen.

Dann nichts mehr.

Stille in Carlisles Kopf.

Als hätte er aufgehört, irgendetwas zu denken. Als wäre sein Kopf leer. Als hätte er auch ein Schutzschild wie die Zwillinge. Dies war jedoch sehr unwahrscheinlich. Ich merkte, wie Panik, Angst und Ratlosigkeit in mir aufstiegen. Ich hatte meine ganze Aufmerksamkeit nun wieder Esmes laute Stimme geschenkt, nachdem ich festgestellt hatte, dass auch in ihrem Kopf Stille herrschte. War ich hier in einem Alptraum gefangen? So langsam beschlich mich dieses Gefühl. Ich hatte gesehen, wie sich ihre Lippen bewegten, aber kein einziger Ton schien ihrem Mund zu entweichen. Sie hatte zwar gesprochen, aber ich hatte kein einziges Wort gehört, so sehr ich mich auch bemühte.

Nichts.

Die Panik und Angst schienen meinen Körper weiter auszufüllen, hatten mir beinahe die Kehle zugeschnürt. Plötzlich war mir noch etwas anderes aufgefallen.

War das überhaupt...?
Nein, das konnte doch nicht...!

Ich hatte tief eingeatmet, doch ich konnte die Luft nicht mehr so wie früher schmecken. Die Gerüche, die sich im Haus und in meiner Umgebung befanden, hatten sehr stark an Intensität verloren. Sie waren zwar immer noch da. Aber sehr sehr schwach. Es erforderte nun eine unglaubliche Anstrengung, die Gerüche überhaupt wahrzunehmen und sie bis zu ihrer Quelle zu verfolgen. Es war, als hätte ich wieder den Geruchssinn eines Menschen. Nein, meiner war noch schwächer. Es war fast so, als würde ich gar nichts mehr riechen können. Entsetzen hatte sie langsam in mir ausgebreitet. Dann hatte ich mich etwas sagen hören, von dem ich geglaubt hatte, dieses Worte niemals in den Mund nehmen zu müssen.

„WAS HAST DU GESAGT?“

Alle starrten mich an. Verwirrung und Sorge waren in all ihren Augen zu lesen. Und dann ist mir erst bewusst geworden, dass ich zwar diese Worte gesagt hatte, sie aber nicht hatte hören können. Ich spürte, wie mir sämtliche Gesichtszüge entglitten waren. Nichts konnte ich mehr hören. Nicht einmal meine eigenen lauten Worte. Ich war nun auf unerklärliche Weise vollkommen taub. Wie war das nur möglich? Vampire hatten das beste Gehör überhaupt. Wie konnten sie es nur verlieren und das so plötzlich?

Die anderen Gesichter hatte ich dann nicht mehr wahrgenommen, da meine ganze Aufmerksamkeit der unumstößlichen momentanen Realität gegolten hatte. Ich wusste noch, dass ich auf dem Boden zusammengebrochen war. Ich konnte nichts mehr sehen. Um mich herum war alles schwarz gewesen. War es möglich, dass Vampire auch noch blind werden konnten? Vielleicht. Ich hatte jedenfalls jetzt den Eindruck, dass ich auch das Sehen verlernt hatte. Ich hatte mich in diesem Moment noch nie so allein und einsam gefühlt. Es war, als wäre ich von der Außenwelt abgeschnitten worden.

Als wäre ich gefangen in einer Anstalt.
In einem Grab.
In meinem eigenen Körper.

Dann hatte ich als nächstes warme zarte Arme um meinen Körper gespürt und schließlich aufgesehen. Erst in diesem Augenblick hatte ich diesen einzigartigen, wunderbaren, aber leider schwachen Duft riechen können. Meine Bella war vor mir gewesen. Mit Tranen in den Augen und auf den Wangen hatte sie vor mir gesessen, während sie ebenso traurig gelächelt hatte. Es sollte mich wohl trösten, doch das hatte es nicht wirklich getan. Ich hatte ihre Umarmung erwidert, war mehr als froh über ihre Nähe gewesen. Doch ob es mir wirklich geholfen hatte, konnte ich noch immer nicht sagen. Trotz ihrer Wärme und ihres sehr sehr schwachen Geruchs, war die Schwärze vor meinem inneren Auge nicht gänzlich verschwunden. Ich war nun wieder in der Lage gewesen etwas zu sehen, doch besser ging es mir nicht. Ich hatte zwei Sinne einbüßen müssen. Ein Vampir, der nichts hören und so gut wie nichts mehr riechen konnte. Nach einer Ewigkeit ist mir bewusst geworden, dass ich für den bevorstehenden Kampf unbrauchbar geworden war.


Ich tauchte aus meinen Gedanken wieder auf und sah Bella mit Andy reden. Natürlich hörte ich nichts. Wahrscheinlich brachte sie ihm auf dem neusten Stand. Dann musterten mich seine braunen Augen scharf und ein verschmitztes Lächeln erschien auf sein Gesicht. Warum lächelte er? Fand er diese ganze Situation erheiternd? War er schadenfroh? Nein, so gut glaubte ich ihn zu kennen. So war er einfach nicht. Auch alle anderen sahen ihn misstrauisch. Seine Lippen bewegten sich, nachdem er sich zu Elizabeth gedreht hatte und er verschwand die Treppe hinauf nach oben. Kurze Zeit später kam er mit einem Laptop zurück. Warum das denn? Wollte er sich etwa im Internet über den Gehörsturz informieren? Ich glaube kaum, dass er etwas finden konnte, was mir helfen würde.

Er klappte den Laptop auf und schaltete ihn ein. Dann trat er auf mich zu und legte ihn mir auf dem Schoß. Verhärmt und verwirrt blickte ich zu Andy auf. Er seufzte, drehte den Laptop wieder in seine Richtung und tippte und klickte. Als er fertig war, drehte er den Laptop wieder um. Ich blinzelte und machte große Augen.

Er hatte ein Textprogramm geöffnet und die Worte: „Nun hör auf dich zu quälen. Wir können doch so miteinander kommunizieren.“ geschrieben.

Ich blinzelte erneut und merkte, wie sich ein kleines Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete. In meiner üblichen Geschwindigkeit, nahm ich den Laptop von meinem Schoß und hatte meine Arme dankbar um ihn gelegt. Ich empfand so eine Dankbarkeit, dass ich Andy am liebsten nie wieder loslassen wollte. Dieser junge 18-jährige Mann hatte meine Abgeschiedenheit von der Welt beendet. Hatte die Schwärze in mir nun vollständig ausgelöscht. Ich fühlte mich nun nicht mehr allein. Ich konnte mich wieder den anderen mitteilen und sie konnten sich mir mitteilen. Ich war wieder Teil des Geschehens. Ich war wieder ein Teil meiner Familie geworden. Warum war ich nicht darauf gekommen? Die Lösung war so simpel gewesen. Vielleicht hat unser Vampirgehirn einfach zu kompliziert, zu komplex in so einer unangenehmen Situation gedacht, sodass wir die einfache Lösung nicht sehen konnten. Ich würde Andy bis in alle Ewigkeit dankbar dafür sein.

Er erwiderte meine Umarmung, dann löste er sich von mir und nahm den Laptop zur Hand, den ich auf einem Sessel gelegt hatte. Dann drehte er ihn wieder in meine Richtung.

„Aber dennoch solltest du vielleicht ein bisschen die Gebärdensprache erlernen. Wer weiß? Vielleicht kommt mal eine Situation, in der wir keinen Laptop zur Hand haben.“

„DA HAST DU WOHL RECHT.“, antwortete ich wohl etwas zu laut, da Bella und Andy zusammengezuckt waren.

Andy bedeute mir mit einer Gesten die Lautstärke zu drosseln, da er mich sehr gut verstehen konnte, lächelte aber dabei. An diese Taubheit würde ich mich wohl erst noch gewöhnen müssen. Ich nickte lachend, obwohl ich meine Stimme nicht hörte und nahm Andy den Laptop ab, um zu antworten. Er wie die anderen lasen meine Antwort.

„Gut, dass wir einen Weg gefunden haben, uns gegenseitig zu verständigen. Da das ja nun gelöst ist, würde ich doch gerne wissen, wo du gewesen bist. Ich bin sicher, dass Edward gerne für mich mitschreibt.“

Ich blickte zu ihm und er nickte. Alle Augen waren nun auf Andy gerichtet, der rot anlief. Ich konnte seine Wärme spüren und war nun sehr froh, nicht alle Sinne verloren zu haben. Wir machten es uns alle im Wohnzimmer gemütlich. Edward saß neben mir, den Laptop vor sich. Andy saß uns in einem Sessel gegenüber. Bella hatte auf der Lehne Platz genommen und seine Hand genommen. Sie sah genau wie ihr Bruder sehr bedrückt aus. Gespannt warteten wir alle, was nun kommen würde. Gegen meine Gewohnheit schaute ich Andy nun nicht ins Gesicht, sondern starrte erwartungsvoll den weißen Bildschirm an, während meine andere Version die bisherigen Wörter löschte. Das Edward Andys ganze Geschichte nun tippen musste war kein Problem. Schließlich waren wir Vampire sehr flink und so würde ich genauso schnell Andys Worte in schriftlicher Form aufnehmen können, als würde er mir die Geschichte tatsächlich erzählen.

Im nächsten Augenblick füllte sich das leere Blatt. Edward tippte und tippte. Manchmal langsamer als sonst, also musste Andy wohl dann immer eine kurze Pause eingelegt haben. Meine Augen wurden größer und größer je mehr Worte ich in mir aufnahm. Und mit jedem Wort, das ich las, steigerte sich meine Wut, Trauer, Mitleid und Mitgefühl.

Besonders als er von seiner nicht all zu schönen „Kindheit“ berichtete. Der arme war all die Jahre so allein gewesen. Wie konnte Renee nur so mit ihrem Sohn umspringen? Warum hatte sie sich nicht um ihrem Sohn gekümmert? Wie konnte sie Andy nur schlagen? Ich erkannte, dass er genauso wie Bella sehr schnell erwachsen werden und Reife zeigen musste. Was war das nur für eine Mutter? Am liebsten hätte ich den Laptop zertrümmert, als ich gelesen hatte, dass er schikaniert wurde, nur wegen seines Äußeres. Wie dumm und einfältig manche Menschen doch waren. Dann die Sache mit diesem Mr. S. und seinem Kugelschreiber. Nun verstand ich auch das. Ich konnte ein Knurren einfach nicht zurückhalten, als ich lesen musste, dass der Kugelschreiber von diesem Menschlein zerbrochen wurde. Er hatte nichts begriffen. Er hatte nicht gesehen, wie wichtig dieser Stift für Andy gewesen war.

Als er dann von seinem Begräbnis, der Taschenlampe, seiner Angst vor der Dunkelheit und von den Geschehnissen am 10. Januar 2002 erzählte, drohte ich zu ersticken. Ich war schockiert und fassungslos. Warum konnte Renee ihrem Sohn nicht mehr Verständnis entgegen bringen? Sie war alles andere als einfühlsam. Sie hatte es überhaupt nicht verdient, Mutter von so einem wunderbarem Menschen zu sein, der er trotz seiner schweren Vergangenheit geblieben war. Warum konnte er nicht bei Bellas Renee aufwachsen? Seine Angst vor der Dunkelheit war mehr als verständlich und wieder bedauerte ich es sehr, dass er allein gewesen war. Das Andy sogar durch diese Angst in der Lage war, denjenigen zu töten, der ihn immer schikaniert hatte, löste in mir ein Gefühl der Genugtuung und des Respekts aus.

Ich schwöre, hätte Andy das nicht bereits getan – auch wenn er andere Motive hatte – so hätte ich das nur zu gern erlidigt. Aber vielleicht hätte ich mir den Racheakt dann mit meiner anderen Version und Elizabeth teilen müssen.

Als er von der Gerichtsverhandlung und vom mangelnden Einsatz seiner Mutter erzählte, biss ich meine Zähne zusammen und ballte meine Hände zu Fäusten. Auch mein Ebenbild kämpfte um seine Selbstbeherrschung. Charlies Einsatz war mehr als lobenswert. Er gleicht wirklich in jeder Hinsicht seiner anderen Version hier. Darauf wurde Andy zwei Jahre in eine Anstalt geschickt. Er erzählte, wie es ihm da ergangen war. Von den ständigen Sitzungen bei der angeblichen Psychologin bis hin zu den Besuchern, die er hatte beziehungsweise nicht hatte. Der Respekt für Charlie – ganz gleich welcher – schwoll weiter an. Andys Renee allerdings sollte mir lieber nicht begegnen. Es war auch beruhigend zu lesen, dass Phil Andy ebenfalls unterstützt hatte.

Weiter erzählte er kurz über seine nächsten zwei Jahre auf der Highschool in Phoenix. Keine Freunde. Keine Person, der er sich anvertrauen konnte. Zu groß war die Angst einfach gewesen. Man könnte fast darüber lachen, dass die ersten und richtigen Freunde der Zwillinge ausgerechnet Vampire waren. Dann kam irgendwann der Traum von Bellas Ankunft, sodass Andys Leben wieder mal Höhepunkt erleben konnte.

Zum Schluss erzählte er noch von seiner Begegnung von Mr. S., der Abgabe seine überfälligen Aufsatzes – ich musste lächeln – und von seinem Besuch auf dem Friedhof, obwohl er diesen Ort doch fürchtete, wie nichts anderes auf der Welt. Als die Geschichte zu Ende war, blieb mir kurz der Mund offen stehen, dann klappte ich ihn wieder zu. Dann schrieb Edward noch etwas.

„Andy möchte jetzt zu Charlie und auch ihm das erzählen. Er möchte es zwar nicht unbedingt, aber er sagt, dann hat er es hinter sich. Bella begleitet ihn.“

Ich sah auf, nickte ihm zu, dann den Zwillingen. Elizabeth stand auf und die beiden anderen taten es ihr nach. Bella trat auf mich zu und gab mir einen sanften Abschiedskuss. Durch ihre Tränen war er jedoch sehr feucht. Sie winkte mir zum Abschied und ich versuchte mein gewinnendes schiefes Lächeln aufzusetzen. Sie lächelte schwach zurück verschwand dann mit ihrem Bruder aus dem Haus.

Ich seufzte und nahm den Laptop an mich.
„ICH GEHE MAL NACH OBEN UND LERNE.“, sagte ich und hoffte, dass es nicht allzu laut war.

Eigentlich wollte ich lieber bei Bella sein. Aber ich spürte, dass das jetzt nicht sein sollte. Ich ging nach oben in mein Zimmer und setzte mich aufs Bett. Esme und Carlisle mussten es irgendwann mal gekauft hatten, als sie von meiner Schlafkrankheit erfahren hatten. Ich ließ mein Blick darüber schweifen. Atmete aus – obwohl ich es nicht hören konnte – und dachte an Bella. Sie dachte immer an mich. Ist immer für mich da. Selbst die Nacht hat sie hier mit mir zusammen in diesem Bett verbracht. Das war auch gut so, da ich sie so sehr gebraucht hatte.

Da verharrte mein Blick auf etwas. Das Kissen auf Bellas Seite lag etwas höher, als alle anderen Kissen. Merkwürdig. War vielleicht etwas darunter? Bellas Schlafanzug konnte es nicht sein, da Alice in bereits kurz nach Bellas Aufstehen wieder entfernt hatte. Ich hob das Kissen an, nachdem ich den Laptop beiseite gelegt hatte und da fiel mein Blick auf ein kleines Buch, welches ich noch nie gesehen hatte.

Es hatte einen schwarzen Ledereinband. Ich nahm es in die Hand und betrachtete es genauer. Nichts war draufgedruckt. Weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite. Ich schlug das Buch auf. Auf der ersten Seite stand ein Wort geschrieben. Ich erkannte sofort Bellas Handschrift, doch gleichzeitig besaß die Schrift etwas Fremdartiges, was ich mir nicht erklären konnte.

Das Wort „Neumond“ war in klaren, zu geradlinigen Buchstaben geschrieben.

Kein kleiner Schwung war im „N“, „u“ oder „d“ zu erkennen. Obwohl es Bellas Buch und somit ihre Handschrift sein musste – das Buch roch so wunderbar nach ihr trotz meines geschwächten Geruchssinns – fehlte ihre ganz persönliche Note in den Linien der Buchstaben.

Merkwürdig.

Sie hatte dieses Wort geschrieben und doch bekam ich den Eindruck, dass ein Fremder den Stift aufs Papier gesetzt hatte. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Ein eigenartiger Titel. War das eine Geschichte? Schrieb Bella häufiger? Warum war mir das nie aufgefallen? Sicher, sie besaß interessante Bücher. Aber nie hätte ich vermutet, dass sie selber Worte verfasste. Nie hatte etwas in ihrem Zimmer auch nur den Eindruck erwecken können. Bis heute jedenfalls. Naja, vielleicht waren ihre selbstgeschriebenen Sachen – jene, die nichts mit der Schule gemein hatten – irgendwo in Phoenix beziehungsweise in Jacksonville, vorausgesetzt, dass sie überhaupt früher schon diesen Drang gehabt hatte. Aber ich erinnerte mich daran, dass sie so etwas nie erwähnt hatte, als ich sie über ihr Leben ausfragte. Entweder war es ihr vielleicht unangenehm gewesen oder sie hatte tatsächlich noch nie geschrieben. Den letzten Teil hielt ich für wahrscheinlicher.

Gespannt und erwartungsvoll blätterte ich die Seite um. Der Titel hatte meine Neugier ins Unermessliche gesteigert. Jetzt besaß ich die Möglichkeit, ein weiteres Rätsel – welches sie nach wie vor für mich war – zu lösen.

Doch beide Seiten waren leer.

Im ersten Moment war ich verdutzt über diese Tatsache. Warum stand dort nichts? Hatte sie doch nichts geschrieben? Noch einmal blätterte ich die Seite um und atmete erleichtert aus, froh darüber, geschriebene Worte endlich entdeckt zu haben. Doch die Freude hielt nur einen Bruchteil einer Sekunde an. Das erste, was mir ins Auge fiel, war wieder diese untypische Linienführung von Bellas Schrift. Den Sinn der ersten Worte hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfasst. Das zweite war die Überschrift. Naja, genau genommen war es keine Überschrift im eigentlichen Sinne. Zahlen und ein Wort dienten wohl als groben Einblick.

Ein Datum.

Doch als ich den Tag realisierte, an dem dies geschrieben wurde, als sich diese Information den Weg bis zu meinem Verstand kämpfte, begann das Buch plötzlich zu zittern. Meine Augen waren groß und starrten wie gebannt auf das Datum. Es dauerte eine Weile, bis mir unterbewusst klar wurde, dass mein ganzer Körper bebte, der wiederum das Buch zum Zittern brachte. Mein totes Herz bekam mit jedem Moment der verging, immer mehr Risse und schien in meinem Inneren vor Schmerzen zu schreien, bevor es explodierte. So fühlte es sich jedenfalls an. Mein Herz erinnerte sich besser als mein Verstand.

Er war gerade noch fähig gewesen, die Überschrift in sich aufzunehmen, die nicht aus Worten bestand. Danach schien er blockiert. Untauglich. Vor Schock nicht mehr imstande, irgendetwas zu verarbeiten. Ich konnte nichts mehr denken. Um mich herum war nur Kälte, das Gefühl der Einsamkeit und Schwärze. Nach einer quälend langen Ewigkeit wie mir schien, hörte ich ein Schluchzen. Es kam von mir. Entstammte meiner Kehle. Dieser Laut löste die Blockade in meinem Kopf auf. Nun war ich endlich in der Lage, meine Augen vom Datum abzuwenden und begann die Worte zu lesen. Ich wunderte mich selbst, woher ich diese Unmenge an Kraft dafür hernahm. Meine Neugier war zwar immer noch da, aber im Hintergrund.

Was ich jetzt fühlte, war Schuld, Hass und Verzweiflung. Ich wollte nicht lesen, was dort stand, aber ich musste es. Denn das war nur ein kleiner Teil der Schmach und Strafe, die ich mehr als verdient hatte. Ich merkte, dass ich immer noch leicht zitterte. Mit jedem Wort, das ich in mir aufnahm, zersprang mein Herz erneut. Wieder und wieder und wieder.


23. September 2005




Nach einer Woche, seitdem ES passiert war, bin ich wieder in der Lage, mich zu bewegen. Nach einer Woche habe ich die schmerzliche Wahrheit akzeptieren gelernt. Eher gesagt, musste ich sie akzeptieren. Was blieb mir anderes übrig? Jetzt, da ich aus meiner Starre erwacht bin – obwohl das natürlich überhaupt nicht stimmt – nehme ich nur am Rande wahr, dass ich die ganze Zeit weder etwas gegessen, noch getrunken habe. Warum auch? Ich verspürte während dieser Zeit kein einziges Bedürfnis nach Essen oder Trinken. Ich verspürte überhaupt nicht den Drang irgendetwas zu tun. Wenn ich nicht gerade schlief, tat ich gar nichts. Saß nur da, ständig mit der grausamen Wahrheit konfrontiert, aus dessen Fängen ich mich einfach nicht befreien konnte. Sie umschlang und blockierte mich regelrecht. Mein Kopf war leer – genau wie ich. Eigentlich ist er immer noch leer. Genau wie ich.

Vor ein paar Stunden fuhr Renee wieder. Sie kam aus Jacksonville hier her, weil sie mich mitnehmen wollte. Sie und Charlie haben meine Sachen zusammen gepackt. Doch als ich das sah und mein Kopf dieses Bild in sich aufnehmen konnte, was bestimmt einige Zeit gedauerte hatte, überkam mich etwas. Etwas nahm von meinem Kopf, nein, meinem ganzen Körper Besitz. Zuerst wusste ich gar nicht, was mit meinem Körper geschah. Ich spürte wieder etwas. Merkwürdig. Ich war erstaunt, dass ich überhaupt noch etwas fühlen konnte. Ja, ein Gefühl durchflutete mich bei diesem Bild, was ich sah. Ein Gefühl des Zorns.

Ich hörte meine Stimme laut schreien und unterbewusst war ich erstaunt, meine Stimme überhaupt wieder gefunden zu haben. Ich hatte wirklich gedacht, meine Stimme nie wieder zu gebrauchen. Warum auch? Ich hatte einfach seitdem ER gegangen war, nichts mehr zu sagen. Es war nicht notwendig gewesen. Einfach unnötig. Doch nun musste ich sie wieder benutzen. Ich schrie, dass sie mich nicht zwingen konnten mitzugehen. Wie konnten sie es nur wagen, mich aus Forks vertreiben zu wollen? Sie verstanden es nicht. In Jacksonville würde es mir nur schlechter ergehen, davon bin ich überzeugt.

Wie sollte ich mir an einem sonnigen Ort IHN vorstellen können? Wie sollte ich mir dort jemals sicher sein, dass es IHN wirklich gab? Die Überzeugung würde schwinden und ich würde IHN irgendwann sicherlich vergessen. Und genau das wollte ich nicht. Ich wollte nicht an IHN denken, mich aber an IHN erinnern. So schlimm der Schmerz auch war, er war ein Zeichen dafür, dass ER da war. Er erinnerte mich an IHN. Das war gut so. Irgendwo. In Jacksonville würde mit der Überzeugung auch der Schmerz möglicherweise nachlassen. Das konnte ich nicht zulassen. Ich dürfte IHN nicht vergessen. Alles andere ließ ich über mich ergehen, solange ich IHN nicht vergaß.

Forks würde für immer und ewig mein selbstgewähltes Gefängnis bleiben, obwohl es eigentlich keine Rolle mehr spielen sollte. Für mich ist Forks von wichtiger Bedeutung. Hier hatte sich mein Leben verändert.

ER hatte es verändert.
ER hatte mich verändert.

Und jetzt tat ER es ein zweites Mal, allerdings in die andere Richtung. Aus diesen Gründen schrie ich. Aus diesen Gründen habe ich meine Sachen umhergeworfen. Aus dieser Angst heraus, diesen Ort und meine Erinnerungen zu verlassen, trat mein Schmerz durch Tränen wieder an die Oberfläche.

Jetzt ist Renee wieder weg und ich würde für alle Zeit im Ort meiner Erinnerungen, die ich nie bewusst hervor rief, gefangen sein. Doch diesen Preis musste ich zahlen, wenn ich weiter existieren wollte. Nicht für mich, sondern für Charlie und Renee. Und wegen dieses Versprechens, das ich gegeben hatte.

Ich frage mich, woher ich die Ambition nehme, überhaupt dies alles zu schreiben? Warum tat ich das überhaupt? Ich habe nicht das geringste Bedürfnis irgendetwas zu tun. Vielleicht um die leere Zeit zu füllen, wenn keine Arbeit oder Hausaufgaben mich ablenkten. Vielleicht, weil ich meine Situation irgendwie zu verarbeiten versuche, indem ich das alles schreibe. Ich will schließlich mit niemanden darüber sprechen. Ich kann nicht mit jemanden darüber sprechen. Nein, laute Worte benutze ich nicht. Dann lieber die stummen Worte, um meinen Schmerz zu verarbeiten, ohne in lauten Schreien zu versinken.

Nein, jetzt weiß ich, warum ich das hier tue. Worte auf Papier halten für immer. Mit diesen Worten kann ich verhindern IHN zu vergessen, wenn die Erinnerung tatsächlich aus irgendeinem Grund verblassen sollte. Ja, mit schriftlichen Worten werden die Erinnerungen und meine Liebe zu IHM unsterblich (dieses Wort schien unter aller Anstrengung hingeschrieben worden zu sein). Gesprochene Worte sind vergänglich. Ja, vergänglich. Genau wie SEINE Liebe zu mir.


Als ich den letzten Satz dieses Eintrags las, war es, als würde sich der Schmerz meines Herzens bis ins Unendliche steigern. Ich hätte in diesem Moment alles getan, um ihn zu lindern. Ich hätte meine Haut abgezogen oder mir die Eingeweide rausgerissen. Doch jeglicher körperlicher Schmerz würde nie auch nur annährend an diesen Schmerz heran reichen. Nachdem ich wieder klarer denken konnte, erinnerte ich mich an das erste richtige Gespräch zwischen Bella und mir, nachdem ich sie verlassen hatte. Sie hatte mir einfach nicht glauben wollen, dass ich sie immer geliebt habe. Alle Möglichkeiten hatte ich ausgeschöpft, doch es war vergebens gewesen. Ich hatte wirklich gründliche Arbeit damals im Wald geleistet. Neue Wellen des Schmerzes überkamen mich, als diese Erinnerung ohne mein Wollen in meinem Kopf strömte.

Nachdem ich „Nein.“ zu ihr gesagt hatte – wofür ich mich bis in alle Ewigkeit hassen werde – war ihr Vertrauen in mich bereits derart erschüttert gewesen. Als die Erwiderung darauf ruhig, ja emotionslos ausgefallen war, war es, als hätte man mein totes Herz gepackt und es mit aller Macht zerquetscht. Wieder einmal hatte ich Bella falsch eingeschätzt. Ich konnte es nicht begreifen, warum sie so schnell aufgegeben hatte. Vorher hatte sie so verbissen um mich gekämpft, wollte mich einfach nicht gehen lassen, egal was ich hervorgebracht hätte, sodass mir nur diese eine Möglichkeit geblieben war. Ich wollte es nicht tun, aber es musste sein – zumindest glaubte ich das zu diesem Zeitpunkt.

Mit einem einzigen Wort war ihr Vertrauen in und ihr Kampf um mich gebrochen. Es war sehr schwer gewesen, meine Maske aufrecht zu erhalten. Der Schmerz in ihren Augen hatte einen Teil in mir zum Schwanken gebracht. Mein Herz. Doch mein Verstand hatte mich ständig ermahnen müssen, warum ich all dies tat. Ich tat es für sie.

Als ich dann die größte Lüge überhaupt ausgesprochen hatte: „Du bist nicht gut für mich, Bella.“, hatte ich nun vollständig ihr Vertrauen – wenn überhaupt noch etwas vorhanden gewesen war – zerstört.

Ihren Blick voller Qualen werde ich niemals vergessen können. Es hatte mich so viel Anstrengung gekostet, sie von meiner Liebe zu überzeugen. Es schien mir so, als hatte sie sich mit allen Mitteln geweigert, meine Liebe zu sehen oder anzunehmen.

Damals, als ich sie in Port Angeles vor diesen widerlichen Kreaturen gerettet und danach im Restaurant mit ihr gesprochen hatte, war ich endlich bereit gewesen, ihr die ganze Wahrheit zu offenbaren. Ich hatte ihr damals gesagt, dass ich noch nie in meinem Leben versucht hatte, jemanden zu beschützen und das dies nicht gerade einfach war, weil es sich nun mal ausgerechnet um sie handelte.

War das nicht der größte Liebesbeweis überhaupt?
Jemanden unter allen Umständen mit allen Mitteln vor jeglichen Gefahren zu beschützen, auch wenn man selbst die Gefahr war?
War dieser Drang meinerseits nicht ein Zeichen meiner Liebe zu ihr?

Und als ich sie danach nach Hause gefahren hatte und ihr gestand, dass ich sehr besorgt um sie war während den drei Tagen, in denen ich mit Emmett jagen gewesen war. Dass es mich nervös macht – dieses Wort beschrieb die Gefühle in mir nicht einmal ansatzweise, aber damals wollte ich sie mit der Tiefe meiner Gefühle nicht verschrecken –, nicht in ihrer Nähe zu sein.

War in diesen Worten meines Geständnisses nicht die Liebe herauszuhören?

Als ich sie damals am nächsten Morgen über Jessicas Frage in ihren Gedanken, ob Bella und ich insgeheim zusammen sind, informiert und ihr vorgeschlagen hatte, dass sie die Frage mit einem Ja beantworten könnte.

War das nicht auch ein kleines Zeichen für meine Zuneigung zu ihr gewesen?

Damals dachte ich, all diese offensichtlichen Dinge müssten ihr doch einleuchten, da Bella schon immer sehr aufmerksam gewesen war und auf Details geachtet hatte. Aber als ich dann Bellas Antwort in Jessicas Gedanken auf die Frage, wie sehr sie mich denn mochte, gehört hatte, war ich enttäuscht worden.

„Viel zu sehr. Mehr als er mich. Aber ich wüsste nicht, was ich dagegen tun sollte.“

Ich verstand dieses Mädchen einfach nicht. Wieso entgingen ihr nie die Kleinigkeiten, aber die großen und offensichtlichen Dinge konnte – oder wollte sie nicht sehen. Ich hatte versucht, ihre Meinung zu widerlegen, hatte gehofft, sie endlich damit überzeugen zu können, indem ich ihr gesagt hatte, dass ihre Sicherheit wichtiger ist als meine Wünsche. Doch am nächsten Tag wurde mir erneut deutlich gezeigt, dass Bella sich immer noch strikt geweigert hatte, mein Interesse, meine Liebe zu ihr wahrzunehmen.

Sie hatte immer noch nicht verstanden, warum ich sie nicht in Ruhe lassen konnte. Sie war vollkommen überzeugt gewesen, sie sei durchschnittlich. Wieder hatte ich versucht, ihren Standpunkt zu widerlegen, indem ich gesagt hatte, dass sie mich faszinierte. Dass sie nie das tat, was ich von ihr erwartete. Und ich hatte ihr gesagt, dass da weit mehr vorhanden war, als jegliche Faszination.

Konnte es man denn noch deutlicher machen?
Warum sah sie nicht, was ich für sie fühlte?

Später, als ich mit ihr auf der Lichtung gewesen war, ich mich ihr gegenüber noch mehr öffnet hatte, hatte Bella mich doch tatsächlich gefragt, warum es besser für meine Familie gewesen wäre, wenn ich uns bei der ersten Begegnung mit Bella entlarvt hätte, als dass ich ihr allein mit mir auf der Lichtung etwas antun könnte.

Ja, da hatte ich nun wirklich die Bestätigung.

Sie hatte sich ständig geweigert, die Wahrheit zu sehen. Vielleicht lag es daran, weil Liebe blind machte, wie die Menschen so sagten. Also hatte ich beschlossen, meine Gefühle so deutlich zum Ausdruck zu bringen, wie ich es nur eben konnte. Jetzt war ich mir sicher gewesen, dass ich alle Zweifel an meinen Gefühlen für sie in ihr ausgelöscht hatte. Doch leider wurde ich am Abend in Bellas Zimmer eines Besseren belehrt.

Sie fand, sie sei nicht attraktiv genug für mich. Sie hatte nicht verstanden, warum ich ihr mehr Aufmerksamkeit schenkte als Rosalie. Wieder einmal hatte ich mich bemüht Überzeugungsarbeit zu leisten, doch allmählich war die Frage in mir aufgekommen, ob ich es wohl je schaffen würde, Bella von meiner unsterblichen Liebe zu überzeugen. Meine Zweifel wurden am nächsten Morgen bestätigt.

Ich hatte Bella gesagt, sie solle mich doch als ihren Freund bei Charlie vorstellen.

Sie hatte „Also, du musst wegen mir nicht so tun als ob.“ und „Bist du das denn?“ und „Meinst du das ernst? Du wirst wirklich hier sein?“, erwidert.

Noch immer hatte sie Zweifel in sich und meine Verzweiflung in mir war stetig gewachsen.

Was sollte ich denn noch alles tun, damit sie mir endlich glaubte?

Es war fast zum verrückt werden, aber all dies hatte ich Bella natürlich nie gezeigt. Bevor ich mit Bella dann zum Baseballfeld gegangen war, hatte ich ihr zum ersten Mal gesagt, dass ich sie liebte. Ich hatte nicht „verliebt“ gesagt. Denn zwischen „Verliebt sein“ und „Liebe“ ist ein Unterschied. Auf der Lichtung war ich mir nicht sicher gewesen, wie sie darauf reagiert hätte, also hatte ich mich dafür entschieden, „verliebte“ zu sagen. Doch nachdem sie immer noch Zweifel in sich hatte, musste ich in die Offensive gehen und ihr meine unsterblichen Gefühle mit den richtigen Worten gestehen, die sie zu beschreiben vermögen.

Ich flehte, dass sie sich nun meiner Liebe zu ihr vollständig bewusst geworden war. Dann während der Jagd nach James, als ich im Hotel in Phoenix anrufen hatte um mit Bella sprechen zu können, hatte ich endlich den Eindruck gehabt, dass meine Worte und Gefühle zu ihr durchgedrungen waren. Sie hatte gesagt, dass sie mir glaubte, dass ich sie liebte. Von da an fühlte sich mein Herz noch unbeschwerter als sonst. Endlich war es mir gelungen, sämtliche Zweifel in ihr auszulöschen. Das hatte ich, nachdem ich James Gift aus Bella herausgesaugt hatte und im Krankenhaus schließlich bestätigt bekommen. Ich hatte sie schließlich dazu bringen können, meine Liebe zu erkennen. Ja, meine Anstrengungen hatten sich schließlich bezahlt gemacht.

Aber als ich gesehen hatte, was für eine Macht nur ein einziges Wort über sie hatte, war ich der Verzweiflung, der Trauer und vor allem dem Schock sehr nahe gewesen.

Wie konnte nach all der Zeit, nach all dem, was ich für sie getan hatte, ein Wort ihr Vertrauen zerstören?
Waren meine Anstrengungen letztendlich alle umsonst gewesen?

Ich hatte ihr jeden Tag mehrmals gesagt beziehungsweise gezeigt, dass ich sie liebte.

Warum war es so schwer gewesen, sie von meiner Liebe zu überzeugen und so ein Leichtes – viel zu Leichtes – ihr die Lüge glaubhaft zu machen?
Hatte ich ihr meine Gefühle nicht deutlich genug gezeigt?
Hätte ich ihr mit mehr Gesten und Worten meine Liebe beweisen sollen?
Aber hatte ich das nicht jeden Tag getan?
Hatte sie sich unterbewusst immer noch geweigert, meine Liebe anzunehmen?
Oder hatte sie mich doch nicht so geliebt, wie ich dachte?
Empfand sie nicht genug für mich, um um mich zu kämpfen?
War ich für sie doch nur eine kurze Liebelei gewesen, wie es bei den meisten Menschen der Fall war? Aber nach all der Zeit?
Nach all dem, was wir zusammen durchgemacht hatten?

Und Bella war doch schon immer anders gewesen als die meisten gewöhnlichen Menschen. Ich hatte wirklich geglaubt – oder vielleicht doch nur gehofft? –, dass sie so viel Liebe für mich empfand, wie ein menschlicher Körper nur verkraften konnte. Sicher, ihre Liebe war mit meiner nicht zu vergleichen, aber ich war wirklich fest davon überzeugt gewesen, dass ihre Liebe zu mir so stark wie nur eben möglich war. Ich war mir sicher gewesen, dass es eine Ewigkeit dauern würde, ihre damaligen Zweifel wieder aufkeimen zu lassen. Dass ich Lügen über Lügen über die Lippen bringen müsste.

Doch so war es nicht gewesen.

Bella hatte mich erneut überrascht. Ich würde dieses Mädchen nach 1000 Jahren immer noch nicht verstehen können. Ich hatte wenigstens gehofft, dass sie nach meiner Lüge, ich wolle sie nicht, Einspruch erheben würde. Doch auch hier wurden die letzten Hoffnungen meines toten Herzens begraben. Mein Verstand hatte diese Tatsache beglückt, da dies ja mein Plan gewesen war. Aber mein Herz hatte vor Schmerzen aufgeschrien.

Warum glaubte sie mir so leicht?
Warum protestierte sie nicht?
Warum kämpfte sie nicht mehr?
Warum akzeptierte sie die Lüge einfach, ohne sie zu hinterfragen?
Warum nur?
Hatte ich ihr nicht erst an ihrem Geburtstag gesagt, dass ich, wenn sie nicht mehr ist, mein Dasein ebenfalls beenden will?

Ich hatte so fest mit diesem Argument gerechnet, vor allem, da es damals doch noch nicht so lange her war.

Hatte sie mir etwa nicht richtig zugehört?
Hatte sie die Bedeutung meiner Worte nicht richtig erfasst?

Ich hatte mich an das Gespräch erinnert, als wir auf dem Sofa saßen und uns Romeo und Julia angeschaut hatten. Dann hatte mich die schmerzhafte Erkenntnis getroffen.

Doch, sie hatte mir zugehört und auch die Bedeutung dieser Worte begriffen. Sie hatte nur nicht verstanden, warum ich meine Existenz im Falle ihres Todes beenden will. Auch war mir eingefallen, dass sie vorher wieder ihre Attraktivität für mich infrage gestellt hatte.

„Ich muss zugeben, dass ich ihn darum ein wenig beneide.“

„Sie ist sehr hübsch.“, hatte sie darauf geantwortet, weil sie gedacht hatte, ich meinte die Schauspielerin der Julia.

Warum hatte sie sich erneut gegen das Offensichtliche gesträubt?

Sie hatte mir gesagt, dass ich nicht das Recht hätte, mir etwas anzutun und dass ich einfach ohne sie weiterleben solle, da sie – wie sie es ausgedrückt hatte – doch nun wirklich nicht so interessant sei.

Erst nachdem ich damals im Wald diese Erinnerung wachgerufen hatte, wurde mir klar, dass es nicht an ihrer Liebe zu mir lag, sondern an ihren Zweifeln gegenüber meinen Gefühlen für sie. Darum hatte sie nicht mehr protestiert. Darum hatte ich keine Zweifel in ihr mehr säen müssen. Sie waren immer noch da gewesen. Nach all den Monaten waren sie immer noch da gewesen.

Ich hatte versagt.

Mir ist in diesem Augenblick bewusst geworden, dass ich sie nie wirklich von meinen Gefühlen hatte überzeugen können. Warum nicht? Andere Menschen konnte ich von allem überzeugen, wenn ich sie mit meinen Augen zu durchdringen schien. Nicht so bei Bella.

Warum hatte sie sich nach all den Monaten immer noch geweigert, meine Gefühle für sie anzuerkennen?
Wenn ich damals auf ihre lächerliche Behauptung etwas erwidert hätte und wir nicht von Charlies Ankunft unterbrochen worden wären, hätte ich dann ihre Zweifel beseitigen können?
War meine fehlende Antwort etwa der Grund dafür, warum sie nicht um mich gekämpft hatte?
Hätte dieses Geständnis mit der fehlenden Erwiderung meinerseits etwa dazu geführt, endlich meine Liebe ihr gegenüber zu sehen?

Vielleicht.

Aber wenn ich Bella nach all der Zeit nicht hatte überzeugen können, hätte dieses Gespräch etwas an Bellas Starrsinnigkeit geändert?

Nein, eher nicht.

Nicht, wenn sie sich die ganze Zeit nicht die Wahrheit eingestanden hatte.
Nicht, wenn sie vehement die Augen vor ihr verschlossen hatte.

Ich hatte nun zu wissen geglaubt, dass keine Worte Beweis genug für Bella waren. Egal, was ich auch damals hätte sagen können.

Nachdem sie also keinen Protest und keine Argumente hervorgebracht hatte, hatte ich auf das letzte gesetzt.

Bellas Verzweiflung.

Ein Teil von mir hatte damit gerechnet, dass sie mich nach dieser schrecklichen Lüge anflehen würde, sie nicht zu verlassen. Dass sie mich verzweifelt zum Bleiben überreden würde. Doch leider war auch dies nicht eingetreten. Es folgte nur eine kurze Nachfrage ihrerseits und mein bestätigendes Nicken.

Keine Zweifel an meinen Worten. Keine letzten quälenden Versuche, damit ich bei ihr blieb.

Nichts.

Sie hatte alles stillschweigend akzeptiert. Es war die schwärzeste Stunde meiner gesamten Existenz gewesen und ich fragte noch immer, wie ich es geschafft hatte, nicht vor Bella vor Schmerzen auf die Knie zu sinken, da die Kraft, die ich brauchte, um die Maske aufrecht zu erhalten, immer mehr zu Neige gegangen war.

Bis heute hatte ich keine befriedigenden Erklärungen für Bellas Reaktionen gefunden. Doch nun würde ich der Antwort wahrscheinlich sehr nahe sein.

Ich blinzelte und sah das Buch nun wirklich wieder vor mir.
Es kostete mich große Anstrengung, die Hand ruhig zu halten und die Seite umzublättern.
Bella hatte noch mehr Seiten mit ihrer neuen und fremden Schrift gefüllt.


03. Oktober 2005




Wieder sind Tage vergangen und jedes Mal wenn ich aufwache, wundert es mich, wie ich es schaffe noch am Leben zu sein.

Müsste der Schmerz, der mich jede Nacht heimsucht meinen Körper nicht schon längst zerstört haben, so wie er mein Innerstes bereits zerstört hatte?

Eigentlich schon.

Hätte es mir was ausgemacht?

Ja und Nein.
Nein, weil ich dann endlich Erlösung finden würde und an IHN denken konnte, ohne Schmerzen zu empfinden.
Ja, weil der Schmerz vielleicht ein notwendiger Bestandteil war, um eine Verbindung zu IHM herstellen zu können. Wäre ich tot, ginge das vielleicht nicht mehr.

Außerdem gibt es noch Charlie und Renee. Und das Versprechen, dass ich IHM abnahm, damit ER mir im Gegenzug auch etwas versprechen konnte. Dieses sinnlose Versprechen.

„Es wird so sein, als hätte es mich nie gegeben.“

ER konnte dieses Versprechen auf gar keinen Fall halten. Schon als ER es gab, hatte ER es gebrochen. ER konnte zwar die Fotos und die Geschenke stehlen, aber dadurch löschte ER sich nicht vollständig aus meinem Leben aus, als hätte ER nie existiert. Wie auch?

Durch IHN war ich eine andere geworden. Zuerst hatte ER mir die schönen Seiten der Liebe gezeigt und jetzt durchlebte ich wegen IHM die schlechten. Liebe war eine starke Macht. Sie hatte die Kraft einen Menschen alles Glück der Welt empfinden zu lassen und ihn tief zu verletzen. Ja, durch die Liebe, die ich für IHN empfand und immer empfinden werde, bin ich gestorben.

Was macht es da schon groß für einen Unterschied, wenn es meinem Körper ebenso ergeht wie meiner Seele?

Es kümmert niemanden, ob ich dumm oder waghalsig bin.
Niemanden.
Und IHM schon gar nicht.

ER genießt bestimmt noch immer die Zerstreuung und verschwendet keinen einigen Gedanken an mich.
Warum sollte ER das auch tun?

Vor einigen Minuten stand ich im Badezimmer und sah mein totes Gesicht im Spiegel an. Blass, fahl, blutleere Lippen und dunkle Augenringe unter den stumpfen leeren Augen. Ein lebender Ausdruck des Todes. Ja, eine bessere Beschreibung fand ich nicht. Dann öffnete ich die Schublade der Kommode und starrte wie hypnotisiert die offene Packung Schlaftabletten an. Ich nahm die Plastikverpackungen aus der Schachtel heraus und löste alle Tabletten, bis ich letztendlich 20 Tabletten in meiner Hand hatte. Mit der anderen Hand schloss ich wieder die Schublade, in der die Reste dieser und anderer Verpackungen lagen.

Ich nahm meinen Zahnputzbecher und füllte diesen mit Wasser. Nun hielt ich in der einen Hand den gefüllten Becher, in der anderen die Schlaftabletten. Ich sah erst zur einen, dann zur anderen Hand. Es würde ein friedlicher Tod werden. Ohne große Schmerzen. Ein qualfreier Tod, nur durch eine Überdosis Schlaftabletten ausgelöst. Würden sie reichen oder müsste ich noch mehr auf einmal schlucken? In diesem Augenblick hoffte ich, dass diese Menge reichen würde. Ich führte die Hand zum Mund, drückte sie darauf und alle Tabletten fielen in meinen Rachen hinein. Aber schlucken tat ich nichts. Ich schüttete etwas Wasser hinterher. Mein Mund war jetzt voll, die Backen aufgebläht. Ich wollte gerade beginnen hinunterzuschlucken, als ich inne hielt.

Wieder sah ich mich selbst im Spiegel. Erst da begriff ich, was ich hier wirklich gleich tun würde. Ich wollte mein Leben beenden. Mich von diesen Schmerzen befreien, die nie zu vergehen schienen. Es war eine Möglichkeit. Doch war es wirklich die richtige Entscheidung? Noch immer blickte mein ausdrucksloses Gesicht mir entgegen. Plötzlich schien es vor meinen Augen zu verschwimmen. Ich sah mich nicht mehr selbst im Spiegel, sondern jemand anderen.

Ich sah SEIN perfektes Gesicht mit SEINEN harten goldenen Augen. Ich konnte in ihnen Verächtlichkeit und Gleichgültigkeit erkennen. SEINE Lippen bildeten eine schmale Linie. Trotzdem ich diese Emotionen in SEINEM Blick zu erkennen glaubte, schienen SEINE Augen mich dennoch zu durchdringen, wie sie es einst getan hatten. Dann verschwand Edward.

Als nächstes glaubte ich Charlie zu sehen, wie er weinend und vor Qualen aufschreiend sich in Vierfüßler-Stellung auf dem Wohnzimmerboden befand. Seine Tränen tropften auf dem Boden und immer wenn er die Hände hob, ballte er sie zu Fäusten und schlug mit ihnen auf den Boden auf. Charlie verschwand.

Ich sah Renee, die in Phils Armen lag und von Schluchzern geschüttelt wurde. Sie weinte bitterlich und unaufhörlich. Phil hielt sie nur fest, aber auch er weinte Tränen der Trauer. Renee schien sich durch Phils Gegenwart nicht zu beruhigen. Es sah eher so aus, als würde sie immer hysterischer werden. Auch dieses Bild verschwand und ich blickte meinem neuen Selbst wieder entgegen, das noch immer aufgeblähte Backen hatte.

Ich schloss die Augen und schüttelte benommen und verwirrt den Kopf. Als ich sie wieder öffnete sah ich wieder nur mein Spiegelbild. Das war nichts, sagte ich mir in diesem Moment. Es hatte nichts zu bedeuten. Alles nur Einbildung.

Und was wenn nicht?
Was, wenn mir diese Bilder meiner Fantasie nur das zeigten, was ich mit meiner Tat anrichten würde?

IHM wäre es egal.

Aber ich würde meinen Eltern und Phil sehr wehtun, wenn ich fort ginge. Wegen mir würden nicht nur sie, sondern auch meine Mitschüler, wie Mike, Jessica, Angela und Ben leiden. Sie würden leiden, nur weil ich zu feige war und dem Leben, den Schmerzen entfliehen wollte. Um meiner Selbstwillen war ich nicht abgeneigt dies zu tun, da diese Schmerzen unmenschlich waren. Aber den anderen konnte ich das nie antun.

Nein, ich musste doch einsehen, dass ich dazu verpflichtet war, weiter zu atmen.

Nicht für IHN.
Nicht für mich.

Sondern für all die anderen. Nach all diesen Überlegungen hatte ich alles in Waschbecken gespuckt, ins Abwasser heruntergespült und war ins Zimmer gegangen um zu schreiben. Gut, ich muss zwar in diesem Körper gefangen bleiben, aber das bedeutet ja nicht, dass ich nicht auf andere Art und Weise dumm und waghalsig sein kann. Ich werde schon irgendwann einen Weg finden, das Versprechen zu brechen.

Warum soll ich mich noch daran halten, wenn ER es bereits gebrochen hatte?
Denn ich würde nie wieder die Bella sein, die ich vor der Begegnung mit IHM war.

Nie wieder.




Der Schmerz hatte nun unvorstellbare Höhen erreicht.

Wie konnte ich Bella das nur antun? Ich hatte sie durch meine Selbstsucht fast in den Selbstmord getrieben. Ich dankte Bellas wirren Gedankengängen dafür, dass sie sie vom Tode bewahrt hatten. Der Gedanke, dass sie wirklich tot hätte sein können, ließ mich vor Angst erbeben. Hätte sie es getan, dann würde ich jetzt nicht hier sitzen und diese schrecklichen Worte lesen. Dann wäre ich nach Italien gegangen und wäre jetzt nicht mehr...

Ich schüttelte den Kopf und versuchte diese Gedanken abzuschütteln. Als ich las, wie sie mein Gesicht im Spiegel beschrieb, explodierte mein Herz erneut und Selbsthass durchflutete erneut meinen toten Körper. Ich war geschockt darüber, dass Bella ihr Versprechen hatte brechen wollen. Aber sie hatte recht. Ich hatte meinen Teil der Vereinbarung nie halten können. Ich hatte Bella wirklich verändert. Eine Veränderung, die man nicht so ohne weiteres wieder rückgängig machen konnte.

Oh, wie ich mich selbst hasste. Würde es mich nicht geben, dann gäbe es dieses Buch hier nicht.

Ich atmete tief durch und las weiter.


20. Oktober 2005




Heute ist etwas Seltsames geschehen.

Ich war in Port Angeles gewesen und bin dort fremden Männern begegnet, was mich unweigerlich an damals erinnert hatte. Da hatte ich die wundervollste Halluzination gehabt, die ich nur haben konnte. Ich habe IHN gesehen. IHN, der mich mit seiner samtenen und wütenden Stimme gewarnt hatte. Gerade so, als würde ich IHN etwas bedeuten. Als würde ER mich wieder beschützen wollen. ER war es nicht wirklich. Nur eine Projektion meines Unterbewusstseins. Doch schon nachdem die erste Halluzination verschwunden war, merkte ich, wie sich etwas in mir verändert hatte. Ich war nun nicht mehr länger taub gewesen. Nun achtete ich wieder auf meine Umwelt. Mit neuen geschärften Sinnen hatte ich meine Umgebung betrachtet. Auch spürte ich den zu erwartenden Schmerz nach dem Weggang meiner Halluzination nicht. Nur die Enttäuschung darüber, dass seine Gestalt und der Klang der wundervollen Stimme verschwunden waren.

Ich hatte meine persönliche Droge gefunden, die ich brauchte, um meinem Leben wieder ähnliche Momente des Glücks zu schenken. Nachdem ich noch einen Schritt auf die Männer zugemacht hatte, war SEINE Stimme wieder zurückgekehrt. Und wieder blieb der Schmerz aus und ich fühlte etwas anderes in mir. Etwas, was mich dazu gebracht hatte, meine Mundwinkel zu heben. Vielleicht so etwas wie innere Zufriedenheit.

Nun muss ich heraus finden, wie ich noch mehr solcher Halluzinationen hervorrufen kann. Es ist dumm und waghalsig Trugbilder hinterher zu jagen.

Ja, dumm und waghalsig.

Jetzt habe ich endlich einen Weg gefunden, dass Versprechen zu brechen. Und diese Tatsache, ist alles andere als bedauerlich.

Außerdem brauche ich SEINE Trugbilder wie die Luft zum Atmen. Ich brauche diese Illusionen, dass ich IHM etwas bedeute. Dass ich IHM etwas bedeutet habe. Auch wenn ich unterbewusst weiß, dass es nicht der Wirklichkeit entspricht. Es sind und bleiben eben nur Illusionen. Projektionen meiner Wünsche und Sehnsüchte. Traumgestalten meiner Fantasie, um der schmerzhaften Realität für einige Momente zu entkommen.

Ja, früher habe ich auch immer gedacht, dass ER mehr Traum als Wirklichkeit war. Eigentlich denke ich das heute noch. ER war einfach zu perfekt, um in meine persönliche Welt zu passen. Es war nicht gerade selten vorgekommen, dass ich befürchtete, ER würde sich vor meinen Augen in Luft auflösen. Eben weil ER so perfekt und schön und mysteriös war, habe ich doch schon immer gewusst, dass ER mich nie wirklich geliebt haben konnte.

Wie sollte ER auch?

Selbst wenn ich SEINE hasserfüllten Blicke an meinem ersten Tag an der Forks High School außer Acht lasse, wird meine Meinung dadurch nicht getrübt. Nein. ER hat nie Liebe für mich empfunden. Damals hatte ER mich doch nur vor Tylers Van gerettet, damit ich, SEIN Objekt, SEIN wissenschaftliches Experiment, unbeschädigt und intakt blieb. ER hat mich nur weiter am Leben gelassen, damit ER mein Geheimnis lüften konnte. Das ändert jedoch nichts daran, dass ein Teil von mir immer noch Dankbarkeit empfindet.

Dann als ER mit mir nach einem Monat wieder gesprochen hatte, sagte ER mir, dass es besser wäre, wenn wir nicht befreundet sind. Das ist schon die erste kleine Bestätigung meiner Behauptung. Denn wenn ER damals so empfand, dann konnte sich letztendlich keine wahre Liebe für IHN zu mir entwickelt haben, oder? Zwar hatte ER mir am nächsten Tag gesagt, dass ER eine Freundschaft zwischen uns aufbauen wolle, und auch das ER es Leid war, sich von mir fernzuhalten. Aber dennoch war es für mich an diesen Tag schwer zu akzeptieren, dass dieses Gespräch wirklich stattgefunden hatte. Denn dies war viel wahrscheinlicher, als alles andere. Wie zum Beispiel, dass ER auch nur etwas an mir interessant fand.

Damals wusste ich noch nichts von SEINER Fähigkeit. Dennoch bin ich mir jetzt ziemlich sicher, dass es nur das Interesse meiner Gedanken war, was IHN gelockt hatte. Mehr nicht. ER hatte mir nie wirkliche Gefühle der Zuneigung entgegen gebracht. Dass war alles nur von IHM gespielt, damit ich, SEINE Beute, weiterhin unter SEINEM Bann stand. Der Jäger hatte die ganze Zeit mit seiner Beute gespielt – zu gut gespielt. Und so hatte ER es geschafft, dass ich allmählich echte Gefühle für IHN entwickelte, obwohl meine Zweifel dennoch ständig in mir tobten. Denn schließlich gibt es die Garantie in der Liebe doch nie. Also waren sie mehr als berechtigt gewesen.

Als ER mich damals nach Hause gebracht hatte, nach der schrecklichen Bio-Stunde, in der wir unsere Blutgruppen bestimmen sollten, hatte ER mich gebeten, am Wochenende am Strand vorsichtig zu sein. Dann war die Sache in Port Angeles geschehen, das Gespräch im Restaurant und das in SEINEM Auto. Von da an begann ich die Möglichkeit einzuräumen, dass ER vielleicht irgendetwas für mich empfinden konnte.

Warum sonst hatte ER mich ein zweites Mal gerettet?
Warum sonst hatte ER mich beschützt?
War das nicht ein Zeichen, dass ich IHM etwas bedeutet hatte?

Auch, als ER mir im Auto gesagt hatte, dass ER sich große Sorgen um mich gemacht und dass ER seinen Rat zur Vorsicht sehr ernst gemeint hatte, waren doch irgendwelche Zeichen gewesen, oder? Aber dennoch waren meine berechtigten Zweifel die ganze Zeit da gewesen, egal was ER alles an diesem Abend gesagt hatte. Als ER mir am nächsten Tag dann gesagt hatte, dass ich IHM angeblich so viel bedeuten würde, dass ER meine Sicherheit über SEINE Wünsche stellte, bekam meine Illusion, dass ER mich wirklich lieben könnte, schärfere Umrisse. Auch die elektrische Spannung, die mich in der darauffolgenden Bio-Stunde erfasst hatte, ebenso SEINE Berührung meiner Wange vor der Turnhalle hatten dazu beigetragen. Ebenfalls SEINE Fragerei über mich und mein Leben in den nächsten zwei Tagen hatte meine Illusion SEINER Liebe zu mir immer klarer werden lassen.

Aber ich kann einfach nicht begreifen, was oder warum ER etwas an mir interessant gefunden hatte – wenn überhaupt. Alle Fragen hatte ER damals mit solch einer Intensität gestellt, egal wie belanglos sie auch waren. Wie zum Beispiel die Frage nach meiner Lieblingsfarbe oder meinen Lieblingsblumen. Bei solchen Fragen war ich mir irgendwie wieder als Objekt und nicht als Mädchen vorgekommen. Denn diese Art von Fragen hatte mir wieder den Eindruck vermittelt, als ginge es IHM nur um meine Gedanken.

Das hatte sich dann in der Cafeteria bestätigt, als ER mir sagte, dass ich IHN faszinierte. Das war wieder eine Bestätigung und ein Zeichen dafür gewesen, dass meine Illusion eben nur eine Illusion war. Auch wenn ER gesagt hatte, dass da mehr sei und ER Angst habe, dass die Sache zwischen uns ein schlechtes Ende nehmen könnte – wobei das bei mir jetzt zutraf –, wurden die Umrisse meiner Illusion jetzt nicht mehr ganz so scharf, wie sie es vorher gewesen waren. Vielleicht war das damals nicht SEINE Absicht gewesen, aber dennoch nagten die Worte sehr stark an mir. Als ich IHM dann noch versprechen musste, dass ich auf mich aufpassen würde, während ER auf der Jagd sein war, hatte die Illusion wieder etwas an Festigkeit zugenommen. Dennoch war sie immer noch fernab von Realität.

Dann auf der Lichtung, wo ER mir alles erzählt hatte, wurde die Illusion immer greifbarer.

Als ER mir mit den Worten: „Und so verliebte sich der Löwe in das Lamm.“ seine Liebe gestanden hatte, war ich natürlich sehr froh darüber gewesen, das zu hören.

Doch wenn ich jetzt darüber nachdenke, finde ich in diesen Worten überhaupt keine Liebe mehr.

ER hatte diese Metaphern ganz bewusst eingesetzt, dass weiß ich jetzt. Denn diese Worte zeigen mir jetzt deren wahre Bedeutung. Lamm und Löwe. Verschieden wie Tag und Nacht. Zu verschieden, dass sie solche Gefühle füreinander hegen könnten. Das Lamm vielleicht, aber nicht der überlegene Löwe. Er könnte sich nie wirklich in ein Lamm verlieben. ER betrachtet es nur als Beute, als Objekt und handelt nur aus Eigennutz.

Auch sind sie einander nicht ebenbürtig.

Der Löwe würde das Lamm nur als ein Klotz am Bein betrachten. Wenn SEIN Interesse an ihm verflogen ist, ist es wertlos und lästig, sodass ER es auf die eine oder andere Art loswerden muss. Tja, da das Lamm nicht gefressen wurde, wurde es eben verlassen. All das unterstützt meine Hypothese, dass ER mich nie wirklich geliebt haben kann. Entweder hatte ER alles nur vorgetäuscht oder nur geglaubt, ER würde so für mich empfinden. Ich glaube, dass ER all die Zeit gelogen hatte.

Der kranke und masochistische Löwe.

Aber war es nicht völlig normal, dass man alles dafür tun würde, wenn man etwas unbedingt haben will?
Bei den Menschen ist das so. Warum sollte es bei Vampiren anders sein?

ER wollte unbedingt das Geheimnis meiner Gedanken lüften und war dafür bereit gewesen, mir SEINE Liebe vorzuspielen, damit ich IHM noch leichter aus der Hand fraß. Das hatte ja auch super funktioniert. Sein Plan war aufgegangen.

Diese Eigenschaft zu lügen, macht IHN in meinen Augen etwas menschlicher. Jeder Mensch lügt und betrügt. Die einen mehr, die anderen weniger. Die einen bei großen Dingen, die anderen bei kleinen Dingen. Die einen lügen aus der Not heraus, die anderen, um zu verletzen.

Jeder Mensch tut das.

Ich auch.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es keine Garantie für die Liebe gibt. Daher ist es auch schwer, wahrhaftiges Vertrauen zu einem aufzubauen. Aber ich hatte es versucht. Ich hatte trotz meiner Zweifel so viel Vertrauen wie nur möglich in IHM gelegt. Wahrscheinlich da ein Teil in mir geglaubt hatte, dass sie anders sind. Für mich wirken sie eher wie Engel und nicht wie Menschen. Ein kleiner Teil – ein sehr kleiner Teil – in mir hatte sich vermutlich gedacht, dass Engel nicht lügen würden. Engel sind schließlich keine Menschen.

Doch leider ist das ein Irrtum.

Als ER mich dann vor James gerettet hatte, wurde die Illusion SEINER Liebe noch stärker, verlor allerdings im Krankenhaus erneut an Glaubhaftigkeit.

ER hatte gesagt, ER müsste mich wirklich lieben, hatte sich jedoch geweigert, aus dem Lamm eine Löwin zu machen. ER hatte mich nicht verwandeln wollen. ER wollte nicht die Ewigkeit mit mir verbringen. ER wollte, dass ich ein Mensch blieb. Ein Mensch, der altern und sich somit immer mehr von IHM entfernen würde.

Von da an traten meine Zweifel wieder täglich immer mehr in den Vordergrund. Und so wusste ich nun fast mit Gewissheit und steigender Angst, dass ER mich eines Tages verlassen würde. Eines Tages würde der Löwe erkennen, dass das Lamm belastend und unangenehm für IHN ist. Eines Tages würde ER das Lamm entweder verspeisen…oder von sich stoßen und wieder in die weite Welt hinaus ziehen.

Doch ich hätte nie gedacht, dass dieser Tag schon so schnell kommen würde.

Obwohl ich es schon immer gewusst hatte, ja schon seit SEINEM Angebot mich mit nach Seattle zu nehmen, hatten mich SEINE Worte völlig unvorbereitet getroffen.

Am 16. September hat der Löwe SEIN wahres Gesicht gezeigt. Kalt, grausam und unnachgiebig. ER hat seine Maske der Lügen und der Falschheit abgelegt und die reine Wahrheit ausgesprochen. Und wie so oft, war es jene gewesen, die man nur ungern hören will. Aber dennoch mussten diese Worte irgendwann ausgesprochen werden. Jetzt, da ER genug vom Lamm hat oder ihm keine Geheimnisse mehr entlocken kann. Vielleicht war ER es auch einfach Leid gewesen.

Leid, diesen Ballast mit sich herum zu schleppen. Müde, die stummen Geheimnisse zu erforschen. Vielleicht hat ER endlich erkannt, dass ein Lamm niemals in der Lage war, eine Löwin zu ersetzen. Auch wenn die Liebe seinerseits nicht echt zu sein schien, meine wird es immer sein.

Denn wenn ER mich wirklich geliebt hätte. Wenn ER wirklich das gemeint hätte, was ER all die Monate zu mir gesagt hatte, dann hätte ER mich doch nie verlassen, oder?

Aber warum hätte ER bei mir bleiben sollen, wenn ER nie vorhatte, mich zu verwandeln.
Wenn ER mich geliebt hätte, dann hätte ER mich zu einer von ihnen gemacht.

Denn einen Menschen, den man wirklich und wahrhaftig liebt, könnte man doch nie im Leben verlassen.

Heißt es nicht, dass man es nicht ertrug ohne den jeweils anderen zu sein?
Machte diese schmerzhafte Sehnsucht nicht die wahre Liebe aus?

Für mich trifft das zu.
Für IHN nicht.

Nein, ER hat mich nie wirklich geliebt. Das ich jetzt hier sitze und all dies niederschreibe, ist der beste Beweis dafür.

Aber auch wenn ich nicht diejenige sein kann, die IHN glücklich macht – schließlich kann man sich ja nicht aussuchen, wem man sein Herz schenkt –, so hoffe ich dennoch für IHN, dass ER eines Tages – vielleicht wenn ich nicht mehr bin – sein Glück finden wird.

Ja...Edward.

Ich wünsche dir trotz allem was du mir angetan hast, alles Glück auf dieser Welt.

Sollte ich dich nicht eigentlich hassen?

Nein, wie könnte ich?

Einen Menschen den man liebt, könnte man nie hassen, ganz egal, was er auch getan haben mag. Außerdem, was soll mir der Hass auch bringen?
Er würde nichts ändern.

Er würde nicht verhindern, dass ich Alpträume bekomme.
Er würde nicht den Schmerz lindern, den meine Seele erleiden muss.
Er würde nicht die pochende Wunde meines Herzens verschließen können.

Nein.

Hass würde das nie können.

Nur DU hast die Macht das Loch meines Herzens zu heilen. Aber darauf brauche ich nicht zu hoffen, da DU nie zu mir zurück kehren wirst, wie DU einst gesagt hattest. Ohne DICH kann ich nie wieder richtig glücklich werden. Und auch wenn ich weiß, dass ich DIR nichts mehr bedeute. Dass ich nur Fantasiegebilde DEINER Selbst hinterher jage, so brauche ich sie dennoch so sehr. Auch wenn sich das für einen Außenstehenden sicherlich verrückt anhört.

Trotz jeder Vernunft werde ich morgen zu DEINEM Haus fahren. Ob es den gewünschten Effekt haben wird, weiß ich nicht. Aber dennoch spüre ich etwas in mir. Ich spüre, dass dieser morgige Tag von großer Bedeutung für mein Leben sein wird. Als würde mich jemand oder etwas Unsichtbares zum Haus hin ziehen. Aber vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, weil ich so verzweifelt auf den Erfolg hoffe. Ich bete dennoch inständig, dass sich für einen kurzen Augenblick ein Glücksgefühl – oder so etwas in der Art – in mir ausbreiten wird.



Ich starrte wie paralysiert auf Bellas Worte und es war, als würde mein Körper von innen explodieren. Als würden mir alle Gliedmaßen einzeln abgerissen werden, um mich so qualvoll wie nur möglich leiden zu lassen. Ich wollte schreien. Schreien wie noch nie in meiner Existenz. Wollte – musste den Schmerz nach außen dringen lassen, da das alles zu viel für meinen Körper war.

Er konnte dies doch alles unmöglich aushalten und dennoch ganz bleiben?
Wie war das möglich?

Ich wusste, dass meine Hülle unversehrt war, spürte sie jedoch nicht wirklich. Diese Worte, ihre Worte, führten mir erst jetzt vor Augen, wie groß der Schaden wirklich war, den ich verursacht hatte. Ich hatte ihr Herz und ihre Seele gebrochen.

Ein kleiner Teil in mir ärgerte sich. Ärgerte sich darüber, wie falsch dieses Mädchen alles verstanden hatte. Ärgerte sich darüber, wie sie den Sinn meiner Worte nur so verdrehen konnte. War erzürnt darüber, wie verquer die Gedankengänge dieses Mädchens doch waren – oder sind. War zornig darüber, dass ich nach all der Zeit, die ich mit ihr verbracht hatte, sie nicht besser hatte durchschauen können.

Warum hatte ich nicht vorhergesehen, dass sie sich nicht zu etwas zwingen ließ, was sie nicht wollte?
Warum hatte ich nicht gesehen, dass Bellas Liebe zu mir nie abschwächen würde, wenn sie so von ihren Gefühlen für mich überzeugt war?

Wäre ich nur nicht so arrogant und blind gewesen hätte ich ihr all das Leid und diese geschriebenen Worte ersparen können.

Ein anderer Teil in mir froh. Froh, dass ich das alles erfahren hatte, da ich sie nun besser verstehen konnte. Jetzt wurde mir wieder bewusst, dass ich völlig versagt hatte. Nun wusste ich, warum ich sie damals nicht von meiner Liebe hatte überzeugen können, als ich zu ihr zurückgekehrt war.

Sie glaubte, sie sei MEINER nicht würdig, sei nicht gut genug für MICH. Was für ein absurder Gedanke. Ich war doch derjenige, der immer versucht hatte, gut genug für sie zu sein. Ich war doch das Monster. Das personifizierte Böse. Ein Wesen, das so etwas Reines und Gutes wie Bella unmöglich verdient haben konnte. Ich würde für sie nie gut genug sein. Ich konnte kein Mensch sein. Ich würde sie nie mit meiner Haut wärmen können. Könnte sie nie unbeschwert und ohne Vorsicht berühren. Immer würde ich die Kontrolle behalten. Immer würde ich wachsam sein und aufpassen müssen. Nein, nie würde ich so mit ihr zusammen sein können, wie ein Mensch es konnte.

Ich war nun mal ein Vampir. Und ein Vampir kann kein Mensch sein, egal wie menschlich er auch wirken mag. Warum sah das Bella nicht? Hatte sie es überhaupt jemals gesehen oder auch nur darüber nachgedacht? Nein. Sie hatte von Anfang an zu viel Vertrauen in mich gehabt. Hatte ihren zerbrechlichen Körper in meine mörderischen Klauen gelegt.

Ich wusste nicht, wie ich äußerlich aussah. Doch in meinem Inneren herrschte ein wahres Durcheinander von Gefühlen. Hass, Verzweiflung, Trauer, Schmerz, Wut, Reue, Leid, Schuld und viele weitere Emotionen glaubte ich alle auf einmal zu fühlen, für die ich jedoch keinen Namen fand. Ich spürte so viel und doch spürte ich nichts. Es war schwer in Worte zu fassen. Immer noch regungslos und erstarrt blickte ich auf die aufgeschlagenen Buchseiten.

Ich blinzelte und schlug mit zitternder Hand die nächste Seite auf.

Da stand nichts mehr.

Ich blätterte eine weiter.

Nichts als leere Seiten.

War das alles?

Ein Teil von mir war mehr als erleichtert darüber, ein anderer verhöhnte diesen und hasste es, dass keine weiteren Worte als Strafe für ihn mehr vorhanden waren. Auch fragte er sich, warum Bella nicht mehr weiter geschrieben hatte. Hatte sie bereits all ihren Schmerz in Worte gefasst? Da fiel mir wieder etwas ein, lass noch einmal die letzten Zeilen durch und schaute auf das Datum.

Trotz jeder Vernunft werde ich morgen zu DEINEM Haus fahren.

Dies war der entscheidende Satz. Sie hatte das also an dem Tag geschrieben, bevor sie wieder in ihre Welt zurückgekehrt war und ihren Zwillingsbruder wieder fand. Das war sicher alles sicher sehr verwirrend für sie gewesen. Vielleicht hatte sie darum nicht mehr die Gelegenheit gehabt, sich weiter in diesem kleinen Buch auszudrücken. Ganz abgesehen davon, war es bestimmt die ganze Zeit hier gewesen, sodass sie sowieso nie hätte etwas reinschreiben können.

Doch halt!

Ich sah, die Schrift durch die leere Seite durchschimmern. Ich sah sofort, dass sich die Schrift wieder in die alte bekannte zurück verwandelt hatte. Ich blätterte nun ein drittes Mal um und las den letzten Eintrag in diesem Buch.


15. Januar 2006




Edward macht gerade eine schwere Zeit durch. Er ist plötzlich taub geworden, nachdem wir hierher zurückgekehrt waren. Ich habe Charlie gestern gesagt, dass ich bei Edward heute Nacht bleiben werde. Er fand das natürlich alles andere als schön, musste aber zustimmen, da ich ihm mit meinem Auszug gedroht hatte. Ich habe ihm gesagt, dass Edward taub ist und ich so schnell wie möglich wieder zu ihm müsse.

