Mag sein, dass ich nicht ganz unvoreingenommen bin, aber Ketar ist ein Planet erlesener Schönheit und Harmonie. In seiner Geschichte finden sich große Architekten unserer Gesellschaft, Kultur und Städte. Zusätzlich scheint er begünstigt durch die evolutionären Voraussetzungen eines sich selbst erhaltenden und regenerierenden Ökosystems, das in seiner natürlichen Ausgeglichenheit nicht durch die Anwesenheit der drei intelligenten Arten der Ketari - Husru, Jofaiden und Menschen - beeinträchtigt wurde. Ich bin ein Ketari. Ich bin Teil dieser ausbalancierten Welt.
Diese so ausgeprägte Harmonie wurde von uns Ketari nie in künstlich und natürlich unterschieden. Selbstähnlichkeit und Kontinuität schienen allen Lebewesen inne zu wohnen. Das Bedürfnis des gegenseitigen Wohlergehens war allem Anschein nach unumstößlich in der Natur und den Lebewesen verankert.
Umso verwirrender war für alle Beteiligten der Verlauf der Geschichte mit dem Beginn des Zeitalters des Krieges – Krieg, ein Wort das von uns erst im Nachhinein für besagtes Zeitalter erfunden wurde.
Zuvor gab es natürlich auch Auseinandersetzung zwischen Ketar und seinen Bewohnern im Bemühen um das jeweilige Überleben. Die Ketari passten sich an, lernten im Einklang mit ihrer Umwelt zu leben oder wurden Symbiont, statt Parasit. Streitigkeiten zwischen Ketari und Ketari gab es selbstverständlicher Weise auch, doch diese gipfelten in Kompromissen, einem Vergleich oder andersgearteter Versöhnung, die oft von beiden Seiten angestrebt wurde. Diesen Umstand verdanken wir zu einem nicht unerheblichen Teil dem positiven Einfluss der Jofaiden. Würden sie heute nicht mehr unter den Ketari weilen, wären sie längst ins Reich der Mythologie als Höhere Wesen oder Lichtbringer eingegangen. Sie wären die Antagonisten der Formlosen.
Die Jofaiden
Die Jofaiden scheinen fremd in Ketar. Groß und grazil, sternenverklärt und still, intelligent und irritierend ist ihr Wesen. Während Menschen Ähnlichkeiten in anderen Säugetieren und die Husru bei ihren Verwandten den Amphibien finden, so sind Jofaiden ohne ihresgleichen.
Ihr Ursprung ist ungeklärt, doch wer kann es den Ketari verübeln, sich nie mit ihren Anfängen beschäftigt zu haben, da sie noch nie mit ihrem möglichen Ende konfrontiert worden sind.
Unsere Kultur ist geprägt vom Ethos der Jofaiden. Ihnen Verdanken wir unser Verständnis vom Sinn des Lebens und des Todes, ihre Philosophie der sich bedingenden Gegensätze und das Wissen um die Vorteile der Harmonie in unseren Beziehungen untereinander und zu unsrem Lebensraum. Jofaiden sind Telepathen und diese Fähigkeit erlernten auch Menschen und Husru durch ihre Bemühungen. Telepathie ist ein integraler Bestandteil unserer Kommunikation und Technik. Sie gründet auf der jofaidischen Maxime, dass drei Dinge heilig und somit primäre Indikatoren unserer Gesellschaft sind. Erstens das Leben, zweitens das Wissen, welches uns das Leben in Harmonie ermöglicht und drittens die Gedanken, die in ihrer singulären Reinheit Lebenselixier der dynamischen und organischen Weisheit aller Ketari sind.
So kommt es, dass unsere Technologie erstens das Leben aller unterstützt und niemals ersetzt, zweitens ein Netzwerk des gesammelten Wissens von Ketar ist und drittens von unseren Gedanken kontrolliert und gesteuert wird.
Jofaiden sind Geschlechtslos, kennen keine Hierarchie oder Klassen und scheinen ein genetisches Unvermögen in Bezug auf Gewalt und Unaufrichtigkeit zu besitzen.
