Cover

Die oberste Direktive der Modifikanten war der Schutz von Ketar und seinen Bewohnern, aber alles, was sie seit dem Sieg über die Achaten getan hatten, waren Banalitäten. Sie spielten Babysitter für die Gefangen im Prytaneion und für einen Husru auf einer harmlosen Mission im Orbit von Ketar. Am schlimmsten aber war das untätige herumliegen in der Sternennadel, seit Dr. Hazaget und Honta es für nötig empfanden, sie jede Stunde komplett zu untersuchen. Er nahm eine gewisse Beunruhigung in ihrem Verhalten war, die er aber darauf zurückführte, dass sich vermehrt unvorhergesehene Fähigkeiten bei seinen Männern (und Frauen) manifestierten. Als er so darüber nachdachte, war diese Spur, die er von jedem Lebewesen - teils schwächer, teils stärker - wahrnehmen konnte, seine spezielle Fähigkeit, seine Superkraft. Bei diesem Gedanken musste er lächeln und es erinnerte ihn an die Comics, die er als pickeliger Junge gelesen hatte. Damals war er schwach und unsicher und hätte sich nichts lieber gewünscht, als etwas Besonderes zu sein. Mit Hilfe dieser Spur die nächsten Schritte seiner Umgebung vorausahnen oder gar zuversichtlich vorhersagen zu können, war auf jeden Fall hilfreich und machte ihn - abgesehen von den Fähigkeiten, die er sich mit den anderen Modifikanten teilte - zu etwas Besonderem.
Die Stunden des Wartens hatte er sich mit Genetik vertrieben. Das telepathische Netzwerk bot unerschöpfliche Informationen und Einsichten und dank der Visualisierungsmöglichkeit dieser Daten auf seiner Hornhaut und seiner autodidaktischen Wissensaneignung war er nach wenigen Sitzungen bereits so gut informiert, wie die hiesigen Spezialisten. Er überflog noch eine Weile einige Aufsätze und Facharbeiten, doch als diese ihm auch nichts Neues mehr zu bieten hatten, wandte er sich den Aufzeichnungen von Gin und Honta zu. Ganz oben auf ihrer Liste stand Uriel, die schon während ihrer ersten Mission Licht und Laser befehligte, als wäre sie damit groß geworden. Ramiel hatte in den Höhlen durch Schockwellen die Wände zum Einstürzen gebracht und mittlerweile war eine deutliche Tendenz zur Kontrolle von seismischen und akustischen Schockwellen erkennbar. Raphael konnte eine ungewöhnliche Strahlung erzeugen, in dessen Feld die Wundheilung von menschlichen und husrischen Probanden beschleunigt wurde. Bei Penuel waren sich die beiden noch nicht sicher, ob sie ebenfalls eine besondere Fähigkeit hat, mal abgesehen von der Tatsache, dass sie atemberaubend schön ist und wann wäre so ein Umstand im Angesicht des Feindes nicht nützlich. Bei Michael war man sich ebenso wenig sicher, aber er zeigte eine außergewöhnlich hohe Intelligenz, in diesem Ausmaß allerdings nicht mehr exakt messbar, aber vergleichsweise sogar noch etwas höher als die der übrigen Modifikanten. Die nächste Akte enthielt Gabriels Profil und beschäftigte sich hauptsächlich mit Erprobungen seiner Kraft. Muskeln, Knochenbau und -substanz waren derart verändert, dass sie ohne Probleme ein Vielfaches seines Körpergewichts bewegen und ertragen konnten. Zum Schluss öffnete er seine Daten und auch hier hatte er mit der Verschlüsselung der sensiblen Unterlagen keine Probleme. Der Inhalt war ebenso gehalten, wie der von Penuel und Michael, allerdings meinte Honta Ansätze aller Fähigkeiten der Anderen in seinen genetischen Informationen zu erkennen. Von seiner "Spur" wussten sie nichts, aber für Asrael fingen die Sequenzen seines genetischen Codes an, ein Bild zu ergeben, dass er ohne weiteres lesen konnte. Dort meinte er tatsächlich den Ursprung für seine besondere Fähigkeit entdeckt zu haben. Sie lag in der Nähe seiner genetischen Dispositionen der anderen Fähigkeiten, deren Veranlagungen wahrscheinlich auch vereinzelt, aber dafür ausgeprägter in den restlichen Modifikanten zu finden waren. Er sah weitere Bilder, die einen scharf und unmissverständlich, wie die physischen Eigenschaften und phänotypischen Merkmale seiner Person, aber auch einige verschwommene und unklare Bilder, deren Bedeutung er nicht direkt deuten konnte. Er verschaffte sich einen Überblick, um das Gesamtkunstwerk "Asrael" zu bestaunen. Eine komplexe Skulptur mit Vernetzungen und Verzweigungen bot einen majestätischen Anblick. Die Geometrie seiner Persönlichkeit harmonierte ideal mit seiner wohl proportionierten Physis. Fast glaubte er die grandiose Ordnung der Vollkommenheit vor sich zu haben, als etwas, mehr aus den Augenwinkeln heraus, dieses Bild störte. Versuchte er es zu fokussieren, verschwand es und doch konnte er sich dieses Eindrucks nicht erwehren.