Das Buch habe ich mitgenommen, da ich gewusst hatte, das ich es brauchen würde. Ich hoffe, dass es ich ihm so gut wie nur möglich helfen kann. Ich werde ihn jetzt nicht hängen lassen. Was wäre ich den für eine Frau, wenn sie ihrem Mann in seiner schwärzesten Zeit nicht beistehen würde? Ich weiß, dass ich niemals verstehen werde, was er gerade durchmachen muss. Aber solange er mich braucht, werde ich für ihn da sein. Es heißt ja nicht umsonst: In guten, sowie in schlechten Zeiten.

Auch hoffe ich, dass Andy bald wieder zurück sein wird. Hoffentlich passiert ihm nichts. Und wenn doch, bekomme ich das mit.




Jetzt hatte ich Bella noch weniger verdient, als vorher. Sie ist jetzt für mich da, wo es mir so schlecht geht.

Und wo war ich, als es ihr schlecht ging?

Fort.

Nicht bei ihr.

Ich war kalt und rücksichtslos und habe sie mit ihrem Schmerz allein gelassen. Ein schöner Mann bin ich. Mir sollte man den Kopf abreißen. Ich schwor mir, mein Verhalten schnellstmöglich zu verändern und Bella meine Dankbarkeit zu erweisen.

Mit Bedauern und Erleichterung schlug ich das Buch zu und legte es beiseite. Dann fielen mir zusammengefaltete Zettel auf dem Boden auf. Sie mussten wohl aus dem Buch heraus gefallen sein, als mein Körper es zum Zittern gebracht hatte. Durch den Schock waren mir wohl die Zettel entgangen. Aber wenn sie aus dem Buch gefallen waren, bedeute das nicht, dass Bella noch etwas geschrieben hatte? Begierig und ängstlich zugleich hob ich die Zettel vom Boden auf, faltete den ersten auseinander und begann zu lesen. Diese Schrift hatte noch einen Hauch des Fremden an sich.



21. November 2005




Erinnerungen an den 31. Oktober und 02. November 2005:

„Wenn Vampire erst mal ihre Seelenverwandten gefunden haben, dann sind sie für immer und ewig an sie gebunden. Wenn Vampire erst mal lieben, dann lieben sie für immer. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Vampir oder Menschen handelt.“

Edward mag zurück gekommen sein und auch wenn ich Edwards Worten etwas Glauben geschenkt habe, so zweifle ich doch sehr stark an ihnen. Auch wenn diese Worte halfen, dass ich Edward wieder in mein Leben lassen konnte, besteht meiner Meinung dennoch die Gefahr, dass er mich wieder verlassen könnte. Er hatte zwar mit seinen Versprechen vor 19 Tagen mein Herz höher schlagen lassen, genau wie es diese Worte tun. Aber letztendlich sind Vampire auch nur Menschen. Oder besitzen menschliche Züge. Und jeder kann lügen und betrügen oder seine Meinung erneut wieder ändern. Denn schließlich gibt es in der Liebe keine Garantie… Oder doch…?




Wieder taten ihre Worte mir weh, wie es kein körperlicher Schmerz vermochte.

Wann hatte sie das denn geschrieben?
Hätte ich das nicht mitbekommen?
Nein. Nicht, wenn ich zu der Zeit geschlafen habe, was sehr wahrscheinlich war.

Dann las ich den kurzen Eintrag noch ein zweites Mal durch. Solche Worte hatte ich nie zu ihr gesagt, obwohl sie natürlich der Wahrheit entsprachen.
Es sei denn…?

Ich merkte, wie meine Augen groß wurden. Dort stand geschrieben, dass sie an diese Worte damals gedacht hatte, als ich mit ihr nach meiner Rückkehr gesprochen hatte. Diese Worte hatten ihr neue Hoffnung gegeben und dafür gesorgt, dass ich sie nicht wieder verloren hatte. Auch waren es die Worte, die mein Ebenbild zu ihr gesagt hatte. Ich erinnerte mich an das passende Bild, welches ich einst in Elizabeths Kopf sah. Einerseits war ich froh, andererseits wütend.

Froh darüber, dass ich noch mehr Klarheit erlangt habe. Wütend darüber, dass er für sie da war, als ich…es nicht war. Ich war wütend auf mich selbst.

Warum hatte ich diese Worte nicht schon viel früher zu ihr gesagt?
Warum musste er mir zuvor kommen?

Vielleicht hätten diese Worte meine Gefühle für sie und Verbundenheit mit ihr am besten zum Ausdruck gebracht. Vielleicht hätte Bella eben genau diese Worte hören müssen, um von allen Zweifeln freigesprochen zu werden. So wäre vielleicht alles anders gekommen. Auch am Tag der Mondfinsternis im Wald. Dann hätte sie vielleicht noch mehr um mich gekämpft.

Aber wäre das wirklich besser gewesen?
Ja und Nein.

Ja, weil ich dann gesehen hätte, was für eine tiefe und innige Liebe für mich empfindet, obwohl sie nur ein junges 18-jähriges Menschenmädchen ist.
Nein, weil es dann auf eine Art alles noch schwerer für mich gemacht hätte.

Und für Bella?
Wenn Bella doch letztendlich hätte einsehen müssen, den harten Kampf dennoch verloren zu haben?
Hätte sie das nicht noch tiefer verletzt?

Dieser Gedanke war nicht abwegig. Obwohl ich mir keine Steigerung für Bellas schlechten Zustand vorstellen konnte. Oder doch? Ich schüttelte den Kopf, um die zerstörerischen Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Nun faltete ich den zweiten Zettel auseinander. Hier war es wieder dieselbe Schrift, wie beim letzten Eintrag im Buch.


28. Dezember 2005




Ich kann es immer noch nicht glauben. Nicht einmal, wenn ich den Ring ansehe, der jetzt an meinem Ringfinger im Licht meiner Schreibtischlampe funkelt. Edward schläft gerade. Sonderbar friedlich. Nicht so unruhig, wie in letzter Zeit. Ich bin immer noch ziemlich überrascht, dass ich mich aus seinen Armen habe lösen können. Vielleicht ist er zu tief in einem Traum versunken, um meine Anwesenheit im Schlaf zu spüren. Wie auch immer. Ich spüre das kleine zusätzliche Gewicht an meinem Finger. Ein Zeichen dafür, dass der Ring existiert. Dass ich ihn wirklich gerade trage. Dass ich mir den Antrag und seine Worte nicht eingebildet habe.

Ich habe sie wirklich mit meinen eigenen Ohren gehört. Aber so richtig glauben konnte ich es nicht. Ehrlich gesagt, kann ich es noch immer nicht. Kein Wunder, dass ich in Ohnmacht gefallen bin. Unfassbar jedoch, dass ich aus ihr wieder erwachen konnte. Sein Geschenk an mich – wohlgemerkt das schönste Geschenk auf dieser Welt – ist ein Zeichen, ein Tribut für seine Liebe. Es ist ein Beweis dafür, dass er sich an mich binden will.

Mich für immer bei sich haben möchte.

Mich, ein schwaches und unwürdiges Menschenmädchen.

Mich, die kleine Isabella Marie Swan, die durch ihr Leben stolpert und vom Tod ständig begleitet wird, wie es scheint.

Mich, die eine Gefahr für sich und besonders für andere darstellt.

Mich, dessen Anwesenheit ständig neue Umstände herauf beschwört.

Das muss alles nur ein Traum sein. Das kann unmöglich wahr sein. Wenn ich mich zwicke, würde ich dann einfach aufwachen und wieder in der Forks Highschool Cafeteria sitzen, in der diesmal keine fünf blasse und wunderschöne junge Engel sitzen würden. Denn Engel sind nicht real. Sie sind nur ein Traum. Nicht wirklich greifbar und dennoch glauben manche an sie. Edward war und ist ein Engel. Er kann doch nur ein Traum sein.

Doch wenn ich mich umdrehe, sehe ich den schlafenden Engel in meinem Bett liegen. Und wie lange ich auch hinschaue oder ich die Augen schließe und sie wieder öffne, der Engel löst sich nicht in Luft auf. Er liegt immer noch da. Ruhig atmend und im Schlaf lächelnd. Mein persönlicher Engel. Entweder hat mir der Himmel einen wahrhaftigen Engel auf die Erde geschickt, damit er über mich wachen konnte, weil ich mit einem integrierten Gefahrenmagnet geboren wurde oder mein ganzes Leben ist ein Traum. Das erste erschien mir mehr wahrscheinlicher.

Aber auch wenn Edward kein Traum ist, wie kann der Engel einen gewöhnlichen Menschen haben wollen? Wie kann eine verkörperte Perfektion nur so jemanden wie mich wollen?

Ich bin nicht perfekt. Das war ich nie. Nein, ich kann es nicht für möglich halten, dass Edward mich heiraten will. Dass er möchte, dass ich sein werde.

Aber symbolisiert der Ring nicht genau das?
Symbolisiert er nicht auch die Garantie der Liebe?

Vielleicht.

Aber wenn ich da an Charlie und Renee denke…?

Wir sind jedoch nicht wie Charlie und Renee. Das glaube ich wenigstens. Wie dem auch sei. Ich habe zwar den Ring. Ich habe zwar seine Worte gehört. Trotz allem sind noch immer Zweifel – die nichts mit meinen Gefühlen zu tun haben – in mir. Ob sie wohl jemals verschwinden werden?




Ich brachte ein leichtes Lächeln zustande, trotz des tiefen Schmerzes in mir.

Bella lag richtig und falsch.

Sie ist zwar ein Gefahrenmagnet, aber dennoch rundum perfekt, so wie sie war. Und genau wie immer, ist sie nicht in der Lage sich selbst gut einzuschätzen. Das erinnerte mich an früher. Bella ist weder schwach, noch unwürdig. Ihre Hülle mag zwar schwach und zerbrechlich sein, aber sie besitzt eine immense innere Stärke, die bewundernswert ist. Sie widersetzt sich allen natürlichen Instinkten und verbringt willentlich ihre Zeit mit einem Vampir, obwohl sie weiß, dass es unklug ist. Sie stellt ihr eigenes Leben immer über andere und versucht anderen das Leben immer zu erleichtern.

Unwürdig ist sie nicht in Entferntesten. Etwas so Reines und Gutes ist alles andere als unwürdig. Ich stimmte ihrer Tollpatschigkeit und ihrem möglichen Begleiter zu. Aber ich fand diese Ungeschicklichkeit immer sehr liebenswert, nicht lästig. Bei ihren nächsten zwei Behauptungen merkte ich, wie sich mein Gesicht verfinsterte.

Wenn, dann ist sie nur eine Gefahr für sich selbst. Aber eben diese Tatsache, rechtfertigt einen persönlichen Beschützer. Mich. Ihre Anwesenheit soll ständig neue Umstände heraufbeschwören? Das mag vielleicht nicht ganz falsch sein. Aber das ist weder für die eine noch für die andere Cullen-Familie unangenehm. Naja, eine der beiden Rosalies hat vielleicht diese Ansicht. Aber alle anderen lieben Bella und würden alles für sie tun. Das gleiche galt natürlich auch für ihren Zwilling. Außerdem gehörten die beiden einfach zusammen. Man konnte die beiden eben nur im Doppelpack bekommen. Denn die zwei konnten nicht ohne einander sein, wie ich ohne Bella nicht sein konnte.

Meine Mundwinkel hoben sich wieder. Ich war froh, dass sie in mir immer noch ihren Engel sah, obwohl er so viel Schlimmes getan hatte. Ihre Vorstellung, dass ich für sie als Beschützer auserkoren wurde, gerade weil sie die Gefahr anzieht, gefiel mir ausgesprochen gut. Aber glauben konnte ich nicht wirklich daran.

Sie denkt, ich sei ein Traum.
Oh, Bella.

Und warum konnte sie nicht verstehen, warum ihr Engel sie bei sich haben wollte?
Lag das nicht auf der Hand?

Der Engel verzerrt sich nach ihr. Strebt nach Vollkommenheit. Nach Perfektion, die er nicht besitzt. Nein, ich selbst könnte nicht ferner von Perfektion sein. Denn nur mit ihr kann ich sie erlangen. Bella ist die Verkörperung der Perfektion, nicht ich. Bella ist das, was mich ausmacht. Nur mit ihr an meiner Seite, kann ich perfekt und vollständig sein. Wenn der Engel den Zustand der Vollkommenheit erreicht hat, wird er ihn nie wieder missen wollen. Also braucht sich Bella um die Garantie, um meine Treue nun wirklich keine weiteren Gedanken zu machen.

Ich würde ihr bis in alle Ewigkeit gehören.

Und nur ihr.

Der Vampirengel liebt sie nämlich seitdem er sie das erste Mal erblickt hatte. Die Gefühle vieler Menschen sind eher wankelmütig. Wenn ich da an Renee dachte? Oder an diesem Widerling Newton?

Als meine Augen erneut über die letzten zwei Sätze glitten, spürte ich wieder einen Stich im Herzen. Bella und ihre Zweifel. Sogar jetzt wohnten sie inne in ihr, obwohl ich sie gefragt hatte, ob sie meine Frau werden will und sie den Antrag sogar angenommen hatte. Mir entfuhr ein Seufzen.

Würde ich es denn jemals schaffen, diese Zweifel auszulöschen?

Ich konnte es mit allem aufnehmen. Mit einem schlitternden Van, einer Horde bedeutungsloser Kreaturen, mit Vampiren, mit ihrem so wohl riechendem Blut. Gegen all diese Gefahren konnte ich gewinnen. Nur zwei Dinge gab es, denen ich nicht gewachsen war:

Mich selbst und wie es aussah Bellas Zweifel.

Mich selbst würde ich nie im Leben besiegen können, dafür hatte die Sehnsucht gesorgt. Und Bellas Unsicherheit? Vielleicht könnte sie sie endlich ablegen, wenn sie offiziell zu mir gehörte. Und wenn selbst das nicht helfen sollte – was mir unvorstellbar vorkam – sollte doch unsere Hochzeitsnacht über die Macht verfügen, die meine Worte nicht besaßen.

Bei diesem Gedanken durchfuhren warme Schauer meinem kalten Körper, obwohl Bella nicht im Raum war. Ich seufzte schwer, faltete die Zettel wieder zusammen und legte sie in das Buch zurück. Dann griff ich wieder zum Laptop, nachdem ich Bellas Buch wieder unter ihr Kissen deponiert hatte.

Sie würde nie erfahren, dass ich einen Blick in ihr Buch geworfen habe.

Ich ging ins Internet und informierte mich über die Gebärdensprache. Auch prägte ich mir das Fingeralphabet ein und übte es, obwohl das nicht nötig war. Erst jetzt begann ich zu begreifen, wie wertvoll das Gehör doch war.

Das Schmetterlingskind




Andys POV - Paralleluniversum



(Reguläres Universum)



„Wir werden zu euch kommen, wenn es dunkel wird, in Ordnung?“, fragte Elizabeth uns.

Sie machte noch immer ein besorgtes Gesicht und in ihren Augen konnte ich Trauer und Verständnis entdecken. Während der Fahrt zu Charlie hatte sie uns gefragt, ob sie wirklich nicht mit reinkommen solle. Ich habe sie einfach nur angesehen. Sie hatte mich einen Augenblick lang angestarrt und geseufzt. Nein, es war besser, wenn nur Bella mit mir kommen würde. Das war ein wie ich fand ganz privater Moment und nur für die Swans gedacht. Ich war mir sicher, dass das alle schon verstehen würden. Elizabeth umarmte uns zum Abschied und gab mir einen Hauch von einem Kuss. Ihre goldenen Augen spiegelten das wider, was ich fühlte.
Trauer, Verzweiflung, und Hoffnung. Hoffnung darauf, dass damit endlich die Vergangenheit für mich abgeschlossen sein würde. Jedenfalls soweit, sodass mich dieses Ereignis nicht mehr so sehr emotional belasten würde.

Ich wusste, dass sie mir am liebsten die Spuren der Tränen wegküssen und mich trösten wollte. Aber sie tat es nicht, wofür ich ihr einerseits sehr dankbar war. Ich musste lernen, meine Gefühle mehr und mehr offen zu zeigen. Besonders in unangenehmen Sachen. Wer weiß, was passieren würde, wenn ich wieder alles in mich hineinfraß. Mein Silvesterknaller war nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Es würde bestimmt nicht einfach werden, mich mit meinem Schmerz und Problemen auseinanderzusetzen. Aber ich musste es schaffen, mit den Geschehnissen meiner Vergangenheit umzugehen. Ich wusste, dass sie es nur gut mit mir meinte, aber seit Silvester oder Neujahr, hatte ich den Eindruck bekommen, dass ich keine Freundin, sondern eine zweite beziehungsweise dritte Mutter bekommen habe. Ständig warf sie mir immer diese Blicke zu.

Voller Mitleid und Mitgefühl.

Ihre Augen schienen pausenlos die Geht-es-dir-gut-Frage zu stellen.

Auch konnte ich immer den besorgten Unterton in ihrer Stimme wahrnehmen, obwohl sie versuchte, dies zu verbergen. Und seitdem Elli nun von meiner Schulzeit wusste, fühlte es sich noch schlimmer für mich an. Diese ständig besorgten Blicke fingen an mich wirklich zu nerven. Weil ich eben so bin wie ich bin, schluckte ich meine Wut hinunter und verbarg sie so gut ich konnte vor ihr, um sie nicht noch mehr zu verletzen. Das wäre Elizabeth gegenüber nicht fair. Außerdem könnte ich mich noch sehr gut an ihr Gesicht an Silvester erinnern. So verletzt. So traurig. So schmerzerfüllt. Nachdem meine Wut damals verflogen war, hatte ich mich dafür richtig geschämt.

Ich wusste nicht wie ich es schaffte, aber es schien, als spürte sie nicht meine Wut auf ihre ständige Sorge. Sicher konnte ich mir aber nicht sein. Ich fand es ja irgendwie…süß, dass Elli sich Sorgen um mich machte.

Aber musste sie so…offensichtlich überfürsorglich sein?

Ich brauchte diese Frau als meine Freundin und nicht als meine Mutter. Irgendwie machte es mich glücklich, störte mich aber auch immens daran. Ich war doch kein kleiner Junge mehr, der bemuttert werden musste, obwohl…?

Schließlich hatte ich seit meinem 7. Geburtstag keine richtige Mutter mehr gehabt. Durch Ellis Besorgnis fühlte ich mich irgendwie eingeengt. Das lag sicher nicht in ihrer Absicht, aber das war mehr als ich ertragen konnte. Seit 11 Jahren hatte sich keine weibliche Bezugsperson mehr so um mich kümmern wollen. Das war für mich eine völlig neue Situation und es fiel mir nicht leicht, mich daran zu gewöhnen.

Einerseits wollte ich es, andererseits auch nicht.

Erstaunlicherweise störten mich Bellas Gefühle nicht so sehr, obwohl ich ihre Blicke und zusätzlich noch ihre Empfindungen spüren konnte. Vielleicht weil ich sie war und sie ich, im übertragenem Sinne. Sie war meine Kopie und zugleich mein Gegensatz. Es war schwer zu erklären. Aber dadurch, dass wir miteinander verbunden waren, verstand sie besser als irgendjemand, wie es in mir aussah. Und trotz allem hatte ich ebenso den Eindruck, dass Bella nur einen geringfügigen Teil verstehen konnte.

Denn ICH habe all das erlebt, nicht sie.

ICH wurde verscharrt.
ICH habe Angst vor der Dunkelheit. Mal mehr, mal weniger.
ICH habe einen Mitschüler getötet.
ICH war in psychologischer Betreuung.

Allerdings waren meine Erlebnisse auch auf eine Art und Weise ihre Erlebnisse und umgekehrt. Ja, es war wirklich nicht einfach, das zu erklären. Mein ganzes Selbst war so voller Widersprüche, dass ich mich manchmal fragte, wer ich wirklich war und ob ich mich selbst kannte.

Ich will mich öffnen, kann es aber nur sehr schwer, weil ich Angst davor habe, verletzt oder zurückgewiesen zu werden. Ich sehne mich nach Aufmerksamkeit und Zuneigung, stoße jene aber wieder von mir, sobald mir das alles zu viel wird und ich mich dadurch eingeengt fühle. Dann bekomme ich Schuldgefühle und versuche alles Schlechte zu unterdrücken, um die anderen nicht zu verletzen.

Ich weiß, dass sie mir nur helfen wollen, will mich fallen und trösten lassen, möchte aber nicht schwach wirken. Schließlich war ich die letzten Jahre auch stark gewesen. Äußerlich zumindest. Ich darf nicht schwach sein. Ich muss doch für Bella stark sein, wenn es ihr nicht gut geht.

Als Bella und ich wieder vereint waren, erinnerte sie mich so sehr an die Renee vor 5 Jahren. Ich fühlte mich wieder an die Situation von damals erinnert und hatte so alles versucht, um sie wieder aufzuheitern. Aber auch wenn ich nicht so aufgewachsen wäre, hätte ich mich damals für sie verantwortlich gefühlt. Das tat ich seit unserer Geburt. Der ältere Bruder hilft der jüngeren Schwester. Auch hat der Ältere die Aufgabe, die Familie zusammenzuhalten, egal ob wir nun zu zweit, zu dritt, oder zu viert sind.

Ja, ich muss stark sein. Ich muss immer stark sein. Denn wenn ich schwach bin, werde ich traurig und wütend. Wütend, weil mich dann das Gefühl von Hilflosigkeit und Einsamkeit überkommt. Das möchte ich nicht fühlen. Darum muss ich stark sein. Aber egal, ob ich mir meine Schwäche eingestehe oder den Starken spiele. Die anderen überschütten mich wieder mit ihrem Mitleid, was mich wieder wütend und schuldbewusst macht. Ich unterdrücke wieder alles und so geht es immer weiter.

Es ist ein Teufelskreis, aus dem ich versuche auszubrechen, was aber alles andere als einfach ist.

Ja, ich war mein eigenes Ying Yang. In meinem Wesen herrschte ein einziges Chaos. Ich gehörte wirklich in die Klapsmühle oder in die Psychiatrie. Das Ironische war, das ich das alles schon hinter mir, aber es kein bisschen genutzt hatte. Vielleicht erbarmte sich der Pater Cullen zu einer langen Beichte.

Bei dem Gedanken hätte ich fast gelächelt, wäre ich nicht so aufgewühlt und mir wieder bewusst geworden, was ich eigentlich vor hatte.
Meine blasse Schönheit stieg wieder in ihrem VW, jedoch nicht ohne mir zum gefühlten tausendsten Mal einen besorgten Blick zuzuwerfen. Gott, wie ich das liebte. Und zugleich aufregte. Und das wiederrum machte mich wütend auf mich selbst.

„Sicher.“, beantwortete Bella verhalten Ellis Frage.

Ich schaute dem Wagen hinter her und fragte mich, wie Elli das nur mit mir aushalten konnte. Zum Anfang schüchtern, unbeholfen und geheimnisvoll. Jetzt wütend, verletzt, traurig, verzweifelt, ratlos und wer weiß was sonst noch. Was fand sie nur an mir? Welche Frau wollte schon so einen durchgeknallten Typen mit unzähligen neurotischen Störungen, die immer stärker zu werden schienen? In mir fragte sich ein kleiner Teil, wann sie mich verlassen würde. Ob sie mich verlassen würde.

Unsinn!

Sie hatte mir versprochen es nicht zu tun. Sie würde ihr Versprechen nicht brechen.

Aber…

In meinen Kopf schob sich eine Erinnerung in den Vordergrund. Genauer gesagt, war es nicht meine eigene, sondern Bellas. Es fühlte sich an, als wäre ich damals dabei gewesen. Ich kannte Bellas Erinnerungen, weil sie an diese Momente manchmal zurück dachte, oder ich es in meinen Träumen gesehen hatte.

„Ich gehe nirgendwo hin. Ich bin hier solange du mich brauchst.“, hatte Edward ihr einst im Krankenhaus nach James Angriff gesagt.

„Schwörst du, dass du mich nicht verlässt?“

„Ich schwöre es.“

Ja, und was war das Ende vom Lied? Er hatte sie dennoch verlassen. Wer sagt mir, dass mir das nicht auch blühen wird? Ich hoffte, dass Elli es besser wusste, da sie schließlich gesehen hatte, was Edwards Weggang bei Bella und mir angerichtet hatte.

Aber was wenn…?

Ich spürte einen Druck in meiner Hand, der mich aus meinen Gedanken fortriss. Ich drehte meinen Kopf und sah zu Bella, die mich mit einem kleinen Lächeln ansah.

„Bist du soweit?“, flüsterte sie, als befürchtete sie, mich zu sehr zu erschrecken oder den sanften Moment der Stille zu abrupt zu beenden.

Ich seufzte und erwiderte den Druck. Ich fragte mich, ob sie in meinen Gedanken gelesen hatte oder nicht. Vielleicht konnte sie es auch nicht. Manchmal gab es eben Dinge, die ganz privat waren. Ob man das Eindringen im Kopf irgendwie steuern konnte? Womöglich. Schließlich hatte Bella auch nichts von meinen tief verborgenen Gefühlen und meiner Zeit ohne sie gewusst. Entweder, weil das alles wirklich tief vergraben war, oder weil ich mich bis jetzt geweigert hatte, mich der Wahrheit zu stellen.
Ich schüttelte leicht den Kopf. Das war jetzt alles ziemlich unwichtig und außerdem zu kompliziert.

„Dann los.“, murmelte ich resigniert und wir gingen zum Haus.


„Oh…mein…Gott…!“, hauchte Charlie so leise, dass man es fast nicht hören konnte, als ich zu Ende erzählt hatte.

Er hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört und mich kein einziges Mal unterbrochen, während stumm die Tränen seine Wangen hinab liefen. Mir fiel auf, dass Bella die meiste Zeit während meiner Erzählung unruhig auf dem Stuhl hin und her gerutscht war. Was sie wohl hatte? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und lächelte Charlie nur leicht aufmunternd zu. Bella schien ebenfalls etwas ratlos zu sein und drückte meine Hand unter dem Tisch, die sie die ganze Zeit über gehalten hatte.

Plötzlich merkte ich etwas.

Ich wusste nicht direkt was es war. Es war nur ein Gefühl. Es fühlte sich vertraut und doch fremd an.

Ich blickte Bella etwas verwirrt in die Augen und fragte mich, ob sie es auch gespürt hatte, was immer es auch gewesen war. Ich hob die Augenbrauen, Bella zog sie ahnungslos zusammen.

°Was ist?°

„Nichts.“, flüsterte ich.

Bella hatte also nichts gemerkt. Ich sah kurz nach unten. Sie schien noch immer nicht entspannt sitzen zu können. Beim näheren Hinsehen sah ich, wie sie ihre Schenkel aneinander rieb. Ein unterdrückter Schluchzer von Charlie war zu hören und er hatte wieder unsere ganze Aufmerksamkeit.

Charlies blasser gewordenes Gesicht hatte immer noch einen geschockten Ausdruck, doch allmählich beruhigte er sich wieder. Er versuchte sein Schluchzen nun völlig unter Kontrolle zu bringen und musste ganz ruhig zu atmen, um nicht völlig zusammenzubrechen. Wir beide sagten nichts, gaben ihm die Zeit die er brauchte, um das alles erst mal ein wenig zu verarbeiten. Irgendwann – ich wusste nicht, wie viel Zeit genau verstrichen war – brachte Charlie wieder klare Worte heraus.

„Oh Andy, dass…“, murmelte er betreten, doch ich hob eine Hand, um ihn an Weitersprechen zu hindern.

Ich wollte jetzt nicht den üblichen Spruch: „Es tut mir so leid.“, oder ähnliches hören.
Von solchen Floskeln hatte ich mehr als genug. Charlie sah erst etwas verdutzt aus, schien aber dann zu verstehen.

„Kann ich es denn Billy erzählen? Ich kann so etwas einfach nicht für mich behalten.“, bat er mit feuchten braunen Augen.

„Sicher. Aber…“ – ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn – „…oh Gott!“

Ich warf Bella einen vielsagenden Blick zu.

„Was, was?“, rief Charlie leicht hysterisch aus.

Er war noch immer ziemlich aufgewühlt wegen der ganzen Geschichte. Naja, wer wäre das nicht?

„Nichts, nichts.“, sagte Bella schnell.
„Ich meine, das muss doch nicht unbedingt heute sein, oder?“

Mein Schwesterchen versuchte ungezwungen zu klingen, aber sie versagte auf ganzer Linie, da ihre Stimme leicht zitterte und ihre Stimme am Ende etwas hoch geworden war. Ich trat ihr leicht auf dem Fuß.

°Ich weiß, dass du wegen Jake besorgt bist, aber versuch überzeugender zu klingen.°, teilte ich ihr mit, ohne sie anzusehen.

°Als ob du das besser könntest.°

Ich seufzte. Da hatte Bella mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar recht. Zum Glück merkte Charlie nicht, dass etwas nicht stimmte. Schon komisch. Er wusste zwar, dass die Cullens sehr suspekt sind, aber wenn es um seine Tochter ging, fehlte oft die väterliche Intuition. Ob das beim anderen Charlie auch der Fall war? Er machte einen verwirrten und überraschten Eindruck.

„Äh…Nein, natürlich nicht. Wieso fragst du?“
Er klang jetzt ruhiger aber auch weiter weg. Sein Blick wurde langsam immer ausdrucksloser und wirkte ziemlich verloren.

Oh, oh. Was nun?

„Naja, du bist ja noch ziemlich aufgewühlt deswegen und musst das noch alles verarbeiten. Beruhige dich erst mal und dann kannst du es ja Billy erzählen.“, antwortete ich.

Ob er mir das glaubte?

„Ja, du hast recht. Ich…ich glaub…ich geh jetzt ins Wohnzimmer und… und schau mir jetzt…das Spiel an.“, sagte Charlie tonlos und wirkte doch noch ziemlich verstört.

Ja, er würde einige Zeit zum Verdauen brauchen.

„Okay, Dad.“, kam es von uns aus einem Munde.

Charlie nickte geistesabwesend und schaute uns an, während sich der linke Mundwinkel etwas nach oben verzog. Es war allerdings alles andere als ein Lächeln. Er stand auf und schlurfte wie ein alter Mann ins Wohnzimmer. Betrübt schauten wir ihm hinterher. Es war besser ihn jetzt allein zu lassen. Ich seufzte.

„Meine Seele ist wieder etwas erleichtert. Dafür hat er jetzt eine Last mehr.“

Bella drückte meine Hand.

„Charlie verkraftet das schon. Er ist stark.“, sagte Bella.

Oh Gott! Hatte ich das gerade laut gesagt? Ich blinzelte, schüttelte leicht den Kopf und wandte mich dann meiner Schwester zu.

„Ab zu Jacob?“, fragte ich.

„Ab zu Jacob!“, antwortete Bella.

Wir schnappten uns unsere Schuhe und Regenjacken – denn es nieselte draußen und der Himmel war bewölkt und traten hinaus. Wir waren gerade an Bellas Transporter angelangt, als ich einen Hauch spürte und im nächsten Moment zwei nicht sehr freundlich aussehende Vampire vor uns sah. Wir zuckten vor Schreck etwas zurück und keuchten leise vor Überraschung. Grimmig starrten wir in die Gesichter von Elli und Edward, deren Haare nass waren.

Bella und ich zogen die Kapuzen über unsere Köpfe. Erstens, um irgendetwas zu tun und zweitens, die unvermeidliche Konversation noch etwas aufzuschieben.

„Hi. Was macht ihr denn hier?“, fragte meine Schwester scheinbar ahnungslos.

Tja, nur Schade, dass dumm stellen nicht funktionierte. Aus Edwards Brust war ein Knurren zu hören und zu meiner Überraschung antwortete er auch, obwohl er taub war.

„Alice hat euch nicht mehr sehen können und ihr wisst, dass wir wissen, wo ihr jetzt hinwollt. Und die Antwort lautet: ‚Auf gar keinen Fall!‘“, sagte Edward mit bedrohlicher Samtstimme.

Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck und er zog provokant eine Augenbraue hoch. Bella und ich müssen ihn ziemlich verblüfft angesehen haben, denn er sagte: „Ich kann zwar nichts hören, aber dafür trainiere ich jetzt das Lippenlesen. Und ich muss sagen, dass das hervorragend funktioniert."

Bella schnaubte.
°Natürlich. Was auch sonst. Du kannst ja immer alles.°, hörte ich.

Ich konnte es leider nicht ganz verhindern, dass meine Mundwinkel zuckten. Ich wandte mich nun direkt an Elli, deren Miene sich kein bisschen verändert hatte. Ich sah sie flehend mit großen Augen an, sprach kein Wort. Ihr Blick wurde weicher und sie seufzte. Es klang aber eher frustriert, als ergeben.

„Du brauchst mich gar nicht erst so anzusehen.“, sprach Elli mit strengem Unterton.
„Nein, ihr werdet nicht ins Reservat fahren. Dort ist es viel zu gefährlich. Und zur jetzigen Zeit erst recht, da dort doppelt so viele Hunde herum laufen und sich einer das erste Mal verwandelt hat. Und vielleicht wird er nicht der einzige bleiben.“

Ich blickte ihr weiterhin in die Augen, versuchte sogar das Blinzeln zu unterdrücken und zog einen Schmollmund. Ich hoffte, dass ich sie dadurch umstimmen konnte, aber meine Hoffnung war von Anfang an recht klein gewesen. Mein Engel schloss kurz genervt die Augen und seufzte erneut.

„Andrew…“, fing sie wieder an.

Meine Mundwinkel zogen sich nach unten und ich kniff meine Augen etwas zusammen. Sie wusste genau, dass ich es nicht mochte, wenn sie meinen vollen Namen benutzte. Ich wollte gerade zu einer entsprechenden Gegenantwort einsetzen, aber sie redete weiter.

„Werwölfe sind leicht reizbar und da ist es nicht auszuschließen, dass Menschen in ihrer Nähe verletzt werden können.“

Ihr Blick wurde weicher und sie nahm meine Hände in ihre.

„Es ist doch nur zu eurem Schutz. Bitte versteh‘ das.“, flehte sie und ihre Stimme klang dabei so weich und zart.

Ihr Blick brannte sich in meinem mit einer großen Intensität. Was dann mit mir los war, konnte ich mir nicht erklären. Normalerweise hätte meine Selbstbeherrschung hier ein Ende gefunden, ich hätte seufzend nachgegeben und mir später irgendein anderen Plan ausgedacht.

Auch wenn ich diesen Jacob hier nicht kannte, machte ich mir trotzdem Gedanken um ihn und das nicht nur, weil sich Bella welche machte. Jacob war ein netter Kerl, der eine angenehme Art hatte. Das war mir beim anderen kurzhaarigen Jake von der anderen Seite aufgefallen und ich mochte ihn. Und wenn es von Jake schon einen Doppelgänger gab, wie böse konnte er dann schon sein? Ich war mir ziemlich sicher, dass der andere Jacob hier sich kaum von seinem Ebenbild unterschied. Schließlich hatte mir Bella nach unserem Wiedersehen von ihm erzählt und ich hatte den Eindruck, dass sie ihn sehr sympathisch findet, was sicherlich auch auf Gegenseitigkeit beruht.

Nein, Jacob oder die anderen würden uns bestimmt nichts tun, denn wir waren ja keine Vampire. Außerdem wollen wir ja nur nach ihm sehen und unsere Hilfe anbieten. Vielleicht gibt es ja etwas, dass wir tun konnten. Das ist doch nichts Schlimmes.

Ich funkelte Elli wütend an, entzog ihr mit einem Ruck meine Hände und hörte mich schnippisch, ja richtig aufmüpfig sagen: „Schön! Ich verstehe es. Aber gefallen…muss es mir trotzdem nicht!“

Für einen kurzen Augenblick war ich verdutzt über mein eigenes Verhalten. Das war eigentlich nicht meine Art. Sicher, ich habe damals am Silvesterabend die Beherrschung verloren. Aber das war eine völlig andere Situation. Ich reagierte eigentlich nur so in Bezug auf meiner Vergangenheit, oder wenn ich mich zu sehr bedrängt fühlte. Wenn dies aber der Fall war, dann unterdrückte ich meinen Ärger, ganz abgesehen davon, dass ich mich in diesem Augenblick nicht bedrängt fühlte.

Nein, in diesem Moment verstand ich mich selbst nicht. Was war nur mit mir los? Elli schaute mich verblüfft mit erhobenen Augenbrauen und leicht offenem Mund an. Sie war wohl genauso überrascht wie ich. Aber nicht nur ich. Mein Blick glitt kurz zu Bella und Edward, die genauso entgeistert schauten. Dann überkam mich wieder dieser Ärger und ich griff entschlossen nach Bellas Hand und spürte ihren Blick auf mir ruhen. Sie verstand nicht, was hier gerade passierte. Ich starrte wieder mit verbissenem Gesichtsausdruck Elli und kurz Edward an, während ich mich zu konzentrieren begann. Ich betete, dass es auch ein zweites Mal klappen würde. Ich unterdrückte den Drang, die Augen zu schließen und merkte, wie der Schmerz in meinem Kopf wieder zum Vorschein kam und langsam immer schlimmer wurde. Ich versuchte ihn mit allen Mitteln zurück zu drängen und stieß nur meine Nasenlöcher die Luft aus.

Elli und Edward verschwammen vor meinen Augen und im nächsten Moment standen wir vor einem Rudel ausgewachsener riesiger Wolfe. Bella hörte ich erschrocken nach Luft schnappen. Ich blinzelte ein paar Mal, schloss dann die Augen. Ich fasste mir gequält an die Stirn und stieß einem schmerzlichen Seufzer aus. Der Schmerz verebbte langsam und ich spürte, wie sich meine Gesichtszüge entspannten. Ein Handyklingeln war zu hören. Ob es meines oder Bellas war, wusste ich nicht. Es war aber egal. Ich konnte und wollte nicht darauf achten.

„Geht es dir gut?“, flüsterte Bella besorgt und ich spürte ihre Hand an meiner Wange.

Sie schien ebenfalls das penetrante Klingeln ignorieren zu wollen. Wir wussten ja sowieso, wer uns anrief. Ich öffnete meine Augen und sah sie leicht lächelnd an.

„Ja. Nur leider kriege ich jetzt immer Kopfschmerzen, wenn ich das mache.“, erklärte ich ihr.

Sie streichelte kurz meine Wange und nahm ihre Hand wieder weg, während sie mich besorgt taxierte.

„Dann lass es lieber erst mal bleiben.“

Sie drehte sich um und auch ich wandte den Blick von meiner Schwester ab und wir starrten die zwölf riesigen Wölfe an, wobei vier von ihnen doppelt waren. Elf von ihnen standen in einem Halbkreis um einen Baum herum, an dem der zwölfte – ein rostbrauner – auf dem Boden kauerte. Ich hörte ihn leise wimmern. Obwohl ich ihn nicht direkt sehen konnte, machte er einen verwirrten und ängstlichen Eindruck. Alle Wölfe schienen uns mit ihren dunklen schwarzen Augen zu durchbohren.

Es waren zwei schwarze, zwei rötlich-braune, ein grauer mit schwarzen Flecken, zwei braune, ein kleiner grauer, zwei silberfarbene, ein dunkler schokoladenbrauner, ein sandbrauner. Ein silberfarbener Wolf im Halbkreis knurrte bedrohlich.

Ich zuckte erschrocken zusammen und griff beinahe reflexartig nach Bellas Hand und drückte sie fest. Sie erwiderte genauso fest meinen Druck und ich schluckte hart. Das Handyklingeln war verstummt. Aber sicher nicht lange.

Zeig keine Angst, sagte ich mir.
Ich fragte mich, wer wohl wer war. Die zwei rostbraunen waren die zwei Jacobs. Und derjenige, der am Boden lag, war mit Sicherheit der Jake, der sich erst kürzlich verwandelt hat. Er ist bestimmt ziemlich erschrocken, weil das für ihn alles noch sehr neu war. Ich merkte, wie Bella sich anspannte und all ihren Mut zusammen nahm.

„Entschuldigung, dass wir hier so einfach reinplatzen, aber wir haben uns Sorgen um Jacob gemacht.“
Der rostbraune am Baum hob den Kopf.
„Wir wissen über den Vertrag Bescheid und keine Sorge, wir werden euch nicht verraten.“, fügte Bella noch mit fest klingender Stimme hinzu.

Wieder knurrte der der silberfarbene Wolf, doch er wurde durch das Knurren des anderen rostbraunen Wolfes – der, der sich im Halbkreis stehend neben dem anderen am Baum befand – unterbrochen beziehungsweise überstimmt. Der auf dem Boden liegende Jacob legte sein Kopf wieder auf seine großen Vorderpfoten, sah uns beide aber immer noch aufmerksam an. Ein Grummeln des anderen Jacobs war zu hören, dann sah er zu einem der schwarzen Wölfe. Dieser nickte dann mit dem Kopf und der Jacob aus meiner verschwand in den Dichten der Bäume.

Noch immer waren alle Blicke auf uns gerichtet. Wieder schluckte ich. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, was passieren würde, wenn diese großen Hunde zubeißen würden. Ich fuhr zusammen, als ich mein Handy vibrieren spürte und wieder klingeln hörte. Ich seufzte und nahm langsam ohne die Wölfe aus den Augen zu lassen, mein Handy aus der Hosentasche heraus. In einem tranceartigen Zustand nahm ich das Gespräch entgegen und hielt mir das Handy ans Ohr. Unverwandt betrachtete ich noch immer die Wölfe. Ich wusste nicht, was überwiegte. Die Faszination oder die leichte Panik. Ich wusste zwar, wer diese Wölfe waren, trotz aller dem wirkten sie nicht sehr handzahm. Es war mir beim besten Willen nicht möglich, den Blick abzuwenden.

„Hallo?“, kam es hauchdünn und unsicher von mir.

Während ich sprach, sah ich den kurzhaarigen Jacob mit freiem Oberkörper, barfuß und nur mit Shorts bekleidet langsam und irgendwie sehr anmutig aus den Bäumen auf uns zukommen. Auf dem Weg ging er an seinen Artgenossen vorbei. Gespannt betrachtete ich ihn und versuchte seinen Blick zu deuten. Er wirkte…distanziert, geschäftsmäßig, aber auch…verzweifelt.

„Wo seid ihr?“
Ellis Stimme war zwar weich, doch ich hörte den nur schwer unterdrückten Zorn heraus. Sofort klang meine Stimme wieder fest und mein Gemüt schlug schlagartig wieder um.

„Wir sind im Reservat bei den Wölfen. Und nein, sie haben uns noch nicht angegriffen. Und ja, wir leben noch und sind unversehrt. Wir kommen bald.“, sagte ich wieder in diesem ungewohnten reizbarem Ton, den ich nicht von mir kannte.

Ich beendete das Gespräch, ohne Elli etwas sagen zu lassen und steckte das Handy wieder weg. Immer noch etwas grimmig, konzentrierte ich mich wieder auf die Wölfe und auf den menschlichen Jacob, der nun bei Bella und mir angekommen war. Ich tauschte mit Bella einen Blick aus.

„Hi.“, sagten wir simultan zur Begrüßung.

„Hi.“, gab er reserviert zurück und verzog etwas den Mund, während er uns beide durchgehend taxierte.

Jacob seufzte und sein Blick wurde weicher.

„Es ist zwar nett gemeint, dass ihr helfen wollt, aber das müssen wir unter uns klären. Ihr könnt‘ hier nichts tun. Eigentlich…dürftet ihr nicht mal hier sein.“

„Ja, eigentlich. Eigentlich dürften wir gar nichts von dem Vertrag und euch Wölfen wissen. Aber es ist nun mal so. Und wer sagt denn, dass ihr nicht vielleicht doch Hilfe braucht?“, hielt Bella dagegen.
Sie blickte an Jacob vorbei zum rostbraunen Wolf am Baum.
„Was hat er denn?“, wollte meine Schwester besorgt wissen.

Ich sah, wie Jacob seine Hände zu Fäusten ballte, seine Gesichtsmuskeln kurz an –, dann wieder entspannte. Er seufzte.

„Bella.“, sagte er ruhig.
„Du warst ja gestern dabei, als ich…“ – er stockte und seufzte – „…als er sich verwandelt hat. Seitdem haben wir uns mit dem anderen Rudel zusammen getan und geben ihm moralische Unterstützung, um ihn dazu zu bewegen, sich wieder zurück zu verwandeln. Aber bisher leider kein Erfolg.“, antwortete Jacob frustriert und verzweifelt.

Bella fragte ihn etwas, doch ich bekam diese Frage nicht mit, da etwas anderes meine Aufmerksamkeit fesselte. Aus heiterem Himmel sah ich einen Schmetterling. Einen Schmetterling.
Ich blinzelte. Sicher mich getäuscht zu haben, aber nein.
Ich konnte ihn klar erkennen. Er flog im Zick-Zack über Jacobs Kopf hinweg nach links und somit tiefer in den Wald hinein.

Ich blickte zu Bella, doch sie schien den Schmetterling nicht zu sehen. Sie war wohl zu vertieft in dem Gespräch mit Jacob. Er erwiderte etwas, doch auch diesmal hörte ich nicht hin, sondern verfolgte mit meinem Blick diesen ungewöhnlich schönen Schmetterling.

Ich merkte gar nicht, wie sich meine Füße in Bewegung setzten und ich diesem Insekt langsam folgte. Die Wölfe, Jacob, Bella, Elizabeth – alles war in diesem Moment vergessen. Nur dieses Tier nahm meine kompletten Gedanken ein. Es war, als übte dieser Schmetterling eine enorme Anziehungskraft auf mich aus. Ich folgte ihm tiefer in den Wald und war überrascht, dass ich überhaupt folgen konnte. Fast so, als wollte er es. Innerlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Was dachte ich da bloß?


(Paralleluniversum)




Ich wusste nicht, wie lange ich durch den Wald ging, aber irgendwann lichtete er sich und ich kam zu einer kleinen Lichtung, auf der ein kleines und wie es schien verfallenes Holzhäuschen stand.

Der Schmetterling flog nach rechts und würde bald von den Bäumen verschluckt werden. Ich trat näher, um das Haus genauer zu betrachten. Sollte ich etwa hier her finden? Das ganze Holz sah ziemlich morsch, feucht und brüchig aus. Ein großer Teil war mit Moos bedeckt, besonders das Dach. Die Fensterscheiben der zwei Fenster waren eingeschlagen und die Tür stand einen Spalt breit offen. Ich ging langsam zur Tür und öffnete sie. Das Holz karrte und quietschte, als ich es zu mir zog und fühlte sich glitschig an.

Ich trat zur Seite und lugte vorsichtig hinein. Ich konnte als aller erstes feststellen, dass das Innere des Hauses das Äußere wiederspiegelte. Auch hier in diesem Raum sah alles verkommen aus. Eine löchrige Matratze mit Kissen und Decke, ein alter kleiner Klapptisch mit Klappstuhl, ein kleiner Schrank, eine sehr verrostete Miniküche mit zwei Kochplatten und Spülbecken mit Wasserhahn. Hier scheint jemand mal gelebt zu haben, aber nicht in der letzten Zeit. Wer würde hier auch schon leben wollen?

Da fiel mein Blick auf einen rechteckigen, von innen beleuchteter Glaskörper, der auf einer kleinen klapprigen Anrichte stand und einen starken Kontrast zum Rest der Einrichtung bildete. Ich ging zur Anrichte, um neugierig das Behältnis zu betrachten. Er war im Innern üppig bestückt mit grünen Sträuchern und Farnähnlichen Pflanzen. Der Boden war mit dunkler nähstoffhaltiger Erde versehen. Es sah alles sehr tropisch aus.

Und wenn es das war? War das etwa ein tropischer Regenwald im Kleinformat in einem Terrarium? Warum sollte so etwas Modernes in so einer alten und verlassenen Hütte stehen?

Ich sah etwas unvermittelt im Terrarium flattern, zog den Kopf zurück, zog überraschend die Luft ein und wich vor Schreck etwas zurück. Ich blinzelte, schärfte meinem Blick und trat wieder an das Terrarium heran. Da flatterte es wieder.

Unglaublich.
Ich traute meinen Augen nicht.

Im Inneren flatterte genauso ein blauer Schmetterling umher, dem ich gefolgt war. Ich beugte mich weiter vor, sodass ich mit meiner Nase fast gegen die Glasscheibe stieß, um mehr zu erkennen. An einem Zweig konnte ich vier kopfüberhängende Kokons entdecken, die von hell – und dunkelgrüner Farbe waren.

Wann sie wohl schlüpfen würden? Aber wer züchtete diese blauen Schmetterlinge? Und dann auch noch hier in einer gottverlassenen Gegend in einem so alten Haus?

Ich richtete mich wieder gänzlich auf und seufzte. Würde es falsch sein, das Terrarium einfach mitzunehmen? Der Besitzer, der die Raupen großzog, wäre sicher nicht erfreut darüber. Aber wenn ich mich hier so umsah, bekam ich nicht das Gefühl, dass er bald nach seinen kleinen Lieblingen sehen würde. Und wenn ich es jetzt einfach demontieren würde, wäre der Strom für die innere Heizung und das Licht weg. Aber wenn ich mich beeilen würde, könnten das die Tierchen und die Pflanzen verkraften?

Ich biss mir nachdenklich auf die Lippe. Ich wusste nicht, warum ich das hier tat. Es war schon ein innerer Zwang, sich einfach das Behältnis zu schnappen und zu verschwinden. Es war ein Bedürfnis, das Terrarium mitzunehmen. Ich haderte mit mir und stand einen Moment unschlüssig davor. Ach, was soll’s. Ich streckte die Arme aus, packte das Glas an beiden Seiten und wollte es gerade hochheben, um einschätzen zu können, wie schwer es war. Im nächsten Augenblick sah ich allerdings nicht mehr den kleinen Regenwald vor mir, sondern einen kleinen Jungen mit brauner Haut und schwarzen Haaren.


Er ist acht. Oder zehn vielleicht? Er steht vor einem aus Holz und Blättern gebautes Haus zusammen mit einer Frau, die dem Quileute-Stamm anzugehören scheint. Braune Haut und schwarzes mittellanges Haar, wahrscheinlich seine Mutter.

Nächstes Bild.

Der Junge steht im Wald, umgeben von der grünen Flora des üppigen Waldes und sieht einen Schmetterling mit blauen Flügeln Richtung Himmel fliegen. Das Kind lächelt und freut sich über diesen Anblick. Er schaut sich weiter um und beobachtet rotbraune Raupen mit gelben oder grünen Flecken. Sie krabbeln auf den Blättern herum und er sammelt eine nach der anderen ein.

Nächstes Bild.

Im Haus ist ein dunkelhäutiger Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck. Er schlägt den kleinen Jungen mitten ins Gesicht. Durch den Sturz nach hinten fallen ihm all die Raupen aus seinen Händen. Er weint, rappelt sich wieder auf und will die Raupen wieder aufsammeln, doch ehe er alle wieder nehmen kann, zertritt der Mann zwei von ihnen. Der Junge weint heftiger und blickt voller Hass zu dem Mann auf.

„Wie kannst du nur so etwas Schönes und Reines töten?“, schrie er den Mann verzweifelt an.

Er schnaubte.
„Jetzt trauere nicht dem Ungeziefer hinterher! Rein und Schön. HA! Daraus kann sich nun auch nichts mehr Reines und Schönes entwickeln. Tja, dann ist es jetzt wohl alles andere als das. Finde dich damit. Es gibt viel Wichtegeres als so was. Denn schicke Schmetterlingsflügel helfen uns überhaupt nicht beim Überleben. Geh lieber und sammle Bananen ein. Und wehe du pflückst wieder die Verdorbenen mit, wie letztes Mal. Verdorbenes kann man nicht gebrauchen. Merk dir das endlich!“

Nächstes Bild.

Der Mann klettert einen der hohen Bäume empor und greift ganz vorsichtig mit der Hand in einem Bienenstock, um etwas herauszuholen. Dabei muss er seinen Körper strecken und sich weiter vorbeugen. Er verliert dabei das Gleichgewicht, greift mit der Hand reflexartig nach etwas, um Halt zu finden und stößt dabei heftig am Bienenstock an. Die Bienen werden aggressiv und greifen den Mann an. Er schreit, wedelt mit den Armen hin und her, um die Bienen zu verscheuchen.

Doch der Bienenschwarm ist unerbittlich und greift weiter an. Durch seine Verteidigungsversuche fällt er schließlich und landet mit dem Rücken auf dem Boden, während die Bienen ihn weiterhin attackieren. Sein Gesicht ist geschwollen und aufgedunsen von den vielen Bienenstichen. Er blickt mit starren Augen und geöffnetem Mund nach oben.

Nächstes Bild.

Der Junge geht erneut in den Wald und sucht nach den Raupen, um sie wieder mitzunehmen. Auch nimmt er Blätter und Samen von Pflanzen mit. Im Haus legt er alles in einem gebastelten Behältnis und umarmt seine Mutter, deren Tränen über die Wangen laufen. Der Junge weint nicht, sondern ein kleines Lächeln ziert sein Gesicht, während seine Augen glitzern.

Nächstes Bild.

Die Mutter und das Kind sind nicht mehr im Regenwald, sondern laufen an einem Strand entlang. Dem Strand im Quileute-Reservat.

Nächstes Bild.

Der Junge beobachtet seine Raupen in einem durchsichtigen Behältnis und sieht ihnen beim Fressen zu, während er sagt: „Endlich sind wir wieder zuhause. Ich hoffe, ihr werdet Mexiko nicht so sehr vermissen.“
Der Junge seufzt.
„Vielleicht gehe ich ja eines Tages wieder dorthin und hole ein paar von euren Freunden, meine kleinen Himmelsfalter.

Letztes Bild.

Ein Mann, der glücklich lächelnd eine Halskette in den Händen hält. Eine Halskette mit einem kleinen blauen Schmetterling als Anhänger.


Ich sah wieder den kleinen Regenwald im Kasten vor mir und nahm die Hände vom Terrarium. Ich atmete tief ein und aus und versuchte zu verstehen, was ich gerade gesehen hatte. Ich brauchte nicht lange, um zu begreifen. Das Terrarium und dessen Bewohner gehörten Joshua Uely – Bellas Vergewaltiger. Ich hatte gerade einen Teil seiner Vergangenheit gesehen und verstand nun etwas besser, was für eine Bedeutung diese Anhänger für ihn hatten.

Joshua hatte einen Teil seiner Kindheit im tropischen Regenwald Mexikos verbracht, aus dem auch die blauen Schmetterlinge stammten.

Moment mal.
Blaue Schmetterlinge.
Tropischer Regenwald.
Wie hatte er sie doch gleich genannt?
Himmelfalter.
Genau.

„Natürlich.“, stieß ich aus und hätte fast aufgelacht.

Jetzt fiel mir wieder etwas ein. Ich hatte über diese Schmetterlinge mal etwas gelesen.
Wie war das noch gleich?

Sie gehören zur Familie der Edelfalter und werden auch blaue Morphofalter genannt. Ihre Flügeloberseite ist blau, allerdings ist es keine Farbe. Die blaue Färbung entsteht durch eine Lichtbrechung, die durch eine geriffelte Chitin-Schicht auf den Flügelschuppen verursacht wird. Ihre Flügelunterseite ist braun mit Augen-Mustern, um Feinde abzuschrecken.

Wow. Das ich das noch wusste. Ich schüttelte den Kopf.

Joshua hatte also die Raupen vom blauen Morpho mit nach La Push genommen und sie hier weiter gezüchtet, nachdem er mit seiner Mutter hier her zurück gekehrt war. Für ihn symbolisierten diese Wesen das Perfekte, die Vollkommenheit, das Reine und…die Unschuld. Selbst wenn sie nur „hässliche“ Raupen waren, hegte und pflegte er sie, als seien sie das Kostbarste auf der Welt. Und dieser Mann – vielleicht sein Vater? – hatte diese Schönheit mit Füßen getreten, wofür sein Sohn ihn zutiefst verabscheute.

Auch hatte er zu Joshua gesagt: „Verdorbenes kann man nicht gebrauchen.“

Tja. Da man Verdorbenes nicht mehr gebrauchen kann, hatte er schließlich die nun nicht mehr reinen jungen Mädchen einfach begraben. Als wären sie wertlos, unnütz. Aber er hatte seinen Opfern den blauen Morpho um den Hals gelegt. Vielleicht als Zeichen des Respekts? Vielleicht hatte er gehofft, dass aus der Raupe eben irgendwo doch wieder ein Schmetterling werden kann, obwohl er das Reine verloren hatte. Dass die Mädchen einfach in den Himmel fliegen können und von jedem Schmerz befreit sind.

Möglicherweise tat ihm sein Vergehen hinter immer Leid und er hatte es nur so zum Ausdruck bringen können. Ja, vielleicht symbolisierten seine Anhänger die Wertschätzung von Schönheit und Reinheit. Dennoch hatte er die Mädchen misshandelt. Er hatte das Reine mit den Füßen getreten, wie sein Vater es ihm einst vorgemacht hatte. Letztendlich unterschied er sich von ihm nicht so gewaltig, selbst wenn Joshua bestimmt anderer Meinung gewesen wäre.

Ich seufzte und schloss kurz die Augen. Eigentlich konnte der kleine Junge einem leid tun. Irgendwo war er auch ein Opfer gewesen. Naja. Ich hatte nun keine Zeit mehr hier Joshua Uelys Leben und Handlungen zu interpretieren. Ich wollte mir einfach nur das Terrarium schnappen und hier verschwinden. Joshua war sowieso tot und außerdem wäre sein „Vermächtnis“ für Bella von Bedeutung.

Vielleicht, wenn sie sieht, wie die geschlüpften Himmelfalter in den Himmel fliegen, könnte sie nun endlich die Vergangenheit hinter sich lassen. Denn ich wusste, dass sie das noch sehr belastete. Vielleicht konnte das hier ihr wirklich helfen. Ich hoffte es. Mit Bella fiel mir auch wieder Jacob ein. Jacob, der verängstigt auf dem Boden in Wolfsgestalt kauerte und sich nicht beruhigen konnte. Jacob hatte gesagt, dass sie alles seit gestern versuchen würden, es aber nichts genützt hat.

Da kam mir eine Idee.

Wir konnten nicht helfen, aber vielleicht...

Ich hob den Deckel des Terrariums und ließ den blauen Morpho in die Freiheit. Ich schaute ihm sehnsüchtig nach, während er durch das Loch in der Fensterscheibe in den Wald hinaus flog. Dann schloss ich das Terrarium wieder, demontierte es, sodass kein Licht mehr innen leuchtete. Ich packte das Glas an beiden Seiten und hob das Behältnis hoch. Ich schätzte, dass es ungefähr zehn bis zwanzig Kilo wog. Ich atmete tief durch, stieß die Luft wieder aus und schloss die Augen.

Wie auch beim letzten Mal, achtete ich nicht auf dem stechenden Kopfschmerz und konzentrierte mich mit aller Kraft auf sie.

Was ist schon normal?




Jacobs POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)



In was für einen Schlamassel bin ich da nur geraten? Eben war ich noch ein ganz normaler Teenager, der an Autos und Motorrädern geschraubt hat und im nächsten Moment bekomme ich Besuch von mir selbst, der mir von Bella und Vampiren erzählt.

Dann ein Reißen und…

Ja, was und?

Verzweifelte Worte von Dad, neue intensive Gerüche und neue Geräusche. Ja, meine Sinne sind plötzlich schärfer geworden. Und dann diese merkwürdig anfühlende neue Wärme. Sie war nicht unangenehm, nur ungewohnt. Mein Körper fühlte sich ebenfalls ungewohnt an, aber dennoch spürte ich, dass dieser neue Teil irgendwie zu mir gehörte. Ich wollte das trotzdem alles nicht. Ich wollte einfach, dass alles wieder normal ist. War das denn zu viel verlangt? Dieses Neue und Unbekannte machte mir Angst. Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden.

Wieder war ein Reißen zu hören und vor mir stand ich selbst in Gestalt eines riesigen rostbraunen Wolfes. So sah ich nun aus?! Nein, das wollte ich alles nicht. Ich war nur ein ganz normaler Junge! Dann hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Meine eigene. Es war die Stimme des Wolfes mir gegenüber.

°Krieg dich wieder ein. Lern es zu akzeptieren. Du bist jetzt ein Beschützer des Stammes in Form eines Werwolfes. Und du weißt ja, dass wir die Menschen nur vor einem beschützen. Den kalten Wesen.°

Nein, nein, nein, nein! Das wollte ich alles nicht hören! Ich wollte nur wieder normal sein.

Ich spürte Verzweiflung, die sich in Wut verwandelte. Und diese Wut veranlasste mich, den rostbraunen Wolf anzugreifen. Dad brüllte. Erneut Reißgeräusche. Andere Werwölfe. Neue Stimmen in meinem Kopf. Wie viele waren dazugekommen? Sieben? Sie redeten alle auf mich ein. Darunter hörte ich die Stimmen von Quil und Embry. Quil und Embry waren auch…Werwölfe? Seit wann? Ach ja, das waren ja welche aus einer…anderen Realität?

Viel zu verrückt! Das war alles viel zu verrückt.

Die sieben Werwölfe zerrten mich unsanft in den Wald. Ich knurrte, biss, schnappte zu, versuchte mich zu wehren, aber gegen acht Werwölfe hatte ich keine Chance. Ich hatte einfach nur Angst. Was hatten sie mit mir vor? Was sollte jetzt aus mir werden? Würde ich für immer als pelziges Vieh rumlaufen?

Entweder hatte ich später keine Kraft mehr gehabt oder ich hatte eingesehen, dass ich nichts ausrichten konnte. Ich lag irgendwann an einem Baum auf dem Boden. Wie ich genau dorthin gekommen war, wusste ich nicht mehr. Ich versuchte, dass alles zu begreifen, was mir sehr schwer fiel. Ich, ein Werwolf? Die Legenden sollten alle wahr sein? Bluttrinker existierten tatsächlich?

Es gab eine zweite Realität mit den gleichen Menschen, die hier auch lebten? Nein! Unmöglich! Die Stimmen in meinem Kopf erzählten mir alles. Auch, dass Bella aus dieser…anderen Realität stammt und sie einen Zwillingsbruder hat. Dass Bella vor 11 Jahren durch eine Vergewaltigung von Sams Vater – dem anderen Sam aus dieser anderen Welt – hier her gelangt sei. Dass die beiden Fähigkeiten besitzen und dass Bella die Vision von einer Victoria und ihrer Vampirarmee gehabt hatte.

Ich zitterte. Mein ganzer neuer Körper bebte vor Angst, Ärger, Wut und Verzweiflung. Das war einfach alles zu viel für mich. Alle sagten mir, es sei alles gut und sie würden für mich jetzt da sein. Sie sagten mir, ich solle mich beruhigen und lernen, mein Schicksal zu akzeptieren. Ich schloss genervt meine Augen. Ich sollte mich beruhigen? Wie denn? Nein, ich wollte all dies nicht.

Einige Zeit später – es war früher Abend – hörte ich neue und doch bereits vertraute Stimmen in meinem Kopf. Ich schlug die Augen wieder auf und versuchte ruhig zu bleiben. Ein schwarzer, ein brauner und ein silberfarbener Wolf waren hinzu gekommen. Nun waren vier Wölfe – mich eingeschlossen – zweimal vorhanden. Ach ja, dann müssten das wohl der Sam, Paul und Jared aus meiner Realität sein, wenn ich, hypothetisch gesprochen, diesen ganzen Unsinn glauben würde.

Dann war wohl dieses Rudel hier noch nicht so groß. Also waren meine Freude, mein Quil und mein Embry, noch nicht zu riesigen Werwölfen mutiert. Ob das gut oder schlecht war, konnte ich nicht sagen. Ich hörte, wie der andere rostbraune Wolf – mein zweites Ich – die neu hinzugekommenen Wölfe über alles informierte. Ich hörte zwar nicht so genau hin, weil ich das alles am liebsten vergessen wollte, aber ich bekam mit, dass „ich“ der Leitwolf des größeren Rudels war. Natürlich. Mein Urgroßvater Ephraim Black war laut den Legenden Stammesältester gewesen und hatte mit diesen kalten Wesen den Vertrag geschlossen.

Der schwarze Wolf, der mit seinen zwei Brüdern hinzugekommen war, der Sam aus…meiner? Welt, war der andere Leitwolf. Wieder schloss ich die Augen und versuchte, die Stimmen auszublenden. Ich wollte nur schlafen. Vielleicht, dachte ich, war das alles nur ein blöder Traum und wenn ich aufwachte, läge ich mit Armen und Beinen in meinem Bett und würde über all diesen geträumten Schwachsinn lachen. Ja, das wäre wirklich schön.

Jemand stupste mich an. Panisch riss ich die Augen wieder auf. Der Himmel war inzwischen schwarz geworden. Es war tiefe Nacht. Ich zitterte. Das lag allerdings nicht an der Kälte. Ich fror überhaupt nicht, da mein Fell sehr dick und struppig war. Ich war mir sicher, dass mein Fell das dickste von allen war.

°Das liegt an deiner Haarlänge. Je länger dein Haar, desto dicker dein Fell.°, beantwortete der schwarze Wolf vor mir.

Er legte sich vor mich hin und taxierte mich mit seinen schwarzen Augen. Im ersten Moment war ich erschrocken über die Tatsache, dass er die Antwort auf meine Frage wusste, obwohl ich sie nicht laut gestellt hatte. Doch dann erinnerte ich mich an das, was mir erzählt wurde.

°Jacob Black.°, sprach der schwarze Wolf mich mental höflich an.

Ich schluckte und merkte, wie die Panik in mir zurück wich. Es war Sam Uely, jener den ich kannte.

°Wie geht es dir? Hast du dich etwas beruhigt?°

Ich überlegte genau, bevor ich ihm antwortete.

°Etwas, aber es ist trotzdem sehr viel auf einmal.°

°Wem sagst du das? Dieses ganze Gerede von Doppelgängern in einer anderen Welt und dass mein Vater Bella Swan vergewaltigt haben soll – obwohl er ja eigentlich nicht mein Vater ist.°

Der schwarze Wolf schüttelte den Kopf, dann sprach er weiter.

°Du weißt, was du jetzt bist?°

Ich nickte.

°Und du weißt, was unsere Aufgabe ist.°

Dieses Mal war es keine Frage mehr. Ich nickte erneut.

°Jacob, ich muss dich das fragen. Da du ein direkter Nachfahre von Ephraim Black bist, hast du eigentlich den Anspruch auf den Platz des Leitwolfes. Hier in dieser Welt, war ich der erste, der sich verwandelt hatte und Paul und Jared sind später hinzugekommen. Du warst ja…noch nicht soweit und das Rudel – auch wenn wir bis jetzt nur zu dritt waren – brauchte nun mal einen Anführer, also habe ich die Funktion des Leitwolfes übernommen. Ich kann dies natürlich auch gerne weiterhin tun, aber du bist jetzt ein Teil des Rudels und dazu berechtigt, deinen rechtmäßigen Platz einzunehmen. Also frage ich dich jetzt: Willst du unser Rudelführer sein?°

Sams Augen musterten mich prüfend. Ich brauchte nicht lange zu überlegen, um ihn zu antworten.

°Danke für das Angebot, aber nein. Ich habe mich fast damit abgefunden mit dem, was ich jetzt nun mal bin, dennoch möchte ich mit diesem Alphatier-Job nichts am Hut haben. Ich habe doch dazu viel zu wenig Erfahrung und fühle mich nicht dazu bereit, so eine Verantwortung zu übernehmen. Und ehrlich gesagt, will ich das auch gar nicht. Ich will mit diesem ganzen Zeugs nichts zu tun haben. Ich will nicht gegen Vampire kämpfen. Ich will einfach wieder normal sein. Es ist schon schlimm genug, dass ich jetzt für immer so ein Ungeheuer bleiben muss!°, sagte ich mit wachsender Verzweiflung.

Sams Augen weiteten sich.

°Es ist noch alles sehr neu für dich. Es war der falsche Zeitpunkt, dich das zu fragen. Wir können ja auch später, wenn du…°

Ich unterbrach ihn sofort.

°Es gibt kein später. ICH WILL NIE UND NIMMER EIN LEITWOLF WERDEN.°, knurrte ich und fletschte die Zähne.

Sam wich mit seinem großen schwarzen Kopf etwas zurück.

°Okay, schon gut.°
Dann schaute er fragend und verwirrt drein.
°Aber wer hat denn gesagt, dass du für alle Zeit ein Wolf bleiben musst?°

°Muss ich nicht?°, fragte ich hoffnungsvoll.
°Ich kann wieder normal werden? Etwas zumindest?°

Nun hörte ich meine eigene Stimme im Kopf auf diese Frage antworten und ich drehte meinen Kopf nach links zum rotbraunen Wolf.

°Klar, kannst du dich zurück verwandeln.°
Ich – also er – schnaubte, als läge diese Tatsache klar auf der Hand.
°Du weißt doch, dass ich schon länger ein Werwolf bin, deswegen sehe ich auch etwas anders aus als du. Und du hast gesehen, wie wir uns verwandelt haben – willentlich wohlgemerkt. Wie kommst du nur darauf, dass du nie wieder als Mensch rumlaufen kannst?°

Ja, wie kam ich darauf? Ich hatte wohl das alles doch noch nicht ganz begreifen und verarbeiten können. Aber eigentlich war alles logisch. In den Legenden hieß es, dass die Stammesältesten nur bei Gefahr ihre Form veränderten. Gut. Die Verwandlungsprozess war also kontrollierbar.

°Aber wie verwandle ich mich denn wieder zurück?°, fragte ich flehend und sah alle Werwölfe an.

Sam antwortete mir.
°Du musst es natürlich wollen. Doch vor allem musst du dich ganz beruhigt haben und den neuen Teil in dir akzeptieren.°

°Aber das habe ich doch schon! Und verdammt, natürlich will ich kein Wolf mehr sein!°

°Willst du kein Wolf mehr in diesem Moment sein oder willst du überhaupt keiner sein? Ob du willst oder nicht, du hast jetzt eine Aufgabe zu erfüllen und je eher du dich damit abfindest, desto eher kannst du dich zurück verwandeln.°

Sams Stimme bekam einen neuen Unterton, den ich noch nie gehört hatte. Er klang so herrschend, so strikt und endgültig. War das etwa die Macht des Leitwolfes? Der Ton, dem sich alle anderen zu beugen hatten? Auch ich? Ichspürte es, dass ich ihm gehorchen musste. Dass er mich dazu zwang, mich der Wahrheit stellen zu müssen.

Aber ich wollte das alles nicht! Ich wollte, dass alles wieder so wird, wie es vorher gewesen war. Ich schloss verzweifelt die Augen und ignorierte all die Stimmen, die versuchten mir gut zuzureden. Ich hoffte, dass sie irgendwann alle weggehen würden. Doch leider taten sie es nicht. Was machte wohl Billy? Er kam bestimmt um vor Sorge um mich. Oder er freute sich, da ich nun seinen Geschichten wohl oder übel endlich glauben musste. Schließlich war ich nun selbst ein Teil dieser Legenden geworden.

Aber warum ich? Warum ausgerechnet ich?

Ich stieß die Luft frustriert aus und roch den Geruch des Waldes wieder ein. Holz, Gras, Moos und Regen. Ein sehr angenehmer Duft. Vertraut und heimisch. Ich hörte ein Aufkeuchen, dann nahm ich zwei neue bisher unbekannte Gerüche auf. Sehr blumige, angenehme Gerüche. Der eine war etwas herber, roch aber dennoch nicht zu aufdringlich.

Ich öffnete wieder meine Augen, schnüffelte erneut und suchte die Gegend ab, ohne meinen Kopf zu heben. Es war wieder heller Tag und leichter Nieselregen fiel vom Himmel herab. Da sah ich die beiden stehen. Eine große und eine kleine Bella. Halt. Es waren Bella und ein größerer Typ, der genauso aussah, wie sie. Woah! Das musste dann Bellas Zwillingsbruder – wie hieß er doch gleich – Andy sein.

Ich hatte ihn zwar schon in „meinem Kopf“ gesehen, aber es mit den eigenen zu sehen, war doch etwas anderes. Okay, ich konnte mich an einem Bruder von Bella nie erinnern. Auch Billy hatte von so etwas nie erzählt. Nur, dass Charlie früher mit Bella zu uns gekommen sei, damit sie sich nicht langweilen würde, wenn er mit meinem Vater wieder mal zum Angeln unterwegs gewesen war. Sie sollte sich mit meinen Zwillingsschwestern Rachel und Rebecca anfreunden und so jemanden zum Spielen haben. Doch alle drei waren zu schüchtern, um sich näher zu kommen. Und das war auch schon das Ende dieser Besuche.

