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Ein Dom in Nöten

Ein Dom in Nöten

 

 

oder: Wie ein Dom zum Sklaven wird

 

 

 

Von Rolf West

 

 

 

 

 

 

Ich erzähle eine BDSM-Geschichte der etwas anderen Art, keinen Tatsachenbericht. Sie soll unterhalten. Vielleicht macht sie auch nachdenklich. Für Leser ab 16 Jahren geeignet.

Alle hier vorkommenden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.

Sofern sie in Verbindung mit sexuellen Handlungen vorkommen, sind die Beteiligten erwachsen.

 

Auch, wenn es hier kaum detailliert beschrieben wird, denken Sie bitte immer an die Grundsätze bei BDSM:

Gegenseitiges Einverständnis, bewusste Akzeptanz und vor allem Sicherheit.

Persönlich rede ich auch gern von Freiwilligkeit, Vertrauen und Verantwortung. Bei Fehlern kann die Gesundheit von Körper und Geist davon abhängig sein.

 

 

 

 

 

Vorwort des Autors:

 

 

März 2019, Stau auf der Autobahn. Bewegungsgeschwindigkeit 0,4 km/h. Bisherige Standzeit 17 Minuten.

Was macht man im Stau (außer sich ärgern)? Man überlegt sich neue Sequenzen oder Szenarien für Geschichten. Ich überlegte, wie ich ein BDSM-Szenario vielleicht mit etwas Wortwitz auflockern konnte. Zwischendrin ein paar Gedanken an den Animationsfilm „Ich, einfach unverbesserlich“ (herrlich), den ich mir kürzlich wieder angesehen hatte.

Weil ich auch an einer Serie von Geschichten zu einem BDSM-Hotel schreibe, resultierte daraus die spontane (und natürlich unsinnige) Frage, was passiert eigentlich in so einem Hotel, wenn dort eine Familie mit (kleinem) Kind aufschlägt. Funktionierte in meiner Serie aber nicht, da es dort eine Torkontrolle gab.

Aber, so ging das Gedankenspiel auf neue (Ab)Wege, was passiert, wenn ein Dom in einer 24/7 Beziehung mit seiner Sklavin (beide natürlich unerfahren, was Kinder angeht) ein 3-jähriges Mädchen erbt. Was dann?

Und auf einmal purzelten die ‚absehbaren‘ Szenarien und Situationen. Von amüsant bis nachdenklich.

1,5 Stunden später war ich sauer, weil der Stau zu Ende war und ich mich wieder auf das Fahren konzentrieren musste.

Aber das Konzept stand ….

 

 

 

P.S.: Der Vorteil bei erfundenen Geschichten ist, man kann als Autor den heiligen St. Bürokratius von Behörden in seinem Sinne verbiegen.

 

Es klingelte mehrmals hintereinander.

Sir Jo fing an zu fluchen.

Sir Jo, mit bürgerlichem Namen Joachim Herbst, 34 Jahre alt mit kurzen schwarzen Haaren, hatte gerade den letzten Knoten bei der Fesselung seiner Leibsklavin Doro angezogen und strich gerade mit der Linken über ihren nackte Körper. Die Gerte hatte er schon in die Hand genommen. Er war ihr Herr und wollte ihr mal wieder den Po striemen und sich anschließend an ihrem Körper erfreuen. Er lebte mit seiner Sklavin in einer 24/7 BDSM-Beziehung, also blieben die Rollenverteilungen rund um die Uhr erhalten.

Doro, eigentlich Dorothea Stange, 26 Jahre alt mit schulterlangen, leicht rötlich schimmernden Haaren, lebte jetzt seit etwas über drei Jahren bei Sir Jo. Der hatte damals eine neue Sklavin gesucht, weil seine bisherige ihn völlig überraschend verlassen hatte. Doros damaliger Herr hatte sie selber kurz vorher nach gegenseitiger Absprache freigegeben und insofern hatte sich Doros und Sir Jos Wünsche gedeckt.

