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~Prolog~
-by Jule-
Niemand kann wissen, wie ich mich fühle.
Wirklich niemand. Vielleicht liegt das daran, dass ich mich keinen anvertraue.
Doch jemanden zu vertrauen ist so schwer für mich.
Manchmal wünsche ich mir, dass ich normal wäre.
Ich wünsche mir einfach nur ein ganz normales Leben, welches jeder andere auch hat.
Ist das zu viel verlangt?
Aber nein, das Schicksal meint es nicht gut mit mir. Das Schicksal meint es eigentlich nie gut mit mir. Das habe ich schon vor langer Zeit gemerkt.
Ich weiß, dass niemand mein Schicksal ändern kann. Und ich weiß auch, dass ich sterben werde.
Wie soll ich so noch leben können?
Wäre es nicht viel leichter, mein Leben einfach hier und jetzt zu beenden?
Ich müsste nicht leiden.
Ich müsste mir keine Gedanken mehr machen.
Ich könnte endlich frei sein.
Doch ich habe nun endlich einen Grund gefunden, für den es sich zu leben lohnt.
Einen Grund, für den es sich zu kämpfen lohnt.
Einen Grund, den ich über alles liebe und für den ich leben werde.
Und dieser Grund trägt den Namen John…

~Improbable~
-by Annika-
*Überarbeitung: Jule*
Ich rannte. Rannte einfach weg, von alldem hier. Ich wollte das nicht mehr. Es würde sowieso nichts bringen. Niemand konnte mir helfen. Die Ärzte sagten zwar immer, dass alles gut werden würde, aber das wurde es nicht. So sehr sie mich auch helfen wollten: Sie verschwendeten nur ihre Zeit. Und das wussten sie, aber sie wollten es sich nicht eingestehen. Sie wollte sich Hoffnungen machen. Doch diese Hoffnungen würden sich nicht erfüllen. Egal, wie viele Medikamente sie mir jemals geben würden. Egal, wie viele Therapien ich durchmachen müsste. Egal, wie lange ich in diesem beschissenen Krankenhaus versauern würde. Es würde alles mit einem enden: Meinem Tod.

Ich spürte ihn, bei jedem Schritt, den ich tat. Bei jedem Atemzug. Bei jedem Augenaufschlag. Einfach immer. Und ich merkte, dass er näher kam und dass niemand ihn aufhalten konnte. So sehr sich die Ärzte auch anstrengten. So sehr sie auch hofften. Mein Schicksal war besiegelt.

Völlig aus der Puste ließ ich mich auf den Boden sinken. Sie würden mich nicht finden. Ich wollte nicht, dass sie mich fanden. Es war besser für alle. Meine Familie… Sie sollten sich nicht Sorgen um mich machen. Sie sollten glücklich sein. Ihr Leben leben. Wenn ich es schon nicht konnte, sollten sie es wenigstens tun.

Mir war kalt und ich zitterte. Das dünne Nachthemd, welches mir die Krankenschwestern angezogen hatten, wehte im kühlen Wind. Ich war geflüchtet. Weggerannt. Weg von meiner Familie, vom Krankenhaus… Von all den Menschen, die mir und sich selbst falsche Hoffnungen machten. Ich wusste, wie aussichtslos diese Situation war. Mein Ende stand schon kurz bevor. Wieso sollte ich es also nicht vorziehen?

Meine Familie hatte sich wahrscheinlich schon damit abgefunden, dass sie nicht mehr lange etwas von mir hatten. Und sonst würde mich wohl niemand vermissen. Wirkliche Freunde hatte ich nicht. Nie gehabt. Einen festen Freund? Ha, schön wär’s. Wer sollte mich schon vermissen? Mich und mein Leben? Ich bestimmt nicht. Ich spielte schon lange mit dem Gedanken, es einfach hier und jetzt zu beenden.
Die Tränen rannen mir ungehalten über das Gesicht. Den Kopf hatte ich in meinen Händen vergraben. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sah. Ich schluchzte so laut und bitter, wie ich es nie zuvor getan hatte. Wen kümmerte das jetzt auch noch? Niemanden!