Keine Ruhe


Ben, Uriel und Raphael kehrten nach 19 Stunden Arbeit wieder zurück. Die vergangenen Tage waren hart und forderten von Ben ihren Tribut. Er fiel ohne eine Vorstellung von Zeit und Raum in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung. Ob es gerade Morgen, Mittag oder Abend war, hätte er nicht beschwören wollen, denn noch dämmerte die ewige Nacht des Alls über ihm. Sie waren wieder beim Observatorium gelandet und hatten dem Kurator im Prytaneion berichtet. Danach hatten sich Uriel und Raphael verabschiedet und Osande hatte ihn mitgenommen. Wo er sich jetzt befand war ihm unbekannt und egal. Auch träumte er nichts und wachte zwar erholt, aber irgendwie verloren wieder auf. Als sich von seinem Bett aufrichtete erkannte er erst nach einigen Minuten das Domizil seines Mentors. Die elegante Einrichtung wurde von einer oszillierenden Wellen-Projektion an der Wand eingerahmt. Das gleichförmige auf und ab passte zur restlichen Möblierung, die ebenfalls geschwungene Formen aufwies. Eine bleiche und zusammengesackte Version von Osande saß am welligen Tisch und beobachtete ihn neugierig.

"Wieder auf den Beinen?", fragte Inidi.

"Ich glaube, soweit bin ich noch nicht. Vielleicht noch ein, zwei Minuten, dann werde ich es Mal versuchen." Ben rieb sich seine Augen und massierte sein Genick. Er hatte allmählich eine Vermutung, wer ihm da gegenüber saß. "Du möchtest bestimmt wissen, wie sie sich geflogen hat, oder?"

"Bin ich so leicht zu durchschauen? Um ehrlich zu sein, ich beneide dich um deinen Flug. Zu schade, dass ich leider verhindert war."

Bei diesen Worten fiel Ben wieder ein, was Inidi erlebt haben muss und blickte ihm fragend in seine getrübten, schwarzen Augen. "Wie geht es dir überhaupt? Man erzählt sich, dass du ein ziemliches Abenteuer durchgemacht hast. Warst du wirklich im Tempel als die Fremden dort einbrachen?"

"Ja, aber ich möchte noch nicht darüber reden, den für mich war es weniger ein Abenteuer, sondern eher ein Albtraum." Ben schluckte und kam sich so unsensibel vor. "Mich würde allerdings wirklich interessieren, wie meine Inidium sich nach so vielen Jahren geschlagen hat."

"Nun ja, wir haben sie vorher eingehend durchgecheckt und das einzige was nicht mehr funktionierte, war die Tarnvorrichtung. Dafür habe ich ihr einen eigenen Schutzschild eingebaut, der sich auch gleich beim ersten Mal bewährt hat." Inidi blickte ihn neugierig zu und bedeutete ihm fort zu fahren. Ben berichtete ihm von ihrer Mission, dem aufregenden Gefühl beim Start und dem Adrenalinstoß, als die Achaten das Feuer eröffneten. Inidis schwarze Augen wurden feucht und eine greifbare Sehnsucht lag im sternenverklärten Glitzern seiner Augäpfel. Nachdem alle Satelliten ausgesetzt waren, hatte der Schutzschild erfolgreich seinen Dienst aufgenommen und brummt seit je her munter vor sich hin, auch wenn davon im All nicht viel zu hören sein dürfte. Ben versicherte Inidi, dass sein Raumschiff keinen Kratzer abbekommen und sich tadellos benommen hatte. Der erschöpfte Jofaide sank zufrieden in seinen Sitz zurück und schien schon wieder in den Weiten des Weltraums unterwegs zu sein, als er ganz unvermittelt seine Gedanken wieder an Ben richtete.