Ich selbst konnte mich an Bella nicht erinnern, da ich damals noch zu klein gewesen war. Ich kannte zwar Bella schon mein ganzes Leben lang, aber unser erstes Treffen war erst im letzten Jahr am Strand von La Push, als sie mit ihren Klassenkameraden dort einen Samstag verbracht hatte und ich ihr dann von unseren Legenden erzählt hatte, die ich selbst für Ammenmärchen hielt. Tja, hätte ich damals gewusst, dass sie wirklich alle wahr waren, hätte ich Bella nie davon erzählen dürfen. Es war ja strengstens verboten.

Ich betrachtete die beiden und sah, wie Bellas Bruder sich gequält an die Stirn fasste, als hätte er Kopfschmerzen. Wie waren die beiden bloß hier her gekommen? Kamen sie etwa aus dieser…dieser Parallelwelt? So richtig glauben konnte ich es immer noch nicht, aber die Fakten konnte man unmöglich ignorieren.

Ein Handyklingeln war zu hören. Die beiden schienen absichtlich nicht darauf zu achten und Bella erkundigte sich nach dem Wohlbefinden ihres Bruders und legte eine Hand an seine Wange.

„Ja. Nur leider kriege ich jetzt immer Kopfschmerzen, wenn ich das mache.“, erklärte Andy Bella und bestätigte somit meine Vermutung.

Sie nahm ihre Hand wieder weg und antwortete ihm, dass er es lieber erst mal bleiben lassen sollte. Was sollte er bleiben lassen? Dann drehten beide ihre Gesichter zu uns Wölfen. Sie schauten verängstigt, aber auch fasziniert.

°Was machen die denn hier?! Die sollten nicht hier sein. Keiner sollte von unserer Existenz wissen.°, hörte ich die Stimme von Paul aus meiner Welt.

°Nein, bitte tut ihnen nichts. Sie sind noch keine Vampire.°, wimmerte ich.

Allein die Vorstellung, dass Bella von Paul gebissen wurde, jagte mir eiskalte Schauer durch den Körper. Paul knurrte bedrohlich. Die Zwillinge zuckten erschrocken zurück und Bellas Bruder griff beschützend und panisch nach der Hand seiner Schwester.

°Paul beruhige dich jetzt und halt dich zurück.°, hörte ich Sams Leitwolfstimme autoritär sprechen und mir entwich erleichternd die Luft aus meiner Nase.

Das penetrante Klingeln hatte aufgehört. Zu meinem Erstaunen trat ein entschlossener Ausdruck in Bellas wunderschönen braunen Augen und sprach zu uns Wölfen mit fester Stimme.

„Entschuldigung, dass wir hier so einfach reinplatzen, aber wir haben uns Sorgen um Jacob gemacht.“

Überrascht hob ich meinen Kopf. Bella hatte sich um mich Sorgen gemacht? Das war ja richtig süß von ihr. Empfand sie vielleicht etwas für mich oder interpretierte ich da zu viel rein. Natürlich tat ich das. Ich war ein Monster. Ein Wolf. Bella würde bestimmt einen normalen Jungen bevorzugen. Innerlich über mich selbst schüttelte ich den Kopf.

Was für ein Unsinn.

Sie war doch mit einem dieser Cullens, diesem Blutsauger zusammen. Ich hatte sie doch zusammen auf dem Abschlussball damals gesehen. Ich spürte einen kleinen Stich im Herzen. Vielleicht Eifersucht? Trauer.

Aber Bella war hier, oder? Hier bei mir. Nicht bei diesem Blutsauger. Sie empfand etwas für mich. Da war ich mir fast sicher. Vielleicht, ja vielleicht…

„Wir wissen über den Vertrag Bescheid und keine Sorge, wir werden euch nicht verraten.“, fügte Bella noch hinzu.

Sicher, das wussten wir. Ich habe es ihr schließlich verraten. Und ich wusste, dass Bella nichts ausplaudern würde. Schließlich bewahrt sie ja noch ein Geheimnis. Obwohl ich ihren Bruder nicht kannte, spürte ich, dass er ebenfalls wie sie vertrauenserweckend war. Außerdem sah ich es im Kopf meines Doppelgängers. Er kannte Andy ja im Gegensatz zu mir.

°Nein, das ist zu gefährlich!°
Paul knurrte erneut, doch mein anderes Ich gebot ihm Einhalt.

°Paul.°, knurrte er bedrohlich und warnend.
°Du kannst ihnen vertrauen, glaub mir.°

Er schaute den rostbraunen Wolf zornig und selbstgefällig an. Die Gefahr war also gebannt. Ich legte etwas entspannter mein Kopf wieder auf meine Vorderpfoten und betrachtete die beiden aufmerksam. Sie waren sehr mutig, das musste man ihnen lassen. Jeder andere wäre schon schreiend davon gerannt.

°Ich werde mich verwandeln und es ihnen erklären, okay?°, fragte der andere Jake den schwarzen Leitwolf Sam.

°Gut. Sie wissen ja sowieso schon alles.°

°Also ich weiß nicht?°, meinte Jared, der zu Sams Rudel gehörte.

°Es ist beschlossene Sache. Vom anderen Rudel wissen die beiden bereits und es hat bisher keine Probleme gegeben.°, stellte Sam klar und nickte meinem anderen Ich zu.

Er verschwand ins Dickicht der Bäume. Wieder ertönte das Klingeln und ohne uns aus den Augen zu lassen, nahm Andy das Gespräch entgegen. Es war schon seltsam, dass Bella auf einmal einen Bruder hatte. Während er ins Telefon sprach, kam mein Doppelgänger in menschlicher Gestalt aus dem Wald wieder hinaus und ging zu den beiden hin.

Verdammt, wie bekam er das nur hin?

Ich wollte das auch können.

Wenigstens hörte ich mich selbst nicht mehr zweimal. Ein sehr erleichterndes Gefühl. Da meine Sinne nun geschärft waren und ich besser hören konnte, bekam ich alles von diesem Telefonat mit.

„Wo seid ihr?“, fragte eine ziemlich weich klingende und doch zornige Stimme.

Diese Stimme war zu perfekt, zu unmenschlich. Ein Vampir musste also am anderen Ende der Leitung sein. Warum wunderte es mich nicht, dass Bellas Bruder ebenfalls mit solchem Abschaum verkehrte? Andys Gesichtsausdruck veränderte sich augenblicklich. Seine ebenso braunen Augen funkelten wütend und schossen Blitze.

„Wir sind im Reservat bei den Wölfen. Und nein, sie haben uns noch nicht angegriffen. Und ja, wir leben noch und sind unversehrt. Wir kommen bald.“, erwiderte er wütend, beendete frech das Gespräch ohne auf eine Antwort zu warten und steckte sein Handy wieder weg.

Mutig, mutig. Bella und Andy begrüßten nun mein anderes Ich. Dieser lehnte dankbar ihre Hilfe ab, doch Bella gab ihm Kontra und schaute an ihm vorbei und ihr besorgter Blick traf meinen.

„Was hat er denn?“, fragte sie besorgt.

Mein Herz machte einen Hüpfer und ich verspürte den Impuls aufzuspringen und sie in meine Arme zu nehmen. Nun, das ging ja jetzt schlecht. Aber abschlecken wäre wohl keine besonders gute Alternative.

°Oh, hat sich da jemand etwa verguckt?°, hörte ich den Quil aus der anderen Welt fragen.

°Ach, Klappe.°, gab ich ihm zu verstehen, ohne mein Blick von mir selbst, Bella und Andy zu nehmen.

Der andere Jacob klärte die beiden über meine derzeitige Situation auf und ihre Blicke wurden mitfühlend und ratlos. Ja, ich konnte es sehen. Die zwei wollten mir wirklich helfen und schienen kein Problem mit Werwölfen zu haben. Bella fragte „mich“, was ich denn denke und wie ich mit der Situation denn zurecht käme. Wieder merkte ich, dass mein Herz Luftsprünge machte.

Doch dann veränderte sich etwas.

Ich sah, wie Andy seinen Kopf etwas bewegte. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht mehr auf das Gespräch achten würde. Aber auf was dann? Er schaute eher auf den Kopf vom „mir“ und blinzelte entgeistert, als könne er seinen Augen nicht trauen.

°Was ist denn mit dem auf einmal los?°, fragte sich Leah.

Es war zum Glück nicht Sams ehemalige Leah, der er einst das Herz gebrochen hatte. Naja, eigentlich war sie es ja doch. Aber es war nicht die Leah aus dieser Welt. Außerdem wusste ich, dass sie mit meinem anderen Ich zusammen war. Ob mir das vielleicht mit Sams Leah aus meiner Welt auch blühte. Hoffentlich nicht. Was dachte ich da bloß?
Ich warf Leah einen kurzen Seitenblick zu.

°Hey, keine Ahnung. Aber als ich dich – also ihn – zum ersten Mal gesehen hab, da war es einfach um mich geschehen und ich war endlich in der Lage, wirklich über Sam hinweg zu kommen. Das Prägen hat mein Leben verändert.°, teilte sie mir mit.

Ach ja: Das Prägen. Auch eines von den vielen Dingen, die ich im Kopf meines anderen Ichs gesehen hatte. Liebe auf den ersten Blick, oder so. Nur viel, viel mächtiger. Sie zog ihn magisch an, wie die Sonne die Erde. Verrückt. Eigentlich war das auch nur eine Legende.

Vielleicht könnte ich ja auf Bella…?

Ich schüttelte leicht den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden und verfolgte wieder die Szene, die sich ein paar Meter vor mir abspielte. Bellas Bruder Andy drehte seinen Kopf nach rechts und schien auf irgendetwas zu achten, irgendetwas mit seinem Blick zu verfolgen, was ich nicht sehen konnte. Was tat er denn da nur? Er blickte kurz zu Bella, die immer noch mit mir über MEINE Gedanken redete.

Andy drehte seinen Kopf wieder nach rechts und setzte sich langsam wie in Trance in Bewegung. Sein Blick war ins Nichts geheftet.

°Ich glaube, der spinnt.°, hörte ich den anderen Embry sagen.

Bella und mein Doppelgänger bemerkten seinen Fortgang nicht, während Andy immer weiter nach rechts gehend, sich von ihnen entfernte. Dann, als er ein paar Meter hinter sich gebracht hatte, aber immer noch gut zu erkennen war, verschwand er plötzlich.

°Wo ist er hin?“, fragte der schwarze Leitwolf verwirrt und leicht panisch.

°Er ist in die andere Welt hinüber gewechselt, nehme ich an.°, antwortete ihm sein Ebenbild.

Erst ein paar Sekunden später, bemerkten der andere Jacob und Bella, dass Andy verschwunden war.

„Wo ist denn Andy hin?“, fragte mein zweites Ich Bella und sah sie an.

„Keine Ahnung.“, murmelte sie, schaute erst ihm ins Gesicht und dann auf die Stelle, wo ihr Bruder noch vor kurzer Zeit gestanden hatte.

Sie drehte ihren Kopf und sah mich – den am Boden liegenden Wolf – direkt an. In ihrem Blick lag etwas das ich nicht deuten konnte. Ein geheimnisvolles kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

„Am besten wir warten einfach auf meinen Bruder. Ich bin sicher, dass er bald zurück kommen wird.“, sagte sie wieder an den anderen Jacob gerichtet.

„Gut. Wenn du meinst?“ Er klang unsicher und verwirrt.

Bella ging an ihm vorbei, direkt auf mich zu. Ein leises Grummeln war von allen zu hören.

°Man, die hat echt vor nichts und niemanden Angst.°, kam es von einem Paul widerstrebend, aber anerkennend.

Als Bella bei mir angekommen war, kniete sie langsam vor mir nieder und hob langsam ihre Hand. Ich hob meinen Kopf, drehte ihn ihr zu und kam ebenso langsam ihrer Hand entgegen. Ich wollte sie nicht erschrecken, bewunderte aber ihren Mut. Alle anderen spannten sich an, da sie nicht wussten, wie ich auf ihre Berührung reagieren würde. Doch ich machte mir keine Sorgen und wusste, dass mir das sehr gefallen würde. Sie zuckte zurück, zögerte kurz und berührte schließlich mit ihren Fingern mein Fell hinter meinem rechten Ohr.

Ich schloss genüsslich meine Augen und brummte. Sie kicherte leise und kraulte weiter mein Fell. Es war so ein schönes Gefühl, ihre Hände in meinem Fell zu haben. Sie sollte sie am besten gar nicht mehr wegnehmen. Ich atmete tief ein und wieder aus und hieß das Glücksgefühl willkommen, welches mich durchströmte.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Aber als Bella „Er kommt zurück“ sagte und ich merkte, dass sie sich von mir entfernt hatte, schlug ich meine Augen wieder auf. Ich legte den Kopf schräg und sah sie fragend an. Bella stand nun wieder aufrecht und ging ein paar Schritte zurück. Wieder huschte dieses geheimnisvolle Lächeln über ihr Gesicht. Bella drehte ihren Kopf.

°Was ist das?°, hörte ich von allen gleichzeitig im Kopf.

Auch vernahm ich wieder meine eigene Stimme. Mein anderes Ich musste seine Gestalt wieder gewechselt haben.

Ach, wenn ich doch auch…

Ich drehte meinen Kopf nach vorne und sah, dass die Luft vor mir flackerte. Merkwürdig. Was war das? Gerade als ich den Kopf neugierig nach vorne beugen wollte, wich ich im selben Moment vor Überraschung wieder zurück.

Ich traute meinen Augen nicht. War ich jetzt schon so verrückt, dass ich eine Fata Morgana sah?

Direkt ein Stück vor mit standen zwei Personen. Die eine war Andy. Er trug einen gläsernen Behälter auf beiden Händen mit grünem Pflanzenzeugs darin und lächelte mich etwas verzerrt an. Sein Gesicht wirkte angespannt, als hätte er abermals Kopfschmerzen. Das war es jedoch nicht, was meine Aufmerksamkeit bekam. Die Person neben ihm nahm gerade ihre Hand von seiner Schulter. Ihre braunen Augen taxierten mich neugierig und ihr Mund stand vor Verblüffung und Bewunderung leicht offen. Zaghaft hoben sich ihre Mundwinkel und sie ging etwas ängstlich in die Hocke.

°Mum?!°, hallte es in meinem Kopf wieder.

Doch es war nicht wirklich meine eigene Stimme. Es war die Stimme meines zweiten Ichs. Ich war bis jetzt noch nicht fähig gewesen, irgendetwas zu denken, weil es einfach unmöglich war. Ja, diese Frau sah aus wie meine Mum. Die braunen Augen, die braune Haut, das lange glatte schwarze Haar und dieses Lächeln. Ja, man könnte wirklich denken, dass Sarah Black vor mir stand.

Aber das war unmöglich.

Meine Mutter war tot. Sie starb vor Jahren bei einem Autounfall und wir haben sie beerdigt. Nein, sie konnte hier nicht lebendig und atmend vor mir stehen. Sie war tot. Meine Mum war tot. Ich hörte alle Stimme durcheinander panisch und überrascht durcheinander sprechen, allerdings konnte ich darauf nicht achten, selbst wenn ich gewollt hätte. Diese Frau, die direkt hier vor mir hockte, nahm meine ganzen und doch keinen einzigen Gedanken ein.

Ich war einfach nicht in der Lage, dieses Bild vor mir in mich aufzunehmen. Sie konnte nicht in diesem Moment bei mir sein. Mum war tot. Und wenn ich sie sah, konnte das nur bedeuten, dass ich ebenfalls tot war. Ich war zwar vieles. Verwirrt, verrückt, ein Werwolf, ein angeblicher Kämpfer gegen Vampire und vieles mehr. Aber ich wusste mit absoluter Gewissheit, dass ich noch nicht ins Gras gebissen hatte! Also wie war es nur möglich, dass ich meiner eigenen Mutter in die Augen sehen konnte.

„Jacob?“, flüsterte sie unsicher, zweifelnd.

Beim Klang ihrer Stimme zuckte ich zusammen und wich vor ihr zurück. Sofort bereute ein Teil von mir es, da ich sah, wie weh ihr meine Reaktion tat.

„Mum?“, wollte ich ebenso zweifelnd erwidern, doch da ich ein Wolf war, kam nur ein leiser Klagelaut heraus.

Langsam – noch langsamer als Bella zuvor – streckte sie die Hand nach mir aus. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden. Je mehr sie die Distanz zwischen uns überbrückte, desto mehr schein sie an Mut und Selbstbewusstsein zu gewinnen. Ich konnte das Funkeln in ihren Augen erkennen. Sie berührte ein paar Haare meiner Schnauze. Es war nicht wirklich ein nennenswerter Kontakt gewesen, aber ich wich zurück. Sie ließ sich von meiner Reaktion jedoch nicht beirren und stellte schnell den Kontakt wieder zwischen uns her.

Als ihre warmen weichen Hände zart durch mein Fell streiften, überrollte mich eine innere Wärme beinahe. Sie war so mächtig, dass ich ihr fast nicht stand halten konnte. Dieses Gefühl der Geborgenheit und Liebe – Mutterliebe – war zu überwältigend, so intensiv, so gut. Ich hatte schon fast vergessen, wie sich das anfühlte. Es war einfach herrlich. Ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte, rollte eine dickte Träne, so groß wie ein Tennisball, aus meinem linken Augenwinkel.

Sie lächelte mich liebevoll an und ich konnte erkennen, dass auch ihre Tränen nicht mehr lange auf sich warten ließen.

„Hallo, mein Junge.“, wisperte sie stolz und voller Freude.

Ich wollte etwas erwidern, doch wieder kam nur ein leises Wimmern heraus. Ich konnte nicht mehr. Ob ich jetzt nun verrückt war, oder nicht. Ob diese Frau ein Hirngespinst war, oder nicht. Ich wollte sie auch umarmen. Ihr sagen, wie sehr ich sie vermisste, wie sehr ich sie liebte. Aber das ging ja nicht. Ich war ja ein Werwolf. Ein Ungeheuer, in dessen Nähe die Menschen nicht sicher waren.

Selbst, wenn ich nun wirklich ein Wolf war, wollte ich in diesem Moment keiner mehr sein.
Selbst, wenn mich so ein Schicksal erwartete, wollte ich in diesem Moment einfach wieder der Junge Jacob Black sein.

Ich wollte wieder ein Mensch sein.
Ein Mensch, der sich um seinen Vater im Rollstuhl kümmerte.
Ein Mensch, der mit Freunden an Maschinen herum bastelte.
Ein Mensch, der sehr gerne seine Zeit mit einem bestimmten Mädchen verbrachte.
Ich wollte einfach wieder ich sein!

Ein unvermitteltes Geräusch war zu hören. Die Augen meiner Mutter weiteten sich vor Schreck und Überraschung. Ihr Mund stand offen und für kurze Zeit, schien sie zu erbleichen.

Ein leises „Ja“ war zu hören, welches von zwei Menschen gleichzeitig ausgesprochen wurde.

„Ja…Jacob, du…“, würgte sie fassungslos heraus.

Zu mehr war sie in diesem Augenblick nicht imstande. Ich blickte nach unten auf dem Boden auf meine Hände. Moment. Hände? Ich hob sie, drehte und betrachtete sie, als hätte ich meine Daumen und Finger noch nie gesehen.

Als nächstes merkte ich, wie der Wind sacht über meine Haut und durch meine langen Haare hinweg strich und ein paar zarte Regentropfen auf meinem Körper landeten. Meine Haut war durch den Regen feucht geworden, wie es zuvor mein Fell auch war. Ich hatte aber kein Fell mehr. Jetzt begann ich erst wirklich zu realisieren, dass ich wieder menschlich geworden war.

Und etwas anderes wurde mir ebenso bewusst.

Nämlich, dass ich nackt auf dem Rücken auf der feuchten Erde lag.

Einen kurzen Moment lang, war mir das ziemlich peinlich und ich fragte mich, wo meine ganzen Sachen geblieben waren. Ach so, klar. Die mussten bei meiner Verwandlung regelrecht zerfetzt worden sein. Aber das alles war mir nun völlig egal. Ich hob meinen Blick, lächelte meine Mutter strahlend an und warf mich praktisch in ihre Arme. Ich war zwar nackt, aber das kümmerte mich kein bisschen.

Ich hörte mich ziemlich laut und unmännlich schluchzen voller Freude darüber, dass ich meine Mutter wieder in den Armen halten konnte. Ich drückte sie fest an mich und atmete ihren wunderbaren Duft ein. Ich roch ihn jetzt viel intensiver als früher. Das hatte wohl etwas mit der Wolfssache zu tun. Meine Mutter erwiderte meine Umarmung und presste mich fest an sich, während sie ebenfalls schluchzte.

„Mum. Ich…ich kann einfach nicht glauben, dass du hier bist. Ich habe dich ja so vermisst. Und…und…ich liebe dich so sehr, Mum.“, brachte ich zwischen meinen Schluchzern tränenüberströmt heraus.

„Ich liebe dich auch, mein Schatz.“, erwiderte sie.

Es kam mir vor, als würde dieser Augenblick ewig andauern, aber zugleich in derselben Sekunde wieder zerplatzen, als ich ein Handy klingeln hörte.

Wie viel Zeit mochte wohl vergangen sein?

Ich schaffte es, dem Telefonat zuzuhören und meine Mutter immer noch im Arm zu halten. Inzwischen wimmerte sie nur noch leise vor sich hin. Wie auch in Wolfsgestalt, konnte ich jedes Wort hören.

„Hallo?“, hörte ich Bella sagen.

„Bella.“, hörte ich eine bekannte Stimme bemüht ruhig und voller Sorge sprechen.

Ich kannte diese Stimme. Sie gehörte diesem Edward Cullen. Dämlicher Blutsauger.

„Seid ihr in Ordnung?“, fragte er nun panisch und die unterdrückte Wut schien verschwunden zu sein.

„Ja, natürlich. Wieso, stimmt was nicht?“ Auch Bella schien in Aufruhr zu sein.

„Die zwei Alice‘ hatten gerade eine Vision von Victoria mit ihrer Neugeborenen-Armee. Ich möchte, dass ihr sofort wieder zurück kommt. Kommt selbst zurück oder sagt einem von diesem Hunden, dass sie euch bis zur Grenze fahren sollen.“
Den letzten Satz brachte er zähneknirschend heraus.

Also stimmten diese Legenden über die besonderen Fähigkeiten von einigen Vampiren also auch. Wie überraschend.

„Okay. Ich glaube, wir werden hier sowieso nicht mehr gebraucht.“

Ein Reißen ertönte und mein zweites Ich hatte sich wieder in einen Menschen zurück verwandelt. Er schritt auf Bella zu und riss ihr das Telefon aus der Hand.

„Hey!“, protestierte sie.

„Bella?“, fragte der Blutsauger an anderem Ende fast schreiend.

„Hey Blutsauger. Hier ist Jacob Black. Also einer davon. Ich habe schon von Bella von dieser Vampirarmee gehört, die hier nach Forks kommen sollen. Wisst ihr denn auch, wie viele es sind?“
Seine Stimme klang kühl und reserviert.

„Es sind schon einige. Warum fragst du?“, fragte der Blutsauger kalt und emotionslos zurück.

Ich konnte mich auch irren, aber ich meinte, trotz allem Wut aus seiner Stimme zu hören.

„Ich habe mir überlegt, dass… - mein zweites Ich zögerte und holte tief Luft - …also wenn es euch nichts ausmacht, wir gerne mitmischen würden. Dafür sind wir schließlich da. Um den Stamm vor eures Gleichen zu schützen. Es ist ja auch genau genommen unsere Aufgabe.“, brachte er schließlich mit aller Kraft heraus, wobei er mit jedem Wort wütender geklungen hatte.

„Mhh.“, kam es nach einer kurzen Pause widerwillig.
„Interessanter Vorschlag. Es wäre vielleicht gar keine schlechte Idee, wenn wir eure Hilfe in Anspruch nehmen würden. Wir wissen es noch nicht, wie viele genau es sein werden. Die Anzahl schwankt sehr.“

„Wann wollen uns treffen, um über alles zu sprechen?“
Jetzt klang der andere Jake wieder ganz geschäftsmäßig.

Eine Pause trat ein.

„Moment.“, stoppte der Blutsauger ihn.
„Wenn ihr wirklich an unserer Seite kämpfen wollt, dann braucht ihr noch ein paar strategische Hinweise.“

Daraufhin wurde seine Miene wieder grimmig.

„Also wann und wo?“, verlangte er zu wissen.

Wieder eine kurze Pause.

„Etwa fünfzehn Kilometer nördlich der Hoh Forest Ranger Station um drei Uhr. Ist das in Ordnung?“, fragte Cullen kurz angebunden.

„Alles klar.“, antwortete Jake und gab der verdutzten Bella wieder das Handy zurück.

„Was war das?“
Sie klang misstrauisch und vorsichtig.

„Später. Kommt jetzt bitte erst einmal wieder zurück. Sonst komme ich euch persönlich holen. Und ihr wollt doch nicht, dass ein Krieg ausbricht.“, drohte er.

Bellas Gesicht erbleichte.
„Okay, okay.“, gab sie nach und legte auf.

Sie schaute kurz mich und meine in meinen Armen liegende Mutter an, dann richtete sich an Andy.

„Wir müssen zurück.“

Er seufzte resignierend.
„Klar.“

Bella schaute auf das, was ihr Bruder die ganze Zeit auf seinen Händen trug.

„Was ist das eigentlich?“

Andy lächelte sie an.
„Lange Geschichte. Aber jetzt komm.“

Bella legte ihre Hand auf seine Schulter, die Umgebung um sie herum flimmerte und schon waren die beiden verschwunden.

Ich seufzte. Tja, so wie es aussah, würde ich bald meine Fähigkeiten als Beschützer unter Beweis stellen müssen.

„Mum?“

„Ja, Jacob?“

„Komm, ich bringe dich zu Dad. Er wird ausflippen, wenn er dich sieht.“

Sie kicherte.

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen.“

Ich lachte und der andere Jacob lachte mit mir.

Familienzusammenführung




Jacobs POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)




Meine Mum – es war komisch, dass zu denken – und ich lösten uns voneinander. Noch immer waren ihre Augen feucht und ich könnte die Spuren ihrer Tränen erkennen, allerdings flossen keine mehr nach. Ich blinzelte ein paar Mal, um das Feuchte in meinen Augen wegzubekommen und lächelte sie an.

„Aber bevor wir gehen…“ – begann ich und konnte leider nicht verhindern, dass mir das Blut in die Wangen schoss – „…könntest du dich bitte umdrehen?“

Sie nickte verstehend und ein verlegenes Lächeln erschien auf ihrem wunderbaren Gesicht. Dann schloss sie ihre Augen und drehte sich um. Mein anderes kurzhaariges Ich packte mich am Oberarm und half mir, mich aufzurichten.

„Komm“, zischte er mir leise zu und ich folgte ihm ein paar Meter tiefer in den umliegenden Wald.

Da bemerkte ich, dass sich auch meine Standfestigkeit und Geschwindigkeit geändert hatten. Das herangewuchsene Selbstbewusstsein in mir war fast zu schön, um wahr zu sein. In nur wenigen Sekunden hatten wir zwei einige Meter zurück gelegt und der andere Jake vor mir stoppte und wandte sich mir zu. Nun stand ich vor ihm und schaute ihn fragend mit hoch gezogener Augenbraue an.

„Und jetzt?“, wollte ich wissen.

Er seufzte. „Es ist zwar genaugenommen meine Mum…“

Verwirrt von seinen Worten, unterbrach ich ihn und hob abwehrend meine Arme. Am Rande war mir natürlich bewusst, dass ich nackt war, aber immerhin war er ja ich und hatte somit den gleichen Körper. Und nackt vor sich selbst zu stehen war für mich nicht so peinlich, wie vor einem anderen. Es war in etwa so, als würde ich mit meinem etwas anders aussehenden Spiegelbild reden. Nur, dass uns keine Glaswand voneinander trennte.

Ich sah ihn mir nochmal ganz genau von oben bis unten an. Diese sehr ausgeprägten Muskeln…

Sicher, ich hatte in letzter Zeit auch an Muskelmasse und Größe zugelegt, aber so viel Muskelmasse wie beim ihm vorhanden war, besaß ich nicht. Ich fragte mich wohl, woran dass lag.

„Was ist?“

Ich blinzelte und schaute ihm wieder direkt in…meine Augen.

„Sag mal, hat die Veränderung deines Körpers etwas mit der Werwolf-Sache zu tun?“

Das wollte ich ursprünglich nicht zu ihm sagen, aber ich war eben neugierig. Er verschränkte die Arme vor der Brust und hob seine – oder meine – Augenbrauen.

„Klar. Wenn die Verwandlung einsetzt oder kurz bevorsteht, kriegst du einen ordentlichen Wachstumsschub und viele Muskeln. Ist das denn so schlecht?“

Er zog die Augenbrauen zusammen und schaute mich wohl mit einem Hast-du-sie-noch-alle-Blick an.

„Ach Quatsch!“, wehrte ich ab.
„Du siehst wirklich gut aus. Oder eher ich?“
Er grinste und ich grinste zurück.
„Aber so viele Muckis wie du hab ich nicht. Ich habe mich nur gefragt, warum.“

Ich spürte einen leisen Anflug von Neid auf ihm. Aber kann man auf sich selbst denn eifersüchtig werden? Mein Gegenüber lachte auf und schüttelte belustigt seinen Kopf.

„Die kriegst du noch mit der Zeit. Du hast dich ja bis jetzt nur einmal verwandelt. Warte ab, bald wirst du auch so gut aussehen, wie ich.“
Er kicherte, doch dann verschwand jeglicher Schalk aus seinen Augen und er wurde wieder ernster.
„Aber das war es nicht, was du eigentlich fragen wolltest, stimmt’s?“

Ich nickte und wollte ihn gerade fragen, doch er fuhr fort und gab mir meine Antwort.

„Bella hat mir mal erzählt, dass deine Eltern einen Autounfall hatten.“

Er sah mich fragend an und schien auf eine Antwort zu warten, also nickte ich.

„Und bei diesem Unfall ist deine Mum gestorben und dein Dad sitzt unter anderem auch wegen seiner Diabeteserkrankung seither im Rollstuhl.“

Wieder nickte ich. Er holte tief Luft und atmete etwas zitternd aus. Als schien es ihm nicht leicht, darüber zu sprechen.

„Tja, meine Eltern hatten vor Jahren auch einen Autounfall gehabt, genau wie deine. Dabei ist aber mein Vater gestorben und meine Mutter hat überlebt. Gott sei Dank ist sie auf keinen Rollstuhl angewiesen. Andy muss sie aus meiner Welt mitgebracht haben, damit du einen Anreiz für deine Rückverwandlung hattest.“

Er seufzte.

„Eigentlich sollte sie von unserer Existenz nichts wissen, da Mum ja kein Ratsmitglied ist. Naja…“ – er zögerte – „…vielleicht wollte ich sie auch aus dieser ganzen Geschichte heraushalten. Aber egal. Jetzt weiß sie es eben.“

Ich schluckte und versuchte zu verstehen, was er mir gerade erzählt hatte. Sein Dad war tot, meiner lebte. Seine Mum lebte, meine war tot. Wahrscheinlich derselbe Unfall, aber mit verschiedenen Konsequenzen.

Es war seine Mum, die ich umarmt hatte. Meine Mutter war nicht am Leben. Sie lag noch immer in einem Sarg unter der Erde. Ich erinnerte mich, dass ich das Wort „Mum“ mit meiner Stimme in meinem Kopf gehört hatte, obwohl ich intuitiv wusste, dass es nicht MEINE gewesen war. Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich jetzt noch Zweifel an eine zweite Welt hatte, dann waren diese nun unter Garantie ausgelöscht worden. Schuldbewusst sah ich mich selbst an.

„Tut mir leid, dass ich…“

Ich stoppte. Ja, was tat mir eigentlich so leid?

Dass ich mich aufgrund einer für immer verloren geglaubten Person bewusst zurück verwandelt hatte?
Dass ich sie umarmen wollte?
Dass ich so euphorisch auf ihr Erscheinen reagiert hatte?
Dass ich sie Mum genannt hatte, obwohl es nicht meine war?
Dass ich zu ihr gesagt hatte, dass ich sie liebte?

Ich holte Luft, um etwas zu sagen, doch der andere Jake hob seine Hand und lächelte wissend und verständnisvoll.

„Nein, nein. Es ist völlig in Ordnung. Hey, meine Mum ist auch deine Mum, denn du bist ja ich.“
Er runzelte die Stirn.
„Oder ich bin du. Ach! Du weißt schon, wie ich das meine.“, sagte er genervt und machte eine abwertende, wegwerfende Handbewegung.

Er wollte sich nicht mit kleinen Details aufhalten. Ehrlich gesagt, wenn ich auch genauer darüber nachdenken würde, hätte ich Dauerkopfschmerzen. Dankbar lächelte ich mich selbst an.

„Vielen Dank. Du weißt gar nicht, was das für mich bedeutet. Oder halt. Wahrscheinlich doch, denn mein Dad ist auch dein Dad.“

Mein Gegenüber grinste.

„Schön, dass du das auch so siehst. So jetzt sollten wir uns mal langsam beeilen, sonst wird das heute nichts mehr.“

„Oh, ja. Natürlich.“, erwiderte ich etwas verdutzt.

„Ich finde, es ist ganz gut, wenn du mit meiner – nein, unserer Mum zu Billy gehst und ich dann dazu stoße.“

„Okay.“

Er räusperte sich und sah verlegen drein. Auch schien sich sein Hautton etwas zu verändern.

„Aber vorher solltest du dir was anziehen.“

Jetzt verstand ich sein Verhalten und wurde ebenfalls rot.

„Äh…“, stammelte ich verlegen.
„Würde ich gern machen, aber meine Klamotten sind ja bei der Verwandlung futsch gegangen.“

Aber seine ja nicht. Verwirrt runzelte ich die Stirn.

„Sag mal, wie schaffst du das eigentlich, dass deine Sachen heil bleiben?“, wollte ich wissen.

Denn ich wollt ja nicht nach jeder Rückverwandlung nackt herumlaufen müssen. Jedenfalls nicht gänzlich.

„Hiermit“, antwortete mein zweites Ich, hob seinen rechten nackten Fuß an und deute mit seinem Zeigefinger auf ein schwarzes Lederband, welches um den Knöchel gebunden war.

„Ich muss die ganzen Sachen mit mir herumschleppen. Darum trag ich auch nur das Nötigste am Leib. Es nervt schon, die Shorts im Maul zu haben.“

„Aha.“

Das würde erklären, warum ich – er – halb nackt herum lief. Moment mal. Die Shorts im Maul. Äh! Das hörte sich ja nicht gerade angenehm an. Als ich mir das vorzustellen versuchte, verzog ich das Gesicht.

„Und wie…geht das?“

Er lachte kurz und schüttelte den Kopf.

"Ich zeig’s dir später, wenn du ein bisschen mehr Kontrolle über deine Verwandlung bekommen hast. Jetzt…“ – sagte er, während er vor meinen Augen seine Shorts aus zog und sie mir entgegen streckte – „…zieh die hier an.“

Ich nahm sie und tat wie geheißen. Nun hatte ich seine Hose an, während er in Unterwäsche vor mir stand. Gott sei Dank.

„Ich werde mich jetzt verwandeln und dann wirst du Mum sagen, dass sie auf mich steigen soll, damit ich sie zu Billy bringen kann. Du läufst uns einfach in menschlicher Gestalt hinterher. Vor dem Haus setzte ich sie dann ab und du gehst mit ihr zusammen zu Dad.“, sagte er in einem autoritären Tonfall.

„Alles klar.“

Mit meinen neuen stärkeren Sinnen und der Geschwindigkeit, war es kein Problem mehr, zu Fuß zurück zu Dad zu laufen. Auch müsste ich nicht einmal meinem Wolfs-Ich folgen, da ich Billys Geruch wahrnehmen konnte, wenn auch nur schwach. Wenn ich so darüber nachdachte, fing ich an, die Vorteile dieser Werwolfsgeschichte richtig cool zu finden. Ja, ich glaube, ich könnte mich wirklich daran gewöhnen, ein pelziges Untier zu sein.

„Hey, hör auf, so blöd vor dich hinzugrinsen.“

Er wollte verärgert klingen, aber um seine Mundwinkel zuckte es, sodass die Strenge ihre Wirkung verlor. Ich hatte nicht mal gemerkt, dass ich lächelte.

„Jaja.“, sagte ich beschwichtigend und schmunzelte, bevor wir beide den Rückweg antraten.

Ein Mensch und ein Wolf. Wie lange hatten wir eigentlich miteinander gesprochen? Hoffentlich nicht zu lange. Kurz sah ich hoch zur grauen Wolkendecke, hinter der die Sonne versuchte, hervorzukommen. Der Nieselregen hatte aufgehört. Zum Glück. Ich wollte ja nicht, dass sich Mum erkältete.

Kurz bevor wir Mum erreichten, verschwanden die anderen Werwölfe, die um sie herum gestanden hatten, während sie an einem Baum stand und daran lehnte. Sie erschrak durch das Verschwinden der Wölfe und sah sich panisch nach der Ursache um.

Als sie uns beide erblickte, stieß sie erleichtert die Luft aus und entspannte sich wieder. Ihre dunklen Augen funkelten vor Freude und Erwartung, während ein Lächeln ihr Gesicht zierte.

„Na. Wie geht’s meinen Jungs?“, sagte sie ungezwungen, was uns beide zum Lachen brachte.

Naja, bei dem Wolf war es eher ein Hustenanfall. Das brachte wiederrum Mum zum Lachen.

„Du sollst aufsteigen, damit er dich zu Dad bringen kann.“, klärte ich sie auf, nachdem wir uns wieder beruhigt hatten.

„Gut.“, erwiderte sie.

Mum ging sicheren Schrittes und ohne Anzeichen von Angst oder Skrupel auf den großen Wolf zu. Er verlagerte sein Gewicht auf seine Vorderpfoten, knickte sie ein und senkte den Kopf. Als er schließlich mit Mum ungefähr auf der gleichen Höhe war, streckte sie die Arme aus und griff mit den Händen in sein rostbraunes Fell. Daran festhaltend zog sie sich auf dem massigen Körper hoch, nachdem sie mit einem Sprung Schwung geholt hatte.

Ich war in der Nähe, bereit ihr zu helfen, doch sie schaffte es auch ohne mich. Während sie sich hochzog, drehte sie ihren Körper um 90 Grad und hob ihr rechtes Bein, um es schließlich auf der anderen Seite des Rückens wieder fallen zu lassen. Zu guter Letzt richtete sie sich auf presste ihre Beine eng an den Wolfskörper, während ihre Hände noch immer im Fell um den Hals festgekrallt waren. Der Wolf hatte die ganze Zeit über nicht einmal gezuckt.

„Puh. Geschafft.“, sagte sie leicht keuchend und der Wolf stellte sich wieder ordentlich hin und hob seinen Kopf.

„Halt dich gut fest.“, mahnte ich Mum.

„Mach dir keine Sorgen.“, sagte sie mit einem Lächeln und kraulte den großen Wolf.

Tief summend erwiderte er diese Geste. Dann hielt sie sich wieder fest und der Wolf lief in einer etwas langsameren Geschwindigkeit los. Wir wollten ja nicht, dass Mum schlecht wurde. Ich lief mit menschlichen Füßen hinter ihnen hier und in kurzer Zeit hatten wir den Wald hinter uns gelassen und die Lichtung mit dem Holzhaus kam in Sicht.

„Mum, wir sind da.“, informierte ich sie schmunzelnd, als ich neben dem Werwolf zum Stehen kam.

Ihr ganzer Körper war angespannt und sie hatte mit aller Macht die Augen zu gekniffen, die sich jetzt langsam und vorsichtig wieder öffneten. Als sie erkannte, wo wir waren und das der Ritt vorbei war, entspannte sie sich.

„Woah!“, rief sie aus.
„Nochmal mache ich das nicht mit!“

Dann machte sie Anstalten runter zu steigen, obwohl der Wolf sich noch nicht gesenkt hatte. Diesmal kam ich ihr allerdings zu Hilfe, packte sie an den Hüften und hob sie herunter.

„Danke, Jacob.“, sagte sie nachdem sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Ihr Blick fiel auf das Haus und sie wirkte ängstlich und unsicher. Ich nahm ihre Hand und sie schaute mich an.

„Bereit?“

Sie seufzte, lächelte leicht und erwiderte meinen Händedruck.

„Dann los.“

Sie schaute nochmal zum Wolf, bevor die paar Meter gingen, die uns vom Haus treffen. Ich konnte die Nervosität meiner Mutter förmlich spüren. Besorgt warf ich ihr einen Seitenblick zu, doch sie sah mich nicht an. Starr und mit großen Augen fixierte sie das Haus. Man hätte denken können, ich würde sie zum Sensenmann begleiten. Ich fragte mich, wie Dad wohl auf sie reagieren würde.

Wäre er geschockt?
Glücklich oder Traurig?

Naja, gleich würde ich es ja wissen.

Als wir vor der Tür standen, atmeten wir beide noch einmal tief durch und stießen geräuschvoll die Luft aus. Wir sahen uns in die Augen und ich ließ ihre Hand los.

„Warte hier.“, bat ich und sie nickte.

Ich öffnete die Tür und trat in das Wohnzimmer. Als Billy mich erblickte riss er überrascht die Augen auf, beruhigte sich aber gleich wieder und seufzte erleichtert über meine Heimkehr. Also hatte er sich wohl ganz schön Sorgen um mich gemacht.

„Jacob, da bist du ja wieder. Geht…es dir gut?“, kam es eher zögerlich, als wüsste er nicht, welche Worte er genau benutzen sollte.
In seinen Augen spiegelte sich der Argwohn.

„Mir geht’s super.“, antwortete ich vielleicht etwas zu enthusiastisch, den Billy verengte seine Augen ein wenig und sah noch misstrauischer aus.

Er kam mit seinen Rollstuhl näher und musterte mich. Er schien meiner sonnigen Stimmung nicht zu trauen, aber war das denn verwunderlich? Gestern hatte sich sein Sohn sozusagen vor ihm in ein Monster verwandelt und am nächsten Tag kommt er gutgelaunt wieder zurück, als wäre nichts gewesen. Wer wäre da nicht misstrauisch?

Einen Moment später wurde sein Blick etwas weicher und der Skepsis verschwand etwas.

„Gut, dann wird es wohl Zeit, dir alles zu erklären.“, murmelte er so leise, dass ich es früher nicht hätte hören können.

„Jacob.“, sprach er mit ernster Miene.
„Weißt du, was mit dir gestern passiert ist?“

Gespannt wartete Billy auf eine Antwort. Merkwürdig, dass er über mein Auftreten und meine Klamotten kein Wort verlor. Vielleicht sind ja sein Großvater und die anderen Stammesmitglieder damals ebenfalls so leicht bekleidet wie möglich herum gelaufen. Darum schien es Billy nicht zu verwundern und fiel gleich mit der Tür ins Haus.

„Ja. Weißt du, was du gestern gesehen hast?“, stellte ich die Gegenfrage.

Er wirkte überrascht, dann verwirrt, als er über meine Frage nachdachte.

"Ich habe Sam, Leah, Quil, Emby, Paul, Jared, Seth und…dich gesehen. Zwei Mal.“, raunte er.
"Und auch sie haben sich…“

„…in Werwölfe verwandelt.“, beendete ich den Satz.

Wieder wirkte Billy überrascht.

„Dad, ich weiß, was ich bin und was meine Aufgabe ist. Und ich weiß jetzt, dass alle Legenden wahr sind, die ich früher für Aberglauben gehalten habe.“

Vielsagend blickte ich meinem Vater in seine weisen fast schwarzen Augen.

„Die anderen Wölfe, die du gestern gesehen hast, haben mir alles erzählt. Also auch der andere Jacob und auch ein anderer Sam, Paul und Jared.“

Billy nickte mechanisch und zog verwirrt seine Augenbrauen zusammen.

„Dann habe ich mir das also doch nicht eingebildet“, flüsterte er leise zu sich selbst und wich dabei meinem Blick aus.

Dad sog die Luft ein und taxierte mich erneut.

„Was hat das zu bedeuten? Ein anderer Sam? Und warum habe ich dich zweimal gesehen?“

Oh, wie sollte ich ihm das nur erklären? Ich atmete tief ein und erwiderte fest den fragenden und verdutzten Blick meines Vaters.

„Dad. Was ich dir jetzt zu sagen habe, ist nicht leicht zu verstehen. Daher bitte ich dich, mir einfach zuzuhören und mich nicht zu unterbrechen. Denk in Ruhe über alles nach, bevor du dich dazu äußern wirst.“, bat ich ernst.

„Okay?“

Jetzt schaute Dad mich gespannt, aber auch irgendwie besorgt an. Ich ließ mich davon nicht verrückt machen und begann mit meiner Erklärung.

„Jeder muss täglich Entscheidungen in seinem Leben treffen, richtig? Was ziehe ich heute an? Gehe ich nach links oder rechts? Studiere ich oder suche ich mir gleich einen Job? Das Leben bietet einem unzählige Wege und Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stehen. So ergeben sich immer neue Gabelungen und Wege, die man nehmen kann.“

Ich wartete auf eine Reaktion. Billy nickte stumm zu meinem Vortrag und wartete auf mehr. Man, kam ich mir in diesem Moment bescheuert vor. Es kam mir vor, als würde ich Dad versuchen den Urknall rational und logisch zu erklären.

„Nun, angenommen, eine Wahl für die wir uns nicht entscheiden wird aber bevorzugt. Das also der andere mögliche Weg eingeschlagen wird. Aber nicht hier, sondern woanders. In einem anderen möglichen Leben. In einer anderen möglichen Realität. Also würde das bedeuten, dass jeder der einzelnen Wege, die sich im Leben ergeben, beschritten wird. Und daraus würden sich dann unzählige Realitäten ergeben, in denen jeweils eine andere Version von uns selbst andere Entscheidungen trifft, die jeweils einen anderen Einfluss auf sein Leben und seine Entwicklung haben.“

Dad schaute verdattert und lachte kurz auf. Als er jedoch meinen bittenden und ernsten Blick sah, wurde seiner besorgt und ängstlich.

„Mein Junge, geht es dir auch wirklich gut?“

Er sprach die Worte so langsam aus, als zweifelte er meine Zurechnungsfähigkeit an.

„Du glaubst mir nicht, oder?“

Jetzt konnte ich mir ein Grinsen nicht siegenreiches kleines Grinsen nicht verkneifen.

„Nun, dann erkläre mir mal, wie es sein kann, dass du mich gestern zweimal gesehen hast?“, fragte ich süffisant, verschränkte die Arme vor der Brust und hob meine Augenbrauen.

Damit schien Billy nicht gerechnet zu haben. Er schaute mich ratlos an und brachte nur ein „Ähh…nein.“ Heraus.

„Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber es ist wahr. Die Leute, die gestern zu Besuch waren und der anderen Jacob. Sie alle kommen aus einer anderen Realität. Eine Parallelwelt.“

Er schnaubte und schüttelte den Kopf.

„Das ist zu verrückt. Das kann einfach nicht wahr sein.“, widersprach er und versuchte wohl eher sich selbst davon überzeugen.

„Ich habe noch einen Beweis.“

„Ach ja?“, fragte Billy skeptisch und zog eine Augenbraue hoch.

So. Jetzt war der Augenblick also gekommen.

Ich drehte meinen Kopf zur Haustür und rief: „Du kannst reinkommen.“

Und schließlich kam meine Mum um die Ecke in das Blickfeld meines Vaters. Billys Gesichtsausdruck veränderte sich in Rekordzeit. Die Belustigung und Skepsis verschwand und machte Ungläubigkeit, Schock und Erstaunen platz. Das Blut wich im aus dem Gesicht und seine Augen schienen größer und größer zu werden, je näher Mum ihm kam. Sein Mund war vor Schreck geöffnet und man hatte den Eindruck, er wolle etwas sagen. Es kam jedoch kein Ton heraus.

Die Finger seiner Hände, die auf den Armlehnen seines Rollstuhls lagen, krallten sich in den Stoff. Die ganze Zeit über, während Mum zu Dad heran trat, entspannten sich seine Finger kein bisschen. Überhaupt schien sein ganzer Körper vor Schreck erstarrt zu sein. Mum stand nun direkt vor Billy und lächelte schüchtern auf ihn herab. Mit immer noch großen Glubschaugen starrte er zu ihr hoch.

„Hallo Billy.“, begrüßte ihn Mum vorsichtig mit leicht zittriger Stimme.

Sie war noch immer sehr nervös. Als er ihre Stimme vernahm, zuckten seine Hände und seine Finger hörten auf, den Stoff der Armlehnen zu quälen. Sein ganzer Körper schien durch den Klang ihrer Stimme aus der Schockstarre endlich befreit zu sein. Er blinzelte entgeistert und Leben trat wieder in seine Augen, als der Schock langsam abklang.

Ich sah, wie sich seine Augen mit Tränen füllten und sie stumm seine Wangen hinunter rannen. Sein nun wieder geschlossener Mund hob sich leicht zu einem traurigen Lächeln. Bei diesem Anblick wurden auch Mums Augen wieder feucht und ebenso begaben sich ihre Tränen auf die Reise.

Ich merkte, wie auch in mir ein Kloß im Hals heran wuchs. Hartnäckig blinzelte ich die noch nicht vorhandenen Tränen weg und schwor mir, nicht zu heulen.

„Das…das ist…Träume ich?“, wisperte Billy immer noch überwältigt und fassungslos.

Mum schüttelte kurz leise auflachend den Kopf.

„Nein.“, widersprach sie mit belegter Stimme.
„Oder fühlt sich das etwa wie ein Traum an?“

Sie hob langsam ihre linke Hand und nahm Dads linke in ihre und drückte sie. Gebannt hatte er ihre Bewegungen verfolgt. Als er ihren Druck spürte, erschrak er, stieß einen kleinen überraschten Laut aus und zuckte leicht zusammen. Er betrachtete die zwei Hände und sah beinahe fasziniert dabei zu, wie Mum ihre Finger mit seinen miteinander verschränkte. Er hob den Kopf, erwiderte Mums Händedruck und diesmal wirkte sein Lächeln natürlicher.

„Es ist kein Traum oder?“, fragte Dad erneut, noch immer nicht in der Lage das eben Geschehene zu begreifen.

„Nein, Billy. Ich bin kein Traum und du schläfst auch nicht.“, versicherte sie ihm.

„Aber wie ist das möglich?“

Mum lächelte nachsichtig.
„Jacob hat es dir doch versucht zu erklären. Ich komme aus einer anderen Realität. Also anders ausgedrückt: ‚Ich bin zwar Sarah Black, aber nicht DEINE Frau.‘“, erklärte sie, wobei sie das Wort „deine“ besonders betonte.

Nun richtete Billy wieder seinen Blick auf mich, der die ganze Zeit neben ihnen stand, aber in den letzten Momenten unsichtbar für ihn geworden war.

„Dann stimmt das also alles, was du mir erzählt hast?“

Wortlos nickte ich.

„Na endlich hast du es kapiert.“, sagte eine Stimme und schon kam der andere kurzhaarige Jacob hereinspaziert mit Shorts und T-Shirt bekleidet.

Er musste sich wohl vorneigeschlichen und aus meinem Kleiderschrank bedient haben. Er grinste breit in die Runde. Billy musterte ihn neugierig, sah allerdings nicht mehr so entsetzt aus. Ein Glück. So langsam schien er die Tatsache zu verdauen. Billy zog die Augenbrauen zusammen.

„Dich habe ich doch gestern gesehen.“

Mum lachte und zog mein zweites Ich mit ihrer Hand näher zu sich heran, während Billy jede ihrer Bewegungen fast schon anbetungswürdig verfolgte.

„Und das Billy, ist mein Sohn Jacob.“, stellte sie ihn strahlend vor.

Billys Blick huschte zwischen dem kurzhaarigen Jake und mir hin und her.

„Okay.“, sagte er langsam mit etwas Unsicherheit.
„Klingt einleuchtend.“

Dann machte er einen grüblerischen Eindruck.

„Wenn das wirklich alles stimmt, was mir erzählt wurde, gibt es dann nicht auch einen anderen Billy? Also DEINEN Billy?“, fragte er neugierig, jedoch mit einem traurigen Unterton.

Mum seufzte und lächelte aufmunternd.

„Den gab es, ja.“

Sie schluchzte kurz leise auf und wischte ihre Augen mit dem Ärmel ihres Pullovers trocken.

„Gab?“, wisperte er zurück und man konnte sehen, dass er sich für seine Neugierde regelrecht ohrfeigen wollte.

Er wollte nicht, dass sie litt. Mum lächelte ein kleines Lächeln, als wolle sie ihm damit sagen, dass er sich nicht grämen sollte.

„Wie auch in dieser Welt hatten mein Billy und ich vor Jahren einen Autounfall gehabt, den er leider nicht überlebt hatte.“, beantwortete sie seine Frage mit ruhiger Stimme.

„Oh.“, entfuhr es Dad lautlos und er sprach sein Beileid aus.

„Es ist nicht mehr so schlimm. Charlie war seither für mich da gewesen und hat sich rührend um mich gekümmert.“

Mums Wangen waren leicht gerötet, als sie das sagte.

„Charlie?“

„Der andere Charlie.“, half ich Dad auf die Sprünge.

„Ach so. Entschuldigung, es ist nur alles so schwer zu begreifen.“

Ich glaubte etwas Enttäuschung aus seiner Stimme zu hören. Mum lachte kurz auf.

„Glaub mir, ich weiß, was du meinst.“

Wieder lachte sie, was Billy zum Lächeln und letztendlich auch zum Lachen brachte. Wir anderen zwei stimmten mit ein, nachdem wir uns kurz angesehen hatten.

Als wir uns alle beruhigt hatten, wischte nun auch Billy seine Tränenspuren und das Feuchte seiner Augen fort. Billy warf meinem zweiten Ich einen Seitenblick zu, dann sah er seine „Frau“ wieder an.

„Wie seid ihr eigentlich hier her gekommen? Also hier in…diese…Realität meine ich?“

Er verzog leicht das Gesicht, als würde es ihm Schmerzen bereiten, so etwas Unmögliches auszusprechen. Mein Doppelgänger antwortete ihm und er bekam Billys komplette Aufmerksamkeit.

„Bella und Andy haben die Fähigkeit zwischen den Welten zu reisen und…“

„Andy? Wer ist Andy?“, unterbrach Billy ihn verwirrt.

„Oh. Sorry. Das weißt du ja nicht.“, gab er schmunzelnd zurück. „Andy ist Bellas Zwillingsbruder. Sie kommen beide aus unserer Welt. Naja, wie dem auch sei. Andy kam mit Mum hier her, damit er…“ – meine andere Version deutete mit dem Zeigefinger auf mich – „…sich zurück verwandeln konnte.“

Billy riss panisch die Augen auf und schaute mit ängstlichem Gesichtsausdruck kurz zu Sarah, die ganz unbeeindruckt tat von dieser Aussage.

„Ja, ich weiß bescheid. Andy hat mir das Nötigste erzählt, bevor er mich mit hier her nahm und außerdem kannte ich auch ein paar Legenden. So habe ich mir den Rest mehr oder weniger selbst zusammen gereimt.“, beruhigte sie Dad und drückte seine Hand.

Billy seufzte erleichtert.

„Dann ist es ja gut.“

Nach einer kurzen Pause, sah er wieder nachdenklich aus und runzelte die Stirn.

„Bella hat also einen Zwillingsbruder. Mhh. Aber warum mischen sich die beiden in diese Welt ein? Versteht mich nicht falsch, ich bin…froh, dass sie es offensichtlich tun, denn sonst würdest du hier wahrscheinlich nicht vor mir stehen. Aber warum tun sie das, wenn die beiden nicht aus dieser Welt kommen? Was wollen sie hier?“, sinnierte Billy.

Sarah tauschte mit uns zwei – ihren Söhnen – Blicke aus.

„Was?“, wollte Billy wissen.

„Ja, also das ist etwas komplizierter.“, begann mein zweites Ich und erzählte die Geschichte von Bellas Vergewaltigung an ihrem 7. Geburtstag von dem anderen Joshua Uely, der in der anderen Welt zu seiner Familie zurückgekehrt war.

Er berichtete von Bellas großer Angst und das sie dadurch in die diese Welt hier her gelangte. Während Billy der Geschichte lauschte, wechselte sein Gesichtsausdruck von Entsetzen zu schäumender Wut.

Er hatte die Lippen zusammen gepresst und seine Augen zu schmalen Schlitzen verengt, während seine rechte Hand zu einer Faust ballte. Nachdem der andere Jake geendet, Billy sich nach ein paar Mal atmen wieder beruhigt hatte, teilte er uns weiterhin seine Gedanken mit.

„Also ist die Bella, die ich kenne, eigentlich gar nicht von hier?“

„Genau.“, bestätigte Jake Nummer zwei.

Plötzlich riss Billy die Augen auf und ein Leuchten trat in seine Augen.

„Jetzt wird mir so einiges klar.“, rief er erleichtert laut aus, dass wir von der Lautstärke alle drei zusammen zuckten.

„Was denn?“, wollte ich wissen.

„Weißt du Jacob, du wirst dich wahrscheinlich daran nicht mehr erinnern können, aber wir waren vor 11 Jahren bei Bellas Beerdigung dabei gewesen.“

Entsetzt riss ich die Augen auf.

„WAS?“, brüllten Mum, der andere Jake und ich im Chor.

Billy nickte ernst und erzählte weiter.

„Charlie und Renee haben sie…ich glaube…im Juni 1994 beerdigt. Aber ungefähr eineinhalb Jahre später tauchte Charlie mit einem kleinen Mädchen auf, dass Bellas eineiige Zwillingsschwester hätte sein können. Soweit ich allerdings wusste, hatte Charlie nur eine Tochter und nicht zwei. Das kam mir natürlich sehr seltsam vor, also hatte ich ihn darauf angesprochen.
Er sagte mir damals, dass Renee den Verlust von Bella nicht überwunden und sich in Waisenhäusern in Phoenix umgesehen hatte. Dabei fand sie eben dieses kleine Mädchen, das ihrer Tochter so ähnlich sah. Ihre Eltern waren wohl bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie zwei Jahre alt gewesen war. Somit hatte Renne die Kleine mit Charlie zusammen adoptiert und sie ebenfalls Isabella Marie Swan genannt.
Ich hatte gleich das Gefühl, dass an dieser Geschichte etwas faul war. Gut, alles wäre vielleicht durchaus möglich gewesen. Aber die Tatsache, dass dieses Mädchen Bella SO ähnlich sah und eine Waise war, stimmte mich doch sehr skeptisch.
Ich sagte allerdings nichts mehr dazu, da ich wusste, dass ich keine andere Antwort von ihm bekommen würde. Und mit den Jahren hatte ich es einfach stillschweigend akzeptiert.“

Eine kleine Pause trat ein, in der wir alle drei Billys Erzählung erst mal verdauen mussten. Besonders ich. Ich war bei Bellas Beerdigung dabei, hatte aber mit ihr Jahre später am Strand von La Push mit ihr gesprochen. Ich hatte das Verlangen, zu weinen, aber diese Nachricht schockte mich so tief, dass ich dazu einfach nicht in der Lage war.

Ich sah zu Mum und Jake Nummer zwei. Ihnen schien es nicht anders zu ergehen. Entsetzt und mit großen Augen schienen sie durch Billy hindurch zu sehen. Nach ein paar Sekunden blinzelten beide und schienen das Atmen wieder aufzunehmen.

„Oh“, hauchte Mum so lautlos, dass Billy es mit seinen normalen Ohren nicht hören konnte.

Nach einigen Sekunden, die mir endlos vorkamen, durchbrach Billy die Stille erneut mit seinen lauten Gedanken.

„Aber wenn das alles stimmt und die andere Bella, die hier aufgewachsen ist, einen Zwillingsbruder hat, müsste die verstobene Bella dann nicht auch einen haben? Also müsste es dann nicht auch einen Andy Swan aus dieser Welt geben? Aber wenn ich es mir so überlege, dann hat Charlie nie auch nur ein Wort über einen Andy verloren. Und wie gesagt, er hat nur ein Kind.“

Fragend und mit brennender Neugierde durchbohrte er und drei mit seinen schwarzen Augen. Doch kannten diese Antwort leider nicht und gaben ihm mit unseren Blicken zu verstehen, dass wir genauso ratlos waren wie er. Dann aber äußerte Mum plötzlich etwas, das ich nie in Betracht gezogen hätte.

„Da dieser Charlie hier nur ein Kind hat – oder hatte – lässt das nur einen Schluss zu.“

Gespannt warteten wir ab.

„Renee hat nur ein Kind geboren. Es gibt in dieser Welt keinen Andy Swan. Er hat hier nie existiert.“

Mit offenem Mund starrte ich sie an. So furchtbar diese Worte auch klangen, es war die einzige logische Erklärung, die auch zu Billys Geschichte passen würde. Tja, es existierten wohl doch nicht alle Personen zweimal.

Das war doch ein weiterer Beweis für eine andere Realität, oder nicht?

Mein Doppelgänger hatte traurig den Kopf gesenkt und ich konnte ein leises Schluchzen von ihm hören. Mum stand einfach nur da, mit glasigen Augen und schien ins Nichts vor sich zu starren. Billy hob seine rechte Hand und legte sie auf Mums linke.

„Möchtest du zur Beruhigung etwas Pfefferminztee trinken?“, fragte er lächelnd und versuchte sie von dem Schmerz, der in ihr tobte, abzulenken.
„Sie mochte ihn immer sehr gerne.“

Sie erwiderte mit trauriger Miene sein Lächeln, während eine Träne aus ihrem rechten Auge ihre Wange hinunter rann.

„Ich mag ihn auch sehr.“

„Wollt ihr auch eine Tasse Jungs, oder habt ihr zu tun?“, erkundigte sich unser Dad und fixierte uns abwechselnd.

Lächelnd registrierte ich, dass er auch den anderen Jake nun als eine Art „Sohn“ ansah. Ich wusste nicht weshalb, aber es machte mich sehr glücklich.

„Nein. Erst später. Wir trinken gerne eine Tasse mit.“, antwortete Jake und da fiel mir schlagartig wieder das Telefonat von vorhin ein.

Das würde noch was werden.

Billy setzte Teewasser auf, während Mum wie selbstverständlich als wäre sie nie weg gewesen Tassen und Teebeutel aus den Schränken holte und auf dem Tisch ins Wohnzimmer stellte. Lächelnd sahen wir unserer Mum dabei zu. Auch Billy lächelte und seufzte leise und glücklich.

Als der Tee aufgegossen wurde, setzen wir uns aufs Sofa und genossen die angenehme Stille, die uns vier umhüllte. Voller Glück sah ich zu meinen Eltern und ich verspürte ein Gefühl der puren Freude. Es war, als wäre Mum wieder zu uns zurückgekehrt, um mit uns ihr Leben weiter zu leben. Sie war wieder hier bei uns. In ihrem Zuhause. Unterbewusst war mir klar, dass dies natürlich nicht stimmte, aber diesen Gedanken schob ich jetzt weit von mir. Ich wollte dieses Gefühl von Familienglück, Ruhe und Frieden jetzt einfach genießen.

„Sarah?“, fragte Billy.

„Ja?“

Sie sah ihn freundlich an, doch die Trauer war in ihrem Gesicht noch leicht zu erkennen.

„Auch wenn du nicht…meine Sarah bist, könntest du wenigstens für eine Weile bei mir bleiben und lässt mich so Teil deines Lebens sein?“, fragte Billy unsicher, da er Angst vor einer Zurückweisung hatte.

In Mums Augen trat ein Leuchten und nun lächelte sie breit und offenbarte ihre Zähne. Gott, dieser Anblick ließ mich fast heulen, so glücklich war ich. Sie nahm mit beiden Händen seine rechte Hand und umschloss sie. Naja, sie versuchte es wenigstens.

„Ich hatte so sehr gehofft, dass du das fragst. Liebend gern.“

Billy seufzte und erwiderte nun ihr breites Lächeln.

„Erzähl mir von dir. Ich möchte einfach alles wissen.“, bat er sie drängend und aufgeregt.

In Dads Augen war ein Funkeln, das ich seit Jahren nicht mehr bei ihm gesehen hatte. Er wirkte mit einem Mal so viel jünger und glücklicher. Ich freute mich für ihn.

Mum erzählte alles was ihr einfiel und nach schönen verbrachten Stunden – Dads Neugierde war noch lange nicht befriedigt – gingen wir zu Bett. Naja, die Erwachsenen gingen zu Bett, während wir zwei Wölfe etwas anderes vor hatten.

Dad hatte Mum geradezu genötigt in sein Bett zu schlafen, während er sich mit dem Sofa begnügen wollte. Mum wollte protestierten. Aber Dad warf ihr so einen strengen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete und sie sich somit seufzend lächelnd ergab.

Als Mum ins Bad gegangen war, um sich etwas frisch zu machen, wisperte uns Billy noch zu: „Seid mir ja vorsichtig ihr zwei, was immer ihr auch tut.“

„Klar, Dad“, antworteten wir beide im Stereo, was uns alle drei zum Lachen brachte.

Wir zwei verabschiedeten uns, sagten Billy, er solle Mum von uns eine gute Nacht wünschen und dann verließen wir das Haus. Ich folgte meinem Doppelgänger in den angrenzenden Wald, wo er mir beibrachte, mich auch im ruhigen Zustand zu verwandeln. Das mit der Kleidung wollte er mir noch nicht zeigen, da er meinte, ich sei noch nicht gut genug dafür.

Wie mir schien übten wir stundenlang das Hin- und Zurückverwandeln, bis er mir schließlich per Telepathie mitteilte – wir waren nun beide Wölfe –, dass es jetzt drei Uhr wäre und wir los müssten. Schnell wie die Blitze rasten wir durch die Wälder und nach und nach kamen andere Stimmen hinzu, bis wir insgesamt zwölf Wölfe waren.

Ein wenig Angst hatte ich schon?
Was würde mich nun erwarten?
Und wie würde die Zusammenarbeit mit diesen ekelhaften Blutsaugern wohl sein?

Ekel und Abscheu stiegen in mir hoch, als ich an sie dachte. Nur ihretwegen gab es uns und unsere Aufgabe. Dreckige Parasiten!

°Du sagst es, Alter.°, hörte ich von Paul.

Ich wusste nicht wie, aber ich war in der Lage zu unterscheiden, welcher Paul gerade mit mir gesprochen hatte. Es war der aus der anderen Realität gewesen.

°So Leute, wenn wir dort sind, verhaltet euch ruhig und beobachtet sie genau. Sollten sie uns feindlich gesinnt sein, werden wir sie angreifen. Aber nur, wenn sie den ersten Schritt wagen. Wir treffen uns schließlich nicht, um einen Krieg zu führen.°

Das war die Stimme von Sam aus meiner Welt, dem Leitwolf des anderen kleineren Rudels.

Paul und Jared stimmten ihm zu, wenn auch mit Widerwillen.

°Für euch gilt dasselbe.°, befahl mein zweites Ich.

°Klar, Schatz°

Leahs Stimme.

°Leah nicht jetzt°, gab er verlegen zurück, während alle anderen Wölfe in Gedanken sich darüber amüsierten – ich mich auch.

Man sollte ja schließlich über sich selbst lachen können, oder?

Schon bald roch ich diesen widerlich süßlichen Geruch und leider folgten wir dieser Fährte. Ähh! Vampire stanken fürchterlich. Warum hab ich diesen Geruch damals bei diesem Cullen auf Bellas Frühlingsball nicht gerochen? Ich meine, dieser Gestank würde doch JEDES Nasenbein brechen!

Der Geruch wurde von Sekunde zu Sekunde stärker – und unerträglicher – und schon bald hatten wir fast die Lichtung erreicht, auf der sich 14 Vampire mit goldenen Augen befanden. Alle gab es in doppelter Ausführung. Mit Ausnahme einer blassen Frau mit bronzefarbenen glatten langem Haar und einem Kerl honigblonder Haarfarbe, der mich an einen Soldaten erinnerte.

Komisch, der Doktor dieser Cullen-Brut, der im Krankenhaus von Forks tätig war, hatte jetzt rote Haare. Naja, ein Doc hatte rotes Haar. Der andere war blond. Wer wohl jetzt woher kam? Ach, konnte mir auch jetzt egal sein. Ist sowieso unwichtig. Wir waren endlich am Feld angekommen.

Ein kurzes Knurren von Sam und meinem zweiten Selbst und dann traten wir in Formation langsam aus dem angrenzenden Wald heraus auf die Lichtung zu unseren Erzfeinden zu. Ein paar Meter vor ihnen stoppten wir. Der blonde Doc trat ein paar Schritte vor und sah uns mit einem freundlichen Lächeln an.

„Es freut mich, dass ihr euch entschlossen habt, zu kommen. Es ist mir bewusst, dass es so eine Zusammenarbeit noch nie gegeben hat, hoffe aber dennoch, dass sich diese Kollaboration nicht als schwierig gestalten wird. Mein Sohn Jasper hat von uns am meisten Erfahrung mit Neugeborenen unserer Art und wird und in einigen Kampftechniken unterweisen.“

Der blonde Blutsauger beendete seinen Eröffnungsvortrag und deutete mit einer Geste zu dem Soldaten, der jetzt hervortrat. Er lief vor uns hin und her und taxierte uns alle mit seinen Augen.

„Wenn ihr in 18 Tagen auf sie treffen werdet, solltet ihr folgendes beachten…“

Und so begann eine wie ich zugeben musste sehr lehrreiche Kampftrainingstunde, obwohl wir Wölfe nur zuschauten.


Der Ring des Totengräbers



Bellas POV - Paralleluniversum


(Reguläres Universum)




„Alles klar.“, antwortete Jake mit den kurzen Haaren und gab mir mein Handy zurück.

„Was war das?“, fragte ich skeptisch.

„Später. Kommt jetzt bitte erst einmal wieder zurück. Sonst komme ich euch persönlich holen. Und ihr wollt doch nicht, dass ein Krieg ausbricht.“, drohte Edward mir.

Ich wusste, dass er das notfalls tun würde, wenn wir nicht kommen würden. Bei dem Gedanken an einem Kampf, der Blut und Opfer fördern würde, drehte sich mir der Magen um.

„Okay, okay.“, beruhigte ich ihn legte auf.

Ich sah kurz zu Jake, der seine Mutter in seinen Armen hielt und meine Mundwinkel hoben sich. Dieses Bild war so schön. Es beinhaltete so viel Wärme, Liebe und Geborgenheit, dass es mich auch traurig machte. Aber ich versuchte, mir meinen Kummer nicht anmerken zu lassen. Bei diesem Bild, was ich sah, musste ich an meine Mutter denken – an meine beiden Mütter.

Die eine, sorglos und übermütig glücklich hier in Jacksonville. Die andere in der Parallelwelt in Phoenix, deren Liebe zu mir, durch ihre Starrsinnigkeit und Unfähigkeit zu Glauben – zu Vertrauen, getrübt ist.

Natürlich wusste ich, dass sie mich liebt. Sie kann sich mir gegenüber nur nicht öffnen, da sie sich dem Übernatürlichen nicht öffnen kann – oder will. Aber jetzt war nicht der passende Moment, um über Mutterliebe nachzudenken. Ich drehte mich wieder zu meinem Zwillingsbruder um.

„Wir müssen zurück.“

„Klar.“, seufzte er.

Da fiel mein Blick wieder auf das, was er anscheinend aus der anderen Welt noch mitgebracht hatte. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, was es war und taxierte es neugierig mit meinen Augen. Es sah aus, wie ein Terrarium, welches man für Schlangen oder Echsen verwendete. Warum hatte er das mitgebracht? Ich konnte leider nicht erkennen, welches Tier sich dort drinnen befand, dafür war es nicht hell genug. Ich konnte nur erkennen, dass das Terrarium gut mit Pflanzen, Gräsern, Blättern und schwarzer Erde bestückt war.

„Was ist das eigentlich?“, wollte ich wissen.

Er lächelte verschwörerisch und antwortete geheimnisvoll: „Lange Geschichte. Aber jetzt komm.“

Ohne, dass Andy etwas sagen musste, legte ich meine Hand auf seine Schulter. Im ersten Moment wollte ich ihm davon abhalten, da diese Fähigkeit ihm Schmerzen verursachte. Ich tat es allerdings nicht, weil mich ein kaum merkliches Zucken seiner Arme ablenkte. War etwas mit ihm nicht in Ordnung? Hatte er vielleicht Schmerzen. Gerade als ich fragen wollte, bekam ich eine Antwort.

°Nein. Es ist alles in Ordnung.°

Seinem Körper und seiner Stimme war nichts anzumerken, aber ich spürte, dass er log. Es wunderte mich, dass man sogar in Gedanken lügen konnte. Die Umgebung um sie herum flimmerte und schon standen wir im Haus der Cullens, wo uns 14 Vampire bereits erwarteten.

