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In der Geschichtsschreibung Ketars, war soeben das erste Kapitel der Gewalt geschrieben und geschlossen worden. Die meisten Bewohner der evakuierten Stadtteile kehrten in ihre Häuser zurück, denn das Raumschiff der Invasoren hatte unseren Planeten verlassen, das Lager und die Rauchsäule - als untrügerisches Zeichen ihrer Anwesenheit - waren ebenfalls verschwunden. Die jofaidischen Priester machten sich an die Aufräumarbeiten, denn ihr Tempel hatte schwer gelitten. Für den Kurator hatte sich wieder einmal alles gefügt. Zwar war er etwas unglücklich mit den Methoden, zu welchen gegriffen wurde, dafür waren sie aber erfolgreich gewesen. Das gentechnische Komitee bedauerte zwar den Verlust des Krepi-Kristalls, aber der Kurator glaubte nicht so recht, dass die Achaten den Kristall besaßen. Man hatte weitere schwarze Blutflecke auf dem "Weg des Lichtträgers" gefunden. Dieser Weg zweigte nur kurz vor der Öffnung am Gipfel des Zarfet ab und führte zurück zur Vorhalle des Tempels. Das bedeutete, dass der gekidnappte Jofaide entkommen konnte und - verständlicher Weise unter Schock - vergessen hatte sich zu melden und den Kristall zurück zu geben. Es würde sich aber sicherlich noch ergeben, das tat es schließlich immer. Die Spekulationen über ein Ungeheuer, welches in den Höhlen des Tempels hauste, teilte er auch nicht. Sicher hatten die Eindringlinge selbst Schuld an den schrecklichen Vorfällen im Untergrund.
Die Wissenschaftler in der Sternennadel - einschließlich Gin und Honta - hatten alle Hände voll zu tun. Es gab Unmengen an Daten auszuwerten und ihre Modifikanten hatten einige nicht erwartete Fähigkeiten offenbart, die es zu analysieren und später zu katalogisieren galt. Besagte Modifikanten hatten das Feuer in den Tunneln gelöscht, einige der blockierten Gänge wieder freigelegt und die Gefangenen Achaten ins Prytaneion gebracht, wo sie immer noch von ihnen bewacht wurden. Das Raumschiff mit Gungmar, Kungot und Bens Engel war wieder auf dem Achat gelandet und Osande ließ sich erst vom Teleskop auf seinen Stuhl zurückfallen, als er nach einigen Stunden sicher war, dass sie nicht nur auftankten, mehr Leute auflasen und wieder aufbrechen würden. Außerdem hatte es zu schneien begonnen. Der Schneesturm zog über Hantikor und bedeckte ihre frischen Wunden mit einem weißen Pflaster. Ben starrte aus dem Fenster, als ob er durch das graue Rauschen den Mond bzw. das Geschöpf erkennen konnte, dem er nur einige Meter vom Observatorium entfernt begegnet war. Er hätte eigentlich an den Vorbereitungen für den Transport der Satelliten in ihre Umlaufbahn arbeiten sollen, aber das Wetter würde den Start der Inidium ohnehin verzögern. Stattdessen dachte er an ihr weißes Haar, ihre blauen Augen, ihre Bewegungen im Flug und das ungebändigte Temperament, das er spürte, als er versucht hatte mit ihr in telepathischen Kontakt zu treten. Sie war anders als die Achaten, vielleicht von einer anderen Welt, so unbeschreiblich schön und faszinierend. Der Umstand, dass sie niemanden getötet hatte, sondern lediglich die Modifikanten zurückgedrängt hatte, machte sie ihm umso sympathischer und bestärkte ihre Andersartigkeit im Vergleich zu den Achaten. Ihr Erscheinen war so surreal gewesen, dass Ben sich lange Zeit wieder in einem seiner Tagträume wähnte und sie nun ausschließlicher Inhalt eben dieser geworden war. Vergessen waren die Mission der Achaten, das Geheimnis der Jofaiden und der verbleib von Honta und Inidi.


