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In Bookrixson

Im Land der Liebe

Die Hure Babylon

In Bookrixson,
einem ansehnlichen Areal, tummelten sich einst lustige Leute, auch heute ist noch die seltsame Meute verfallen dem magischen Reiz der Schreiberei über Allerlei, dem Osterei und dem ewig rosa faden Einheitsbrei.
Sie beweihräuchern sich selber, schleimen wie junge Kälber, lechzen nach stumpfer Lobhudelei. Es ist ihnen einerlei, sie sabbern weiter und fühlen sich frei, bar jeder Qualität. Sie merken nichts und finden, es geht alles ohne Reue in ihrem prächtigen Turm in Bookrixson.
Zeit wird es, dass eine kommt auf dem Drachen und stopft die dümmlichen Rachen mit dem belebenden Feuer. Einer Sonnengöttin gleich, nicht mild und weich, auch wenn es vielen nicht geheuer, kommt sie geritten und trägt den Kelch, gefüllt mit der Weisheit der andern, derjenigen, die durch alle Welten wandern.
Sie nennen sie die Hure von Babel, die einzige, die akzeptabel verständlich erklärt und vieles zeigt, sich nicht verneigt, wenn hohe Herren Litaneien plärren und hohe Summen für sich von den Dummen stehlen. Sie meint, man könne wählen, selbstbewusst, auch mit Lust, wie man sein Leben verstünde. Ihr ist es egal, wenn sie sagen, es sei Sünde. Sie mag kein Gejammer in finsterer Kammer. Die Hure von Babel liebt die Sonne, die Liebe, die Tiere, das Volk, ja die ganze Welt. Sie nennen es Sünde, aber genau das ist es, was alles zusammenhält.
Die Hure von Babel lähmt nicht oder foltert die Männer und Frauen, die ihren Herren nicht mehr trauen, sie lacht mit allen, die es sich trauen, über die Dummheit derer, die blind vertrauen. Sie bringt frischen Wind ins Getriebe mit neuen Erkenntnissen und mit Liebe. Sie stampft durch den uralten Matsch und glaubt mir, sie glaubt keinen scheinheiligen Quatsch.

 

Die babylonische Hure bin ich

(eine Deutung von vielen)

Mich muss ein Teufel geritten haben, als ich las, was Jesus einst als „barste Hurerei“ bezeichnete. Nämlich wer seinen Leib in moderne weiche Kleider hülle, würde jeden Anstand Gott gegenüber vermissen lassen. Dafür tue sich zur Strafe ein ewiger Abgrund auf.
Mir wird nun Angst und Bange, doch was soll ich tragen, um nicht in Nacktheit auf die Straße zu treten? Das kann ER nicht gewollt haben. Zum Glück fällt mir ein, dass ich ja nicht an Gott glaube und somit dem durch Jesus angedrohten Abgrund einigermaßen gelassen gegenüberstehe, denn vermutlich sitze ich schon in ihm, komischerweise ganz ohne vorher groß gefallen zu sein. Einfach so. Ich trage gerne weiche und moderne Kleidung. Alles, was kratzt und völlig unmodern an mir herumhängt, mir nur Unwohlsein beschert und meine Mitmenschen erschreckt, lehne ich ab. Mehr noch, wenn meine Eleganz im weichen Kleid auch von anderen Menschen, auch des anderen Geschlechts, bemerkt wird, dann schäme ich mich nicht, es freut mich sogar. Ich bin also eine Babylonische Hure und würde bei einem so unnachsichtigen und streng drohenden Jesus keinerlei Chance haben, denn er mag sie nicht, diese „Weltesel und Weltsäue“, die so daher kommen.
Siedend heiß muss es nun alle Christen heute durchströmen, wenn sie an sich herunterschauen und diese schrecklichen, weichen und modernen Kleider an sich sehen. Die treuen Diener Gottes werfen sich, um diese Schande nicht sehen zu müssen, meist andere Gewänder über. Doch, oh Graus, diese sind so üppig bestickt, gewebt in Gold und Prunk, dass ein Abgrund nicht reichen kann, um ihre Hurerei zu bestrafen. Es scheint ihnen allerdings egal zu sein. Alles ist ihnen egal. So gebe ich als stolze babylonische Hure einen Rat:
Man kehre im eigenen Haus, ehe die in die Jahre gekommene Moral so böse eingefordert wird.
Ach, es gibt auch heute viel zu viele Weltsäue, die in der Kirche und der Welt zu Hause sind. Hier muss ich dem guten Jesus zustimmen, denn ich ahne unheilschwanger wie er es gemeint haben könnte. Armut, Bescheidenheit ist nicht in Mode und sie war es noch nie und kein Mensch strebt wirklich danach, keine „Kirchensau und keine weltliche“. Das gilt als bewiesen. Ich müsste weinen und klagen, mir die Brust zerkratzen und Asche über mein Haupt stäuben, aber eine babylonische Hure weiß, dass dieses nichts nützt und überlässt es gerne den Eiferern, die da Wasser predigen ...