Doro suchte jemand, der über sie bestimmte, weil sie nicht für ihre Entscheidungen verantwortlich sein wollte. So war das Leben viel einfacher für sie. Und die Demütigungen und Schmerzen in dieser Art Leben genoss sie sogar. Da hatte sie eine ziemlich masochistische Ader. Den Spruch ‚Was sich liebt, das neckt sich‘ hatte sie für sich umgewandelt in ‚Wer mich liebt, der schlägt mich‘.

Sir Jo hatte damit eine Sklavin gefunden, die einiges an BDSM-Erfahrungen mitbrachte, sich ihm willig unterordnete und auch seine Härte genoss. Natürlich hatte man sich anfangs um die Grenzen gekümmert und diese besprochen. Schließlich sollte keiner wirklich verletzt werden. Auch Schutzmechanismen, wie Worte oder Zeichen zum Abbrechen von Sessions, waren vereinbart worden. Beide hatten aber sehr schnell das Vertrauen zueinander aufgebaut und schon bald war Doro bei Sir Jo dauerhaft eingezogen. Auch lag Sir Jos Härte voll in Doros akzeptablem Bereich. In den mehr als drei Jahren hatte er sie nie überfordert. Aus ihrer Sicht hatte sie den besten Herrn gefunden, den es gab. Deswegen liebte sie ihn inzwischen heimlich und diente ihm besonders liebevoll.

Sir Jo lebte in einer Villa am Stadtrand einer größeren Stadt in Deutschland. Die hatte er von seinen Großeltern zusammen mit dem großen Grundstück geerbt. Die Villa hatte er, was den Wohnkomfort anbelangte, auf den neuesten Stand gebracht. Fußbodenheizung, Solarstrom, und so weiter. Und um das Grundstück kam ein hoher Zaun. Ein Vorteil, wenn einem eine Immobilienfirma gehörte und man die verschiedenen Lieferanten gut kannte.

Im Sommer gefiel es ihm am meisten, wenn er nackt bei einem kühlen Drink im Liegestuhl schwitzte und seine Sklavin nackt im Garten vor seinen Augen arbeiten und schwitzen durfte. Am Ende landeten beide immer wieder im Pool. Der gemeinsame Schwimmstil dort war allerdings bisher noch keine olympische Disziplin, erfrischte und erschöpfte sie beide aber gleichermaßen.

Da Doro keinen Beruf erlernt hatte, hatte sich auch schnell eine einfache Arbeitsteilung ergeben. Er kümmerte sich tagsüber um seine gut laufende Immobilienfirma und sie sich um Haus und Garten. Abends erwartete ihn Doro nackt und mit Kragen an der Haustür und für beide begann dann der gemütliche Teil des Tages. Er befahl, strafte und genoss. Sie gehorchte, litt und genoss.

Es hatte sich gezeigt, dass Doro sogar einen grünen Daumen hatte und sein Garten gedieh prächtig. Bekannte hatten ihn nach einem Besuch um Tipps für die Gartenpflege gebeten und er hatte den Auftrag an seine Sklavin delegiert. Amüsanterweise hatte sie diese Tipps in eine kleine Geschichte eingebettet. Das hatte ihm gut gefallen. Da er selber ab und zu eine kleine SM-Geschichte bei BookRix nur für die Community veröffentlichte, hatte er Doro erlaubt, das unter seinem Pseudonym auch mit ihren Gartengeschichten zu machen. Und es machte ihr Spaß und es kam bei der Leserschaft an. Etwas, worauf sie sogar stolz war und wofür Sir Jo sie immer wieder lobte.

Heute Nachmittag hatte sie ihn mal wieder bei seiner recht frühen Heimkehr etwas provoziert und er wollte ihre ‚dezente‘ Bitte um Strafe erfüllen. Schön bewegungslos und hilflos in ein ausgetüfteltes Strappado gebunden, erwartete sie nun ihre Schläge. Und gerade, als er anfangen wollte, klingelte es an der Haustür.

Sir Jo zögerte. Sollte er es klingeln lassen? Wenn keiner kam, würde der Störenfried auch wieder gehen. Hoffte er zumindest.

Das erneute hektische Klingeln belehrte ihn einen Besseren.

Wütend warf er die Gerte auf den Boden.

„Verdammter Störenfried“, fluchte er leise.

Er verließ sein Spielzimmer, ein umfangreiches SM-Studio, und eilte zur Haustür.

