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Gin und Honta brüteten nun seit Tagen über der Auswertung ihrer Daten. Die Modifikanten waren stabil, aber ihre genetische Struktur befand sich im Fluss. Mit jeder neuen Erkenntnis ergaben sich zwei weitere Fragen. Am häufigsten bedurfte aber die Problematik der Ursache, der Urheberschaft und des Ausgangspunktes der Klärung und blieb konsequent unbeantwortet. Einmal deutete Gin an, er habe ein Enzym zur besseren Anpassungsfähigkeit selbst eingefügt, aber dieses Ausmaß an spontaner und dynamischer Evolution wäre seines Erachtens niemals möglich gewesen. Honta verglich die Signatur des Enzyms mit den Mutationen und musste feststellen, dass sie eine gewisse Ähnlichkeit aufwiesen, aber irgendwie verändert worden waren. Wohin diese Entwicklung führte war nicht absehbar. Sollten sie das Experiment lieber abbrechen oder einfach weiter beobachten, wie sich das alles entwickeln würde? Die Neugier siegte und für einen Abbruch war es zu spät. Es hätte bedeutet, dass sie das komplette Genom der Modifikanten hätten austauschen müssen. Ein Ding der Unmöglichkeit, selbst mit Hilfe der jofaidischen Gentherapie-Technik. Irgendwann begannen die Knäuel und Spiralen von Genen vor Hontas Augen zu verschwimmen. Er bildete sich ein Buchstabenfolgen, Doppelhelices, Nukleosomen, Karyogramme und Kopplungsanalysen an den Wänden des obersten Stockwerks der Sternennadel zu sehen. Am Rande seiner Wahrnehmung lauerte zu allem Überfluss auch wieder einmal die Dunkelheit, seiner alter Freund und mythischer Feind. Um sich abzulenken, wanderte er mit geschlossenen Augen umher. Er kannte die Annordnung der Schreibtische und des Arbeitgeräts schon so gut, dass er sich ohne nennenswerte blaue Flecke umhergeistern konnte, bis er für gewöhnlich in einen unachtsamen Kollegen rannte. Als es dieses Mal wieder unausweichlicher Weise passierte, fand er sich vor einem Schreibtisch mit den Proben des geborgenen Achaten. Sein Erbgut war komplett sequenziert und entschlüsselt worden, um den seiner gewalttätigen Prädisposition zu isolieren. Honta sah sich den Rest seines Genoms genauer an und erkannte, dass die Achaten eindeutig Menschen waren. Er konnte diesen Phänotyp wie ein Buch lesen und stutzte, als ihm der Dialekt bekannter vorkam, als gedacht. Er hatte erwartet, dass sich ihre DNA in Folge von Duplikation, Deletion, Insertion, Inversion und Translokation, ein wenig ungewohnt lesen würde, aber das hier war keine stochastische Verteilung dieser Mutationen, sondern konkrete Dichtung. Er rief ein paar ältere Forschungsberichte von Gin auf und musste kein forensischer Linguistiker sein, um die semantischen Übereinstimmungen zu erkennen.


Verschwunden


Ben hatte immer noch an den Informationen aus seinem Gespräch mit Inidi zu kauen, als Osande ihn aufsuchte und weitere Neuigkeiten brachte. Offenbar hatte der Kurator Besuch von Bens Engel bekommen. Die Begegnung soll friedlich verlaufen sein, allerdings war der Kurator ohne Fremdeinwirkung trotzdem zu Schaden gekommen. Ben seufzte innerlich, als Osande berichtete, dass Jubilee sich bereits wieder verabschiedet hatte und zurück zum Haget (so hieß also der Achat wirklich) geflogen war. Offensichtlich hatte sie die Hageten nicht befreien, sondern einfach nur von weiteren Dummheiten abhalten wollen, als sie ihr Raumschiff zurück zum Mond eskortiert hatte. Mehr, so beschied ihm Osande, war aus dem aufgelösten Sekretär nicht heraus zu bekommen. Ben genügte, was er gehört hatte. Er wusste von Anfang an, dass sie nicht der Feind war. Trotzdem wunderte er sich immer noch über ihre Absichten, denn diese mussten in irgendeinem Zusammenhang mit den Dingen stehen, die ihm Inidi erzählt und die eine Invasion der Achaten, also Hageten ausgelöst hatte. Seine Sorge um den bewusstlosen Kurator hielt sich in Grenzen, doch ausgerechnet Bondise meldete sich in diesem Augenblick bei der kleinen Versammlung.