„Bella“, „Andy“, riefen Edward und Elizabeth erleichtert aus und ich ließ Andys Schulter los.

Sie kamen beide auf uns zu und mein tauber Edward nahm mich in die Arme, drückte mich fest an seine Brust und atmete tief ein. Ich konnte seine Erleichterung und Freude förmlich spüren. Doch im nächsten Moment verschwanden diese gutartigen Gefühle.

Sein ganzer Körper spannte sich an, nachdem die Wiedersehensfreude verklungen war und hielt mich auf Armeslänge von sich. Seine sonst so zarten Hände drückten etwas grob meine Schultern. Ängstlich schaute ich zu ihm auf. Oh ja, jetzt ging es los. Edwards Augen sprühten Funken, als er auch schon begann.

„Wie konntet ihr das uns nur antun!“, knurrte er mit unterdrücktem Zorn und ich spürte, dass sich der Druck an meinen Schultern erhöhte.
„Erst verschwindet ihr einfach und dann ignoriert ihr unsere Anrufe. Wir waren fast krank vor Sorge um euch und waren kurz davor den Vertrag zu…“

Edward stoppte und erst jetzt schien ihm aufzufallen, dass Andy etwas mitgebracht hatte. Seine Miene entspannte sich etwas und die Wut wich etwas aus seinen Augen. Er zog die Augenbrauen zusammen, nahm seine Hände von mir und deute auf den Glaskörper auf Andys Armen.

„Woher hast du denn das Tropenterrarium denn her?“

„Das würden wir alle gerne wissen.“, fügte Elli hinzu und in ihren Augen lag neben Zorn jetzt auch Neugierde.

Ich atmete erleichtert aus und war froh, dass dieses Terrarium sie von ihrer Wut auf uns ablenken konnte. Andy lächelte Elli liebevoll an und stellte sein Mitbringsel auf dem Boden ab.

„Ja, also das ist so…“, wollte Andy gerade seine Geschichte erzählen, als er von Elli unerwartet unterbrochen wurde.

„Was ist denn das?“, fragte sie bestürzt.

Alle sahen erst Elli, dann Andy verwirrt an. Andy runzelte die Stirn.

„Was ist…?“

Er folgte ihrem Blick, der auf seine beiden Handflächen gerichtet war.

„Was zum…? Seit wann…?“, stotterte er entgeistert mit großen Augen.

Er hob seine Hände näher an sein Gesicht, um sie besser betrachten zu können. Sie waren aufgeschürft, besonders an den Handballen.

„Du hast also keine Ahnung, wann und wie das passiert ist, oder?“, fragte Andy Edward.

Mein Bruder riss sich von dem Anblick seiner Wunden los und schaute Edward an.

„Äh…Nein…?“

Nun trat der rothaarige Carlisle an Andy heran, nahm die linke Hand in seine und musterte sie prüfend.

„Mhh… Die Wunde sieht noch sehr frisch aus. Sie könnten wahrscheinlich von einem Sturz stammen. Bist du vor kurzem hingefallen?“, fragte er ruhig.

„Das wäre eine gute Erklärung, aber ich bin nicht hingefallen. Da bin ich mir ganz sicher.“, antwortete er mit leichtem gereizten Unterton.

Elli zog eine Augenbraue hoch. Sie traute ihm wohl nicht, dachte, er würde es nur nicht zugeben wollen.

„Doch, ehrlich.“, schwor Andy ihr.

Da fiel mir etwas ein. Andy wusste nicht, wie und wann er sich die Wunden zugezogen hatte, aber vorhin, da war doch…?

„Kurz bevor wir wieder zu euch hierher zurückkehrten, hab ich gespürt, dass deine Arme gezuckt haben, als meine Hand auf deiner Schulter lag. Was war das?“, fragte ich Andy.

Alle Blicke waren auf ihn gerichtet und er verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere.

„Naja…“ – er biss sich auf die Unterlippe – „da hab ich plötzlich so ein kurzes Stechen in meinen Händen gespürt.“

Andys Blick fiel wieder auf seine Handflächen, dann sah er mich skeptisch an.

„Du willst mir doch wohl nicht sagen, dass es in diesem Moment passiert ist.“

„Warum nicht? Du sagst doch selber, dass du nicht hingefallen bist und die Wunde sieht außerdem noch nicht sehr alt aus.“

„Und wie soll das bitte schön gehen?“ Er klang selbstgefällig.

„Keine Ahnung.“

„Ist ja jetzt eigentlich nicht so wichtig. Es ist ja nichts Schlimmes.“, wehrte Andy ab und entzog Carlisle seine Hand.
„Was ist los? Du…“ – er deutete mit seinem Finger auf Alice‘ Edward –„…hast uns angerufen und was von Alice‘…“ – er runzelte die Stirn und sah unsicher zwischen den beiden kurz hin und her – „…Vision erzählt.“

„Und dann hat Jacob in eurem Gespräch etwas von ‚mitmischen‘ und was von einem Treffen erwähnt.“, fügte ich hinzu und schaute erwartungsvoll und auch etwas ängstlich.

Edwards zweites Ich an. Ich war ängstlich, weil ich die Antwort fürchtete, da ich schon so eine leise Ahnung hatte. Aber ich hoffte innerlich, dass ich mich irrte. Alice‘ Edward verzog kurz das Gesicht, holte tief Luft und bestätigte leider meine Vermutung.

„Alice – also beide – haben eine Armee von neugeborenen Vampiren gesehen. Viktoria selbst war nicht zu sehen. Aber wir nehmen an, dass sie damit zu tun hat, zumal du es schon gesehen hast. Wir glauben, dass Alice Viktoria deshalb in der Vision nicht gesehen hat, weil sie keine Entscheidungen für die Armee trifft. Dass sie sich bewusst zurück hält, damit wir nicht auf die Idee kommen könnten, dass sie hinter allem dahinter steckt.  Die Anzahl der der Neugeborenen wechselt. Im Moment sind es 40 bis 50. Es sind nicht gerade wenige und wenn sich diese Hunde nützlich machen wollen, dann sollen sie das auch tun. Es wäre nicht falsch deren Hilfe anzunehmen und daher haben wir für heute Nacht ein Treffen vereinbart. Sie müssen schließlich noch einiges lernen, wenn Viktorias Armee in 18 Tagen eintrifft. Ich bin mir sicher, dass diese Zusammenarbeit sehr interessant wird. So etwas hat es noch nie gegeben.“

Oh nein. In 18 Tagen würden 40 oder sogar 50 Vampire nach Forks kommen. Viktoria hatte so viele Vampire geschaffen, nur um mich zu töten. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was sie alles in der Stadt anrichten würden. Tausende Menschen würden sterben. Und das alles nur wegen mir. Aber was machten die Vampire jetzt gerade? Töteten sie gerade in diesem Moment unschuldige Menschen? Irgendwo?

Da fiel mir diese Mordserie in Seattle ein, von der ich vor ein paar Tagen in der Zeitung gelesen hatte. Das achtlose Herumliegen von verstümmelten blutleeren Leichen und das plötzliche Verschwinden von Menschen. Sollten etwa die Vampire für diese Mordserie verantwortlich sein? Und wenn sie in 18 Tagen hier sein würden, dann würde hier das Gleiche passieren? Und wenn sich die Cullens und jetzt auch noch die Werwölfe ihnen in den Weg stellten, gäbe es doch sicherlich Opfer. Immerhin sind sie doch zahlenmäßig überlegen.

Bei der Vorstellung Edward, Alice, Jacob oder irgendjemand anderen zu verlieren, drehte sich mir der Magen um. Sie würden alle ihr Leben riskieren und das nur meinetwegen. Ich war natürlich nicht begeistert darüber, dass sich so eine Situation wie bei James jetzt wiederholte, aber ich wusste, dass ich sie sowieso nicht davon abhalten konnte. Weder die Vampire, noch die Werwölfe. Andys Stimme riss mich aus meinen Horrorgedanken.

„Diese Mordserie in Seattle… ist…ich meine…sind dafür die Vampire verantwortlich?“, fragte er mit bleichem Gesicht.

„Höchstwahrscheinlich ja“, bekam er die knappe Antwort von Alice‘ Edward.

Andy drehte sein Kopf zu mir und ich sah in seinen Augen meine eigene Panik. Ich spürte, wie Edward mich tröstend von hinten an seine Brust zog.

Elli griff nach Andys Händen und sagte: „Hey, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Neugeborene Vampire sind sehr ungezügelt und ganz von ihrer Blutgier geblendet. Dabei lassen sie sich völlig von ihren Instinkten leiten. Sie sind einfach zu unerfahren und handeln ohne Sinn und Verstand. Glaubt mir, ich muss es ja wissen. Ich steckte auch einst in dieser Phase.“

°Na wie beruhigend und aufbauend.°, dachte Andy ironisch.

„Außerdem…“ – fuhr Elli fort – „…haben wir auch noch Jasper, der Kampferfahrungen mit Neugeborenen hat. Er wird uns für den kommenden Kampf in diesen Treffen trainieren.“

Sie blickte zu Jasper hinüber, der nickte und zuverlässig grinste.

„Elizabeth hat recht. Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Wir werden alle für diesen Kampf alle gut vorbereitet sein.“, versicherte er und plötzlich merkte ich, wie meine Beklemmung von mir abfiel.

Andy erging es ebenso. Auch wenn Jasper uns mit seinen Worten und seiner Gabe beruhigen wollte, waren unsere Ängste nur gedämpft und nicht ausgelöscht. Trotz all der Zuversicht und den nicht im Geringsten besorgten Gesichtern der Cullens, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Andy und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu.

In 18 Tagen würden Menschen, die ich liebte – eigentlich Vampire und Werwölfe – ihr Leben aufs Spiel setzen. Die Vorstellung Edward durch diesen Kampf für immer zu verlieren, löste in mir so einen heftigen Schmerz aus, dass ich nach Luft ringen musste, um wieder zu Atem zu kommen. Edwards besorgter Blick lag auf mir, doch ich ignorierte ihn. Meine Aufmerksamkeit galt jetzt Jasper, der ja anscheinend ein Experte für solche Situationen war. Ich holte Luft, um ihn etwas zu fragen, doch seine ruhige einfühlsame Stimme unterbrach mich.

„Wovor hast du solche Angst? Ich sagte doch, dass alles gut wird.“

Reflexartig legte ich meine Hände auf Edwards, die mich immer noch von hinten umschlangen und auf meinem Bauch lagen. Ich umklammerte seine Hände regelrecht, wollte, dass sie meinen Körper nie verlassen. Er sollte mich nicht verlassen. Besonders nicht für so etwas Gefährliches.

„Aber Edward muss doch nicht kämpfen, oder?“, flehte ich mit unterdrückter Panik.
„Ich meine, wie kann er denn auch? Er kann doch nichts mehr hören und so gut wie nichts mehr riechen. Da wäre doch ziemlich gefährlich, wenn er sich auf so einen Kampf einlassen würde. Oder nicht?“, fragte ich unsicher.

Jasper runzelte die Stirn und sah zum blonden Carlisle, der ebenfalls über meine Worte nachdachte. Gespannt schaute ich zwischen den beiden hin und her. Carlisle antwortete mir.

„Da hast du vielleicht nicht ganz Unrecht, Bella. Da Edward aus welchem Grund auch immer massiv eingeschränkt ist, wäre es wirklich besser, wenn er den Kampf fernbleiben würde.“

Während ich erleichtert ausatmete, merkte ich, wie Edwards Körper sich anspannte. Er hatte wohl Carlisles Antwort von seinen Lippen abgelesen und war anscheinend nicht sonderlich froh darüber. Ich löste meine Hände von seinen, drehte mich in seinen Armen um und schaute ihn flehend in seine undurchdringlichen Augen.

„Bitte. Ich würde es nicht ertragen, nicht zu wissen, wann und ob du wieder kommst. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn du mich verlässt. Ganz egal, für wie lange. Ich bin schon einmal vor Schmerz und Angst verrückt geworden.“, bat ich ihn und sprach dabei etwas langsamer, um sicher zu gehen, dass er mich auch verstand.

Ich legte meine Hand an seine Wange und hoffte um seine Einsicht. Sein Blick bekam einen traurigen, besorgten und schuldbewussten Ausdruck.

‚Super Bella!‘, schalt ich mich selbst. Nicht nur, dass du ihn mit deinen Worten zwingst eine Entscheidung zwischen dir und seiner Familie zu stellen. Nein, obendrein verletzt du ihn auch noch. Ich war wirklich selbstsüchtig. Aber ich wollte ihn nun mal in Sicherheit und bei mir wissen.

Als ich seinen Blick sah, taten mir meine Worte auch schon leid und ich überlegte, sie wieder zurückzunehmen. Doch dann wurden Edwards Augen weich und ein kleines Lächeln zierte sein Engelsgesicht. Er nahm meine Hand von seiner Wange, führte sie an seinen Mund und küsste sie.

„Wenn es dir so viel bedeutet, dann soll es wohl so sein. Du bist für mich eben die Nummer Eins.“

Er drückte meine Hand und ich lächelte ihn erleichtert an.

„Aber ich werde dennoch heute Nacht zum Treffen mitgehen. Als reine Vorsichtsmaßnahme natürlich.“, fügte Edward noch hinzu.

Ich verzog das Gesicht. Ich merkte, dass hinter dieser Aussage mehr dahinter steckte. Auch hatte er sich anspannt nach Carlisles Bitte, sich aus dem Kampf herauszuhalten.

Hatte er sich etwa auf diesen Kampf gefreut?

Ich sah zu den beiden Emmetts, dessen Augen vor Begeisterung funkelten und beide grinsten, als wäre heute Weihnachten und Ostern an einem Tag. Dann sah ich noch zum anderen Edward, der ebenfalls dieses gewisse Funkeln in seinen Augen besaß. Ich drehte meinen Kopf wieder zu meinem Edward. Ja, es fiel ihn sehr schwer auf diesen Kampf zu verzichten.

Aber warum freuten sie sich nur auf so was?
Das ist doch barbarisch!

Nein, ich verstand es einfach nicht.

Edward sah meinen wohl etwas verwirrten Gesichtsausdruck, lächelte aufmunternd und gab mir einen kurzen Kuss, bevor er sich von mir löste und sich händchenhaltend neben mich stellte.

„Wenn Edward nicht kämpfen wird, kann dann Elli nicht auch aussetzen?“, fragte Andy, biss sich aber gleich auf die Lippe, als hätte er es bereut, diese Frage überhaupt laut auszusprechen.

Elli sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Naja, ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie du gegen unkontrollierte durstige Vampire kämpfst. Außerdem hast du mir doch am Neujahrstag was versprochen.“

Mit jedem Wort wurde er leiser und sein Gesicht röter. Ihm war mehr als unwohl in diesem Moment und das nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren, war kein sehr schönes Gefühl.

„Oh.“, entfuhr es Elli und klang dabei etwas enttäuscht.

Was hatten die Vampire nur alle mit dem Kämpfen? Waren alle von Natur aus so waghalsig? Elizabeth blickte fragend zu Jasper, der die Schultern zuckte.

„Es macht nichts, wenn du auch aussetzt. Der Kampf wird ein Kinderspiel und wenn uns die Hunde auch noch helfen, wird es noch einfacher. Keine Sorge.“

Beim letzten Satz sah er Andy tief in die Augen und wieder merkte ich, wie Jasper mit seinen – und so auch mit meinen – Gefühlen spielte. Elli lächelte Andy mit einem schiefen Lächeln an. Er versuchte es zu erwidern, doch seine Reue in seinem Gesicht, ließ ein ehrliches Lächeln einfach nicht zu.

„Tut…“

Mit einer Hand auf dem Mund unterbrach Elli Andys Entschuldigung sofort und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich möchte jetzt keine Entschuldigung von dir hören. Du hast ja recht. Ich werde mein Versprechen halten. Außerdem bin ich glücklich, wenn du glücklich bist.“

Sie legte ihre Arme um seinen Hals, während Andy sie misstrauisch betrachtete und er seine Arme um ihre Taille legte.

°Eben sah das aber nicht danach aus.°, hörte ich und ich musste den Drang unterdrücken, meinem Bruder bestätigend zuzunicken.

„Also. Da das ja geklärt ist, was hast du da eigentlich mitgebracht?“, durchbrachen beide Emmetts die etwas gedrückte Stimmung in der Luft, um Andy abzulenken.

Es funktionierte.

Beide grinsend sahen sie Andy an und er konnte einfach nicht anders, als ihr Grinsen zu erwidern. Das war so typisch für Emmett – egal welcher. Wie ernst die Lage war, immer blieben die beiden wohl von jeglicher negativen Stimmung unbeeinflusst und liefen unbeschwert durch die Welt.

Andy löste sich von seiner Freundin, hob den Glaskasten auf und begann zu erzählen.

„Als wir bei den Wölfen waren und Jacob mit Bella über sein anderes Ich – also der, der sich gerade verwandelt hatte – gesprochen hatte, sah ich einen blauen Schmetterling. Völlig fasziniert von ihm, begann ich ihm zu folgen und er führte mich in den Wald hinein zu einer kleinen Lichtung, auf der ein kleines zerfallenes Holzhaus stand. Da drinnen fand ich eben dieses Terrarium mit vier Kokons darin. Als ich es anfasste, habe ich einen kleinen Einblick in die Vergangenheit gehabt.“

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort.

„Es hat Joshua Uely gehört.“

Ich zuckte zusammen und merkte, wie meine Augen sich vor Schreck weiteten. Edward legte einen Arm um mich und drückte mich an sich. Fast hätte ich einen Schreckenslaut ausgestoßen. Aber dann rief ich mir wieder in Erinnerung, dass er tot war. Er konnte mir nichts mehr antun. Und das, was er zurück gelassen hatte, waren nur Schmetterlinge. Nichts Bedrohliches. Je mehr mir das bewusst wurde, desto ruhiger wurde ich wieder.

„Naja, und ich dachte, dass, wenn ich das Terrarium mitnehmen würde, es Bella dabei helfen könnte, endlich ganz mit der Geschichte abzuschließen. Dann hab ich als nächstes schnell Sarah Black geholt, damit sie dem anderen Jacob dabei helfen konnte, sich endlich wieder zurück zu verwandeln. Mein Plan hat schließlich geklappt und dann hast du uns angerufen, Edward.“

„Und was sind das für Schmetterlinge?“, fragte ich zaghaft, doch mit fester Stimme.

„Daraus werden ebenfalls blaue Morphos schlüpfen.“, antwortete er.

Ich runzelte die Stirn.

„Komm her und berühr es mal.“

Unsicher trat ich auf das Terrarium in Andys Armen zu und berührte den Deckel, als ich es sah.

Ich blinzelte, als alles vorbei war.

„Verstehe. Darum die Anhänger.“, murmelte ich vor mich hin.

Leicht lächelte ich meinen Bruder an.

„Danke, dass du es mitgenommen hast. Vielleicht kann mir das wirklich dabei helfen.“

„Für dich immer.“, sagte Andy nur verschmitzt lächelnd.


Wieder zuhause bei Charlie hatten wir das Terrarium in meinem Zimmer wieder vollständig aufgebaut, damit die vier Kokons wieder ausreichend Licht und „Regen“ bekamen. Neugierig und fasziniert beobachtete ich die werdenden Schmetterlinge durch die Glasscheibe und freute mich über das Wunder der Natur. Auch wenn es für mich etwas falsch war, das Ganze nicht in der natürlichen Umgebung stattfinden zu lassen.

Nachdem alles im kleinen tropischen Regenwald seine Ordnung hatte, gingen wir vier hinunter, um für Charlie Abendessen zu kochen. Naja, Andy und ich kochten, während unsere Vegetarier uns dabei zusahen, was uns wiederrum etwas nervös machte. Während Andy und ich Chili Con Carne machten, überlegte ich, wo Charlie hingegangen sein könnte.

Entweder war er bei der Arbeit, oder er war zu Billy gefahren, um Andys Geschichte weiter zu erzählen und somit all das Schreckliche leichter verarbeiten zu können. Bei dem Gedanken, wenn er nun auf Sarah treffen würde, zuckten meine Mundwinkel, wenn ich mir Charlies entsetzten Gesichtsausdruck vorstellte. Aber das Schmunzeln verging mir auch gleich wieder. Denn schließlich mussten Billy und nun auch Sarah mit Andys Geschichte zurechtkommen.

Aber heißt es nicht: Geteiltes Leid, ist halbes Leid?

Ob das auf Andy und mich zutreffen würde, war allerdings fraglich. Denn wenn wir jeweils fühlten, was der andere fühlt, verdoppelt sich dann nicht der Schmerz, anstatt dass er sich halbiert?

Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Als alles servierfertig und der Tisch gedeckt war, betrat Charlie das Haus und legte seine Arbeitskleidung und Waffe ab. Jetzt wusste ich, wohin er geflüchtet war. Anscheinend fühlte er sich noch nicht bereit dazu darüber zu sprechen. Ich seufzte.

„Hi Dad.“, kam es von uns Zwillingen im Stereo.

„Hallo ihr beiden. Oh!“, sagte er überrascht, als er Edward und Elizabeth ebenfalls in der Küche antraf.

„Guten Abend Charlie.“, begrüßten beide mit einem höflichen Lächeln.

„Elizabeth. Edward.“, antwortete er kurz angebunden und betrachtete beide mit einem wachsamen Blick.

Obwohl Charlie die Sache mit der Verlobung wohl akzeptiert hatte, konnte er Edward und auch Elizabeth wohl doch noch nicht ganz vertrauen. Es war einfach das Beste, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Es würde sich schon alles finden. Das redete ich mir zumindest in Bezug auf Charlie ein.

Edward und Elli entschuldigten sich wie üblich vom Essen und Charlie sagte wie üblich nichts dazu. Das Essen war an sich ziemlich ruhig. Keiner von uns wusste so recht, was er sagen sollte, sodass die sonst so angenehme Stille zwischen uns heute etwas bedrückend wirkte.

Weder Andys Vergangenheit war Thema, noch was wir den heutigen Tag gemacht hatten. Auch starrte Charlie die ganze Zeit auf seinen Teller und stocherte eher in seinem Essen herum, als dass er es aß. Er war wirklich sehr nachdenklich. Unter normalen Umständen wäre das etwas beängstigend gewesen, aber das war hier war nun mal anders.

Als wir fertig gegessen hatten, fragten wir nur, ob wir aufstehen konnten, was Charlie mit einem Nicken quittierte. Wir wuschen noch unsere Teller und unser Besteck ab, bevor wir die Treppe nach oben gingen, gefolgt von unseren Vampiren. Die Treppe nach oben gehend warfen Andy und ich nochmals ein Blick auf Charlie, der mit einem immer noch leicht verstörten Ausdruck am Küchentisch saß und mit seinem Essen spielte.

Seufzend gingen wir in mein Zimmer. Er brauchte sicherlich nur Zeit, sagte ich mir.

„Müsst ihr heute wirklich dorthin?“, fragte Andy Edward und Elli.

Er hatte schon das Gefühl, dass Elli auch zu diesem Treffen gehen würde, obwohl sie sich gegen den Kampf entschieden hatte. Doch Andy glaubte ebenso wenig wie ich, dass es sich hierbei um reine Vorsichtsmaßnahme handelte. Wahrscheinlich wollten sie wenigstens einmal etwas Spaß beim Training haben. Elli und Edward nickten bestätigend. Andy und ich seufzten resignierend.

„Wo werden wir vier eigentlich sein, wenn der Kampf losgeht?“

„Mhh…“
Elli legte den Kopf schräg.
„Hier bei Charlie wäre es zu gefährlich, bei uns ebenso.“

„Vielleicht könntet ihr solange auf der anderen Seite bleiben.“, schlug Edward halbherzig vor.

Ein Blick von uns beiden war Antwort genug. Nie im Leben würden wir uns verziehen, während andere ihr Leben wegen mir riskieren würden. Ausgeschlossen.

„Okay, aber wo dann?“, seufzte Edward.

„Wie wär’s weiter oben im Gebirge?“, warf Elli ein.

Sechs Augenpaare starrten sie verblüfft an.

„Okay…Gut. Ich hab da auch schon eine Idee, wie wir weiter verfahren können.“, wollte sie weiter fortführen, wurde jedoch von Andys Gähnen unterbrochen.

Sie lachte auf.

„Ich sehe, dass wir das alles nicht mehr heute unbedingt weiter besprechen müssen.“

„Aber wir sind noch gar nicht müde.“, gab mein Bruder trotzig zurück.

Aber als ich ebenfalls ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte, hob Edward nur eine Augenbraue.

„Ach nein?“, sagte er zweifelnd mit einem Lächeln.

Ich schüttelte den Kopf.

„Wir wollen ja schließlich mit kommen.“, widersprach ich.

Aber beide schüttelten nur belustigt ihre Köpfe.

„Das wird glaube ich nichts.“, meinte Elli.

Sie hatten recht. Andy und ich waren einfach viel zu müde, um heute Nacht noch irgendwo hin zu gehen. So ein Mist aber auch. Seufzend gaben wir auf, sahen und kurz und in die Augen und verschwanden ins Bad, um uns für die Nacht fertig zu machen.

Ich bekam nur noch nebenbei mit, wie Andy mit Elli später nach unten ins Wohnzimmer gingen, da er ja auf dem Sofa schlafen musste. Wie ich in Edwards Armen lag, er mir eine gute Nacht wünschte und seine Samtstimme mein Schlaflied summte. Ja, all das zog an mir wie im Nebel vorbei. Ich musste wirklich ziemlich geschafft sein.

Kurz bevor ich die Augen schloss und einschlief fragte ich mich, wie Edward es schaffte wach zu bleiben, da er ja wieder schlafen konnte.

Ich schlief schon tief und fest, als mich ein helles blinkendes weißes Licht störte. Je länger es blinkte, desto aufdringlicher wirkte es auf mich. Irgendwann konnte ich es nicht mehr länger aufschieben und musste leider meine Augen öffnen. Ein bisschen ärgerte ich mich darüber, da ich so schön geschlafen hatte. Träge blinzelte ich mit meinen noch müden Augen die Zimmerdecke an, an der ich wieder dieses helle blinkende Licht mit Schatten des Laubbaumes und meines Fensters sah.

Moment, ich dachte, das war nur in meinem Traum, aber ich war doch jetzt wach, oder nicht?

Ich tastete mit meiner Hand in meinem Bett nach dem kalten, harten, gemütlichen Stein. Als ich meinen Kopf jedoch zur Seite drehte, lag niemand neben mir. Ein Blick auf meinem Wecker, sagte mir, dass es jetzt 03.24 Uhr war.

Ich seufzte. Er war also schon aufgebrochen. Ohne mich. Verdammt, wo kam denn nur dieses Licht her? Ich richtete mich auf, stand auf und ging zu meinem Fenster. Das blinkende Licht schien aus dem umliegenden Wald zu kommen.

Sollte dort irgendjemand oder irgendetwas sein?
Vielleicht war das Blinken eine Art Hilferuf?

Ich wusste nicht warum, aber irgendetwas sagte mir, das dem nicht so war. Weibliche Intuition? Ob mich jetzt mein Gefühl täuschte, oder nicht. Ich wollte wissen, was es mit diesem blinkenden hellen Licht auf sich hatte. Es war nun ziemlich gut, dass Edward jetzt nicht da war, da er diesen Nachtspaziergang sicherlich nicht gut heißen würde. Aber wenn ich jetzt die Entscheidung traf, der Sache auf dem Grund zu gehen, würde Alice das dann nicht sehen und sofort Edward alarmieren? Egal, sagte ich mir. Ich würde es trotzdem versuchen.

So leise wie möglich, holte ich meine Sachen aus dem Schrank und zog mir was drüber und zog mir meine Schuhe an. Als ich fertig war öffnete ich leise die Tür, ging auf Zehenspitzen den Flur entlang und die Treppe hinunter. Dabei ließ ich bewusst die eine Stufe aus, die immer knarrte, wenn man sie betrat. Ich wollte ja nicht, dass Charlie aufwacht. Unten angekommen, ging ich weiter Richtung Hausflur.

Auf halbem Weg dorthin, schaute ich nach rechts ins Wohnzimmer, wo Andy auf dem Sofa lag und friedlich schlief. Sollte ich ihn wecken? Mein Instinkt riet mir, es nicht zu tun und wieder hörte ich auf ihn. Jedoch musste ich mir eingestehen, dass ich immer noch mit meiner Entscheidung alleine zu gehen haderte, als ich die Haustür leise hinter mir geschlossen hatte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenigstens zu zweit in den Wald zu gehen…

Ich schüttelte den Kopf und sah das blinkende Licht vor mir, welches aus dem Wald heraus strahlte. Ich setzte so selbstsicher wie möglich einen Fuß vor dem anderen und war froh, dass es in dieser Nacht nicht regnete, sondern nur ein mäßiger Wind blies. Eigentlich war es viel zu dunkel, um irgendetwas sehen zu können, doch das Blinken des Lichtes erhellte die Umgebung, sodass ich schemenhaft die Bäume in meiner Nähe ausmachen konnte.

Langsam trat ich in den Wald hinein, darauf achtend nicht zu stolpern. Zugleich wollte ich mich auch etwas beeilen für den Fall, dass Edward jeden Moment auftauchen konnte. Ob er schon auf dem Weg hierher war? Aber vielleicht, dachte ich, würde er auch nicht kommen und Alice nichts sehen können, weil sie mit den Wölfen zusammen waren.

Ich beschloss etwas schneller zu laufen, stolperte natürlich gleich über eine Wurzel und fiel auf den Waldboden. Ich hatte vergessen, mehr auf dem Boden zu achten.

Mist.

Ich rappelte mich wieder auf und klopfte den Sand von meiner Hose und wischte mir den Dreck an meinen Händen an ihr ab. Zum Glück waren meine Hände nicht aufgeschürft. Ich sah wieder in die Ferne zur Lichtquelle, die die Nacht erhellte und trat den Weg dorthin wieder an. Jetzt versuchte zügiger zu laufen und gleichzeitig auf Steine und Wurzeln zu achten. Überraschenderweise fiel ich kein einziges Mal mehr hin.

Immer tiefer schien in den Wald zu gehen und je näher ich dem Licht kam, desto heller wurde mein Weg von ihm erleuchtet. Die Bäume, die anfangs verschwommen und dunkel wirkten, wurden jetzt klar und strukturiert beleuchtet. Je weiter ich voran schritt, desto mehr fiel die Angst etwas ab, da das Licht etwas Tröstliches hatte. Ich hatte keine Ahnung wie lange ich lief, doch irgendwann hatte ich mein Ziel erreicht, sodass das Licht mich nun regelrecht blendete und ich mir die Hand vor Augen halten musste.

Mit zusammen gekniffenen Augen legte ich die letzten Meter zurück und schaute auf dem Boden. Mitten im tiefen Wald lag auf dem Boden ein Ring, der in regelmäßigen Abständen im hellen Licht erstrahlte. Ich fragte mich nur, wie der wohl hierher kam?

Und warum leuchtete er überhaupt. Ich bückte mich und hob den Ring vom Boden auf. Sobald ich ihn berührt hatte, erstrahlte der Ring nicht mehr so grell, sodass ich meine Augen wieder ganz öffnen konnte. Ich drehte ihn zwischen meinen Fingern und nahm ihn genau in Augenschein.

Er war viel zu groß für meinen Ringfinger, also gehörte er wahrscheinlich einem Mann – oder einer Frau mit ziemlich dicken Fingern. Der Ring war silberfarben und hatte eine Gravur. Eine silberne Linie – oder zwei – kreuzten sich, verschlangen ineinander und bildeten so ein Muster. Es war nicht der Ring an sich der leuchtete, sondern die Gravur. Auf der Innenseite war nichts sehen. Nachdenklich strich ich über die schwächer leuchtende Gravur des Ringes und spürte deutlich die Erhöhungen durch die  Linie.

Da sah ich etwas.


Ein Mann mit dunkelblondem Haar und blauen Augen ist im Wald und beginnt mit einem Spaten im Wald ein Loch zu graben. Am Ringfinger seiner rechten Hand trägt er einen silberfarbenen Ring mit einer Gravur darauf.

Nächstes Bild.

Der Mann baut etwas aus Holz. Es sieht aus wie eine länglich schmale Kiste. Während er die Nägel in das Holz hämmert, tropft ihm der Schweiß von der Stirn.

Nächstes Bild.

Der Mann schiebt die fertige Holzkiste in das dafür passende gegrabene Loch. Als er die rechte Hand wieder vom Holz wegnehmen will, bleibt er mit dem Ring am Kopf eines kleinen Nagels hängen, der aus dem Holz noch herausragt. Der Mann wundert sich und zieht stärker die Hand zurück, ohne nachzusehen, warum er mit der Hand irgendwo festhängt.

Durch das Ziehen löst sich immer weiter der Ring von seinem Finger, der nicht fest genug an ihm steckte, da die Finger etwas schmal sind. Schließlich kann der Mann erfolgreich seine Hand zurückziehen und hört kurz darauf ein klirrendes Geräusch. Er bemerkt, dass der Ring fehlt und schaut ins Loch auf dem Boden der Kiste. Er sieht den Ring dort liegen, zuckt nur mit den Schultern und macht einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. Zum Schluss legt er den Deckel auf die Kiste.

Nächstes Bild.

Andy, der weint und zittert, wird rücksichtslos in die Holzkiste geworfen. Der Mann schließt ihn darin ein und bedeckt die Kiste wieder mit Erde.

Nächstes Bild.

Es ist tiefe Nacht und Andy taucht aus dem Nichts auf dem Waldboden auf. Seine linke Hand ist zur Faust geballt und seinen geschlossenen Augen rannen stumm Tränen. Er entspannt sich etwas und öffnet die Faust, aus der der Ring herausfällt, den der Mann in der Holzkiste zurück gelassen hat. Andy verschwindet wieder und der silberne Ring mit der Gravur bleibt auf dem Waldboden zurück.



Erschrocken von den Bildern die ich sah, keuchte ich auf. Der Ring, den ich jetzt hier in den Händen hielt, war kein gewöhnlicher Ring. Es war jener, der von Andys Totengräber mal getragen wurde. Ich konnte nicht verhindern, dass ich bei diesem Gedanken erbleichte.

Aber warum leuchtete er?
Sollte er etwa gefunden werden?
Sollte er etwa von MIR gefunden werden?
Warum?


„Bella, Liebste. Wach auf. Es ist Zeit aufzustehen.“, hörte ich eine mir bekannte Stimme flüstern.

Ich drehte mich um, sah jedoch niemanden. Dann spürte ich einen leichten kalten Druck auf meinen Lippen. Ich berührte sie und schloss dabei die Augen.


Als ich sie wieder öffnete, sah ich Edwards lächelndes Gesicht vor mir, was vom trüben Tageslicht beschienen wurde. Augenblick. Tageslicht? Wieso war es denn jetzt auf einmal Tag?

„Edward?“, brachte ich verdutzt krächzend heraus.

Er grinste mich nur an und beugte sich zu mir herunter, um seine Lippen mit meinen zu berühren. Wohlig seufzend erwiderte ich den Kuss.

„Du musst dich für die Schule fertig machen. Es ist allerhöchste Zeit.“, sagte Edward mir, nachdem er seinen Mund von meinem gelöst hatte.

Was? Ich runzelte die Stirn und sah zu meinem Wecker. Er hatte recht. Wenn ich mich nicht beeilte, würde ich noch zu spät kommen. Stöhnend schlug ich die Decke zurück, richtete mich auf und stieg aus meinem Bett. Während ich meine Sachen zum Anziehen und fürs Bad raussuchte, dachte ich nach.

Seufzend kam ich zu dem Entschluss, dass die Sache mit dem Ring in Andys Grab wohl doch nur ein Traum gewesen war. Ein besonders merkwürdiger Traum. Aber jetzt war mir klar, dass das alles gar nicht in Wirklichkeit passieren konnte, da ja die Gravur geleuchtet hatte. Und das war ja nun mal in der Realität unmöglich.

Ich hatte gerade alles gefunden, mir meine Sachen unter dem Arm geklemmt und wollte gerade zum Bad gehen, als Edwards Stimme mich inne halten ließ.

„Bella?“

Ich drehte mich zu ihm um.

„Mhh?“, machte ich nur.

„Woher hast du denn den Ring?“, fragte er und nickte zu meiner Hand.

Was meinte er denn damit? Den Verlobungsring? Aber warum fragte er dann? Ich schaute zu meiner rechten Hand und riss erstaunt meine Augen auf. An meinem Daumen steckte der silberne Ring mit der Gravur. Allerdings leuchtete sie nicht mehr, wie in meinem Traum. Nun sah der Ring ganz normal aus. Ich zog die Augenbrauen zusammen.

Wie kam der Ring aus meinem Traum an meinen Daumen?
Oder war das alles doch passiert?

Ich wusste im Moment nicht, was von den Geschehnissen real war und was nicht. Ich schüttelte den Kopf. Dafür war jetzt wohl keine Zeit.

„Später.“, sagte ich nur an Edward gewandt und verließ mein Zimmer.

Während ich mich für die Schule fertig machte, fragte ich mich die ganze Zeit, warum ich diesen Ring nun hatte. Aber so viel ich auch darüber nachdachte, zu einer befriedigenden Antwort kam ich leider nicht. Im Wohnzimmer begrüßte ich meinen Bruder, der schon am Frühstückstisch saß und seine Cornflakes löffelte.

Er machte einen eher verbissenen Gesichtsausdruck und ich sah, wie er sich unauffällig mit der anderen Hand sich die Seite rieb. Hatte er Schmerzen? Überrascht musste ich feststellen, dass ich nichts spürte. Wie merkwürdig. Edward saß ihm gegenüber und schien nichts davon zu bemerken.

„Morgen. Wo ist Elli?“

„Morgen, Bella. Elli ist gerade auf der Jagd.“, antwortete Andy etwas mürrisch und versuchte dabei normal auszusehen.

Als ich mich ebenfalls an den Tisch setzte, um zu Essen, bemerkte natürlich auch Andy den Ring an meinem Daumen, als ich den Löffel zu meinem Mund hob. Er warf mir einen fragenden Blick zu.

°Wenn wir im Transporter auf dem Weg zur Schule sind.°, sagte ich ihm per Telepathie und er wendete sich wieder seinem Frühstück zu.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Edwards Blick misstrauisch zwischen uns beiden hin und her ging. Er ahnte wohl, dass etwas los war. Als wir fertig waren, warfen wir uns unsere Rücksacke über dem Rücken, zogen unsere Jacken an und verließen das Haus, nachdem ich den Schlüssel für den Transporter mitgenommen hatte. Edward sah mich fragend an.

„Wieso hast du den Schlüssel mitgenommen? Ihr wisst doch, dass ich mit euch zur Schule fahre.“
Er klang verwirrt und auch etwas enttäuscht, wie mir schien.


Wir sahen zum silbernen Volvo, der auf der Auffahrt stand. Andy riss mir die Schlüssel aus meiner Hand und sagte zu Edward: „Bist du böse, wenn wir mal heute nicht mit dir fahren? Außerdem muss ich was machen, sonst schlaf ich gleich wieder ein.“, scherzte Andy und lächelte.

„Selbstverständlich könnt ihr das. Es wundert mich nur, da ihr sonst immer mitfährt.“

Edward versuchte lässig zu klingen. Doch ich konnte den leisen nervösen Unterton in seiner Stimme heraus hören. Nein, mich konnte er nicht täuschen.

„Okay, dann bis gleich in der Schule.“, sagte ich und gab Edward noch einen Kuss, bevor ich Andys Hand nahm und mit ihm zum Transporter ging, während ich Edwards Blick auf uns spüren konnte.

Da merkte ich, wie Andys Daumen über meinen und somit über die Gravur des Ringes strich. Ich blickte ihn und sah, wie er fasziniert und neugierig den Ring betrachtete.

Plötzlich spürte ich etwas. Ich konnte es nicht definieren. Es war nur ein Gefühl. Ein sehr angenehmes Gefühl.

Am Transporter angekommen, stiegen wir ein. Wir waren angeschnallt und bereit zur Abfahrt, als Andy wieder seine Augen auf den Ring richtete.

°Sagst du es mir jetzt?°, fragte er in meinem Kopf und war froh, dass unser Gespräch gleich zu Beginn so geführt wurde, sodass Edward erst mal nichts mitbekam.

Wenn wir uns normal unterhalten würden, konnte er uns vielleicht trotzdem hören, obwohl wir auf dem Highway fuhren und er hinter uns war. Ich nickte und Andy startete den Motor und fuhr die Auffahrt hinunter auf die Straße. Im Rückspiegel sahen wir den Volvo, der an unserer Stoßstange zu kleben schien. Andy warf mir einen Blick zu, verdrehte die Augen und ich seufzte.

°Gut, hör zu. Gestern Nacht bin ich von einem hellen Licht aufgewacht. Ich wollte unbedingt herausfinden, was die Ursache dafür war und habe mich schließlich rausgeschlichen. Ich bin in den Wald zu der Lichtquelle gelaufen und habe den Ring auf dem Waldboden gefunden.°

Nachdenklich drehte ich den Ring an meinen Daumen mit meinen Fingern der anderen Hand.

°Es war die Gravur des Ringes, die geleuchtet hatte, damit ich ihn finden konnte. Als ich ihn aufhob und die Gravur berührte, hab ich etwas gesehen.°

Andys Hände verkrampften sich etwas, doch ihr fuhr unbeirrt fort.

°Einfach gesagt, habe ich den Besitzer des Ringes gesehen.°

Ich seufzte.

°Es ist der, der dich begraben hat.°

Andy holte erschrocken Luft, schaute mich aber nicht an, sondern starrte weiter stur geradeaus auf die Straße.

°Als er die fertig gebaute Kiste ins Loch geschoben hatte und er seine Hand wieder wegnehmen wollte, blieb er mit dem Ring an einem Nagel hängen. Er zog so lange, bis der Ring an seinem Finger abfiel und er in der Kiste landete. Dann habe ich dich gesehen, wie du in die Kiste hineingeschubst wurdest und du irgendwann nachts mit dem Ring in deiner Faust irgendwo auf dem Waldboden wieder aufgetaucht bist. Dann bist du allerdings gleich wieder verschwunden, aber hast den Ring im Wald zurück gelassen. Kannst du dir das irgendwie erklären?°

Andy runzelte die Stirn und überlegte.

°Okay. Es ist also der Ring von diesem Mistkerl. Mhh… Vielleicht ist es möglich, dass ich im Dunkeln, als ich begraben war, den Ring ertastet und ihn so verzweifelt an mich genommen hatte. Daran erinnern kann ich mich allerdings nicht mehr. Die Angst damals hat eben alles andere unwichtig werden lassen, wenn du verstehst was ich meine.°

°Natürlich.°

°Gut, ich hatte also den Ring. Ja! Ich erinnere mich doch noch an etwas. Ich weiß noch, dass ich für einen kurzen Moment frische kalte Luft an meiner Haut gespürt hatte. Es tat so gut, dass ich mich sofort etwas entspannte. Ich traute mich allerdings nicht die Augen zu öffnen, da ich befürchtete, dass dieser Traum – oder was auch immer es war  - sonst verschwinden würde. Naja und kurze Zeit später war die kühle Brise auch wieder weg.°

°Was ist, wenn ich dir sage, dass das eben kein Traum war, sondern dass du hinüber gewechselt bist – wenigstens für ein paar Sekunden. Genau wie ich an Halloween damals.°

°Hey, das wäre tatsächlich möglich. Das würde auch erklären, warum du den Ring finden konntest. Aber mein Grab war ja gar nicht in der Nähe von Charlies Haus.°, gab Andy zu Bedenken.

°Hey, es war auch irgendwo ein Traum. Wer weiß, wohin und wie lange ich schon gelaufen bin.°, antwortete ich.

°Klingt einleuchtend.°

Andy schmunzelte und musste anhalten, da wir uns direkt an einer roten Ampel befanden. Er schaute mich an, dann wieder den Ring.

„Willst du ihn tragen?“, fragte ich ihn.

Andy biss sich auf die Lippe, zögerte kurz und erwiderte dann: „Auch wenn es vielleicht ein bisschen krank ist, ja. Ich meine, es ist ja nur ein Ring.“

Ich lächelte, zog den Ring von meinen Daumen und steckte ihn auf Andys Zeigefinder der rechten Hand, die er mir schon bereitwillig hinhielt. Der Ring war wie für Andy gemacht und passte ihm wie angegossen.

„Und? Fühlt es sich irgendwie komisch an für dich?“, fragte ich besorgt.

„Nein. Eigentlich…fühlt es sich ganz gut an. Es ist kein schlechtes Gefühl, wenn ich den Ring trage.“, sagte er glücklich lächelnd und schaute kurz auf seinen Zeigefinger, bevor er zur Ampel sah.

Sie war immer noch auf Rot geschaltet.

„Man, das dauert aber heute lange.“, jammerte Andy und sah zu den Autos, die links und rechts von uns vorbei fuhren.

Wie lange sollten wir denn noch warten? Ich sah den Volvo im Rückspiegel an. Ob es Edward wohl auch nervte, dass wir hier warten mussten? Oder schmunzelte er nur, weil wir uns darüber ärgerten? Wahrscheinlich eher das zweite.

Ich wollte Andy gerade auf sein merkwürdiges Verhalten am Frühstückstisch ansprechen, als es passierte.

Im nächsten Moment schrie Andy vor Schmerz auf, sodass ich vor Schreck zusammenzuckte. Ich hörte ein Knacken, was fast in Andys Geschrei unterging.

„MEIN BEIN, MEIN BEIN!“, schrie er.

Ich sah gerade noch rechtzeitig, dass sein Bein in einem merkwürdigen Winkel auf dem Gaspedal stand, bevor mich im selben Moment der nächste Schock traf.

Alles was danach folgte, geschah so schnell und doch in Zeitlupe. Es war, als konnte mein Gehirn, all diese Informationen auf einmal aufnehmen.

Durch den unerklärlichen Druck, der auf Andys Bein auf mysteriöse Weise ausgeübt wurde, wurde auch das Gaspedal unbeabsichtigt durchgetreten. Der Transporter setzte sich mit immer schneller werdender Geschwindigkeit in Bewegung und rollte unaufhörlich weiter auf die Kreuzung auf die fahrenden Autos zu.

Andy schrie vor Schmerz, ich vor Angst.

Ich wusste nicht, ob Andy versuchte zu bremsen oder nicht. Aber es hatte nicht viel Sinn, da wir uns nun mitten auf der Kreuzung auf der anderen Fahrspur befanden. Ich hatte nicht einmal mehr die Gelegenheit meinen Kopf richtig nach links oder rechts zu drehen, um zu sehen, ob ein Auto uns entgegenkam.


In diesem Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig.


Ich spüre einen stechenden Schmerz in meinen Knien und war gerade dabei aufzuschreien. Dazu blieb mir allerdings keine Zeit. Währenddessen waren hohe quietschende Geräusche von Reifen zu hören als ein Auto von links den Transporter erfasste und gegen die Fahrertür donnerte. Durch den Zusammenprall wurde der Airbag in dem Lenkrad ausgelöst und der Transporter schlitterte nach rechts, drehte sich um die 180 Grad, sodass er weiter hinein in die Kreuzung und auf die andere Fahrspur geriet. Wieder ertönten quietschende Geräusche und nur einen winzigen Moment später kollidierte der Transporter wieder mit einem Auto. Glücklicherweise traf es diesmal nur die Ladefläche und nicht das Fahrerhaus. Ich spürte, dass dieser Zusammenstoß nicht so gewaltig war wie der erste. Endlich stand der Transporter still und mir wurde bewusst, dass ich heftig atmete. Der Schmerz in meinen Knien wurde durch den Zusammenstoß und dem daraus folgenden Schock und der Todesangst verdrängt.

Ein paar Sekunden herrschte Todesstille.

Nur unser beider Keuchen war zu hören. Und dieses Geräusch war so laut für mich, dass ich das Gefühl hatte, mein Trommelfell müsse platzen. Langsam beruhigte sich mein Atem etwas und ich versuchte zu verstehen, zu begreifen, was gerade passiert war. Ich blinzelte und erst jetzt schien ich wieder wirklich etwas sehen zu können. Ich sah die Windschutzscheibe und stillstehende Autos. Mehr nicht.

Ich wollte meinen Kopf drehen und fragte mich, ob ich ihn eher nach links oder rechts drehen sollte. Ich war noch ganz benommen und wie betäubt. Das Blut rauschte durch meine Adern und mein Herz klopfte immer noch etwas zu schnell. Ich atmete einmal zitternd ein und wieder aus, schloss kurz meine Augen und wandte meinem Kopf meinem Bruder zu. Er sah so blass aus, wie ein Vampir, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, sodass ich Angst hatte, sie müssten ihm jeden Moment heraus fallen. Er sah starr nach vorne ohne etwas zu sehen.

Kurz huschte mein Blick nach unten zu seinen Beinen. Das linke stand neben dem Kupplungspedal und das rechte gebrochene Bein nicht mehr auf dem Gaspedal. Ich hob meinen Kopf und sah, dass die Fahrertür nun durch eine Wölbung nach innen gekennzeichnet war, sodass Andy etwas in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Aber zum Glück schien er keinerlei Verletzungen von dem Zusammenprall bekommen zu haben. Ich seufzte erleichtert und war mehr als froh, dass nichts Schlimmeres passiert war. Ich würde Charlie auf ewig dafür dankbar sein, dass er mir den so robust gebauten Chevy-Transporter damals als Willkommensgeschenk besorgt hatte.

Ich sah, wie mein Bruder es endlich schaffte, mir sein Gesicht zuzuwenden. Noch immer saß ihm der Schock in den Knochen. Mir erging es nicht viel anders. Während ich meinen Bruder sorgenvoll musterte, wurde mir erst jetzt wirklich klar, dass er keinen Schmerzensschrei oder sonst ein Geräusch von sich gab. Auch Andy musste der Schock und die Angst von allem anderen abgelenkt haben. Ich merkte, wie der Schmerz in meinen Knien langsam wieder an die Oberfläche drang, doch ich versuchte ihn zurückzuhalten.

„Alles Okay?“, hauchte ich noch etwas konfus.

Sein großen glasigen Augen fixierten meine.

„Abgesehen davon, dass mein Bein gebrochen ist, und ich durch den Zusammenprall mit dem Auto etwas eingeengt bin, geht’s mir gut.“, antwortete er zu ruhig und gelassen.

Der Schock saß noch zu tief.

„AU!“ Andy schrie auf und verzog gequält sein Gesicht und Leben trat wieder in seine Augen.

„Was? Was ist?“, fragte ich panisch und fand so gänzlich aus der Benommenheit heraus.

„Es hat sich gerade so angefühlt, als ob mir jemand ins Gesicht geschlagen hat.“, erklärte er verärgert und fuhr mit einer Hand über sein Gesicht.

Ich wollte etwas erwidern, doch ich wurde von einem Aufschrei unterbrochen. Erst einen Augenblick später wurde mir bewusst, dass er aus meinem Mund kam. Ich spürte einen grausamen Schmerz in meinen linken großen Zeh. So, als wäre dort etwas Schweres darauf gefallen oder ich mit dem Fuß beim Gehen umgeknickt wäre. Verdammt. Was war hier nur los? Erst meine Knie und jetzt mein Zeh.

„Was hast…“, sagte Andy bestürzt, brachte aber den Satz nicht zu Ende.

Überrascht schaute ich zu ihm auf. Er fasste sich am Kopf und schaute seine Finger an, während das Blut immer weiter an seinen Schläfen und seiner Stirn hinab lief. Er betrachtete das Blut, was an seinen Fingern klebte und hauchte ein „du?“, um die Frage zu Ende zu bringen.

Beim Geruch des Blutes drehte sich mir der Magen um. Ich sah, wie Andy langsam das Bewusstsein verlor und auch ich spürte, wie sich mein Körper in die Ohnmacht floh.

Ich bildete mir ein, noch ein panisches Rufen unserer Namen zu hören, bevor ich einen Luftzug spürte und in die Dunkelheit glitt.

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Na, was denkt ihr, was da passiert ist?

Das Ende und der Beginn eines Albtraums


Edwards POV - Reguläres Universum


(Reguläres Universum)



„Bella jetzt hör auf, ständig hin und her zu laufen. Du machst mich damit noch ganz wahnsinnig!“, sagte Charlie mit leichtem gereizten Gesichtsausdruck zu meiner Verlobten, während das ständige Piepen des Herzmonitors seine Worte begleitete, doch natürlich hörte ich es nicht.

Ich sah Bella, die nervös mit ihren Zähnen ihre Unterlippe quälte und einfach nicht still stehen konnte. Ihre aufgeschürften Knie und ihr Schmerz im großen Zeh waren vergessen. Seitdem wir im Krankenhaus waren, war sie völlig panisch und ständig in Bewegung. Sie hatte sich sogar ohne jegliche Diskussion geweigert, in die Schule zu gehen. Die Sorge um ihre männliche Hälfte – neben mir selbstverständlich – ließ sie unmöglich zur Ruhe kommen, was ich sehr gut nachvollziehen konnte. Charlie seufzte und schalt sich leise murmelnd selbst für seine Bemerkung, da es ihm selbst nicht anders erging.

Er wandte seinen Kopf wieder dem langhaarigen Mann zu, der schlafend mit bandagierten Körper, Kanülen und Schläuchen zugedeckt in seinem Krankenhausbett lag. Charlie saß schon seit seiner Ankunft neben Andys Bett, hielt seine Hand fest in seiner und wartete sehnsüchtig darauf, dass sein Sohn die Augen aufschlug. Ich sah Bella seufzen, die nun zum Fenster ging und dort stehen blieb. Was wohl meine Liebste in diesem Moment dachte? Aber diese Frage stellte ich mir ja sowieso jede Sekunde während ich bei ihr war und während ich ihr fern blieb.

Meine Schwester und ich sahen uns in die Augen und beschlossen, dass Krankenzimmer zu verlassen, um den Swans etwas Privatsphäre zu geben. Auf dem Flur setzten wir uns wieder hin, da ständiges Herumlaufen keine gute Alternative war. Nun saßen wir hier und warteten endlos darauf, dass etwas passierte. Obwohl für uns Unsterbliche Zeit keine Rolle mehr spielen sollte, machte uns dieses Nichtstun in dieser Situation regelrecht verrückt. Elizabeth saß neben mir auf ihrer Unterlippe kauend und fragte sich wie jeder von uns, wie das alles passiert war. Und vor allem was passiert war.

Seit über drei Stunden stellte sich jeder diese Frage und weder der eine noch der andere Carlisle schien zu einer Antwort zu gelangen. Alle machten sich Sorgen um die Zwillinge. Besonders Elizabeth machte sich die größten Vorwürfe, da sie nicht da war und den Unfall verhindern konnte. Aber ihre Selbstvorwürfe waren zu meinen geradezu lachhaft. Ich war schließlich bei ihnen, aber verhindert hatte ich nichts von aller dem. Ich ballte meine Hand zu einer Faust und schäumte wieder einmal wieder vor Wut. Warum hatte ich nichts unternommen? Andererseits, was hätte das für Folgen gehabt, wenn ich eingeschritten wäre?

Seufzend dachte ich an heute Morgen zurück.


Nachdem Bella im Bad verschwunden war, fand ich Andy in der Küche. Er goss gerade Milch in eine Schüssel, wobei er sich mit der anderen Hand leise stöhnend seine Seite rieb.

„Guten Morgen.“, begrüßte ich meinen zukünftigen Schwager.

Er zuckte erschrocken zusammen, nahm die Hand von seiner Taille und fuhr herum.

„Morgen.“, formte er mit seinen Lippen, die jedoch leicht dabei bebten.

Dann wurde sein Gesicht von einer leichten Röte überzogen. Es war so, als hätte ich ihn bei etwas Verbotenem erwischt. Prüfend musterte ich ihn und sah in seine Augen.

„Geht es dir gut?“

Natürlich kam die Antwort, die ich bereits vermutet hatte.

„Klar.“, erwiderte er, was mich allerdings keineswegs überzeugte.

Er sah immer noch leicht nervös aus. Ich beschloss, dass Thema auf sich beruhen zu lassen, vorerst. Wenigstens konnte er sich noch trotzig mir gegenüber verhalten, also konnte es ihm wohl nicht so schlecht gehen. Das sagte ich mir zumindest. Ich beschloss, Andy nach der Schule ins Krankenhaus zu Carlisle zu bringen, damit er ihn sich ansehen konnte. Selbst wenn ich ihn dorthin schleifen musste. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln. Andy drehte sich wieder um und fuhr damit fort, sich dieses unappetitliche Frühstück zu machen. Nach ein paar Sekunden unterbrach er seine Vorbereitungen erneut und wandte sich mir wieder zu.

„Und? Wie war’s gestern?“, fragte er mich und ich hasste es, dass ich seine Stimme nicht hören konnte, um deren Klang zu beurteilen.

„Wir haben nur sehr nützliche Kampftechniken gelernt und das Angreifen, Abblocken und Ausweichen mit den anderen als Partner geübt.“, antwortete ich trocken.

Jedenfalls hoffte ich das. Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, riss Andy die Augen weit auf und schaute mich entsetzt an.

„Ihr habt GEGENEINANDER gekämpft?!“

Diesmal brauchte ich kein Gehör, um zu wissen, dass er panisch reagierte. Beschwichtigend hob ich die Hände.

„Beruhige dich. Das waren doch nur Übungskämpfe und keiner hat auch nur den geringsten Schaden davon getragen. Außerdem, was hast du denn bei einem Kampftraining erwartet?“

Beide Emmetts haben sogar noch gejammert, als das Training zu Ende war. Ich hoffte, dass ich mit meinen Worten seine unnötige Panik beseitigt hätte, doch noch immer starrte er mir erschrocken in die Augen.

„Schön und gut. Aber was ist mit den Werwölfen? Schließlich sind die doch etwas zerbrechlicher als ihr, oder irre ich mich da?“

„Über diese Hunde brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Sie schauen uns nur zu.“

Verwirrung zeichnete nun Andys Gesicht und bevor er fragen konnte, gab ich ihm seine Antwort.

„Sie werden das Gesehene für ihren Kampfstil anpassen und anwenden.“

Erleichtert stieß er die Luft aus und lächelte leicht.

„Dann ist ja gut. Solange das Training keine Opfer fordert…“

Doch dann tauchte wieder die Falte zwischen seinen Augenbrauen auf und er biss sich auf die Lippe. Sorge war in den brauen Tiefen seiner Augen zu erkennen. Seufzend wartete ich auf seine nächste Frage, doch es kam nichts. Was dachte er nur? Zum verrückt werden war das!

Nach ein paar Sekunden blinzelte Andy und fragte langsam: „Aber Elli und du, ihr werdet trotzdem ihr gestern dabei wart, dennoch nicht kämpfen, oder?“

Er sah beunruhigt aus und fürchtete wahrscheinlich, dass wir unsere Meinung geändert hätten, jetzt, da wir einer Trainingseinheit beigewohnt hatten. Innerlich konnte ich über Andy nur den Kopf schütteln. Kannte er uns denn immer noch nicht so gut, wie ich dachte? Er und Bella sollten doch wissen, dass wir unser Versprechen halten würden. Denn auch, wenn wir diesen Kampf sehsüchtig entgegen fieberten, war uns die Liebe zu unseren beiden Gefährten unendlich viel wichtiger. Sie waren alles für uns. Ich lächelte ihn an.

„Wir haben doch unser Wort gegeben.“, erinnerte ich Andy.

Seine Miene hellte sich auf und er entspannte sich etwas.

„Was weiß denn ich? Vielleicht habt ihr ja gestern Nacht Blut geleckt und seit jetzt ganz heiß darauf ein paar Vampire zu verdreschen.“, wisperte er eher zu sich selbst.

Doch natürlich hatte ich alles von seinen Lippen abgelesen und konnte das Lachen, das in meinem Bauch steckte, einfach nicht mehr zurück halten. Auf so eine Wortwahl konnten wirklich nur zwei Menschen kommen. Natürlich hatte Andy mehr als recht. Wenn Vampire einmal Blut geleckt hatten, konnten sie wirklich nur sehr schwer aufhören.

Passend dazu kam mir der Geschmack von Bellas Blut in den Sinn, als ich ihn damals das erste Mal gekostet hatte. Oh ja, es war fast unmöglich aufzuhören. Der Gesang und Geschmack ihres Blutes war einfach unvergleichlich. Ich merkte, wie sich das Gift in meinem Mund daraufhin sammelte und schluckte es wieder hinunter. Das Monster in mir brüllte auf, doch ich verschanzte es wieder in die hinterste Ecke. Langsam erholte ich mich wieder von meinem kleinen Lachanfall wieder.

„Was war denn daran jetzt so lustig?“, fragte mich Andy sicherlich empört und blitzte mich an.

„Deine Wortwahl.“, schmunzelte ich.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, als er begriff und sein Gesicht errötete.

„Hmpf!“, machte er und ließ das Thema fallen.

Andy drehte mir wieder den Rücken zu, bereite zwei Schüsseln mit diesen Cornflakes zu und stellte beide auf dem Tisch ab. Ich setzte mich ihm gegenüber und beobachtete ihn, wie er sich Löffel für Löffel diese Pampe in den Mund schob. Natürlich entging mir nicht, dass er sich die Seite rieb. Er hoffte wohl, ich bemerke es nicht. Aber da er bald sowieso von Carlisle untersucht wurde, hielt ich meinen Mund.

Bald darauf stieß Bella zu uns. Nachdem sie erfuhr, dass Elizabeth jagen musste, fiel Andys Blick auf Bellas Daumen, auf dem dieser neue Ring steckte. Beide sahen sich in die Augen und argwöhnisch ging mein Blick zwischen den beiden hin und her. Ich wusste, dass sie wieder eine ganz private Unterhaltung führten. Verdammt! Gegen Telepathie nutzte leider auch das Lippenlesen nichts.

Nach dem Frühstück beschlossen beide mit dem Transporter zur Schule zu fahren, wobei Andy lieber am Steuer sitzen wollte.

„Bist du böse, wenn wir mal heute nicht mit dir fahren? Außerdem muss ich was machen, sonst schlaf ich gleich wieder ein.“, benutzte Andy als halbe Ausrede.

Ich verstand nicht, was das Ganze sollte, fand aber zu diesem Zeitpunkt kein wirkliches Gegenargument. Es war doch nur eine Fahrt zur Schule. Was sollte denn da schon groß passieren? Mein Beschützerinstinkt musste manchmal für sie wirklich etwas nervig sein. Seufzend gab ich meine Zustimmung – nicht, dass es sie davon abgehalten hätte – und küsste meine Liebste. Ich beobachtete wie Andy nachdenklich über die Gravur des Ringes an Bellas Daumen entlang strich, kurz bevor sie in den Transporter stiegen.

Ich fuhr direkt hinter ihnen, als wir auf dem Weg zur High School waren. Im nächsten Moment bedauerte ich es allerdings. Wäre ich vor ihnen gewesen, hätte ich sie im Rückspiegel beobachten und vielleicht etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen können. Aber nun war es so. Mit Sicherheit sprachen sie über dem Ring und es ärgerte mich zutiefst, dass meine Sinne mich im Stich ließen. Sprachen sie laut oder in Gedanken wie vorhin vor dem Frühstück? Eigentlich wäre das in der jetzigen Situation ganz egal. Aber vielleicht hatten sie es in ihrem Eifer kurzzeitig vergessen. Ja, ich war mir sicher, könnte ich sie bei ihrer Unterhaltung beobachten, würden sich kaum ihre Lippen bewegen.

Die Frage, was es mit dem Ring auf sich hatte, brannte sich förmlich in mein Gehirn.

Woher hatte Bella den plötzlich?
Welche Bedeutung hat er für sie?
Besaß er überhaupt eine?
Und warum zeigte ihr Bruder so ein Interesse an dem Ring?

Er hatte eine Gravur.
Und?

Was sollte daran denn so besonders sein?

Fragen über Fragen und Bella ließ mich nicht an dieser Unterhaltung im Fahrzeug vor mir teilhaben. Ich lächelte, als ich mir vorstellte, wie ich die beiden in der Mittagspause in der Cafeteria zur Rede stellte. Die Ampel schaltete auf Rot und brachte unsere und andere Autos zum Stehen. Nach einer Weile des Wartens geschah das Merkwürdige.

Es passierte so schnell.

Unvermittelt und gegen jegliche Vernunft trat Andy das Gaspedal durch und raste auf die sehr befahrende Kreuzung zu. Schockiert und mit weit aufgerissenen Augen nahm ich die Szene auf, die sich vor mir abzuspielen begann.

Warum tat Andy das?
Wollte er sich mit seiner Schwester etwa umbringen?
Warum sollte er das tun?
War er etwa lebensmüde geworden?

Nein…nein…er konnte doch nicht…?

Im nächsten Augenblick wurde das Fahrerhaus links von einem entgegenkommenden Auto erfasst und hinterließ eine Delle. Oh nein! Hoffentlich ist Andy dadurch nicht eingeklemmt oder sogar verletzt worden. Durch die Wucht der Kollision schlitterte der Transporter über die Fahrbahn nach rechts und wendete sich dabei um 180 Grad. Durch diese Drehung befand sich das Klappergestell auf der anderen Fahrspur. Dort stieß ein näher gekommenes Auto glücklicherweise nur mit der Ladefläche des Transporters zusammen. Schließlich kam er zum Stehen.

Geschockt sah ich nach vorn durch die Windschutzscheibe und versuchte wieder zu mir zu kommen. Versuchte zu begreifen, was eben geschehen war. Es fühlte sich wie Jahrzehnte an, als ich aus meiner Starre erwachte, die verkrampften Finger vom Lenkrad löste und mein Gehirn langsam wieder anfing zu arbeiten.

Andy hatte Gas gegeben, obwohl die Ampel noch auf Rot geschaltet war und hatte somit den Unfall ausgelöst. Warum hatte er das nur getan?

Erste Möglichkeit: Es war ein Versehen, dass Andy das Gaspedal betätigt hatte.

Aber dies verwarf ich gleich wieder, da die Zwillinge gute und verantwortungsbewusste Autofahrer waren, was nicht zuletzt an ihren Vätern lag.

Zweite Möglichkeit waren Selbstmordgedanken, an die ich vor wenigen Sekunden bereits gedacht hatte.

Aber warum um alles in der Welt sollten sie ihr Leben beenden wollen?
Es sei denn…?
Nein, das konnten sie doch nicht wirklich beabsichtigt haben, oder?

Somit blieb noch eine dritte Möglichkeit.

Sie wollten sich durch diesen Unfall in Gefahr bringen, sodass wir sie möglicherweise verwandeln müssten. Ja, das wäre durchaus eine Variante.

Aber würden die Zwei sogar diesen Weg gehen, um ihr Ziel zu erreichen?
Nein, sicher nicht!
Oder doch?

Ich war mir so unsicher.

Selbst wenn Bella und Andy wirklich darüber nachdachten, so die Verwandlung zu beschleunigen, hätte ihnen doch bewusst sein müssen, dass ein kleiner Unfall mit dem robust gebauten alten Relikt keine schwerwiegenden Verletzungen verursachen würde. Nein, nein.

Die dritte Möglichkeit konnte es einfach nicht sein.

Das wollte ich nicht glauben. Das konnte ich einfach nicht glauben! Außerdem hatten wir doch eine Abmachung mit Carlisle getroffen. Ganz zu schweigen von meiner ganz persönlichen Vereinbarung mit Bella.

Zählte das alles nun gar nicht mehr?

Aber Bella lag doch so viel daran diese Erfahrung noch vor der Verwandlung zu machen. Nein, es musste eine andere Erklärung für diesen Vorfall geben. Immer und immer wieder wiederholte ich das gedanklich, während sich mein Körper kaum verändert hatte, als ich über alles nachdachte.

Plötzlich lag etwas in der Luft. Meine Nase reagierte auf diesen schwachen Geruch und ich schnüffelte. Sehr verlockend, wirklich sehr verlockend. Da lief mir doch sofort das Gift in dem Mund.

Gift?!

Moment mal!

Ich blinzelte und schien erst jetzt wieder wahrlich im Hier und Jetzt angekommen zu sein. Ich roch ganz schwach Blut!

Was war bloß los mit mir?

Während ich hier die ganze Zeit herumsaß und mir Gedanken über den Grund für Andys Tun machte, war ihnen irgendetwas passiert.

Wie konnte ich nur so dasitzen und nichts tun?
War es vielleicht, der Schock gewesen, der mich gelähmt hatte?

Wie demütigend.

Ich war wirklich ein lausiger Vampir-Schutzengel.

Schnell riss ich meine Fahrertür auf und hätte sie beinahe in den Händen gehalten. Verdammt. Ich musste immer noch darauf achten, mich so menschlich wie möglich zu benehmen. Kaum war ich aus meinem Auto ausgestiegen, „rannte“ ich zum Transporter, immer meiner Nase nach. Ob es Bellas oder Andys Blut war, konnte ich nicht sagen, da mein Geruchssinn zu schwach ausgeprägt war. Wenige Sekunden später war ich an der Quelle des Geruchs angelangt und sah mit Entsetzen, dass es Andy war, der am Kopf blutete.

Das Blut rann an seiner Stirn und seinen Schläfen hinab. Hoffentlich war die Wunde nicht allzu tief.

Aber wieso blutete er am Hinterkopf?
Sollte er nicht eher eine Verletzung an der Schläfe haben?

Ich riss die verbeulte Tür auf und schrie ihre Namen, doch sie reagierten nicht. Beide hatten die Augen geschlossen, doch ich konnte sehen, wie sich ihre Brustkörbe hoben und senkten. Vermutlich sind die beiden durch den Geruch des Blutes nur in eine Ohnmacht gefallen. Schnell suchte ich ihre Körper nach weiteren Verletzungen ab. So wie es schien, besaß Bellas Körper keine weiteren, doch Andys rechtes Bein ließ mich entsetzt aufkeuchen. Es stand in einem sehr ungesunden Winkel neben dem Gaspedal. Ich konnte mit absoluter Gewissheit sagen, dass es gebrochen war.

Wie war das passiert?
Hatte der Beinbruch etwas mit Andys unsinniger Handlung zu tun?

Ich stieß die Luft aus, die ich die ganze Zeit über angehalten hatte. In der Zwischenzeit waren einige Menschen aus ihren Autos gestiegen und kamen auf mich zu gerannt und fragten mit Sicherheit, ob es den Innensassen gut ging. Ich wandte mich zu demjenigen, der mir am nächsten war und knurrte ihn beinahe an, dass er doch gefälligst einen Krankenwagen rufen sollte. Vielleicht hätte ich das selbst erledigen können, aber dafür fehlte mir jetzt in dieser Situation einfach die Konzentration und das, obwohl ich ein Vampir war.

Im Krankenhaus sah sich Carlisle die beiden sofort an. Er sah Andys Knochenfraktur und seine Blutrinnsale am Kopf. Carlisle umfasste ihn und fand die Schnittwunde am Hinterkopf. Er betrachtete die Wunde für einen kurzen Moment, besah sich wieder Andys Knochenbruch und zog die Augenbrauen zusammen, während er „Seltsam.“, murmelte.

Er tastete den Körper nach weiteren Verletzungen ab, da er Andy nicht befragen konnte und stellte fest, dass auch einige Rippen gebrochen waren. Sogleich wurde Bellas Körper abgetastet und auf Verletzungen untersucht. Jedoch schien Bella keinerlei aufzuweisen. Carlisle überprüfte ihren Puls, obwohl das unnötig war und kam zu dem Entschluss, dass sie in den nächsten Minuten aus ihrer Ohnmacht erwachen wird. Er nickte mir beruhigend zu und wies Schwester Mary an, Andy in den Operationssaal zu bringen, damit er sofort behandelt werden konnte.

Bella wurde in ein leeres Krankenzimmer auf ein Bett gelegt, während Carlisle sich in den Operationssaal begab. Ich ging ins Zimmer, nahm mir einen Stuhl, zog ihn zum Bett heran und betrachtete Bella, während ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam.

„Was macht ihr nur für Sachen?“, fragte ich sie.

Als ich eine Hand an meiner Schulter spürte, zuckte ich vor Schreck zusammen und drehte mich um, nur um erleichtert in das Gesicht von meiner Schwester Elizabeth zu sehen.

„Ja, das frage ich mich auch!“, las ich von ihren Lippen ab und nach ihrem Gesicht zu urteilen, sah sich leicht verärgert und besorgt aus.

Sie betrachtete Bella kurz mit einem durchdringenden Blick, wahrscheinlich um ihre Atmung zu überprüfen.

„Ich habe beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als ich einen Anruf von Alice bekam, während ich auf der Jagd war. Sie hat mir von einem Autounfall erzählt, den die beiden haben würden, es allerdings zu spät sei um den zu verhindern. Sie sagte zum Glück, dass sie die Zwillinge nicht tot gesehen hat. Also habe ich mich sofort auf dem Weg hierher gemacht.“, teilte Elizabeth mir mit.