Mit diesen Grundlagen für unsere Gesellschaft war beständiger Frieden ebenso allgegenwärtig wie Toleranz und Fortschritt.
Der Planet Ketar
Dieser Fortschritt wuchs zusammen mit Ketar. Die drei Kontinente – der Große Kontinent, der Graue Kontinent und die Steininseln – beherbergen 2 Milliarden Lebewesen. Der Große Kontinent bietet den meisten Ketari Lebensraum. Das Klima der bei weiten größten Landmasse ist annähernd überall angenehm und die Vegetation fruchtbar. Die Städte sind weitläufig und grün. Sie ähneln eher bewohnten Parkanlagen, bewachsen mit monumentalen Bauten aller Epochen. Die Hauptstadt Hantikor befindet sich unweit der westlichen Küstenlinie des Großen Kontinents. Sie schmiegt sich an die Hänge der Zarfetketten im Westen und Norden und Überblickt die ausgestreckte Uhube-Ebene im Osten. Nähert man sich dieser Metropole von Süden, beginnen sich unter die welligen Ausläufer der Berge hügelförmige Gebäudekomplexe zu mischen, fest verwachsen in einer brandenden Landschaft. Bald steigt das Gelände und Alkoven öffnen sich wie Poren aus dem Berg. Mit wachsender Höhe erstrecken sich nun auch Hantikors Türme als Fortsätze der Klippen und Felsen in die Höhe um zu guter Letzt einen letzten Pfad zu erklimmen, der zu einem kleinen, scheinbar verlassenem Kuppelbau führt. Das Observatorium tront auf dem Gipfelgrat des Hochmassivs. Es wacht mit einem Auge über die pulsierende Stadt und mit dem anderen über einen Mond auf seiner Umlaufbahn um Ketar.
Ein Mond ohne Namen. Die anderen Monde von Ketar heißen Rang, Ian, Nar und Mar, doch dieser Mond – der größte und von Ketar am weitesten entfernt – hat aus Rücksicht auf seine Bewohner keinen Namen. Der Einfachheit halber möchte ich ihn Achat nennen. Mit seinen stufenartigen Farbverläufen vom Ozean in Küstennähe von Schwarzblau bis gänzlich Weiß und den durch Erosion entstandenen Terrassen der Gesteinsformationen von Dunkelbraun bis hin zu hellem Rosa funkelt er beschienen von unserem zentralen Doppelgestirn wie ein runder Quarz, der in der Schwerelosigkeit verloren ging. Sicherlich haben Achats Bewohner einen eigenen Namen für ihren Planeten, doch beschränkt sich unser Wissen über eben diese Bewohner auf Beobachtungen durch das Observatorium auf dem hohen Zarfet. Nicht, dass die Ketari kein Interesse an ihren Nachbarn hätten, doch wurde einst in einer Abstimmung auf allen drei Kontinenten über das telepathische Netzwerk entschieden, dass unser Mond solange ohne Namen bleibt bis dessen Bewohner ihn uns selbst sagen können. Dabei bleibt auf deren Entwicklung zur raumfahrtfähigen Spezies zu warten, denn obwohl wir selbst sie jeder Zeit hätten aufsuchen können, schien es angebracht sie ebenfalls die notwendigen Entwicklungen durchlaufen zu lassen, um sie nicht dieser Möglichkeiten zu berauben, aus ihrem persönlichen Fortschritt zivilisatorische Erfahrungen zu sammeln. In unserer weisen Arroganz sollten wir vom Universum dafür bestraft werden. Die Geschichte beginnt vor meiner Zeit, aber ich kenne sie besser, als jeder andere Ketari, denn vor Kurzem ist sie zu meiner Geschichte geworden. Bis die Geschichte an diesem Punkt angelangt bin ich lediglich der Erzähler, denn wer ich bin und dass es mich eines Tages geben wird, würde zu viel vorwegnehmen.