Inidis Irrfahrt


Inidi war zwar mit dem Leben davon gekommen, doch sein Verstand hatte schwere Verluste hinnehmen müssen. Seine Erinnerungen waren vage und die emotionalen Eindrücke schockierend. Hatte es schon gebrannt als er im Tunnel einen blockierten Durchgang wieder aufgebrochen hatte? Hatte der Fremde auf ihn gewartet oder war er zurückgekommen, als Inidi sich an der Blockade zu schaffen gemacht hatte? War es ein Mensch oder ein Husru oder irgendetwas anderes? Hatte er gesprochen oder gleich auf Inidi geschossen? Alles war möglich, nichts war wirklich. Nur der verzweifelte Versuch eine Schockwelle zu generieren war ihm ins Gedächtnis gebrannt. Beim ersten Mal geschah nichts und der Fremde legte bereits - wieder? - auf ihn an. Panisch mobilisierte er so viel Telekinese wie möglich, doch ein schwacher Windstoß war das einzige Ergebnis. Der Fremde hielt kurz inne, bedachte Inidi mit einem fragenden Blick und schritt dann weiter auf ihn zu. Mit letzter Kraft sammelte er seine verbliebene Konzentration, fokussierte das Zentrum seines Gegenübers und brach mit der Kraft des in die Enge getriebenen Opfers seinen letzten Angriff los. Das Resultat konnte er ganze 10 Minuten lang nicht verarbeiten oder einordnen. Der Fremde war verschwunden, der Geruch merkwürdig nass und seine Sicht hatte sich in ein anderes Farbspektrum verschoben. Benommen lief er näher an die Wand heran, wo vorher noch der Fremde mit seiner Waffe gestanden hatte. Ein glitschiger Film bedeckte den Stein und als die Erkenntnis endlich durchsickerte, wurde im Übel. Jofaiden haben keinen Mund und nehmen keine zu verdauende Nahrung auf, aber er wusste jetzt was wohl in den Menschen und Husru vorging, wenn sie sich übergeben mussten. Seine Eingeweide waren in heller Aufregung und wollten diesen niederträchtigen Jofaiden verlassen. Sie versuchten es in alle Richtungen und woher Inidi die Kraft nahm weiter zu laufen, wusste er auch nicht. Er betrachtete sich selbst von der Decke des Tunnels, schleichend, ein Häufchen Elend. Plötzlich erkannte er eine der Vorkammern und blieb stehen. Sein Körper hatte das aber nicht mitbekommen und trottete weiter, von einer Vorkammer in eine Benachbarte. Irgendwann fand er sich plötzlich im Archiv. Der Raum war voll gestellt mit Tischen und Lesegeräten für die Kristalle. Er selbst war hier schon einige Male gewesen und hatte sich an den Legenden und Geschichten der frühen Äonen erfreut, doch jetzt befanden sich hier Unbefugte, die einen Kristall nach dem anderen in Lesegeräte schoben. Er wusste, dass der kostbarste und heikelste Besitz der Kristall von Krepi war und er genau in der Mitte des Archiv auf einem einzelnen Ständer lag, doch dieser war jetzt leer und Inidi konnte den Inhalt gerade auf einem Lesegerät in der Nähe aufleuchten sehen. In diesem Augenblick hatten die Fremden ihn allerdings auch bemerkt. Ohne Gefühlsregung und Anlaufschwierigkeiten wischte er diese Mal 3 der Eindringlinge kurz hinter einander weg. Die anderen gingen in Deckung, Inidi schnellte zum Lesegerät, zog den Kristall heraus, warf mit einer