 

Originaltext:


   {jl.him3.249,03} Ferner treiben alle jene die barste Hurerei, die ihren Leib in moderne weiche Kleider hüllen. Denn so da jemand sagt: Man lebt in der Welt und muß also auch der Welt wegen nach der Mode sich tragen, ansonst man für einen Tropf gehalten würde, der nicht Sitte und Anstand beachtet. - O du Tor! Wer ist denn mehr, Ich oder die Welt? - So Ich dir aber sage, daß, so du der Welt huldigst, Ich dich verstoßen werde auf ewig, - wird dir dann auch noch deine dumme Welt mehr sein als Ich, der dir das Leben gab und dir dasselbe wieder nehmen kann, wann Er will, auf ewig? - Den Anstand der Welt magst du wohl berücksichtigen; aber der Anstand, den Ich, dein Gott und Herr, von dir zu fordern wohl das erste Recht habe, ist dir wie nichts, und du meinst, Ich werde dir das schon durch die Finger sehen. - Oh - solche Meine Nachsicht wird dir bald ganz entsetzlich teuer zu stehen kommen. Der ewige Abgrund wird es dir zeigen, wieviel Nachsicht Ich mit solchen Welteseln hatte! - Da spricht ein Weltesel zum andern und eine Weltsau zur andern: Aber höre, wo hast du denn deinen Frack und dein Beinkleid machen lassen? Ah, dieser herrliche Schnitt, wie angegossen! Vortrefflich, ausgezeichnet! - Du bist aber auch gewachsen wie ein Adonis, dir steht alles überaus gut - und alles nach der letzten, somit neuesten Mode! - Nein, das muß ich dir gleich nachmachen, denn nur mit solch gewählter Eleganz kann man bei dem schönen Geschlecht als Sieger erscheinen!«

 

Das Triumfeminat

Draußen geht die Welt unter. Der schwarze Himmel wirft Wasser wie aus Eimern, vom Wind gepeitscht und in alle Ritzen gedrückt, Blitze zucken auf der Suche nach Entlastung des himmlischen Furor, Donner rollt über das Land, die Fenster klirren.

 Durch dichte Wasservorhänge blicken die Drei hinaus auf die unwirtliche Welt. Auf der Straße scheint alle horizontale Bewegung eingefroren, der Horizont erbricht sich mit Getöse. Menschen drücken sich in Hauseingänge, Schirme fliegen, zerfetzt und parabolisch, stoßweise durch die Luft und spreizen ihre Fühler, ein hilfloses Gerüst. Autos stecken in den Wassermassen fest, die Scheiben beschlagen, die Räder von den Fluten umspült, die an den Türen lecken.

 Keine der Drei kann den Blick abwenden; die Katastrophe zieht sie in ihren Bann.

 Erst lange, nachdem das Gebrause abgeschwollen ist, wenden sie sich einander zu und machen so das kleine, runde Bar-Tischchen zu ihrem Mittelpunkt.

Rund um sie herum wogt die Kulisse der Menschen, die am späten Abend in der Bar gestrandet sind; Stimmengewirr, Geflüster, Lachen, belehrende Ausführungen, Streit und unterdrückte Wut – ein Orchester menschlicher Stimmen, von Piano bis Fortissimo, hier ein Sollevato, eine kurze Pause zum Luftholen, da eine lange, schwere Pause des abgründigen Schweigens.

Die Luft ist von den Tönen erfüllt und vom Rauch und Bierdunst  geschwängert.

 Die Drei senken ihre Stimmen. 

 „Gut, dass wir Drei wieder zusammengetroffen sind.“

 „Die Frage war: wo ?“

 „Diese Bar ist eine Arche Noah.“

 Nun ist die Zeit gekommen, die drei Frauen vorzustellen:

Madonna, Helios und Babylon. Nicht die vor der Zeit alternde Sängerin, sondern Madonna herself, die jungfräuliche Mutter; Helios, die vielnamige Göttin, Mutter jedweden Lebens auf der Erde und Babylon, die Hure.

Madonna spricht als Erste. Sie ist am besten von allen sozialisiert, ihre Geduld und Hingabe sind sprichwörtlich, ihre Zurückhaltung beispielhaft.

„Ihr kennt mein Gemüt; ich spreche es nicht gerne aus: Dieses ist eine Krisensitzung.“

 „Gut gesagt. Ich bin dafür, alles ans Licht zu bringen.“

 Die Hure Babylon möchte erst einmal etwas geklärt haben: „Ich bin keine ‚von’. Man vergreift sich leicht mit den Titeln.“

 „Ein gutes Stichwort: Die Krise ist entstanden, weil sich jemand vergriffen hat.“

 „Sprich weiter, kläre uns auf.“

 „Wie ihr wisst, entstehen in jedem Augenblick auf der Erde gute und schlechte Gedanken. Die guten halten sich nicht lange, so will es scheinen; die schlechten haben mehr Schwere, senken sich wie ein Nebel bodenwärts und wabern um die Knöchel der Menschen. So behindern sie den Lauf der Welt.“

 „Was du sagst, scheint mir offenkundig – auch wenn ich geübter bin im Denken des Guten.“

 „Und ich habe alles Böse auf mich genommen, bin sozusagen dein Gegenentwurf, liebe Madonna. Ich bin in diesen negativen Gedanken bewandert, mit der Zeit wurde ich zur Fachfrau.“

 Die Krise, das war allen Dreien klar, hatte sich in letzter Zeit zugespitzt. Jahrhunderte, nein: Jahrtausende lang war eitel Harmonie in den Köpfen der Menschen gewesen. Die Religion hatte unter zugegebenermaßen verschiedenen Heilsbringern und Repräsentanten immer dieselbe unbestrittene Stellung bei den Menschen eingenommen, brauchten diese doch Schutz vor Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die ihnen der Lauf der Welt immer wieder bescherte. Kriege, Hungersnöte, Krankheiten, Dürren und Naturkatastrophen hatten, von den Mächtigen verschuldet,  die Menschen immer wieder in die Arme der Religion getrieben.