"Wie geht es euch, Kurator?", Osande ließ es aufrichtiger klingen, als Ben es zustande gebracht hätte. Die Augen des Kurators verrieten große Sorgen und Bestürzung. Während Osande noch einige Höflichkeitsfloskeln austauschte, zog sich Inidi unauffällig zurück und verließ das Domizil seines Bruders. Ben verstand, dass er genug eigene Probleme zu bewältigen hatte und diese nicht vor Bondise ausbreiten wollte.

"Wie sicherlich bereits erfahren haben, wurde ich kürzlich von einer Person namens Jubilee aufgesucht. Sie hat die Ereignisse der vergangenen Tage aus ihrer Sicht dargestellt und mir ausrichten lassen, dass sie wieder kommen wird, um mit uns weitere Informationen aus zu tauschen. Erstaunlicher Weise gilt ihr Interesse unseren historischen Aufzeichnungen." Ben wusste, dass der Kurator nicht vor hatte ihn einzuweihen, aber er konnte sich ein wissendes Nicken nicht verkneifen. "Diese wurden auch schon von den Invasoren entwendet und sind immer noch nicht auffindbar. Da sie und ihr Praktikant in den letzten Atemzügen der Invasion zu gegen waren, wollte ich sie noch einmal befragen, ob ihnen der Kristall oder eine Person am Ausgang der Höhlen aufgefallen ist?"

Osande übernahm das Reden. "Wir waren draußen, sobald das Raumschiff in Sichtweite des Observatoriums war. Außer dem Raumschiff, diesem Mädchen und euren Kriegern haben wir niemanden gesehen. Es fand kein Austausch statt und der Kristall wäre uns aufgefallen."

"Dann muss jemand über den Abzweig zur Vorhalle entkommen sein. Ihnen ist nicht zufällig bekannt, ob sich jemand zu dieser Zeit in den Höhlen aufgehalten hat oder ob der Kristall bereits gefunden wurde?"

Ben war sich sicher, dass Osande zumindest die erste Frage mit relativer Gewissheit bejahen konnte, aber sein Mentor verneinte und so tat es ihm sein Praktikant gleich. Frustriert verabschiedete sich der Kurator, diesmal wesentlich schneller als die einleitende Begrüßung.

"Danke, Ben. Ich weiß, dass Inidi in den Höhlen gewesen sein muss, aber er wird davon erzählen, sobald er soweit ist. Die Belastung gezwungener Weise vor dem Kurator darüber sprechen zu müssen, wollte ich ihm noch nicht zumuten."

Ben war seiner Meinung und außerdem formte sich in seinem Kopf bereits ein absurder Plan. Hier bot sich ihm die Gelegenheit mit Jubilee in Kontakt zu treten, ohne wie ein totaler Volltrottel da zu stehen. Er wusste, dass die Inidium noch immer am Observatorium parkte und sofort startbereit war. Inidi hatte ihm zwar nicht gesagt, wo er den Kristall versteckt hatte, aber Ben folgerte, dass er irgendwo in seinem Raumschiff sein musste. Dort wurde Inidi gefunden und wo sonst hätte er etwas so Wichtiges verstecken sollen, wenn nicht in seiner eigenen Schöpfung, die er in- und auswendig kannte und zu welcher bis dahin außer ihm nur der Haustechniker Zugang hatte. Ben borgte sich den Gleiter seines Mentors aus und begab sich zum Observatorium. Dort ruhte ein wenig eingeschneit die Inidium. Durch den Schnee verloren sich ihre Konturen und sie wirkte wie ein ruhendes Tier, das nur auf die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings wartete, um die weiße Decke ab zu schütteln. Als sich die Luke an der Seite der Inidium öffnete, wich Ben mit einem beherzten Satz einer kleinen Lawine aus, die sich durch die Erschütterung gelöst hatte. Vorsichtig, aber zügig betrat er das Raumschiff und begann zu suchen. Ein 50 Meter langes Vehikel war geräumiger als Ben sich das vorgestellt hatte. Er verbrachte geschlagene 2 Stunden mit einer ergebnislosen Suche. Er wollte sein Vorhaben bereits aufgeben und sich glücklich schätzen keine Dummheit begangen zu haben, als ihm plötzlich eine Idee kam. Das ganze Raumschiff funktionierte einwandfrei, bis auf den Tarnmodus. Sie hatten ihn nicht repariert, weil es zu aufwendig gewesen wäre, nach der Ursache zu suchen. Ein Schutzschild ein zu bauen ging schneller und war beruhigender als umher schleichen zu müssen, in der ständigen Angst doch entdeckt zu werden. Ben öffnete die Abdeckung des Tarnmoduls und sah nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteils, die leuchtenden Leitungen vermittelten den Eindruck, dass dieses System einwandfrei funktionierte. Kontrolllämpchen blinkten zustimmend und die Sofware hatte auch keine Fehlermeldung gebracht. Trotzdem funktionierte es einfach nicht. Sie hatten es vor dem Start getestet. Die erhoffte Wirkung des Unsichtbarwerdens blieb einfach aus. Stattdessen war der Kristall verschwunden oder Inidi hatte ihn irgendwo anders versteckt. Der Kristall blieb verschollen, wie unsichtbar. Unsichtbar? Das musste es sein. Inidi hatte die Tarnfunktion des Raumschiffs genutzt, um den Kristall zu verstecken. Anstatt das System zu aktivieren, musste es einfach zuerst deaktiviert werden. Inidi hatte lediglich die Statusmeldung unterdrückt, dass es immer noch arbeitete. Nach einigen Eingaben hatte Ben diese Verschleierung aufgehoben und mit dem nächsten Befehl deaktivierte er die Tarnung des Kristalls. Dieser erschien direkt vor seinen Augen im Inneren des Moduls für den Tarnmodus.