„Nicht weglaufen, Doro“, gab er noch über die Schulter zu seiner Sklavin.

Ein nicht näher verständlicher Laut, bedingt durch einen Knebel, signalisierte ihm Doros Zustimmung.

Erneut mahnte ihn permanentes Klingeln zur Eile.

Kurz lächelte er. Wenigstens hatte er heute mit seiner schwarzen Lederbekleidung und den Schuhen eine akzeptable Bekleidung an, fand er unterwegs. Es gab auch andere Tage …

„Was ist?“, bellte er, als er die Tür aufriss.

Vor ihm stand ein junger Mann, etwa Mitte 20. Etwas hinter ihm schien ein Kind zu stehen und neben ihm waren zwei Koffer abgestellt.

Erschrocken machte der junge Mann einen kleinen Schritt zurück, wenigstens ohne dabei das Kind umzustoßen. Sir Jo machte momentan keinen freundlichen Eindruck, eher wie ein Vulkan eine Sekunde vor der Eruption.

Dann besann sich der junge Mann auf seine Kompetenz in diesem wichtigen Auftrag.

„Herr Joachim Herbst?“

Leicht zitternde Höflichkeit steckte in der Frage.

„Ja“, war Sir Jos geblaffte Breitseite als Antwort.

„Guten Tag. Mein Name ist Detlev Brommer. Ich bin vom Jugendamt und soll ihnen ihre Tochter bringen, Herr Herbst.“

In dem auf diesen Satz folgenden Schweigen wagt nicht einmal ein Vogel zu zwitschern.

Sir Jo wälzte sein Sündenregister, aber nirgendwo kam Schwangerschaft und Folgen vor. Andererseits war hier jemand vom Amt mit einem Kind. Verwechslung? Untergeschoben? Tatsache? Er konnte es sich erst einmal nicht erklären, aber es verschlug ihm die Sprache. Erst nach langen Sekunden war Sir Jo in der Lage, wieder seine Stimme zu reaktivieren.

„Was sagen Sie da? Meine Tochter? Ich habe keine Tochter.“

Das war diesmal keine Breitseite, sondern ein reines Krächzen. Ein Krächzen, dass Herrn Brommer den Rücken stärkte. Er hatte es geschafft, den wilden Mann vor ihm zahm zu machen. Welch ein Erfolg bei seinem ersten Außenauftrag im Amt.

„Doch, Herr Herbst. Das ist Tamara Wild, drei Jahre alt.“

Damit zog er das kleine Mädchen hinter sich vor und stellte sie neben sich. Die Kleine sah sehr kritisch an Sir Jo hoch, ähnlich, wie der zu ihr hinunterblickte. Ein süßes Gesicht mit schwarzem lockigen Haar und einer Stoffpuppe in der Hand. Kurz, ein bildhübsches Kind.

„Ihre Mutter, Carmen Wild, hat Sie zu ihrem Vormund ernannt und in der Geburtsurkunde stehen Sie auch als Vater eingetragen. Alle weiteren Informationen und Dokumente sind in diesen Unterlagen. Auch ein Brief der Mutter an Sie.“

Herr Brommer hielt ihm den Umschlag hin und automatisch ergriff er diesen.

Der junge Mann beugte sich vertraulich vor und murmelte Sir Jo leise etwas zu. Er wollte vermeiden, dass das Kind ihn verstand.

„Wissen Sie, die Mutter war sehr krank und hat vorgestern ihrem Leiden ein Ende gesetzt. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Unser Amt hat das Kind erst einmal in seine Obhut genommen und die Unterlagen gesichtet. Da wir momentan aber keine Unterbringung haben, bis alles geklärt ist, hat meine Amtsleiterin, Frau von Stüben, entschieden, ihnen das Kind schon jetzt zu bringen. Wenn Sie bitte in den nächsten Tage bei uns vorbeikommen wollen, damit wir einiges wegen der Mutter … äh … regeln könnten. Mein Kontakt steht auf dem Umschlag.“

Fast fasziniert beobachtete Herr Brommer das Anwachsen verschiedener dicker Adern an Sir Jos Hals, sowie das leichte Wechseln von dessen Gesichtes in einen Rotton, als ihm schlagartig die mögliche Bedeutung von Sir Jos Gesichtsveränderung klar wurde.