 Soweit nichts Neues unter der Sonne. Helios hatte allerdings in letzter Zeit mit ansehen müssen, dass die Arme der Religionen sich in einigen Fällen immer mehr zu Fängen mit Haken und Ösen verwandelt hatten :

 Da war die Pflicht zur Liebe, durchgesetzt in der Evangelisierung, ja: der oft zwangsweisen Missionierung der bisher glücklichsten unter den Völkern. Man vertrieb sie aus dem Paradies, indem man sie zwang, ihre Blößen zu bedecken, und brachte ihnen damit Krankheit und Tod. Man hämmerte ihnen die Erbsünde in die Köpfe, auf dass sie das Paradies für ewig verlören; dann zerstörte man es.

Man schloss die Frauen aus den Kreisen der Priester, andere Religionen schlossen sie aus weiten Kreisen der Gesellschaft aus. Sie mussten Gesicht und Körper verhüllen,  damit die armen Männer sich nicht von ihnen verführt fühlen sollten. Die Frauen wurden „die bessere Hälfte“ getauft; sie durften geschlagen und gezüchtigt werden, sie hatten im Haus und Bett zu Diensten zu sein. Sie hatten zu schweigen, sie durften keine Schule besuchen, auf dass ihre Intelligenz nicht für die Männer bedrohlich werde. Sie hatten den Männern den Rücken freizuhalten.

Die Sexualität war Mittel zum Zweck der Fortpflanzung. Alle anderen Facetten wurden verteufelt. Maria wurde erfunden, die Jungfrau, die empfangen und geboren hat. Alle anderen Frauen, denen dieses Kunststück versagt blieb und die sich in die Niederungen des Geschlechtsverkehrs versenken mussten, um dasselbe zu schaffen, sollten zu dieser Jungfrau aufschauen, sie aber nie erreichen. Die Schmerzen waren die gleichen, weshalb Maria auch die ‚Schmerzensreiche’ genannt wurde.

Gottvater war anfangs ein grausamer und rachsüchtiger Gott; er emanzipierte sich, indem er seinen Sohn in Menschengestalt unter die Menschen mischte und sogar akzeptierte, dass dieser, ganz Mensch, unter Schmerzen und Verwünschungen als politisches Opfer am Kreuz starb.

 In den vergangenen Jahrhunderten hatten die Menschen viel nachgedacht, Probleme analysiert und Lösungen gefunden, Fragen gestellt und beantwortet. Die Texte der Bibel wurden zugunsten der Naturwissenschaften – nicht ohne Opfer auf Seiten der Menschen – umgedeutet, die Schöpfungsgeschichte als poetische Metapher verstanden.

 Es entwickelten sich Wirtschaftssysteme, die sich – wie im Falle des Kapitalismus – als resistente Hydra herausstellten. Die Systeme wurden gierig wie die Vampire, sie legten der Menschheit die Daumenschrauben an und pressten sie aus bis aufs Blut.

 Geld regiert die Welt, Gier wächst wie ein Krebsgeschwür in den Herzen. Der Mensch ist des Menschen Wolf, ein aufgeblähtes Ego, das sich unaufhaltsam aufbläst und alles andere erstickt.

 Das Äußere nimmt immer mehr Bedeutung an, das Innere verkümmert, herausgefordert und beleidigt vom Banalen. Mode jede Woche neu, Make up für Damen und Herren, zurechtoperierte Maskengesichter, implantierte Haare, operativ verengte Scheideneingänge, künstliche Jungfernhäutchen – die Welt der Eitelkeiten umschwappt uns und droht, uns aus dem Boot zu stoßen.

 Die Sonne verdunkelt sich, unsere Atmosphäre bekommt Löcher, die Menschheit vergiftet ihre Atemluft; Hormone allenthalben in der Nahrung, genveränderte Lebensmittel, geklonte Schafe, Pilze radioaltiov verseucht und mit Nicotin eingegiftet. Die Luft beginnt zu kochen, Wassermassen stürzen sich zur Erde, die Meere säuern sich an, jahrtausendealte Korallenriffe bleichen und sterben.

 Madonna, Babylon und Helios sind die Feen, die Parzen, die KrisenmanagerInnen dieser Entwicklung; deshalb ihr heutiges Sondierungsgespräch.