Die wieder funktionierende Tarnung bewahrte Ben vor neugierigen Blicken und einer ungewollten Alarmierung von, tja, von wem eigentlich? Es gab auf ganz Ketar nur dieses eine Raumschiff. Niemand hätte ihn in irgendeiner Art und Weise aufhalten können. Er persönlich hatte das Schutzschild um seinen Planeten installiert und hatte immer noch vollen Zugriff. Falls sein ganzes Unternehmen fehlschlug war zumindest nicht dem Spott der Allgemeinheit ausgesetzt. Osande würde sicherlich bemerken, dass das Raumschiff verschwunden war, aber warum sollte er ihn auffliegen lassen, immerhin hatte Ben Schweigen um Inidis Abenteuer bewahrt, also war ihm Osande doch etwas schuldig, oder nicht? Egal. Für viele Gedanken, wollte Ben sich keine Zeit nehmen, sie würden ihn womöglich nur zweifeln lassen und weiterhin ablenken. Er hatte schon längst die Atmosphäre von Ketar hinter sich gelassen, ohne es wirklich wahrgenommen zu haben. Kurz vor dem Schutzschild konzentrierte er sich wieder auf die Priorität nicht daran zu zerschellen. Für wenige Sekunden deaktivierte er die Satelliten, um sie nur kurz hinter der Inidium den schützenden Kokon wieder schließen zu lassen. Jetzt musste er nur noch Jubilee finden. Osande hatte das Raumschiff bis zurück auf den Haget verfolgt und Ben vermutete, dass sie sich in der Nähe aufhalten würde. Er ließ den Computer Osandes Daten abrufen und legte einen Kurs zur Mondoberfläche fest. Der verlorene Edelstein wurde auf dem Frontschirm immer größer. Für Ben würde es immer der Achat bleiben und heute sollte er zum ersten Mal Fuß auf den sagenumwobenen Trabanten setzen. Dass diese Sagen alle von ihm stammten und vermutlich zur Gänze desillusioniert werden würden, störte ihm nicht im Geringsten.