Ben und Honta
Ben ist ein Husru. Seit seiner frühen Kindheit wünschte sich Ben nichts sehnlicher als den Achat zu besuchen. Er und sein Freund Honta – ein Mensch – träumten von ihrem großen Abenteuer. Sie wollten Raumfahrer werden, mit knapper Not der Schwerkraft Ketars und anderen Havarien entkommen, um fremdes Land und fremde Lebensformen zu entdecken und erforschen. Sie zeichneten Skizzen ihres Raumschiffs, malten sich abenteuerliche Szenarien aus, retteten die ihnen bekannte Welt und hübsche, fremde, weibliche Lebewesen aus den Gefahren die in den Tiefen des Alls nur darauf lauern, dass sich unerschrockene Helden aus dem Schutz ihres natürlichen Lebensraumes begeben.
Mit den Jahren nahm ihr Traum in Form von Studium und Ausbildung Gestalt an. Jedoch wesentlich unspektakulärer als erwartet. Honta schloss sein Studium der Genetik nach ein paar vergeblichen Semestern der Quantenphysik ab und wurde anschließend Pilot einer Lufttransportlinie in Hantikor – er nannte sich selbst einen Busfahrer. Ben studierte Astronomie, um letztendlich im Observatorium zu arbeiten. Der Weltraum mit seinen unbekannten Weiten existierte zwar für sie noch immer, doch schien er für die restlichen Ketari keinen all zu großen Reiz auszuüben. So wurde der Traum allmählich ersetzt durch den Alltag, das Abenteuer mit Realität und die Heldentaten durch Notwendigkeiten des Erwachsenwerdens, auch wenn sich die beiden damit noch nicht ganz abgefunden hatten.
Ben ist ein Husru und Praktikant am Observatorium. Gern hätte er stundenlang die Oberfläche des Achats betrachtet, nach um Hilfe winkenden Achaten Ausschau gehalten oder nach einer Möglichkeit gesucht, um mit ihnen zu kommunizieren, doch sein Aufgabenbereich beschränkte sich auf Archivieren bereits vorgenommener Beobachtungen durch seinen Mentor Osande Kilion. Osande ist ein hagerer und sich nur äußerst bedächtig bewegender Jofaid. Da Jofaiden nur telepathisch kommunizieren können, war es die meiste Zeit recht ruhig im Observatorium. Während Osande also routinierte Abläufe ab arbeitete, blieb Ben oft mit seinen Gedanken allein und war die meiste Zeit unterwegs auf einer seiner Abenteuer zum Achat. Heute begann seine Phantasie mit einer großen Explosion auf dem Mond, welche mit bloßem Auge von Ketar aus gesehen werden konnte. Die Achaten waren in heller Aufregung. In seiner Vorstellung nahmen sie Gestalt an in Form von humanoiden Insektoiden. Spinnenartige Unterleiber mit menschlichen Oberkörpern wuselten durch seinen Kopf. Die Explosion hatte verheerende Vulkanität auf dem Achat ausgelöst und einige schafften es den trotz brodelnder Lavaströme und pyroklastischen Niederschlägen sich zu den Raumschiffen durchzuschlagen, die in unterirdischen Bunkern zur Evakuierung bereitstanden.
Nun sah er vor seinen Augen eines dieser Shuttle einen Kurs Richtung Ketar einschlagen, in der Hoffnung dort Zuflucht oder gar Hilfe für ihren Heimatplaneten zu finden. Ben sah es förmlich vor sich wie er die Nachbarn auf ihrem ersten Besuch entdeckt. Im Observatorium war schließlich der beste Ort dafür. Ein sich näherndes Objekt würde auf den Schirmen des Meteoritenwarnsystems erscheinen. Er hatte nichts Besseres zu tun als den lieben langen Tag auf diese Anzeigen zu starren. Und dort war nun dieses Objekt, dass sich Ketar nähert. Zu langsam für einen Meteoriten und trotzdem mit direktem Kurs auf den Großen Kontinenten. Ben wähnte sich in einer luziden Traumphase, das blinkende Signal direkt vor seinen Augen, das Geräusch der sich ausrichtenden Teleskope, um das sich nähernde Objekt zu identifizieren und die Anfrage des Computers ob Meteoritenabwehrende Maßnamen eingeleitet werden sollen, bis ihn der telepathische Ruf seines Mentors gleich einer Kopfnuss vom Gegenteil überzeugte.