Schockwelle ein halbes Dutzend Schreibtische in alle Richtungen und nutzte die Ablenkung, um in eine der Vorkammern zu fliehen. Sein Ich - den Körper immer noch gut von der Decke im Blick - hatte Mühe ihm zu folgen. Die Invasoren hatten da weniger Probleme. Schnell schlossen sie auf und Inidi bemerkte wie der Weg deutlich steiler wurde. Jofaiden sind nicht die besten Sportler, aber leicht und halbwegs flink wenn es die Situation erfordert. Der Tunnel beschrieb eine Spirale, die sich durch den Berg nach oben schraubte und bot somit Inidi hinter der andauernden Biegung etwas Schutz vor Beschuss und Splittern. Kamen sie doch zu nahe, kam er nicht umhin sie mit gezielten Schockwellen - er wurde in dieser Disziplin immer besser - zurück zu halten. Als der Gang sich in eine geräumige Höhle von beträchtlicher Länge öffnete, glaubte er sich schon verloren, doch er rannte weiter. Der Kristall in seiner Hand fiel im wieder ein. Sollte er ihn zerstören, bevor er den Falschen in die Hände fällt? Vielleicht verstecken, aber wo? Das Ende der Höhle lag in unerreichbarer Ferne, als er bedrohlich nahe Schüsse wahrnahm. Es wurden immer mehr, als auch immer mehr der Fremden in der Höhle angekommen war und der Beschuss immer dichter. Der Kristall wurde ihm beinahe aus der Hand geschlagen. Als er sich seine Hand betrachtete, sah er, dass die Ursache eine tiefe Wunde am linken Unterarm war. Zu seiner Verwunderung blutete sein rechtes Bein nicht weniger, aber wann das geschehen sein mochte, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären. Er schleuderte ein paar Geröllsplitter am Boden der Höhle mit seinen telekinetischen Kräften Richtung Verfolger und ging in Deckung, um die Verletzungen zu begutachten. Hinter einer Felsengruppe verließen ihn seine Kräfte und er ergab sich seinem baldigen Ende. Sie würden vielleicht noch ein oder zwei Minuten brauchen. Sie würden vorsichtig sein und er sich auch nicht kampflos ergeben, aber den Kristall sollte er vorher noch zerstören. Er ließ ihn in seiner Hand schweben und suchte gerade nach einer schönen Stelle an der gegenüberliegenden Wand, um die brisanten Informationen zu zertrümmern, als die Geräusche eines Kampfes am anderen Ende der Höhle ihn ablenkten. Als er zurückspähte sah er eine Gruppe von wiederum fremdartigen Wesen, die seine Verfolger in eine blutige Auseinandersetzung verwickelte. Ohne ihnen weitere Beachtung zu schenken, setzte er sich wieder in Richtung Ausgang in Bewegung. Nach einiger Zeit vernahm er hinter sich wieder lauter werdende Anzeichen eines Kampfes, aber vermutlich waren auch seiner Verfolger nun auf der Flucht. Dann erkannte Inidi wohin der Weg führte und die Angst, er könnte eine der Gruppen zu seinem Bruder führen, ließ ihn wieder erstarren. Sollte er hier warten und sie aufhalten? Hatte er eine realistische Chance? Nein. Aber wenn sie seiner Spur von schwarzen Bluttropfen folgen sollten, dann weg vom Ausgang. Er erkannte einen Abzweig, eindeutig der "Weg des Lichträgers" zurück zur Vorhalle des Tempels. Er warf sich hinein und stolperte diesmal wieder abwärts.