Das erste Rendezvous


Jubilee hatte vor an diesem Nachmittag wieder nach Ketar zurück zu kehren. Der Kurator würde sich hoffentlich von seinem Schwächeanfall erholt und eine Absprache mit den betreffenden Jofaiden getroffen haben. Das er etwas wusste, stand außer Frage. Sie würde endlich Antworten erhalten. Ihre Herkunft, ihr Zweck, ihre Identität waren Zeit ihres Lebens hinter einem wehenden Schleier verborgen gewesen. Selten hatte er etwas von seinen Geheimnissen Preis gegeben, aber heute würde er erste Risse bekommen. Hätte man sie gefragt, ob sie sich jemals glücklich gefühlt habe, so hätte Jubilee diese Frage verneint. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie in diesem Augenblick ihre kindliche Vorfreude nicht so recht einordnen konnte. Ihre Vergangenheit war geprägt von einer immer währenden Unruhe und nur selten hatte sie so etwas wie Frieden und Zufriedenheit verspürt. Wer nicht weiß woher man kommt, halten nicht oft eine klare Vorstellung wohin es gehen soll. Diese Orientierungslosigkeit hatte ihr zu schaffen gemacht und das Ausbleiben von Antworten hatte in ihr eine schwelende Wut geschürt, die sie letztendlich auf ihrer Suche nach Ketar angetrieben hatte. Dagegen war ihr Bruder die Sorglosigkeit in Person. Sie hatte ihm Vorwürfe deswegen gemacht, doch jetzt vermisste sie seine Unbekümmertheit. Ihr Ziehvater hatte sich alle Mühe gegeben sie zurück zu halten, aber sie wusste, dass er mit seinen Möglichkeiten ihr zu helfen an seine Grenzen gestoßen war. Jetzt war sie hier in einer fremden Galaxie. Ihre Gedanken schweiften zurück in die Milchstraße und sie fragte sich, was ihr Bruder und der Professor gerade wieder für Unfug anstellten. Sie lächelte fast unmerklich bei der Erinnerung an einige amüsante Begebenheiten und wunderte sich wie viel Zeit sie wohl damit verbracht hatte diesen Planeten dort drüben zu finden. Sie stand nicht weit von Miras Behausung, die ihr während ihres Aufenthalts hier Unterschlupf gewährte. Natürlich hätte sie weiterhin im Raumschiff hausen können, doch zum einen war sie froh, nach Monaten in dieser Büchse, auf festem Boden zu stehen und zum anderen hatte sich etwas an ihrer Einstellung dazu geändert, als es von den Torsch gestohlen wurde. Die Atmosphäre im Raumschiff war nicht mehr dieselbe und es schien ihr weniger Schutz zu bieten, nachdem Fremde hier eingedrungen waren. Sie wandte ihren Blick vom Raumschiff wieder ab, zumal es keinen wirklich schönen Anblick bot, nachdem sie es mit dieser hässlichen Aluminiumhaut versehen hatte, um in den verschiedenen Systemen, die sie durchforstet hatte, nicht zu sehr auf zu fallen. Sie vergrößerte mit ihren integrierten Linsen in ihrem Augapfel den Ketar und zoomte auf Hantikor. Ihr gefiel dieser Planet. Die Stadt unter ihrer weißen Pracht hatte etwas Märchenhaftes. Unter dem Schnee gehörten die kleinen Türmchen und großen Gebäudekomplexe zur Landschaft und verzauberten diese in einen Märchenwald, den sie aus Büchern kannte. Die Bewohner schienen die ganze Aufregung zu verschlafen. Den Kurator hatte sie ganz ungewollt zurück in einen Winterschlafgeschickt und dieser Junge, der sie so trottelig auf dem Berg angestarrt hatte, war zu einer Eissäule erstarrt. Es faszinierte Jubilee jedes Mal auf Humanoide zu treffen die keine Säugetiere waren. Dieser Alien - obwohl sie hier eigentlich die Fremde war - war zu alledem auch noch der Telepathie fähig und sie konnte ihn in den wenigen Sekunden, als sie an ihm vorbeigeflogen war, lesen wie ein offenes Buch. Auch jetzt meinte sie seine Gegenwart wieder verspüren zu können, doch Ketar war viel zu weit dafür entfernt. Sie beendete die Vergrößerung mit ihren Linsen und etwas in ihrem peripheren Sichtfeld blitzte auf. Schnell fokussierte sie die Reflexion. Sie vergrößerte den schimmernden Punkt und erkannte das Raumschiff, das schon die Satelliten in die Umlaufbahn des Ketars gebracht hatte. Was hatten sie denn jetzt vor? Konnten sie ihre Wiederkehr nicht abwarten? Hatten sie doch etwas zu verheimlichen? Vielleicht hatten sie vor, sie zum Schweigen zu bringen, aber das war eher lächerlich. Diese illustre Miniaturarmee von denen sie einige am Ausgang der Höhlen und ein paar andere im Büro des Kurators gesehen hatte, waren zwar interessant, aber für Jubilee keinerlei Bedrohung. Vor allem verunsicherte sie die spürbare Anwesenheit dieses Jungen. Sie hatte ihm eine Nachricht zu kommen lassen, die ihr hinterher Leid tat. Als sie Mira vom Inhalt dieser Botschaft erzählt hatte und was sie eigentlich bezwecken sollte, war sie in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, meinte sie, dass Jubilee diesem Jungen entweder gerade gedroht oder mit ihm geflirtet hatte. Die gängige Floskel "Wir sehen uns bald" bedeute in ihrer Heimat, dass sie sich einmal unterhalten müssten. Sie hielt ihn in irgendeiner Art und Weise für einen Vertreter der Stadt, da in seinem Kopf unzählige Pläne und Gedanken über die damalige Situation umher schwirrten. Zumindest würde er ihr aber sagen können wer das Volk der Ketari offiziell vertritt oder Informationen für sie haben könnte. Die angespannte Situation hatte es schwierig gemacht, einfach in der Stadt auf zu tauchen, ohne eine Panik auszulösen. Sie hatte beim Observatorium auf ihn gewartet, doch er war zu beschäftigt und keine Sekunde allein, um ungestört reden zu können. Dafür hatte sie den Jofaiden im Observatorium dabei abgehört, wie er mit dem Kurator, dem Vertreter der Stadt Hantikor sprach. Sie hatte sein Büro geortet und beschlossen, nun doch den direkten Weg zu gehen. Ein erschreckender Gedanke stieg in ihr auf. Hatte dieser Junge ihre Botschaft tatsächlich als Drohung aufgefasst oder schlimmer noch als Flirt? Brachte er Blumen oder wollte er die Sache mit der Drohung von Angesicht zu Angesicht klären? Egal, wie er es verstanden hatte, Jubilee bereitete sich lieber auf eine peinliche Begegnung vor.