Die Gasse, in der ich mich befand war, außer ein paar Mülltonnen, menschenleer. Niemand war auf den Straßen unterwegs. Also, konnte mich auch keine Menschenseele hören. Ich füllte die Stille mit meinem Schluchzen. Und die Leere der Gasse mit meinen Tränen.

Lange saß ich so da, ohne mich auch ein einziges Mal zu regen, bis ich auf einmal einen leisen, erschrockenen Schrei hörte. Ich wollte wissen, von wem er kam, doch ich konnte mich nicht dazu überwinden, aufzuschauen. Also weinte ich einfach weiter. Lange Zeit passierte nichts, ich nahm also an, dass ich mich geirrt hatte. Doch plötzlich hörte ich Stimmen. Männliche Stimmen. Sie klangen entsetzt. Ich wollte wissen, wovon sie redeten, doch sie drangen nur verschwommen zu meinem Ohr vor. Es war, als würden die Tränen nicht nur meine Augen, sondern auch meine Ohren verschleiern.
Doch ich musste wissen, woher diese Stimmen kamen. Bildete ich sie mir vielleicht nur ein?

Es war schon öfter vorgekommen, dass ich Stimmen hörte, also wäre das nicht auszuschließen. Ich wollte nun wirklich meinen Kopf heben, doch ich schaffte es nicht. Ich brauchte es auch nicht…
Denn schon spürte ich eine Hand an meinem Kinn, die meinen Kopf anhob. Meine Augen hatte ich geschlossen.

“Hey,”, hörte ich eine helle Stimme sagen, “Was ist denn los?”
Die Stimme klang besorgt, doch sie beruhigte mich ungemein.
Schließlich zwang ich mich regelrecht dazu, die Augen zu öffnen. Die Person, in deren Augen ich sah, ließ mich für einen kurzen Moment zu Eis erstarren.

Ich konnte es nicht glauben, wer mir gegenüber stand, denn ich sah in die smaragdgrünen Augen von John Grimes. Dem Sänger von Jedward - meiner absoluten Lieblingsband. Seine hellblonden Haare hingen ihm locker in die Stirn. Er versuchte zu lächeln, doch seine Augen strahlten Besorgnis aus.

“J-J-John,”, stotterte ich überwältigt. Er nickte ernst und ich merkte, dass sein Zwillingsbruder Edward gleich neben ihm stand. “Wie heißt du?”, fragte er mich ruhig. “Mein Name ist Joan Gates,”, hauchte ich.
Ich habe Ebola und nur noch wenige Wochen zu leben, fügte ich in Gedanken hinzu, doch ich sprach es nicht aus.

~Identify~
-by Jule-
*Überarbeitung: Annika*
“Bist du von zu Hause weggerannt?”, fragte Edward. Ich nickte langsam.
Die Beiden mussten ja nicht gleich die Wahrheit erfahren.
Ich wollte sie nicht auch noch mit meinen Problemen belasten, obwohl dieses angebliche ’von zu Hause Weglaufen’ nicht einmal annähernd so schlimm war, wie das was ich durchmachen musste.
“Warum?” Ich zuckte zusammen, als John diese Frage stellte.
Schnell ließ ich mir einen neutralen Grund für mein Tun einfallen.
“Stress mit meinen Eltern.”, sagte ich schroff.
John schaute irritiert.
“Deswegen musst du doch nicht gleich weglaufen, Joan.”
Ich zuckte mit den Schultern.
Wenn er wüsste…
Edward packte mich am Arm.
“Also los!“, setzte er an, „ Wir bringen dich zurück, bevor es deine Eltern merken.”
Ich riss erschrocken die Augen auf und löste mich aus seinem Griff.
“Ich gehe nicht zurück!”, rief ich.
Edward und John schauten sich an. “Du kannst doch aber nicht die ganze Nacht hier draußen herumlaufen.” Ich schüttelte schnell den Kopf. “Macht euch um mich keine Sorgen. Ich komme schon klar.”
“Na, wenn du das sagst, dann-” “Auf keinen Fall! Dann schläfst du heute eben bei uns,” John schnitt Edward gekonnt das Wort ab.
Edward schaute ihn mit einem entsetzten Gesichtsausdruck an.
“Ich weiß nicht…”, gab ich schüchtern zurück.
John griff nach meiner Hand. “Bitte.”