 Babylon hat sich in pink gekleidet und eine gleichfarbige Bischofmütze auf die Löckchen drapiert; allüberall glitzern Svarowsky-Steinchen, die Fingernägel sind französisch gestylt, ein Diamant blitzt von ihrem oberen Schneidezahn, sobald sie die Lippen schürzt. Ein impekkables Decolleté erzählt von sonnendurchfluteten Tagen und mondbeschienenen Nächten, in denen ihr in der Pianobar ein Gigolo hingebungsvoll am Halse hing. Sie ist die Vertreterin aller stolzen Dominas, der jungen Sexsklavinnen aus dem Osten, die ohne Pass in einem Verschlag untergebracht sind, und der schlitzäugigen Kinder aus Thailand, die leicht sind wie eine Feder. Dieser oder jener Stricher, die Krätze im Gesicht, hat sich ihr auch anvertraut; sie reitet die siebenköpfige Hydra.

 „Selbst diese Wesen der Nacht tun einen Dienst an der Menschheit. Es herrscht eine immer weiter anschwellende Nachfrage, der Markt dereguliert sich durch die Werbung, aber auch durch die Emanzipation der Frau. Und das Gehalt einer Krankenschwester oder einer Altenpflegerin reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Menschenverachtend.“

 Madonna nickt zustimmend, obwohl diese Welt eigentlich nicht die ihre ist.

 „Ich möchte einmal, seid mir nicht böse, auf die Nöte der Flüchtlinge hinweisen, die – wenn sie Glück haben – sich in unseren fast unanständig reichen Ländern zu Asylanten mausern können, falls die Politik ihnen entgegenkommt. Arbeiten dürfen sie dann noch lange nicht. Sie müssen froh sein, unsere Almosen annehmen zu dürfen.“

 Helios ist die Älteste von allen. Ihr Gestirn war schon am äußersten Rande der Milchstraße angesiedelt, als an Menschen nicht zu denken war. Eigentlich war sie der Ursprung der Entstehung einer Zelle in der Ursuppe, der Zelle, die sich dann in unendlichen vielen, immer vom Untergang bedrohten Entwicklungsschritten spezialisiert, zu Geweben, dann zu funktionierenden Organen zusammengeschlossen und so die große weite Welt der Wesen generiert hat. Ihr brauchen die Anderen nichts zu erzählen.

 „Was ihr hier vertretet, scheint mir offensichtlich. Es ist schon viele tausend Male formuliert, durchdiskutiert und besprochen worden. Es sind zig Tausende von Entschließungen gefasst und ein Meer an Enttäuschung angesammelt worden. Bei allem wurde noch immer nicht der wahre Grund dieser Ungerechtigkeiten, dieser himmelschreienden Sündhaftigkeit nur im mindesten erkannt, geschweige denn benannt und oder gar angegangen.“

 „Mir scheint, wir haben zwar die geistigen Möglichkeiten der Analyse, aber nicht die Durchsetzungskraft für die Lösung. Mein Sohn war ein Revolutionär, entsprechend ist er allzu jung gestorben.“ So spricht Madonna.

 Babylon, mit der Männerwelt auf Du-und-Du, hat die Vertreter der Macht in ihren schwächsten Stunden erlebt und gestützt. Da sie ihre Geldgeber sind, hält sie nicht viel davon, sie mit dem Schuldspruch zu belegen.

 Die Drei bestellen noch eine Lage Punsch, den mit mazerierten Froschschenkeln und Krötenschleim.

 Die Tür der Bar fliegt auf, eine völlig durchnässte Betschwester stürzt herein.

 „Denn siehe, ich komme aus dem Land der Liebe...“

 „Wie eine Thailänderin sieht sie nicht aus.“

 „...kehret um, bereut eure Sünden und betet zu Jesus Christus, diesem schönen Mann, der euch an die Hand nehmen und ins Paradies führen wird.“

 „Ist dort auch ein Bett ?“, eine Frage aus dem besäuselten Publikum, die völlig daneben ist. Gröhlendes Gelächter.

 Die Kleine tritt sich auf die Zehen. „Gott ist mein Zeuge und Jesus mein Geliebter, der mich heimführen wird.“

 „So genau wollten wir es nicht wissen.“ Das Gespött brandet auf.

 Die Drei erbarmen sich der mutigen Evangelisiererin und laden sie an ihren Tisch. Sie blickt die Drei durch ihre Tränen hindurch an und erkennt nicht, mit wem sie es zu tun hat. Sie ist ein unschuldiges Ding. Sie nimmt Platz und beginnt, ohne Punkt und Komma, den Dreien ihren schönen Geliebten vorzustellen, der sie niemals enttäuschen wird. Ihre Wangen röten sich, ein Glas Punsch aus demselben Topf wird geordert und vor sie gestellt. Sie mag weder essen, noch trinken, weder schweigen, noch denken.

 „Heute habe ich schon meine mutige Tat des Tages vollbracht,“ gesteht sie. „Ich habe drei Agnostikerinnen der schlimmsten Sorte meine Liebe zu Jesus gestanden, auf Gedeih und Verderb.“

 „Und wie haben sie reagiert?“, rufen, wie aus einem Munde, die Drei. Madonna schaut sehr sorgenvoll drein, Babylon unterdrückt ein wissendes – und wenn es hätte ausbrechen können, sogar wahrhaft sardonisches – Lachen, Helios bekommt Sonnenflecken.