Ihre zweite Begegnung - so erzählt man sich - war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Tatsächlich sah es aber anfänglich nicht danach aus. Ben hatte sich fest vorgenommen Informationen gegen Informationen zu tauschen und Jubilee machte sich auf das Schlimmste gefasst. Während das silberne Raumschiff neben dem Gefährt von Jubilee landete, beruhigte sie noch Mira und versicherte ihr, dass sie alles im Griff hätte. Ben wollte beinahe wieder seinen wollenden Umhang anlegen, als ein Blick auf die Anzeigen ihm deutlich machte, dass die Jahreszeit hier keine wärmenden Maßnahmen erforderlich machte. Die Atmosphäre war zwar etwas dünner als die von Ketar, aber durchaus hinnehmbar und die Anziehungskraft war ebenfalls nur geringfügig kleiner. Beim Öffnen der Luke zischte die Luft leise beim Druckausgleich und ein angenehmer sommerlicher Duft wehte in Bens Nase. Es gab hier definitiv ein paar fremde Geruchsnuancen, Blüten, die er auf Ketar noch nie gerochen hatte und auch die Luft schien seine Umwelt schärfer wirken zu lassen, als er es von seinem Heimatplaneten gewöhnt war. Vielleicht bildete er sich das alles nur ein und dies war eine verbreitete Sinnestäuschung, wenn man einen fremden Planeten zum ersten Mal betrat. Ben war das egal. Er erlebte allein schon durch den Rausch der Erfüllung seiner Träume die Ereignisse von einer anderen Perspektive. Selbstverständlich hatte er Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um den ersten Schritt auf seiner ersten Außenmission ganz und gar genießen zu können. Er hatte das Schutzschild der Inidium etwaserweitert und konnte sich so erst einmal ein wenig umsehen. Damit lief er auch nicht Gefahr, dass man ihm den Kristall in seiner Hand unter Androhung - oder Anwendung - von Gewalt abnahm oder ihn zum Geiselaustausch festnahm. Sein Herz machte einen kleinen Aussetzer, als er Jubilee nicht weit von seiner Landestelle erblickte. Sie lief langsam auf ihn zu und hatte einen leicht wütenden Gesichtsausdruck, was sie in Bens Augen nur noch verführerischer aussehen ließ. Er wollte sie gerade vor dem Schutzschild warnen, als Jubilee für den Bruchteil einer Sekunde verschwand und kurz darauf nur wenige Zentimeter vor Bens Nasenspitze wieder auftauchte.