Als wir bei dem Haus der Zwillinge ankamen, gab mir Edward ein altes T-Shirt von John.
Es ging mir ungefähr bis zu den Knien, weshalb es locker als Nachthemd durchging.
Es war viel besser als dieses blöde Krankenhausnachthemd. Und es roch unwahrscheinlich gut.
“Das Badezimmer ist dort drüben, falls du dich fertigmachen willst. Wir haben dir auch schon eine Zahnbürste hingelegt”, erklärte John.
Ich nickte nur und öffnete vorsichtig die Badezimmertür.
Ich putzte meine Zähne und hörte ab und zu das Gekicher der Zwillinge auf den Flur. Dieses Lachen verunsicherte mich ungemein, doch ich ließ mich nicht davon beirren.

“Fertig?”, fragte Edward, als ich zur Tür heraus kam.
Ich nickte stumm und legte mich sofort auf das Sofa. Langsam deckte John mich zu und legte seine Hand auf meine Stirn, doch er zog sie gleich wieder zurück und schaute mich entsetzt an.
“Joan, du bist feuerheiß!”, hauchte er.
Ich zuckte zusammen. “Das ist bei mir normal…”
Das hörte sich nicht einmal annähernd überzeugend an.
John schaute skeptisch, fragte aber nicht weiter nach.
Er war so unglaublich fürsorglich, obwohl er mich gar nicht kannte…
“Also, ich geh dann mal auf mein Zimmer!“ John riss mich aus meinen Gedanken. “Gute Nacht, Joan!”
“Gute Nacht,”, flüsterte ich heiser.

Ich wusste nicht, wie spät es war, als ich wieder diese üblen Magenkrämpfe hatte.
Ich ächzte und hoffte, dass mich die Zwillinge nicht hörten.
Blitzschnell stand ich auf und rannte ins Bad, dort öffnete ich den Klodeckel und fing hemmungslos an Blut zu erbrechen.

Mir war furchtbar schwindelig, als ich wieder zurück zum Sofa lief. Ich hörte Schritte, welche die Treppe herunter kamen und im nächsten Augenblick stand John vor mir und schaute mich mit einem fragenden Gesichtsausdruck an: “Was ist passiert?”
Zum Glück hatte ich meinen Mund so gut ausgespült, wie es ging und auf dem T-Shirt hatte ich keine Blutflecken hinterlassen.
“Nichts ist passiert. Du kannst also wieder schlafen gehen.”
Ich grinste schwach und legte mich auf die Couch.
Ich schloss die Augen und hörte John besorgt seufzen, bevor ich einschlief.

~I gotta go.~
-by Annika-
*Überarbeitung: Jule*
Am nächsten Morgen wurde ich von den lauten Stimmen der Zwillinge geweckt. Ich erkannte sie sofort und es hörte sich so an, als würden sie streiten.. Aber wieso?! Ich wollte nachsehen und schnellte in die Höhe, eindeutig viel zu schnell, denn mir wurde kurz schwarz vor Augen, sodass ich mich wieder auf das Sofa sinken ließ. Nach einigen Minuten versuchte ich es erneut, doch viel langsamer und schließlich schaffte ich es. Vorsichtig folgte ich den Stimmen und kam schließlich in der Küche an.

„Na wenn da nichts ist, wieso starrst du dann immer so?“

„Edward, das hatten wir doch gestern schon. Lass es einfach!“

„Erst, wenn du zugibst, dass ich recht hab!“

Ich räusperte mich ungewollt. „Oh Joan, haben wir dich geweckt?“, fragte John mich vorsichtig.

„Lenk nicht vom Thema ab, John!“

„Edward, jetzt sei doch mal ruhig!“

„Aber…“

„Edward!“, fauchte John ihn nun wütend an, sodass ich fast ein wenig Angst bekam. John schien das zu bemerken und sah mich besorgt an.

„Joan. Willst du vielleicht etwas essen?!“, meinte er schließlich ruhig und ehe ich etwas antworten konnte, schob er mir schon eine Schüssel mit Cornflakes hin.