„Ben!“ rief Osande. Sein Mentor hatte sich von seinem Sitz auf der anderen Seite der runden Halle erhoben, sich lautlos angeschlichen und Ben ein wenig unsanft geweckt. Ben vernahm ihn laut und deutlich. Sie standen sich einander gegenüber und doch kam Osandes Stimme aus Bens Hinterkopf bzw. scheinbar von einem Ort noch ein kleines Stückchen hinter seinem Hinterkopf gelegen.
„Wach auf! Es scheint ein Meteorit möchte dein Nickerchen stören.“ Hätten Jofaiden Münder, hätte man Osande lächeln gesehen, so wusste jedoch nur jemand gewöhnt an ihren Umgang, dass ein verräterisches Zwinkern seine glitzernden Augen umspielte.
„Aber es ist zu langsam für einen Meteoriten.“ Ben hörte sich dieselben Worte aus seinem Tagtraum sprechen und war etwas verwirrt wie ein zurückspringender Ball zwischen Wachen und Träumen. Fast wollte er nach draußen laufen, um nach Spuren der großen (erträumten) Explosion auf dem Achat zu suchen, als die Teleskope endlich ein Bild lieferten, welches Ben fürchten ließ, dass er doch wieder in seinen Traum abgeglitten war.
Ein Raumschiff näherte sich Ketar. Eine unförmige Tonne. Ohne Bezugspunkte war die Größe schwer abzuschätzen, doch das Meteoritenwarnsystem kam seiner Aufgabe nach, das Projektil mit Kollisionskurs zu vermessen und zu analysieren. Laut Computer war es 20 Meter lang, knapp 10 Meter im Durchmesser. Allerdings war besagte Tonne unförmig und nicht ganz rund, sondern an einer Seite etwas abgeplattet, vermutlich die Unterseite des Gefährts. Die Außenhaut bestand laut Analyse aus 90% Aluminium und ein paar weiteren Verunreinigungen. Immer noch blinkte die Anfrage nach Gegenmaßnahmen.
„Was meinst du, Ben? Wäre es unhöflich unsere Besucher mit dem Traktionsfeld für Meteoriten zurück in den Weltraum zu schleudern? Ja? Dann sei so gut und deaktiviere doch bitte die Automatik.“
Hätte Ben hellseherische Fähigkeiten besessen, dann wäre es vielleicht nie zum Zeitalter des Krieges gekommen, er hätte endlich seine ersehnte Heldentat vollbracht und genug seines erträumten Abenteuers erlebt. Von den bevorstehenden Ereignissen wusste Ben allerdings nichts und sein Abenteuer im Kopf hielt noch an der Phantasie der um Hilfe ersuchenden Nachbarn fest.
„Willkommen auf Ketar.“
Während Ben noch einen telepathischen Gruß Richtung Raumschiff sandte, musste sich sein Freund Honta der nicht minder erfreulichen Aufgabe widmen, den Postboten zu mimen. Normalerweise transportierte er wissenschaftliche Ausrüstung für ein renommiertes Labor seiner Universität, bei welcher er nun Angestellter war. Vom Teilchenbeschleuniger und Fusionsreaktor bis hin zu Nanoakkumulatoren und medizinischen Kleinstrobotern beförderte er alles was zu teuer oder gefährlich für den gewöhnlichen Transportservice wäre. Es machte im Spaß so mit der akademischen Welt in Kontakt zu bleiben und über deren neusten Spielzeuge stets auf dem Laufenden zu sein, so sehr, dass er darüber schon beinahe wieder vergaß, dass er sich in naher Zukunft endlich einen richtigen, seiner Qualifikation angepassten Job suchen musste. Die Gesellschaft sah in den Menschen die Zuverlässigen und Arbeitswütigen, in den Husru die Innovativen und Anpassungsfähigen und in den Jofaiden die Schöngeistigen und Philosophen. Von ihm wurde also erwartet sich demnächst produktiveren Gefilden zuzuwenden, um sich in das produzierende Rückgrat der ketarischen Gesellschaft einzugliedern. Der Abenteurer in ihm wehrte sich strikt, aber das bescheidene Einkommen als Busfahrer für teures Spielzeug untergrub seine aufbegehrende Entschlossenheit.