"Was glaubst du wohl, wie ich an eurem Schutzschild um den Planeten vorbei gekommen bin?"

Er hatte wirklich versucht nicht wie ein Trottel da zu stehen, aber es war ihm offensichtlich missglückt und eine passende Antwort fiel ihm auch nicht ein. Er versuchte den Kristall hinter seinem Rücken zu verbergen, was aber reichlich ungeschickt wirkte und vollkommen überflüssig war. Sie beäugte ihn argwöhnisch und stellte nun in Gedanken ihre Frage an ihn.

"Hat dich der Kurator geschickt oder bist du auf eigene Faust hier?"

Etwas überrascht von ihrer telepathischen Stimme in seinem Kopf, blieb Ben weiterhin stumm. Er musterte ihre blauen Augen und ihre weichen Gesichtszüge, die sie viel sympathischer wirken ließ, als sie sich momentan gab. In diesem schönen Gesicht eingerahmt von ihren weißen Haaren suchte er nach einer passablen Antwort, aber er musste sich wohl bei seiner Erkundung unterwegs verloren haben. Jubilee entging sein Interesse für ihr Gesicht nicht und sie versuchte wieder seine Aufmerksamkeit für ihre Fragen zu erlangen. Sie stellte die Frage erneut, nur dieses Mal akustisch. Ben hörte die Worte, nahm sie aber nur verzögert wahr. Er riss sich so gut es ging zusammen.

"Ich heiße Ben und du musst Jubilee sein, richtig?"

"Richtig." Sie gab sich keine Mühe ihre Ungeduld in ihrem Tonfall zu verbergen.

"Nun, ich bin hier, weil ich neugierig bin und wenn ich das richtig verstanden habe, dann teilen wir uns diese Eigenart." Er klopfte sich im Geiste auf die Schulter. Auf Gemeinsamkeiten auf zu bauen war immer geschickt.

"Ich habe mich mit eurem Kurator getroffen und hoffe die Antworten auf meine Fragen, von ihm zu erhalten. Wenn meine Annahme korrekt ist, dann war er bei den entscheidenden Ereignissen sogar anwesend. Kannst du das von dir auch behaupten, Ben?"

Ihr ironischer Unterton gefiel ihm und er ließ sich darauf ein. "Wenn meine Annahme korrekt ist, dann wird euch der Kurator nur das erzählen, was er für angemessen hält und immerhin sind diese Ereignisse doch schon einige Jahrtausende her. Womöglich erinnert er sich auch nicht mehr so gut an alles, ganz im Gegenteil zu diesem kleinen Schmuckstück." Er hatte noch immer an den Ausmaßen der Geschichte zu kämpfen. Inidi, Osande und der Kurator waren wesentlich älter als er jemals vermutet hatte und er selbst besaß nur eine vage Vorstellung von dem Inhalt des Kristalls. Dennoch hielt er ihn Jubilee präsentierend vors Gesicht. Er brach das einfallende Licht der zwei Sonnen so spektakulär, dass ihre beiden Gesichter in einem gleißenden Feuerwerk gebadet wurden.

"Was möchtest du also im Gegenzug von mir wissen?" Das Misstrauen war noch nicht ganz aus ihrer Stimme verklungen, dafür hatte sich jetzt ein hörbarer Widerwillen dazu gesellt. Er wollte ihre Geschichte hören, aber zu erst wollte er seinen Vorteil ausreizen.

"Wir wäre es wenn wir uns erst einmal irgendwo hinsetzen. Wir können gern hier draußen bleiben, aber das Lesegerät für den Kristall befindet sich fest in meinem Raumschiff integriert." Er glaubte ein zartes Lächeln aus zu machen, dass aber augenblicklich wieder verschwand.

"Ich benötige kein Lesegerät für den Kristall", ihre Stimme klang sehr ernst und streng, aber die folgenden Worte klangen schon etwas versöhnlicher, "Aber da diese Unterhaltung ja anscheinend noch etwas dauern wird, schlage ich vor, dass wir uns in das Haus einer Bekannten begeben und uns dort in Ruhe unterhalten.

Ein zustimmendes Lächeln machte sich auf Bens Gesicht breit und telepathisch rutschte ihm "Klingt ganz nach einem Date", raus, wofür er ein böses Funkeln erntete, was er sonst nur von Osande gewöhnt war.

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Tag der Veröffentlichung: 28.01.2010

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