Handschriften


Später fand man Inidi mit blassem Gesicht und schwarzen Tränen in der Halle der Inidium wieder. Osande war binnen Minuten vor Ort, um seinen Bruder zu trösten. Lange Zeit sagte keiner von beiden etwas und erst als sie ein ruhiges Zimmer in der Sternennadel gefunden hatten und Inidis Gesicht gesäubert und seine Wunden verbunden waren, schaffte er es zwei Sätze zu sagen. "Ich fühle mich so elend" und "Ich bin müde." Osande verstand und brachte ihn in sein Domizil. Er hatte befürchtet, dass Inidi in den Höhlen gewesen war und glaubte zu wissen, dass er auf die Invasoren gestoßen sein musste. Was genau geschehen war, würde ihm sein Bruder erzählen, wenn er den Schock wenigstens halbwegs überwunden hatte. Schon der Umstand, dass er Heil dort rausgekommen war, beruhigte Osande und war ihm genug. Jetzt mussten zu aller erst Inidis Wunden heilen, denn er war von dieser Tragödie körperlich und seelisch schwer gezeichnet, was ihn an die Handschrift der Katastrophe von Krepi erinnerte.


In Bens Kopf wollte sich schon seit geraumer Zeit eine Erkenntnis bezüglich jüngster Ereignisse ihre Bahn brechen, doch konnte sie gegen das beharrliche ignoriert werden auf Grund eines gewissen "Engels" nichts ausrichten. Erst als Ben müde wurde, brach der Widerstand. Er durchlebte im Fastschlaf die Ereignisse, der letzten drei Tage. Der Tagtraum, der Realität wurde. Die Ankunft der Achaten. Das Kraftfeld. Der Tempel der Jofaiden. Der Kurator. Die Unterhaltungen am Lager der Achaten. Die geheime Mission. Der Beschuss der Satelliten. Die Aufregung am Observatorium als das Raumschiff Kurs auf sie nahm. Die fremden Krieger. Der Engel, aber bevor dieser sich richtig manifestieren konnte, stutzte Ben, als sein Unterbewusstsein besagte Erkenntnis mit einem Vorschlaghammer an ihren vorgesehenen Platz rückte. Er war plötzlich wieder vollkommen wach. Diese Handschrift hätte ihm schon viel früher bekannt vorkommen sollen. Aus dem Nichts auftauchende, silberne Krieger mit antiken Waffen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren dies Hontas kalligraphische Ausprägungen und nun wusste er auch, wo sein Freund zu finden war. Er machte sich durch das Schneegestöber auf Richtung Sternennadel und bemerkte nicht einmal, dass sein Mentor ebenfalls das Observatorium verlassen hatte.


Für Honta waren die Stunden nach der Niederschlagung der Invasion gefüllt mit niemals enden wollenden Besprechungen, Analysen und Papierkram. Zum Glück konnte er einiges an Berichten und Auswertungen delegieren, da er sich bei den anderen Wissenschaftlern als einer der Leiter und Urheber dieses Projekts etabliert hatte, aber es gab noch so viel unbekannte Variablen, die während der Modifikation in aller Eile einfach angenommen oder interpoliert worden waren, dass sie jetzt ein genetisches Konstrukt vor sich hatten, das unzählige Fragen aufwarf. Durch die erfolgreiche Erprobung in Form des ersten Einsatzes der Modifikanten hätten ihre ursprünglichen Lösungen, Antworten auf die unbekannten Variablen aufweisen müssen, doch das Genom sah jetzt - nicht einmal 24 Stunden später - anders aus, als sie es entworfen hatten. Ihr Design war geradlinig und ohne Frage ein Geniestreich gewesen, aber was Honta hier vor Augen hatte, war viel eleganter und lebte durch seine Multidimensionalität, die Gin und er eigentlich versucht hatten, zu vermeiden. Verschränkte Abhängigkeiten von genetischen Informationen wären viel zu komplex für die Arbeit von einem einzigen Tag gewesen und ihr Resultat war sauber und überschaubar. Die Handschrift eines erfahrenen Genetikers war so offensichtlich, dass Honta vermutete, jemand hatte mit seiner Schöpfung gespielt. Trotz dieser Kränkung kam er nicht umhin, die Schönheit der Sequenzen zu bewundern. Jede einzelne Zelle besaß in ihrem Erbgut eine derart natürliche Geometrie, dass hier wahrlich ein Meister seines Fachs am Werk gewesen sein musste. Auf dem Bildschirm auf seinem unaufgeräumten Schreibtisch liefen drei DNA-Sequenzen parallel. Links die von Asrael im ursprünglichen Entwurf, in der Mitte die aktuelle Version und rechts seine eigene zum Vergleich. Alle drei sahen sich ähnlich und waren doch von Grund auf verschieden. Hontas Doppelhelix war typisch für einen Menschen und seine Aminsosäuresequenzen unauffällig, ebenso wie die von Asrael, nur das es hier einige leuchtende Bereiche gab, die Stellen markierten, die von Gin und Honta modifiziert waren. Die Anordnung in der Mitte leuchtete komplett und nur wenige Kombinationsabfolgen kamen Honta bekannt vor. Zwei Bereiche hatte sein Suchalgorithmus rot leuchtend markiert und Honta ließ sich diese mit Verknüpfungen zu seiner und Asraels Original-DNA anzeigen. Er kam nicht drauf, wofür diese Bereiche zuständig waren. Der Abschnitt auf seinem eigenen Gen war eher unspektakulär. Er kannte seine eigene DNA recht gut, da sie im Studium neue Erkenntnisse und Untersuchungen an ihrem eigenen Erbgut durchgeführt hatten, aber dieses Gen war dabei so gut wie nie aufgetaucht. Trotzdem sagte es ihm irgendetwas und als er sich zurücklehnte, um nachzudenken, trafen sich seine und Bens Blicke.