"Was glaubst du, warum unsere Freunde vom Mond zu Besuch gekommen sind?"

"Keine Ahnung, wir haben zwar mit ihnen gesprochen, doch ihre Antworten waren eher kryptisch. Sie haben etwas gesucht, aber was genau und woher sie davon wussten, haben sie uns nicht verraten."

"Irgendeine Vermutung?"

Ben ahnte, dass Inidi selbst schon eine Vermutung oder sogar einen begründeten Verdacht hatte, es aber noch nicht aus zu sprechen wagte. "Nicht wirklich. Einer von ihnen hat angedeutet, das die Jofaiden etwas von den restlichen Ketari verheimlichen, etwas, dass mit eurem hohen Alter zu tun hat. Ich habe schon mit Osande gesprochen, aber auch er kann sich das nicht erklären."

"Ich verstehe." Aber was genau er verstand, war für Ben nicht ersichtlich. Inidi schien das aber nicht zu stören. "Warst du schon einmal in der Vorhalle des Tempels?"

"Aber natürlich, jeder Einwohner Hantikors kennt die Halle."

"Weißt du auch was es mit ihren Skulpturen auf sich hat?"

Ben verneinte das und allmählich ging diese Unterhaltung in eine äußerst interessante Richtung. Als Jugendlicher war er oft in der Vorhalle gewesen. Es gab große Feste und im Sommer bot sie angenehme Kühlung vom heißen Sonnenschein. Jedes Mal, wenn er einen Jofaiden auf die Bedeutung der Sphäre und den im Kreis stehenden Statuen angesprochen hatte, war die einheitliche Antwort, dass deren Bedeutung niemand mehr so genau wisse. Es war ein Denkmal aus grauer Vorzeit, ein archäologisches Relikt, aber die Aussage war in Vergessenheit geraten.

"Wusstest du, dass die zweite von rechts gleich hinter dem Torbogen mich darstellen soll. Sieht wesentlich besser aus als ich. Gut ich gebe es zu, da war ich auch um die 20000 Jahre jünger. Das waren vielleicht Zeiten sage ich dir."

"Du? Vor 20000 Jahren?"

"Oh, ich rechne immer noch mein Alter in der Zeitrechnung unseres Ursprungsplaneten, aber eigentlich macht das nach Jahren des Ketar ca. 160000 Jahre."

Die Jahre waren Ben egal, er war hier ganz dicht dran an dem vergessenen Geheimnis des Denkmals und es verursachte ein Kribbeln in seiner Magengegend. "Dann weißt du auch, was diese Sphäre in der Mitte bedeutet?"

Ben konnte es nicht fassen. Seine Neugier brachte ihn fast um den Verstand und nur langsam Begriff er, dass das Denkmal und die Achaten in irgendeinem Zusammenhang stehen mussten. Inidi ging nicht direkt auf seine Frage ein und nahm Ben noch einmal mit auf seinen Spaziergang durch die Höhlen, vorbei an der Bibliothek und seiner Nase folgend Richtung Kammer. Die unschönen Details und Umstände seiner Traumatisierung schnitt er nur leicht an, aber es tat ihm offensichtlich gut, sich einiges davon von der Seele zu reden. Die Schilderung dauerte schon eine halbe Stunde, als er endlich auf den Kern zu sprechen kam.

"Das Archiv in der Kammer enthält tatsächlich einige Geheimnisse, von denen wir Alten euch Husru und Menschen nichts erzählt haben. Vieles davon hat sich zu getragen, ehe eure Art in diesem Entwicklungsstadium existierte. Die Szene in der Vorhalle spielte zu einer Zeit, da wussten wir Jofaiden noch nicht einmal von Ketar und seinen wilden Bewohnern. Die meisten der Jofaiden, die dort oben im Kreis stehen, leben heute in der Abgeschiedenheit und begnügen sich mit Meditation und Spaziergängen."

