Von Drachen, Daten und Deibeln
Der Deal
Es gibt ein Land, welches sich fürchtet vor dem hundertköpfigen Drachen, der die Menschen geißelt. Er erscheint dort, wo sie sich häufig und zahlreich aufhalten, kommt aus dem scheinbaren Nichts und speit todbringendes Feuer. Warum er dieses immer wieder zelebriert, fragt man nicht. Man muss ihn vernichten, dann würde Frieden sein. Aber keiner kann es mit dem Drachen wirklich aufnehmen, jahrzehntelang kämpfen die Drachentöter und sterben. Der Rest muss für diese Kämpfe zahlen und unglaubliche Opfer bringen.
Der König und seine Minister sind gefordert, aber ihnen fällt nichts Gescheites ein. Sie sind nicht mit Weisheit gesegnet. Wie man weiß erscheint irgendwann, wenn die Not am größten ist, jemand, der ein Heilsbringer vorgibt zu sein. Ein Held, der Rat weiß.
„Wissen ist Macht“, sagt er. „Gebt mir euer Wissen, das Wissen aller Menschen im Land, lasst mich in ihre Köpfe, in ihre Taschen und Betten schauen, vielleicht sind die Kinder des hundertköpfigen Drachen unter ihnen verborgen. Gebt mir eure Seelen. Ihr braucht sie nicht, denn der Drache wird sie sowieso holen. Aber ich werde helfen, ihn völlig zu vernichten, dann seid ihr frei.“
Und so kam es. Nur gaben sie ihre Seelen zu früh. Sie erlaubten alles, wollten aber, dass es keiner durchschaute. Das gelang nicht wirklich. Der Deal wurde ruchbar, die Seelenlosen leugneten noch ein wenig bis sie zum Teufel gejagt wurden, doch das war ein langer Prozess.
Der Drache aber lebt und speit Feuer, vielleicht ein bißchen weniger und manchmal auch in anderen Ländern. Keiner versteht warum. Ist das Wissen der Menschen wirklich zu nichts mehr nütze? Hat alles der Teufel geholt? Dem ist es egal, er lacht sich ins Fäustchen.
Der Teufel mit den drei schwarzen Kabeln
Ein Glückskind wird geboren aber ihm war viel Unrecht begegnet, so musste es zum Teufel, um etwas herauszubekommen.
Die Könige hatten dem Teufel viel Gold für eine wundersame Ausstattung übergeben. Es wuchsen ihm darauf drei rabenschwarze Kabel aus dem Kopf, an dessen Enden schauten die schärfsten Augen der Welt auf alles Verborgene. Mit ihnen ausgestattet, sah der Teufel ungefragt und unbemerkt in alle Winkel und Ecken. Man nannte sie die Drei Prismen des Weltteufizisten, denn mit ihrer Hilfe sollte dem Unrecht Einhalt geboten werden. Dafür erhielt er die Seelen der Könige. Das war der Deal mit den Königen. Es durfte aber davon keiner wissen.
Der Teufel konnte nun alle, einfach alle, selbst die Könige ausspähen und mit dem Wissen nach teuflischem Ermessen verfahren. Sehr merkwürdig.
Doch einem Glückskind bleibt nichts verborgen, es wusste von den Drei Prismen des Teufels. Es hatte sie gesehen und sogar berührt. Leider half ihm niemand die schwarzen Kabel auszureißen, aber er erfuhr, als der Teufel schlief, was die Augen alles ausspähten. Zu viel, viel zu viel!
Das Glückskind zeigte jedem, was die drei Prismen des Weltteufizisten sehen, doch die Menschen waren undankbar und dumm. Sie wollten nichts sehen, nichts hören und nichts dazu sagen, was ein Glückskind herausgefunden hatte. Sie glaubten an ihren König und an einen guten Gott. Den Teufel mit den drei schwarzen Kabeln hielten sie für eine Erfindung eines kleinen unerfahrenen Glückskindes, welches für seine Träumerei eine gerechte Strafe verdiene. So musste das Glückskind in ein Land fliegen, welches ihn auch nur notgedrungen aufnahm, ihn aber vorerst aus taktischen Gründen nicht an den Teufel und die seelenlose Könige verriet.
Ob das wohl gut gehen könnte, weiß bis jetzt niemand. Vielleicht ist es aber auch weiterhin ein Glückskind und kann doch noch die Menschen davon überzeugen, dass es besser sei, die Augen und Ohren weit aufzumachen und falls das auch noch möglich wäre, zu schreien.
Der arme Teufel
Der Teufel hatte eine Anfragen von oberster Stelle bekommen. Und das fuchste ihn gewaltig. War er doch gerade mitten in einer Umstellungsphase.