Ich schüttelte den Kopf und schob die Schüssel von mir weg. „Ich hab keinen Hunger!“

„Aber du musst doch etwas essen“, John sah mich entsetzt an.

„Wenn ich doch aber keinen Hunger habe?!“ Betreten sah er auf den Boden.

„Dann trink wenigstens was!“, erwiderte Edward.

Ich nickte schwach, denn mir war bewusst, dass sie sich nicht noch einmal abwimmeln ließen. Also goss er mir ein Glas Orangensaft ein, welches ich langsam austrank.

„Willst du dann erst mal duschen gehen?!“, fragte John ruhig, als ich das Glas vollständig geleert hatte. Ich nickte erneut.

John begleitete mich in Bad und zeigte mir, wo die Handtücher lagen und drückte mir Shampoo und Duschgel in die Hand. „Ich hoffe das geht in Ordnung. Das ist meins. Was anderes haben wir leider nicht!“ Ich nickte bejahend. John machte sich daran, das Bad zu verlassen.
Doch bevor er die Tür endgültig hinter sich schloss, sagte er noch: „Wenn etwas ist dann ruf einfach, okay?!“ Ehe ich darauf etwas erwidern konnte, war er schon verschwunden. Ich entledigte mich also meines „Nachthemdes“ und ließ das Wasser an.

Während es auf mich herunter prasselte, musste ich an das Duschtutoriell-Video von Edward denken. Seit dem ESC war ich ihr wahrscheinlich größter Fan und hatte nahezu alle ihre Video gesehen. Bei dem Gedanken daran musste ich schmunzeln.

Nachdem ich die Dusche wieder verlassen und mich abgetrocknet hatte, musste ich feststellen, dass ich ja gar nichts zum Anziehen hatte. Nur in ein Handtuch gewickelt verließ ich also das Bad und hielt Ausschau nach John und Edward, welche ich schließlich vor dem Fernseher fand.

Als John mich erblickte, sprang er sofort von dem Sofa auf, auf dem sie saßen.

„Ist irgendetwas passiert?“

„Nein, wieso sollte etwas passiert sein?“ So gut wie heute war es mir schon seit langem nicht mehr ergangen, doch ich sollte mich nicht zu früh freuen, der Tag war ja noch lang.

„Wieso guckst du dann so entgeistert?“, fragte Edward nun.

Als Antwort schaute ich einfach an mir runter, und John und Edward taten es mir gleich.

„Oh!“, meinte Edward bloß und ging aus dem Zimmer.

Verwirrt ließ ich mich mit ein wenig Abstand neben John auf dem Sofa nieder.

„Du bist nicht von zu Hause weggelaufen, oder?!“, brach John die Stille.

Ich erwiderte nichts, doch nach kurzer Zeit sprach John weiter: „So was trägt man nicht zu Hause“, ich wusste sofort, dass er das Nachthemd aus dem Krankenhaus meinte.

„Edward hatte so etwas auch an, als er wegen seinem Fuß im Krankenhaus war.“ Ich sagte noch immer nichts. Schwieg! John nickte daraufhin ernst.

„Willst du mir erzählen, was passiert ist?“, er sprach ganz leise. Ich sah auf und er sah mir tief in die Augen, als könnte er so eine Antwort auf seine Frage kriegen, doch ich schüttelte nur den Kopf.

„Nun gut!“, meinte er und sah wieder in Richtung Fernseher.

Wenig später betrat Edward wieder das Zimmer, einen Stapel Klamotten in der Hand. „Hier! Probier mal, ob das passt. Das da“, meinte er und zeigte auf ein Planet Jedward t-shirt, „müsste dir eigentlich passen. Ist eine Mädchengröße, noch vom Konzert. Du kannst es dann auch gleich behalten!“

Mit einem Nicken verschwand ich wieder im Badezimmer und probierte die Sachen an. Das T-shirt saß perfekt, die Hose war jedoch etwas zu lang für meine kurzen Beine. Dazu zog ich meine einfachen schwarzen Chucks an, die ich zum Glück noch mitgenommen hatte, bevor ich aus dem Krankenhaus geflüchtet war.