„Äh … gut. Damit habe ich meinen Auftrag erfüllt. Auf Wiedersehen noch.“

Der taktisch gerade noch rechtzeitig erfolgte schnelle Rückzug von Herrn Brommer ließ einen Sir Jo an seiner Haustür zurück, der sein Aufbrüllen nicht mehr losgeworden war. Und vor dem Kind, das ihn immer noch sehr kritisch musterte, wollte er sich jetzt nicht so gehen lassen.

Seine Tochter.

Das dröhnte immer nach in seinen Ohren.

Carmen Wild kannte er zumindest. So hieß die Sklavin, die vor Dorothea bei ihm gelebt hatte und die von einem auf den anderen Tag aus seinem Leben verschwunden war. Und sie hatte damals etliche tausend Euro aus seinem Arbeitszimmer im Haus mitgehen lassen. Er hatte sie dafür aber nicht angezeigt. Immerhin hatte er keine Chance gehabt, ihr die Zeit als Sklavin bei ihm in angemessenere Weise zu honorieren, und ihr deswegen das Geld gegönnt.

Drei Jahr war die Kleine alt. Wenn er im Kopf nachrechnete, musste Carmen damals gerade in den ersten Monaten schwanger gewesen sein, als sie verschwand. Da er sie auch nie an andere Doms verliehen hatte, musste es wohl stimmen, dass Tamara seine Tochter war.

Seine Tochter.

Langsam sank er in die Hocke, um mit dem Mädchen auf Augenhöhe zu sein.

„Du bist also Tamara.“

Seine leise Stimme hatte Staunen und Frage im Tonfall.

„Bist du mein Papa?“

Die leise Erwiderung klang nach Frage und Skepsis.

„Sieht wohl so aus“, murmelte Sir Jo dumpf.

Vielleicht wollte Sir Jo dabei lächeln, aber es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus, die bei Tamara das Stirnrunzeln verstärkte.

Sir Jo überlegte krampfhaft, was er jetzt machen sollte. Lebende Kinder kannte er bisher nur aus mindestens 50 Meter Entfernung. Der Typ vom Jugendamt war weg und er stand hier mitten in einer Session mit einem kleinen Mädchen.

Schlagartig wurde sein Gesicht blass. Session! Doro! Die hing noch in ihrem Strappado und das war auf Dauer mehr als unangenehm. Wie lange stand er nun schon hier?

Schnell erhob er sich und hatte schon wieder einen Schritt zur Tür gemacht, als ihm einfiel, dass hier auch ein Problem stand. Er wirbelte herum. Ein erster leichter Hauch von Panik tauchte in seinen Augen auf. Was sollte er machen?

Ruhe, Sir Jo, ganz ruhig. Tamara ist Problem eins. Doro ist Problem 2. Überlege!

Zumindest eine erste Lösung hatte er schnell gefunden.

Hier draußen lassen konnte er Tamara nicht.

„Gehen wir erst einmal hinein, dann kannst du dich hinsetzten, Tamara.“

Er schnappte sich die beiden Koffer und ging hinein. Erleichtert stellte er fest, dass die Kleine ihm folgte. Die Koffer stellte er erst einmal im Flur ab und ging ins Wohnzimmer weiter. Tamara folgte ihm.

„Setz dich bitte auf die Couch und warte. Ich muss nur noch schnell etwas erledigen und bin gleich wieder bei dir.“

Damit drehte er sich um und lief über die Treppe im Flur in den ersten Stock durch sein Schlafzimmer in das Spielzimmer. Doro hing in den Seilen und ihr Körper zitterte durch die Anspannung bei der Fixierung. Eine kleine Speichelpfütze hatte sich durch den Knebel auf dem Boden gebildet.

Zuerst nahm Sir Jo ihr den Knebel ab. Dann wandte er sich an die Fixierung ihrer Hände.

Natürlich gingen gerade jetzt die fest zugezogenen Knoten nicht so einfach auf.

Leise fluchte er vor sich hin, während Doro immer wieder stöhnte, weil das Ziehen an den Knoten ihre Arme weiter belastete.