Das er jetzt sogar den Postboten für einen Assistenzprofessor der Universität spielte, lag daran, dass dieser ihn fürstlich entschädigte (seine Pläne für ein warmes Abendbrot waren damit gerettet) und er das Gebäude der Heimat aller ketarischen Astronomie schon seit langem wieder einmal besichtigen wollte.
Der Architekt hatte wohl eine den Himmel stützende Säule im Sinn, als er das bis heute höchste Gebäude von Hantikor ersann. Fast einen Kilometer schraubt sich die Säule in den Himmel und endet somit fast auf Augenhöhe mit dem Observatorium. Ihre Basis ist eine Fortsetzung der höchsten Erhebung, die den Ausläufern der Zarfetkette vorgelagert ist. Ein einsamer Wachturm der das Tor zur Hauptstadt des Großen Kontinenten im Blick behält. Die Basis bildet eine riesige Halle, in welcher sich heute das erste und einzige Raumfahrzeug der Ketari befindet. Benannt nach ihrem jofaidischen Konstrukteur steht die Inidium in Form eines Ellipsoids und ihrem größten Ausmaß von 50 Metern dort recht verloren. Die innere Kuppel der Halle hat an sich schon einen Radius von 500 Metern. Zu welchem Zweck dieses Bauwerk ursprünglich vorgesehen war, weiß heut niemand mehr, doch in dieser Epoche bieten die weiteren Kuppelhallen meist über den gesamten Durchmesser der Säule Raum für Planetarien in denen von etlichen Schulklassen bestaunt werden kann, was die Inidium auf ihrer Odyssee zur Vermessung dieses Sonnensystem herausgefunden hat. Doch außer besagten Schulklassen verirrt sich sonst niemand in die Sternennadel. Nur ganz oben sind zwei Stockwerke für eine handvoll Wissenschaftler reserviert, die hier anscheinend vergessen von der Welt an Gesteinsproben und der Auswertung der erfassten Daten der Inidium ihre helle Freude hatten, die niemand sonst zu teilen schien.
Honta wollte gerade Ben fragen, wen er denn mit „Willkommen auf Ketar“ meine – bei guten Freunden, die zusammen aufgewachsen sind, ist es nichts Ungewöhnliches, dass ihre telepathische Verbindung so stark geworden ist, dass sie einander über große Entfernungen hören können – als jemand aus der Tür gestürmt kam. Vollkommen ignoriert und beinahe überrannt wich Honta mit knapper not einem panisch dreinblickenden Etwas aus. Ob die sich rasch entfernende Erscheinung ein Mensch oder Husru gewesen war, hätte er beim besten Willen nicht sagen können. Auf jeden Fall war es kein Jofaide mit ihrer typischen Gemächlichkeit. Etwas benommen spähte er durch die offen gebliebene Tür in den dahinterliegenden Saal. Irgendwo hier vermutete er den Adressaten seiner Postwurfsendung. Unzählige Arbeitsplätze. Schreibtische, Computer, Labortische, Schränke und große Bildschirme beherrschten das Bild. Doch erstaunlicher Weise war keine Menschenseele an ihrem Platz. Honta traute sich hinein und da keiner da war, der sich für ihn hätte interessieren können, schlenderte er weiter durch den Saal. Er ging vorbei an Bildschirmen mit Daten, Bildern und Diagrammen unseres Sonnensystems. Große Tafeln mit Formeln und Notizen scharrten konzentrische Stuhlreihen um sich. Hier eine Umlaufbahn, dort eine Analyse der Atmosphäre des vierten Planeten. Die Überreste eines unterbrochenen Pausensnacks kündeten vom überhasteten Aufbrechen, der hier normaler Weise arbeitenden Belegschaft. Aus einer Ecke des Saals, welcher an sich rund und Licht durchflutet durch Buntglasfenster in Rot und Gelb erstrahlte, erklang nun eine anschwellende Diskussion von mehreren Personengruppen. Das erklärte die allgemeine Abwesenheit und da sie sich hinter einem Halbrund von Raumteilern befanden, waren sie seiner ersten Betrachtung entgangen. Selbst telepathisch entstand ein reinstes Tohuwabohu das Gefahr lief die akustische Kommunikation zu übertönen. Bisher hatte Honta sich nicht auf den Sinn der Gespräche konzentriert, da er eigentlich nur schnell die Freundin des Assistenzprofessors finden wollte, für welche das als Geschenk verpackte Päckchen in seiner Hand gedacht war. Plötzlich verstand er jedoch ein einziges Wort, das ihn aufhorchen ließ. „Raumschiff“ und irgendwo noch „fremd“ und „vom Mond“. Beinahe hätte er laut aufgelacht und den Urheber dieses Scherzes gesucht, als ein Blick auf den Bildschirm genügte, um ihn sein eigentliches Vorhaben vergessen zu lassen. Die rotglühende Unterseite eines in die Atmosphäre eintreten Raumschiffes war erkennbar, eindeutig nicht von Ketar.