Mit Johns T-shirt in der Hand verließ ich das Bad wieder. Gerade wollte ich es ihm in die Hand drücken, als er meinte, ich solle es behalten. Glücklich drückte ich es an mich, während Edward mich mit Worten überschüttete.

„Wir sollten wirklich mal deine Eltern anrufen. Sie machen sich bestimmt schon Sorgen. Wir können für dich anrufen, wenn du willst. Du musst uns nur die Nummer geben!“

Ich schüttelte erschrocken den Kopf. Nein, ich wollte nicht, dass sie meine Eltern anriefen. Sie würden mich sofort wieder ins Krankenhaus stecken. Wo ich dann elend versauern würde. Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust.

„Aber du musst sie anrufen. Sie wollen bestimmt wissen, wo du bist.“

„Nein! … Aber ich muss jetzt auch sowieso gehen. Also ähm… vielen Dank, dass ich hier schlafen durfte und …“

„Nein Joan. Du kannst nicht gehen!“, schaltete sich nun John ein.

„Natürlich kann ich das!“, keifte ich ihn empört an, was ich sofort bereute.

„Bitte Joan, bleib hier“, John schmollte förmlich, und es brach mir das Herz, doch ich musste den Kopf schütteln.

„John, sie will nicht. Sieh das doch ein, du kannst sie ja nicht zwingen“, Edward versuchte seinen Bruder davon zu überzeugen, mich gehen zu lassen.

Schließlich gab er sich einverstanden und begleitete mich zur Tür.

Dort angekommen drückten beide mich fest und verabschiedeten sich von mir. Was ihnen sichtlich schwer fiel. Schlussendlich ließen sie die Tür ins Schloss fallen und ich ging langsam die Treppen runter zum Ausgang.

Als ich fast unten angekommen war, hörte ich ein lautes Poltern, vom oberen Teil des Treppenhauses. „Joan! Joan!“, das war eindeutig John. Ich blieb also stehen und wartete darauf, dass er den Ausgang erreichte.

„Joan. Oh ein Glück du bist noch da“, meinte er, als er schließlich vor mir stand und umarmte mich fast erleichtert. Dann drückte er mir einen kleinen Zettel in die Hand.

Ich sah ihn fragend an, woraufhin er erwiderte: „Falls es dir schlecht geht, oder wenn du doch noch darüber reden möchtest, was tatsächlich passiert ist!“ Ich entfaltete den Zettel und sah einige per Hand aufgeschriebene Zahlen. Keine Frage, dass das Johns Handynummer war.

Ich wollte mich bei ihm bedanken, doch so schnell, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden.


~I remember.~
-by Annika-
*Überarbeitung: Jule*
Nachdem ich das Hotel der Zwillinge verlassen hatte, stand ich eine Zeitlang unschlüssig davor herum. Was sollte ich nun tun? Wo sollte ich hin? Zurück ins Krankenhaus wollte ich nicht, doch sonst hatte ich niemanden, zu dem ich hätte gehen können. Würde ich zu meinen Eltern gehen, würden sie mich sofort zurück ins Krankenhaus stecken, und bei meinen Freunden wäre es dasselbe. Tolle Freunde!

Vielleicht sollte ich auch einfach hier auf der Straße bleiben. Der Tod war sowieso nicht weit entfernt. Er konnte schon hinter der nächsten Straßenecke lauern, nur, um mich dann kurz und schmerzlos oder lang und schmerzvoll zu überfallen. Da war ich mir nicht so ganz sicher. Doch wollte ich es denn überhaupt wissen?!

Aber etwas würdevoller hatte ich mir mein Ableben ja nun schon vorgestellt.

Schlussendlich entschied ich mich dazu zu meinen Eltern zu gehen. Sie schlossen mich sofort in die Arme, beteuerten immer wieder, wie viel Sorgen sie sich gemacht hatten. Pah! Sie wussten sowieso wie es enden würde.

Natürlich steckten sie mich, wie ich es schon vermutet hatte, wieder zurück ins Krankenhaus. Ich bekam ein neues Zimmer. Das, in dem ich vorher gewesen war, hatten sie an einen neuen Patienten vergeben.