Ich nahm ihre Hand.

„Was ist denn jetzt eigentlich genau passiert?“, wollte sie wissen.

Ich war gerade dabei zu einer Antwort anzusetzen, da erregte etwas unsere Aufmerksamkeit. Bellas Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßiger, bevor sie ihre wunderschönen Augen aufschlug, blinzelte, ein kurzen Moment die weiße Decke betrachtete und den Kopf zu uns drehte. Erleichtert darüber, dass meine Liebste endlich wieder wach war, lächelte ich sie an. Ich hatte erwartet, dass sie rot werden und/oder mein Lächeln erwidern würde. Doch Bella runzelte verwirrt die Stirn.

„Edward?“, fragte sie überrascht.

Ihr Blick wanderte zu Elizabeth, bevor sie sich langsam aufrichtete, um sich umzuschauen. Dabei verzog sie allerdings ihr Gesicht und zog die Luft ein, als ob sie Schmerzen erleiden musste.

Hatte sie etwa doch Verletzungen, die Carlisle durch die Kleidung nicht fühlen konnte?

„Was ist passiert?“

„Weißt du das nicht?“, erwiderte ich.

„Ähh...“

Bella schloss ihre Augen, kniff sie zu und öffnete sie wieder. Sie sprach wieder zu mir, doch ich hatte den Eindruck, dass sie sehr weit weg war. Sie schien mich mit ihren Augen gar nicht wahrzunehmen.

„Ja...“, begann sie.
„Wir hatten einen Autounfall, weil Andy sich das Bein gebrochen hatte.“
Bella zog ihre Augenbrauen zusammen und verzog nachdenklich ihren Mund.
„Ich frage mich wieso?“, hauchte sie leise eher an sich selbst gerichtet, wie ich es aus ihren zarteren und kleineren Lippenbewegungen schloss, und senkte ihren Blick etwas.

Ich betrachtete sie neugierig, als das Begreifen sich aus ihrem Gesicht abzeichnete und ihre Augen sich weiteten. Nun sah sie mich wieder direkt an.

„Andy hat geblutet und wir sind ohnmächtig geworden und...“, sprach sie schnell und ich konnte die Panik und Sorge nur allzu deutlich in ihrem Gesicht sehen.

Bellas Augen wurden noch größer. „Wie geht es ihm?“, wollte sie wissen und sah zwischen mir und Elizabeth hin und her.

„Bella beruhige dich. Andy wird gerade von Carlisle operiert. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Er ist in den besten Händen.“, beruhigte ich sie und drückte ihre Hand.

Erleichtert stieß sie die Luft aus ihren Lungen aus, wirkte jedoch zu ernst für meinen Geschmack. Ich hatte ihr doch gerade versichert, dass alles gut werden würde. Was beschäftigte sie außerdem? Ich sah zu meiner Schwester hinüber, die mir aber nur ebenso ahnungslos entgegen blicken konnte.

„Bella, was ist denn?“, fragte sie sie.

„Tja, nachdem das geklärt ist...“, sagte sie rätselhaft und nahm ihre Hand aus meiner.

Sie blickte mit schmaleren Augen auf ihre beiden Knie ihren linken Fuß. Bella atmete tief ein und wieder aus, schien sich für etwas zu sammeln, wie mir schien.

„Na dann...“, artikulierte sie mit ihren Lippen.

Sie streckte ihre Arme nach vorne aus, packte mit beiden Händen das Ende des rechten Hosenbeins und krempelte es hoch. Immer wieder verzog Bella leicht ihr Gesicht. Meine Augen weiteten sich überrascht und entsetzt, als eine nicht gerade kleine Schürfwunde zum Vorschein kam, als sie am Knie angelangt war. Die Wunde war mit einer leichten Schicht Blut bedeckt. Das war aber kein Problem.

Bei uns löste das keinen Durst aus, abgesehen davon, könnte ich sowieso kaum etwas riechen. Der Jeansstoff musste einen Teil des Blutes der Wunde aufgesogen haben. Bella jedoch schien von alldem keineswegs überrascht zu sein. Nein, sie sah eher wissend, resigniert aus. Nachdem sie ihren rechten Oberschenkel freigelegt hatte, machte sie dasselbe mit ihrem linken. Auch dort war auf ihrem Knie eine Schürfwunde zu sehen, doch Bellas Gesichtsausdruck veränderte sich wieder nicht – abgesehen von den Grimassen des Schmerzes. Sie schien mit ihren Verletzungen gerechnet zu haben.

Wann war das passiert? Wie war das passiert?
War sie mal wieder hingefallen?
Nein, das wüsste ich dann sicher.

Die Wunden stammen dann sicherlich von dem Unfall. Aber nein, das konnte auch nicht sein. Soweit ich mich erinnerte, kam die Beifahrerseite des Transporters mit keinem anderen Fahrzeug in Berührung. Also. Bella war weder in letzter Zeit hingefallen, noch stammten ihre Verletzungen vom Unfall. Wie kam sie dann zu ihren Wunden, verdammt!

Ich wollte sie gerade danach fragen, doch Bella schien immer noch nicht mit dem, was auch immer sie gerade machte, fertig zu sein. Ganz langsam und vorsichtig zog sie sich ihren linken Schuh aus, verzog leicht dabei ihren Mund und legte ihn beiseite. Dann berührte sie leicht mit ihrem Daumen ihren großen linken Zeh, zog die Luft ein und verzog schmerzhaft ihr Gesicht.

„Also war das alles keine Einbildung.“, sagte sie und blickte dabei ihren Zeh an.
„Na super.“, stöhnte sie frustriert.

Bella drehte ihren Kopf in unsere Richtung und schaute meine Schwester an. Elizabeth musste sie angesprochen und gefragt haben, was los sei. Bella verschränkte die Arme vor der Brust und legte nachdenklich den Kopf schief.

„Naja...Eigentlich weiß ich das auch nicht so genau. Die Schmerzen sind ganz plötzlich und aus heiterem Himmel aufgetaucht. Während des Unfalls in meinen Knien und kurz danach im Zeh. Und Andy erging es ähnlich wie mir. Erst war da das plötzliche Knacken in seinem Bein. Und kurz nachdem der Transporter zum Stehen gekommen war, sagte er, jemand habe ihm ins Gesicht geschlagen. So hat es sich für ihn jedenfalls angefühlt. Naja, und schließlich blutete er am Kopf.“

Wir alle drei blickten uns ratlos an. Keiner hatte eine Erklärung für diese Ereignisse. Nur eines war relativ sicher: Die Ursache aller Wunden schien nicht der Unfall gewesen zu sein. Durch Andys Beinbruch wurde der Autounfall ausgelöst.

Aber wer oder was brachte Andys Knochen zum Brechen?

So sehr ich auch überlegte, mir fiel nur eine denkbare Lösung ein. Der Übeltäter musste ein Geist gewesen sein. Schließlich war uns allen bekannt, dass diese körperlosen Wesen alles andere als ungefährlich waren. Angenommen, ich läge mit meiner Vermutung richtig, warum haben die Zwillinge dann keinen Geist gesehen?

Wenn dem so wäre, hätte Bella es doch eben erwähnt, oder nicht?
Ich brauchte Gewissheit und konfrontierte sie mit meinem Verdacht.

„Bella, Liebste. Wir können also davon ausgehen, dass die Ursache aller Verletzungen nicht der Unfall ist, richtig?“

Sie nickte und wartete neugierig auf meine Fortführung.

„Wäre es nicht durchaus denkbar, dass irgendein Geist hinter alldem steckt?“

Bella runzelte die Stirn, während sie über meine Worte nachdachte. Sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Wir haben weder einen Geist gesehen, noch gehört.“, widersprach Bella mir und zog die Augenbrauen kurz zusammen, dann hellte sich ihr Gesichtsausdruck wieder auf.

Ihr schien etwas eingefallen zu sein und sie ließ ihre Arme wieder locker neben ihren Körper liegen.

„Da fällt mir was ein. Ich meine, es ist bestimmt nicht wichtig, oder so. Ach, nichts. Vergesst es einfach.“, schloss Bella.

Mir entfuhr ein genervtes Stöhnen. Vielleicht bildete ich mir es auch nur ein, denn ich hörte es ja nicht wirklich. Sie würde mich mit ihren Geheimnissen noch ins Grab bringen. Ich wollte nachfragen, was ihr eingefallen sei, doch ihre Augen strahlten so eine Entschlossenheit aus, dass ich es bleiben ließ. Sie seufzte.

„Wie lange wird die Operation dauern?“, fragte Bella besorgt.

„Ein bis zwei Stunden vermute ich.“, antwortete ich ihr, nahm ihre Hand und drückte sie sanft.



Jemand stieß mich mit seinem Ellenbogen an und ich tauchte aus meinen Erinnerungen wieder auf. Erwartungsvoll drehte ich meinen Kopf zur Seite und zog fragend eine Augenbraue hoch. Elizabeth strahlte mich an und verkündete freudig, dass Andy wieder wach sei, wir aber warten sollten, bis Charlie weg war.

13 Minuten und 32 Sekunden kam Charlie an uns vorbei, wobei man ihm seine Erleichterung deutlich ansah.

„Hey, ihr beiden. Ich bitte euch, passt gut auf ihn auf und regt ihn bitte nicht zu sehr auf. Er braucht Ruhe. Diese ganze Sache…was auch immer da passiert ist…er scheint es noch immer nicht ganz begriffen zu haben. Also…ich muss los. Bis dann.“, murmelte er etwas unbeholfen und verließ das Krankenhaus.

Ich seufzte und machte mich mit Elizabeth auf dem Weg in Andys Krankenzimmer.

Er lag in seinem Bett mit einem ernsten Gesichtsausdruck und gerunzelter Stirn, während Bella auf seinem Bett saß und still mit ihm zu kommunizieren schien.

Hatte ich schon erwähnt, wie sehr ich Geheimnisse verabscheute?

Und diese zwei zerbrechlichen Menschen steckten voll davon. Beide zuckten zusammen und ihre Köpfe flogen in unsere Richtung. Sie mussten unser Eintreten nicht bemerkt haben, so konzentriert waren sie in ihrer telepathischen Unterhaltung, bis Elizabeth sie angesprochen haben musste. Die Tatsache, bei etwas Verbotenem ertappt worden zu sein, verschwand schnell aus ihren Gesichtern und Erleichterung war in ihren Zügen lesbar.

„Hey.“, begrüßte uns Andy und versuchte zu lächeln.

Das gelang ihm jedoch nicht wirklich, da er kurz darauf schmerzvoll das Gesicht verzog.

Was hatte Bella vorhin gesagt?

„Und kurz nachdem der Transporter zum Stehen gekommen war, sagte er, jemand habe ihm ins Gesicht geschlagen. So hat es sich für ihn jedenfalls angefühlt.“, erklärte Bellas Stimme mir in meiner Erinnerung.

Wir traten ans Bett heran und Elizabeth nahm vorsichtig seine Hand in ihre. Ich lächelte Andy tröstlich zu, warf einen kurzen Blick zu meiner wieder fröhlichen Bella und ließ dann meine Augen zwischen dem anderen Paar hin- und her schnellen, damit mir auch ja nichts von der Unterhaltung entging.

„Dich kann man wohl nicht eine Sekunde aus den Augen lassen, was Andrew.“, tadelte sie ihn halb im Scherz und lächelte.

Er erwiderte trotz seiner Schmerzen das Lächeln und streckte etwas seine Zunge heraus. Er drückte ihre Hand, seufzte ganz leicht, als ob er so die Schmerzen so gering wie nur möglich halten wollte und vergessen war der Spott aus seinen Augen. Er lächelte seine Geliebte zärtlich an und schien ihr mit seinem Blick die Zuversicht geben zu wollen, die sie so dringend brauchte.

„Tja, fahre eben nie schneller, als dein Schutzengel fliegen kann.“

„Es war ja nicht absichtlich.“, widersprach sie ihm.
„Dein unerklärlicher Beinbruch war dafür verantwortlich.“

Andys Gesichtsausdruck wurde vorsichtig, wachsam. Er warf seiner Schwester einen kurzen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.

Ohh, die zwei…

„Ja.“, erwiderte er langsam und argwöhnisch.
Er schloss die Augen, atmete tief durch und öffnete sie wieder. „Ach, lassen wir das. Wir haben schließlich noch andere Probleme, oder? Schließlich kommt diese Victoria mit ihrer Armee bald her. Warum reden wir nicht lieber darüber?“, schlug Andy vor.

Dieser abrupte Themenwechsel verwirrte mich und ich sah Elizabeth, die kurz perplex die Stirn runzelte, aber darauf mit einem Nicken einging.

„Du sagtest doch, du hättest eine Idee bezüglich unseres…ähm…Versteckes…“
Er hielt inne und verengte kurz seine Augen.
„Naja, von unserem Versteck kann ja wohl jetzt nicht mehr die Rede sein.“, seufzte er resignierend.

Jetzt war es an mir, die Stirn zu runzeln. Was meinte er damit? In 17 Tagen würde er doch unter Garantie längst aus dem Krankenhaus entlassen werden. Er würde zwar einen Gips tragen und vielleicht Krücken brauchen, aber er läge nicht mehr hier.

„Was willst du damit andeuten?“, fragte ich ihn und es frustrierte mich wohl zum tausendsten Mal, dass ich seinen Gedankengang nicht folgen konnte.

Er sah zu mir und antworte ruhig mit entspanntem Gesichtsausdruck.

„Ja, ich weiß, was ihr denkt. Ich werde bestimmt nicht über zwei Wochen im Krankenhaus verbringen müssen. Aber ich denke, ich bleibe trotzdem solange hier, bis der Kampf vorüber ist.“

Ich sah in Elizabeths fassungsloses Gesicht, die Augen aufgerissen.

„Was??“, fragte sie entsetzt.
„Warum solltest du das wollen?“

Wieder seufzte Andy, was aber eher nach einem genervten Stöhnen aussah.

„Betrachten wir die ganze Sache doch mal logisch. Warum solltet ihr mich ebenfalls verstecken? Ich werde mit meinem eingegipsten Bein sowieso nur eine Last sein. Na gut, dass wäre ich auch ohne gebrochene Knochen. Denn selbst, wenn ich rennen könnte, wäre ich sowieso verloren. Ich wäre auf euch so oder so angewiesen, ebenso wie Bella.“

Er sah kurz zu ihr.

„Wir sind eben beide nur schwache Menschen und das ist genau der Punkt. Wäre ich bei euch, hättet ihr nur ein weiteres unnötiges Risiko, um das ihr euch kümmern müsstet. Außerdem hat es Victoria ja nicht auf mich abgesehen, richtig? Es ist viel effektiver, wenn ihr keine weitere Gefahr habt und die Cullens eine weitere Mitstreiterin zur Verfügung haben, um diese Vampire leichter zu besiegen.“, schloss er mit einem zufriedenem Lächeln, drückte Elizabeths Hand und sah erwartungsvoll zu ihr.

Ich ließ mir alle seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und musste feststellen, dass er absolut recht hatte. Er wäre wirklich ein weiteres Risiko mit dem die Vampire oder Victoria uns ködern könnten. Und ihn derart in Gefahr zu bringen und möglicherweise auch uns, ist wirklich unnötig. Ich warf einen Blick auf Bella, die ruhig und überlegt auf das Gesicht ihres Bruders starrte. Sicher kam sie zur selben Erkenntnis wie ich. Ich nahm ihre Hand und drückte sie. Ihr Kopf wandte sich mir zu und ich lächelte sie an, während meine Liebste es erwiderte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Elizabeths Lippen wieder bewegten und ich konzentrierte meine gesamte Aufmerksamkeit wieder auf unsere Unterhaltung.

„Du willst, dass ich kämpfe, während du hier allein im Krankenhaus bleibst?“
Sie sah fassungslos und ungläubig drein.
„Woher kommt den plötzlich dieser Sinneswandel? Du wolltest doch unbedingt, dass ich mich ebenso aus dem Kampf raus halte. Du hast mich sogar mit dem Versprechen unter Druck gesetzt.“

Sofort huschte ein schuldiger Ausdruck über ihr Gesicht, da sie den letzten Satz wohl lieber zurück genommen hätte. Auch Andy blickte nun reuevoll und verzog den Mund.

„Ja, ich weiß. Aber ich glaube, dass es besser so ist.“

Er grinste breit und ein schelmisches Funkeln lag in seinen Augen.

„Seien wir ehrlich. Du würdest doch viel lieber deiner Familie…oder Familien helfen, anstatt hier langweilig an meinem Bett zu sitzen und Händchen halten.“, versuchte er sie zu überreden und sein Leiden herunterzuspielen. Das war so typisch.

„Nein!“, entkam es Elizabeth entsetzt und leicht wütend, wie mir schien.

Sie starrte Andy an, als würde er etwas sehr Wichtiges nicht verstehen.

„Ach ja?“

Zweifelnd zog er eine Augenbraue und ein leichtes Zucken fuhr dabei durch seinen Körper. Er musste noch immer Schmerzen haben.

„Ja.“, antwortete sie ihm mit einem trotzigen Ausdruck im Gesicht.
„Natürlich. Kennst du mich denn etwa immer noch nicht gut genug?“, wollte sie wissen.

Andy Mundwinkel zuckten und er schüttelte leicht mit geschlossenen Augen den Kopf.

„Ganz im Gegenteil. Ich kenne dich ziemlich gut. Selbst wenn du hier bei mir wärst, wärst du nicht bei mir.“

Fragend sah sie ihn an. Er lachte kurz auf.

„Was ich damit meine ist, dass du ständig mit den Gedanken beim Kampf wärst. Außerdem erinnere ich mich noch sehr gut an deine enttäuschte Miene, als ich dich darum bat, meinetwegen nicht am Kampf teilzunehmen. Wenn du kämpfen und deiner Familie helfen willst, dann sollte ich dich nicht daran hindern. Das wäre ziemlich egoistisch, meinst du nicht auch?“

Sofort als er den letzten Satz ausgesprochen hatte stockte er und warf Bella einen entschuldigendem Blick zu und bat per Telepathie garantiert um Verzeihung für seine Bemerkung.

Bellas Blick wurde daraufhin traurig, zweifelnd und unschlüssig. Nein, so wollte ich sie nicht sehen. Es war meine Entscheidung und ich tat es gern. Denn sie war nun mal das Wertvollste für mich. Besonders konnte sie auf keine dummen Ideen kommen, wenn ich in ihrer Nähe wäre. Nein, ich würde sie auf keinen Fall allein lassen, ob sie ihren Wunsch nun egoistisch fand oder nicht. Vielleicht war er es, aber ich empfand es nicht so. Ich drückte Bellas Hand und sah ihr forschend ins Gesicht.

„Ich WILL es so!“, beteuerte ich, was sie mit einem Nicken quittierte, nachdem sie meine Worte vernommen hatte.

Beide wanden wir uns wieder der Unterhaltung zu.

„Hör zu, Andy. Ich versteh‘ dich. Wirklich. Aber…“, setzte Elizabeth an, wurde jedoch unterbrochen.

„Kein ‚ABER‘, Elizabeth…“, widersprach er ihr und sah sie streng an.

Oh, jetzt hieß es plötzlich Elizabeth. Wenn Andy schon ihren vollen Namen benutzte, musste ihm die Sache wirklich am Herzen liegen. Seine Miene wurde wieder sanfter und er seufzte.

„Hör mal. Ich bin schon ein großer Junge. Du brauchst also nicht ständig hier sein und meine Hand halten. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich dich nicht bei mir haben will. Tu einfach, was du tun musst und wenn alles vorbei ist, kommst du einfach her und holst mich ab. Dann können wir so viel Händchen halten wie du willst und mehr…“, versprach er ihr mit einem schüchternem Lächeln und drückte ihre Hand, während er mit seinem Daumen ihren Handrücken streichelte.

Meine Schwester lenkte ein und seufzte resignierend, sah ihren Liebsten wachsam in die Augen.

„Wenn du das wirklich möchtest…“, sagte sie und Trauer verdüsterte ihre Miene.

Trauer, nicht bei Andy sein zu können.

„Hey, jetzt tu doch nicht so, als wäre das ein Abschied für die Ewigkeit. Außerdem tue ich das nicht nur für mich, sondern auch für dich. Ich will, dass du entspannt und losgelöst bist, wenn wir uns wieder sehen und ich dir wegen meiner Bewegungseinschränkung und meiner verlorenen Unabhängigkeit die Ohren voll jammere. Und wie Jasper schon sagte, soll das ja ein einfacher Kampf werden. Also je mehr Leute kämpfen, umso eher sind sie besiegt und umso schneller wirst du wieder hier sein.“, sagte er, um  Elizabeth aufzuheitern.

Es funktionierte. Auf Elizabeths Gesicht breitete sich ein kleines Lächeln aus.

„Na schön, du hast gewonnen.“

Sie hob seine Hand zu ihrem Mund und küsste sie. Enttäuschung zeichnete Andys Miene.

„Kriegen meine Lippen auch einen Kuss?“, fragte er schmollend, was uns alle zum Lachen brachte.

Sie beugte ihren Kopf zu seinem hinunter und gab ihm einen süßen unschuldigen Kuss.

„Eine Frage hätte ich da noch.“, las ich von Bellas Lippen aus den Augenwinkeln ab.

Sie hatte die ganze Zeit still zugehört und beteiligte sich nun am Gespräch. Alle Augen lagen nun auf ihr.

„Warum willst du hier die ganze Zeit hier bleiben und nicht zu Charlie, wenn du entlassen werden kannst?“

Eine gute Frage.

„Naja, dann würde Charlie sich bestimmt frei nehmen und ständig um mich herum sein wollen, obwohl er das natürlich nie zugeben würde. Aber so viel Fürsorge ist für mich so…so…“

„Ungewohnt?“, vollende Bella Andys Satz.

„Ja, genau. Charlie würde das bestimmt verstehen und dann kann er dem Personal wer weiß was erzählen. Und Carlisle kann mir ja auch dabei helfen, sodass ich länger bleiben kann.“

Ich seufzte. Ja, so waren sie beide eben. Immer auf eigenen Beinen stehend und stur mit einem Hang zu lebensbedrohlichen Situationen durchs Leben gehen und sich kein bisschen verwöhnen, ja nicht mal helfen lassen. Und wenn, dann ungern. Meine Schwester und ich sahen uns wissend und lächelnd kurz ins Gesicht.

„Ich bin sicher, dass Charlie nichts dagegen haben wird.“, sagte Bella.

Andy lächelte. „Worauf du dich verlassen kannst.“

Elizabeth, Andy und Bella sahen hinter mir. Anscheinend hat gerade jemand den Raum betreten und ich hatte es nicht mitbekommen. Innerlich stöhnte ich über meine Unfähigkeit. Ich drehte mich um und sah Schwester Mary im Raum stehen.

„Ich glaube es reicht erst mal für den Moment. Es wäre besser für Andrew, wenn er sich jetzt ausruhen würde. Sie können ihn heute Abend wieder besuchen.“, sagte sie uns und verließ wieder das Zimmer.

„Also dann…“, sagte Bella und beugte sich hinunter zu ihrem Bruder, um seine Wange zu küssen.

Ich sah, wie sie ihm „Ich hab dich lieb.“, ins Ohr hauchte. Er lächelte und legte leicht seine Arme um sie.

„Ich dich noch mehr.“, flüsterte er zurück, als Bella sich wieder erhob und vom Bett aufstand.

„Hey, Bruder werde schnell wieder gesund, damit wir so schnell wie möglich wieder ein Quartett sind.“, sagte ich ihm lächelnd, nahm und drückte seine andere Hand.

Elizabeth nahm ihre Hand aus seiner und fuhr dabei über die Gravur des Ringes auf seinem Zeigefinger, der ihr schon die ganze Zeit aufgefallen war. Andy folgte ihrem Blick und beantwortete ihre unausgesprochene Frage.

„Bella hat den Ring gestern…oder heute Nacht im Traum gefunden. Keine Ahnung wie, es ist eben so. Sie hat mir erzählt, dass es der Ring von meinem Totengräber ist und gefragt, ob ich ihn tragen will.“

Er zuckte den Schultern, doch er zischte vor Schmerz die Luft ein und verzerrte sein Gesicht.

„Es ist mir nicht unangenehm, ihn zu tragen. Das Gefühl kommt mir so…so…vertraut vor. Ich weiß selbst nicht warum.“

Bella hatte den Ring im Traum gefunden? Aber wenn sie ihn gefunden hatte – und der Ring war ja echt – wie kann das dann ein Traum gewesen sein? Ich entschied, nicht weiter darüber nachzudenken und diese Tatsache einfach zu akzeptieren. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, würde mir nur Schmerzen bereiten. Das war selbst mir zu kompliziert. Das alles hing bestimmt mit ihren medialen Fähigkeiten zusammen.

Elizabeth lächelte leicht und streichelte seinen Kopf, wobei sie ihm eine Haarsträhne hinters Ohr klemmte.

„Lass mich raten: Es ist eben so.“

„Genau.“, erwiderte Andy und versuchte ein Lächeln, was diesmal ziemlich echt aussah.

Sehnsüchtig lag ihr Blick auf ihm, dann grinste sie schalkhaft.

„Und verdreh‘ den Krankenschwestern hier nicht zu sehr den Kopf, sonst beiß ich dich.“

Natürlich bekam sie die gewünschte Reaktion, die sie wollte. Er errötete und neigte verlegen den Kopf zur Seite. Sie lachte nur, neigte ihrem Kopf zu ihm und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss, als Andy seinen Kopf wieder ihr zugewendet hatte.

„Bis bald, mein Liebster.“, verabschiedete Elizabeth sich und sah ihn voller Liebe an.

„Ich vermisse dich jetzt schon.“, sagte er wehmütig und sie lächelte.

„Wehe, wenn nicht!“, tadelte sie ihn gespielt.

„Ich werde über dich wachen.“, versprach sie Andy, sodass er wusste, dass er in der Nacht nicht allein war.

„Tschüss.“, sagte Andy zu uns allen und wir verließen sein Krankenzimmer.

„Und?“, fragte ich meine Liebste auf dem Weg zu Elizabeths Auto.
„Willst du noch in die Schule?“

„Warum nicht. Das wäre immerhin eine gute Ablenkung.“, seufzte sie und ich schlang einen Arm um ihre Taille.



Die nächste Zeit raste schnell an uns vorbei. Wir besuchten jeden Tag Andy im Krankenhaus und ich überwachte Bellas Schlaf - bis meine Augen zufielen -, während Elizabeth am Kampftraining teilnahm, bevor sie es mir mit ihrem Liebsten gleich tat. Das Elizabeth nun Teil der Kämpfergruppe überraschte sie alle, doch als wir Andys Erklärung wiedergaben, staunten sie nicht schlecht. Vor allem Jasper war überrascht, mit welcher Logik Andy diese ganze Situation betrachtete und bewunderte ihn dafür. Er war der Überzeugung, dass er früher oder später zum selben Entschluss gekommen wäre.

Auf die Frage, was es mit den ganzen Verletzungen der Zwillinge auf sich hatte und woher sie eigentlich kamen, fand keiner eine Antwort, ganz gleich, wie lange wir darüber grübelten. Doch mich beschlich das Gefühl, dass Bella eine Theorie dazu hatte, die sie uns – die sie mir – nicht mitteilen wollte. Ich war mir sicher, dass sie etwas wusste. Warum hatte sie im Krankenhaus nur so krampfhaft das Thema gewechselt? Früher oder später würde sie schon mit der Wahrheit herausrücken.

Das Jagen stellte sich für mich als schwere Prüfung heraus. Es war gar nicht so einfach sich seinen Instinkten zu überlassen, wenn wichtige nicht vorhanden waren. Nur meinem noch nicht ganz verschwundenen Geruchssinn war es zu verdanken, dass ich überhaupt erfolgreich war. Aber durch meine Taubheit zog sich das Ganze in die Länge, was für mich äußerst beschämend war.

Emmett und seine andere Version hatten sich schlapp gelacht, als SEINE Alice ihnen allen erzählte, wie mich ein Puma von hinten überrascht hatte. Ich hatte ihn tatsächlich nicht bemerkt und war richtig geschockt gewesen, als ich sein nicht nennenswertes Gewicht auf meinem Rücken spürte. Es zog mich etwas nach unten und mein Essen spielte mit mir, als es versuchte, mich mit seinen Krallen zu verletzen. Für mich fühlte sich das allerdings wie Liebkosungen an.

Nun gut.

Das Jagen wurde mir zwar erschwert, aber nicht unmöglich. Trotzdem war es äußerst demütigend. Selbst ER konnte sich nur sehr schwer ein Lachen verkneifen. Warnend hatte ich ihn angeknurrt und war kurz davor gewesen, IHN anzuspringen. Aber wenn ich ehrlich war, würde ich in seiner Situation bestimmt auch ein Grinsen nicht verbergen können.

Eines Nachts kam ER in IHR Zimmer, als ich noch nicht eingeschlafen war. Ich wollte mein zweites Ich schon wieder anknurren, doch er hob nur beschwichtigend die Hände und ich las von seinen Lippen ab, warum er zu mir gekommen war. Schweren Herzens verließ ich meine Bella, aber nicht ohne vorher nochmal zu überprüfen, dass sie nicht von Alpträumen heimgesucht wurde. Ich machte mich auf dem Weg zur Lichtung, nachdem ich Bella einen Abschiedskuss auf die Stirn gegeben hatte.

Dort waren alle versammelt.

Wir Vampire und die stinkenden Hunde. In dieser Situation wünschte ich mir, dass auch meine Nase ihren Dienst versagte. Sei es drum.

Sie hatten mich zu sich geholt, da sie mich in ihrem Plan einweihen wollten. Wie Elizabeth schon vorgeschlagen hatte, würde ich mich mit Bella ins Gebirge während des Kampfes verstecken. Einer dieser Hunde – ein schwarzer, erfahrender – bestand darauf, mit zum Gebirgsversteck zu kommen. Anhand seines Blickes wusste ich, dass es ihm nur darum ging, Bella zu beschützen. Er hegte keine romantischen Gefühle für sie. Mir sollte das recht sein.

Jasper kam auf die Idee, den Neugeborenen eine Falsche Fährte mit Bellas Geruch zu legen, um sie genau hierher auf die Lichtung zu führen, wo der Kampf stattfinden sollte. Bella sollte dann über einen anderen Weg zu mir zum Versteck ins Gebirge kommen. Strategisch war es besser, wenn sie nicht mit mir zusammen hinging, sondern mit einem dieser Hunde. Es wäre gut möglich, dass dieser Gestank Bellas Geruch überdecken würde, meinte Jasper. Mir gefiel das natürlich absolut nicht, aber da es hier um Bellas Sicherheit ging, willigte ich zähneknirschend ein.

Es war auch nicht besonders förderlich für mein Gemüt als sich einer dieser Jacobs FREIWILLIG für diese Aufgabe meldete. Welcher es war, wusste ich nicht. Aber es war mir sowieso gleichgültig, oder…?

Ich warf diesem Köter einen zornigen Blick zu, den er frech erwiderte. Am nächsten Tag, nachdem wir Andy im Krankenhaus besucht hatten, fuhr ich mit Bella in Emmetts Jeep zur Lichtung, damit dieser Jacob – ich hasste diesen Namen – das Experiment ausführen konnte. Zu meiner Freunde missfiel es auch Bella, von diesem Hund getragen zu werden, während er diese Tatsache nur allzu sehr genoss. Oh, wie sehr würde ich ihm sein breites Grinsen aus dem Gesicht schlagen.

Und musste er nur halb bekleidet auftauchen?

Er lief eine kleine Runde mit MEINER Bella auf seinen Armen und als er auf der anderen Seite des Waldes wieder heraus kam, sah ich zu meiner Genugtuung, dass Bella bereits in seinen Armen zappelte und ihm befahl, sie wieder anzusetzen. Das ist meine zukünftige Frau, dachte ich stolz und verbarg meine Heiterkeit vor diesem Jacob, so gut ich konnte. Sie lief auf mich zu und schlang einen Arm um meine Taille, während sie lächelnd zu mir aufsah. Ich lächelte zurück. Ich mochte es, wenn sie ihren Besitz markierte. Wenn sie zeigte, zu wem sie gehörte. Und ja, ich gehörte ihr. Die ganze Welt sollte es wissen.

Ich sagte Jacob, dass das Experiment geglückt sei, als er bei uns angekommen war. Ich konnte nur seinen Gestank und nicht ihren köstlichen Duft riechen. Wenigstens war ich nicht völlig nutzlos. Wir verabschiedeten uns voneinander. Der Vampir und der Werwolf erdolchten sich mit ihren Blicken, während der Hund meine Welt wieder breit angrinste. Als ich dies sah, schlang ich einen Arm fest um sie die Hand meines anderen Armes ballte sich zur Faust, wobei meine Fingernägel in meine Haut schnitten. Gott, wie ich ihn hasste.

Sobald es uns möglich war, brachte Bella ihren Bruder auf dem neusten Stand der Ereignisse. Andy nickte bekräftigend und wirkte sehr erleichtert, als er erfuhr, dass dieser sogenannte Sam Uely bei uns sein würde. Dabei warf er mir einen Blick zu, der mir deutlich zu verstehen galt, dass ich meine Eifersucht unter Kontrolle halten sollte. Da brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Dieser Sam war keine Konkurrenz für mich. Aber eventuell dieser ewig grinsende Jacob. Also einer von beiden. Der andere war schon vergeben, wie ich bei der Besprechung durch die gegenseitigen Blicke zwischen ihm und seiner Gefährtin erfahren hatte.

Andy sagte uns wie immer, dass es ihm gut ginge und wir uns keine Sorgen zu machen brauchten, während wir ihm versprechen mussten vorsichtig und gut vorbereitet zu sein. Die Zeit rannte uns davon und schon war der Abend vor dem Kampf angebrochen. Bella hatte mir gesagt, dass sie sich schon eine Ausrede für Charlie einfallen lassen würde. Sie hatte vorhin eine Menge Zeit im Bad verbracht, kurz bevor Charlie nach Hause kam.

Was hatte sie nur vor?

Ich saß gerade in Bellas Zimmer und wartete auf sie, während Vater und Tochter zu Abend aßen.

23 Minuten und 13 Sekunden später öffnete sich ihre Zimmertür und eine breitlächelnde Bella stand vor mir. Offenbar hatte ihr Vorhaben – was immer es auch war – hervorragend funktioniert.

„Was hast du ihm gesagt?“, fragte ich sie mit erhobener Augenbraue und versuchte ihr meine Nervosität nicht allzu deutlich zu zeigen.

Meine Bella konnte nun einmal nicht gut lügen, auch wenn Charlie ihr ihre Geschichten dennoch meist abkaufte. Sie schloss ihre Zimmertür, kam zu mir, und setzte sich auf ihr Bett. Dann nahm sie meine Hand und legte sie auf ihre Stirn. Oh mein Gott! Sie war heiß. Richtig heiß. Oh nein, mein Engel hatte Fieber! Sie hatte sich bestimmt eine Erkältung eingefangen.

Aber warum war mir so etwas entgangen?

Ich runzelte die Stirn. Bellas Miene passte nicht zu ihrem Symptom. Was war hier los? Bella kicherte lautlos, denn ich hörte es ja nicht. Was sollte das? Ich machte mir die größten Sorgen und Bella lachte mich einfach aus.

„Keine Sorge. Ich habe nicht wirklich Fieber.“, versicherte sie mir grinsend.

Trotzdem glättete sich meine Stirn nicht.

„Es musste nur möglichst realistisch für Charlie sein. Erinnerst du dich, dass ich lange Zeit im Bad verbracht habe?“

Ich verdrehte die Augen. Ich mag zwar taub, aber nicht blind sein.

„Ich habe nur mit dem Föhn etwas gespielt und meine Stirn damit erwärmt.“

Ich machte große Augen. Ach, meine Bella. In der Not immer erfinderisch. Ja, genau aus diesem Grund konnte ich sie morgen nicht allein lassen.

„Du bist nicht nur wunderschön, sondern auch klug. Weißt du, wie stolz ich bin, dein Ehemann werden zu dürfen?“

Prompt strömte das Blut in ihren Wangen. Ich lachte und legte meine Hände an ihren Wangen. Unsere Blicke verschmolzen miteinander und ich küsste mit all der Liebe und Leidenschaft, die ich für sie empfand. Erst zärtlich strich ich über ihre süße Unterlippe, bat um Einlass, den ich sogleich bekam und spielte mit ihrer Zunge umschmeichelte sie.

Auch Bella blieb nicht untätig und tanzte mit meiner Zunge, stupste und neckte sie, was mich Stöhnen ließ. Wieder einmal verfluchte ich mein fehlendes Gehör, da ich ihr Stöhnen nicht vernehmen konnte. Aber andererseits hätte das meiner Beherrschung nicht gut getan. Denn mein Körper verzerrte sich nach dieser Frau. Und es wurde täglich immer etwas schwieriger, nicht über sie herzufallen. Unsere Zungen wurden mit der Zeit immer wilder, der Kuss leidenschaftlicher, bis sie zurück wich, um wieder zu Atem zu kommen.

„Ich liebe dich.“, sagte sie.

„Ich liebe dich.“, antworte ich und küsste sie auf ihre Nasenspitze, bevor ich vom Bett aufstand, damit sie ihren Pyjama holen konnte, den sie immer zum Schlafen trug.

Heute war Donnerstag, der 02. Februar. Heute würde Victorias Ende sein. Auch wenn ich es ihr nicht brachte. Ich küsste Bella wach, wie der Prinz aus Snow White und ließ ihr für ihr morgendliches Ritual die Privatsphäre.

Dabei fiel mir auf, dass sie ziemlich nervös wirkte, als sie ihr Zimmer verließ, um ins Bad zu gehen. Sie schien ganz weit weg zu sein und alles unbewusst zu erledigen. Ich schob es auf ihre ständige Sorge um andere. Ich versicherte ihr, dass heute alles gut gehen und keine Komplikation auftreten würde. Sie nickte zwar zum Zeichen, dass sie mich verstanden hatte, aber ich sah ihr an, dass sie mir nicht glaubte.

Nach einem sehr stillen Frühstück fuhr ich mit ihr zu unserem Haus, um alle Sachen zusammenzupacken, die Bella für unseren Campingausflug benötigen würde. Wir würden uns im Gebirge aufhalten und es würde Schnee geben. Das gefiel Bella nicht, denn sie schüttelte sich vor Abscheu, als Alice ihr dies mitteilte. Und ich mochte es erst recht nicht.

Mir machte es nichts aus, ich besaß schließlich einen kalten Körper, aber Bella würde es sehr schwer haben und Gefahr laufen zu erfrieren. Und das allerschlimmste dabei war, dass ich sie nicht wärmen konnte. Ich müsste sogar noch von ihr wegrücken, was nicht meinem Wesen entsprach. Ich wollte sie halten, ihr Mut und Kraft geben und würde eher die Situation noch verschlimmern und ihre Zähne wahrscheinlich noch mehr zum Klappern bringen. Ich mochte es nicht, wenn ich mich hilflos fühlte. Etwas, was ich mit meiner Liebsten gemein hatte. Dieser Gedanke ließ mich schmunzeln.

Nachdem alle Sachen – inklusive eine Decke und Jacke für Bella – gepackt waren, lief ich mit ihr und den Sachen auf dem Rücken los, bis ich sie an einer Stelle mitten im Wald absetzte, die sich in der Nähe der Lichtung befand. Bella wusste, was sie zu tun hatte und ich wies ihr mit meinem Zeigefinger die Richtung in die sie gehen und somit die Fährte legen sollte. Ich erwartete, dass sie los lief, doch sie bewegte sich nicht. Bella schaute mich besorgt und bedacht an. Sie wirkte wieder so nervös, wie eigentlich schon den ganzen Tag über.

„Was ist?“, fragte ich sie.

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts.“, sagte sie nur und lief los.

Oh, Bella.
Warum lügst du mich nur an?

Ich lief in ein paar Meter Entfernung neben ihr her, während ich sie genau beobachtete. Wie besprochen, berührte sie alles, was ihren Weg kreuzte. Bäume, Steine, Gräser, Moos. Sie wirkte dabei sehr konzentriert und ihre Augen waren leicht zusammengekniffen. Ich hatte das Gefühl, dass ihre Konzentration nicht mit dieser Sache zusammenhing. Jedenfalls nicht nur. Ich wollte mich mit ihr unterhalten, wusste jedoch nicht so recht, was ihr sagen sollte.

Jacob wartete schon am vereinbarten Treffpunkt und grinste Bella entgegen, während er für mich nur kalte Höflichkeit übrig hatte. Ich fragte ihn, ob er die Route kennen würde und antwortete mir knapp, dass er sich sehr gut auskannte. Dabei warf er mir einen Blick zu, als hielte er mich für dumm. Wahrscheinlich tat er das auch. Zu meinem Glück, begab sich Bella äußerst widerwillig in ihr Schicksal, nachdem ich ihr einen leidenschaftlichen Abschiedskuss gegeben hatte. Ich hatte seine Wut praktisch fühlen können, was mir mehr als gefiel. Jacob hob sie auf seine Arme, presste sie an seine nackte Brust und lief mit meinem Lebenssinn davon. Ich sah ihnen nach bis sie verschwunden waren und lief dann hinauf zum Gebirge, um dort unser Zeltlager aufzuschlagen.

Es war etwas windig und schneite ununterbrochen. Der Himmel war mit grauen Wolken verhangen und kein Lichtstrahl drang durch die Wolkendecke. Schnell hatte ich meine Arbeit erledigt und tigerte unruhig hin und her, war angespannt und mit dem Nerven am Ende. Dieser Teil des Plans missfiel mir.

Erstens: Sie war mit diesem Köter zusammen und nicht mit mir.

Zweitens: Was brauchte der Hund solange? Er wollte bestimmt auf Zeit spielen und das Ende seiner Aufgabe solange wie möglich heraus zögern.

Drittens: Was redeten die Zwei miteinander? Warum konnte ich meine Fähigkeit ausgerechnet jetzt nicht nutzen.

Frustriert griff ich in meine Haare und zog daran. Ich schwor mir, wenn der Köter nicht in den nächsten Minuten hier auftauchte, würde ich zu ihm kommen und ihn…

Ich drehte meinen Kopf nach rechts, weil meine Nase den stinkenden Geruch aufgenommen hatte, atmete erleichtert aus und nahm meine Hände vom Kopf, als ich Jacob mit MEINER Bella auf den Armen auf mich zukommen sah. Jacob blickte wie üblich feindselig drein, während Bella sehr verärgert aussah. Sie blitzte Jacob an, bevor er sie absetzte und sie zu mir lief.

Was hatte dieser Bastard nur zu ihr gesagt?

Bella warf sich an meine Brust und umschlang meinen Körper. Ich legte meine Arme um sie und streichelte beruhigend ihren Rücken. Jacob schnaubte verärgert und grummelte einen Abschiedsgruß und verzog sich.

Endlich.

Ich ging mit Bella zum Zelt, da sie gleich anfing zu zittern. Der Wind war stärker geworden. Ich öffnete den Eingang des Zeltes und Bella ging hinein. Gerade als ich ihr folgen wollte, sah ich, wie ein großer schwarzer Wolf den Hang herauf kam. Er nickte zur Begrüßung und legte sich neben dem Zelt auf den Boden. Ich ging in das Zelt und sah, wie sich Bella bereits in die dicke Decke eingekuschelt hatte, die für sie bereits drinnen lag. Zitternd saß sie da und wartete auf mich. Ich schloss den Eingang wieder und setzte mich neben sie.

Bella lehnte den Kopf an meiner Schulter, während ich mit meiner Hand beruhigende Kreise auf ihrem Rücken malte. Ein kleiner Teil in mir hoffte, dass diese Bewegungen sie wenigstens etwas wärmen würden, doch ich wusste ganz genau, dass ich dazu nicht fähig war.

„Schließ die Augen und versuche dich etwas zu beruhigen. Es dauert noch einige Stunden, bis der Kampf losgeht.“, sagte ich ihr.

Ihre Nervosität schien nicht ein bisschen nachzulassen.

„Mmhh.“, bestätigte sie und schloss die Augen.

Nach und nach hob und senkte sich ihr Brust etwas gleichmäßiger. Sie schien etwas eingedöst zu sein, trotz der Kälte. Oder vielleicht tat sie auch nur so, als würde sie schlafen, um mir einen Gefallen zu tun. Naja, wenn man diesen Zustand als „schlafen“ bezeichnen möchte. Es war doch eher nur ein ausruhen.

Nun saß ich hier mit meiner Bella in einem Zelt und sah auf meinen Arm. 13.24 Uhr war es inzwischen. Hatten die beiden Alice‘ nicht gesagt, dass sie am frühen Nachmittag nach Forks kommen und angreifen würden? Ich konzentrierte mich wie schon in den letzten Stunden voll und ganz auf meinen schwachen Geruchssinn, schnupperte und riss die Augen auf und erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde. Ich roch einen mir bekannten und unbekannten Duft. Doch jener, der mir bekannt war, reichte aus, um mich in Schrecken zu versetzen.

Diesen Geruch kannte ich sehr gut.

Viktoria kam hierher.

Und sie war nicht allein.

Ohne weiteres Zögern hob ich Bella in meiner Geschwindigkeit auf meine Arme, zerfetzte den Eingang des Zeltes und sprang hinaus. Durch die plötzlichen Bewegungen und Geräusche erwachte Bella, riss erschrocken ihre Augen weit auf und huschte mit ihnen hin und her. Ich setzte sie ab und stellte mich in ein paar Meter Entfernung wie ein Schutzwall vor ihr. Der Hund stand mit gespannten Muskeln, gesträubtem Fell und fletschenden Zähnen neben mir.

Ich wusste, was Bella fragen würde, deshalb antwortete ich ihr und hoffte, ich wäre laut genug.

„Victoria kommt her.“, knurrte ich wütend.
„Ich denke, sie hat gewusst, dass wir uns zusammen an einem Ort befinden würden und lässt ihre Armee unten auf dem Feld allein kämpfen und die niedere Arbeit erledigen. Ihr ging es nur darum, dich zu töten, um mich zu verletzen.“

Ich schnupperte erneut und stellte erleichtert fest, dass keine weiteren unbekannten Gerüche hinzugekommen waren. Sie waren nur zu zweit. Das würden wir schon schaffen. Auch wenn ich es nur ungern zugab, fürchtete ich mich vor dem Kampf mit Victoria. Es würde ein ungewohnter Kampf werden und ich hatte nicht allzu viel Training gehabt. Aber es musste reichen. Nun flehte ich innerlich, dass die Stimmen in meinem Kopf zurückkehren mögen. Doch wie erwartet, blieb es still.

Verdammt.

Zwei Sekunden später tauchten sie auf.

Sie, eine rothaarige wütend knurrende Wildkatze.
Er, groß und blond mit ebenso blutroten Augen, wie diese Furie.

Ich brauchte nur einen Moment, dann erkannte ich ihn. Es war Riley Biers, einer die während dieser Mordserie verschwunden waren und als vermisst galten.

Was hatte sie dem Jungen nur erzählt, dass er sich auf so etwas einließ?
Was hatte sie ihrer Armee erzählt?
Oder hatte Riley nur das an die Armee weitergeleitet, was er von Victoria erfahren hatte?
War er es, der die Befehlsgewalt über die Armee hatte?
War deshalb gerade ER mit ihr zusammen hergekommen, weil er einen höheren Zweck in Victorias Plan hatte?

Sehr gut möglich.

Wir Vampire gingen in die Hocke, spannten unsere Muskeln an und knurrten wütend. Riley und Victoria funkelten mich wütend an, doch Victorias Blick war viel hasserfüllter. Ich konnte den Todeswunsch in ihren Augen erkennen, als ihr Blick kurz an mir vorbei zu Bella huschte. Ich knurrte und fletschte meine Zähne.

Ihre Augen blickten wieder in meine und brüllend rannte sie auf mich zu. Ihr Gefährte folgte ihr blind. Ich wartete geduldig auf sie, zu allem bereit.

Plötzlich sah ich in meinem Kopf Bilder des Kampfes.

Es war, als hätte ich meine Fähigkeit zurück bekommen. Aber bevor diese Bilder in meinem Kopf strömten, hörte ich eine Stimme.

Ihre Stimme.

Die Stimme meiner Bella.

„Edward. Ich hoffe, dass du mich jetzt hören kannst.“

Sie klang flehend und…hoffnungsvoll.

Ich konnte nur sehr schwer den Drang unterdrücken, mich zu ihr umzudrehen. In diesem Moment konnte ich nun ihre Gedanken hören, doch die Geräusche um mich herum, blieben mir weiterhin verborgen.

Aber etwas war merkwürdig an diesen Bildern in meinem Kopf. Ich sah einen Teil des Kampfes in meinem Inneren ablaufen. Victorias und Rileys Angriffe und meine Konterattacken darauf. Sogar die Attacken des Hundes konnte ich sehen. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff. Bella musste von dem Kampf geträumt, ihn gesehen haben. Wann, konnte ich nicht sagen.

War sie deshalb den ganzen Tag so nervös gewesen?
Wusste sie etwa die ganze Zeit bereits, was uns erwartete? Wenn das wahr war, warum hatte sie es mir nicht gesagt?

Denn das hätte sie getan, da war ich mir sicher.

Oder hatte Bella es erst gesehen, als sie vorhin im Zelt die Augen geschlossen hatte und es sich so keine Gelegenheit bot, es mir zu erzählen?

Wie auch immer, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich um lächerliche Details zu kümmern. Ich konzentrierte mich auf meine Gegner vor mir und die Bilder in meinem Kopf und hoffte, dass mich alles schnell erreichen konnte, bevor Victoria und Riley mir und diesem Sam Uely zu nahe kamen.

Vor meinem inneren Auge sah ich folgendes:


Victoria erreichte mich und holte mit ihrem Arm aus, um mir einen Schlag ins Gesicht zu verpassen. Diesen Versuch blockte ich jedoch mit meinem Arm ab. Dasselbe folgte nochmal mit ihrem rechten Arm. Riley, der sich ebenfalls auf mich stürzen wollte, sah wohl nur mich, oder er wollte seiner angeblichen Gefährtin zur Seite stehen.

Sam sprang auf ihn zu und wollte seine Zähne in Rileys Arm versenken, doch er schüttelte den Hund wieder ab, indem er ihm seinen Ellenbogen in den Bauch rammte. Sam jaulte auf vor Schmerz und flog gegen den Stamm einer Tanne. Der Schnee auf dessen Wipfel rieselte auf Sam hinunter. Der Stamm des Baumes bog sich, brach und die Tanne fiel in die Richtung des Waldes und stieß gegen eine andere.

In der Zwischenzeit war Sam wieder auf den Beinen und startete wieder einen erneuten Angriff gegen Riley. Dieser hatte es in der Zeit geschafft, von hinten meine beiden Arme gerade in dem Moment zu packen, als ich wieder die Angriffe von Victoria abgeblockt hatte. Victoria grinste mich siegessicher an und wollte gerade die Hände auf mein Gesicht legen, um mir das Genick zu brechen, als Sam in Riley Bein biss und meine Arme von ihren Fesseln befreit wurden. Sam zerrte Riley fort von mir und dieser schrie vor Schmerzen auf, was ich selbst in meinen Gedanken nicht hören konnte.

In den Bildern, die nun folgten, sah ich nur noch Victoria und mich miteinander kämpfen. Sam oder Riley tauchten nicht mehr auf. Der Hund war wohl dabei, diesem Riley sein Tod zu bescheren. Auch gut. Ein Gegner weniger. Victoria holte erneut aus, doch dieses Mal duckte ich mich, bevor ihre Krallen mich erreichen konnten, hob mein rechtes Bein, streckte es aus und brachte damit Victoria zu Fall. Nun lag sie rücklings im Schnee und bevor sie wieder gänzlich hoch gekommen war, sprang ich auf sie und drückte sie mit meinem Gewicht nach unten. Ich packte ihre Arme und sah mich selbst grinsen.


Dann war alles wieder schwarz in meinem Kopf.
Keine Bilder und keine Stimmen mehr.



Gerade, als Viktoria zum ersten Schlag ausholte, war meine gesamte Aufmerksamkeit wieder dem Kampf gewidmet. Ich war schnell genug, um noch meinen Arm zu heben und ihren Angriff abzublocken. Ich grinste überlegen. Sie fletschte die Zähne und versuchte es erneut. Auch diesmal scheiterte sie und ich sah, wie Sam sich auf Riley stürzte.

Es würde also alles so ablaufen, wie ich es gesehen hatte.
Warum sollte ich etwas verändern, bis zu dem Zeitpunkt, wenn ich Victoria auf dem Boden lag?

Nichts sprach dagegen.
Und der Hund würde den Schlag schon überleben.

So geschah alles, wie es in meinem Kopf war und es dauerte nicht lange, bis ich auf Victoria saß, ihre Arme in meiner Gewalt hatte und Sam Riley von unserem Kampf fortgezerrt hatte. Wahrscheinlich biss er ihm gerade irgendwo alle Gliedmaßen ab. Wie in meinem letzten Bild grinste ich auf Viktoria hinab und wollte gerade damit beginnen, einen ihrer Arme zu brechen, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung erhaschte.

Ich sah auf, hielt aber Victorias Arme immer noch fest umklammert und drückte sie mit meinem ganzen Gewicht zu Boden.

Sie versuchte sich zu wehren und zappelte, doch sie schaffte es nicht, mich von sich runterzustoßen. Aus dem Wald kam eine Gestalt auf mich zu gerannt. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung und Schock. Ich erkannte ihn sofort, obwohl seine Augenfarbe und sein Hautton sich verändert hatten. Sein dunkelbraunes Haar stand in alle Richtungen ab.

Der Junge aus meinem Stummfilm – Traum, den ich an Weihnachten hatte, war nun ein Neugeborener und gehörte zu Victorias Armee. Doch in seinem Blick lag keinerlei Feindseligkeit. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht gegen mich kämpfen wollte. Eher erschien es mir, als wollte er mir helfen.

Warum?
War er vielleicht einer der wenigen gewesen, die die Absichten von Riley beziehungsweise Viktoria hinterfragt hatten?
Die nicht blind in die Schlacht zogen und ohne Widerstand gehorchten?
Aber warum war er hier her gekommen und nicht vor den anderen geflüchtet, um sein Leben zu retten?

Hatte er vielleicht bemerkt, dass Riley und Viktoria nicht zur Lichtung aufgebrochen waren und war ihnen aus Neugier gefolgt?
Hatte er die Situation begriffen, dass ich ein Menschenmädchen vor dem Tode beschützen wollte und war mir deshalb nicht feindlich gesinnt?
Gehörte er zu den Neugeborenen, die noch wussten was es bedeutete, ein Mensch zu sein?

Ich wusste es nicht.
Es waren nur Vermutungen.

Angst lag in den rubinroten Tiefen seiner Augen. Sie waren weit aufgerissen und wirkten sehr groß in seinem noch jungenhaften Gesicht. Dann machte er Handbewegungen und im ersten Augenblick fragte ich mich, warum er das denn tat.

Warum sagte er mir einfach nicht, was er wollte?

Aber dann wurde mir wieder bewusst, dass ich ja nichts hören konnte.

Ich konnte nichts hören…

Und er…AUCH NICHT!

Er kommunizierte mit mir, indem er die Gebärdensprache verwendete. Diese Handbewegungen waren Wörter, die er mir dringend mitteilen wollte.

Ein Teil meines Gehirns machte sich seine eigenen Gedanken, während ich seine „Worte“ in mir aufnahm.

Hatte ich aus diesem Grund von seiner stummen Verwandlung geträumt?
Weil er taub war und nichts hörte?
War ich taub geworden, um ihn und seine Worte, seine Bewegungen in diesem Moment richtig deuten zu können?
Sollte ich taub werden, um die Gebärdensprache zu lernen, die er jetzt zur Kommunikation verwendete?

Aber ich war doch Gedankenleser.

Warum wurden also mein Gehör und die Stimmen in meinem Kopf auf Eis gelegt?
Nur damit ich wusste, was es bedeutete, taub zu sein?
Was es bedeutete ein Gehör zu haben?
Ist mir das widerfahren, um ihn verstehen und mit ihm fühlen zu können?

All das nur, damit ich in seine Lage versetzt wurde?

Moment…was sagte er da?

„Vorsicht hinter dir! Dreh dich um!“

Ich riss meine Augen auf und tat was er mir sagte und das war eine gute Entscheidung gewesen. Ich bekam nicht mit, was hinter meinem Rücken geschah und mein Geruchssinn war in dem Moment, als ich mich nur auf Viktoria konzentrierte, nicht besonders hilfreich.

Ich schaffte es gerade noch, meinen Kopf nach hinten zu drehen, als ich das zusätzliche Gewicht auf meinem Rücken spürte. Noch ein Neugeborener war also hier.

Aber das konnte kein Zufall mehr sein. War das von Victoria geplant gewesen?
Erst den Anschein von einem leichten Kampf erwecken, um dann mit weiteren Lakaien zuzuschlagen?

Sein Gewicht drückte mich nach unten und ich spürte, wie es in meinen Rippen knackste. Die Stärke der Neugeborenen war nicht zu unterschätzen, doch ich unterdrückte den Schmerz. Seine Hände umschlangen meinen Hals und ich musste nun Victorias Arme freigeben, um mein eigenes und vor allem Bellas Leben retten zu können. Verdammt!

Wo war dieser Köter, wenn man ihn brauchte?

So konnte ich nicht gewinnen.

Ich packte die Handgelenke meines neuen Feindes und schaffte es seinen Griff um mich etwas zu lockern, bevor er zudrücken konnte. Doch Victoria blieb nicht untätig. Mit ihren nun freien Armen, schlug sie mir mit ihren Fäusten in den Bauch, sodass ich mich reflexartig nach vorne beugte und meine Hände sich lockerten.

Der Neugeborene hatte meinen Hals nun fest im Griff und begann zuzudrücken.

Nein, dachte ich panisch.

Sollte das mein Ende sein?
Jetzt?
Wenn ich starb, wer würde dann Bella beschützen?

Niemand.

Auch ihr Leben würde heute enden, obwohl es doch gerade erst begonnen hatte. Nein, das dürfte nicht sein. Das konnte nicht sein!

Tut mir Leid, Bella Liebste. Ich habe es versucht. Ich werde mir nie verzeihen können, dass ich in dein Leben getreten und es somit in Gefahr gebracht habe. Ich liebe dich. Verzeih mir bitte.

All diese Gedanken wirbelten in meinem Kopf herum und ich wartete die letzten Bruchteile der Sekunden, die mein Ende einläuteten.

Plötzlich waren die Hände um meinen Hals und das Gewicht auf meinem Rücken verschwunden. Mein Kopf und mein Hals waren noch miteinander verbunden. Ich war noch nicht tot. Gott sei Dank.

Die harten Schläge in meinem Magen brachten mich wieder gänzlich zurück in die Wirklichkeit. Victoria lag noch immer unter mir und blickte mich mit allem Hass an, den sie aufbringen konnte. Ich unterdrückte den Schmerz und zögerte diesmal nicht lange. Ich griff mit beiden Händen ihre Arme, riss sie ihr ab und warf diese beiseite. Ihr Mund öffnete sich und sie schrie vor Schmerzen. Ich hörte es nicht. Was für ein Segen. Ein letztes Mal sah ich ihr in die Augen, bevor ich ihrer Existenz endgültig ein Ende setzte. Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und drehte es mit aller Kraft nach rechts. Dann zog ich ihren Kopf nach oben, bis ich ihn in meinen Händen hielt. Tote rote Augen blickten mir entgegen und angewidert ließ ich ihr Haupt zu Boden fallen. Doch Zeit zum Ausruhen blieb mir nicht.

Ich kam wieder auf die Füße, richtete meine Augen für einen kurzen Augenblick nach vorne und sah zu meinem Entsetzen, wie Sam meinem tauben Verbündeten gerade die Kehle durchbiss. So ein Idiot. Es tat mir sehr leid für ihn, doch ich hatte keine Zeit, seinen Tod zu bedauern und Sam für seine Dummheit eine zu verpassen. Aber aus seinem Standpunkt betrachtet, hatte er das einzig richtige getan.

Wie hätte er auch ahnen können, dass dieser Neugeborene mir geholfen hatte?

Ich drehte mich um und sah Emmett hinter mir stehen. Welcher es war, wusste ich nicht. Zu seinen Füßen lagen der Körper des Vampirs, der mich töten wollte und einige Zentimeter weiter sein dazugehöriger abgetrennter Kopf. Ich sah Emmett ins Gesicht, der seine Augen weit aufriss und seinen Kopf drehte. Ich tat es ihm nach und erstarrte. Noch einer von dieser Armee war hier. Und er hatte Bella im Schwitzkasten genommen. Ich knurrte ihn bedrohlich an, doch der dunkelblonde große Vampir grinste nur überheblich.

Bellas Augen waren weit aufgerissen. Entschlossenheit sah ich in meiner Lieblingsfarbe. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und ihr ganzer Körper zitterte vor Angst. Sie dachte bestimmt, dass wir auf sie keine Rücksicht nehmen und den Vampir einfach töten sollten. Das wäre typisch für ihren inneren Zwang sich für andere aufzuopfern und in Gefahr zu bringen, um Menschen, die sie liebte, zu beschützen. Aber ich würde alles in meiner Macht stehende tun, um Bella zu retten. Wenn nötig, auch vor sich selbst.

Ich überlegte verzweifelt, was ich jetzt tun sollte. Wenn ich auf ihn zu rennen und versuchen würde, ihn von Bella loszureißen, würde das ihren Tod bedeuten. Denn ihr Leben konnte schon zu Ende sein, bevor ich ihn überhaupt erreicht hatte. Ich schaute zu Emmett hinüber, der ängstlich und irgendwie nervös und hoffnungsvoll aussah. Er blickte mich an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Bedeutete mir damit, keinen Angriff zu starten. Ich runzelte die Stirn.

Ich sollte nichts unternehmen, während Bella in Lebensgefahr schwebte? Das konnte doch nicht sein Ernst sein. So schwer es mir auch fiel. Ich presste wütend die Lippen zusammen, blieb wo ich war und starrte den feindlichen Vampir der uns gegenüberstand an. Inzwischen war Sam neben Emmett aufgetaucht, knurrte seinen Feind an, unternahm aber ebenso keinen Versuch, Bella zu befreien. Ich musste darauf vertrauen, dass Emmett einen Plan hatte. Ich musste es einfach glauben. Denn es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, vor einem Kampf zurückzuweichen und logisch an eine Sache logisch zu betrachten.

Was als nächstes geschah, hätte ich nicht im Mindesten erwartet. Trotz meiner Wut, meines Hasses und meiner Angst, konnte ich einen vertrauten Geruch wahrnehmen. Der Vampir drehte überrascht seinen Kopf nach rechts und das war sein Fehler. Er war genug abgelenkt, damit Emmett nach vorn preschen und seinen Arm, der um Bellas Hals geschlungen war, packen konnte. Der Feind richtete seine Aufmerksamkeit auf Emmett und versuchte sich zu wehren.

Auch setzte er seinen anderen Arm ein und man konnte sehen, dass er sich durchaus mit Emmett messen konnte. Mit größter Mühe, wie es schien, löste Emmett den Arm um Bellas Hals, hatte seinen anderen Arm ebenfalls unter Kontrolle und stieß in mit seiner ganzen Kraft von Bella weg, sodass er gegen die Felswand prallte. In diesem Moment tauchte Jasper aus dem Wald auf und rannte auf Bella zu. Ich dachte, er wäre gekommen, um sie wegzubringen. Doch er hob sie nicht auf seine Arme, wie ich angenommen hatte.

Meine immer noch zitternde und offensichtlich unter Schock stehende Bella sah Jasper fragend an. Er legte nur kurz eine auf ihre Schulter, während der feindliche Vampir wieder auf die Beine kam und hockend zum Kampf bereit Emmett gegenüberstand. Bella begann zu flackern und war im nächsten Moment verschwunden.

Nun wusste, was Jasper getan hatte. Er hatte seine Fähigkeit benutzt, um wiederum Bellas auszulösen, damit sie in Sicherheit war und nicht mehr als Druckmittel benutzt werden konnte. Sie war außerhalb der Gefahr und das beruhigte mich etwas. Ich hoffte, dass es ihr gut in der anderen Welt gut ginge, wo auch immer sie gerade war. Ich würde so schnell wie möglich wieder bei ihr sein.

Der Vampir hatte das mit angesehen und riss überrascht seine Augen auf. Er fragte sich bestimmt, was da gerade passiert war. Jasper drehte sich zu mir und sah mich an. Das löste mich aus meiner Benommenheit und wir zwei kamen Emmett zu Hilfe. Er war uns vier ein würdiger Gegner, und kämpfte mit allen Mitteln. Doch so kräftig er auch war. Allein hatte er gegen uns keine Chance. Und er blieb auch allein. Kein weiterer Vampir kam ihn zur Hilfe und so dauerte es nicht sehr lange, bis auch sein Körper zerstört wurde. Wir alle grinsten siegessicher, sogar der Hund.

Ich sah Jasper stirnrunzelnd an, doch er schüttelte den Kopf. Er hatte meine unausgesprochene Frage verstanden. Keine weiteren Vampire waren in der Nähe. Ich hatte zwar die Luft mit meiner Nase untersucht, wollte jedoch auf Nummer sicher gehen.

„Na dann, sammeln wir alle Teile ein und machen ein kleines Feuerchen.“, witzelte Emmett.

Wir taten was er sagte und trugen alle Körperteile zu einem Haufen zusammen. Als wir damit fertig waren, zückte Jasper ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche, klappte es auf, ließ die kleine Flamme erscheinen und warf es in den Haufen. Sofort loderten riesige Flammen auf und begannen den Haufen in Asche zu verwandeln.

Ich rümpfte angewidert die Nase, als mich der ekelhafte Geruch mit einer solchen Wucht traf, dass ich beinahe ein paar Schritte zurück getaumelt wäre.

Was?

Ich atmete noch einmal tief ein und wieder aus und roch…alles.

Den ekelhafte Geruch des Köters, Emmetts und Jaspers Geruch, den Geruch der Bäume um uns herum. Einfach alles, was ein Vampir riechen konnte. Es war, als hätte sich mein Geruchssinn wieder eingeschaltet.

Noch während ich alle Gerüche, die sonst noch in der Luft lagen, in mir aufnahm, hörte ich ein Knistern und Knacken. Erst ganz leise. Dann wurde es immer lauter, bis mir das Geräusch in den Ohren zu dröhnen schien.

Ich hörte das Schnaufen des Hundes, hörte den Wind pfeifen, der durch meine Haare wehte und das Laub zum Rascheln brachte. Auch das hörte ich klar und deutlich, als würde ich selbst gegen das Laub pusten, welches unter den Bäumen lag. Mein Gehör war wieder vorhanden. Ich konnte es noch gar nicht glauben.

Stand es mir wieder zu Verfügung, da der Kampf vorbei und der taube Junge tot war?

Sehr wahrscheinlich. Auch wenn ich seinen Tod etwas bedauerte, konnte es meine Freunde über meine zurück gewonnenen Sinne nicht trüben. Vor allem nicht, als ich leise Stimmen in meinem Kopf hörte, deren Lautstärke immer weiter zunahm, bis sie das Maximum erreicht hatten. Ich konnte mich noch gerade zurück halten, einen Freudenschrei auszustoßen. Mein Blick streifte Emmett, der mich amüsiert mit hochgezogener Augenbraue betrachtete.

„Warum grinst du denn so wie ein Honigkuchenpferd, Edward?“, fragte er schmunzelnd.

Oh Gott. Ich hatte ihn gehört. Jedes Wort klar und deutlich.

„Wiederhol das bitte!“, verlangte ich ungläubig, noch immer etwas unter Schock stehend, noch immer nicht fähig, das eben Geschehene zu begreifen.

Ich hatte meine eigene Stimme gehört. Und ich war noch nie so glücklich darüber gewesen, wie jetzt. Emmett runzelte die Stirn, während Jasper, der neben ihm stand, mich bereits wissend angrinste.

„Ich habe gefragt…Woah, woah, woah! Edward, Bruder. Du kannst mich wieder hören?!“

Emmett grinste mir so breit ins Gesicht, als wäre ich der Weihnachtsmann persönlich, zog mich in eine freudige, stürmische Umarmung und war dabei mir sämtliche Knochen zu brechen. Ich erwiderte grinsend seine Umarmung und wir beide klopften uns auf dem Rücken, bevor wir uns wieder voneinander lösten.

„Wird ja auch Zeit.“, sagte Emmett und schlug mir mit seiner Faust gegen den Arm.

Lachend rieb ich mit meiner Hand darüber.

„Schön, dass du wieder da bist, Edward.“, sagte Jasper lächelnd, wurde jedoch gleich wieder ernst.
„Und es tut mir leid, dass mit Bella. Es war nur zur Vorsichtsmaßnahme und es war die schnellste Möglichkeit, sie außer Gefahr zu bringen.“

Ich hob meine Hand und lächelte.

„Hey, ich verstehe das. Du hast das einzig richtige getan.“

Ich zog meine Augenbrauen etwas zusammen und stellte die Frage, die mir schon eine Weile auf der Zunge brannte.

„Nicht, dass ich mich beschweren würde. Aber…“

Weiter musste ich nicht sprechen und Jasper antwortete mir.

„Deine…ähm…also die Alice von deiner anderen Version hat plötzlich sehen können, wie ein weiterer Vampir auf deinen Rücken sprang und deinen Hals umklammert hatte, während du Victoria auf dem Boden fest hieltest. So habe ich mich mit unseren Emmett hier davon gemacht, einen Plan ausgeheckt und sind dir und Bella zu Hilfe gekommen. Ich frage mich allerdings, warum Alice etwas sehen konnte?“

„Ganz einfach. Zu diesem Zeitpunkt war unser Freund hier…“ – ich blickte Sam kurz an, der aussah, als würde er sich schämen – „…nicht in meiner Nähe. Er hatte einen von Victorias Gefährten, mit dem sie zusammen hier aufgetaucht war, gerade von mir und Victoria weggezerrt und sich um ihn gekümmert.“

Jasper nickte bestätigend, während Emmett erleichtert die Luft ausstieß.

„Ach du heilige Scheiße. Na ein Glück, Bruder.“, erwiderte Emmett.

Jasper schmunzelte.
°Ja, so kann man es auch sagen.°

Ich lächelte, als ich seine Stimme in meinem Kopf hörte. Ich drehte mich wieder zu Sam um, der sich gerade Vorwürfe machte, weil er so lange für Riley gebraucht hatte und nicht in meiner Nähe gewesen war.

„Hör auf dich selbst zu grämen. Es ist vorbei und alles gut ausgegangen. Danke für eure Mithilfe.“, sagte ich zu ihm.

Er nickte und sah gleich etwas glücklicher aus.

°Es freut mich, dass unser Bündnis funktioniert hat. Meine Brüder rufen schon nach mir. Sie gehen jetzt gerade und haben sich ebenso bei deinesgleichen bedankt. Bis hoffentlich nicht so bald.°

Ich hörte sein Lachen in dem letzten Satz und lachte ebenfalls. Er drehte sich um und verschwand in den Wald.

„Wir waren ein gutes Team.“, rief ich ihm noch hinter her.

°Ebenfalls°, hörte ich noch, bevor er aus meiner Reichweite war.


Emmett packte meinen Arm und grinste mich an.

„Komm, lass uns zu den anderen gehen und die ihnen sagen, dass du wieder ein ordentlicher Vampir bist.“

Jasper kicherte und wir drei machten uns auf dem Weg zur Lichtung, wo sie alle schon auf uns warteten. Natürlich machte ich mir schon Sorgen um Bella und nahm mir vor, sie gleich anzurufen, wenn ich mit Elizabeth auf dem Weg zu Andy ins Krankenhaus sein würde. Die Stimmen rauschten nur durch meinen Kopf und es war nicht belastend, sondern fühlte sich sehr befreiend für mich an.

Nun war ich wieder ich.

Emmett konnte nicht an sich halten und brüllte förmlich die frohe Botschaft hinaus, was dazu führte, dass meine äußeren und inneren Ohren freudigem Gebrüll ausgesetzt waren. Auch mein anderes Ich freute sich für mich. Rosalie, von der anderen Seite, fragte wo Bella denn sei und Jasper erzählte ihnen, was er getan hatte. Alle waren heilfroh, dass Bella der Situation lebend entkommen konnte. Nachdem der große Haufen mit Vampirüberresten so gut wie abgebrannt war, waren wir bereit aufzubrechen.