Plötzlich erstarrte Sir Jo. Da war ein langsames Stapfen auf der Treppe in den ersten Stock. Sollte etwa Tamara …?

„Sorry, Doro, bin gleich wieder da“, ächzte er.

Panikstufe 1. Damit hastete er aus dem Zimmer zur Treppe. Tatsächlich hatte sich die Kleine bereits die halbe Treppe hochgekämpft und lächelte ihn nun ein bisschen an.

„Tamara, du solltest doch unten warten.“

Sir Jo lief zu ihr und nahm sie in den Arm. Die Kleine schlang einfach die Arme um seinen Hals und ließ sich willig zurück in das Wohnzimmer tragen. Er setzte das Mädchen wieder auch die Couch.

„Bitte bleib hier sitzen. Ich muss das oben fertigmachen, dann bin ich gleich wieder da.“

Und er eilte wieder hoch ins Spielzimmer.

Doro wimmerte. Die Schmerzen in ihren Schultern hatten zugenommen. Hektisch machte sich Sir Jo wieder an das Lösen der Knoten. Verwundert bemerkte Doro die leichte Panik in seinem Gesicht. So schlecht ging es ihr nun auch wieder nicht und das Safewort hatte sie nicht ausgesprochen.

Ein lauter Knall aus der unteren Etage ließ beider Köpfe Richtung Tür zucken.

„Verdammt“, war alles, was sie noch vernahm, als er mit Panikstufe 2 wieder hinauslief. Zumindest verstand Doro, dass da irgendetwas unten los war, was ihn abhielt, sie zu befreien.

Hoffentlich ist der Kleinen nichts passiert, dachte er auf dem Weg. Auch, wenn Kinder nicht in seine Welt passten, verletzen wollte er sie auf keinen Fall.

Sir Jo staunte, als er im Wohnzimmer ankam. Tamara saß engelsgleich auf der Couch und im benachbarten Esszimmer war ein Stuhl umgefallen. Er ging hin und stellte ihn wieder auf.

„Was ist passiert?“ wollte er von der Kleinen wissen.

„Stuhl ist umgefallen.“

„Warst du das?“

Kopfschütteln bei dem Mädchen. Sir Jo zog die Augenbraue hoch. An Geister glaubte er nicht. Doro hätte er bei so einer offensichtlichen Lüge ordentlich den Hintern versohlt. Aber bei Tamara? Er wusste nicht, was er machen sollte.

„Ich bin gleich wieder zurück.“

Und wieder im Laufschritt nach oben. Doro musste losgebunden werden. Jetzt waren die ersten Knoten gelöst. Erneut ein Knall aus dem Erdgeschoss. Er machte einen Schritt Richtung Treppe und blieb wieder stehen. Die Kleine würde ihn nicht nochmals aufs Kreuz legen. Er wandte sich wieder Doro zu und befreite ihre Hände. Noch ein Schlag von unten.

„Mach den Rest alleine, zieh dir etwas an und komm runter, Doro.“

Den Befehl rief er ihr beim Rauslaufen noch zu und war gleich darauf wieder unten im Wohnzimmer. Sein Puls war deutlich erhöht. Immer dieses Treppe rauf und runter.

Diesmal lagen zwei Stühle im Esszimmer auf dem Boden und Tamara saß immer noch auf der Couch.

Sir Jos Schultern sanken nach unten. Dann ging er hin und stellte die Stühle wieder auf.

„Du warst das natürlich nicht.“

Den leicht ironischen Unterton konnte er sich dabei nicht verkneifen.

„Die sind einfach umgefallen.“

Tamaras Stimme klang trotzig. Sir Jo schloss die Augen und atmete tief durch. Er öffnete die Augen wieder und setzte sich Tamara gegenüber in einen Sessel. Resigniert sah er die Kleine an. Die fixierte ihn, als suche sie etwas.

Erst als das Tapsen auf den Treppenstufen zu hören war, wandten beide den Blick zur Treppe. Ein nackter Fuß wurde sichtbar. Tamara rutschte von der Couch und flitzte zu Sir Jo. Neben seinem Sessel blieb sie stehen und starrte wieder zur Treppe.