Wie leicht man doch austauschbar war, in diesem Leben…

In meinem Zimmer standen zwei Betten, doch wie es schien, hatte ich bis jetzt keinen Zimmernachbarn. Hoffentlich blieb es so, denn in meinen letzten Tagen hier wollte ich wenigstens meine Ruhe haben. Eine gute Idee wäre vielleicht Nachdenken gewesen. Jetzt, da ich noch lebte, musste ich einfach jede freie Minute auskosten. Ich konnte ja nicht wissen, wann es zu Ende sein würde. Morgen könnte ich vielleicht schon tot sein.

Das verhasste weiße Krankenhaushemd hatten sie mir auch wieder angezogen. Der Fernseher war angeschaltet, doch ich hörte nichts. Ich wollte nichts hören.

Alles schien wie vorher. Vor dem Tag, an dem ich geflüchtet war. Bis auf eine Sache, denn auf dem Nachtisch neben meinem Bett lag nun, neben Laptop, MP3player und Handy, auch das T-shirt. Johns T-shirt! Vorsichtig schloss ich es in die Arme. Es roch noch immer nach ihm.
Plötzlich vernahm ich ein Gähnen und musste feststellen, dass es mein Eigenes war. Ich hatte die Müdigkeit bis jetzt völlig verdrängt, doch nun übermannte sie mich ohne Vorwarnung. Ich sank zurück in mein Bett und war schon wenige Minuten später im Land der Träume angelangt.


Auf einmal vernahm ich ein grelles Licht. Verdammt! Wieso war es denn hier nur so extrem hell?! Zaghaft blinzelte ich der Sonne entgegen. Sonne? Wie kam die Sonne in mein Zimmer? Ich hatte doch die Vorhänge zugezogen. Langsam blickte ich mich um.

Ich war nicht in meinem Zimmer. Ich sah Sand, nichts als Sand. Das konnte nicht mein Zimmer sein, mein Zimmer war weniger… sandig.
Vereinzelt störten vertrocknete Pflanzen das Bild des grenzenlosen Gelbs des Sandes. Ich schaute auf den Boden und spürte den Sand zwischen den Zehen, als mich plötzlich jemand antippte. Schwungvoll drehte ich mich um und sah ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen vor mir stehen. Sie sah mich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen an. Ihre schwarzen kleinen Löckchen waren eng am Kopf zu kleine Zöpfchen gebunden. Ihr rotes dünnes Sommerkleidchen wehte im Wind. Ich kannte sie. Kannte sie sehr gut. Aber woher?

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Sie war meine Schwester. Malaika.

Obwohl. Schwester konnte man sie nicht so ganz nennen. Meine Eltern hatten sie mit einem Jahr adoptiert. Jetzt war sie vier. Zuerst hatte ich es nicht gewollt. Sie hatten doch schon ein Kind. Wieso also noch eins adoptieren? Doch als ich sie das erste Mal gesehen hatte, hatte ich sie sofort in mein Herz geschlossen. Jetzt war ich froh, eine Schwester wie sie zu haben.

Sie zog an meinem Ärmel und zeigte in die Ferne. „Komm!“, meinte sie nur und zog mich mit sich.

Nach einigen Minuten kamen wir in einer Art kleinem Dorf an. Einige Lehmhäuser und ein niedriger Zaun aus morschem Holz. Zwei Rinder standen dahinter. Sie waren abgemagert.

Malaika führte mich zu ihnen. „Retta!“, meinte sie hilflos und zeigte auf eines der beiden Rinder. So hatte sie das Kalb damals getauft. Es war ungefähr so alt wie sie und für uns schon beinahe wie ein weiteres Familienmitglied. Ich sah sie fragend an, da ich wusste, dass sie unsere Sprache noch nicht so gut beherrschte. Als Antwort zeigte sie auf die klaffende Wunde, in der Haut des Rindes. Sie sah mich mit großen Augen an. Sie waren voller Trauer.

Ich beäugte die Wunde fachmännisch. Keine Frage, sie wollte, dass ich etwas dagegen machte. Sanft strich ich mit der Hand darüber. Wobei ich aber den tiefen Schnitt in meinem Daumen vergaß, den ich mir das letzte Mal beim Kartoffelschälen zugefügt hatte.

Krankheiten können über das Blut übertragen werden.