"Und wovor mahnen nun eure Statuen?" Ben heilt sich eigentlich für einen geduldigen Zuhörer, aber Inidi gab sein Wissen nicht kampflos Preis.

"Nun diese Geschichte, die große Katastrophe, handelt von unserem Ursprungsplanet Krepi. Die Umstände und Hintergründe lagen gespeichert auf einem Kristall in der Kammer des Tempels und auf diesen Kristall hatten es die Eindringlinge abgesehen. Nachdem was du mir erzählt hast, kann ich mir aber auch nicht vorstellen, wieso sich unsere Freunde vom Mond dafür interessieren sollten."

"Ist das die Bedeutung der Skulpturen in der Vorhalle? Sie warnen vor dem Schicksal von Krepi oder sollen sie uns ermahnen es nicht zu vergessen?"

"Beides natürlich. Krepi war einst ein Planet, doch nach der großen Katastrophe war er nur noch ein unbewohnbarer Klumpen Geröll. Schuld daran waren unsere Überheblichkeit und unser Leichtsinn. Aber glaube mir, bis zum heutigen Tag hat kein Jofaide vergessen, was damals geschehen ist und das Wissen darum ist zum Glück nicht verloren."

"Was meinst du damit? Haben die Achaten den Kristall denn nicht mitgenommen oder zerstört."

"Zum Glück nicht. Ich konnte ihn in Sicherheit bringen."

Ben überlegte, wie ein einzelner, unbewaffneter, alter Jofaide einer kleinen Armee von schießwütigen Achaten den Kristall einfach entwenden konnte, aber er spürte, dass genau dieser Umstand auch Inidi zu schaffen machte und er ließ es dabei bewenden.

"Weißt du Ben, wir kamen nach Ketar, um hier Ruhe zu finden von den schrecklichen Ereignissen auf Krepi, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass die Vergangenheit uns eingeholt hat."


Der zweite Kontakt


Jubilee schwebte durch den Weltraum, ohne die Hilfe von Raumschiff, Raumanzug oder Sauerstoff. Sie besah sich die blaue Kugel des Ketar und bekam Heimweh. Eigentlich hatte sie geplant, erst so viele Informationen wie möglich aus der Distanz zu sammeln. Dann war ihr Raumschiff ausgefallen und sie musste auf dem Haget notlanden. Die Reise war lang und ungewiss gewesen und so hatte das Raumschiff schon einiges durchgemacht, ehe sie das Geminisystem erreicht hatte. Wie sich herausstellte hatten aber die primitiven Einwohner des Haget mehr Informationen, als sie selbst wussten. Jubilee hatte schnell erkannt, dass es sich bei der Legende des Alten Schin, um einen Jofaiden handeln musste. Dieser hatte vermutlich nach Ankunft der Jofaiden auf diesem Mond sein eigenes Experiment fortgesetzt und seiner Schöpfung nicht erzählt, dass er auf dem Planeten neben an, kein Gott oder Magier, sondern ein ganz gewöhnlicher, sterblicher Wissenschaftler war. Vielleicht unwesentlich weniger sterblich, als die Hageten, aber seine zugeschriebenen Kräfte waren ohne Ausnahme das Wissen und die Technik einer weiterentwickelten Spezies. Sie hatte sich mit Mira Cordurium angefreundet und war von ihrer aufkeimenden Intelligenz inmitten dieser primitiven Zivilisation fasziniert. Ihre Einsichten waren profund und sie selbst hielt ihr eigenes Volk für viele Erkenntnisse noch nicht bereit. Wie recht sie damit hatte, wurde durch Gungmar und Konsorten bewiesen und Jubilee hatte immer noch ein schlechtes Gewissen. Sie hatte anscheinend zu durchschaubare Fragen gestellt und war bei der Sicherung ihres Raumschiffes nachlässig gewesen. Die Jofaiden hielten es wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Nichteinmischungspolitik in Bezug auf ihren Mond und sie hatte das Gleichgewicht gestört und den Hageten Technologie zur (unfreiwilligen) Verfügung gestellt, deren Entdeckung ihrer ethischen Entwicklung vielleicht noch etwas Zeit gegeben hätte. Doch die Ereignisse ließen sich nicht rückgängig machen und sie war nicht den weiten Weg gekommen, um ohne Antworten wieder zu verschwinden.
Kurz vor dem Kraftfeld hielt sie an. Die Idee war nicht schlecht, zeugte aber nicht unbedingt von der diplomatischen Finesse einer überlegenen Zivilisation. Jubilee konzentrierte sich auf das Zentrum eines zusätzlichen Organs in ihrem Gehirn und teleportierte sich auf die andere Seite des Schutzschildes. Diese Kurzstreckenteleportation, kam dank ihrer Fähigkeit zu fliegen selten zum Einsatz, aber sie hatte sich schon oft bewährt. Sie flog wieder in die Richtung des größten Kontinenten, dorthin, wo sie beim letzten Mal Gungmar vor seinem nicht ganz unverdienten Tod gerettet hatte.