Ich trat an Elizabeth heran, die mich glücklich angrinste.
°Endlich ist das alles vorbei. Und endlich kannst du wieder hören, Brüderchen.°

Ich lächelte sie an.

„Na komm, Schwester. Wir fahren zu Andy und erzählen ihm alles.“

Auf Elizabeths Gesicht erschien ein fragender, verwirrter Ausdruck.

°Was? Wer?°

„Entschuldige, aber von wem sprichst du? Wer ist Andy?“

Geschockt über ihre Gedanken und Worte, starrte ich sie mit offenem Mund an. Ich suchte in ihrem Gesicht nach einem schalkhaften Ausdruck und…fand keinen. Das war kein Scherz. Sie meinte jedes Wort völlig ernst.

„Du scherzt, richtig?“, sagte ich ungläubig und leicht nervös.

Nein, ich war es nicht, der ihr das sagte. Der andere Edward hatte diese Worte ausgesprochen und stand neben mir, starrte seiner Schwester ebenfalls mit offenem Mund an. Elizabeth runzelte die Stirn.

„Äh…Nein, ich scherze nicht. Wer soll das sein, von dem ihr sprecht?“

Sie sah sich um und blickte in fassungslose Gesichter.

„Was habt ihr denn alle? Warum schaut ihr mich so an?“

Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich.

°Was ist denn mit allen los? Sie schauen mich alle an, als hätte ich den Verstand verloren.°

Ich dachte über ihre Gedanken nach, während ich mir selbst fragend ins Gesicht blickte.
Und wenn Elizabeth recht hatte?
Hatte sie wirklich ihr Gedächtnis verloren?

Nein, das war nicht ganz richtig. Denn offensichtlich erkannte sie uns alle. Jeden einzelnen. Sie wusste also, dass es eine Parallelwelt gab und das setzte wiederrum voraus, dass sie wissen musste, in welcher Welt sie sich gerade befand und auch warum sie hier war, oder nicht?

°So muss es sein°, ertönte die Stimme meiner anderen Version.

„Aber du weißt, warum du hier bist?“, wollte er von Elizabeth wissen.

°Was soll denn das jetzt?°, hörte ich sie genervt sagen.

Sie seufzte, bevor sie sich uns beiden zuwandte und verdrehte die Augen.

„Natürlich weiß ich das! Wir alle sind hier, weil diese Victoria mit ihrer Armee Bellas Leben bedroht hat. Um die Armee aufzuhalten, haben wir mit den zwei Rudeln ein Bündnis geschlossen und hier auf dem Feld einen Kampf gehabt, während du dich mit Bella oben im Gebirge versteckt hast. Was übrigens meine Idee gewesen war. Können wir jetzt diese dämliche Fragerei beenden und uns auf dem Weg zu Bella machen. Wer weiß, wo sie sich gerade befindet.“

Doch mein zweites Ich ließ das Thema nicht fallen.

„Du behauptest also ernsthaft, dass du dich nicht mehr an den Jungen erinnern kannst, den du zusammen mit Bella damals zu uns gebracht hast. Erinnerst dich nicht mehr, wie du sie beide zu Emmetts Halloweenparty im letzten Jahr eingeladen hast.“

Ich ging darauf ein und erzählte die Geschichte weiter. Nun lag Elizabeths ahnungsloser und genervter Blick auf mir.

„Du hast also auch vergessen, wie du damals hier hinüber in diese Welt gewechselt bist, weil du Andys Ängste gespürt hast, als er mit seiner Vergangenheit ungewollt konfrontiert wurde. Hast vergessen, dass du mit ihm eine Beziehung eingegangen bist und ihn lieben gelernt hast, auch wenn sein Blut unvergleichlich für dich ist. Du weißt also nicht mehr, wie dieser Junge uns alle in deine Welt brachte, als Bella in ihrem Geist gefangen gewesen war. Du hast wirklich vergessen, dass du Andy heiraten willst. Dass ich mit ihm in Jacksonville war, während du mit Bella auf der Lichtung zurück geblieben bist. Der Lichtung, auf der viele kleine vergewaltigte Mädchen begraben lagen.

Du erinnerst nicht daran, wie du uns nach Jacksonville gefolgt bist, weil du dir so große Sorgen gemacht hattest. Du weißt also auch nichts mehr von dem Nervenzusammenbruch, den Andy am Silvesterabend gehabt hatte. Genau der Andy, der unbedingt zu Jacobs Geburtstag wollte und erst einen Tag später in dieser Welt auftauchte, weil er seine Vergangenheit klären musste. Du weißt also nicht mehr, wie er mit Bella zu den Wölfen aufbrach, unsere Warnung ignoriert hatte und schließlich mit Bella und dem Terrarium zurückkam.

Und auch willst du sicherlich nichts vom Unfall wissen, den Bella und Andy vor über zwei Wochen gehabt hatten, bei dem er sich das Bein und ein paar Rippen gebrochen. Du meinst wirklich, dass du deinen geliebten Menschen vergessen hast, der im Krankenhaus sehnsüchtig auf dich wartet.“

Während sie meinen Worten gelauscht hatte, hatte sich die Ungläubigkeit in ihrem Gesicht immer mehr gesteigert. Sie schüttelte den Kopf.

„Sagt mal, habt ihr euch irgendwo den Kopf angestoßen, oder was? Was erzählt ihr denn da. Also.“, begann sie und holte tief Luft.

„Damals in unserer Welt hatte Alice eines Nachts eine Vision von Bella die von einem Vampir getötet wurde. Also brach ich auf, da mir Bellas Schicksal sehr am Herzen lag – ich habe sie auch nach Hause gefahren, als sie wieder heimgekehrt war –, holte sie aus dem Zimmer, indem sie schlief und brachte sie zu uns. Da war kein Junge. Nur sie trug ich damals auf dem Rücken. Und ich habe auch nur sie zur Party damals eingeladen. Und was ihr da erzählt mit diesem Andy und seiner Vergangenheit, verstehe ich absolut nicht.

Als Bella es irgendwie geschafft hatte, wieder die Welt zu wechseln hatte ich mir große Sorgen um sie gemacht, da ich für sie wie eine Schwester empfinde. Irgendwie – keine Ahnung, wie das geschehen konnte – war ich plötzlich neben ihr. Ich habe seltsamerweise ihre Gefühle wahrnehmen können. Jasper meinte, ich hätte diese Fähigkeit irgendwie mitbenutzt, weil ich eine stark ausgeprägte Verbindung zu habe.

Da war kein Junge, mit dem ich eine ‚Beziehung‘ aufbauen konnte. Und ich habe noch nie so ein Blut gerochen, das mich süchtig machte. Wie dem auch sei. Als Bella seit Tagen verschwunden war und sich nicht mehr gemeldet hatte, hast du mich mehr als angefleht, wieder einen Übergang zu versuchen. Ich versuchte es so gut es ging, schaffte es aber alleine nicht. Ich konzentrierte mich mit aller Macht  auf sie, konnte jedoch nichts von ihr empfangen. Ich hatte die Idee, es mit Jasper zusammen zu versuchen, aber auch dies schien zunächst erfolglos. Wir fassten uns an den Händen und ich sagte ihm, er solle sich nicht auf das konzentrieren, was er erspüren konnte, sondern auf das, was nicht greifbar für ihn war.

Ich hoffte, dass zwei Empathen einen Übergang bewirken konnten. Und es hatte wirklich funktioniert. Auch wenn es sehr an unseren Kräften gezerrt hatte. Denn wir spürten eine gähnende Leere, also eigentlich nichts. Doch je mehr ich mich darauf mit Jaspers Hilfe konzentrierte, spürte ich tief unter dieser Leere, dumpf und schwach das Gefühl von Schmerz. Aber das war wirklich sehr anstrengend für uns beide gewesen. Ich hatte gedacht, mein Schädel müsse platzen. Und so hatten wir doch schließlich etwas Greifbares, um zu Bella zu gelangen. Da war kein ‚Andy‘, der das für uns erledigt hatte.

Und heiraten? ICH? Das bezweifle ich doch sehr. Und was ihr da erzählt, dass du mit diesem Andy in Jacksonville warst und ich euch gefolgt sein soll, ist ausgemachter Blödsinn. Das ist nie passiert. Ja, wir drei haben diese Lichtung eines Nachts gefunden. Ich war gerade auf der Jagd gewesen, als ich zu euch gestoßen war. Am nächsten Tag, hatte Bella gleich Charlie informiert, der sich um diese Sache dann kümmerte.

Ja, wir drei waren auch in Jacksonville und haben bei Phil und Renee Weihnachten und Silvester gefeiert. Auch da war kein Junge, der einen Nervenzusammenbruch erlitt. Es war eine schöne und friedliche Zeit. Besonders, weil du Bella einen Antrag gemacht hattest. Und die Sache mit Jacob war ebenso ganz anders. Wir hatten Bella bei ihrem Schulstoff geholfen, als sie an die Blacks dachte, an Sarah und Jacob speziell. Sie verspürte den Wunsch, sie zu besuchen. Zufällig war an diesem Tag auch Jacobs Geburtstag und nachdem sie die Party in einem Stück überlebt hatte, wechselten wir am späten Abend des Tages wieder die Welt, damit Bella am nächsten Morgen wieder lernen konnte. Tja, und als wir ankamen, warst du taub.

Und was soll das Gerede mit den Wölfen? Sie war nie allein bei denen. Auch nicht ist sie mit diesem Andy zu ihnen gegangen. Er war es auch nicht, der das Terrarium mit dem Schmetterlingen mitbrachte. Das war sie selbst. Sie sagte, sie habe einen blauen Schmetterling gesehen, der sie zu einer Hütte auf der anderen Seite geführt hatte, in der sich das Terrarium befand.

Und ich weiß sehr wohl von dem Unfall, den Bella – und NUR Bella – gehabt hatte. Ein betrunkener Fahrer rammte sie von hinten, während sie an der Ampel stand, sodass der Transporter durch die Wucht des Stoßes auf die andere Fahrspur geriet. Glücklicherweise ist sie ja nicht verletzt worden. Und nun zum letzten Mal: Ich habe niemanden, der Krankenhaus auf mich wartet. Reicht euch das? Können wir jetzt mit dem Spiel aufhören?“, stöhnte sie, sichtlich genervt von dieser Situation.

Ich konnte nicht glauben, was sie da erzählte. Elizabeth hatte Andy vergessen. Nur ihn. Und weil sie sich aus welchem Grund auch immer nicht an ihn erinnerte, hatte sie die Ereignisse auch anders geschildert. Wie konnte das nur geschehen?

„Du hast Andrew also wirklich vergessen?“, wisperte mein zweites Ich tonlos.

Sie zog eine Augenbraue hoch.

„Wer?“, fragte sie genervt.

„Andrew Thomas Swan. Das ist sein voller Name. Er mag es lieber, wenn man ihn Andy nennt. In Gedanken verwendest du diesen Spitznamen jedoch nicht.“

°Moment? Swan?°

„Ja, Bellas Zwillingsbruder!“, grollte er leicht gereizt.

So langsam machte ihm die Situation zu schaffen und verlor die Geduld. Mir erging es nicht viel anders. Elizabeth zog die Augenbrauen zusammen.

„Seit wann hat Bella denn einen Bruder?“

°Oh nein. Sollte etwa…°, hörte ich die Gedanken unserer Esme und sah ein Bild in ihrem Kopf aufflackern. Eine Szene tauchte in meinem und SEINEM Kopf auf, die während des Kampfes stattgefunden hatte.

Elizabeth war gerade dabei ein feindliches Vampirmädchen mit einer blonden Kurzhaarfrisur anzugreifen. Bevor Elizabeth es verhindern konnte, berührte eine Hand des Mädchens ihre Stirn und sah unsere Schwester mit einem sehr intensiven glühenden Blick an.

Für einen kurzen Moment schien Elizabeth wie betäubt zu sein, fing sich jedoch schnell wieder und vernichtete ihre Gegnerin.

Das musste es gewesen sein.

Durch diesen Kontakt, wurde Andy aus ihrem Gedächtnis gelöscht und ihre erlebte Vergangenheit somit verändert. Es war vermutlich die Fähigkeit dieses Mädchens gewesen. Aber warum hatte sie dann nicht ihr ganzes Gedächtnis verloren?

Es sei denn…

„Elizabeth, erinnerst du dich daran, dass du mit einem Mädchen gekämpft hast, dass dich an der Stirn berührt hatte?“, fragte ich sie.

°Okay, also spielen wir weiter…° Sie seufzte innerlich.

„Ja, sie hatte mich an der Stirn berührt. Ich war vielleicht etwas kurz überrascht und verwirrt, aber dann habe ich sie zerstört. Und?“, wollte sie wissen.

„Beantworte mir diese Frage. Das ist sehr wichtig.“

Ich fuhr erst fort, nachdem sie mir zugenickt hatte. Ernst und gespannt erwiderte sie meinen Blick.

„An was hast du gedacht, kurz bevor sie dich berührt hatte?“

Sie holte Luft, um gleich etwas zu erwidern, doch sie stockte. Ein grüblerischer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie überlegte genau, bevor sie mir antwortete.

„An den Kampf, aber…Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Aber wenn ich jetzt daran zurück denke, merke ich plötzlich, dass sich eine Lücke in dieser Erinnerung befindet. Eine winzige. Kaum der Rede wert, aber sie ist da. Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie verwirrt und leicht verärgert.

Verständlich, denn für uns Vampire war es ungewöhnlich lückenhafte Erinnerungen zu besitzen. Schließlich war unser Gedächtnis im Allgemeinen unfehlbar. Das hier war jedoch ein Sonderfall. Anscheinend wurde durch den Kontakt mit Elizabeths Stirn nur das ausgelöscht, an was sie in diesem Moment dachte. Warum es ausgerechnet Andy und nicht die Situation getroffen hatte, konnte niemand beantworten. Vielleicht hatte das Mädchen bestimmen können, was vergessen werden sollte. Und mit der fehlenden Erinnerung eines geliebten Menschen, war der Schaden erheblich größer.

„Das sage ich dir gerne. Diese Lücke, das ist er.“, beantwortete ich Elizabeths Frage.

„Wer?“, fragte sie dümmlich.

Ich schloss die Augen und stöhnte genervt auf.

„So wird das nichts. Komm einfach mit. Dann siehst du, was wir meinen.“, sagte ich.

ER packte seine Schwester am Arm und wir liefen los. Sie ließ sich bereitwillig mitziehen, während wir durch den Wald rannten. Die anderen auf der Lichtung waren in dem Moment vergessen. Hoffentlich löste es etwas in ihr aus, wenn sie Andy sah.

Und was, wenn nicht?
Wie würde Andy das aufnehmen?

Ich versuchte diesen schmerzhaften Gedanken erst mal zu verdrängen. Wir drosselten unsere Geschwindigkeit und standen schließlich mit unserer Schwester im Schlepptau vor dem Eingang des Krankenhauses.

„Und was soll das jetzt wieder?“, stöhnte sie.

„Nicht reden, sondern riechen, Schwesterherz.“, mahnte meine andere Version.

Seufzend atmete sie tief ein, riss die Augen weit auf und spannte ihren Kiefer an, als sie diesen speziellen Geruch wahrnahm.

°Was…ist das? So süßlich und blumig und doch herb und maskulin…Mist. Das Gift strömt nur so in meinen Mund. Abgesehen von dieser maskulinen Note ist das genau Bellas Geruch. Es ist…erträglich. Aber die Versuchung ist groß, sehr, sehr groß. Ich glaube nicht, dass ich mich noch beherrschen könnte, wenn mir Bellas Geruch nicht schon so vertraut wäre. Oh Gott, diese Nuance…ich werde noch wahnsinnig. Ich würde am liebsten…Nein, nein! Reiß dich zusammen! Das ist nicht dein erster Tag als Vampir. Es ist erträglich. Es ist erträglich. Aber zur Sicherheit, werde ich lieber so wenig wie möglich atmen.°

Ihre Augen verdunkelten sich kaum merklich vor Verlangen und ihre Hände zitterten leicht. Ihre Selbstbeherrschung war wirklich beeindruckend. Wenn ich da an unseren ersten Tag denke…

Aber hier liegt ja der Fall glücklicherweise etwas anders. Ich konnte damals nicht so viel Mut aufbringen, wie sie jetzt. Stolz erfüllte meine Brust, als ich sah, wie Elizabeth den Eingang des Krankenhauses betrat. Wir folgten ihr, lauschten wachsam ihren Gedankengängen und waren bereit einzugreifen. Man konnte ja nie wissen.

Die Leute, die unseren Weg kreuzten, machten sich schon ihre Gedanken. Denn schließlich sahen sie uns das erste Mal gemeinsam an einem Ort. Aber wie wir vermutet hatten, taten sie uns einfach als eineiige Zwillinge ab und wandten sich dann bald wieder ihren eigenen Beschäftigungen zu.

Elizabeth folgte dem Geruch und lief den Flur entlang, bis sie schließlich vor der Tür stand, hinter der Andy auf sie wartete. Ich hörte seinen gleichmäßigen Atem. Er schlief wohl gerade. Elizabeth zögerte und konnte sich nicht so recht entscheiden, doch schließlich fasste sie den Entschluss, dem Geruch und dessen Quelle gegenüber zu treten.

„Das mache ich nur euch zuliebe.“, zischte sie leise.

Sie drückte die Klinke hinunter und trat in den Raum ein. Da lag er ruhig schlafend und zugedeckt in seinem Bett. Aber es waren einige Dinge anders als sonst. Er war an Geräten angeschlossen und hing an einem Tropf mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die durch einen Schlauch in seine Blutbahn geleitet wurde. An seiner Hand war auch dementsprechend eine Kanüle angebracht, um dies zu bewerkstelligen. Auch hatte sich die Form des Gipses um sein gebrochenes Bein verändert. Die Konturen zeichneten sich unter der Decke etwas anders ab. Er musste wohl einen neuen Gips bekommen haben. Seltsam. Doch das alles beunruhigte mich nicht. 

Was mir einen Schrecken einjagte war seine Hand, die mit ein paar Schichten Mullband umwickelt worden war. Meine Augen waren gut genug um zu sehen, was das Mullband verbarg. Es war ein Bissabdruck, der erst ein paar Stunden alt zu sein schien.

Wie war das nur passiert?
Er war doch die ganze Zeit hier im Zimmer gewesen.
Wie hatte Andy sich so eine Verletzung hinzuziehen können?

Ich hatte das Gefühl, als würde mir etwas sehr Entscheidendes entgehen…

°WOAH! Sehe ich gerade eine Fata Morgana, oder was? Der…der sieht ja haar genauso aus, wie…Ach du meine Güte. Mhh…Was sind das nur für Verletzungen? Irgendwie tut er mir leid, keine Ahnung warum. Und dieses Gesicht… Hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn, umgeben von einem Drei-Tage-Bart, schwungvolle blassrote Lippen. Und alles umrahmt von langen braunen Haaren. Lange Haare? Wieso nicht? Wie wohl seine Augen aussehen? Dumme Frage! Bestimmt sind sie genauso Braun wie ihre. Mhh… Ich würde sehr gerne…

Himmel, was denkst ich mir denn eigentlich? Himmle einfach einen kranken Mann an, der nebenbei bei auch noch ZU lecker riecht, den ich eigentlich gar nicht kenne. Nein, das kann nicht sein. Ich…und er? Nein, oder…? Ach, Schluss jetzt damit. Er ist nur ein armer junger Mann, der verletzt in einem Krankenbett liegt. Weiter nichts. Diese Flausen, die mir die zwei in den Kopf gesetzt haben, sind reiner Unsinn. Das reicht jetzt. Ich habe ihn gesehen und gut ist. Es ist wirklich besser, wenn ich jetzt gehe, bevor noch ein Unglück geschieht. Und wenn schon, dann hab ich eben eine kleine Lücke in meinem Gedächtnis. Was macht das schon? Wenn er mir so wichtig gewesen wäre, wie meine Brüder mir sagten, dann hätte ich ihn doch nie und nimmer vergessen können, oder? Also gut. Ihr hattet euren Spaß. Bis dann.°

Sie warf uns einen Blick zu und verschwand aus dem Zimmer.

„Tja, da haben wir wohl noch eine Menge Arbeit vor uns.“, sagte der andere Edward seufzend.

„Und wir sollten Andy dringend fragen, was während unserer Abwesenheit mit ihm passiert ist.“, erwiderte ich sehr nachdenklich und betrachtete wieder seine verbundene Hand.

Während ich Andy beobachtete, der ruhig atmend im Land der Träume weilte, fiel mir wieder Bella ein. Ich zückte mein Handy aus der Hosentasche und wählte ihre Nummer. Das Freizeichen ertönte nicht, sondern es folgte gleich die Ansprache, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht zu erreichen sei.

Ich versuchte es erneut, doch auch dieses Mal reagierte sie nicht. So langsam machte ich mir Sorgen. Ich merkte, wie langsam die Panik in mir aufstieg.

Das war vielleicht ein Chaos.

Bella war wer weiß wohin verschwunden und meldete sich nicht. Andy lag im Bett mit einer uns unbekannten Bisswunde und wurde vermutlich durch Beruhigungsmittel ruhig gestellt. Und Elizabeth hatte ihn vergessen.

Was passierte als nächstes?

Nein, über diese Frage wollte ich besser nicht nachdenken.

Ich wusste nicht, wie lange wir in seinem Zimmer standen, Andy beim Schlafen betrachteten und währenddessen jeweils unseren eigenen Gedanken nachhingen. Ich hatte in der ganzen Zeit noch einige Male versucht, Bella zu erreichen. Doch nie hörte ich ihre Stimme am anderen Ende. Ich wurde immer nervöser und musste den Drang unterdrücken, mit meinen Händen durchs Haar zu fahren.

Wie ging es Bella im Moment?
Warum nahm sie nicht meine Anrufe entgegen?
Beziehungsweise erwiderte sie?

Es war bereits dunkel draußen, als Andys Atmung sich veränderte. Er begann sich zu regen, seine Augenlieder flatterten und seine Augen huschten umher, verweilten für einen Moment auf seiner verbundenen Hand, die er mit einem merkwürdigendem Blick betrachtete. Schließlich hatten seine braunen Augen uns zwei entdeckt. Wir traten an das Bett heran.

Er stand an der einen, ich an der anderen Seite. Ich fragte mich, warum in der ganzen Zeit keine Schwester herein gekommen war. Und hatte man schon Charlie über seinen Zustand informiert? Wenn nicht, warum hatte ich es nicht getan?

„Hey.“, begrüßte er uns leise mit etwas schwacher Stimme.

„Was ist passiert?“, fragte er sogleich argwöhnisch, nachdem er uns kurz betrachtet und seine Miene sich verfinstert hatte.

Meine andere Version seufzte und erzählte ihm alles von Anfang an. Er lächelte mich freudig an, als er erfuhr, dass ich wieder hören und riechen konnte, doch als wir zum unangenehmem Teil kamen, erbleichte er und seine Augen wurden dunkel und leer.

Oh nein, dachte ich verzweifelt. Bitte nicht noch einmal. Bitte nicht.

Kein einziges Mal unterbrach er die Erzählungen, doch sein Blick wurde glasig. Es schien, als würde er uns nicht mehr wahrnehmen. Einen Moment war es still, nachdem meine andere Version geendet hatte. Dann stiegen ihm Tränen in die Augen, die sich still ihren Weg über sein fassungsloses Gesicht bahnten. Andy schluchzte leise auf, versuchte möglichst die Fassung zu bewahren. Doch sein Herz beziehungsweise das schneller werdende Piepen des Herzmonitors verriet ihn.

„Hey.“, sagte ich sanft, nahm seine unverbundene Hand und drückte sie.
„Das wird schon wieder.“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Es funktionierte etwas. Es dauerte einen Moment, aber dann ging das Piepen auf eine normale Frequenz zurück.

„Sicher.“, hauchte er benommen.

Seine Stimme klang tot.

Oh, oh…

„Klar, du wirst sehen, wir werden…“, weiter kam mein anderes Ich nicht, denn er wurde von Andys plötzlichem Röcheln und Husten unterbrochen.

Es schien, als bekäme er nicht genügend Luft. Er keuchte, japste, versuchte dringend nach Luft zu schnappen, die er erschreckenderweise nicht einatmen konnte.

Stimmte etwas mit seiner Lunge nicht?

Zu unserem Entsetzen begann er zu zittern und sein Gesicht bekam allmählich eine ungesunde Färbung.

Wieso waren seine Atemwege plötzlich blockiert und warum?

Man hatte den Eindruck, er würde Kohlenstoffmonoxid einatmen und daran ersticken. Die Geräte spielten verrückt und sein Herz, würde bald für immer still stehen.

Gerade wollte hinaus gehen und sie Schwestern rufen, was allerdings nicht mehr nötig war. Durch das Piepen wurden sie allarmiert und stürmten in das Zimmer. Wir ließen uns zur Seite drängeln, damit sie freien Zugang zu ihren Patienten hatten. Geschockt und panisch beobachteten wir das Treiben. Die Schwestern, nervös und aufgeschreckt von dieser unerwarteten Komplikation, musterten Andys Gesicht, vernahmen seine röchelnden Laute.

Sie schauten auf die Apparate und prüften, ob alle Schläuche gut befestigt waren. Doch nichts war verändert worden. Sie blickten wieder auf den Monitor, der weiterhin den schlechten Rhythmus seines Herzens anzeigte. Mit jeder Sekunde die verging, wurde er langsamer. Etwas ratlos blickten sich die zwei Schwestern an und eine wollte gerade der anderen sagen, sie sollte ihm eine Sauerstoffmaske auflegen, als es passierte.

Der Herzschlag normalisierte sich wieder aus heiterem Himmel langsam und nahm seinen gewohnten Rhythmus wieder auf, während Andy noch ein paar Mal röchelte und hustete. Diesmal viel kräftiger, als in den Momenten zuvor. Als würde er das schädliche Gas – was nicht vorhanden war – plötzlich aus seinem Körper husten können.

Er keuchte, japste noch ein paar Mal und das Piepen war wieder völlig normal. Er zitterte immer noch und sah sehr blass im Gesicht aus. Aber wenigstens schien er wieder ordentlich atmen zu können. Wir sahen uns beide an und atmeten erleichtert auf.

„Was zum Teufel?“, entfuhr es fassungslos einer der Schwestern, als sie ihre Augen zwischen Andy und dem Monitor hin und her wandern ließ.

„Los, wir brauchen Decken.“, sagte die eine zur anderen und die Schwestern eilten aus dem Zimmer.

Sobald sie sich entfernt hatten, traten wir wieder an Andy heran. Kurz bevor wir ihn ansprachen, bildete ich mir ein, dass er

„Es wird immer schlimmer.“, in seinen Bart hinein brabbelte.

„Was ist passiert?“, fragte ich ihn besorgt mit unterdrückter Panik in der Stimme. Doch er beachtete mich nicht.

Er wandte seinen Kopf zu Edward Nummer Zwei, bekam seine Hand zu fassen und drückte sie so fest er nur konnte. Andys trauriger, entschuldigender und reuevoller Blick traf ihn. Neue Tränen bildeten sich in den braunen Tiefen seiner Augen. Entsetzen und Unverständnis machte sich in meiner zweiten Version breit und wollte gerade beruhigende Worte aussprechen, als Andy sich räusperte und seine Stimme erhob.

„Bitte verzeih mir. Aber meiner Schwester braucht mich jetzt im Moment viel dringender als deine.“

Die Tränen liefen seine Wangen hinab.

„Glaub mir, es fällt mir wirklich nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen, wem ich zuerst helfen soll. Aber du musst das verstehen.“, bat er.
„Sie ist doch meine kleine Schwester und ich muss auf sie aufpassen. Und gerade jetzt ist in dieser Situation ist sie wichtiger, als meine Freundin, die mich vergessen zu haben scheint. Bitte hasse mich nicht!“, flehte er mit großen traurigen Augen, während er ein Schluchzen nicht verhindern konnte.

Edwards Gesicht wurde weich und er lächelte sanft.

„Rede nicht so einen Unsinn! Ich könnte dich niemals hassen, hörst du? Niemals! Und natürlich verstehe ich dich vollkommen. Wenn du meinst, dass deine Schwester dich im Moment dringender braucht, dann respektiere ich deine Entscheidung. Außerdem ist es doch ganz normal, dass du dich in erster Linie um deine Schwester sorgst. Ihr seid miteinander blutsverwandt, obendrein noch Zwillinge und du weißt nicht wo sie sich im Moment befindet und wie es ihr geht.“

„Aber nur weil…“, setzte Andy an, doch Edward unterbrach in sanft.

„Pscht…Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Was jetzt zählt, ist, dass du wieder hier aus diesem Bett verschwinden kannst. Mach‘ dir keine Sorgen. Ich mache dir keinerlei Vorwürfe. Es ist alles gut zwischen uns.“, versuchte er Andy zu beruhigen und streichelte seinen Handrücken mit dem Daumen.

Die Schwestern kamen mit Decken ins Zimmer, Edward ließ seine Hand los und wir machten ihnen breitwillig Platz. Andy, der immer noch leicht zitterte und sich mit der Hand übers Gesicht fuhr, um die Tränen wegzuwischen, wurde mit Decken zugedeckt. Sein Kopfkissen wurde aufgeschüttelt und die Schwestern warfen einen Blick auf seine Werte. Alles schien in Ordnung zu sein.

Außer dass Andy zu frieren schien, eine neue Bisswunde hatte und gebrochene Bein- und Rippenknochen, welche bereits zu heilen begann, schien ihm nichts weiter zu fehlen.

Naja, eigentlich reichte das ja auch.

Nachdem die Schwestern zufrieden schienen und ihrem Patienten sagten, es gäbe gleich Abendbrot, verließen sie das Zimmer. Bevor sie die Türe hinter uns schlossen, drehte sich eine der Frauen noch einmal zu uns um.

„Und wenn wieder Probleme auftreten sollten, zögern sie bitte nicht und sagen uns Bescheid.“

Wir nickten betätigend und die Tür wurde geschlossen. Ich ging wieder zu meinem Schwager und wollte ihm fragen, warum er das alles zu meinem anderen Ich gesagt hatte. Wollte ihn fragen, was alles geschehen sei, woher er diese Wunde hatte und warum er meinte, Bella schwebe in Gefahr. Durch die Panik drohte ich zu ersticken.

In seinen Augen war keine Trauer mehr zu finden und das Weiche in seinem Gesicht wurde durch harte Entschlossenheit verdrängt, als er mir nur folgende Worte sagte: Morgen, wenn ich hier draußen bin, gehen wir zu Bella!“

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So Leute. Eigentlich sollte das Kapitel nicht so lang werden, aber ich dachte mir, wenn ihr schon so lange auf eine Fortsetzung warten musstet, kriegt ihr auch eine große Packung von Sätzen verpasst^^

Ich hoffe es hat euch trotz vieler Parallelen zum Buch gefallen. Habe extra keine Dialoge für diese Szenen verwendet, hatte auch ehrlich gesagt keinen Bock darauf gehabt.

Tja, jetzt wisst ihr, warum Edward taub geworden ist und jetzt versteht ihr auch Bellas Traum, den sie in einem vorherigem Kapitel gehabt hatte. (Zitat: "Sei die Stimme, die mich leitet.") - Na, alles klar^^

Und, wisst ihr, was mit den Zwillingen geschieht? Langsam könnte man ja darauf kommen...

Ich habe in diesem Kapitel, dass Märchen "Schneewitchen" erwähnt, aber den englischen Titel verwendet, was in meine Geschichte einfach besser reinpasst...

Ich sage nur soviel, dass dieses Märchen in zukünftigen Kapiteln eine Rolle spielen wird, da es sowohl für Bella, als auch für Andy eine große Bedeutung in ihren Leben besitzt.

Das nächste Kapitel ist wieder aus Bellas Sicht geschrieben und wir werden erfahren, wo sie gelandet ist und warum sie Edwards Anrufe nicht entgegen nehmen kann...

Naja, wir wissen ja alle dass sie im Paralleluniversum nun wieder ihr Unwesen treibt...


Auch wird Bella auf einen einmahligen Gastcharakter in der Geschichte "treffen"...
Wer mag das wohl sein?

Ich sage euch das alles, weil ich nicht weiß, wann es das nächste Kapitel geben wird.

So, aber mehr Häppchen gibt's jetzt nicht mehr. Schließlich braucht ihr noch welche fürs nächste Kapitel^^

Üner Reviews würde ich mich freuen.

Bis zum nächsten Mal!

Amnesie

Bellas POV - Paralleluniversum

 

(Paralleluniversum)

 



Von irgendwo her war plötzlich ein Geräusch zu hören. Woher kam das auf einmal? Bis jetzt war es doch so angenehm still gewesen. Ich spitzte meine Ohren und konzentrierte mich auf dieses Geräusch. Es klang wie ein monotones Piepen, das von Sekunde zu Sekunde immer lauter wurde. Hinzu stellte ich mir die Frage, warum es so dunkel war.

Das Piepen hatte nun eine beachtliche Lautstärke erreicht. Es war nervig und bildete mit der Dunkelheit keinen angenehmen Einklang. Es fühlte sich so an, als bereitete mir dieses Piepen leichte Kopfschmerzen. Ich kniff die Augen fester zu und beschloss sie endlich aufzuschlagen, um die Quelle des Piepens zu finden.

Das grelle Licht, das von der Decke herab strahlte, blendete mich. Ich kniff die Augen kurz wieder zu und blinzelte, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Die Schmerzen in meinem Kopf waren deutlicher zu spüren. Sie waren nicht sehr stark, aber dennoch nicht angenehm. Als ich ein klares scharfes Bild mit meinen Augen erfassen konnte, runzelte ich die Stirn, stöhnte leise auf wegen der Kopfschmerzen.

Ich starrte auf eine kahle weiße gegenüberliegende Wand, davor stand ein kleiner Tisch mit einem Stuhl. Eines wusste ich sofort. Ich befand mich nicht in meinem Zimmer. Aber wo dann? Ich schaute auf mich selbst herab. Ich lag zugedeckt in einem Bett – seltsamerweise nicht in meinem Schlafjogginganzug –, an meinem Zeigefinger der rechten Hand war eine Art Clip befestigt. Dieser war mit einer Apparatur verbunden, der meine Werte maß und das Piepen von sich gab, wie mir nun bewusst wurde, als ich sie rechts neben mir erblickte.

Ich starrte auf dem Monitor und nahm zum ersten Mal bewusst die Luft wahr, die durch einen durchsichtigen Schlauch in meine Nase strömte. Ich schloss tief durchatmend die Augen und versuchte alles zu begreifen. Ich lag also nicht in meinem Zimmer, sondern in irgendeinem Krankenhaus. Nicht in irgendeinem Krankenhaus, sondern im Bezirkskrankenhaus von Forks. Dazu hatte ich Kopfschmerzen, die mir das Denken etwas erschwerten.

Was war mit mir geschehen?
War ich mal wieder gestolpert und bin dabei unglücklich mit dem Kopf irgendwo aufgeschlagen?

Ich versuchte mich zu erinnern. Aber das letzte woran ich mich erinnern konnte war, wie ich gestern ins Bett gegangen war. Ich öffnete meine Augen wieder und stöhnte leidig. Egal, was mit mir geschehen war, die Schwester würde es mir bestimmt sagen, wenn sie herein kommen würde, um nach mir zu sehen. Ob sie wohl schon Charlie informiert hatten? Ich seufzte.

Er würde sich bestimmt wieder die allergrößten Sorgen machen und sich das Schlimmste ausmalen. Aber man konnte es auch verstehen. Ich war nun mal sein einziges Kind und hatte dazu noch seine Koordinationsprobleme geerbt. Welcher Vater würde da nicht durchdrehen? Ich hasste es, ihm noch mehr Kummer zu bereiten, als ohnehin schon. Nachdenklich schaute ich aus dem Fenster und war etwas verwundert.

Strahlend blauer wolkenloser Himmel und eine lachende Sonne ließen sich durch die Glasscheibe ausmachen. Ein eher untypisches Wetter für das verregnete Forks. Wunder gab es eben immer wieder. Wie spät es wohl war? Anhand des Wetters vermutete ich, dass es nachmittags war. Es nervte mich schon, dass mir die letzten Stunden meines Lebens verborgen blieben.

Was hatte ich bloß in den letzten Stunden gemacht?

Ich holte tief Luft und begann mich zu regen. Soweit ich es beurteilen konnte, war spürte ich keine weiteren Schmerzen. Ich kam zu dem Entschluss diesen lästigen Nasenschlauch zu entfernen, da ich ihn als unnötig empfand. Ich richtete mich schmerzfrei auf, hob meine rechte Hand, die den Schlauch umschloss, um ihn von meiner Nase zu entfernen. Nachdem ich ihn aus meiner Nase entfernt hatte, legte ich den Schlauch auf die Bettdecke und schaute beiläufig auf meine andere Hand. Ich keuchte erschrocken auf, als ich etwas Funkelndes an meinem Ringfinger erblickte.

Warum hatte ich es vorhin nicht bemerkt?

Ich hob meinen Arm und brachte so meine linke Hand näher zu mir heran. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ich den schönsten Damenring, den ich je gesehen hatte. Ein kleines Oval aus vielen Diamanten bestehend, welche in einem fragilen Netz schräg eingewoben waren, strahlte mir funkelnd und glitzernd durch das hereinfallende Sonnenlicht entgegen. Es war ein altmodischer Ring, aber mir gefiel er trotzdem. Sehr sogar.

Augenblick mal!

Ja, es war ein schöner Ring. Aber die wichtigere Frage war doch, WIE und WANN dieser Ring an meine Hand kam. Und nicht gerade unerheblich: Warum gerade auf dem Ringfinger?

Ich merkte, wie mein Herz vor Aufregung und leichter Panik schneller schlug und sich meine Atmung erhöhte. Dementsprechend wurde das Piepen lauter und schneller. Ich versuchte mich langsam zu beruhigen und versuchte diese Kopfschmerzen zu ignorieren. Stöhnend fasste ich mir mit der Hand kurz auf die Stirn. Mir blieb auch wirklich nichts erspart. Ich betrachtete wieder mein neues Schmuckstück und versuchte nicht gleich wieder zu hyperventilieren.

In meinem Kopf fasste ich nochmal alles zusammen.

Ich lag im Krankenhaus von Forks mit Kopfschmerzen, es war Nachmittag und ich konnte mich nicht an eine einzige Sekunde der letzten Stunden erinnern. Und ich hatte einen Ring am linken Ringfinger, den ich gerade zum ersten Mal sah. Gut, ich konnte mich an die letzten Stunden nicht erinnern. Aber ich bezweifelte jedoch sehr, dass ich mir in dieser Zeit so einen Ring angeschafft hatte.

Warum sollte ich mir überhaupt einen Ring anstecken?
Und warum gerade auf dem Ringfinger meiner linken Hand?
Oder aber…?

Nein. NEIN, NEIN, NEIN!
Das konnte nicht sein.
Unmöglich!
Das konnte kein Verlobungsring sein!
Ausgeschlossen!

Ich konnte mich doch nicht in den letzten Stunden verlobt haben!? Warum?
Mit wem überhaupt?

Ich musste wohl völlig verrückt geworden sein.

Für einen kurzen Moment kamen mir diese Filme in den Sinn, indem ein Mann und eine Frau überstürzt in Las Vegas heiraten, morgens aufwachen, sich aber an nichts erinnern können. Genauso fühlte ich mich in diesem Moment. Nur mit dem Unterschied, dass ich noch nicht verheiratet war. Ich schüttelte den Kopf, schloss die Augen und kniff diese fest zu. In Gedanken zählte ich bis zehn und konnte dabei immer besser die Kopfschmerzen ausblenden. In der Hoffnung, der Ring hätte sich in Luft aufgelöst, öffnete ich wieder die Augen und schaute auf die Bettdecke, auf der meine Hand lag.

Leider wurde ich enttäuscht.

Klein und unschuldig, aber dennoch sehr auffallend, leuchteten mir die kleinen Diamanten entgegen. Obwohl der Ring real zu sein schien, wie alles andere auch, konnte ich es einfach nicht fassen. Das musste alles ein verrückter Traum sein. Das war doch nicht Ich. Ich würde niemals heiraten. Nein, das war nicht ganz richtig. Ich würde niemals SO JUNG und frisch von der High School heiraten, wie es einst meine Mutter getan hatte. Sie hatte mir immer nahe gelegt, nicht überstürzt zu handeln und die Ehe ernst zu nehmen. Oh Gott! Was würde Renee bloß sagen, wenn sie diesen Ring sehen würde?

Daran wollte ich lieber nicht denken.

Das Geräusch der sich öffnenden Tür ließ mich aufblicken. Eine Schwester kam herein und lächelte mich glücklich an, als sie zu mir ans Bett heran trat. Sie warf einen kurzen Blick auf dem Monitor, dann wandte sie sich mir zu.

„Hallo, Isabella. Schön, dass du wieder wach bist. Wie fühlst du dich?“, fragte sie freundlich.

„Ich habe leichte Kopfschmerzen, aber ansonsten geht es mir gut.“

Ich wollte sie gerade fragen, warum ich denn hier eingeliefert wurde, doch sie war schneller.

„Schön. Ich sage dem Doktor und deiner Mutter Bescheid, dass du wach bist.“

Meine Augen weiteten sich und ich öffnete den Mund vor Überraschung.

Renee war hier?
In Forks?

Mein Gott. Charlie musste Renee bestimmt gleich informiert haben und vor lauter Sorge um mich, ist sie sofort hergeflogen. Was hatte Charlie ihr denn gesagt? Gut, ich war im Krankenhaus, aber es schien ja nichts Lebensbedrohliches gewesen zu sein. Ich hatte ja nur Kopfschmerzen und Schwierigkeiten mich zu erinnern. Charlie musste Renee die ganze Situation tausendmal schlimmer erklärt haben, als sie in Wirklichkeit war.

Ich wollte irgendetwas darauf erwidern, doch ehe ich die Gelegenheit dazu hatte, war die Schwester auch schon wieder verschwunden. Gedanklich bereitete ich mich darauf vor, Renee gegenüberzutreten und sie zu beruhigen.

Was sie wohl in den letzten Stunden alles durchgemacht hatte?

Als ich darüber nachdachte, fragte ich mich, wie lange ich mich den eigentlich hier im Krankenhaus befand.

Schließlich konnte Renee doch nicht erst in den letzten Minuten hier eingetroffen sein, oder?

Und es nahm schon einige Zeit in Anspruch, um von Jacksonville nach Forks zu gelangen.

Wie viel Zeit war vergangen?
Einige Stunden oder sogar ein paar Tage?
War meine Erinnerungslücke doch größer als angenommen?

Ich versuchte mich an das letzte Datum zu erinnern, was ich mit Sicherheit benennen konnte. Doch so sehr ich es auch versuchte, es gelang mir nicht. Trotz größter Anstrengung und steigender Kopfschmerzen, blieb ich erfolglos. Das einzige, was ich mit Sicherheit sagen konnte war, dass ich in letzter Zeit einfach nicht auf so was geachtet hatte.

Alle Tage waren verschwommen und ziemlich schnell an mir vorbei gezogen. Aber wenn ich mich nicht irrte, dann…

Weiter kam ich nicht, denn die Tür wurde erneut aufgestoßen. Schnell huschte mein Blick zu meinem Ring und ich versteckte die Hand unter der Bettdecke. Im Nachhinein war das ziemlich dumm, denn Renee hatte den Ring bestimmt schon gesehen. Na, auf diese Unterhaltung freute ich mich schon ungemein. Und das Schlimmste daran war, ich konnte ihr noch nicht einmal sagen, wer mir diesen Ring angsteckt hatte, geschweige denn was mich dazu bewogen hatte, den Antrag überhaupt anzunehmen.

Der Doktor kam mit einer Krankenakte herein, gefolgt von einer aufgewühlten Renee.

„Oh Bella Schatz. Ich freue mich ja so, dass du wieder wach bist.“, sagte mit überglücklich, wobei ihre Stimme leicht belegt klang.

Sie lächelte mich an und ich konnte ihr ansehen, dass es ihr äußerst schwer fiel, mich nicht zu umarmen. Wahrscheinlich wollte sie sich in der Gegenwart des Doktors etwas zusammen reißen. Beruhigend erwiderte ich das Lächeln meiner Mutter.

„Alles okay, Mum. Mir geht’s gut.“

Der Doktor neben Renee räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich richtete meinen Blick auf ihm.

„Schön, dass sie wieder bei uns sind, Isabella.“

Während er weitersprach, schlug er die Akte auf und musterte prüfend den Inhalt.

„Ihre Werte scheinen alle im normalen Bereich zu liegen. Auch die Röntgenaufnahmen ihres Kopfes sehen gut aus. Nur eine leichte Gehirnerschütterung.“

Verwundert darüber, dass ich auch geröntgt wurde, runzelte ich die Stirn. Ich musste ja ziemlich weit weg gewesen sein. Der Doktor schlug die Akte wieder zu und seine Finger tasteten prüfend meinen Schädel ab.

„Haben sie starke Schmerzen?“, fragte er.

„Nein.“

„Ist ihnen schwindelig?“

Ich schüttelte leicht den Kopf.

„Mhh… Soweit scheint alles in Ordnung zu sein.“, sagte der Doktor nachdenklich und setzte eine Unterschrift auf meine Krankenakte.
„Sie scheinen sehr großes Glück gehabt zu haben.“

Was? Glück wobei denn?

„Entschuldigen Sie, was ist denn eigentlich passiert?“, wollte ich wissen.

Der Doktor zog eine Augenbraue nach oben.

„Wissen Sie das etwa nicht mehr?“

Ich schüttelte erneut meinen Kopf.

„Sie sind von einem Auto erfasst worden, Isabella.“, erklärte der Doktor im beruhigenden Ton.

Mit großen Augen starrte ich ihn an, dann fasste ich mich wieder.

„Daran kann ich mich nicht erinnern.“

„Kein Grund zur Sorge. Wahrscheinlich will ihr Unterbewusstsein sie vor dieser Erinnerung schützen, darum haben sie keinen Zugriff darauf. Im Moment jedenfalls. Außerdem ist es nicht ungewöhnlich, dass eine vorrübergehende Amnesie bei einer Gehirnerschütterung auftritt.“

Ich warf Renee einen Blick zu. Sie musterte mich besorgt.

„Wie lange bin ich schon hier?“

„Etwas über zwei Stunden.“, informierte mich der Doktor, während er mich aufmerksam betrachtete.

Zwei Stunden?

Es war aber bereits Nachmittag und ich hatte nur zwei Stunden hier verbracht?

Verdammt!
Was ist denn in den Stunden davor passiert?

Diese dumme Amnesie.

„Irgendwie kann mich sowohl an den Unfall, als auch an die letzten Stunden nicht erinnern.“, teilte ich dem Doktor bedauernd mit.

Dieser zog die Augenbrauen zusammen, dann sprach er langsam, wobei er seine Worte bedacht wählte.

„Das hängt mit dem Schock zusammen, den sie erlitten haben. Dadurch können sie sich nicht an bestimmte Dinge erinnern, die vor dem Ereignis stattgefunden haben.“

„Mhh…“, murmelte ich und holte meine linke Hand unter der Bettdecke hervor.

Kurz betrachtete ich den Ring, dann drehte ich die Hand, sodass der Doktor den Ring ebenfalls sehen konnte und sagte: „DARAN kann ich mich auch nicht erinnern.“

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme leicht ärgerlich klang und zwang mich, nicht in Renees Augen zu blicken. Die grün-blauen Augen des Doktors weiteten sich kurz und er wirkte überrascht und etwas entsetzt.

„Isabella, können Sie mir sagen, welches Datum wir heute haben?“, fragte er wieder mit beruhigender Stimme, nachdem er sich wieder gefasst hatte.

Ich runzelte die Stirn, versuchte mich zu erinnern.

Das gute war, dass die Schmerzen im Kopf bei dem Versuch nicht mehr so stark waren wie vorhin.
Das Schlechte war, dass ich dem Doktor keine zufriedenstellende Antwort geben konnte.

„Tut mir leid, dass kann ich ihnen nicht sagen, weil ich in letzter Zeit nicht auf so was geachtet habe.  Aber es müsste Ende September beziehungsweise Anfang Oktober sein.“

Nun sah der Doktor sehr besorgt aus. Ich sah hilfesuchend zu Renee, doch auch ihr Gesichtsausdruck war nicht viel besser.

„Welches Jahr?“

Die Stimme des Doktors zwang mich dazu, den Blick von Renees Gesicht zu nehmen, um ihn wieder anzuschauen.

„2005.“, murmelte ich leicht verwirrt über die Frage.

Renee keuchte auf und schlug die Hand vor ihrem Mund. Besorgte und erschrockene große braune Augen starrten mich an. Verständnislos wandte ich mich wieder dem Doktor zu, wartete darauf, was er dazu zu sagen hatte.

„Anscheinend haben wir hier einen schwerer wiegenden Fall von Amnesie.“, murmelte er eher zu sich selbst, doch laut genug, damit ich es hören konnte.

„Was wollen Sie damit sagen?“

So langsam war diese ganze Sache ziemlich beunruhigend.

„Isabella. Wir haben weder gerade September, noch Oktober.“, begann er zu erklären.

Gespannt hielt ich die Luft an, während meine innere Panik weiter anstieg.

Weder September, noch Oktober?
Wie viel Zeit meines Lebens fehlte mir wirklich?
Wochen?
Monate?
Ein Jahr?

Angespannt wartete ich auf die Antwort des Doktors und als diese kam, zog ich erschrocken die Luft ein.

„Heute ist der 02. Februar 2006.“

Vier Monate.

Ich konnte mich an vier Monate meines Lebens nicht mehr erinnern?!

Das konnte doch nicht wahr sein. Unmöglich.

Ich versuchte mich wieder zu beruhigen und alles, was eben gesagt wurde, zu durchdenken. Der Unfall war heute am 02. Februar geschehen, wodurch ich bis jetzt nur wenige Zeit im Krankenhaus verbracht hatte. Ich war also nur ohnmächtig gewesen und hatte nicht vier Monate im Koma gelegen. Ich hatte also die letzten vier Monate erlebt und nicht verpasst, wie der Ring an meiner Hand eindeutig bewies.

Was war nur in der letzten Zeit mit mir geschehen?
Wie hatte ich so einen Schritt nur gehen können?

WENN ich jemanden heiraten würde, dann NUR IHN und keinen anderen.
ER war meine erste, einzige große Liebe und würde es immer bleiben.
Aber ich werde nie die Frage aller Fragen aus SEINEM Mund hören können, denn schließlich hatte ER mich verlassen.
Das ich den Antrag selbst von IHM höchstwahrscheinlich nicht angenommen hätte, war nebensächlich.

Also, wer hatte es geschafft, mir diesen Ring aufzuschwatzen? Hatte ich in den letzten Monaten, an die ich mich im Moment nicht erinnern konnte, jemanden kennen gelernt, der mich wieder so etwas Ähnliches wie Frieden oder Glück empfinden ließ?

Denn Liebe konnte es nicht sein.

Denn nur IHM gehörte mein Herz.
Auf ewig.

Hatte es tatsächlich jemand geschafft, in der kurzen Zeit, mich aus meiner Schwärze, aus meiner Taubheit zu befreien?
Ist es jemanden tatsächlich gelungen, die inneren Mauern zu sprengen, die mein Herz umgaben, von denen ich glaubte, dass sie nie verschwinden würden?

Ich musste zugeben, dass es durchaus beruhigend war zu wissen, dass es anscheinend jemanden in meinem Leben gab, den ich wieder in mein Herz lassen konnte. Doch trotz allem würde…Edward den größten Platz in mir besitzen, egal, wer mein…Verlobter auch sein mochte. Auch wenn ich nicht wusste, wer er war – was ganz gut war –, so stand eins unwiderruflich fest.

Er war keine Konkurrenz für ihn. Weder innerlich, noch äußerlich. (Was das betraf, war ich ziemlich voreingenommen.)

Eine leise Stimme in mir wünschte sich, dass alles nur ein Traum war und ich gleich wieder aufwachen würde. Das war alles einfach zu verrückt, sodass es der Wahrheit entsprechen konnte. Das ER mich verlassen hatte, war schon schlimm genug. Aber eine Lücke von vier Monaten sollte nicht unbedingt dazu kommen.

Die Situation war zum Verzweifeln.

Nebenbei spürte ich auch wieder das klaffende Loch in meiner Brust, weil ich wieder an IHN gedacht hatte. Der Schmerz war noch immer genauso allgegenwärtig, wie er es seit dem Ende gewesen war. Er besaß eine enorme Intensität, wenn man bedachte, dass ich jemanden kennen gelernt hatte, der diesen Schmerz wenigstens etwas betäuben sollte.

Genau dieser Fakt machte das alles hier noch unwirklicher, sodass ich die Theorie eines sehr real scheinenden Traumes alles andere als fallen lassen konnte.

Auch war etwas anders als sonst.

Der Schmerz in meinem Inneren schien noch an Intensität hinzugewonnen zu haben.

Wie war das möglich?

Es fühlte sich so an, als wäre das Loch um die doppelte Größe angewachsen. Als hätte man mir das Herz zweimal aus der Brust gerissen und noch vieles mehr. Als hätte ich noch etwas anderes verloren, was genauso  viel – wenn nicht sogar noch mehr – Bedeutung in meinem Leben hat, wie…Edward.

Was für ein Mensch konnte das sein?
Wer konnte es sein?

Ich zweifelte daran, dass es mein…unbekannter Verehrer war.

Äußerlich war mir nichts anzusehen und es fiel mir nicht sehr schwer meinen inneren Aufruhr vor dem Doktor und Renee zu verbergen. Ich hatte später noch genügend Zeit, um irgendwo zusammen zu brechen. Und außerdem sollten sie ja nicht denken, dass ich…

Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht, da mich Renees Stimme wieder in die Wirklichkeit zurück brachte.

„Wird meine Tochter ihr Gedächtnis wieder erlangen können?“, fragte Renee besorgt und ich konnte ihr ansehen, wie sie mit Mühe ihre Tränen zurück hielt, die ihre Wangen hinunter laufen wollten.

„Natürlich.“, versicherte ihr der Doktor sofort.
„Die Erinnerungen ihrer Tochter sind vorhanden, derzeit nur blockiert durch den Schock, den der Unfall bei ihr ausgelöst hat. Am besten ist es, wenn sie mit Isabella nach Hause fahren, damit sie sich in einer vertrauten Umgebung befindet. Es wäre viel besser für sie, als dass sie hier im Krankenhaus bleiben würde. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit so viel größer, dass sie sich an ihre Vergangenheit wieder erinnern kann.“

Renee sah etwas erleichtert aus und schaffte es sogar, den Doktor leicht zuzulächeln. Auch mir wurde leichter ums Herz, weil ich nicht mehr hier festsitzen musste.

„Danke, Doktor.“, sagte Renee und schüttelte ihm die Hand.

„Keine Ursache.“
Er wandte sich wieder mir zu.
„Sollten die Schmerzen in ihrem Kopf stärker werden, empfehle ich Ihnen Tylenol zu sich zu nehmen.“, riet er.

Ich konnte ein Zusammenfahren gerade noch verhindern, als mich die Erinnerung durchströmt hatte.

Ähnliche Worte hatte Carlisle damals zu mir gesagt, als wir uns kennen gelernt hatten. Damals an diesem Tag, hatte ER mir das Leben zum ersten Mal gerettet.

Ich nickte dem Doktor zu und bedankte mich.

„Dann viel Glück, Isabella und hoffentlich bis nicht so bald.“, scherzte er mit einem kleinen Lächeln und verließ das Krankenzimmer.

Sofort als die Tür hinter Renee und mir ins Schloss gefallen war, schlang Renee die Arme um mich und drückte für meinen Geschmack etwas zu fest zu.

„Ach Schatz, ich war krank vor Sorge.“, klagte sie mir ihr Leid.
„Warum jagst du mir so einen Schrecken ein? Jetzt, da ich dich doch erst gerade wieder habe.“, sagte sie rätselhaft.

Was meinte sie denn damit? Sie tat ja fast so, als hätte ich die letzten Jahre nicht bei ihr in Phoenix, sondern in Forks bei Charlie verbracht. Ich beschloss, ihr nicht gerade jetzt die Frage zu stellen, sondern eine andere, nachdem Renee sich von mir gelöst hatte.

„Was machst du eigentlich hier in Forks, Mum? Du hättest doch nicht extra herfliegen müssen.“

Renee musterte mich besorgt.

„Schatz.“, begann sie langsam.
„Du bist nicht in Forks. Wenn dem so wäre, sähe es draußen ganz anders aus. Du bist in Phoenix.“, erklärte sie mir.

Wie bitte?
Was machte ich denn in Phoenix – wieder einmal?
Hatte ich Renee besuchen wollen?

Oder hatte ich mich nicht mehr länger dazu durchringen können in Forks zu bleiben?

Der Heimat meines Schmerzes.

Nein.
Ausgeschlossen.

Das hätte ich nie und nimmer getan. Ich wusste seit dem Ende, dass Forks für immer mein Gefängnis bleiben würde.

Halt.

Warum war ich denn in Phoenix, wenn ich gerade meine Zeit bei Renee – aus welchem Grund auch immer – verbrachte?

Wahrscheinlich hatte Charlie solange auf mich eingeredet, bis er mich dazu gebracht hatte, wenigstens eine Zeit lang zu Renee zu „ziehen“, in der Hoffnung, dass es mir dadurch besser gehen würde.

Doch natürlich würde das nie passieren.

Selbst wenn meine Theorie stimmen sollte, denn eine plausiblere Erklärung fiel mir nicht ein, warum war ich nicht in Jacksonville? Hatte Phil heute gerade in Phoenix oder in der Nähe ein Spiel zu dem ich mitgegangen war, damit Renee Zeit mit ihm verbringen konnte?

„Phoenix, Mum? Hat Phil heute hier ein Spiel?“

„Nein, Bella.“ Renee klang verwirrt.

„Aber ich bin hier, weil ich dich besuchen wollte, richtig?“, fragte ich unsicher und hoffte, dass sie mir jetzt die Antwort gab, die ich hören wollte.

Renee sah mich mit einem merkwürdigem Gesichtsausdruck an, den ich nicht deuten konnte. Dann sagte sie sehr zögerlich und vorsichtig.

„Ja…das hattest du vorgehabt.“

Ich seufzte erleichtert. Dann war das wenigstens geklärt.

„Gut. Aber warum bin ich dann in Phoenix. Ich meine, hier wohnst du doch seit einiger Zeit mit Phil nicht mehr.“

Ein entsetzter Ausdruck huschte kurz über Renees Gesicht. Was stimmte denn nun nicht? Als sie jetzt mit mir sprach, klang sie sehr ruhig. Langsam und deutlich artikulierte sie ihre Worte, als würde sie mit einem Kind sprechen.

„Bella, Schatz. Du scheinst wohl vergessen zu haben, dass ich schon immer hier in Phoenix gewohnt habe.“

Was? Nein, dass stimmte nicht.

„Aber…“, setzte ich an, doch Renee hob eine Hand, um mich zu unterbrechen.

„Ich denke, das ist wohl nicht der passende Ort, um diese Diskussion weiter fortzuführen. Komm, Bella. Wir fahren erst einmal nach Hause, wo ich dir alles erklären werde. Vielleicht, wenn du unser Haus und unsere Fotos siehst, wirst du dich wieder an einiges erinnern können.“, sagte sie ruhig, aber entschlossen.

Ich erwiderte ihren Blick misstrauisch, wusste nicht so recht, was ich von all dem halten sollte. Nach ein paar Sekunden seufzte ich ergeben und nickte. Schließlich hatte ich keine große Wahl. Und alles andere war besser, als in diesem Krankenhaus zu versauern.

Doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass das alles nicht real sein konnte, obwohl es mir so erschien. Allmählich keimte in mir der Verdacht auf, dass ich durch den Unfall nicht nur meine Erinnerungen, sondern auch den Bezug zur Realität verloren hatte.

Konnte es sein, dass ich langsam den Verstand verlor?

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Ich weiß, dass Kapitel ist diesmal nicht sehr lang, aber es macht doch neugierig auf mehr, oder?

Im nächsten Kapitel, taucht unser geheimnisvoller Gast auf.

Ihr dürft gespannt sein.

Wäre schön, wenn ihr ein paar Rückmeldungen da lassen würdet. Wie findet ihr es, dass Elli und Bella beide ihr Gedächtsnis verloren haben? Wobei Elli wirklich viel verloren hat, während Bellas Erinnerungen nur blockiert sind.

Ich werde mich beeilen und so schnell wie möglich wieder posten.

Bis zum nächsten Kapi =)

Der Junge, der niemals war


Bellas POV - Paralleluniversum

 


(Paralleluniversum)

 

 


„Komm Schatz, ab nach Hause.“, sagte Renee etwas zu überschwänglich und nahm mich wie ein kleines Mädchen an die Hand, nachdem ich aus dem Bett gestiegen und somit aufbruchsbereit war.

Die Kopfschmerzen waren erträglich, also müsste ich wohl keine Medikamente nehmen. Etwas verwirrt und wachsam betrachtete ich Renee, deren Augen nur so vor Glück funkelten. Ich konnte ihre Reaktionen schon verstehen, fand sie aber selbst für Renee etwas zu übertrieben.

Warum musste sie mit mir Händchen halten, als wäre ich noch ein kleines Kind?

Mein Misstrauen blieb und ein Teil in mir fragte sich, warum das wohl so war. Ich beschloss die Sache auf sich beruhen und alles erst einmal auf mich zukommen zu lassen. Wir verließen mein Krankenzimmer und gingen den Gang entlang zum Fahrstuhl, um zum Erdgeschoss zu fahren, welches sich zwei Etagen unter uns befand.

Mit einem „Pling“ öffneten sich die Türen und wir gingen hinein. Renee hielt weiterhin meine Hand fest. Es schien, als wollte sie sie nie mehr loslassen. Renee drückte den Knopf für unser Ziel und die Türen begannen sich zu schließen.

„Keine Sorge Schatz, wir kriegen das schon hin.“, sagte Renee aufmunternd und lächelte mich an.

Ihre Stimme hatte dabei allerdings einen nervösen Klang, sodass die Worte nicht so überzeugend waren, wie sie sollten. Ich zog kurz die Augenbrauen zusammen und versuchte sie durch ein kleines Lächeln meinerseits zu beruhigen. Aber ich wusste, dass es nicht echt war. Als die Türen schließlich geschlossen waren und der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte, durchfuhr ein eiskalter Schauer meinen ganzen Körper und mein Magen zog sich zusammen.

Überrascht durch dieses unerwartete Gefühl keuchte ich auf, verkrampfte mich und drückte Renees Hand so fest ich nur konnte. Renee musterte mich besorgt, doch ich kniff die Augen zu, spannte meinen ganzen Körper an und hoffte, dass dieses Gefühl bald vorbei ging. Ich merkte, wie mein Händedruck von Renee erwidert wurde.

Als das erlösende „Pling“ ertönte und die Türen sich öffneten, konnte ich fast das erleichterte Seufzen nicht unterdrücken. Ich schlug meine Augen wieder auf und riss Renee förmlich mit mir aus dem Fahrstuhl. Als wir wenige Schritte von ihm entfernt stehen blieben, konnte ich wieder beruhigt atmen und mich entspannen. Das Gefühl der Enge und Bedrängnis fiel langsam wieder von mir ab.

Ich atmete ein paar Mal tief durch und versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war.
Hatte ich gerade so etwas, wie eine Panikattacke gehabt?
Aber warum?

Es hatte mir noch nie etwas ausgemacht, den Fahrstuhl zu benutzen.

Hatte ich in den letzten vier Monaten etwas Traumatisches in einem Fahrstuhl erlebt, was die Ursache für dieses unangenehme Gefühl ist?
War es so schlimm gewesen, dass ich nie wieder in einem Fahrstuhl einsteigen wollte?

Selbst die Amnesie konnte meinen Körper vor dieser Erinnerung wohl nicht schützen. Etwas aus meiner Vergangenheit hat wieder versucht, an die Oberfläche zu kommen.

War diese Panikattacke also ein gutes Zeichen mit schlechten Symptomen?

Fragend schaute ich Renee an, die mich wohl die ganze Zeit prüfend im Blick gehabt hatte.

„Seit wann habe ich denn Probleme, den Fahrstuhl zu benutzen?“, fragte ich, nachdem ich mich wieder vollends erholt hatte.

Renee lächelte und es hatte etwas Mitleidiges an sich.

„Nicht du, er.“, sagte sie wieder in diesem ruhigen Tonfall, als würde sie mit einem kleinen Kind sprechen.

Ich runzelte die Stirn. „Wer Mum?“

„Später.“, würgte Renee meine Frage ab.
„Lass uns erst mal nach Hause fahren.“

Seufzend gab ich mich geschlagen und Renee zog mich mit Richtung Ausgang. Als wir an der Rezeption vorbei kamen, fiel mir der Kalender auf, der an der Wand hinter dem Tresen und der Schwester hing.

Tatsächlich.

Heute war wirklich der 02. Februar 2006.

Natürlich war es lächerlich gewesen, dennoch hatte ich die Hoffnung gehabt, dass der Doktor mir eine falsche Information gegeben hatte. Ich konnte nicht glauben, dass mir ganze vier Monate fehlten. Wir verabschieden uns von der Schwester, die uns hinter ihrem Tresen freundlich zulächelte, ließen die Eingangstür hinter uns und traten hinaus in die helle Sonne.

Genießerisch schloss ich die Augen, legte den Kopf in den Nacken und lächelte leicht. Die Wärme der Sonne wieder zu spüren gab mir ein vertrautes Gefühl, was ich gut gebrauchen konnte – allerdings mit einem schalen Nachgeschmack. Ich wusste warum, aber den Gedanken wollte ich jetzt lieber nicht vertiefen. Ich merkte, wie mir ganz schön warm unter meinen Sachen wurde. Ich war viel zu dick angezogen. Wenn ich noch länger so stehen blieb, würde ich noch schneller anfangen zu schwitzen.

Warum trug ich eigentlich so viele Sachen?
Und ein langärmliges Shirt bei diesen Temperaturen?

Ein Händedruck riss mich aus meiner glücksähnlichen Blase und ich schaute Renee an, die lächelte.

„Bereit?“

„Ja.“, sagte ich mit fester Stimme.

Auf dem Weg zum Parkplatz schaute ich mir die Umgebung an und es war nicht schwer zu sehen, wie gegensätzlich Phoenix und Forks waren. Blauer Himmel, kein einziges Wölkchen, eine lachende Sonne und das Krankenhaus ein großes und imposantes verwinkeltes Gebäude, in dem man sich leicht verlaufen konnte, wenn man nicht wusste, wo lang man gehen sollte.

Trotzdem ich die Sonne liebte, zog es mich nach Forks, in die Stadt mit dem großen moosbewachsenen Bäumen und dem ewigen Regen. Ja, der triste Regen war jetzt meine Heimat. Hätte man mir das Januar diesen – nein, letzten Jahres gesagt – hätte ich denjenigen für verrückt gehalten. Es war schon merkwürdig, wie schnell sich alles ändern konnte. Es blieb eben nie so, wie es war.

Bei diesen Gedanken fing mein inneres Loch wieder zu bluten an und ich konnte nur schwer den Drang unterdrücken, mir die Arme um die Brust zu legen. Ich wollte Renee nicht noch mehr beunruhigen. Sie ist nicht so widerstandsfähig wie Charlie. Ich hatte es geschafft, meinen Schmerz nicht nach außen zu lassen. Mein Körper hatte sich nur kurzzeitig angespannt, was Renee, wie ich sah, mit einem verwirrten Blick bedacht, aber nichts weiter dazu gesagt hatte. Wieder war ich verwirrt über die Intensität des Schmerzes.

Es schien, als hätte ich zwei Löcher. Das von IHM und noch eins, das etwas größer war.

Wer hatte es nur gewagt, meinem Herzen noch mehr Schmerz zuzufügen?

Ein Teil von mir, fand es besser, es nie herauszufinden. Aber der andere Teil war doch auch neugierig. Schließlich waren Erinnerungen von größter Bedeutung.

Wer wüsste das besser, als ich?

Ich war fest entschlossen, die Geheimnisse meiner Vergangenheit zu lüften. Jedoch beschlich mich wieder dieses eigenartige Gefühl, dass das alles ein Traum war. Nachdenklich betrachtete ich wieder das Unheil auf meiner linken Hand. Ja, ein sehr merkwürdiger Traum.

Wir waren endlich am Auto angekommen und Renee ließ meine Hand los, um aus ihrer Hosentasche den Autoschlüssel aufzuschließen, damit sie das Auto elektronisch öffnen konnte. Ich stieg auf der Beifahrerseite ein, während Renee den Platz des Fahrers einnahm. Sie startete den Wagen, fuhr vom Parkplatz und auf die Straße. Während der Fahrt zu unserem Haus sprachen wir kein einziges Wort miteinander. Ich war viel zu beschäftigt mit meinen eigenen Gedanken.

Nebenbei warf ich aus den Augenwinkeln einen Blick auf Renee, deren braune Augen stur nach vorne gerichtet waren. Ihre Hände am Lenkrad zitterten leicht und ich betrachtete sie genauer. Sie wirkte sehr konzentriert, aber das Zittern ihrer Hände verriet, dass sie auch nervös war. Wahrscheinlich, machte sie sich Sorgen um mich und um meine Erinnerungslücke. Entschieden wand ich den Blick von Renee wieder ab, da ich nicht wollte, dass sie mich beim Starren erwischte.

Ich schaute wieder durch die Glasscheibe nach draußen. Die Passanten auf dem Bürgersteig, die vielen Häuser – mal mehr, mal weniger aneinandergedrängt – und die Eukalyptusbäume, die mal hier, mal da standen, flogen an uns vorbei. Natürlich war diese Geschwindigkeit zu SEINER geradezu lächerlich. Ich konnte alles ganz gut erkennen, auch die meisten Gesichter der Passanten. Ich beobachtete also das Treiben der vielen Menschen, während wir unserem Ziel immer näher kamen, als ich plötzlich die Augen aufriss.

Ein mir bekanntes Gesicht stach so deutlich unter den Fußgängern hervor, als ob die Sonne es mit aller Kraft anstrahlen würde. Es war nur ein kurzer Moment, aber ich wusste ganz genau, dass diese Augen direkt in meine geblickt hatten.

Überrascht und etwas geschockt wich ich zurück und drückte mich wieder in den Sitz. Nein, das hatte ich mir bestimmt nur eingebildet, redete ich mir ein. Ein Hirngespinst, sonst nichts. Nur ein Produkt meiner Fantasie. Ich schüttelte den Kopf, in dem Versuch, das eben Gesehene zu vergessen.

Den Rest der Fahrt über blieb ich im Sitz gedrückt sitzen und starrte durch die Frontscheibe. Trotz aller Versuche konnte ich nicht verhindern, dass meine Gedanken immer zu diesem Gesicht wanderten. Die Fahrt hatte nicht allzu lange gedauert und schon fuhr Renee auf das Grundstück mit unserem Haus. Wortlos stiegen wir aus und gingen gemeinsam zur Haustür, während mir das kleine Beet neben dem Briefkasten und der Eukalyptusbaum ins Auge fielen.

Alles sah sehr vertraut aus.

Das Haus sah aus wie das, in dem ich aufgewachsen war. Auch hatte es die gleiche gewohnte Hausnummer: 58-21.

Das war doch zu verrückt. Renee und Phil wohnten doch hier nicht mehr. Sie hatten irgendwo in Jacksonville ein hübsches Haus gefunden. Das war alles falsch. Das konnte alles nur falsch sein, dachte ich. Aber ich musste mich beruhigen. Ruhig, sagte ich mir. Lasse alles erst einmal auf dich zukommen. Dann kannst du immer noch entscheiden, was du tun willst. Renee trat ein Schritt vor.

„Willkommen zu Hause, Bella.“

Na, da war ich mir nicht so sicher.

„Phil ist nicht da. Er trainiert gerade sein Team für die nächste Meisterschaft und kommt erst heute Abend zurück.“, teilte sie mir fröhlich mit, während sie mit dem Schlüssel die Haustür aufschloss.

Die Tür schwang auf und ich folgte ihr etwas zögerlich und voller Misstrauen in den Flur der Wohnung. Ich blickte mich prüfend um. Nein. Alles war, wie ich es in Erinnerung hatte. Alles war, wie ich es kannte.

„Wie geht es dir, Schatz?“, fragte Renee mich.

„Gut, denke ich?“, kam es unsicher aus meinem Mund.