Der allgemeine Jubel verhallte, als die ersten Projektile aus den Waffen der Achaten den Anspruch ihrer Besitzer auf ihren Mond geltend machen sollten. Allem Anschein nach hielten sie Ketar für einen Mond, der den Achat umkreist, genauso wie das Doppelgestirn sich um Achat drehte und nicht umgekehrt. Offensichtlich lag bei ihren Astronomen noch einiges im Argen, was aber viel weniger Besorgnis erregend war, als der Fakt, dass sie immerhin den Weltraum erobert hatten und sich nun aufmachten „ihren Mond“ in Besitz zu nehmen. Und sie fingen mit Hantikor an. Ihr Raumschiff war innerhalb der Stadtmauern von Hantikor auf einer größeren Freifläche gelandet. Die Bürger in unmittelbarer Umgebung liefen zusammen um die Neuankömmlinge Willkommen zu heißen. Als die Schotten sich öffneten und ein paar Achaten ins Sonnenlicht blinzelten, erkannte man hominine Lebensformen und streckte zur Begrüßung die Hand, da sie offensichtlich nicht auf telepathische Grüße reagierten. Ihre Antwort kam überraschend und war eindeutig keine Fehlinterpretation der gereichten Hände. Obwohl ihre Sprache zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden wurde, sprachen ihre Waffen für sich. Sie kamen nicht in friedlicher Absicht und obwohl sich der Invasionstrupp aus gerade einmal 40 Mann zusammensetzte, ging die Zahl der Opfer schnell über die Hundert. Gewalt war den Ketari fremd. Aggressionen wurden in alter Tradition auf telepathischem Wege geregelt, ein Prozess der umfassenden Auseinandersetzung von Gefühlen und Beweggründen beider Parteien, der so gut wie immer auf eine umsichtige Lösung hinauslief. Später stellte sich heraus, dass es sich um einen geächteten Klan der Achaten handelte, der schon auf Ketars Mond für reichlich Blutvergießen gesorgt hatte und nun ein neues Gebiet für sich annektieren wollte, um so auch der Strafverfolgung auf ihren Heimatplaneten zu entgehen. An diesem Tag wusste aber niemand in Hantikor um die Hintergründe der einfallenden Horde. Nach anfänglicher Arglosigkeit, herrschte nun Angst und Unsicherheit. Die Ketari flüchteten in gesicherte Gebäude und Häuser weit weg vom Landeplatz und dem unrühmlichen Ort des Ersten Kontaktes. Später wurde diese Katastrophe dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Ketar und Achat nicht gerecht, da die übrige Bevölkerung des Mondes an sich friedliebend und neugierig auf ihre planetaren Nachbarn war. Doch nachdem die Aggressoren ihr Lager auf dem Feld neben ihrem Raumschiff aufgeschlagen hatten; gingen alle noch davon aus, dass bald mehr kommen würden und schlimmeres bevorstand.
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2009
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