 Der Wirt, der bisher in der Ursuppe gerührt hatte, schaut auf die Uhr, die er durch den Tabakdunst kaum erkennen kann.

Er quält sich hinter seinem Tresen hervor und bricht sich Bahn bis kurz vor die Tür, die zur Toilette führt. Als er das Objekt seiner Erkenntnis sieht, strafft sich sein Rückgrat und die Pünktlichkeit sowie die Gesetzestreue obsiegen über die Jovialität.

 „Meine Herrschaften, Schluss für heute. Ihr dürft noch euer Glas leeren, dann ist Feierabend.“

 Ein biblisches Verdikt. Einem Rachegott gleich beginnt er, die Schnapsleichen am Schlafittchen zu packen und vor die Tür zu setzen. Alsbald werden die eben noch bebrüteten Sitze aufgestuhlt.

 Das Damen-Trio, jetzt durch die Liebespredigerin zum Quartett vervollkommnet, sehen, dass auch heute keine epochemachende Entscheidung oder gar Einsicht mehr möglich ist.

 „Wann treffen wir drei wieder zusamm’ ?“ fragen sie und lassen damit die Evangelisiererin zwischen die Stühle fallen.

 Sie aber strebt in ihr Kämmerlein, um ungestört Zwiesprache mit ihrem Geliebten zu halten, der ihr jegliche Antwort schuldig bleibt.

Nicht immer findet man das, was man sucht...

 

 Das Doppelgebot der Liebe :

Jesus spricht:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot.

Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

 (Matthäus 22, 37-40)

 

 

 


Nach dem denkwürdigen Treffen war Madonna erst einmal ins Land der Liebe gereist, denn die Worte jenes unschuldigen Wesens, das sich der Liebe des Revolutionärs verschworen hatte, gingen ihr nicht aus dem Kopf.

Liebe – um jeden Preis zum Ihm, dem Göttlichen...Und wo blieben die anderen?, fragte sie sich, als sie im Liegestuhl, etwas abseits der vergnügungsüchtigen Touristen, der Sonne ihren blassen, nahezu marmornen Körper preisgab. Sie hüllte sich in lindgrün und schwarz, hatte tunlichst vermieden, etwas Blaues überzustreifen. Mit leichtem Schaudern dachte sie an all jene Madonnengestalten, die die Kirchenhäuser zierten. Sie trugen meist einen blauen Umhang – angeblich Sinnbild für Reinheit. Allein dieses Farbsymbol stieß sie ab, nicht die Farbe. Sie mochte blau, fühlte sich durchaus sauber nach dem Duftbad heute Morgen, aber rein?

Davon war sie doch weit entfernt. Und überhaupt, die hatten ja all keine Ahnung.

DAMALS hatte sie braun getragen, erdfarbene Umhänge, war mit der Umgebung verschmolzen. Es hatte einfach daran gelegen, dass sie sich farbige Stoffe, zu jener Zeit eine Seltenheit, einfach nicht hatte leisten können. Na ja, es wäre für ihren Status als „Mutter Gottes“ auch wohl nicht ziemlich gewesen, man hatte Bescheidenheit und Demut verlangt.

Umso perfider erschien ihr das heutige Gebaren eines Kultes, in welchem sie zu einer Lichtgestalt erhoben wurde, die jener der trällernden Popdiva gleichkam.

So lag sie, spärlich verhüllt - wie schon bemerkt -  in grün und schwarz. Babylon würde nicken, die Lippen mit einem leicht sarkastischen Lächeln versehen und fast glaubte Madonna deren Worte zu hören „Warum nicht ein wenig näher zur Männerwelt, meine Gute?“

Aber im Moment hatte sie mit der Männerwelt nicht viel im Sinn, weder mit der immer noch patriarchalisch anmutenden Dominanz jener noch mit der arroganten, alkoholüberlagerten Präsenz der jungen Schnösel.

Liebe – um die ging es ihr.

Am gestrigen Nachmittag war sie durch die Straßen der Stadt gewandert, ganz brave Touristin und hatte ausgeschaut nach der Liebe, hinter welchen Ecken und Sträuchern sie sich wohl verbergen möge.

Sie landete vor einer Kirche, riesig, monströs, grau. Das Portal stand offen, einladend, so fühlte sie sich willkommen und betrat in beinahe ungewohnter Demut das Gebäude, nicht ohne vorher ihre – wegen der Hitze nackten Schultern – mit dem luftgelben leichten Seidenschal zu bedecken. Ihren kurzen schwarzen Minirock und ihre nackten Beine, die konnte sie nicht verbergen. Es würde die marmornen und hölzernen Gestalten im Inneren nicht schocken, sie waren ja alle in ihrem Leiden oder in ihrer Erhabenheit sowieso abgehoben und fern von allen weltlichen Ärger- und Kümmernissen.

Dunkelheit umfing sie zunächst, von Liebe spürte sie nichts. Aber sie sah: Gold und Prunk, Brokat und Samt und über allem lag ein Schein, der an Vorboten eines Höllenfeuers erinnerte.

Und dann sah sie Ihn, den Gequälten, der am Kreuz hing mit schmerzverzerrtem Gesicht, das Leid der Welt in jedem Stück Material, aus welchem sein Körper geformt worden war.