Renee lächelte, doch sie wirkte noch immer sehr nervös, auch wenn ihre Hände jetzt nicht mehr zitterten. Auch lag in ihren Augen immer noch dieses Funkeln. Man hätte den Eindruck bekommen können, dass sie mich Jahre nicht zu Gesicht bekommen hat und sie mehr als froh ist, dass ich jetzt wieder bei ihr bin. Aber das war natürlich alles Unsinn! Wir zogen unsere Schuhe aus. Renee warf mir einen vielsagenden Blick zu und ging ins Wohnzimmer. Mir war klar, dass sie wollte, dass ich ihr folgte, was ich auch tat.

Auch hier sah ich mich um.

Es war alles so, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Wände waren aus dunklem Holz, Querbalken stützten die niedrige Decke. Links zierte ein breites Fenster die Wand, während sich auf der rechten Seite ein Kamin mit hellbraunen Ziegeln befand. Daneben führte eine Türöffnung ins Nebenzimmer. In der Ecke stand ein schmaler Tisch, der als Platz für einen Fernseher und ein Videorekorder diente. Davor standen ein abgenutztes Sofa und ein runder Kaffeetisch.

Nichts Ungewöhnliches. Alles so, wie ich es kannte.
Nein, stopp.

Mein Blick wanderte nochmal zum Kamin. Auf seiner Ablage oberhalb standen ein paar kleine Fotos in Bilderrahmen. Das war mir neu. Ich zog die Augenbrauen zusammen, durchschritt aber dann den Raum, bis ich vor dem Kamin stand und mir die Fotos gut ansehen konnte. Mir entging natürlich nicht, dass mich Renee bei allem aufmerksam beobachtete.

Das erste Foto zeigte Renee im weißen Brautkleid und Phil in einem klassischen Smoking. Der Bildausschnitt zeigte sie nur vom Kopf bis zur Brust. Beide trugen ein glückliches Lächeln auf den Lippen und zeigten jeweils ihre Zähne. Ich kannte dieses Foto. Ein sehr schönes und romantisches Bild. Ich merkte, dass sich meine Mundwinkel hoben.

Das nächste Foto zeigte sie beide erneut. Allerdings saßen sie hier im Wohnzimmer auf dem Sofa und trugen legere Kleidung. Phil hatte den Arm um Renee geschlungen und sie kuschelte sich an seine Brust. Auch dieses Foto war mir bekannt.

Bei der nächsten Aufnahme runzelte ich die Stirn.

Den Hintergrund erkannte ich sofort. Es war das Wohnzimmer von Charlie. Doch wer auf dem Sofa saß, verwirrte mich. Es waren Renee und ich. Und wir sahen auch richtig glücklich aus. Tatsächlich. Ein Foto von Renee und mir in Charlies Wohnzimmer.

Und das merkwürdige daran war: ich war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme kein Baby mehr.

Nein, auf dem Foto schien ich sechs oder sieben gewesen zu sein. Da musste ein Fehler vorliegen. Renee hatte Charlie mit mir verlassen, als ich ein paar Monate alt gewesen war und war NIE WIEDER nach Forks zurück gekehrt. Schließlich hasste sie diesen Ort. Dieses Bild musste Falsch sein. So ein Foto gab es gar nicht – konnte es gar nicht geben.

Was?!
Einen Moment mal!

Meine Augen weiteten sich. Ich kniff sie zu, öffnete sie wieder und blinzelte ein paar Mal. Ich konnte nicht begreifen, was ich da sah. Ich nahm das Bild in die Hand und brachte es ganz nah an mein Gesicht heran. Ein letztes Mal glitten meine Augen prüfend über das Foto, um noch so jedes kleinste Detail wahrzunehmen. Nein, meine Augen waren in Ordnung.

Auf dem ersten flüchtigen Blick hatte ich seltsamerweise nur einen Teil des Bildes erfasst, was wahrscheinlich mit dem Widerspruch von Charlies Wohnzimmer und Renees glücklichem Gesichtsausdruck zusammen hing.

Auf dem Sofa befanden sich nicht zwei Personen, sondern drei.

Eine lächelnde Renee, die mir ihren linken Arm um die Taille gelegt hatte.
Meine kleine jüngere Ausgabe mit einem fröhlichen Kinderlächeln. Die dritte Person war nicht Charlie, der mit seinem breiten Lächeln in die Kamera grinste. Nein. Renee hatte ihren rechten Arm noch um die Taille eines anderen kleinen Kindes gelegt, welches ebenso fröhlich wie das andere auf dem Foto wirkte.

Das Beängstigende war, dass das Kind auf der anderen Seite von Renee genauso aussah wie ich. Die gleiche Größe, die gleiche Haar- und Augenfarbe, ja sogar dieselbe Haarlänge. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Kindern auf dem Foto waren ihre Sachen. Das Kind links – also ich, hoffte ich – trug ein Kleid, das Kind rechts trug ein Shirt und eine Jeans.

Okay.

Das Bild zeigte mich also zweimal mit unterschiedlichen Sachen auf dem Foto. Und das war bei aller Liebe ein Ding der Unmöglichkeit. Jetzt hatte ich den eindeutigen Beweis. Das alles konnte sich nur um einen Traum handeln, der immer verrückter wurde.

Ich war gerade dabei, dass Bild wieder zurückzustellen, als ich das Gesicht wieder erblickte, das sich in dem Glas des Bilderrahmens spiegelte. Erneut blickten diese vertrauten und doch fremden Augen wieder direkt in meine. Dieses Mal sogar war ein kleines Lächeln zu sehen.

Ich keuchte erschrocken auf, ließ das Bild los und drehte mich mit leichter Panik um. Das Bild fiel zu Boden. Glückerweise hörte man kein zersplitterndes Glas, da es durch die Auslegware auf dem Boden geschützt wurde. Meine Augen huschten durch den Raum, konnten allerdings nur Renee ausmachen, die mich erschrocken und mit großen Augen ansah.

Hatte ich mir das wieder alles nur eingebildet?
Ich schien wirklich allmählich den Verstand zu verlieren.

„Bella, Schatz. Was hast du? Geht es dir gut?“, fragte Renee mich besorgt und trat an mich heran.

„Jaja.“, sagte ich schnell.

Ich drehte mich wieder um, hob das Bild von Boden auf und betrachtete es wieder. Jetzt spiegelte sich kein Gesicht mehr im Glas. Außer meinem eigenem natürlich.

„Wer sind diese beiden Kinder?“, wandte ich mich an Renee und deutete mit dem Zeigefinger auf beide. Renee sah nun wieder sehr nervös aus, lächelte mich dann aber wieder beruhigend an.

„Das…“ – sie deutete auf das Kind mit dem Kleid – „…bist du und das…“ – sie deutete auf das andere Kind mit der Jeans – „…ist dein Bruder Andy. Also dein Zwillingsbruder.“

Entsetzt wechselte mein Blick zwischen meiner Mutter und dem Bild hin und her, bis er wieder auf Renee hängen blieb.

Das konnte doch nicht ihr Ernst sein?

Ich hatte keinen Bruder. Und erst recht keinen Zwillingsbruder, der auch noch genauso aussah, wie ich. Wenn ich einen hätte, dann wüsste ich das doch. Gedächtnisverlust hin oder her. Nein, Renee hatte keinen Sohn und ich war schon immer ein Einzelkind gewesen. Daran gab es nichts zu rütteln.

Aber ich musste mir eingestehen, dass diese Möglichkeit etwas wahrscheinlicher war, als die, dass ich zweimal auf einem Foto zu sehen bin. Aber trotzdem durfte ich nicht außer Acht lassen, dass all diese Dinge, die ich bis jetzt gesehen und erfahren hatte, mehr als unrealistisch waren.

Das konnte nur ein Traum sein.
Einer, der meine Wünsche widerspiegelte.

Ich hatte mir schon immer einen großen Bruder gewünscht, jemand der sich um mich kümmerte. Gut, dass sich mein Unterbewusstsein gerade eine gleichalte männliche Version meines Selbst zusammen spann, war selbst für meine Verhältnisse zu verrückt.

Aber was war in einem Traum schon normal?

Dann die Sache mit dem nur allzu bekannten Gesicht von IHM, welches ich jetzt nur flüchtig zweimal gesehen hatte und nicht zu vergessen der Ring. Ja, ich wünschte mir schon, dass ER wieder zu mir zurückkehren würde. Aber der Wunsch zu heiraten stand gerade nicht sehr weit oben auf meiner Liste.

Also was hatte ein Verlobungsring von irgendeinem Typen in meinem Traum der Wünsche zu suchen?
Und wenn diese Traumwelt nicht nur meine Sehnsüchte widerspiegelte?

Ach du meine Güte!

Wenn ich weiter über meine Psyche nachdachte, würde ich nicht sehr traumhafte Kopfschmerzen bekommen. Ich fragte mich, wie verrückt der Traum noch werden konnte, denn die Möglichkeit, dass es etwas anderes sein konnte, wurde immer unwahrscheinlicher.

Während ich all dies durchdachte, überlegte ich mir, wie ich wieder aufwachen konnte. Das wurde mir langsam dann doch etwas unheimlich.
Ein eineiiger männlicher Zwillingsbruder?
So etwas war doch nicht möglich!

Jedenfalls hatte ich noch nie von so etwas gehört. Ich hatte die Idee, das Gesehene nicht zu akzeptieren und wieder etwas mehr „Realität“ hinein zu bringen. Ich hoffte, je weniger ich mich meinen Illusionen hingab, desto schneller konnte ich aus dieser Traumwelt wieder erwachen.

„Aber Mum.“, widersprach ich.
„Ich hatte nie einen Bruder. Sicher, ich hatte mir immer einen gewünscht. Aber ich blieb ein Einzelkind. Und du hast auch keinen Jungen adoptiert, oder sonst was. Außerdem, ist es denn überhaupt möglich, dass es eineiige Zwillinge mit unterschiedlichem Geschlecht gibt? Und wie kann es sein, dass das Foto in Forks aufgenommen wurde? Schließlich hast du diesen Ort schon vor Jahren mit mir als Baby hinter dir gelassen und bist nie wieder zurückgekommen. Da kann doch etwas nicht stimmen, meinst du nicht auch?“, fragte ich sie zweifelnd mit hochgezogener Augenbraue.

Renee seufzte schwer und in ihren Augen war eine Entschlossenheit zu erkennen, die ich so gut wie nicht von ihr gewohnt war. Ihr Blick brannte sich förmlich in meinem und es war, als wollte sie nun die schwersten Geschützte auffahren, um mich zu überzeugen.

„Bella, Schatz. Hör mir jetzt genau zu.“, begann sie im ernsten Tonfall.

Gespannt wartete ich nun darauf, was sie mir jetzt für eine Erklärung geben würde.

„Du bist jetzt noch sehr verwirrt durch den Unfall. Ich habe dich und deinen Bruder zusammen geboren, wobei er 10 Sekunden früher zur Welt kam. Und ja, so ein Phänomen gibt es. Es ist allerdings sehr, sehr selten. Es stimmt auch, dass ich Forks nie sonderlich gemocht und diesen Ort früh verlassen habe. Mit euch beiden, wohl gemerkt. Du kannst ganz beruhigt sein. Das Foto ist keine Fälschung, sondern echt. Ich habe mit euch zusammen Charlie besucht, da ich euch nicht alleine lassen und er seine Kinder mal wieder sehen wollte. Ihr beide ward gerade sechs geworden, als das Foto gemacht wurde.“

Renee wirkte angespannt und wartete auf meine Reaktion. Ich wusste nicht so recht, was ich von ihrer Erklärung halten sollte. Es kam mir vor, als hätten sich Traum und Realität miteinander vermischt. Ich hatte keine Geschwister. Ausgeschlossen.

„Aber Mum. Ich weiß hundert prozentig, dass ich KEINEN Bruder habe und wir haben auch nie gemeinsam Charlie besucht. Und komm mir jetzt nicht mit der Ausrede, dass ich noch durch den Unfall verwirrt bin. Schließlich habe ich nur vier Monate vergessen und nicht mein ganzes Leben.“

Ein schuldbewusster Ausdruck huschte über Renees Gesicht, doch sie hatte sich wieder schnell gefangen. Sie holte tief Luft und ließ erneut die ganze Überzeugungskraft ihrer Augen auf mich los.

„Wir haben ein einziges Mal zusammen Charlie besucht. Und ob du es glaubst oder nicht, du hast einen Bruder. Vielleicht kann dich ja sein Zimmer davon überzeugen. Und wenn du ein paar persönliche Sachen von Andy siehst, kommen möglicherweise auch ein paar Erinnerungen zurück.“

Als Renee geendet hatte, verzog sie merkwürdig den Mund. Als würde sie über ihre eigenen Worte nachdenken. Und dieser Gesichtsausdruck bestärkte meinen Verdacht, dass einiges oder vieles hier nicht stimmen konnte.

„Okay.“, erwiderte ich etwas trotzig.
„Dann zeig mir mal das Zimmer meines Bruders.“

Herausfordernd und ungläubig sah ich meine Mutter kurz an, dann stellte ich das Bild wieder zurück. Bevor Renee mich aufforderte ihr zu folgen, konnte ich noch einen flüchtigen Blick auf die anderen Bilder werfen. Es fielen mir einige Ungereimtheiten auf, die es nur in einem Traum geben konnte.

Ein Bild zeigte Renee mit goldblonden Haaren. Und das sah so ungewohnt aus, dass ich ein Lachen unterdrücken musste. Solange ich Renee kannte, hatte sie sich noch nie die Haare gefärbt gehabt. Es war kein aktuelles Foto, sondern schien schon einige Jahre alt zu sein. Zum Glück hatte sie seit meines Erwachens – oder Einschlafens? – ihre normale braune Haarfarbe, sonst hätte ich einen Lachanfall nicht zurückhalten können.

Das nächste Bild zeigte diese männliche Variante von mir im jungen Teenageralter. Ein vielleicht 13-jähriger, eher schlaksig wirkender Junge lächelte leicht auf diesem Bild, doch es schien sehr verkrampf und gezwungen, als würde es ihm Schmerzen bereiten. In seinen braunen Augen fehlte der Glanz. Sie wirkten stumpf und leer. Sein Blick strahlte so viel Schmerz aus und augenblicklich fragte ich mich, ob ich auch so aussah.

Das letzte Bild zeigte diesen Andy nochmals, allerdings älter. Doch sein Gesichtsausdruck war der gleiche, wie auf dem Bild zuvor. Es war merkwürdig, dass es kein weiteres Bild von mir gab. Weder im Kindes- noch im Teenageralter. Das gab mir doch sehr zu denken. Dieser Traum hatte wohl eine weitere Stufe des Wahnsinns erreicht.

Ich folgte Renee die Treppe hinauf und mir war klar, dass wir den Weg zu MEINEM Zimmer gingen, welches ich die letzten Jahre bewohnt hatte. Bestimmt würde ich gleich in mein bekanntes altes Zimmer treten und aufwachen, da sich somit dieser ganze Unsinn nicht halten konnte.

Renee zögerte kurz, atmete tief ein und machte die Tür des Zimmers auf. Sie trat in den Raum hinein und ich folgte ihr. Mir klappte der Mund auf. Das hier war nicht mein Zimmer. Allein schon an der Tapete konnte man dies feststellen.

Die Wände waren nicht mit der vertrauten hellvioletten Tapete mit dem Blumenranken-Muster verkleidet, sondern mit schlichter dunkelblauer. Der Boden war mit einem anders farbigen Teppich ausgelegt. Links hinten im Raum säumte das Fenster die Wand. Der Kleiderschrank aus Holz befand sich daneben und nahm einen großen Teil der linken Wand ein.

Auf der rechten Seite befand sich das gemachte Bett, mit mir jedoch unbekannter schlichter rot-orange farbiger Bettwäsche. Neben dem Bett war ein kleines Nachttischchen mit Lampe und Wecker zu sehen. Die Uhr zeigte an, dass es bald 16.00 Uhr sein würde.

Geradezu befand sich ein moderner Schreibtisch mit Drehstuhl. Auf dem Tisch standen allerhand Utensilien in Gläsern herum. Stifte, Pinsel, Radierer, Lineale, Kugelschreiber und kleine Tuben. Auf der Schreibtischunterlage befand sich nicht wie erwartet ein Monitor eines älteren Computermodells, sondern ein sehr moderner Laptop mit dunkelblauem Gehäuse.

In der rechten Ecke des Tisches stand eine schwarze Schreibtischlampe, daneben ein kleines Holzkästchen. Alles nahm ich begierig in mich auf.

Der Standort der Möbel und deren Aussehen waren mir vertraut. Mit Ausnahme des Drehstuhls. Natürlich war mein Schreibtisch auch mit ganz anderen Sachen bestückt. Und seit wann konnte sich Renee einen Laptop leisten? Ja, es war definitiv ein anderes Zimmer.

Das alles war schon ziemlich verwirrend. Doch es war nichts, im Vergleich zu dem, was sich Meter über dem Schreibtisch befand. Mir fiel die Kinnlade noch weiter herunter und ich hatte den Eindruck, dass mir meine Augen aus den Augenhöhlen sprangen.

Geschockt, überrascht und fasziniert betrachtete ich das große Ölgemälde, was in einem dunklen Holzrahmen mit Spiegel steckte. Es war so detailliert, dass es auf den ersten Blick fast wie eine Fotografie wirkte. Nach ein paar Sekunden schaffte ich es den Mund wieder zu schließen und nahm mir eingehend Zeit, dieses Bild zu betrachten.

Im Zentrum des Bildes sah man mich und meine männliche Variante Rücken an Rücken stehen. Hier konnte man sehen, dass er gut 15 Zentimeter größer war, als ich. Wir trugen nur ein schlichtes weißes Gewand, wie man es von Engeln aus Filmen aus kannte. Unser Haar – welches die gleiche Länge hatte – floss in sanften Wellen jeweils unseren Rücken hinab. Unsere Hände, die man auf dem Gemälde sehen konnte, waren fest miteinander verschlungen.

Unsere Gesichter waren dem Betrachter zugewandt. Beide auf diesem Bild hatten den gleichen Gesichtsausdruck. Andy und ich lächelten nicht. Unsere Münder waren nicht mal ein wenig nach oben geneigt, aber auch nicht nach unten. Die Lippen bildeten einen Strich, waren aber nicht zusammen gepresst.

Die Augen in diesem Bild stachen besonders hervor. Es schien, als hätte der Künstler versucht, das Leben, die Tiefe, die in diesen Iriden steckte, so gut wie möglich aufs Papier zu bringen. Meiner Meinung nach, hatte er es geschafft. Diese Augen, deren Farben, deren ganzen verschiedenen braun-schwarz Schattierungen strahlten so eine Lebendigkeit, Entschlossenheit und Solidarität aus. Wirklich beeindruckend.

Die Körper waren von weiß-gelblichen Farbtönen umrandet worden, als wollte der Künstler die Form der Körper hervorheben. Dies verlieh den beiden Menschen auf diesem Bild etwas Strahlendes, Edles, Besonderes.

Die Füße – die übrigens nackt auf diesem Bild waren – standen auf blass-blauem Wasser, das durch leichte kreisförmige Wellen in Schwingungen versetzt wurde. Der Radius des Kreises war nahe der Füße sehr klein und wurde von Meter zu Meter immer größer und die Wogen glätteten sich immer mehr.

Unter der Oberfläche war ein leicht durch die Wellen verzerrtes Ying-Yang-Symbol gemalt worden. Der Hintergrund zeigte einen blass-blauen mit Wolken verhangenen Himmel.

Ein beeindruckendes Kunstwerk. Derjenige hatte wirklich Talent. Ich fragte mich, ob ich auch jemals so gut Malen könnte. Renees Stimme drang zu mir durch. Ich hatte schon fast vergessen, dass sie noch hier war.

„Ein schönes Bild, nicht wahr?“

„Ja.“, sagte ich automatisch und noch immer gefesselt.

„Und, glaubst du mir jetzt?“

Diese Frage riss mich wieder aus der Starre.

„Mhh?“

Renee seufzte.
„Na, sieh dich doch nochmal um. Alles hier in diesem Zimmer gehört deinem Bruder. Was für einen Beweis brauchst du denn noch?“, wollte sie wissen und machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum einschloss.

Ich schaute nochmals auf das wunderschöne Gemälde.

„Heißt das etwa, dass dieser Andy das gemalt hat?“

Renee lächelte stolz und nickte.

„Ja, er hat es vor über einem Jahr gemalt. Andy hat daran schon einige Zeit daran gearbeitet, allerdings mit vielen Pausen zwischen durch. Er wollte schließlich, dass alles perfekt ist.“

Ihr Blick wanderte nachdenklich zum Gemälde.

„Kaum zu glauben, dass mich dieses Bild immer nervös machte und mich fast daran hinderte, diesen Raum zu betreten. Aber eigentlich ist es ja nicht verwunderlich. Denn das erinnerte mich nur mehr an dich, mein verschollenes kleines Mädchen.“

Diese Aussage hatte meine Neugier erweckt.

„Was meinst du damit? Ich war noch nie verschollen.“, wollte ich wissen.

Renee Kopf schoss wieder zu mir und sie machte einen Gesichtsausdruck, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt. Diese letzten Sätze waren ihrer Meinung nach nicht für meine Ohren bestimmt nicht gewesen.

„Nichts, nichts. Vergiss es einfach.“

Sie hob ihre Arme und wedelte aufgeregt mit beiden Händen vor ihrem Körper herum. Aber ich dachte gar nicht daran aufzugeben. Auch wenn das alles ein Traum, wollte ich doch erfahren, was Renee damit meinte.

„Nein, Renee. Komm, sag es mir schon.“, forderte ich.

Der nervöse Ausdruck auf ihrem Gesicht verwandelte sich in eine harte Maske. Ihre braunen Augen sprühten fast Funken, so zornig war sie plötzlich. Ihre Hände, die neben ihren Körper hingen, hatte sie zu Fäusten geballt. Überrascht zuckte ich zusammen, als ich das sah. Denn ich hatte Renee noch nie so gesehen.

„Das geht dich nichts an, okay? Vergiss es einfach! Das war nur sinnloses Gerede.“

Renee hatte noch nie in meinem ganzen Leben so die Stimme gegen mich erhoben. Und wenn doch, dann war das eher vor Sorge, als vor Wut. Was war nur mit ihr los? Das war nicht die Renee, die ich kannte.

Erschrocken starrte ich sie an und konnte mich nicht dazu bringen, etwas zu erwidern. So sehr war ich von ihren Ausbruch überrascht. Renee schloss kurz die Augen und atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Sie lächelte mich traurig an.

„Entschuldige bitte. Es ist nur… Weißt du was? Warum bleibst du nicht noch eine Weile hier oben und schaust dir noch mal alles in Ruhe alleine an? Lass dir ruhig Zeit. Ich rufe dich dann, wenn es Abendessen gibt.“, sagte Renee freundlich.

„Okay?!“, brachte ich leise heraus.

Sie drehte sich um, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Noch immer leicht benommen von Renees wütender Tirade stand ich in der Mitte des Raumes und starrte die weiße Holztür an.

Hatte Renee etwas Schlechtes gegessen oder letzte Nacht nicht genügend Schlaf bekommen?
Dieses Verhalten war so untypisch für meine Mutter. Hier hatte ich den nächsten Beweis, dass ich träumen musste.

„Hallo.“, ertönte eine Stimme hinter mir, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte.

Sie hatte einen angenehmen männlichen dunklen Klang. Ich zuckte zusammen, zog die Luft ein und drehte mich um.

„Was machst du denn hier?“, platzte es gleich aus mir heraus und ich war überrascht, wie fest meine Stimme bei diesem Anblick klang.

Mich wunderte es überhaupt, dass ich nicht in Tränen ausbrach oder meine Knie nachgaben. Vor dem Fenster stand die Liebe meines Lebens. Das Gesicht, welches mich heute zu verfolgen schien. Doch dann runzelte ich die Stirn, als ich mir IHN ein paar Sekunden länger ansah.

Dieser junge Mann sah aus wie ER und doch…

Die Sonne, die durch die Fensterscheibe schien und mehr natürliches Licht ins Zimmer brachte, sorgte überraschenderweise nicht dafür, dass ER wie tausende Diamanten glitzerte. Er glitzerte dezenter. Es hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Er wäre vielleicht in der Lage, sich bei Sonnenschein unter Menschen aufzuhalten.

Sein unzähmbares Haar, das in alle Richtungen abstand, wies keinen rötlichen Schimmer mehr auf. Es war nur noch braun. Aber dieser Braunton kam mir sehr bekannt vor. Und auch seine Haut war gar nicht so blass, wie sonst.

Warum war mir das bei den ersten beiden Malen nicht aufgefallen?

Wahrscheinlich, weil alles sehr schnell ging.

Seine Haut war nicht mehr so unnatürlich weiß, wie es für einen Vampir typisch war. Dieser blasse Hautton war meinem ziemlich ähnlich. Doch bei ihm sah es nicht käsig und krankhaft aus, wie bei mir. Ihm stand dieser Hautton. Auch waren seine Wangen von einer leichten Röte überzogen. Ob das normal war oder ob er errötet war, bevor ich mich umgedreht hatte, konnte ich nicht sagen.

Moment mal!
Was heißt hier normal?

Vampire hatten keine roten Wangen, weder mit leichter, noch mit starker Färbung. Das würde nämlich bedeuten, das Blut durch ihre Adern fließen würde, welches von ihrem Herzen gepumpt wurde. Aber Vampire besaßen kein funktionstüchtiges Herz, das schlagen und Blut durch ihren Körper pumpen konnte. Sie waren lebende Untote, die Blut zum Überleben brauchten.

Sein Mund war auch irgendwie anders. Immer noch sehr sinnlich, doch wenn ich ganz genau hinsah, konnte ich erkennen, dass seine Oberlippe ein weniger voller war, als seine Unterlippe. Dadurch wirkte der Mund nicht mehr so perfekt.

Das kam mir so…so…vertraut vor.
Hatte er das schon immer?

Das musste wohl so sein.
Aber warum fiel mir das erst jetzt auf?

Ich sah ja nicht zum ersten Mal seine Lippen.
Oder lag es vielleicht daran, weil ich schon einige Zeit von ihm getrennt war?

Die letzte Kuriosität waren seine Augen, die ich mir bis zum Schluss aufgehoben hatte. Jetzt, da ich sie ganz genau und in Ruhe betrachten konnte, wurde mir klar, warum sie mir so vertraut und doch so fremd erschienen.

Sie waren nicht schwarz und auch nicht golden. Nein, sie waren auch nicht blutrot.

Mir blickten tiefgründige schokoladenbraune Augen entgegen.

Meine Augen.

Was?
Braune Augen?

Aber Vampire hatten keine menschliche Augenfarbe. Und selbst wenn, müssten Edwards Augen nicht grün sein?

Noch einmal nahm ich seine Erscheinung von Kopf bis Fuß in mich auf. Braune Haare, braune Augen, leicht rote Wangen, durch Blut in seinen Adern und dieses Ungleichgewicht in der Form seiner Lippen.

Das war nicht…Edward.
Er sah ihm nur sehr ähnlich, aber er war es nicht.
Wer war er dann?

Ein kleines schüchternes Lächeln zog die Mundwinkel meines geheimnisvollen Gastes nach oben. Doch es war nicht das typische schiefe Edward-Lächeln.

Wenn ich ihn jetzt so sah, dann erinnerte er mich an…MICH!?

Dieses Lächeln war…mein Lächeln.

Und Edward hatte soweit ich mich erinnern konnte, nie schüchtern ausgesehen. Eher immer selbstbewusst und ein bisschen arrogant.

„Wer bist du?“, fragte ich misstrauisch und empfand seltsamerweise keinerlei Angst, wenn man bedachte, dass ein Fremder so mir nichts dir nichts in meinem – äh, seinem – Zimmer stand.

Vielleicht lag es an der Ähnlichkeit zu Edward oder daran, dass ich das alles nicht für real hielt.

„Was glaubst du denn?“, fragte er schüchtern zurück, wieder mit dieser angenehmen tiefen Stimme.

Natürlich. Allein schon an der Stimme, hätte ich erkennen müssen, dass es nicht…Edward ist.

„Du siehst aus, wie die meine große Liebe, aber gleichzeitig auch nicht.“

Er lächelte etwas breiter, sodass sich seine Zähne offenbarten.

„Und warum ist das wohl so?“

Woher sollte ich das denn wissen?

„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Kann ich vielleicht mal erfahren, wie du heißt? Und wie hast du es geschafft, hier rein zukommen? Du siehst nämlich nicht aus wie ein Vam…“

Erschrocken über meine Worte brach ich ab und biss mir auf die Lippe. Hatte ich das wirklich gerade beinahe ausgesprochen? Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein? War es vielleicht das vertraute Gesicht? Oder war ich in meinem Traum nur etwas redseliger?

Mein Gegenüber zog weder seine Stirn kraus, noch zog er seine Augenbrauen zusammen. Er schien keineswegs verwirrt über meine Worte.

„Mein Name ist E. J.“

„E. J.?“, fragte ich.
„Was bedeutet das?“

„Edward Jacob.“, erklärte er.

Stirnrunzelnd dachte ich darüber nach, doch Edward mit den braunen Augen sprach weiter.

„Und ja, du hast recht. Ich bin kein Vampir. Kein ganzer, jedenfalls. Um ehrlich zu sein, ich bin nicht einmal wirklich hier. Deshalb kann ich dir die Frage wegen meines Hereinkommens nicht beantworten. Naja, und wenn, dann gibt es nur die eine Antwort: Ich bin hier, weil du hier bist.“

Seine Worte verwirrten mich nur noch mehr. Was sollte das bedeuten? ‚Ich bin hier, weil du hier bist‘? Und was sollte das Gerede von einem nicht ganzen Vampir? Entweder man ist einer oder nicht.

„Du willst also sagen, dass du nicht real bist. Dann hatte ich also Recht. Das alles hier ist ein Traum. Ich besuchte Renee nicht in Phoenix. Weder habe ich keinen Unfall gehabt, noch habe ich eine Erinnerungslücke von vier Monaten. Ich liege bestimmt in meinem Bett in Forks und schlafe seelenruhig.“

Edward Jacobs Miene wurde ernst und sein Lächeln verschwand. Er schüttelte den Kopf.

„Nein, Bella. Du träumst nicht. Alles, was du erlebt hast, seitdem du aufgewacht bist, ist Realität. Du hattest einen Unfall, der deinen Gedächtnisverlust ausgelöst hat. Darum bin ich hier.“, widersprach er mir mit ernster und entschlossener Stimme.

„Was meinst du damit? Und woher weißt du, wie ich heiße?“

„Weil ich alles weiß, was du weißt.“

Verwirrt sah ich ihn an. Er seufzte.

„Ich komme aus deinem Unterbewusstsein und bin hier, dir dabei zu helfen, dich wieder an alles zu erinnern. Nur du kannst mich sehen und hören.“

Oh, oh!

Dieser Traum wurde ja immer verrückter. Aber was, wenn es stimmte, was er sagte und das alles doch real war? Nein, nein. Das war doch Wahnsinn! Es gab viel zu viele Sachen, die falsch waren – die es nicht geben konnte. Ich schüttelte den Kopf und taxierte diesen Edward Jacob.

Doch in seinem Blick war nicht der geringste Schalk zu erkennen. Er meinte alles so, wie er es sagte. Obwohl ich dem Ganzen nicht glaubte, beschloss ich doch mitzuspielen. Gespannt darauf was für eine unsinnige Erklärung er – oder mein Unterbewusstsein – für all das hatte. Ich war für so einiges offen, schließlich kannte ich Wesen, die eigentlich ein Mythos sein sollten.

„Okay. Dann bin ich mal gespannt, was du mir für Erklärungen geben kannst. Du weißt ja alles was ich weiß.“, betonte ich.

Er nickte.

„Dann lass mal hören.“

„Dir sind ja schon Merkwürdigkeiten aufgefallen. Dieses Zimmer, Renees Wutausbruch, die Fotos im Wohnzimmer, das Haus, in dem Phil und Renee eigentlich nicht mehr wohnen sollten.“

Ich nickte.

„Tja, die Lösung ist ganz einfach, wenn auch schwer zu glauben. Das hier ist eine andere Welt.“

Ich stieß ein freudloses Lachen aus.

„Hörst du dir überhaupt zu?“, fragte ich ihn und sah ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle. Er lächelte süffisant.

„Du meinst wohl, ob du dir selber zuhörst. Vergiss nicht: Ich bin du und weiß alles, was du weißt.“

Ich schnaubte abfällig und wartete, bis er wieder fortfuhr.

„Dann erklär DIR doch mal, wie es sein kann, dass kein weiteres Foto von dir im Wohnzimmer steht? Oder das Foto von dir und Andy mit Renee im Wohnzimmer? Oder die Tatsache, dass Renee sich die Haare mal blond gefärbt hatte? Und was ist mit Renees Bemerkung, dass du verschwunden warst? Hast du für all diese Dinge eine andere Theorie?“

Herausfordernd hob er eine Augenbraue und sah…Edward in diesem Moment so ähnlich.

Er hatte recht. Für all diese merkwürdigen Dinge hatte ich keine These. Keine neue, jedenfalls.

„Es ist alles ein sehr verrückter Traum“, gab ich trotzig zurück.

Wieder schüttelte Edward Jacob seinen Kopf.

„Ich habe dir bereits gesagt, dass das kein Traum ist.“, beharrte er.

Ich zog beleidigt eine Schnute und wusste nicht, was ich noch sagen konnte. Nach ein paar Sekunden des Schweigens und des Anstarrens erklang wieder die Stimme meines wohl nicht realen Gastes.

„Hör mir einfach zu. Es gibt zwei Welten. Eine, in der du geboren wurdest. Das ist die, in der du dich gerade befindest. Und es gibt es eine, in der du seit deinem achten Lebensjahr aufgewachsen. In dieser anderen Welt hast du die letzten 11 Jahre deines Lebens verbracht und vergessen, dass es eine zweite Welt gab aus der du ursprünglich kamst. Du hast deinen Bruder vergessen, der in der anderen Welt jeden Tag auf dich wartete.

Du hast mit Phil und Renee in Phoenix gewohnt, bist im Januar 2005 zu Charlie gezogen und hast dort die Liebe deines Lebens getroffen. Du wolltest aus Forks nicht mehr weg gehen. Du wolltest nicht nach Jacksonville gehen, wo Renee und Phil hingezogen sind.

Naja, einen Teil überspring ich jetzt mal.

Am 20. Oktober 2005 hast du dann eine Halluzination von Edward gehabt, die deinen Schmerz betäuben konnte. Du wurdest süchtig nach diesen Fantasien und wolltest so schnell wie möglich, wieder eine auslösen. Also hattest du den Entschluss gefasst zum Haus der Cullens zu fahren. Leider hattest du keinen Erfolg. Durch die Angst vor dem Schmerz, den du immer mit einer so mächtigen Intensität fühltest, bist du wieder in die Parallelwelt – in deine Welt – zurückgekehrt. Dort hast du die andere Cullen-Familie kennen gelernt und deinen Bruder Andrew Thomas Swan wieder getroffen.“

"Nehmen wir mal an, ich würde dir glauben. Soll das etwa heißen, dass es in jeder der beiden Welten die gleichen Menschen gibt? Jeder existiert also zweimal?“

Er nickte. Natürlich!

„Ja, so kann man das sagen. Aber in der anderen Welt, in der du aufgewachsen bist, gibt es dich – also deine andere Version – nicht mehr. Die ist mit sechs Jahren gestorben.“

Erschrocken riss ich die Augen auf.

„Und dort in dieser Welt wurdest du als Einzelkind geboren. Dort gibt es keinen Zwillingsbruder.“

Ich? Mit sechs Jahren schon tot?! Quatsch! Ich lebte ja noch. Sonst hätte ich…Edward ja niemals kennen lernen können. Das hörte sich alles ziemlich verrückt an, doch es hatte eine gewisse Logik.

Ich konnte mich nie daran erinnern, einem gleichaussehenden Jungen begegnet, geschweige denn mit ihm aufgewachsen zu sein. Ich befand mich hier in Phoenix in unserem alten Haus, obwohl das alles nicht sein konnte. Und es wurde auch klar, warum es keine weiteren Fotos von mir im Wohnzimmer gab. Das ging ja auch schlecht, wenn ich doch 11 Jahre lang verschwunden war. Und wenn ich an Renees Funkeln in ihren Augen dachte, als wir zusammen dieses Haus betraten…

„Mhh? Aber wie kann das denn alles sein? Ich meine, wie kam ich denn in diese andere Welt, in der ich aufgewachsen bin?“

„Du hast diese Fähigkeit einfach. Warum du sie hast, weiß ich nicht, weil du es auch nicht weißt. Unwillkürlich wird sie durch große Angst ausgelöst. Die hattest du auch damals an deinem siebten Geburtstag.“

„Und warum? Hatte ich etwa Angst, nicht genügend Geschenke zu bekommen?“, sagte ich scherzhaft, lachte jedoch nicht.

Edward Jacob zögerte und biss sich auf die Unterlippe. Wieder war mir, als würde ich mich selbst im Spiegel sehen.

„Sag es mir schon. Wie schlimm kann es schon sein?“

„Schön.“, gab er seufzend nach.
„Du wurstest an diesem Tag vergewaltigt und warst danach so verängstigt, dass du in die andere Welt hinüber gewechselt bist. Charlie und Renee sind mit dir zum Psychologen gegangen und nach und nach hast du alles vergessen.“

Nachdem er diese Worte gesagt hatte, herrschte eine bedrückende Stille zwischen uns. Nur das Ticken der Uhr war zu hören. Ich vergewaltigt? Wie schrecklich. Kein Wunder, dass ich das vergessen und noch andere Dinge vergessen hatte.

Aber waren alle seine Worte auch wirklich wahr?

Es war alles ziemlich verwirrend und so langsam wusste ich gar nicht mehr, was ich glauben beziehungsweise nicht glauben sollte.

So ungern ich es auch zugab. Je länger ich darüber dachte, desto mehr fing ich an, seine Geschichte nicht mehr für verrückt zu halten. Besonders Renees Wutausbrauch war ein wichtiges Argument dafür. Nicht zu vergessen ihr Foto mit den blonden Haaren. Doch mein Misstrauen war noch nicht ganz verschwunden.

Wenn er wirklich aus meinem Unterbewusstsein stammte, wenn er wirklich all das wusste, was ich wusste, dann war ich sehr gespannt darauf zu erfahren, was er zu dem Ring sagen würde.

Braune Augen beobachteten mich skeptisch. Nach einiger Zeit durchbrach ich die Stille und hob meine linke Hand hoch.

„Und was kannst du mir dazu sagen?“

Seine Miene hellte sich auf und er strahlte mich an.

„Der Ring symbolisiert genau das, was ich zusätzlich noch verkörpere.“, gab er rätselhaft zur Antwort.

Ich zog die Augenbrauen zusammen, schaute zum Ring, dann wieder zu ihm. Zum Ring, dann wieder zu ihm. Das ging ein paar Mal so, während ich jedes seiner eben gesagten Worte analysierte.

Und nach einer kleinen Ewigkeit brach die einzige Lösung wie ein Gewittersturm über mir herein.

Ungläubig mit großen Augen und fahlen Gesicht starrte ich ihn an.

Das konnte nicht wahr sein!
Unmöglich!
Nein, nein, nein.

Ich konnte vieles glauben. Ich war sogar bald bereit, die Geschichte mit einer anderen Welt und einem Zwillingsbruder zu glauben. Ja, sogar so etwas Verrücktes konnte ich anerkennen.

Aber DAS zu akzeptieren – dazu war ich nicht in der Lage.

„Wer bist du?“, hauchte ich ungläubig und ängstlich zugleich, während ich einen Schritt zurück wich.

Diese wunderschöne Erscheinung hatte nichts mehr Wundervolles an sich. Es kam mir vor, als lächelte mir der schlimmste Dämon aus meinem Inneren entgegen. Und der war sogar noch schlimmer als Edwards Gestalt.

„Das weißt du doch ganz genau.“, sagte er ruhig und sein Lächeln – mein Lächeln – verblasste etwas.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein.“, hauchte ich.

Ich war mir sicher, dass, wenn ich laut gesprochen, sich meine Stimme vor Panik und Angst überschlagen hätte. Edward Jacob machte einen Schritt auf mich.

„Bleib wo du bist.“, warnte ich ihn halb wütend und ängstlich, jetzt wieder mit etwas lauterer und kräftigerer Stimme.

Besorgt musterte der Dämon mich und kam langsam immer näher auf zu.

Die nächsten Handlungen geschahen wie im Rausch. Ich überwand die kurze Distanz zum Schreibtisch, nahm mir ein Glas, drehte es um, sodass die Utensilien rausfielen und warf es mit aller Kraft in seine Richtung.

Doch er war verschwunden.

Das Glas flog an die Wand und zersprang in viele kleine Glasscherben.

Ich merkte, dass ich vor Wut leicht zitterte und schneller atmete. Mein Herz schlug schnell pochte in meiner Brust. Nach wenigen Sekunden spürte ich, wie meine Knie weich wurden. Ich schluchzte auf und brach auf dem Boden des Zimmers, welches nicht meines war, zusammen. Ich rollte mich wie ein Baby zusammen und weinte leise vor mich hin.

Es war alles eine Lüge, dachte ich verzweifelt. Ich schloss die Augen und wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich aus diesem Albtraum zu erwachen.

„Bella Schatz, aufwachen.“, hörte ich Renees Stimme.

Verdammt!

Warum konnte es nicht Charlies sein?

Ich schlug die Augen wieder auf und sah meine Mutter, die vor mir auf dem Boden hockte und mich an der Schulter sanft wachgerüttelt haben musste. Ich seufzte. Noch immer war ich in diesem fremden Zimmer gefangen. Ich fühlte mich kraftlos und ausgelaugt.

„Bella, Liebling. Geht es dir gut?“, fragte Renee besorgt und legte ihre Hand an meine Wange.

Ich nickte nur. Ich konnte nichts sagen, wollte es auch nicht. Renee sah mich besorgt und ungläubig an, fragte zu meinem Glück jedoch nicht weiter nach.

„Komm Schatz. Es ist halb sieben. Das Abendessen ist fertig.“

Ich antwortete nicht, sondern wischte mir nur mit dem Ärmel meiner Kleidung übers Gesicht, um die Tränen loszuwerden. Renee half mir auf die Beine und gemeinsam gingen wir hinunter in die Küche. Es war nur für zwei gegeckt. Phil war also noch nicht da. Ich setzte mich hin und begann eher in meinem Essen herumzustochern, als es hinunterzuschlucken. Ich konnte nicht einmal sagen, was ich da eigentlich aß. Renee saß mir gegenüber. Mir war bewusst, dass sie mich die ganze Zeit beobachtete, aber selbst das scherte mich im Augenblick wenig.

Dazu war ich zu weit weg in meinen Gedanken versunken. Alles war eine Lüge. Das alles war nicht real. Ich träumte das alles nur.

Unauffällig zwickte ich mich in die Seite, aber nachdem ich meine Augen wieder aufschlug, befand ich mich immer noch am selben Ort und an derselben Stelle.

Das half also auch nicht, um dem Wahnsinn hier zu entfliehen.

Während des gesamten Essens überlegte ich fieberhaft, nach einer Lösung für mein Dilemma. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann hatte ich nach einer Ewigkeit den Ausweg gefunden. Ich blinzelte und nahm wieder meine Umgebung wahr.

„Bist du satt, mein Schatz?“, fragte Renee mütterlich.

Besorgt saß sie mir gegenüber und sah sehr unglücklich aus. Ihr Teller war leer. Ich sah hinunter zu meinem. Der war noch so gut wie voll. Reis und Gemüse waren darauf zu erkennen. Es gab also irgendwas Vegetarisches.

„Kann ich aufstehen? Ich möchte gerne ein Bad nehmen, um mich zu entspannen.“, sagte ich und versuchte nicht allzu belegt zu klingen.

„Sicher, Liebling. Du weißt ja, wo das Bad ist.“

Ich nickte. Natürlich wusste ich das.

„Ich werde das alles wegräumen.“, sagte sie.

Ich stand vom Tisch auf und ging die Treppe hoch nach oben direkt zum Badezimmer. Ich schloss die Tür hinter mir ab, als ich drinnen war und sah mich um. Alles war genauso, wie ich es kannte. Natürlich. Ich schloss den Abfluss der Badewanne mit dem Stöpsel und ließ lauwarmes Wasser hinein. Währenddessen ging ich zum Waschbecken und schaute mich im Spiegel an.

Ein fahles Gesicht mit Rückständen von Tränenspuren blickte mir mit leeren Augen entgegen. Ein Anblick des Jammers. Für einen kurzen Moment war mir, als hätte ich Edward Jacob im Spiegel gesehen. Doch nachdem ich geblinzelt hatte, war wieder nur mein Gesicht zu sehen, dass überrascht zurück blickte.

Hatte er nicht leicht den Kopf geschüttelt?

Angewidert wendete ich mich ab und begann mich auszuziehen. Überrascht merkte ich, dass ich ein viel zu dickes Shirt, darunter ein Top, eine Strumpfhose unter der Jeans und viel zu dicke Socken trug.

Man hätte meinen können, dass ich diese Sachen aus Forks mitgebracht hätte. Was fehlte war nur noch die passende Jacke dazu. Ich hatte keine aus dem Krankenhaus mitgenommen. Ob sie immer noch dort lag und wir sie einfach vergessen hatten? Vorausgesetzt natürlich, es gab eine.

Aber das war natürlich Unsinn.

Als ich die Jeans auszog, fand ich ein Handy in der rechten Hosentasche, was sich wohl schon die ganze dort drinnen befinden musste. Es war mir wohl durch all die Aufregung, das Misstrauen und die vielen Grübeleien entgangen. Das Handy kam mir jedoch nicht bekannt vor.

Gehörte es mir überhaupt?

Es war auch egal, denn es war sowieso nicht mehr zu gebrauchen. Das Handy war ausgeschaltet, sein Display war zersprungen und das Gerät sah etwas verbogen aus. Das musste wohl durch den Unfall passiert sein, der natürlich nicht geschehen war.

Ich legte das Handy auf die kleine Ablage über dem Waschbecken und ging zum kleinen Schränkchen neben der Badewanne und holte Shampoo heraus. Ich öffnete die Flasche und kippte eine großzügige Menge in das Badewasser. Es dauerte nicht lange und schon bildete sich Schaum. Ich stellte die Flasche mit dem Shampoo wieder zurück und wartete noch ein paar Minuten, bis das Wasser den gewünschten Stand in der Wanne erreicht hatte.

Noch einmal hielt ich vorsichtig kurz die Hand in das Wasser, um die Temperatur zu überprüfen. Zufrieden mit dem Ergebnis stellte ich das Wasser ab und glitt langsam mit meinem Körper in die Badewanne. Meine Beine lagen leicht angewinkelt im Wasser und mein Kopf lehnte an der Wanne.

Ich seufzte, schloss die Augen und ließ meine Gedanken frei. Automatisch wanderten sie wieder zu Edward mit den braunen Augen. Mit meinen Augen.

Das konnte nicht sein.
Unmöglich!

Er konnte nicht das Produkt der Liebe zwischen Edward und mir sein. Er konnte nicht für das gleiche stehen, wie der Verlobungsring an meinem Finger, den ich für das Bad nicht abgelegt hatte. Er konnte nicht mein Sohn sein. Auch wenn sein Aussehen und Name dafür sprachen.

Edward Jacob – kurz E. J. .

Den ersten Namen hatte er von seinem Vater (und seinem leiblichen Großvater). Den zweiten Namen bekam er von dem Sohn des besten Freundes meines Vaters. Von einem braunhäutigen großen, immer lächelnden Jungen aus La Push. Er trug den Namen von jemandem, den ich sehr mochte, auch wenn ich nicht sehr viel mit ihm zu tun hatte. Ebenso mochte ich den Namen Edward sehr gern. Er war zwar altmodisch, hatte aber einen schönen Klang.

Wenn ich einen Sohn wie ihn hätte, hätte er diesen Namen dann mir zu verdanken?

Könnte sein.

Allerdings waren das alles lächerliche Überlegungen. Denn um ein Kind diesen Namen geben zu können, musste man erst einmal eines haben. Und das würde nie passieren. Selbst wenn ich ein Kind bekommen würde, wäre es nicht von IHM. Also würde dieser Edward Jacob nie existieren können. Er ist und bleibt ein Paradoxon. Die Voraussetzungen für seine Existenz würden nie erfüllt werden.

Denn um ihn zu bekommen, müsste ich mit…Edward Sex haben. Das bedeutete, dass er wieder zu mir zurückkehren müsste. Dafür bräuchte er aber unbedingt einen Anreiz, wie mich zu lieben. Und das tut er nicht und hatte er auch nie.

Tja, und ohne diese Basis, ohne diese Liebesbeziehung, kann nun mal kein Baby entstehen.

Ein Halb-Vampir.

Absurd.

Ja, er ist eindeutig ein Paradoxon, das es nie geben würde.

Selbst wenn ich mit Edward Sex haben würde – was nie eintreten wird – würde kein Leben entstehen. Vampire waren meines Wissens doch unfruchtbar. Sonst hätten Rosalie und Emmett doch längst einen Weg gefunden.

Wenn dieser E. J. nicht ein Zeichen dafür war, dass alles nur ein sehr verrückter Traum ist, dann wusste ich auch nicht mehr weiter.

Während ich diese letzten Gedanken in meinem Kopf zusammen spann, war es endlich an der Zeit, wieder in die Realität zurückzukehren. Diese Traumwelt war schon verwirrend und schmerzhaft genug.

Mit immer noch geschlossenen Augen und nun geschlossenen Mund ließ ich den Kopf tiefer und tiefer an der Wanne hinab sinken, bis er unter der Wasseroberfläche war.

Nun konnte ich nicht mehr sagen, wie schnell die Zeit verging. Wie lange ich unter Wasser war und wann ich den Mund wieder öffnete, aber ich statt Luft Wasser in die Lungen bekam. Es war nicht einfach. Aber ich widerstand dem Drang, mich wieder aufzurichten.

Ich hatte schließlich ein Ziel.

Endlich aus diesem Albtraum zu erwachen.
Und gab es eine bessere Möglichkeit aufzuwachen, indem man sich in dem Traum umbrachte?

Die ganze Zeit, während ich mich unter der Wasseroberfläche befand, hielt ich meine Augen geschlossen. Als mir bewusst wurde, dass das Leben mich allmählich verließ, bildete ich mir ein, vor meinem inneren Auge wieder E. J. zu sehen. Er lächelte mich an, öffnete den Mund und sagte etwas zu mir. Zu meiner Überraschung konnte ich seine Worte verstehen.

„Darin ist nur Platz für ein Baby.“

Er sprach wieder mal in Rätseln. Dann verwischte sein Gesicht immer mehr, bis es fast gar nicht mehr zu erkennen war.

Plötzlich hörte ich eine andere Stimme. Nicht die von E. J. . Und noch ehe ich es begreifen konnte, wurde ich hochgerissen und mein Kopf durschnitt die Wasseroberfläche. Als ich die Luft auf meinem Gesicht spüren konnte, schlug ich reflexartig die Augen auf.

Ich prustete, japste, keuchte und hüstelte. Immer mehr spuckte ich Wasser aus meinem Mund hinaus, während ich an eine Männerbrust gedrückt wurde. Leider war sie warm. Es war Phil, der beruhigend auf mich einredete, aber seine Worte drangen wie im dichten Nebel zu mir durch.

So langsam konnte ich kein Wasser mehr rausbringen. Als ich begann wieder langsamer zu atmen, hob mich Phil aus der Wanne und trug mich aus dem Badezimmer. Die Tür stand speerangelweit offen. Phil musste sie aufgetreten haben. Am Türeingang stand Renee die mit zugehaltenem Mund zu schluchzen begann. Die Tränen strömten ihr über die Wangen aus den glasigen Augen.

Phil trug mich in das Zimmer, indem das wunderschöne Gemälde hing. Renee folgte uns, betrat vor uns das Zimmer und schlug die Decke des Bettes zurück. Phil legte mich sanft in das Bett hinein, warf mir einen traurigen, besorgten und glasigen Blick zu und verschwand. Ich sah  etwas schweratmend Renee dabei zu, wie sie aus dem Schrank ein Shirt und eine ausgeleierte Jogginghose herausholte. Sie warf mir einen kurzen Blick zu und ich konnte sehen, wie schwer es ihr fiel, mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Jedoch verließ sie das Zimmer kurz und kam dann mit ihrer eigenen Unterwäsche wieder. In diesem Zimmer gab es schließlich keine Damenunterwäsche. Es war ja das Zimmer meines Bruders. Da musste ich wohl mit Renees Wäsche vorlieb nehmen.

Was für ein Traum.
Innerlich fluchte ich, dass mein Plan nicht funktioniert hatte.
Wenn ich doch nur länger unter Wasser geblieben wäre.

Renee half mir dabei, mich anzuziehen. Die Unterwäsche hing natürlich etwas locker an meinem Körper, die Jogginghose war viel zu groß und das Shirt ging mir bis zu den Knien. Aber wenigstens war ich nicht mehr nackt.

Als ich fertig war, legte ich mich wieder in dieses unbekannte Bett und Renee deckte mich zu.

„Warte kurz, Schatz. Ich hole dir ein Glas Wasser. Du musst sehr durstig sein.“

Einen Moment später kam sie mit einem Glas Wasser wieder. Ich richtete mich langsam auf, nahm ihr das Glas ab und trank alles aus. Oh, tat das gut. Ich konnte gleich wieder etwas besser Luft holen.

„Möchtest du noch ein Glas?“, fragte Renee mich und musterte aufmerksam mein Gesicht.

Wie ich wohl aussah?

Ich schüttelte den Kopf, gab ihr das Glas wieder zurück und legte mich wieder hin. Sie stellte das Glas auf den Nachttisch. Renee sah mich so besorgt an, dass ich ihr jetzt einfach eine Erklärung geben musste.

„Tut mir leid, Mum. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Ich muss wohl eingedöst sein.“

Auch wenn das alles ein Traum, brachte ich es dennoch nicht übers Herz, Renee die Wahrheit zu erzählen.

Wie sagte man so etwas?
„Ach weißt du Mum. Ich wollte mich nur umbringen, damit ich wieder aufwachen kann. Denn das ist doch alles hier viel zu unrealistisch, als dass es wahr sein kann.“

Nein, nein.

Das würde selbst die Traum-Renee zu sehr erschüttern. Und ich musste diese ganze Situation nicht noch qualvoller (für mich) gestalten.

„Hey, hey.“, sagte Renee beruhigend und umfasste mit beiden Händen mein Gesicht.
„Du musst darüber nicht sprechen, wenn du nicht willst. Ich weiß doch, dass du dich nicht umbringen wolltest. Das würdest du nie tun.“

Ach ja? Bist du dir da so sicher. Ich dachte ja nicht das erste Mal über Selbstmord nach. Aber ich hielt lieber meinen Mund und war froh darüber, dass ich keine weiteren Erklärungen abgeben musste.

„Schlaf jetzt, Schatz. Und morgen früh, sieht alles schon ganz anders aus.“

Ja, genau das erhoffte ich mir auch.

Ich nickte und murmelte ein „Gute Nacht“. Renee nahm ihre Hände von meinem Gesicht, beugte ihres zu mir hinunter und gab mir einen Kuss auf die Wange. Sie lächelte mir noch beruhigend zu, bevor sie den Raum verließ. Die Tür schloss sie jedoch nicht. Wahrscheinlich wollten sie mich so besser im Auge behalten.

Ich versuchte zu schlafen. Aber egal wie lange ich meine Augen auch schloss, es wollte mir einfach nicht gelingen. Ich war einfach zu aufgewühlt, um zur Ruhe zu kommen. Meine Gedanken rasten nur so durch meinen Kopf und ließen das heute Geschehene noch einmal Revue passieren. Ich wusste nicht, wie lange ich an die Decke starrte doch irgendwann mussten mir doch die Augen zugefallen sein.

Als ich sie wieder aufschlug, stand die Sonne schon hoch am Himmel und ihr Licht durchflutete den Raum. Ich kniff die Augen fest zu und blinzelte langsam in das Sonnenlicht. Wenn ich geschlafen hatte, dann konnte es nicht allzu lange gewesen sein, denn ich fühlte mich noch immer sehr müde.

Ich gähnte ausgiebig und stieg aus dem Bett. Am Bettrand standen Morgenpantoffel, in die ich mit meinen Füßen hineinschlüpfte. Als ich mich umsah, musste ich enttäuscht feststellen, dass ich mich nicht in Forks befand. Die Tür des Zimmers war wieder geschlossen. Ich schaute auf dem kleinen Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Er zeigte an, dass es kurz nach halb 12 war.

Oh. Hatte ich wirklich so lang geschlafen?

In Forks war es eine Stunde später als hier. Ich seufzte und ging zum Schreibtisch. Auf dem Weg dorthin gähnte ich erneut und spürte, dass ich auf eine kleine Glasscherbe trat. Renee musste das gestern aufgefallen sein und diese Pantoffel noch hingestellt haben.

Wann war ich bloß eingeschlafen?

Dort angekommen hob ich den Kopf und betrachtete wieder das Gemälde. Wenn es doch nur real war und ich es mitnehmen könnte, dachte ich sehnsüchtig. Kurze Zeit später hörte ich eine wütende männliche Stimme hinter mir.

„Sag mal, was fällt dir eigentlich ein, dich umzubringen.“, schnaubte die mir unbekannte Stimme drauf los.

Durch den Klang zuckte ich zusammen und ich drehte mich um. Ich erstarrte und mit großen Augen sah ich in mein eigenes Gesicht, dessen braune Augen vor Wut nur so blitzten. Der Körper zu diesem Gesicht, war allerdings alles andere als in Ordnung. Eine seiner Hände war mit Verband bedeckt. Er hatte in jeder Hand eine Krücke und sein rechtes Bein war im Gips verborgen. Er musste es sich gebrochen haben.

Mir gegenüber war aber nicht nur meine männliche Variante, sondern neben diesem Andy stand ein zutiefst geschockter Edward mit blasser Haut und goldenen Augen, die weit aufgerissen auf meinem Zwilling lagen. Diese Worte mussten ihn ziemlich überrascht haben.

„Was hast du da gerade gesagt?“, fragte Edward entsetzt und starrte immer noch auf Andy.

Doch sein Blick lag immer noch auf mir. Ich hätte fast frustriert aufgelacht. Wann hörte dieser Traum denn endlich auf? Jetzt tauchten auch noch mein vermeintlicher Bruder und Edward auf, der mich verlassen hatte. Vielleicht sollte ich den Kopf solange gegen die Wand schlagen, bis er blutete, um wieder aufzuwachen.

Ich merkte wie mein Atem bei SEINEM Anblick etwas flacher wurde, aber mein Herz vor Freude auch schneller schlug. Merkwürdigerweise tat es nicht weh, IHN zu sehen. Nein, die Wunde blutete nicht. Auch mein zweites Loch in meinem Herzen spürte ich nicht. Ich spürte keinerlei Schmerz. Wenigstens hatte dieser Traum etwas Positives.

Ob meine zweite Ausgabe etwa für dieses zweite, etwas größere Loch stand?

Verrückt, verrückt, verrückt!

Nachdem ich meinen Körper wieder einigermaßen im Griff hatte, begann ich zu sprechen.

„Och, ich kann einfach nicht mehr.“, rief ich genervt aus.

Andy blickte verwirrt und zog eine Augenbraue hoch, während Edward sein Gesicht endlich mir zuwandte und ebenfalls anscheinend nichts mit meinen Worten anfangen konnte. Ich seufzte.

„Das wird mir alles zu viel. Erst wache ich im Krankenhaus auf, wo man mir sagt, dass ich von einem Auto angefahren wurde und ich dadurch einen Gedächtnisverlust erlitten habe. Dann finde ich heraus, dass ich mit Renee in Phoenix bin, obwohl sie eigentlich in Jacksonville sein sollte. Dann fährt sie mit mir zu unserem alten Haus, in dem es kaum Fotos von mir zu geben scheint und ich kein eigenes Zimmer habe.“  

Ich machte eine entsprechende Handbewegung.

„Unter anderem erzählt sie mir von einem männlichen Zwilling, mit dem ich aufgewachsen sein soll, obwohl ich mir ganz sicher bin, dass das nicht stimmen kann. Jetzt taucht dieser Bruder auch noch plötzlich mit der Liebe meines Lebens auf, die mich verlassen hatte. Und als Sahnehäubchen oben drauf, trage ich noch einen Verlobungsring, den ich eigentlich nicht tragen sollte. Denn ich sehe keinen Grund mehr zum Heiraten. Und so jung schon gar nicht.“, machte ich meinem Ärger Luft.

Bei den letzten Worten zuckte es in Edwards Gesicht. Andys Gesicht ist während meiner kleinen Rede immer blasser geworden. Ein paar Sekunden herrschte Stille. Andy schluckte und antwortete langsam. Er schien sich etwas beruhigt zu haben, denn die Blässe in seinem Gesicht nahm wieder etwas ab.

„Du hast also vergessen, dass es eine Parallelwelt gibt. Du hast mich vergessen – schon wieder.“

Jetzt fing der auch noch an mit diesem verrücktem Zeug. Genau wie E. J. .

„Du weißt also nicht mehr, dass du wieder mit Edward zusammen bist und er dir Weihnachten einen Antrag gemacht hat, denn du angenommen hast?“, fragte Andy weiter.

Meine Augen wurden bei seinen Worten so groß wie Untertassen. Ich hob meine linke Hand, starrte auf den Ring, dann zu Edward, dessen Gesicht von Schmerz gezeichnet war. Ein kleines trauriges Lächeln trug er auf dem Gesicht.

„Der…ist von dir?“, fragte ich leise.

Er nickte.

Sollte ich jetzt lachen oder weinen?
Wollte der Wahnsinn denn nie aufhören oder wollte ich weiterhin glauben, dass das alles nicht Realität sein konnte?

Langsam bekam ich das Gefühl, mein Schädel müsse platzen.

Was war Wahrheit, was Lüge?
Was Traum, was Realität?
Oder war alles nur ein Hirngespinst in meinem Kopf?

Ich legte die Hände an meine Stirn und ließ sie frustrierend durch mein Haar gleiten. Es musste übrigens wie jeden Morgen wie ein Heuhaufen aussehen. Edward hat es jedenfalls immer gefallen.

Ich wusste irgendwie nicht mehr, was ich sagen sollte. Zu geschockt war ich noch von Edwards Antwort. Es war ziemlich schwer, das alles zu begreifen.

Edward sollte mir an Weihnachten einen Antrag gemacht haben? Und ich habe ihn auch noch angenommen?
Bedeutete das nicht, dass die Geschichte mit dem Gedächtnisverlust von vier Monaten durch den Unfall wahr war?

Angenommen natürlich, Edward stand gerade wirklich vor mir.

Waren sie gerade aus der anderen Welt gekommen?

Sie waren schließlich aus dem Nichts aufgetaucht. Ich öffnete den Mund, um dies gerade zu fragen, doch Andy ergriff wieder das Wort. In seinen Augen lag ein Funkeln und ein kleines zuversichtliches Lächeln lag auf seinem Gesicht. Es schien, als hätte er eine Idee.

„Mhh…Wenn du durch den Unfall eine Amnesie bekommen hast, dann wollen wir doch mal etwas dagegen tun.“, sagte er entschlossen und ging mithilfe der Krücken humpelnd zum Schreibtisch.

Ich beobachtete ihn genau und war erstaunt über die Tatsache, dass ein anderer meine Aufmerksamkeit so sehr fesseln konnte, während Edward sich ebenfalls im Raum befand. An seinem Schreibtisch angekommen hielt er inne und betrachte kurz das kleine Holzkästchen in der rechten Ecke. Sein Blick wirkte nachdenklich und wehmütig.

Nach einem kurzen Moment hatte er sich wieder gesammelt, legte die rechte Krücke beiseite und machte die mittlere der drei Schubladen auf, die der Schreibtisch besaß. Er holte ein Buch heraus und schloss die Schublade wieder.

„Vielleicht hilft es ja, wenn ich dir mein Lieblingsmärchen aus Kindertagen vorlese. Das haben wir früher sehr oft zu hören bekommen. Es ist ein Teil deiner Vergangenheit und wenn du es mal wieder vorgelesen bekommst, kommen vielleicht auch die Erinnerungen wieder. Oder wenigstens einige.“, sagte er zu mir, nachdem er sich wieder umgedreht hatte.

Und er sah mich mit so einem hoffnungsvollen Blick und Lächeln an, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihm zuzustimmen. Er deutete mit einer Handbewegung zum Bett und ich folgte misstrauisch seiner Anweisung, aber nicht, bevor ich noch einen Blick auf Edward geworfen hatte.

Sein Gesicht zeigte Neugier und Verwirrung. Doch als wir uns in die Augen sahen, huschte wieder die Traurigkeit über seine Miene.

„Leg dich hin.“, wies er mich an, als ich mich gerade setzten wollte.

Machte er das mit Absicht oder war ihm aufgefallen, wie müde ich mich noch fühlte?

Seufzend legte ich mich hin und Andy wurde von Edward auf dem Weg zum Bettrand etwas gestützt. Dort angekommen, setzte er sich auf den Bettrand, während Edward es sich auf dem Drehstuhl bequem machte. Ich sah, wie sein Blick kurz zum Holzkästchen huschte. Dann waren seine goldenen Augen auf mich und Andy gerichtet.

Er schien mich mit seinen Augen zu durchbohren, wie er es schon immer konnte und ich senkte errötend den Blick. Ich betrachtete das Buch, welches aufgeschlagen auf Andys Schoß lag. Die Krücke hatte er auf den Boden gelegt.

„Snow White“ war also sein Lieblingsmärchen.

„Bereit für die Märchenstunde, Schwesterchen?“, fragte er mich mit einem kleinen Grinsen.

Schwesterchen. Wie sich das anhörte.

„Sicher.“, seufzte ich.

Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht große Lust darauf. Aber wenn ich ihm eine Freude damit machen konnte, warum nicht? Und wenn es mir wirklich half aufzuwachen?

Ich bezweifelte es.

Aber das wollte ich meiner männlichen Ausgabe nicht zeigen. Er nahm das Buch in seine Hände und begann zu lesen. Ich lauschte seiner Stimme und beobachtete ihn dabei, wie er seine Lippen bewegte.

Zugegeben, er hatte wirklich eine schöne Vorleserstimme. Nach den ersten Worten wusste ich, dass ich dieser Stimme immer gern zuhören würd. Nach einiger Zeit schloss ich die Augen und ließ mich von der Stimme durch das Märchen leiten.



Es war einmal mitten im Winter, der Boden glitzerte Weiß von dem gefallenen Schnee, da saß die gute Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. 

Und wie sie so nähte und nach draußen zum Schnee blickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger. Sie ärgerte sich über ihr Missgeschick und beschloss nach draußen auf den Balkon zu gehen, um den Winter einzuatmen. Sie genoss die kalte klare Luft und ging bis zur Balustrade. Dort angekommen, fiel ein Tropfen Blut in den Schnee.


Und weil das Rot im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: „Ach, hätt ich ein doch Kind mit einer Haut, so weiß wie Schnee, mit Lippen so rot wie Blut und Haaren so schwarz wie Ebenholz."

Bald darauf bekam die Königin ein Töchterchen, das war so weiß wie Schnee, mit Lippen so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und darum wurde es Snow White genannt…



Seine schöne Stimme trieb mich, je länger er las, weiter in die wohltuende Dunkelheit, bis sie nur noch aus weiter Ferne zu mir durchdrang. Seine Stimme wurde durch eine andere ersetzt, die immer klarer wurde und Andys immer mehr in den Hintergrund rückte, bis sie gar nicht mehr zu hören war.

Es war eine Frauenstimme.

Sarah Black las mir und Andy diese Geschichte vor und war gerade an der Stelle angelangt, wo Snow White und der Prinz sich zum ersten Mal begegneten. Ich unterbrach sie.

„Ist der Prinz auch so wunderschön wie Snow White? Hat er auch eine Haut so weiß wie Schnee?“, fragte ich sie begierig mit meiner kindlichen Stimme.

Sarah warf einen kurzen Blick in das Buch und lächelte mich bedauernd an.

„Tut mir leid, Bella. Das steht hier drin nicht.“
„Wieso nicht?“, erwiderte ich schmollend und verzog den Mund.

„Wenn du mir nicht glaubst, schau doch selbst hinein. Du kannst doch inzwischen schon sehr gut lesen.“, sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme.

„Ja, das kann ich.“, sagte ich und nahm ihr das Buch aus den Händen.

Sobald es auf meinem Schoß lag, drehte Andy, der neben mir auf dem Sofa saß, sich sofort weg.

„Nein. Gib es Tante Sarah wieder zurück. Ich will die Bilder von Snow White nicht sehen. Sonst ist meine schöne Fantasie kaputt. Und das Gesicht im Buch sieht dann ganz anders aus, als in meinem Kopf.“, sagte er mit leicht jämmerlicher Kinderstimme.

Ich hörte Sarahs leises Lachen, als ich die Stelle im Buch fand und sie selbst noch mal las. Ich wurde leider enttäuscht. Der Prinz wurde nur als „schöner junger Reiter“ beschrieben. Mehr nicht.

Betrübt reichte ich Tante Sarah das Buch wieder zurück und Andy wandte sich uns beiden wieder zu.

Dann lächelte ich und sagte mit der ganzen Überzeugung, die ich hatte: „Also wenn ich groß bin, dann werde ich einen Prinzen mit schneeweißer Haut finden und ihn heiraten.“

Sarah gluckste.
„Na dann viel Glück bei der Suche, Kleines. Kann du für eine Weile deinen Traumprinzen in Ruhe lassen, damit ich weiterlesen kann?“, fragte sie und sah mich mit ihren warmen braunen Augen an.

„Oh, ja. Lies bitte weiter.“, bat ich sie, während ich mit meinen Gedanken nur halb bei dem Märchen war.

Ich lehnte mich in das Sofa zurück, schloss meine Augen und versuchte mir meinen Prinzen vorzustellen.



Als ich plötzlich die angenehme Wärme der Sonne auf meinem Gesicht spürte, runzelte ich meine Stirn. Ich saß doch gerade mit Andy und Tante Sarah im Wohnzimmer und es war schon dunkel draußen. Ich schlug die Augen wieder auf und sah mich verwundert um.

Ich befand mich nicht mehr im Wohnzimmer der Blacks. Es war heller Tag und ich stand irgendwo mitten in dem grünen moosbewachsenen Wald von Forks. Einige Sonnenstrahlen konnten durch die Blätterdecke gelangen, da die Bäume hier nicht so dicht aneinander standen. Vogelzwitschern war zu hören.

Als ich mich drehte und meinen Kopf in alle Richtungen bewegte, um ja alles mit meinen Augen aufzunehmen, fragte ich mich nur, wie ich hier her gekommen war.

Plötzlich erhaschte ich mit meinen Augen ein kleines blaues Etwas, das sich in der Luft bewegte. Mein Kopf schnellte zurück zu diesem kleinen blauen Punkt. Ich beugte den Kopf etwas nach vorn, um das Ding besser erkennen zu können. Es flatterte ein kleines Stück vor mir nach links an mir vorbei. Es war ein kleiner blauer Schmetterling. Er sah sehr hübsch aus. So etwas hatte ich noch nie gesehen.

Fasziniert und mit einem Lächeln auf dem Gesicht verfolgte ich mit meinem Blick den Schmetterling und blieb an einem Baum hängen, der ein paar Meter von mir entfernt stand. Dort stand jemand mit dem Rücken zu mir. Diese Person stand genau mitten im Sonnenlicht, an der Stelle, wo die Sonnenstrahlen durch die Blätter drangen.

Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber mir war, als sah ich etwas Funkeln.

Neugierig, aber auch vorsichtig näherte ich mich dieser fremden Person. Ich versuchte so leise wie möglich zu sein, bezweifelte jedoch, dass mir dies gelang. Je näher ich kam, desto besser konnte ich sie erkennen. Vor Überraschung blieb mir der Mund offen stehen.

Die Hände und der Nacken der Person glitzerten und funkelten in der Sonne, wie tausende Diamanten.

Wie konnte es etwas so Wunderbares geben?

Im Gegensatz dazu, war der blaue Schmetterling von eben nur gewöhnlich. Das hier war das Schönste, was ich je sehen durfte. Als ich schließlich noch ein paar Schritte von dieser Person entfernt war, blieb ich stehen.

Noch immer konnte ich nur die Rückseite bewundern. Braunes verwuscheltes Haar mit einem rötlichen Schimmer, der durch das Sonnenlicht noch verstärkt wurde, bedeckte den Kopf des großen Jungen. Es leuchtete bronzefarben im Sonnenlicht.

Sein Hals sah breit und kräftig aus. Sein Körper steckte in einem weißen langärmligen Hemd und in einer blauen Jeans. Seine Füße steckten in weißen Turnschuhen. Und das Schönste an diesem Fremden war – neben das Funkeln der Haut – seine Blässe.