Im Prytaneion gab es auch nichts Neues. Der Sekretär des Kurators war mit der Befragung der gefangenen Invasoren beauftragt worden. Mehr als ein verächtliches Grunzen und in den seltensten Fällen sogar einen Namen hatte er während seiner unbeholfenen Verhöre nicht erfahren. Mittlerweile saßen die 11 Fremden schweigend in einem, zur Zelle umfunktionierten, Büro und wurden von den nicht weniger Unheimlichen Modifikanten bewacht. Diese lösten sich stündlich ab und hätte der Kurator ihm nicht versichert, dass es nur sieben gab, dann hätte er irgendwo vor den Toren Hantikors ein ganzes Lager vermutet. Irgendwie sahen sie alle gleich aus. Auch bei den Husru und vorher schon bei den Menschen hatte der Sekretär seine Schwierigkeiten gehabt diese ungewohnte Physiognomie zu unterscheiden und seine Angestellten im Büro des Kurators verwechselte er mit sturem Desinteresse. Seine Arroganz hatte ihn zusätzlich träge gemacht und die Aufregung der letzten Tage waren Gift für seine Nerven gewesen. Als dann die Normalität fast schon wieder eingekehrt war, kam mitten am helllichten Tag die nächste Irritation aus dem Observatorium vermeldet. Die Person, die den Invasoren im Raumschiff zur Flucht verholfen hatte, war nach Hantikor unterwegs. Der Kurator war nicht auffindbar und den zwei Wachen der Gefangenen sah man an, dass sie lieber ausrücken wollten, als hier untätig herum zu sitzen. Der Sekretär schrieb es ihrer implantierten Gehorsamkeit zu, dass sie ihren Posten noch nicht verlassen hatten, um gegen dieses Wesen, angeblich eine Frau, in den Krieg zu ziehen. Die Panik der Anwesenden verschärfte sich, als Osande aus dem Observatorium verkündete, dass ihr Kurs derzeit genau auf das Prytaneion zielte. Viele der beunruhigten und immer noch verschreckten Hilfskräfte des Kurators, suchten das Weite und verließen das Büro. Das Chaos nahm überhand und der Sekretär verbarrikadierte sich in seinem Zimmer. Hinter seinem Schreibtisch lag der Eingang zu den Räumen des Kurators, die den ganzen Vormittag verlassen gewesen waren. Jetzt klang ein hektisches Poltern durch die Tür und der Sekretär fürchtete schon die Fremde zu erblicken, als er die Tür ein Spalt weit aufzog. Zu seiner Erleichterung war es lediglich der Kurator, der seine Schränke in aller Eile durchwühlte.

"Ihr wisst, dass wir angegriffen werden?", fragte der Sekretär vorsichtig an.

"Aber natürlich, ich war gerade in einer Besprechung, als man uns informierte. Ihr habt sicherlich die Evakuierung des Prytaneion veranlasst, oder?" Sein missmutiger Blick ließ kein Nein als Antwort gelten. Der Sekretär nickte lediglich stumm und wollte sich schon wieder aus dem Büro zurückziehen, um sein Versäumnis nach zu holen - aber die meisten waren sicherlich schon Hals über Kopf geflohen - als der Kurator ihn zurück rief.