Ihre Begrüßung war herzlich und alles andere war plötzlich nicht mehr so wichtig oder schlimm. Wann genau sie sich das letzte Mal gesehen hatten, wussten beide nicht mehr und schon allein die Ereignisse der vergangenen drei Tage standen für eine kleine Ewigkeit.

"Hast du nicht ein paar Eindämmungsfelder zu reparieren?", stichelte Honta mit einem breiten Grinsen. Ben stellte ein gekränktes Gesicht zur Schau und musste aber augenblicklich wieder lachen.

"Dieser Kurator hat mich vielleicht aufgeregt mit seinem "Eindämmungsfeld". Aber woher weißt du denn, dass ich daran arbeiten müsste?"

"Als würden wir uns nicht lang genug kennen? Außerdem erwähnte der Kurator die rege Beteiligung des Observatoriums und da war mit alles klar."

"Das kann man von mir nicht behaupten. Uns gegenüber war der gute Kurator eher verschlossen, was ihr hier so in der Sternennadel treibt, ganz zu schweigen, dass ich keine Ahnung hatte, dass du jetzt hier arbeitest."

"Ich war rein zufällig hier, als das alles passierte und seit diesem schicksalhaften Tag hab ich mich vor lauter Arbeit kaum retten können. Tut mir Leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe."

Ben stieß seinen Freund in die Seite, "Ist ja nicht so, dass ich mir Sorgen gemacht hätte. Nur etwas Angst, dass du das ganze Ereignis vielleicht verschläfst." Woraufhin er diesmal einen Schlag auf den Arm abbekam.

"Und hat man jetzt ganz Ketar von seiner glorreichen Armee und ihrem rettenden Sieg berichtet?"

"Nein und ich glaube, der Kurator wird das auch nicht an die große Glocke hängen. Ich hab nur etwas gebraucht, um deine Waffe der Wahl auch zu erkennen, nachdem ich sie in Aktion gesehen hatte."

"Du hast sie gesehen? Warst du auch in den Höhlen?"

"Zum Glück nicht, aber als das Raumschiff der Achaten seine Leute auflesen wollte und einen unfreundlichen Empfang erhielt, hab ich sie nicht gleich erkannt."

Honta musste schmunzeln. Er kannte seinen besten Freund wie einen Bruder und wusste was geschehen war.

"Lass mich raten. Du warst ein wenig abgelenkt." Er deutete auf eine große Leinwand hinter Ben die eine Serie von mehr oder weniger scharfen Schnappschüssen der Helmkameras zeigte. "Ich wette, dass unser Überraschungsgast dir den Kopf verdreht hat. Ben antwortete nicht gleich und konnte sich gerade so einen verliebten Gesichtsausdruck verkneifen.