Er war noch blasser als mein Bruder und ich. Ja, seine Haut war wirklich so weiß wie Schnee. Ein breites Lächeln zierte nun mein Gesicht. Ich träumte wohl gerade von meinem Prinzen und war nun sehr gespannt, wie sein Gesicht aussah. Ich wollte nun, dass er sich umdrehte, also sprach ich ihn an.

„Hallo.“, brachte ich sehr schüchtern und leise heraus, so gebannt war ich von seiner Erscheinung.

Er drehte sich um und sah mich an. Sein Mund verzog sich augenblicklich zu einem schiefen Lächeln, welches seine strahlend weißen Zähne offenbarte.

Oh mein Gott!
Lass mich bitte nie wieder aufwachen.

Automatisch erwiderte ich das Lächeln und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug und ich leicht errötete. Sein Lächeln wurde noch breiter.

Oh Gott.
Dieses Gesicht.
Diese Augen.
Dieses Lächeln.

Ich war sofort in ihm verliebt. Ja, so sah wirklich nur MEIN Prinz aus.

Seine schneeweiße Haut glitzerte im Sonnenlicht. Seine Augen, die die Farbe von flüssigem Gold hatten, brannten sich mit einer starken Intensität in meine. Was für eine schöne Augenfarbe, auch wenn ich das ebenfalls noch nie gesehen hatte. Seine gerade Nase passte perfekt in dieses Gesicht.

Gut, seine Lippen waren nicht so rot wie Blut, dennoch hatte ich nie schwungvollere und schönere Lippen gesehen. Ebenso hatte ich noch nie bronzefarbenes Haar gesehen. Als mein Blick kurz zu seiner Haarpracht wanderte, konnte ich sie mir gut in schwarz vorstellen. Aber diese Farbe war ebenfalls sehr schön, vor allem einzigartig.

Ich seufzte und konnte ihn nur dümmlich anstarren. Nach einer Weile hörte ich seine samtene tiefe Stimme, die mir sofort eine Gänsehaut bescherte. Sogar seine Stimme klang perfekt. Oh mein Gott.

„Hallo, meine Liebste.“, sagte er zärtlich und liebevoll.

Er ging in die Hocke, um mit mir auf gleicher Höhe zu sein, hob mich auf seinen Schoß und legte einen Arm um mich. Meine Röte vertiefte sich bei seinen Worten und Taten. Ich verbarg das Gesicht kurz an seiner Brust und stellte überrascht fest, dass sie sich genauso kalt anfühlte, wie der Rest seines Körpers.

Fror er denn nicht?

Verwirrt, aber immer noch leicht rot, schaute ich zu ihm hoch. Sein Blick lag die ganze Zeit auf mir und seine goldenen Augen leuchteten. Komisch, er blinzelte nicht einmal.

„Wie ist dein Name?“, fragte ich leise.

Er beugte seinen Kopf etwas näher zu mir hinunter.

„Edward.“, wisperte er und ich konnte seinem Atem riechen, der natürlich – wie alles an ihm – perfekt war.

Er roch süßlich, aber nicht aufdringlich. Ich konnte es nicht besser beschreiben. Ich sah kurz auf seine Brust und legte meine Hand auf sein Hemd.

„Warum bist du so kalt?“, fragte ich neugierig.

„Stört es dich denn, Bella?“

Er wusste sogar meinen Namen. Sofort schüttelte ich meinen Kopf.

„Nein. Es ist nur ungewohnt. Mehr nicht.“

Daraufhin hörte ich sein leises Lachen, welches den wundervollsten Klang hatte, den ich mit meinen Ohren je hören durfte. Er war so perfekt, dass es schon unmenschlich war.

„Das ist meine liebste Bella.“, sagte er glucksend.

Das Blut schoss mir wieder durch seine Worte in die Wangen. Es war zwar schön, diese Worte aus dem Mund meines Prinzen zu hören, aber dennoch. Ich hörte mein leises nervöses Kichern.

„Bin ich nicht noch etwas zu klein für dich? Ich bin doch erst sechs Jahre alt.“, sagte ich und spürte einen leisen Stich in meinem Herzen, als ich diese Worte ausgesprochen hatte.

Edward – was für ein schöner Name – schmunzelte.

„Aber nicht für immer.“, sagte er mit dieser Samtstimme und mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen, als er sich noch tiefer zu mir hinunter beugte und mit seinen kalten Lippen meine Stirn berührte.

Es war, als zuckten elektrische Blitze durch meinen gesamten Körper und ein prickelndes warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Er zog sich wieder etwas zurück, dann legte er einen Finger an seine Lippen, spitzte sie und führte diesen Finger breit lächelnd an meine.

„Ich warte all die Jahre nur auf dich.“, sagte er rätselhaft aber seine Worte ließen mein Herz wieder schneller schlagen.

Er lachte leise. Dann wurde seine Miene plötzlich ernst und sein schiefes Lächeln verblasste. So machte er mir etwas Angst. Ich versteifte mich und mein Herzschlag setzte für einen kurzen Moment aus.

„Bella, du musst mit ihm mitgehen. Das ist sehr wichtig, hörst du? Sonst kann ich dich niemals finden.“  

Seine Worte klangen nach einem Abschied und das wollte ich nicht. Er sollte noch nicht gehen. Ich wollte noch nicht aufwachen. Es war doch gerade so schön. Ich krallte mich mit meinen Händen an seinem Hemd fest und merkte, wie Panik in mir aufstieg.

„Wen meinst du?“, fragte ich ängstlich.

„Ihn.“, antwortete Edward mir, hob seinen Kopf und schaute mit zusammengekniffenen Augen nach vorne.

Ich drehte mich um und sah einen dunkelhäutigen Mann mit schwarzem Haar, der uns beiden gegenüber in der Hocke saß. Er lächelte, doch es hatte etwas Unheimliches und Böses an sich. In seinen braunen Augen lag ein Funkeln, welches meine Angst steigerte und ich mich noch fester an Edward krallte. Er streckte seine Hand nach mir aus. Nur wenige Zentimeter fehlten noch und er konnte meine Nase berühren.

„Komm mit mir, Bella. Ich habe auch ein schönes Geburtstagsgeschenk für dich.“, sagte er verschwörerisch und lächelte mich breiter an.

Seine weißen Zähne bildeten einen starken Kontrast zu seiner dunklen Haut. Unsicher, was ich tun sollte, sah ich zu Edward, der mir mit angespanntem Gesicht steif zunickte.

Zögerlich und ganz langsam hob ich zittrig meine Hand und legte sie in seine große Pranke. Erschrocken und panisch schrei ich auf und zog meine Hand rasch wieder zurück zu der vertrauten Kälte. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich mir meine Hand verbrannt, so heiß war seine Haut gewesen.

Edward legte seinen Arm fester um mich und ich merkte, wie er sich anspannte. Ängstlich sah ich diesem dunkelhäutigen Mann in die Augen und krallte mich hilfesuchend an Edward fest. Der Mann lächelte nur unbeeindruckt weiter. Ich wollte nicht mit ihm mitgehen. Er war mir viel zu unheimlich.

Aber wenn ich an Edwards Worte dachte…



Ich hörte Andys Stimme aus weiter Ferne, die immer klarer wurde.

„Bella, aufwachen.“

Ich schlug die Augen auf und befand mich wieder im Wohnzimmer der Blacks auf dem Sofa. Ich war also aus meinem Traum erwacht. Ich sah zu meinem Bruder auf, der lächelte.

„Komm, du Schlafmütze. Wir wollen ein Foto machen.“

Ich richtete mich auf und rieb mir leicht gähnend die Augen. Dann grinste ich.

„Was ist?“, wollte Andy wissen.

„Ich habe gerade von meinem Prinzen geträumt.“, antwortete ich.

„Ach ja?“, hörte ich Tante Sarahs Stimme, die zusammen mit Mum, Rebecca, Rachel und Jacob das Wohnzimmer betrat.

In der Hand hielt sie einen Fotoapparat.

„Ja.“

Ich sprang vom Sofa und lief auf Mum zu.

„Mum, ich habe gerade von meinem zukünftigen Mann geträumt. Er hat schneeweiße Haut wie Snow White und bronzefarbene Haare und goldene Augen und so ein schönes schiefes Lächeln. Und seine Haut funkelt in der Sonne und er hat mir gesagt, dass er nur auf mich wartet.“, plapperte ich ohne Punkt und Komma.

Mum ging in die Hocke und schaute mich mit einem nachsichtigen Lächeln an.

Sie tätschelte meinen Kopf und sagte: „Ach Bella, beruhige dich. Es war nur ein Traum. Es gibt keinen Jungen mit einer schneeweißen Haut so wie Snow White. Er glitzert auch nicht in der Sonne und es gibt keinen Menschen auf der Welt, der goldene Augen hat, glaub mir.“

„Doch.“, gab ich bockig zurück und verzog den Mund.
„Es gibt ihn irgendwo. Das weiß ich ganz genau. Es war nicht nur ein Traum.“

Mums Mund wurde zu einer harten Linie.

„Nein, Bella. Du irrst dich. Deine Fantasie geht mal wieder mit dir durch.“

Sie seufzte genervt und erhob sich wieder. Zweifelnd sah sie auf mich hinab und schüttelte den Kopf.

„Ach Renee, lass sie doch in dem Glauben. Bella ist doch noch ein Kind. Sie wird noch früh genug erwachsen.“, flüsterte Tante Sarah so, dass ich es noch hören konnte.

„Ich habe das Gefühl, dass ich ihr die Augen öffnen muss. Ich meine, goldene Augen und glitzernde blasse Haut? Ich bitte dich. Was kommt als nächstes? Fantasie gut und schön. Aber das geht mir dann doch etwas zu weit. Wer weiß, wo das noch hinführen wird, wenn ich nichts dagegen unternehme. Vielleicht muss ich in zwei, drei Jahren mit ihr deswegen zum Therapeuten. Nein, nein. Je eher die Wahrheit kennt, umso besser.“, antwortete Renee und warf mir einen Blick zu, während Tante Sarah den Kopf schüttelte und mich besorgt musterte.

Mums Antwort traf mich schon etwas, ebenso die Worte, die sie eben etwas leiser gesprochen hatte. Wenn sie nicht daran glauben wollte, dann war es so. Ich spürte, dass ich Mum nicht von meiner Meinung überzeugen konnte, egal, wie oft ich es auch versuchen würde. Aber was kümmerte es mich. Solange ich an meinem Prinzen glaubte, der irgendwo da draußen auf mich wartete, war alles in Ordnung.

Sarah klatschte in die Hände.

„So Kinder. Macht euch nun für ein Foto bereit.“, sagte Tante Sarah fröhlich, um die etwas gedrückte Stimmung zu zerstreuen.

„Ich würde vorschlagen, dass ihr…“ – sie sah ihre Zwillinge und Jacob an – „…auf dem Sofa Platz nehmt. Und du Andy setzt dich mit Bella vor dem Sofa und knuddelst sie ganz fest.“

„Okay.“, antwortete Andy, sprang glitt vom Sofa und setzte sich auf dem Boden.

Jacob und seine Schwestern machten es sich auf dem Sofa bequem, wobei sich Jacob in der Mitte befand. Ich seufzte, ging zu meinem Bruder und setzte mich neben ihm. Sofort schlang er seine Arme um mich und ich tat es ihm gleich. Tante Sarah stand mit der Kamera vor uns und betätigte den Auslöser.

Dies war der Tag, an dem das Foto gemacht wurde, welches ich Jahre später von Sarah geschenkt bekommen hatte und das jetzt auf meinem Schreibtisch in meinem Zimmer in meiner Welt stand. Das Foto, das vor meinem schrecklichen Geburtstag aufgenommen wurde.

Als mir dies alles in meinem Unterbewusstsein klar wurde, liefen die ganzen Erinnerungen der letzten vier Monate wie ein schneller Film vor meinen Augen ab. Dann wurde der Film langsamer und ich sah den Unfall, der mich ins Krankenhaus gebracht hatte.

Als Jasper mich berührt und somit den Übergang ausgelöst hatte, tauchte ich in der nächsten Sekunde auf einer sonnenbeschienen Straße wieder auf. Ich hörte Autohupen und das Quietschen von Bremsen. Ich konnte gerade noch meinen Kopf drehen und kurz vor dem Zusammenstoß das hellgrüne Auto erkennen, welches auf mich zukam.

Dann wurde alles schwarz und ich war wieder in der Dunkelheit.

Ich riss meine Augen wieder auf und richtete keuchend ruckartig auf. Andy saß noch immer am Bettrand und sah mich fragend an. Das Märchenbuch lag auf seinem Schoß. Edward stand nun ebenfalls am Bett und er sah so besorgt aus, dass es mir fast körperlich wehtat. Ich war aus meinem Traum in meinem Traum erwacht und konnte mich wieder an alles erinnern. Sogar an etwas, aus meiner Kindheit.

Andys Vorlesestunde hatte also seinen Zweck erfüllt.

Ich lächelte sie beide breit an, um ihnen damit zu zeigen, dass alles wieder gut war. Ich streckte die Arme nach Edward aus, nahm sein Gesicht in meine Hände, zog es zu mir herunter und küsste ihn so sehr bis mir die Luft wegblieb. Zuerst war er überrascht und verkrampft, dann hatte er den Kuss mit der gleichen Leidenschaft erwidert. Andys Glucksen war im Hintergrund zu hören.

Ich musste den Kuss abrechen, um wieder Luft holen zu können. Nachdem ich ein paar Mal heftig geatmet habe, sprach Edward zu mir.

„Ich nehme an, du erinnerst dich wieder an deinen Verlobten?“

Es war eine rein rhetorische Frage.

„Natürlich. Wie konnte ich nur meinen Prinzen vergessen?“

Auf Edwards Gesicht erschien ein verwirrter und zugleich ein belustigter Ausdruck.

°Daran kannst du dich sogar auch wieder erinnern.°, hörte ich Andys Stimme in meinem Kopf.

Ich wand mich von Edward ab und schlang die Arme um meinen Bruder, der mehr als zufrieden aussah.

°Na klar. Und? Traust du dich heute noch immer nicht, die Bilder anzusehen?°

Er lachte und drückte mich so fest er konnte.

°Ich gebe es nur ungern zu, aber da hast du leider recht.°, schmunzelte er.

Blind

 

Andys POV - Paralleluniversum

 


(Paralleluniversum)


Bella und ich lagen uns noch immer in den Armen, als meine Schwester sich wieder nach hinten in die Kissen fallen ließ und dabei ihre Arme von mir löste.

Nein, das war nicht ganz richtig. Ich hatte das Gefühl, dass Bella eher gewaltsam durch eine unsichtbare Kraft nach hinten gerissen wurde. Der plötzliche Schwung nach hinten überraschte mich, doch hielt ich Bella weiterhin und so lag ich auf ihr auf dem Bett. Das Märchenbuchbuch befand sich zwischen uns. Kaum lagen wir Wange an Wange im Bett, kaum könnte ich gerade begreifen, was gerade passiert war, roch ich den salzigen Geruch von Blut. Nachdem ich diesen Geruch einmal tief eingeatmet hatte, riss ich die Augen auf und befreite meine Arme, die unter ihr lagen.

Ich stützte mich mit ausgestreckten Armen neben ihrem Kopf ab, hob meinen Kopf und sah Bella ins Gesicht. Blut floss aus ihrer Nase und ihr Mund war vor Schmerzen verzogen. Verwirrt blickten mir ihre Augen entgegen. Ich hörte jemanden hinter mir nach Luft schnappen. Panisch wandte ich meinen Kopf in Richtung Edward.

Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Mund war leicht geöffnet und er sah etwas blasser aus als sonst. Seine Körperhaltung wirkte nicht angespannt, was ich auch an seinen Händen sehen konnte, die nicht zu Fäusten geballt waren. Edward sah besorgt, geschockt und verwirrt aus. Ich sah wieder zu Bella, die mit aufgerissenen Augen und zugehaltener Nase panisch zu Edward sah. Sie drehte ihren Kopf in die andere Richtung, um es etwas leichter für Edward zu machen, obwohl sie wusste, dass es letztendlich doch sinnlos war.

„Bella, nicht.“, sprach Edward mit beruhigender, sanfter Stimme.
„Du brauchst keine Angst haben. Ich habe mich völlig unter Kontrolle. Ich kann der Macht deines Blutes widerstehen. Ich bin nur überrascht und kann mir nicht erklären, warum du plötzlich aus der Nase blutest.“

°Du nicht. Aber wir schon. Ob wir es ihm sagen sollten?°, dachte Bella.

Auch fragte sie sich, wie es sein konnte, dass Edward nicht über sie herfällt. Langsam drehte sie den Kopf wieder in Edwards Richtung, während ich mich im Bett aufsetzte, die beiden beobachtete und gespannt auf Edwards Antwort war.

„Wie kann das sein?“

Diese Worte kamen gedämpft, da ihre Hand nicht nur ihre Nase, sondern auch ihren Mund bedeckte.

°Oh, er kann mich ja nicht hören. Wenn es wirklich wahr ist, was er mir da sagt, dann kann ich ja das Risiko eingehen, oder?°

Langsam entfernte sie ihre Hand vom Gesicht und beobachtete Edward ganz genau. Doch er stand ihr ganz gelassen gegenüber und lächelte ihr leicht beruhigend zu. Jedoch konnte man deutlich die Sorge in seinen Augen sehen, mit denen er Bellas blutverschmierte untere Gesichtshälfte musterte. Auch huschte sein Blick kurz zur Hand, deren Innenfläche rot schimmerte. Bella wollte gerade zum Sprechen ansetzten, um ihre Frage erneut zu wiederholen, doch Edward hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.

„Ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden. Mmhh… Wie soll ich…?“

Bella riss die Augen auf und richtete sich so ruckartig im Bett auf, dass sie beinahe gegen mich geprallt wäre, wäre ich nicht zurückgewichen. Das Märchenbuch landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden.

„Was? Du hast mich verstanden? Moment. Dann kannst du also wieder hören? Oh Edward!“, rief Bella freudig, erhob sich und wollte gerade ihre Arme um ihn legen, als sie in der Bewegung inne hielt, da ihr Blick auf die blutbefleckte Handinnenfläche fiel.

Sie ließ ihre Arme wieder sinken und blickte ängstlich und etwas nervös in Edwards Gesicht. Er lächelte das schiefe Lächeln, bei dem sie immer schwach wurde und schüttelte belustigt seinen Kopf. Bella war durch seine Reaktion etwas beruhigt, doch noch etwas argwöhnisch. Beide sahen sich noch einen Moment in die Augen und ich musste fast den Blick abwenden, da mir dieser Moment für meinen Geschmack doch etwas zu intim war. Nach einer kurzen Stille fuhr Edward fort.

„Ja, ich bin wieder völlig genesen.“

Wieder lächelte er und breitete seine Arme aus, um Bella zu signalisieren, dass nichts geschehen würde. Sie warf sich in seine Arme und wurde von Edward umklammert und fest an ihn gedrückt. Ihr Gesicht an seiner an seiner Brust und sein Gesicht in ihrem Haar. Edward schloss sehnsüchtig die Augen und lächelte selig. Auch Bella hatte die Augen geschlossen und ihre Gedanken vollführten einen Freudentanz, dass sie endlich wieder bei ihm war. Er beugte sein Gesicht hinunter zu ihrem Ohr und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

°Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.°, hörte ich Edwards Satz in Bellas Gedanken.

Tja, Edward, wenn du wüsstest. Hatte er denn bereits vergessen, was ich zu Bella vorhin gesagt hatte? Meine Schwester hob ihren Kopf, beide sahen sich kurz an und küssten sich, nachdem sie beide jeweils ihre Liebe zueinander bekundeten. Glücklich beobachtete ich diese Szene, doch von Sekunde zu Sekunde, verschwand meine gute Stimmung.

Es war schmerzhaft, dieses Bild mit anzusehen. Beschämt und etwas neidisch wand ich meinen Blick ab. Es war zu viel für mich. Ich wollte das auch. Aber meine Partnerin war nun mal leider nicht hier. Bei dem Gedanken an sie und die derzeitige Situation zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Bis eben hatte ich alles, was Elli betraf, gut verdrängt – darin war ich ja Meister – aber nun, da es Bella wieder gut ging, brach alles wieder über mir zusammen.

Verdammt!

Sie hatte mich einfach vergessen. Ich war für…

„Was? Was soll das bedeuten?“

Bellas laute erschrockene Stimme, riss mich aus meiner Versunkenheit und ich wand mich überrascht zu ihr. Sie lag nicht mehr in Edwards Armen, sondern stand vor dem Bett, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah mich mit einer Mischung aus Ernst und Entsetzen an.

Edward war etwas hinter ihr und musterte mich prüfend. Ich beantwortete sein Blick mit einem Schulterzucken und seufzte resigniert. Meine Augen richtete ich nun auf Bella und konzentrierte mich auf alles, was ich nach dem Ende des Kampfes gehört hatte. Einige Minuten verstrichen, als Bellas Blick sich veränderte. Erkenntnis, Glück, Verständnis, Trauer und Wut konnte ich in ihren braunen Augen aufblitzen sehen. Nach und nach erschlaffte ihre Körperhaltung und Tränen glitzerten in ihren Augen.

Sie schluchzte einmal laut auf und stürzte sich auf mich. Fast wären wir zusammen gegen die Wand hinter uns geknallt, hätte ich sie nicht mit meinen Armen und meinem Entgegenkommen mit dem Körper gestoppt. Sie weinte heftig an meiner Halsbeuge, während ich ihr immer wieder tröstend über den Rücken streichelte.

Sollte sie nicht eigentlich mich trösten?

Hilfesuchend sah ich zu Edward, der jedoch seinen Blick auf mein Gemälde gerichtet hatte und es lächelnd betrachtete. Seine Augen leuchteten dabei so intensiv, als wolle er Löcher mit seinen Augen hinein brennen. Nur zu gern hätte ich in diesem Moment gewusst, was er wohl dachte. Bella weinte noch immer und ihr Körper zitterte leicht in meinen Armen, während sich ihre Gedanken überschlugen.

°Oh mein Gott. Das tut mir alles so leid! Ich weiß genau wie du dich fühlst, auch wenn die Situation bei etwas anders war. Und ich habe mir so fest gewünscht, dass du das nicht durchmachen musst. Ach, warum musste dir das nur passieren? Du hast doch schon so viel durchgemacht und jetzt auch noch das! Es…Ich…Ach! Es ist einfach so ungerecht. Und ich dumme Pute war nicht da und habe dir bei gestanden, als du das erfahren hast. Es tut mir so unglaublich leid. Wenn ich doch nur…°

Ihre Gedanken waren nicht zu ertragen und ich versuchte sie auszublenden, was mir auch gelang. Glücklicherweise.

Ach, Bella.

Machte sich die größten Vorwürfe, weil sie nicht für mich da war. Aber wenn ich es mir selbst eingestand, war ich keinen Deut besser als sie. Damals konnte ich auch nicht für sie da sein. Weil es eben nicht ging. Ebenso wie es ihr nicht gelingen konnte, an meiner Seite zu sein.

Die dumme Pute hatte nämlich eine Amnesie!

Die Zimmertür wurde aufgerissen und dieses Geräusch ließ uns alle drei zusammenfahren und in diese Richtung starren. Sogar Bellas Weinen war verstummt. Im Türrahmen stand eine ungläubige, mit weit aufgerissenen Augen dreinblickende Renee und versuchte diese Situation zu erfassen. Für einige Sekunden herrschte Totenstille in meinem Zimmer.

„W…Was…Was macht ihr denn hier? Und wie kommt ihr hier herein? Und…und…warum…oh mein…Gott. Was? Wie? Warum…funkelt Ihre Haut denn so? Und wer sind Sie eigentlich?“

Fassungslos deutete Renee mit dem Zeigefinger auf Edward und starrte geschockt auf ihn, der nicht minder überrascht über das plötzliche Erscheinen unserer Mutter war. Er stand einfach nur da mit aufgerissenen Augen, leicht geöffnetem Mund und schien sich in einer Art Starre zu befinden. Nicht fähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Ängstlich was nun passieren würde, starrten Bella und ich diese unnatürlich blass schöne Gestalt an, während das Lichtspiel des gebrochenen Sonnenlichts auf seiner Haut tanzte.

Verflixt!

Was nun?
Wie sollten wir Renee das erklären?
War das Geheimnis nun aufgeflogen?

Selbst dieses sture Exemplar von meiner Mutter hatte nun definitiv begriffen, dass Edward nicht völlig normal ist. Verrückt, dass ausgerechnet die Renee, die überhaupt nicht an das Übernatürliche glaubte, nun direkt einen Beweis dafür vor Augen hatte. Die Sekunden vergingen und keiner sagte auch nur ein Wort. Wieder besah ich mir Renees Gesicht.

Noch immer zeigte sie mit dem Zeigefinger auf Mister Übernatürlich und fixierte ihn mit großen braunen Augen, unfähig, den Blick auch nur eine Sekunde lang abzuwenden. Noch immer schien sie geschockt über diesen Anblick, doch auch sah ich Unglaube in ihren Augen. Vielleicht auch etwas Angst? Je länger ich meine Mutter betrachtete, desto mehr schien ihr Blick in die Ferne und durch Edward hindurch zu gehen. Renees Mund bewegte sich etwas. Sie schien kleine Worte zu sprechen, doch es war nur ein Hauchen, sodass ich sie nicht verstand.

°Oh nein oh nein! Was jetzt? Was sollen wir nur machen? Warum hat Edward sie nicht kommen gehört?°, hörte ich Bellas schrille Stimme in meinem Kopf.

Ja, warum hatte Edward nicht aufgepasst?

Er konnte wieder alles hören und riechen. Und er war auch noch (wieder) Gedankenleser.

Himmel, wie viele Vorteile brauchte er denn noch?
So ein Dummkopf!
Warum hatte er sich nicht versteckt?
An der Wand hinter der Tür oder unter dem Bett? War er etwa so sehr von meinem Bild abgelenkt gewesen, dass er alles um sich herum vergessen hatte?

Wider aller Erwartungen zierte ein Grinsen Renees Gesicht und lachte kurz. Alle drei sahen wir erst uns, dann Renee ungläubig an. Meine Mutter stand gerade einem Vampir gegenüber und sah einen Beweis seines Andersseins. Hier hatte ich den endgültigen Beweis. Meine Mutter war nicht weniger gestört als ich.

Sollte mich das jetzt beruhigen oder sollte ich mir Sorgen machen?

°Wie kannst du nur in dem Moment witzig sein?°, dachte Bella beißend, spannte sich an und wartete auf Renees Erklärung.

„Sie sind anscheinend sehr pflegebewusst, nicht wahr? Aber so viel Creme nicht nur auf sein Gesicht, sondern auch auf seinen ganzen Körper einzureiben, sodass er in der Sonne so glänzt, ist doch etwas übertrieben, finden Sie nicht?“

Renee lachte wieder. Oh Gott. Ich hatte mich geirrt. Meine Mutter war noch gestörter als ich dachte. Natürlich glänzt die Haut in der Sonne etwas, wenn Hautcreme eingezogen ist. Aber sie funkelt dadurch nicht. Ich war mir sicher, dass Renee im Grunde genommen wusste, wie lächerlich ihre Aussage war. Wahrscheinlich wollte sie die Wahrheit einfach nicht sehen.

So wie sie viele Dinge nicht sehen will.

Tja, man kann sich eben alles schön reden, so wie man es gerne haben möchte. Und das war etwas, was Renee am besten konnte.

Bella Haltung entspannte sich. Wir beide sahen zu Edward, der ein unechtes Lächeln auf seinem Gesicht hatte.

Er lachte kurz auf und sagte: „Tja, was soll ich dazu sagen. Die Hygiene ist mir eben sehr wichtig. Wenn ich etwas bin, dann gründlich.“

Der letzte Satz war noch nicht einmal gelogen. Renee lächelte ihn an.

„Ich freue mich Sie kennen zu lernen, Mr. …?“

„Cullen.“, antwortete Bella.

Sie hob ihren Arm und fuhr sich mit dem Ärmel meines Shirts über die Augen, um ihre Tränen und deren Spuren auf dem Gesicht fort zu wischen. Bella löste sich von mir, stand auf und trat an Edward heran.

Sie lächelte schelmisch, nahm Edwards Gesicht in ihre Hände und küsste ihn. Nur mit Mühe konnte ich mir ein Lachen verkneifen. Renees Gesicht war einfach Gold wert. Die Augen sahen so aus, als wollten sie ihr aus den Augenhöhlen springen. Der Mund war weit aufgerissen und es sah nicht so aus, als wollte er wieder zu gehen.

Bella nahm Edwards Arm und ging mit ihm auf Renee zu. Mit noch immer erstaunten Blick verfolgte sie die Bewegungen der beiden. Erstaunlich, dass Renee noch nichts zu Bellas etwas blutverschmiertem Gesicht gesagt hatte. Vielleicht war sie einfach zu sehr von Edward abgelenkt.
Zum Glück war während der ganzen Zeit kein Blut mehr aus ihrer Nase geflossen.
Ich hob die eine Krücke vom Boden und stand vom Bett auf. Ich ging zu meiner Familie und stellte mich so hin, sodass ich alles genau beobachten konnte. Es war gar nicht schwer, nur eine Krücke zu benutzen.

„Mum, darf ich dir Edward Anthony Cullen, meinen Verlobten vorstellen.“, verkündete Bella strahlend und schmachtete Edward an, der wiederum seiner Verlobten mit einem echten Lächeln einen Kuss auf dem Mund drückte.

Renees Blick ging zu Bellas linker Hand, die um Edwards Arm gelegt war und betrachtete den Ring. Dann fixierte sie wieder das Liebespaar, dann den Ring, dann wieder Bella und Edward. Renees Augen wurden wenn möglich noch größer.

Als nächstes wich ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht und sah fast so weiß aus wie ein Bettlaken. Auch schien sie wieder zu wissen, wie man den Mund wieder zu bekam. Sie öffnete und schloss ihn einige Male, schien aber noch zu überrascht, um ein Wort herauszubringen. Doch der plötzliche Schock, wurde augenblicklich durch Zorn abgelöst, denn Renees Gesicht glühte in einem kräftigen rot.

„WAS?! Nein! Bella, du kannst ihn doch nicht so einfach heiraten?“, rief sie entsetzt.

„Ach, und warum nicht?“, fragte Bella ganz ruhig und gelassen.

Renee Röte verflüchtigte sich wieder etwas. Sie sah ihre Tochter verdutzt an und blinzelte. Sie schien es nicht glauben zu können, wie ruhig Bella mit diesem Thema umging.

„Naja, weil…weil…weil du noch zu jung bist. Und…und…“, wütete Renee, brach ab und atmete tief ein und aus.

Nachdem sie sich einigermaßen wieder beruhigt hatte, nahm ihr Gesicht wieder einen normalen Farbton an.

„Bella, Schatz.“, begann Renee mit sanfter Stimme.

„Du bist doch erst 18 und so jung. Du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir. Willst du dich wirklich schon jetzt fest an jemanden binden? Ich meine, wie lange kennt ihr euch denn? Bestimmt hast du ihn in Forks in der Schule kennen gelernt, daher kennst du Edward nicht einmal ein halbes Jahr, oder? Schließlich bist du doch erst vor kurzem wieder zu uns zurückgekehrt. Nur, weil du dich mit einem Schulkameraden gut verstehst, ist das noch lange kein Grund, ihn gleich zu heiraten. Und selbst, wenn du ihn schon vor unserem Treffen kanntest, ist es noch viel zu früh, diesen Schritt zu gehen. Sei vernünftig Bella und gib deinem Freund seinen Ring zurück. Edward hat bestimmt total überstürzt aus reinem Affekt gehandelt und ist sich in dem jungen Alter ebenfalls nicht der Tragweite dieser Entscheidung bewusst.“

Sie wandte sich an Edward.
„Ist es nicht so? Wenn du nochmal darüber nachdenkst, wirst du erkennen, dass ich recht habe und es so besser ist.“

Edwards Lächeln verschwand und sein Mund wurde zu einer harten Linie. Er sah ein bisschen grimmig aus. Er schüttelte den Kopf und nahm Renee mit seinem ernsten Blick gefangen.

„Sie irren gewaltig Miss Dwyer. Sie haben recht, ich mag zwar noch sehr jung sein,…“ – bei diesen Worten huschte kurz ein ironisches Lächeln auf sein Gesicht – „…aber ich bin sehr reif für mein Alter und mir der Konsequenzen, die diese Entscheidung mit sich trägt durchaus bewusst und auch gewachsen. Sie können sich also sicher sein, Renee, dass ich mir diesen Schritt wohl überlegt habe und nicht bereue ihn gegangen zu sein. Auch habe ich nicht die Absicht, meinen Antrag zurückzunehmen. Bella ist die Frau, die ich liebe und mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Ich bin sehr glücklich, dass sie eingewilligt hat, meine Frau zu werden.“, erklärte er Renee und warf Bella einen liebevollen Blick zu.

Meine Mutter war sprachlos und konnte Edward nur mit offenem Mund anstarren. Nun ergriff meine Zwillingsschwester das Wort.

„Mum, du hast recht, ich bin zwar erst 18, aber ich zweifele keine Sekunde an meine Entscheidung. Renee.“

Bellas Stimme wurde jetzt eindringlich.

„Du kennst mich nicht – nicht mehr, so hart es auch klingen mag. Aber ich bin nicht mehr das kleine 7-jährige Mädchen von früher, dass du einst kanntest. Inzwischen sind 11 Jahre vergangen, die du unglücklicherweise nicht mit mir erleben konntest. Du hast keinen Schimmer, wie ich mich in dieser Zeit entwickelt habe und wer mich geprägt hat – was mich geprägt hat. Durch das Zusammenleben mit der anderen  Renee habe ich gelernt früh Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu sein. Ich weiß, was es bedeutet, sich um jemanden zu sorgen, sich um jemanden zu kümmern, für jemand anderen da zu sein. Und geht es nicht genau darum in einer Ehe? Seinen Partner zu unterstützen und zu helfen, egal wie schlecht die Situation ist?

Renee, du kannst dir sicher sein, dass ich bereit bin. Ich habe schon so viel erlebt. Außerdem kenne ich Edward schon etwas länger. Fast genau 13 Monate, um genau zu sein. In dieser kurzen und schönsten Zeit meines Lebens habe ich ihn kennen und lieben gelernt. Und der Gedanke, nur für eine kurze Zeit von Edward getrennt zu sein, schmerzt viel zu sehr.

Ich will nie mehr ohne ihn sein und darum will ich ihn heiraten. Er ist nicht nur einfach ein Schulkamerad und es ist auch keine Highschool-Liebelei eines Teenagers. Denn in den letzten Jahren hatte nie die Gelegenheit mich wie ein normaler Teenager zu verhalten. Ich mag zwar wie ein Teenager aussehen, war aber nie einer gewesen.

Ich liebe Edward und will ihn so sehr, wie sehr eine Frau einen Mann eben will. Gut anfangs – muss ich zugeben – war ich skeptisch, als er mir diese Frage stellte, da mir die andere Renee mich mit ihren eigenen Erfahrungen mit ihrer Ehe verunsichert hatte. Aber sie hat uns ihren Segen gegeben und meine Angst vertrieben. Jetzt wird mich nichts und niemand daran hindern, diesen wunderbaren Mann an meiner Seite zu heiraten. Auch du nicht.“, beendete Bella ihre Ansprache und sah Renee fest in die Augen.

Edward lächelte glücklich vor sich hin, während Renee blass wurde und Bella genauso ansah wie Edward bei seinen Worten. Es dauerte einige Minuten, bis Renee wieder etwas sagen konnte.

„Äh Schatz, was redest du denn da wieder für dummes Zeug. Mich gibt nur einmal. Geht es dir nicht gut, Liebling?“

Ich konnte ein übertrieben lautes genervtes Stöhnen nicht zurückhalten und warf den Kopf zurück. Alle Blicke richteten sich auf mich, während ich meine Mutter missbilligend ansah.

„Och Renee, bitte nicht schon wieder!?“, sagte ich verzweifelt.
„Erinnerst du dich, was Bella uns vor vier Monaten bei Charlie erzählt hat? Die Parallelwelt, in der sie aufgewachsen ist und aus der – ganz zufällig – auch Edward stammt?“

Renees Augen verengten sich zu Schlitzen und blitzten mich an.

„Andy hör auf mit diesem Unsinn. So etwas gibt es nicht. Bella ist nur etwas verwirrt, wegen gestern.“, hielt sie dagegen.

Edward riss entsetzt die Augen auf. Zuerst verstand ich seine Reaktion nicht, aber als Bella an den gestrigen Tag dachte und ich die dazugehörigen Bilder in ihren Kopf sah, war mir alles klar. Doch leider blieb Edward etwas verborgen, mir nicht. Ich lächelte Bella kurz an, als ich meinen zukünftigen Neffen in ihren Gedanken sah – E. J. .

Braunes Haar, braune Augen, die Lippen, das Lächeln, wie er sich auf die Lippe biss – ja, eindeutig die Mutter (und der Onkel).

Wirres Haar, die Gesichtszüge, die Art, er die Augenbraue hochzog – eindeutig Edward.

Würde mich nicht wundern, wenn er später ein kleiner Mozart wird.

Doch dieser Glücksmoment hielt nur kurz, denn ich widmete mich wieder meiner Mutter, der ich noch etwas zu sagen hatte.

„Zum letzten Mal: Das ist kein Unsinn. Und Bella ist auch nicht verwirrt. Nur verrückt – wie ich. Was glaubst du denn, wo wir herkommen und wie wir in das Zimmer gelangen konnten, ohne, dass du es bemerkt hast? Wann kapierst du das endlich?“

Renee blieb stur und starrte mich einfach nur an. Sie wollte gerade etwas erwidern, als das Telefon unten im Flur klingelte. Ich warf die Hände in die Luft und schnaubte frustriert.

„Ach, glaub doch was du willst. Dir ist sowieso nicht mehr zu helfen…“ - °wenn du sogar das Funkeln von Edwards Körper auf eine nichtvorhandene Fettschicht auf seiner Haut zurück führst°, spann ich den Gedanken zu Ende – „Ich gehe jetzt ans Telefon.“, fügte ich nun nicht mehr verärgert, sondern monoton hinzu.

Langsam war ich das alles Leid. Ich achtete nicht mehr auf die anderen, ging an Renee und den anderen vorbei – die etwas zur Seite ging, damit ich mein Zimmer verlassen konnte – und machte mich auf dem Weg zum Telefon, um das Gespräch entgegenzunehmen.

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Na, wer ist wohl dran?

PS: Das ist ein "Geburtstagskapitel", da heute mein Tag ist, auch wenn es niemanden interessiert =)

(Update: 03.06.2013)

Bis zum nächsten Kap.

 

Entfremdet


Andys POV - Paralleluniversum

 


(Paralleluniversum)




Glücklicherweise klingelte das Telefon immer noch, als ich endlich unten im Flur ankam. Der Anrufer schien sehr hartnäckig zu sein, denn es hatte für mich doch eine ganze Weile gedauert, mit verletztem Bein und Krücke die Treppe hinunterzugehen.

Währenddessen ist mir aufgefallen, dass Renee gar nichts zu meinem Zustand gesagt hatte. Naja, dies sei ihr verziehen, da der Anblick eines funkelnden Vampirs einen schon aus der Bahn werfen konnte. Trotzdem fühlte ich noch immer einen kleinen dumpfen Stich im Herzen, weil Renee es nicht aufgefallen war. Aber so schlimm war es auch nicht mehr, da ich ja schon einiges von meiner lieben Mutter gewohnt war.

Auf meinem Weg zum Telefon, sah ich in Bellas Gedanken, wie Renee Bella nach ihrer blutenden Nase gefragt hatte und wie es denn dazu gekommen war.

Und ich?

Ich war mal wieder total nebensächlich. Aber wie gesagt, ich kannte ja meine Mutter. Seufzend griff ich nach dem Hörer und hielt in mir ans Ohr.

„Bei Swan? Äh, Verzeihung. Bei Dwyer?“

Innerlich klatschte ich mir an die Stirn für diesen Fehler, aber andererseits…
Für ein paar Sekunden kam keine Antwort. Ich wollte gerade nachfragen, wer denn da spreche, als ich eine sehr bekannte Stimme hörte.

„Ach“, erklang es glücklich seufzend von der anderen Leitung.
„Heute scheint wirklich mein Glückstag zu sein, dass ich dich sogar mal endlich persönlich am Telefon habe, Andy.“ Er lachte kurz auf.

Ich brauchte einige Sekunden, um die Stimme der Person zuzuordnen. Ich wusste doch, dass ich sie kannte.

„Na, wenn das mal nicht mein Lieblingslehrer, Mr. S. ist.“, sagte ich und meine Stimmung hob sich.

Vergessen war Renee und ihre Sturheit. Ein Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht. Ich fragte mich nur, warum er hier anrief. Und so wie er sagte, wollte er was von mir. Da hatte er aber wirklich Glück, das ich gerade hier war.

„Ach, bin ich das? Dann, danke für die Blumen.“ Man konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.

Ich errötete. So ein Mist. Hatte ich mich doch verplappert. Ich freute mich nur so sehr, wieder mal mit ihm sprechen zu können.

„Öhhmm…Ähmm...“ – stotterte ich verlegen – „Guten Tag, Mr. S. Darf ich fragen, woher Sie diese Nummer haben?“

Es war nicht so, dass ich ihm misstraute. Ich war nur etwas vorsichtig und neugierig.

„Ach, da alle Schülerakten archiviert werden, konnte ich mir deine ansehen. Dort drinnen stand eben diese Telefonnummer.“  

Es musste wirklich was wichtiges sein, wenn er extra eine alte Schülerakte von einem ehemaligen Schüler einsah, nur um mit ihm in Kontakt treten zu können.

Aber warum?

Irgendwie freute ich mich ja darüber, aber eigentlich hatten wir doch keine nennenswerte Beziehung, die solch eine Aktion wert ist. Wie denn auch? Schließlich hatten wir nur zweimal Kontakt miteinander.

„Ich weiß zwar nicht, warum Sie sich so viel Mühe machen, aber gut. Was kann ich denn für Sie tun?“, fragte ich freundlich.

Ein paar Sekunden sagte Mr. S. nichts. Nur sein Atem war zu hören. Dann begann er seltsamerweise zu flüstern, was ich überhaupt nicht verstand. Er räusperte sich.

„Also…ich versuche dich nämlich schon seit ungefähr zwei Wochen zu erreichen. Aber deine Mutter Renee wimmelt mich jedes Mal ab und weigert sich, mir irgendwelche Tipps zu geben, wie ich dich erreichen könnte. Eine sehr starrsinnige Frau. Ähm…also was ich eigentlich sagen wollte…“

Jetzt sprach er so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte.

„Es geht um deinen Aufsatz. Und…um das Foto.“

Ich verstand überhaupt nichts mehr.

„Was ist damit? Und warum flüstern Sie überhaupt?“, wisperte ich automatisch zurück.

„Die Wände sind nicht die dicksten. Aber das brauche ich dir ja nicht zu sagen, oder?“, murmelte er leise.

Ich wusste nicht, worauf er anspielte. Nun sprach er wieder mit normaler Stimmlage weiter.

„Ich wollte eigentlich nur fragen, ob wir uns mal bei mir treffen und unterhalten können, wenn du magst.“

Aha, er wollte also mit mir über meinen Aufsatz sprechen. Naja, warum nicht? Irgendwie passte das zu ihm. Außerdem wäre es schön, Mr. S. mal wiederzusehen.

„Wann passt es Ihnen denn?“, fragte ich ihn, ebenfalls wieder mit normaler Lautstärke.

„Also wenn du könntest, jetzt gleich.“, antwortete er prompt.

Erstaunt machte ich große Augen. „Jetzt gleich?! Geht das denn? Ich meine, haben Sie heute keinen Unterricht?“

Ich wollte schließlich nicht, dass er wegen mir einen Arbeitstag versäumte. Mein ehemaliger Lehrer lachte erneut.

„Mach dir mal darüber keine Gedanken. Das geht schon in Ordnung.“

„Na gut, wenn Sie meinen?“, erwiderte ich etwas unsicher.
„Sagen Sie mir dann bitte ihre Adresse? Dann mache ich mich bald auf dem Weg.“

„Sehr schön.“
Er klang sehr erleichtert.
„Ich wohne in der North 61st Lane in Glendale. Die Hausnummer ist die 55-10.“

„Alles klar, vielen Dank. Ich denke mal, dann sehen wir uns in eins, zwei Stunden?“, fragte ich.

„Gut. Ich freue mich schon. Bis später.“

„Ja, bis dann.“, verabschiedete ich mich auch und legte auf.

Ich seufzte. Ich wusste, dass man ungefähr 30 Minuten mit dem Auto fahren musste, um von hier nach Glendale zu gelangen. Aber wo genau ich hin musste, konnte ich nicht sagen. Tja, da musste wohl Google helfen.

Ich machte mich wieder auf dem Weg in mein Zimmer, da sich dort auf dem Schreibtisch mein Laptop befand. Humpelnd mit einer Krücke machte ich mich vorher auf ins Bad, nachdem ich auf dem obersten Treppenabsatz angelangt war.

Mist.
Wie konnte mir das nur entfallen?

Ich habe Mr. S. vergessen zu sagen, dass ich ja durch mein gebrochenes Bein gar kein Auto fahren kann. Abgesehen davon, war mein Führerschein in Forks auf dieser Seite. Upps. Das gehörte sich aber gar nicht für den Sohn eines Polizeipräsidenten. Ein Glück, dass man mich bis jetzt nicht angehalten hatte. Aber wenn ich genau darüber nachdachte, sind Bella und ich öfters von den Cullens gefahren worden, also war das nicht so tragisch. Trotzdem war das sehr nachlässig von mir.

Während ich meine Zeit im Bad verbrachte, überlegte ich, ob ich Renee bitten sollte, mich zu fahren. Da fiel mir wieder ein, was Mr. S. am Telefon zu mir gesagt hatte. Sofort war meine Wut über meine Mutter wieder zurück. Sie hatte es mir nicht mitgeteilt. Ja, mir gar nicht erst mitteilen wollen.

Ich erblickte mein wütendes Gesicht im Spiegel, als ich mir etwas zu intensiv die Hände wusch. Da fiel mein Blick auf die Ablage darüber. Bellas Handy lag dort. Leicht verbogen und das Display zersprungen. Das war nicht mehr zu reparieren. Kein Wunder, dass Edward sie gestern nicht erreichen konnte. Seufzend beendete ich das Händewaschen, trocknete sie mit einem Handtuch ab und machte mich mit samt der Krücke auf den Weg in mein Zimmer.

Renee stand inzwischen in der Mitte des Raumes zusammen mit Bella und Edward, der nur so glitzerte. Innerlich stöhnte ich wieder über die Blindheit meiner Mutter. Aber für die Cullens war es natürlich besser so, wenn sie die Wahrheit nicht sehen wollte. Es war nur zu hoffen, dass sie dies auch nicht weiter erzählte. Und selbst wenn doch, dann sollte sie lieber bei ihrer Version der Geschichte bleiben. Und wie ich sie kannte, würde sie das auch tun. Renee war also keine Gefahr. Naja, da hatte ihre Sturheit auch eben mal ihr Gutes.

Bella war schon sichtlich genervt von Renees Fragerei, wie ich aus ihren Gedanken hörte. Sie wollte alles über Edward und seine Familie wissen. Ob seine Eltern auch ihr Einverständnis für die Eheschließung gegeben haben. (Ich nahm das mal an.) Was die beiden denn beruflich machten. Was Edwards Hobbies seien. Was seine Geschwister für Menschen waren, und noch einige Fragen mehr hatten die beiden bereits hinter sich.

Mit einem kleinen Lächeln stellte ich fest, dass sich Renee wenigstens für einen von uns beiden interessierte. Sie tat eben genau das, was sich für eine Mutter gehörte.

Ob sie auch so reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass ich irgendwann einmal vorhatte, mich mit meiner Freundin zu verloben?

Vorausgesetzt, sie würde sich jemals wieder an mich erinnern.

Ach, Renee wusste ja noch nicht einmal, dass ich eine Freundin hatte. Also diese Renee hier nicht. Aber ich wusste schließlich auch so manche Dinge nicht…

Renee fragte gerade, wie das denn mit dem Heiratsantrag war – na auf die Antwort war ich gespannt, wenn sie ihr wieder mit der Parallelwelt kamen – als ich in mein Zimmer hinein trat.

Dadurch wurde das Gespräch unterbrochen und alle wandten sich mir zu, während Edward mich mit glühenden leicht verengten Augen betrachtete. Er hatte das Gespräch natürlich gehört und wusste ebenfalls von dem Aufsatz.

Da kam mir auf einmal ein Gedanke.

Was, wenn mein Lehrer flüsterte, weil er Angst hatte, dass man uns irgendwie dennoch hören könnte?

Denn ein Vampir wie Edward besaß ein sehr feines Gehör.

„Die Wände sind nicht die dicksten. Aber das brauche ich dir ja nicht zu sagen, oder?“, hatte Mr. S. gesagt.

Wollte er damit etwa auf Edward anspielen?
Wie konnte er überhaupt wissen, dass meterdicke Wände das Gehör von Edward nicht schwächen würden?

Er konnte gar nicht wissen, dass Edward bei mir war, noch, dass er sehr gute Ohren hatte. Er konnte gar nicht wissen, dass Edward ein Vampir war.

Aber was, wenn doch?
Warum sollte er sonst geflüstert und diese Bemerkung gesagt haben?
Aber woher sollte Mr. S. es wissen?

Ich hatte ihm nichts gesagt. Nicht mal mit einer scheinbar unwichtigen Bemerkung hatte ich ihm einen Hinweis gegeben. Auch nicht in meinem Aufsatz.

Und da fiel es mir wie die Schuppen von den Augen.

Das Foto.

Nur durch das Foto konnte er auf das Geheimnis gekommen sein. Oder wenigstens eine Vermutung entwickelt haben. Sicher, goldene Augen und sehr blasse Haut waren schon etwas merkwürdig. Aber dass er diesen Merkmalen eine solche Beachtung schenken würde, hätte ich nie erwartet.

Mist.

Waren die Cullens wegen meines dummen Fehlers aufgeflogen?
Wie lange wusste er es schon?
Hatte er es bereits erzählt?
Wie konnte ich denn ahnen, dass er nur aufgrund eines einfachen Fotos solche Überlegungen anstellen würde?

Aber irgendwie hätte ich es wissen müssen. Dieser Mann war – soweit ich ihn kannte – ein sehr aufmerksamer Mensch. Er musste diese Details wahrgenommen, im Internet recherchiert und schließlich zu dieser Schlussfolgerung gelangen sein.

Durch meinen Aufsatz wusste er, dass ich mit Vampiren befreundet war. Also hatte er am Telefon geflüstert, weil er annahm, dass Vampire in meiner Nähe sein würden.

Sollte die ganze Sache so einfach gewesen sein?

Bitte, bitte. Lass mich bitte nicht Recht haben. Doch mein Gefühl sagte mir, dass Mr. S. irgendetwas ahnte.

Verdammt.

Während meiner Überlegungen nahm ich nur am Rande war, dass Bellas Augen immer größer vor Überraschung und Entsetzen wurden. Sie war nicht weniger beunruhigt von meinen Gedanken als ich. Erst Renees Stimme brachte mich wirklich wieder in die Gegenwart zurück.

„Andy, Schatz. Wer war denn am Telefon?“, fragte sie sanft.

Und sofort war die Wut wieder da. Grimmig starrte ich meine Mutter an.

„Sag du es mir. Du weißt es doch viel besser als ich.“, erwiderte ich schroff.

„Was hast du denn nun schon wieder?“, fragte Renee verwirrt.

„Ich bin sauer, verdammt noch mal.“, schnaubte ich.

In Renees Blick sah ich keinerlei Erkenntnis. Wie schaffte sie es nur, mich immer auf die Palme zu bringen?

„Und weshalb?“

Ich stöhnte genervt.
„Am Telefon war ein ehemaliger Lehrer von mir. Er sagte, er habe versucht, mich seit zwei Wochen zu erreichen, aber du hast ihm nicht weiterhelfen wollen, damit er mit mir in Kontakt treten kann. Kannst du mir das bitte vielleicht mal erklären.“

Meine Stimme war wieder ruhig, doch meine eine Hand war zu Faust geballt, während die andere die Krücke umklammert hielt. Ein schuldbewusster, ängstlicher Ausdruck huschte über Renees Gesicht. Dann erwiderte sie entschlossen meinen Blick und antwortete mir mit fester Stimme.

„Dieser Mister Sanchez erzählte mir, dass er für kurze Zeit dein Lehrer in der Phoenix Middle School gewesen war und er unbedingt mit dir über etwas sehr Wichtiges sprechen wollte. Als er dies sagte, fiel mir ein, dass dies zu jener Zeit gewesen sein musste, bevor diese Sache passiert war. Ich hielt es für keine gute Idee, dass du dich mit ihm triffst. Ich…ich…hatte Angst, dass dieses Gespräch dich vielleicht an Dinge erinnern wird, die du lieber vergessen würdest. Ich wollte verhindern, dass alte Wunden wieder aufreißen. Glaube mir. Ich hatte dabei nur dein Wohl im Sinn.“

Während Renee dies sagte, war ein Knallen von unten zu hören. Wahrscheinlich war es die Haustür gewesen, die gerade wieder geschlossen wurde. Ungläubig starrte ich Renee an. Dann lachte ich kurz sarkastisch auf, dabei entkrampften sich meine Hände.

„Du hattest mein Wohl im Sinn? Du hast dir Sorgen gemacht, dass alte Wunden wieder aufreißen, ja?“

Ich lachte wieder, doch dieses Mal klang es in meinen Ohren fast dämonisch. Danach war der ganze Spott aus meinen Augen erloschen und kalt starrte ich in die Augen meiner Mutter und fuhr ohne Emotionen in der Stimme fort.

„Tu doch nicht so, als würdest du dich plötzlich um mich sorgen. Tu doch nicht so, als würdest du dich plötzlich für mich interessieren. Ich bin dir doch völlig egal.“

Renees Gesicht erbleichte. Geschockt starrte sie mich an, während Bella und Edward das Gespräch stumm mit verfolgten. Doch ich achtete nicht auf sie. Meine ganze Aufmerksamkeit galt der Frau mir gegenüber.

„Das…das ist nicht wahr. Ich bin deine Mutter. Ich liebe dich doch, Andy.“, erwiderte sie mit leicht zitternder Stimme und klang dabei sogar etwas verzweifelt.

Sie streckte die Hand nach mir aus und ging ein Schritt auf mich zu, doch als sie meine blitzenden Augen sah, sank ihr Arm wieder und sie ging wieder zurück.

„Das sollte man meinen, nicht wahr? Wenn du mich wirklich liebst, dann hast du aber eine seltsame Art, es zu zeigen. Wo warst du, als ich Nacht um Nacht weinend in meinem Bett in Phoenix lag? Wo warst du, als ich dich nach ‚dieser Sache in Forks und in Phoenix‘ gebraucht habe?

Wo war dein mitfühlender Blick, deine Hand, die meine hielt, als wir uns alle im Gerichtssaal befanden? Wo waren deine Umarmungen und deine tröstenden Worte, nachdem ich den Gerichtssaal verlassen hatte? Wo warst du, als ich Tag für Tag in dieser Anstalt verbrachte? Wo warst du, als du die Möglichkeit hattest, mich einmal pro Woche zu besuchen? Wo warst du mit deinen Ohren, die mir hätten zuhören sollen? Sag mir Renee, wo warst du all die Jahre?“, fragte ich meine Mutter all das mit fast toter, hoffnungsloser Stimme.

Eisige Stille herrschte im Raum. Niemand wagte auch nur zu atmen. Selbst Bellas Gedanken waren nicht zu hören. Die Frau gegenüber wurde noch weißer im Gesicht und Tränen schossen ihr in die Augen.

Sie liefen ihre Wangen hinab und stammelte mit brüchiger Stimme: „Ich…ich…“

„Weißt du, ich weiß gar nicht, was dieses ganze Theater überhaupt soll. Wie kannst du es nach all der Zeit überhaupt wagen, die sorgenvolle Mutter zu spielen? Warum mischt du dich jetzt wieder in mein Leben ein und meinst mich beschützen zu müssen? Mich vor meiner schrecklichen Vergangenheit, der Wahrheit zu bewahren? Bin ich etwa ein Kind, das bemuttert werden muss?

Nein.
Das bin ich schon lange nicht mehr. Dafür haben Bellas Verschwinden und deine Ignoranz mir gegenüber, sowie deine Hilflosigkeit bestens gesorgt. Wach auf, Renee. Deine plötzliche falsche Rücksichtnahme kannst du dir schenken. Ich bin erwachsen und durchaus in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, sowie mich der Wahrheit zu stellen. Ich bin nicht wie du. Ich trete meiner Vergangenheit entgegen, auch wenn ich weiß, dass es weh tut. Es sieht so aus, als wäre Bella nicht das einzige Kind, welches du nicht kennst.“

Ich wartete einige Sekunden, aber sie erwiderte nichts. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, weil sie wusste, dass mit all dem recht hatte.

„Renee. Du hast kein Recht, dich in mein Leben einzumischen. Nicht mehr. Vielleicht erinnerst du dich noch an die Worte, die ihr die vor Jahren im Auto gesagt hatte. Es sei denn, du hast es natürlich vergessen, weil es dir unangenehm ist. Falls es so ist, wiederhole ich mich gerne nochmal für dich. Du hast als Mutter versagt, Renee.
Durch deine Sturheit und Ignoranz hast du alles kaputt gemacht. Und daran bist nur du schuld. Nur du und kein anderer. Und dafür gibt es keine Entschuldigung.
Nur weil du einmal in mein Leben einschreitest, macht es all dein Nicht-Tun über die Jahre nicht wieder gut. Nichts kann das wieder gut machen. Absolut gar nichts.“, sagte ich ruhig.

Ein bleiches, tränenüberströmtes Gesicht mit unglücklichen Augen blickte mir entgegen, doch ich verzog keine Miene. Dann schluchzte Renee auf und brach auf Knien auf dem Boden zusammen. Ihr Körper zitterte und schüttelte sich vor weiteren Schluchzern. Ihre Tränen tropften auf dem Teppich.

Als ich diese gebrochene Frau dort liegen sah, horchte ich in mich hinein.

Ich empfand…nichts.
Kein Mitleid.
Und ein Teil in mir, war über diese Tatsache entsetzt.

Äußerlich blieb mein Gesicht reglos, ruhig. Schritte waren zu hören. Ich drehte mich um und sah Phil herein treten. Also er war vorhin gekommen. Wahrscheinlich hatte er das meiste des Gespräches belauscht. Es war nicht schlimm. Auch er wusste, dass ich mit allem recht hatte. Er hatte einen traurigen und mitleidigen Ausdruck in seinen blauen Augen, die leicht glänzten.

„Hallo Phil.“, sagte ich.

Er nickte zur Begrüßung und sah kurz zu Bella und Edward. Auch sie begrüßte er mit einem Nicken, wobei er bei Edwards Erscheinung seine Augenbrauen zusammen zog. Edward blickte ruhig zurück. Sein Gesicht gab nichts preis.

Daraufhin schüttelte Phil leicht den Kopf und wandte sich wieder mir zu. Er schien nicht allzu verwundert darüber zu sein. Es war aber auch verständlich, dass er dieser Tatsache in diesem Moment keine große Beachtung schenkte, da seine Frau schließlich weinend auf dem Boden hockte. Ich wusste, dass er sich nicht mit so einer Erklärung, wie sie sich Renee zusammen gebastelt hatte, zufrieden geben würde. So naiv war Phil nicht. Ich betete, dass angesichts dieser Situation meine Worte für ihn ausreichend sein würden.

„Das ist Edward Cullen, Bellas Freund. Der glitzert immer etwas stark in der Sonne. Wäre schön, wenn du das nicht so an die große Glocke hängen würdest, okay?“, erklärte ich leise.

Zur Untermalung meiner Worte, legte ich einen Zeigefinger an die geschlossenen Lippen. Phil nickte nur, doch anhand seines ernsten und intensiven Blickes wusste ich, dass er sein Versprechen halten würde. Ich glaubte, Edward aufatmen zu hören. Dann fiel Phils Blick auf mein Bein. Sogar Phil war mehr „Mutter“ als Renee. Ich lächelte ihm beruhigend zu, um ihm zu sagen, dass es nicht so schlimm war, wie es aussah.

Er wollte gerade an mir vorbei, um zu Renee zu gelangen, doch ich hielt ihn am Arm fest. Verwirrt blickte er zu mir. Dann biss ich mir auf die Unterlippe, nicht sicher, ob ich die Frage jetzt in so einem Moment stellen sollte. Ich schloss seufzend kurz die Augen und gab mir einen Ruck.

„Ähm…Phil?“

Aufmerksam betrachtete er mich. Renee wimmerte leise weiterhin vor sich hin. Ich war mir nicht sicher, ob sie Phils Anwesenheit mitbekommen hatte.

„Ich muss noch ganz dringend irgendwo hin. Können wir deinen Autoschlüssel haben, damit mich Bella zu meinem Treffen fahren kann?“, bat ich ihn leise und fühlte mich elend.

Meine Mutter erlitt gerade einen Zusammenbruch und ich hielt ihren Mann auf, zu ihr zu gehen, weil ich noch etwas zu erledigen hatte.

Was für ein herzloser Sohn war ich eigentlich?

Man sollte mich wirklich mal wieder zum Therapeuten schicken.

War dieser Egoismus überhaupt noch normal?

Beschämt gab ich seinen Arm wieder frei. Ich rechnete mit einem wütenden, empörten Blick von Phil. Doch er nickte nur, griff in seine Hosentasche und gab mir seinen Autoschlüssel. Nun trat Phil zu Renee, ging auf die Knie und nahm sie wortlos in die Arme. Renees Gesicht war an Phil Brust geborgen und Tränen benetzten den Stoff seinen Shirts.

Noch immer weinte Renee, während ihr Körper leicht zitterte. Keiner von den beiden sagte ein Wort. Phil war einfach nur für sie da und hielt sie. Ich betrachtete dieses Bild und fühlte, wie sich die Erinnerung an Silvester wieder nach oben kämpfte.

Ob ich genau so verzweifelt aussah?

Ich schüttelte den Kopf. Nein. Ich durfte jetzt nicht an Elli denken, sonst würde ich ebenfalls zusammen brechen. Mehr oder weniger. Ich hatte einem Treffen mit Mr. S. zugesagt und das würde ich auch jetzt wahrnehmen. Ich schaute zu meinem Laptop, der sich hinter Phil und Renee auf den Schreibtisch befand. Eigentlich wollte ich ins Internet um „Google Maps“ aufzurufen, um zu erfahren, wohin ich den genau lang musste.

Aber das konnte ich jetzt nicht mehr machen. Dieses Verhalten wäre mehr als schäbig. Nein, das würde ich jetzt nicht tun. Wir würden schon einen anderen Weg finden.

Ich blickte zu meiner Schwester und meinem Schwager und nickte zur Tür. Sie gaben mir ein Zeichen, dass sie verstanden hatten und so gingen wir ohne ein Wort des Abschieds aus dem Zimmer.

Unten im Flur angekommen, suchte Bella nach einem Umhang für Edward, damit er in der Öffentlichkeit nicht so auffiel. Es war schon schlimm genug, dass zwei hier in diesem Haus, seine Haut im Sonnenlicht gesehen hatten. Tatsächlich fand sie etwas in kurzer Zeit. Sie hielt ihm einen dunkelblauen Bademantel mit Kapuze hin, den er wortlos anzog. Die Kapuze zog Edward sich über den Kopf.

Bella trug noch immer meine Sachen, die sie heute Nacht zum Schlafen getragen hatte. An ihren Füßen trug sie noch immer meine Morgenpantoffel. Tja, barfuß konnte sie schlecht raus gehen. Es wäre nicht schlimm, wenn sie dreckig werden würden. Abgesehen davon, würden Bella und Edward sowieso nicht mit zum Treffen kommen. Das wussten beide.

Nein, das war etwas, was ich alleine machen sollte. So konnte ich auch gleich erfahren, was und wie viel mein Lehrer wusste. Es war wichtig, dass seine Überlegungen wieder zerstreut wurden. Ich seufzte. Es würde mir sehr schwer fallen, den Menschen zu belügen, der mir sehr viel bedeute.

Nachdem ich mir meine Schuhe angezogen hatte – naja ein Schuh – nahm ich den Hausschlüssel, der in einer Schale lag, die sich auf der Anrichte befand. Den beiden anderen folgend, humpelte ich zur Tür hinaus nach draußen. Strahlend blauer Himmel und die lachende Sonne empfing uns. Ich sah mich um. Keine Menschenseele befand sich in der Umgebung. Nachdem ich die Tür abgeschlossen hatte, gab ich Edward den Autoschlüssel.

Er konnte als einziger von uns fahren, auch wenn es etwas komisch aussehen würde, wenn einer im Bademantel am Steuer saß. Und ich war mir nicht sicher, ob es ratsam wäre, Bella fahren zu lassen, wenn sie nur Pantoffel trug. Meine Schwester war außerdem noch ziemlich aufgewühlt, wegen der ganzen Gespräche, die in meinem Zimmer stattgefunden hatten, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. Aber vor mir konnte sie ihre Gedanken nicht verstecken. So stiegen Bella und Edward vorne ein, während ich mich auf der Rückbank niederließ.

Kaum saßen wir drin, sah ich, dass Edward sein Handy gezückt hatte. Ich musste nicht lange überlegen, warum er dies tat. Er ging mit seinem Handy ins Internet, um zu erfahren, wo er denn lang müsse. Die Adresse wusste er ja durch seine guten Ohren. Als er fertig war, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und startete den Wagen.

Während der ganzen Strecke, die Edward halbwegs mit normaler Geschwindigkeit zurücklegte, sagte niemand auch nur ein Wort. Wir wollten nicht miteinander reden. Vielleicht wusste auch niemand, was er sagen wollte.

Edward konzentrierte sich aufs Fahren und wollte uns wahrscheinlich unsere Ruhe gönnen. Bella hatte sie nötig.

In Gedanken spielte sie mein Gespräch mit Renee immer wieder durch und analysierte meine Worte und Renees Reaktionen. Immer und immer wieder. Sie wusste einfach nicht, zu wem sie halten sollte.

Auf der einen Seite war ich, der ihr die grausame Wahrheit vor Augen hielt, vor der sie sich schon jahrelang versteckte. Meine Worte waren grausam, aber wahr.

Auf der anderen Seite war Renee, die sich nicht mit der Wahrheit auseinander setzen wollte, um sich vor den Schmerz zu schützen, die diese in ihr auslöste. Die Frau, die schon ein Kind verloren hatte und durch ihre Handlungsweise sich immer weiter von dem zweiten Kind entfernt hatte, ohne es bewusst zu merken. Bella war hin- und her gerissen.

Sie konnte beide Seiten irgendwie verstehen und war dadurch nicht in der Lage, sich für eine zu entscheiden. Aber gab es denn in diesem Fall überhaupt Seiten? Es war nicht immer alles schwarz oder weiß. Ich hatte für Bellas Dilemma vollstes Verständnis. Es war alles sehr kompliziert.

Und für jemanden, der auf irgendeine Weise mit involviert war, war es schwer, nur mal mit Verstand die ganze Situation zu betrachten. Ich verlangte auch gar nicht von ihr, dass sie für eine Seite entschied. Ich wollte nur, dass sie mich verstand und für mich da war, wenn ich sie brauchte.

°Danke.°, hörte ich nur von mir.

°Nicht dafür.°, gab ich zurück.

Ich blickte während der Fahrt aus dem Fenster und dachte die ganze Zeit an das, was mich im Hause von Mr. S. erwarten würde. Nachdenklich drehte ich an meinen Ring, den mir Bella geschenkt hatte. Ich seufzte und sagte mir innerlich immer wieder, dass ich alles auf mich zukommen und nichts überstürzen sollte. Aber immer wieder dachte ich daran, wenn ich lügen müsste, um meinen Lehrer von seiner Vermutung abzubringen.

Verflixt.

Ich konnte noch nie gut lügen. Und bei Mr. S. wäre das ein Ding der Unmöglichkeit, wenn der mich mit seinen blauen Augen durchbohren würde. Dieser Mann war doch so aufmerksam, der würde bei meinem ersten Wort merken, dass ich ihm war vorgaukelte. Wieder und wieder sagte ich mir, dass ich alles erst einmal kommen lassen sollte.

„Wir sind da.“, unterbrach Edwards Stimme zum ersten Mal die Stille im Auto.

Er hatte auf der Auffahrt geparkt. Wir stiegen alle aus, wobei Edward den Kopf gesenkt hielt, damit so wenig Sonnenlicht wie möglich auf sein Gesicht fiel. Zu dritt betrachteten das Haus, indem Mister Sanchez wohnte. Die Auffahrt war groß genug, sodass Phils Auto bequem neben dem Auto von Mr. S. stehen konnte.

Das Haus hatte einen dunkelorangenen Anstrich und die Fensterrahmen, der vier Fenster, die man hier frontal sehen konnte, waren aus dunklem Holz. Ebenso wie die Haustür, die sich zwischen jeweils zwei Fenstern – also mittig – befand.

Von der Auffahrt führte auch ein kleiner bepflasterter Weg direkt zur Haustür, damit nicht durch den Rasen laufen musste. Die Hauswand wurde von so einigen Sachen belegt. Unter dem Fenster links von der Haustür stand ein Klappstuhl.

Auf der Seite rechts von der Haustür gab es einen kleinen Bereich zwischen der Hauswand und des bepflasterten Weges, in dem ein kleines Blumenbeet angebracht worden war. Vor dem rechten Fenster ganz außen standen eine Pflanze, ein Autoreifen und zwei Abfalltonnen.

Ich drehte mich zu den beiden um.

„Dann bis später. Ich komme dann nach, wenn ich hier fertig bin. Ihr könnt ja inzwischen mal nach Elli sehen und schauen, wie es ihr geht. Ach so. Die Fotos von Weihnachten sind in Forks in meinem Zimmer und stecken im Rucksack. Vielleicht helfen ihr die Bilder, sich wieder zu erinnern.“

Beide nickten (Edward mit noch immer gesenktem Kopf) und Bella trat auf mich zu. Sie legte die Arme und mich. Ich legte einen Arm um sie, da ich in der anderen Hand meine Krücke halten musste. Dämlicher Knochenbruch.

„Komm bald zurück, ja? Ich hab dich leib.“, sagte Bella.

°Es tut mir so leid.°, fügte sie noch in Gedanken hinzu und bezog sich auf das Gespräch mit Renee.

Ich antwortete nicht darauf. Bella gab mich frei und sogleich legte Edward einen Arm um mich.

„Sei vorsichtig.“, flüsterte er mir ins Ohr.

Er machte sich Sorgen, um das Geheimnis. Wahrscheinlich hatte er sich schon ähnliche Gedanken zusammen gereimt wie ich, als er das Telefonat belauscht hatte.

„Ich pass‘ schon auf.“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Ich war mir sicher, dass es ihn nicht besonders freuen würde, wenn jetzt noch ein dritter ihr Geheimnis kannte, auch wenn es Phil und Renee ja nicht direkt wussten.

Er löste sich von mir, blickte mir noch einmal mahnend in die Augen und wandte sich von mir ab, um wieder einzusteigen. Bella sah mich an und nahm meine Hand. Sie drückte sie kurz, um mir Mut zu machen und begab sich ebenfalls wieder ins Fahrzeug. Edward startete den Motor, fuhr die Auffahrt hinunter und sauste auf der Straße davon. Seufzend blickte ich ihnen nach.

Als Phils Wagen nicht mehr zu sehen war, holte ich tief Luft und begab mich humpelnd zur Haustür. Am Türrahmen waren links mit goldenen daran befestigten Zahlen, die Ziffern „5110“ zu lesen. Auf der rechten Seite des Türrahmens war ein Briefkasten angebracht, rechts oben nahe der Ecke eine Lampe. Vor der Tür stehend, sprach ich mir nochmals Mut zu und betätigte die Klingel, die rechts an der Innenseite des Rahmens zu sehen war.

Schritte waren zu hören und die goldfarbene Türklinke würde hinunter gedrückt. Die Tür schwang auf und ein breit lächelnder Mann mit braun-blondem Haar und strahlenden blauen Röntgenaugen kam zum Vorschein.

Ich wusste schon jetzt, dass ich gegen diese Augen nicht die geringste Chance hatte...

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Tag der Veröffentlichung: 01.06.2012

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