Am nächsten Tag musste ich Blut spucken. Wir fuhren sofort zurück nach Hause. Malaika mussten wir zuerst einmal zurücklassen. Meine Eltern schickten mich zum Arzt.

Ich kam ins Krankenhaus.
Diagnose: Ebola.

Schweißgebadet wachte ich auf. Schon wieder dieser Traum. Ein Alptraum… der noch nicht zu Ende war.
Ich musste dringend mit irgendwem reden. Ich schaute auf die Uhr, die an der Wand hing. Zwei Uhr morgens, zeigte sie an, doch das war mir egal. Ich musste dringend mit jemandem reden...

John! Ich wollte mit ihm sprechen, denn seit ich ihn das erste Mal gesehen habe, fühlte ich mich auf eine merkwürdige Art und Weise zu ihm hingezogen.

Ich griff nach meinem Handy und dem Zettel, auf dem die Handynummer stand. Ich zögerte bevor ich sie wählte. 'Reiß dich zusammen!', ermahnte ich mich selbst und schon war die Nummer auf dem Display zu sehen. Ich drückte auf den grünen Hörer und als endlich jemand ranging, ließ ich ihn gar nicht erst anfangen zu reden. „Hallo? John?“, sagte ich völlig zerstreut. „Hier ist Edward. John schläft schon!“, meldete sich die Stimme am anderen Ende der Leitung. Ich nickte: „Können wir reden?“


~I need to see you.~
-text by Jule-
*Überarbeitung: Annika*
..."Können wir reden?"
Einen Augenblick lang, herrschte bedrückende Stille.
"Natürlich", sagte Edward, nachdem die Stille beinahe unangenehm wurde, "Wo? Und wann?"
Ich unterdrückte ein Seufzen.
"Am besten sofort."

Wenige Minuten später standen wir uns gegenüber. Ich hatte das T-Shirt, welches mir John gegeben hatte, übergestreift, darunter trug ich immer noch das Krankenhausnachthemd.
Edward und ich standen an einer dunklen Straßenecke. Nur das matte Licht der Straßenlaterne spendete uns etwas Helligkeit.
Unter Edwards Augen zeichneten sich dunkle Augenringe. Seine Haare waren glatt und etwas zerzaust. Man konnte deutlich erkennen, dass er gehetzt wurde. Er trug sein weißes T-Shirt falsch herum. Anscheinend bemerkte er es nicht und ich sprach ihn auch nicht darauf an. Außerdem trug er eine fleckenübersähte Jogginghose.
"Tut mir Leid", murmelte ich, "Ich wollte dich nicht wecken, aber... ich fühlte mich so schrecklich einsam."
Edward nickte nur und deutete auf mein Oberteil.
"Du hast das T-Shirt von John an", sagte er schroff.
"Ähm...ja", flüsterte ich, "Darüber wollte ich auch mit dir sprechen."
Edward runzelte die Stirn. "Über Johns T-Shirt? Keine Sorge, du kannst es behalten."
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, über John."
Nun schien er zu verstehen.
"Du magst ihn." Er seufzte. "Du magst ihn wirklich sehr."
Zuerst zögerte ich ein wenig, doch schließlich nickte ich mit dem Kopf und gab es zu.
"Ja", hauchte ich, "Ich bin gerade dabei, mich in John zu verlieben."
"Dacht ich's mir doch", sagte Edward und grinste, während er sich mit der Hand übers Gesicht fuhr.
"Ich glaube, dass dich John auch gern hat, aber... ach, das soll er dir selbst sagen."
Er grinste noch einmal, ja, es sah beinahe so aus, als müsste er sich ein Lachen verkneifen, und dann verschwand er in der Dunkelheit.