"Wisst ihr etwas Genaueres über sie?"

"Absolut nichts, aber wir vermuten, dass sie auch deine Satelliten zerstört hat, da die Energiesignaturen mit denen bei ihrem Angriff auf unsere Modifikanten übereinstimmten."

"Modifikanten? Hatten wir nicht immer etwas blumigere Namen bevorzugt. "Letzte Instanz von Ketar", "Die Interventoren" oder "Armee der Schatten". Ich bin neugierig, sind sie hier?"

"Nein, sie bewachen die Gefangenen Achaten - den Begriff haben wir hier übrigens bereits adoptiert. Dort drüben stehen ihre Inkubatoren und an den Bildschirmen siehst du ihre Details."

"Asrael, Michael? Wer hat sich diese Namen ausgedacht? Soviel Phantasie hab ich dir gar nicht zu getraut."

"Das war ich auch nicht. Der Chefgenetiker der Jofaiden hat sie sich ausgedacht. Gin Hazaget ist jetzt so etwas wie mein Mentor. Zusammen haben wir es wirklich innerhalb von einem Tag geschafft sieben Freiwillige in eine unbesiegbare Armee zu transformieren."

Ben sah sich die Bilder und Eigenschaften der Modifikanten näher an und nickte anerkennend.

"Keine implantierten Waffen?"

"Eigentlich nicht, aber bei ihrer Mission haben sie ein paar außerordentliche Fähigkeiten gezeigt."

"Du meinst sie entwickeln zusätzliche Kräfte?"

Honta wusste, was sein Freund damit meinte und plötzlich flackerten ein paar Lichter in seinem Kopf auf. Natürlich, sie entwickelten sich, und nun ergab dieser eine Bereich auf ihrer DNA endlich Sinn. Schon in Gedanken rief er Ben zu, er wolle ihm etwas zeigen.

"Siehst du diese Sequenz. Die stammt zum Beispiel weder von mir oder Gin, aber plötzlich ist sie einfach da und mit ihr hat sich die gesamte Struktur der DNA innerhalb weniger Stunden weiterentwickelt. Normaler weise ist dieser Bereich mehrere Seiten lang und mit scheinbar nutzlosen Kombinationen gefüllt, wie eine Art Platzhalter. Hier allerdings sind diese Leerstellen ausgelassen und das ganze Gen stark verkürzt worden." Ben hörte den Ausführungen geduldig zu, auch wenn er nicht alles verstand und noch keinen Schimmer hatte worauf sein Freund hinaus wollte.

"Und siehst du dieses Stück hier. Es ist normalerweise kürzer und dafür zuständig, dass die DNA nach ihrer Vervielfältigung auf Mutationen geprüft und korrigiert wird. Ich glaube, dass es jetzt eher die Aufgabe hatte Mutationen auszulösen, diese sogar beschleunigt und sortiert, welche davon nützlich sind und behalten werden."

"Heißt das, dass die Modifikanten sich nach belieben weiterentwickeln können?"

"Nicht nach belieben, aber sie erfahren Evolution am eigenen Leib in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit. Wenn sie also auf Schwierigkeiten stoßen, könnten sich ihre Gene vermutlich innerhalb von wenigen Stunden einfach anpassen. Ist das nicht faszinierend?"

Ben musste seinem Freund zustimmen und wusste, dass Honta für sein eigentliches Anliegen keine Zeit haben wird.

"Honta, eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mich in den Weltraum begleiten willst?"

Honta verstand nicht gleich worum ihn sein Freund gebeten hatte, da er über seine eigene Entdeckung noch völlig aus dem Häuschen war.

"In den Weltraum? Weshalb und vor allem wie willst in den Weltraum fliegen?"

"Wir müssen die zerstörten Satelliten ersetzen und den Schutzschild um Ketar ausbauen. Ich dachte mir, dass du so ein Gefährt wie die Inidium sicherlich fliegen kannst."