Wo war die Liebe hin, die er einst gepredigt hatte?, fragte sie sich betrübt.

Wenn sie ihn so anschaute, dann dürfte es doch da draußen in jener Welt keinerlei Leid mehr geben. Nur Liebe, die er aufgegeben hatte, um Platz für all das Leiden zu schaffen, müsste sich sanft und flüsternd auf die Erde und ihre Bewohner gelegt haben.

Was war da schief gelaufen?

Als sie weiter ging, den riesigen Raum mit vorsichtigen Schritten durchdrang, das Staccato ihrer Absätze hallte von den Wänden wider gleich einem Hohngelächter, gewahrte sie plötzlich in einer Holzbank eine zusammengekrümmte Gestalt, bewegungslos und fast meinte sie, der Tod habe jene Gestalt ereilt, wenn da nicht dieses Murmeln hörbar gewesen wäre. Nun sah sie es auch: Die Lippen in dem ausgezehrten runzligen Gesicht bewegten sich.

Ihre Neugier war größer als ihre Ehrfurcht und so wagte sie, das Murmeln zu unterbrechen, indem sie den Mann bei der Schulter packte.

„Was machst du hier?“, fragte sie und ihre helle Stimme schien so gar nicht zu dem Ort zu passen.

Er erschrak nicht, hob den Kopf und lächelte.

„Ich spreche mit Ihm“, war die Antwort.

„Warum?“

„Ich gestehe meine Liebe“, meinte er immer noch lächelnd „und ich suche sie...“

Sie erschrak. Er würde doch nicht auch – wie die sanfte Unschuld aus der Bar....?

Gleichzeitig klebten seine letzten Worte an ihren Gedanken fest. Er suchte die Liebe...

„Und du meinst, du findest sie hier?“, fragte sie erstaunt.

Er kicherte. „Nein, keineswegs, im Gegenteil. Hier an jenem göttlichen Ort, wo sie einst Zeugnis geben sollte, ist sie schon lange verloren. Ich habe sie in mir und wie gern würde ich sie hinausschreien, ein wenig abgeben, aber sie würde abprallen....“ Er machte eine ausladende Handbewegung...“abprallen an all diesem Prunk, der alles verschluckt an Liebe, die ER...“ wieder eine Handbewegung, diesmal ein Fingerzeig auf das Kruzifix...“als Doppelgebot in die Welt geworfen hat....“Sie war ein wenig erschüttert. Wen oder was liebte diese arme abgerissene Gestalt, die aussah, als habe sie noch nicht einmal genug zu essen?

Als habe er ihre Gedanken erraten, fuhr er fort zu sprechen: „Ich liebe das Leben, immer noch, egal, auch wenn es mich gebeutelt hat, ich liebe die Menschen und ich liebe mich selber. DAS nämlich haben die meisten verlernt.“

„Ich verstehe nicht“, meinte Madonna, erneut irritiert. „Jeder Mensch ist sich doch selbst der Nächste, das eigene Ego scheint doch über allem zu stehen.“

„O ja, das gerade ist es doch, dieses Ego, das völlig von der Spur abgekommen ist. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Dieses Ego überfordert sich selbst durch Gier, Neid, Hass, Streben nach Besitz...und sie meinen, nur dann glücklich zu werden, wenn sie dem nachgeben. Und sie nehmen noch das Gebot an, IHN zu lieben – ein fragwürdiges Alibi...“ Er lachte bitter.

„Aber....“ sie zögerte kurz, dachte an das Krisengespräch und den mangelnden Lösungsansatz...“aber, ist es denn möglich, das Ego der Menschen wieder zu ändern...na, wie hast du es genannt? Auf die richtige Spur zu bringen? Ihnen wieder Selbst- und Nächstenliebe einzuimpfen?“

„Ein Impfstoff?“ Nun kicherte er wieder und schüttelte sein nahezu kahles Haupt.  „Nee, so einfach ist das wohl nicht. Dies hier“, er breitete nun seine Arme aus,  „ist Signum für den Überbau einer Institution, die ich fast schon gottlos nennen würde. Mit IHM...“, wieder jener Fingerzeig..., " hat das nichts mehr zu tun. Da sitzt Geld, aber richtig, es steckt in den Vermögenshaushalten der Bistümer, in Stiftungen und niemand von deren Vertretern muss Rechenschaft ablegen und offen sagen darf man es auch nicht, denn es könnte ja sein, dass die sich dem Glauben Verschworenen meinen, Reichtum passe nicht zu einer Institution, die Armut und Bescheidenheit predigt.