Anfragen von oberster Stelle sind – nicht nur für ihn – immer Anlass für versteckten Ärger - eine Art unausweichlichen Ausgeliefertseins, eine Bringschuld. Und das ihm, der sich am liebsten einbildete, der Meister der Schuld an sich zu sein, die er nach Gutdünken verteilte, indem er Gebote und Verbote erließ.
Dabei sind die Verbote nach das harmloseste. Sie sind kurz, knapp formuliert und betreffen eine Facette des gesamten Komplexes. Es bedarf keiner Fantasie, sie umzusetzen; im Gegenteil: alles Mitdenken ist vom Teufel.
Die Gebote aber sind umfassend und wie eherne Säulen, an denen sich der Mensch sein Leben lang abarbeitet, und wer weiss, das ist vielleicht auch ihr tieferer Sinn: Den Menschen in seine Nichtigkeit zurückzuversetzen.
Was Verbote und Gebote angeht, so sind der Teufel und die oberste Stelle in ständiger Konkurrenz. Kommt von oben ein Gebot wie Donnerhall, versucht der Teufel, seinerseits den Blitz dahinter zu setzen. Wird ein Verbot erlassen, so kitzelt er die Fantasie der Menschen, um es zu umgehen. Seine Hölle muss an Attraktivität gewinnen, steht sie doch in harter Konkurrenz zur himmlischen Hölle.
Aber zurück zur Anfrage.
Sie betraf gewisse Daten, Details aus dem Leben eines kürzlich verstorbenen Papstes, der nun heiliggesprochen werden sollte. Die Sache war eilig. Man wollte dort oben dessen Nachfolger vergessen machen, der noch immer unter den Irdischen weilte und gewiss den Zustand der Seligkeit herbeisehnte.
Der Teufel war stolzer Besitzer eines allumfassenden Thesaurus, eines Datenschatzes aus vielen Datensätzen, die sozusagen insgesamt den Roman der Höhepunkte und der Abgründe der Menschheitsgeschichte in sich bargen. Er hatte sich für dieses Spezialgebiet entschieden, wohl wissend, dass im Himmel schnell etwas in Vergessenheit gerät und leicht jemand zwischen die Stühle fällt.
Die Menge der Daten hatte ein solches Ausmaß erreicht, dass in der Hölle nun Platznot entstanden war und der Herr des Schatzes vor der Entscheidung stand, den Platz für die Höllenmenschen zu reduzieren oder aber die Daten älteren Datums zu schreddern, was ihm Leid getan hätte. Denn nichts darf vergessen werden. Und erst recht nicht vergeben.
Der Teufel hatte deshalb vor einiger Zeit beschlossen, einen Computerkurs zu machen und seine konventionell gespeicherten Daten in elektronische Form zu bringen, mit exklusivem Zugriffsrecht natürlich. Hierzu hatte er von einem Geheimdienstmann, der sich wichtig tun wollte und deshalb etwas wortinkontinent war, und den er während einer Liquidation kennengelernt hatte, Tips für einen Code bekommen, der einfach himmlisch war.
Der Papst, der den erwähnten höllischen Ärger ausgelöst hatte, tat eigentlich nichts zur Sache. Er war das – wenn es das überhaupt gibt – unschuldige Opfer eines momentanen Konfliktes, der allerdings ums Eingemachte ging.
Sein Fall aber sollte apodiktisch werden. War er doch mit seinen Daten zu einer Zeit angefallen, in der schon Raumnot herrschte, weshalb der Herr der Hölle entschied, altbekannte und positiv gewertete Ereignisse einfach in den Papierkorb zu werfen, um Platz zu gewinnen - oder zu sparen, was sich im Grunde widerspricht.
Als er nun im Fegefeuer nach den Unterlagen suchte, fand er ausschließlich Aufzeichnungen von Mitarbeitern der sogenannten ‚Schlüsselloch-Spionage’. Seite für Seite akribische Aufzeichnungen der Essens- und Verdauungsgewohnheiten des seligen Mannes, seine mehr als seltsame Schlafposition (kniend im Vierfüßlerstand, mit der Stirn den Boden berührend) und hier und da eine kleine Manipulation zwischen den Beinen oder aber das zusehends schwieriger gewordene Wasserabschlagen – um einmal bei diesem Organ zu bleiben.
Alles im allem gaben diese Daten nichts her, außer, dass zutiefst menschliche Verhaltensweisen dem zu Beurteilenden zu seiner Heiligkeit verholfen hatten.
Eine schlimme Erkenntnis für die künftige Einwohnerzahl der so energieaufwendigen, allerdings steuerbegünstigten Hölle! Oder vielleicht ein Trick von oben, um die himmlischen Sphären endlich mit dem Halleluja zu füllen, das in letzter Zeit mehr als verstummt war.
Jedenfalls konnte er sicher sein, dass auf Erden sich keiner aufregte, so dick es auch kommen möge – dort herrschte das Schweigen der Lämmer und die Blindheit der Lemminge.