"Ihr bleibt bei mir. Ich werde euch an meiner Seite brauchen, denn entweder brauchen wir einen Zeugen für die Verhandlungen oder für den feigen Angriff auf unbewaffnete Zivilisten."

Der Sekretär schluckte schwer, doch bevor ihm vollends unwohl werden konnte, schickte ihn der Kurator nach den Wachen und Gefangenen zu sehen.

"Es werden bald weitere Modifikanten hier eintreffen", rief der Kurator ihm noch hinter her, aber der Versuch ihn dadurch wieder etwas zu beruhigen missglückte.

Der Kurator hatte sich gerade wieder dem Balkon seines Büros zugewandt, als er beinahe über seinen Schreibtisch vor Schreck zurück ins Zimmer fiel. Auf dem Balkon war sein Besuch bereits eingetroffen und starrte ihn abwartend mit ihren blauen Augen an. Ihre weißen Haare wehten im Wind des obersten Stockwerks und ihre Kleidung war fremd und irgendwie Fehl am Platz. Sie trug ein einfaches, ärmelloses Hemd, eine eng anliegende Hose und Stiefel, aber etwas in ihren Augen sagte dem Kurator, dass, ihrem Äußeren zum Trotz, eine ernst zu nehmende Protagonistin den Raum betreten hatte. Sie taxierten sich noch einige Augenblicke bevor dem Kurator bewusst wurde, in welcher Gefahr er sich hier Mutterseelen allein befand.

"Keine Sorge, Jofaid. Ich bin nicht hier, um Vergeltung oder Feindseligkeiten zu verüben. Ich möchte reden und, wenn möglich, einige Missverständnisse aufklären."

Die Stimmung im Büro entspannte sich kaum spürbar, aber der Kurator schickte in Gedanken nach seinem Sekretär und einem Sprecher, der seine telepathischen Worte aussprechen würde.

"Das wird nicht nötig sein, denn im Gegensatz zu euren Gefangenen bin ich der Telepathie mächtig."

"Dann seid ihr keine Bewohnerin des Mondes?"

"Unsere Wege haben sich nur zufällig gekreuzt. Ich komme von weiter her und habe vor diesem System schon auf anderen Planeten nach euch gesucht."

"Ihr habt nach den Ketari gesucht, was ist es, das ihr von uns wollt?"

"Nicht die Ketari, die Jofaiden habe ich gesucht und dabei habe ich euren Mond zuerst gefunden. Leider kam es dort zu Missverständnissen, die zu den unglückseligen Vorfällen der letzten Tage geführt haben."

"Ihr seid uns Ketari, uns Jofaiden also nicht feindlich gesinnt?"

"Nein. Ich suche lediglich ein paar Antworten. Ihr könnt also eure Leibwächter wieder zurück schicken."

In diesem Moment trat der Sekretär im Schatten der zusätzlich eingetroffenen Modifikanten ein und blickte fragend zwischen der Frau und dem Kurator hin und her. Ramiel und Penuel hielten ihre primitiven Waffen auf Jubilee und warteten auf irgendein Zeichen von Asrael. Dieser stand ganz ruhig an ihrer Seite. Sein Schwert hatte er nicht gezogen, denn er wusste, dass für den Kurator keine Gefahr drohte. Allerdings war er fasziniert von der Frau oder besser dem Mädchen, dass ihren ersten Einsatz nicht zu einem vollkommenen Erfolg hatte werden lassen. Von ihr ging keinerlei Spur aus, was ihn ein wenig verunsicherte. Von allen anderen im Raum konnte er die nächsten Schritte und Aktionen eindeutig vorhersehen, aber sie blieb ein versiegeltes Buch für ihn.

"Ihr werdet hier nicht gebraucht", wandte sich der Kurator mit einer erklärenden Handbewegung an die Modifikanten, "Kehrt zurück zu den Gefangenen, außer dir Asrael. Dich hätte ich gern hier, sagen wir, als eine Art Versicherung. Und meinen Sekretär werde ich womöglich auch gebrauchen können. Ist das für euch in Ordnung?"