Weißt du, dass sie sogar Gelder verzocken?“ Er kicherte und bekam einen Hustenanfall. Als er sich wieder gefangen hatte und zu Atem gekommen war, fuhr er fort: „Du hast bestimmt gehört, welche Skandale sich seit nahezu ewigen Zeiten aufgetan haben um diesen....nun ich nenne es Sündenpfuhl, denn was ist es anderes, wenn man sich unter dem Deckmantel für Arme, Kranke, Bedürftige zu handeln, selber ein dickes Polster schafft?“

Sie hatte gehört, die Krisensitzung und der mangelnde Lösungsansatz....„Und woher kommen all die Gelder?“ Eine rhetorische Frage, denn eigentlich wusste sie es, denn schon lange hat sie in ihrer Zurückhaltung beobachtet...schon damals, als die Menschen durch den Ablass im Namen der Kirche ausgebeutet wurden, ihre Furcht vor Hölle und Fegefeuer schamlos ausgenutzt worden war und sogar der Ärmste noch ein Schärflein gegeben hatte, auf dass seine Sünden vergeben würden. Jeder bezahlte diese Gelder, damals wie heute, der Staat finanzierte kirchliche Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen -  und das nicht zu knapp.

„Fünf Milliarden jährlich für die katholische Kirche aus Steuergeldern“, murmelte sie...Und wo blieb die Liebe? Stammte nicht das ethische Prinzip der Nächstenliebe aus dem Judentum und seiner Bibel, dem Tanach? Schon damals – sie erinnerte sich gut, war Nächstenliebe Pflichthandeln jedes Israeliten, und diese Nächstenliebe sollte vorrangig den Bedürftigen zugute kommen. Sie galt gerade den Randgruppen, Unterdrückten und Benachteiligten und sogar der Unterdrückung von Fremden sollte damit Einhalt geboten werden. Es hatte nie geklappt, damals nicht, heute schon gar nicht.

Nach einem kleinen Schweigen griff der Alte ihre Hand.„Ich habe geglaubt, an Ihn und an die Kirche. Letzteres...davon ist nichts mehr übrig, von meinem Glauben, meine ich... Es wird sich nichts ändern. Ihren Vertretern ist durch das Zölibat die Liebe verboten, die Liebe zu den Menschen scheint mehr als fragwürdig, wenn sie sich darin zeigt, dass dieses verkrustete Machtimperium mit seinen Herrschaftsstrukturen sich bereichert und  die Welt an Hass, Neid, Krieg, Armut, Hunger zugrunde geht. ER...“ seine Augen wanderten zu dem Gequälten,  „er würde seine revolutionären Ideen als gescheitert betrachten, sein Doppelgebot der Liebe hat sich in ein Nichts verflüchtigt. Und Selbstliebe, sie ist reduziert zu einem Hunger nach Beachtung, Anerkennung und zahlreichen Ersatzhandlungen, die dem degradierten Ego entspringen. Die Menschen verkleiden und maskieren sich mit käuflichem Talmi und sie sehen und erkennen nicht mal sich selbst. Wie sollten sie dann den Nächsten wahrnehmen können? Und die hier macht es ihnen vor! “ Das klang nun beinahe zornig und seine Lippen waren schmal geworden, das Lächeln verschwunden.

Sie war betroffen, aber sie wusste, Betroffenheit nützte hier rein gar nichts. Man müsste handeln, all jenen Prunk, der sich diese Institution als Symbol angeeignet hatte und sich und den Menschen mehr als nur Lügen verkaufte, zerschlagen, wie damals das goldene Kalb.

Wenn die Menschen glauben wollten, so könnten sie das tun, aber mit der Liebe zu dem Einen, welcher sich die aus dem Land der Liebe Kommende verschworen hatte, war es nicht getan.

Ein Gedanke streifte sie. Brauchte es Zerstörung um Heiles zu schaffen?

Sie hatte keine Antwort, wusste nur in diesem Augenblick, dass noch viele Krisensitzungen notwendig sein würden, um sich dem nähern, was einst als Doppelgebot der Liebe die Welt verbessern sollte.

Sie verließ diesen Ort, in dem der Prunk einen Geruch ausströmte, der beinahe ihr Mittagessen wieder zutage zu befördern drohte.

Am Abend gönnte sie sich mehrere Tequilas in einer Strandbar, tat es all jenen gleich, die sich Liebe oder was sie dafür hielten mit Betäubung erkauften.

Jetzt lag sie in dem Liegestuhl, ihr Kopf schmerzte ein wenig, denn Getränke aus dem Liebesland war sie nicht gewohnt. Weitaus mehr Schmerzen verursachten aber ihre Gedanken.

Sie würde das Land der Liebe rasch verlassen und sich erneuten Krisensitzungen widmen. Über den Ort war sie sich noch nicht ganz im Klaren. Man sollte vielleicht ein Asylantenheim wählen und damit ein Zeichen setzen. Oder auch eine stilvolle Prunkvilla....In Limburg sollte es eine geben, auch das würde der Sitzung einen besonderen Touch geben. Sie würde nachdenken....Liebe hat sie in diesem Land nicht gefunden. Diese schien auch hier nur Talmi zu sein.

Obwohl...wenn sie an den letzten Blick des alten Bedürftigen dachte, dann könnte sie die Liebe flüchtig gestreift haben...

Vielleicht.

 

Liebes-Gebot light and easy

Dass Jesus Christus, der zweifelsohne ein charismatischer und menschenfreundlicher junger Mann war, als ‚Gottes Sohn’ bezeichnet wird und Maria ihn dereinst als ‚Jungfrau’ empfangen und geboren haben soll: Diese beiden ex catedra erlassenen Glaubensgrundsätze der katholischen Kirche - an die die Gläubigen zu glauben gezwungen sind - sind als Marketing-Argumente gegenüber den menschlichen 'Followern' der ‚göttlichen' Kirche zu verstehen; Argumente mit Totschlag-Charakter, denn ein Mensch kann nicht Gott und eine Gebärerin kann keine Jungfrau mehr sein; und eben durch diese genannten Eigenschaften heben sie sich von den Menschen ab und befördern ihre Himmelfahrt. Das ist die Natur des Wunders.