Mit seinem Ärger aber sollte er allein, eiskalt mutterseelenallein bleiben, denn das haben Geheimdienste so an sich.
Der Teufel steckt im Detail
Wie so oft schon hatte er sein Höllenfeuer verlassen, das für seine Maßstäbe zu spärlich loderte und sich auf die Suche gemacht, um zündende Funken zu finden.
Obwohl die Menschen in dem Glauben waren, alles verändere sich zu rasch, sei unüberschaubar und chaotisch, bewegte sich in Wirklichkeit nichts. Das war seine Meinung. Politik dümpelte und allzu oft musste er lachen, wenn er das Theater anschaute, was die Obermänner ihren Untertanen vorspielten. Letztere zollten manchmal sogar noch Applaus.
Er war in Abständen immer mal in die Köpfe, ja sogar in die Seelen einzelner Menschenkinder gefahren und hatte dort sein Diktat hinterlassen. Die Freude darüber, wie sie darauf ansprangen, wie er in ihnen wüten konnte, gab ihm jedes Mal einen von jenen zündenden Funken, die sein Höllenfeuer am Leben erhielten.
Die braven Menschenkinder hatten für ihn Daten gesammelt – haufenweise.
Der Masse schien es egal, sie merkten es kaum und wenn doch, dann zuckten sie mit den Schultern, schauten weg, in dem Glauben, sie hätten ja nichts zu verbergen.
Oft war das auch so, denn noch durchsichtiger als sie sich präsentierten in der Welt des Internets, konnten sie kaum werden.
Der zündende Funke bleib klein.
Was also tun?
Der Teufel saß an seinem Computer – die Kurse hatte er mit Bravour absolviert und sich ständig weiteres Wissen dazu angeeignet – und die Datenmenge erschlug ihn beinahe.
So raufte er sich seine drei Haare, die lange nicht mehr golden waren und grübelte.
Bingo! Die Idee durchfuhr ihn wie ein Blitz und sofort schwollen die kleinen Feuer seines Höllenarbeitsraumes an, loderten auf und ließen ihn ihre Hitze spüren.
Das war es!
Was brachte es, diese Daten zu sammeln, zu speichern? Er würde nie gleichzeitig so viele Menschen rekrutieren können, dass diese all jenen Müll effektiv sichten konnten.
Man müsste...ja, er rieb sich die Hände und sein teuflisches Lachen hallte von den schwarzen Wänden seines Domizils wider, man müsste sich etwas herauspicken und es gezielt verändern.
Mitunter könnte schon ein kleines Wort genügen, hinzugefügt oder weggelassen – in einem Vertrag, einer Email-Absprache, einer privaten Nachricht, in einem Bekenntnis oder gar in einem geheimen Dokument. Könnte DAS nicht für einen wahren Aufruhr sorgen? Das Chaos perfekt machen? Die Menschen aufschrecken?
Er fand einen Auftrag der Bundesregierung, in dem es um Waffenexporte in ein kleines Emirat am Persischen Golf ging. Die Verhandlungen schienen noch im Gang. Hier könnte man doch mit dem Anhängen einer einzigen Ziffer das sowieso schon hemmungslos scheinende Lieferversprechen zu einem wahren Strom anschwellen lassen.
Er hackte sich ein in die Verhandlungen einer Münchener Waffenfirma mit diesem Emirat und platzierte eine Null in einen schon unterzeichneten Vertrag und die neue, nun dreistellige Zahl für Panzerlieferungen gefiel ihm.
Anschließend loggte er sich ein in das Papier über die Politischen Grundsätzeder Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen.
Den Passus „Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen“ änderte er geringfügig in
„Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern zwar Gewicht beigemessen, aber nur in dem Maße, dass die wirtschaftlichen Interessen de Bundesregierung nicht zurückstehen oder negativ berührt werden.“
Nun sollte er nur noch eine Möglichkeit finden, dies an die Öffentlichkeit zu bringen. Er würde jemanden von der „Linken“ auswählen als seinen Handlanger, ihm Zugriff gewähren auf die nötigen Dokumente.
Diese kleine Aktion hatte den Teufel kaum Mühe gekostet. Nach einem kleinen Höllentrank, den er sich zur Entspannung gönnen wollte, würde er weiter suchen.
Auf diese Weise könnten all die Daten nützlich sein und die Menschen würden vielleicht begreifen, dass eben der Teufel im Detail steckt und winzige Manipulationen größere Auswirkungen haben könnten.
Obwohl – ein wenig zweifelte er an seinem Gedanken, was das Begreifen der Menschen anging. Aber das konnte ihm ja nur Recht sein. Denn so würde er immer neue zündende Funken für sein Höllenfeuer finden.
Es würden ungeheure Wahrheiten ans Licht kommen und wenn man diese Wahrheiten, die doch geheim bleiben sollten, auch noch veränderte – welch ungeahnte Möglichkeiten würden sich dann eröffnen.
Impressum
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2013
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