Das Funkeln in Hontas Augen verriet, dass er es konnte und wollte. "Tut mir Leid, Ben. Liebend gern würde ich dich in Ketars Umlaufbahn fliegen und zusammen auf eines unserer Abenteuer gehen, aber ich muss das hier Gin zeigen und die vor uns liegende Arbeit hat sich soeben noch ein paar Stockwerke höher gestapelt."

"Ich versteh das, aber auf jeden Fall wollte ich dich gefragt haben."

"Wenn du allerdings einen Piloten brauchst, wüsste ich da jemanden für dich. Nimm einen der Modifikanten, oder besser zwei oder drei. Du wirst vielleicht Schutz brauchen, wenn die Achaten einen neuen Angriff starten oder dieses weißhaarige Mädchen wieder auftaucht."

Dass Ben insgeheim darauf hoffte, wussten sie beide.

"Zu meinem Schutz und als Garantie, dass sie die neuen Satelliten nicht gleich wieder abschießen, hab ich mir schon etwas einfallen lassen."


Die zweite Reise der Inidium


Uriel und Raphael sollten Ben begleiten. Innerhalb eines kurzen Briefings waren sie mit ihren Aufgaben und der Steuerung der Inidium vertraut. Ben erfuhr von Osande, dass er seinen Bruder gefunden hatte und vermutlich von den Ereignissen in den Höhlen des Zarfet schwer traumatisiert war. Damit würde er ihnen mit seiner Erfahrung nicht zur Seite stehen können, aber eine dreiköpfige Crew war für das zum Großteil automatisierte Raumschiff genug und das Aussetzen und Positionieren der Satelliten würden die Computer übernehmen. Millimeter für Millimeter öffneten sich die gewaltigen Tore des Sternennadel. Zuerst nur ein leuchtender Schlitz, schon bald ein klaffender Spalt, der den Blick auf das Innere der großen Halle im Erdgeschoss freigab. Die gute Nachricht war, dass mittlerweile 5 Satelliten einsatzbereit waren, womit sich zumindest ein brauchbares Interim aufbauen ließ. Sie befanden sich im Observatorium und Ben beschloss dort hin zu fliegen, sobald er ein paar Vorkehrungen an der Inidium getroffen hatte. Dort würden sie die Satelliten aufnehmen und zur zweiten Mission der Inidium starten. Das Wetter war immer noch seine größte Sorge und ohne die nötige Erfahrung wollte er nichts riskieren. Es hatte zwar wieder einmal kurz aufgehört zu schneien, aber der Wetterbericht verhieß nichts Gutes.

Ben saß gerade im Cockpit der Inidium. Ein strahlendes Weiß dominierte die Einrichtung und der Ledersessel fühlte sich sehr bequem an. Die Luft war etwas abgestanden gewesen, da die Inidium in letzter Zeit nur selten Passagiere begrüßte, aber als die Systeme hochgefahren waren und der verantwortliche Techniker der Sternennadel alles überprüft hatte, wurde die Luft von den immer noch einwandfrei funktionierenden Lebenserhaltungssystemen ausgetauscht und war umgehend wieder frisch und geruchsneutral. Er hatte das meiste verstaut, als der Techniker wieder ins Cockpit kam.

"Ich war grad Mal draußen, um mir das Spektakel aus etwas Entfernung zu betrachten. Ich steh da so und die Tore sind nach zehn Minuten immer noch keine zwei Meter weiter, als - sie werden's mir nicht glauben - aber plötzlich stand da eine Frau, oder eher ein Mädchen hinter mir und hat mich nach Ihnen gefragt. Wie alt sie ist, konnte man nicht so genau erkennen, da sie weiße Haare hatte, aber sie hat mir das hier gegeben."

Voller Verblüffung nahm Ben dem Techniker die Nachricht aus der Hand, schlug den Zettel auf und las in geschwungener Schrift nur diese vier Wörter:

-

Wir sehen uns.
Jubilee

-

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.01.2010

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