 Muss sich nicht zumindest jede Frau, die per vias naturales – oder auch durch Implantation eines in vitro gezeugten Embryos – empfangen und ihn durch ihre Vagina – oder per Kaiserschnitt – entbunden hat, beleidigt fühlen ob ihrer Sündhaftigkeit ?

 Nehmen wir Abstand von dieser eher ichbezogenen Sichtweise, so stellen wir fest, dass mit beiden Glaubensgrundsätzen die Hand der Freundschaft zwischen Gott und den Menschen ausgestreckt wird: Ein Mensch kann gleichzeitig Gottes Sohn sein und eine Jungfrau Mutter. In diesem Punkt ist die christliche Religion einmalig.

 Sie löst den rachedürstigen alttestamentarischen Gott ab durch einen Vater-Gott, der seinen Sohn unter die Menschen sendet, ihn sogar durch die Umtriebe der Menschen zu Tode kommen lässt, was wieder ein Anklang an eine gewisse Erbarmungslosigkeit Gottes ist, uns Menschen aber mit unserem Schicksal als Todgeweihte versöhnen sollte (auch wenn dies sicherlich nur schwer möglich ist).

 In anderen paternalischen Religionen, wie z.B. dem Islam – der heutzutage gegenüber der Zeit der Conquista nichts an Bedeutung und Kampfbereitschaft eingebüßt hat –, bestehen zwischen ihrem Gott und den Menschen noch größere Gräben.

Genaue Regeln für das Leben hienieden und den Umgang mit Gott sind vorgeschrieben. Das Ich ist nicht wichtig. Das Individuum unterwirft sich dem Regelwerk.

Im Paradiese sollen 72 Jungfrauen auf den im Kampf für den Glauben Gefallenen warten; auch auf Erden ist die Jungfräulichkeit von großer und der Unterdrückung Vorschub leistender Bedeutung, jedoch eher in gesellschaftlicher Hinsicht.

 Kanzel, Beichtstuhl, Synagoge, Moschee, Schule und das Internet sind die Plattformen, auf denen Werbung für die Religion gemacht werden. Es wird versucht, Kinder in die gewollte Richtung zu dressieren, Sünder in Anbetracht ihrer Verfehlungen auf den „einzig richtigen“ Weg zu drängen und „Gerechte“ in ihrem Tun zu bestärken – wobei der Gerechten wenige sind, „im Himmel aber mehr Freude über einen reuigen Sünden herrscht, als über 100 Gerechte, die der Reue nicht bedürfen“. Wie verständnisvoll !

 Auf der anderen Seite kommt jeder Mensch bereits mit der Erbsünde belastet auf die Welt.

Was ist die Erbsünde ?

 Großzügig interpretiert, besteht die Erbsünde im Menschsein per se. Ein kollektiver und angeborener Sündenfall unserer gesamten Spezies, ganz ohne individuellen Beitrag. Aber (sozusagen) abwaschbar, durch das Wasser der Taufe, welche die Mitgliedschaft des Täuflings in der Kirche und seine weitere Sozialisierung (manche sprechen von Beeinflussung oder gar Manipulation) besiegelt.

 Religionen geben der Sehnsucht nach Transzendenz Nahrung und helfen über die wenig verheissende Erkenntnis unserer Sterblichkeit und des fragwürdigen Sinnes unseres Lebens hinweg; eine Erkenntnis, die ernüchternd ist.

 Das Paradies, das verlorene, ist für viele Menschen Trost und Hoffnung. Beides vernebelt ihnen die Einsicht, dass die Erde ein Paradies sein könnte, wäre der Mensch nur dazu bereit und in der Lage, Ehrfurcht vor der Schöpfung – oder weniger anspruchsvoll formuliert: vor der Natur – zu entwickeln. Aus solcher Ehrfurcht erwächst Respekt und Verantwortung. Dafür aber muss der Mensch über sich selbst hinausblicken. Mit der Kraft unserer Gedanken können wir unsere Begrenzung auf das Ego verlassen, wir können förmlich aus der Haut fahren. Nur so kann sich Liebe entwickeln.

 Warum bleiben wir – freiwillig und selbstbestimmt - in der Einsamkeit unserer inneren Höhle? Liebe ist die Lösung, die Befreiung vom Ego, der Weg zur Transzendenz.

 Und für den Einstieg in dieses Vorhaben gibt es einen erstaunlichen Satz, den Jesus Christus gesagt haben soll : „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.“

 

Impressum

Bildmaterialien: Fotos: Grabschatz des Tutenchamun Ägyptisches Museum Kairo, aufgenommen 2003 - vor den Plünderungen anlässlich der Unruhen im "Arabischen Frühling"; "Unter der Palme": twinlili / pixelio.de ; Kirchenbank: Soncha / pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2013

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