"Wo waren Sie gestern Nacht, Joan?!", fragte die aufgebrachte Krankenschwester.
Unglaublich. Ich war mitten in der Nacht ungefähr 10 Minuten weg und schon hielt sie mir eine Predigt darüber, wo ich letzte Nacht gewesen war. Stalken die mich oder was?
Ich verdrehte die Augen. "Ich war draußen und wollte kurz Luft schnappen.", sagte ich schon zum tausendsten Mal.
"In Ihrem Zustand ist es ein Wunder, dass Sie überhaupt noch leben!", rief die Krankenschwester und schnappte augenblicklich geschockt nach Luft.
"Das hätten Sie nicht sagen sollen", zischte ich.
Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen, aber trotzdem verletzte es mich.
Wieso? Wieso steht es nur so schlecht um mich? Wieso... wieso musste ich ausgerechnet jetzt John treffen?!
Ich hatte mir doch, seit ich krank war, immer den Tod gewünscht, aber jetzt... Jetzt wollte ich leben.
Und zwar nur für eine einzige Person.
Für John.


~I'd better forget him...~
-text by Annika-
*Überarbeitung: Jule*
So leise ich konnte schloss ich die Haustür, doch meine Bemühungen waren erfolglos, denn als ich mich umdrehte stand John bereits hinter mir. Verschlafen rieb er sich die Augen, während ich versuchte mich noch irgendwie unbemerkt aus dem Staub zu machen, doch auch das war vergebens. "Edward, es ist 3 Uhr nachts. Wo um alles in der Welt warst du?", fragte mich mein Zwilling genervt. Ich zögerte einen Moment, ehe ich antwortete. "Ich war bei einer Freundin!", sagte ich schlicht. John zog eine Augenbraue hoch: "Bei einer Freundin... mitten in der Nacht?!" Ich nickte: "Ja, wieso denn nicht. Sie brauchte meine Hilfe und da bin ich zu ihr gegangen", sagte ich unschuldig, doch ich sah John an, dass er sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben würde. Und ich sollte Recht behalten. "Ach und...darf ich vielleicht auch erfahren bei welcher Freundin du warst?!" Ich schluckte. Verdammt, was sollte ich jetzt sagen? Ich wusste genau, dass es nichts bringen würde zu lügen. John würde die Wahrheit ja doch aus mir herauspressen. Also beschloss ich dieses Prozedere einfach hinter mich zu bringen. "Ich war bei Joan, du weißt schon, das Mädchen, dass..." - "Ich weiß, wer Joan ist Edward", unterbrach mich mein Zwilling ein wenig genervt, "Und wieso brauchte sie dein Hilfe?" Oh nein, wieso musste er ausgerechnet das fragen? Ich wollte ihm zwar nichts verschweigen, aber andererseits, wollte ich ihm auch nicht erzählen, was Joan mir erzählt hatte. Ich schwieg und John wurde ungeduldig. "Edward?!", hakte er nach. Ich atmete einmal tief durch. "Sie wollte mit mir reden... über dich" John runzelte die Stirn. "Über mich?!" Ich musste kichern, über sein Erstaunen und nickte heftig. "Ach und was... habt ihr so geredet... über mich?!" Wieder musste ich kichern. Er machte sich Hoffnungen, dass wusste ich, schließlich hatte er zugegeben, dass er sie auch nicht uninteressant fand. "Ich werde dann jetzt einmal ins Bett gehen John. Ich bin müde!", ich versuchte mir ein Grinsen zu verkneifen, doch Johns enttäuschter Blick war einfach zu genial. "Was hat sie dir jetzt erzählt, Edward?", fragte John wieder, doch ich schwieg. "Edward, verdammt, antworte mir!" Nun konnte ich es mir doch nicht mehr verkneifen und prustete los. "John, ich mag dich, bleib so wie du bist."

*Joans Sicht*
Wieder einmal lag ich in dem weißen Bett, in meinem Krankenhauszimmer. Ich betrachtete meine Arme. Sie waren voller blauer Flecken. Ich seufzte. Wie froh ich war, dass niemand sie sehen konnte. Aber wäre es nicht schön, wenn John sie sehen würde? Wenn ICH John sehen würde? Nur einmal noch, bevor ich von hier fortgehe. Ich kannte ihn zwar erst wenige Stunden, dennoch war er in dieser kurzen Zeit schon zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden. Wenn nicht sogar der Wichtigste...
Doch ich bezweifelte, dass es ihm mit mir genauso ging. Eine Träne kullerte über meine Wange. Am besten wäre es wohl, wenn ich ihn einfach vergessen würde, aber ich war mir nicht sicher, ob mir das gelingen würde.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.09.2011

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