Das Mädchen nickte zustimmend und Asrael gab die Befehle des Kurators an seine Leute weiter. Er konnte zwar die telepathischen Worte nicht verstehen, doch war er mittlerweile ganz gut darin, den Jofaiden von den Augen ab zu lesen und ihre Körpersprache zu deuten. Er hoffte, dass Honta und Gin dieses Defizit bald auf genetischem Weg beheben würden, denn sonst musste er sich selbst um diesen entscheidenden Nachteil in der Kommunikation kümmern.
Als sie unter sich waren, streckte Jubilee die Hand aus.

"Ich heiße Jubilee. Mit wem habe ich das Vergnügen?"

"Ich bin der Kurator von Hantikor, mein Name ist Bondise. Mein Sekretär und mein, äh, Leibwächter, wie ihr euch ausgedrückt habt."

Jubilee folgte Bondises Fingerzeig und schenkte den halbherzig Vorgestellten ein Lächeln.

"Wie also können wir euch behilflich sein?"

"Nun, lasst mich als erstes erklären, was es mit diesen Hageten auf sich hat."

"Wer?"

"Eure Gefangenen. Ich musste auf ihrem Planeten, eurem Mond, notlanden. Die Hageten nahmen mich freundlich auf und als ich anfing mich nach Ketar zu erkundigen, schienen sie tatsächlich das eine oder andere über euch zu wissen. Leider müssen sie meine Fragen dahingehend gedeutet haben, dass die Jofaiden hier auf diesem Planeten das Geheimnis ihrer Langlebigkeit oder vielleicht sogar ihrer Unsterblichkeit versteckten. Es handelt sich hier allerdings um einen einzigen Stamm, einen kriminellen Klan, der in meiner Abwesenheit mein Raumschiff und meine Pläne des Tempels gestohlen haben. Ich versichere euch, dass die restliche Bevölkerung des Haget friedlicher Natur ist und die Schandtat ihrer Landsleute verachtet."

"Ich verstehe, allerdings ist das doch lächerlich. Das Geheimnis der Jofaiden und unsere angebliche Unsterblichkeit. Diese Idee hatten sie wirklich nicht von euch?"

"Nun ja, ich suchte nach Wesen, die aus Sicht der Hageten wesentlich höher entwickelt und langlebig waren, aber wie gesagt, es handelt sich ohne Zweifel um ein Missverständnis."

"Und was sucht ihr im Tempel der Jofaiden und woher habt ihr Pläne unseres Tempels, wenn ich fragen darf?"

"Pläne für diesen Tempel und euren ungefähren Aufenthaltsort hattet ihr doch zurückgelassen."

Der Kurator brachte nur ein sehr zögerliches "Wo" heraus, aber Jubilees Erwiderung sollte ihn noch nicht vollständig von den Füßen werfen.

"Ich war auf Krepi bzw. dem, was davon übrig ist. Eigentlich hatte ich nur nach ein paar Kristallen der Menschen gesucht, die dort einst gelebt haben, aber ich fand auch alte Aufzeichnungen und diese haben mich mehr oder weniger direkt zu euch geführt."

"Die Kristalle wurden doch zerstört? Was hattet ihr damit vor?"

Panik schnürte nun dem Kurator allmählich sein Bewusstsein ab und der Sekretär beobachtete ihn äußerst besorgt.

"Die genauen Umstände konnte ich auch nicht nachvollziehen, deswegen wollte ich euch eigentlich um eure Aufzeichnungen aus dem Tempel bitten. Ich hatte gehofft, etwas mehr über meinen Ursprung zu erfahren, den ich durch meine Nachforschungen immer mehr mit den Menschen auf Krepi in Verbindung gebracht habe."

"Du bist ein Mensch von Krepi?". Dem Kurator und dem Sekretär waren alle Farbe aus ihren grauen Gesichtern gewichen und das Entsetzen war unübersehbar.

"Ich glaube nicht. Ich komme von der Erde. Trotzdem weise ich zu meiner persönlichen Überraschung mehr Ähnlichkeiten mit den Menschen von Krepi auf."

Diese Überraschung gab dem Kurator nun aber den Rest und er fiel bewusstlos von seinem Stuhl.

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Tag der Veröffentlichung: 21.01.2010

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