Ein nacktes Bein und ein String wurden sichtbar. Siedend heiß fiel Sir Jo ein, dass er Doro standardmäßig nur einen String erlaubte, wenn er im Haus ‚anziehen‘ befahl.

„Doro, rauf, Jogginganzug anziehen, wieder herkommen.“

Lauf rief er die schnellen Kommandos. Neben ihm zuckte das Mädchen zusammen und fing wegen der Lautstärke und Schärfe leise an zu weinen. Doro eilte sofort wieder hoch in ihr Zimmer. Sir Jo drehte sich Tamara zu, als er das leise Weinen vernahm. Die Kleine starrte ihn mit aufgerissenen Augen an, während Tränen über ihre Wangen liefen.

Panikstufe 3 bei Sir Jo. Ein kleines Mädchen, das weint. Was soll ich machen?

In ihm kämpfte der Fluchtinstinkt mit dem Tröster. Langsam schob sich seine Hand in Richtung ihres Kopfes. Schließlich streichelte er ihr unbeholfen die Haare. Erstaunt nahm er zur Kenntnis, dass die Tränen versiegten. Der Tröster verbuchte ein Erfolgserlebnis.

Wieder Tapser auf der Treppe und wieder blickten beide dorthin. Diesmal hatte Doro ihren flamingofarbenen Jogginganzug an, als sie sichtbar wurde. Und sie lief scheinbar gegen eine gläserne Wand, als sie das kleine Mädchen neben ihrem Herrn erblickte.

Sir Jo schnippte mit den Fingern und deutete auf die Couch. Doro schluckte. Sie hatte den Befehl ihres Herrn nicht ausgeführt und war nicht zu ihm gekommen. Das bedeutete Strafpunkte für sie. Gleichzeitig war sie verwirrt. Wer war das kleine Mädchen? Sie durfte sich auf die Couch setzten? Normal war der Platz neben seinen Füßen. Aber sie setzte sich an die Kante der Couch, bereit, sich sofort auf den Boden zu setzen, wenn er ihr das bedeutete.

„Das ist Tamara“, sagte Sir Jo mit müder Stimme.

„Sie wird jetzt … . Also, ich denke … . Ich weiß auch nicht, aber … . Vermutlich wird … . Möglicherweise müssen wir … . Ich schätze … .“

Sein konfuses Gestammel half ihr nicht, die Situation zu begreifen. Aber sie bekam Angst. Wenn ihr sonst so starker und entschlossener Herr so durch den Wind war, dann bestand Alarmstufe 1 in diesem Haushalt. Und das bedrohte auch sie selber.

Sie Jo ließ seinen Kopf in seine Hände sinken.

„Anscheinend ist sie meine Tochter und wird wohl erst einmal hierbleiben“, erklang seine Stimme erneut. Eine dezente Panik untermalte den dumpfen Tonfall.

„Deine … Tochter?“

Jetzt stammelte auch Dorothea, völlig vergessend, dass sie als Sklavin eigentlich nur reden durfte, wenn ihr Herr es erlaubte.

„Sieht so aus.“

„Und die Mutter?“

„Das war Carmen, die Skla … äh … deine Vorgängerin.“

Sir Jo erinnerte sich blitzartig daran, dass die Kleine ja neben ihm stand und zuhörte. Und bestimmte Begriffe wollte er da besser nicht verwenden. Doro hatte Carmen nie persönlich kennengelernt, aber sie kannte die Geschichte über das Verschwinden seiner Sklavin, die vor ihr bei ihm gelebt hatte.

Jetzt endlich wandte sich Sir Jo auch Tamara zu.

„Tamara, das ist Dorothea. Du kannst sie auch Doro nennen. Sie lebt hier bei mir und ist meine … äh …“

Krampfhaft suchte Sir Jo ein für Kinder akzeptableres Wort statt Sklavin.

„… meine Freundin.“

Triumphierend stieß er den Titel hervor. Freundin sollte die Kleine verstehen. Das klang auf jeden Fall besser als ‚Lebensabschnittsbegleiterin‘ oder ‚devote Sub‘.

Auch Doro blickte Sir Jo voll mit aufleuchtenden Augen an. Er nannte sie Freundin.

Erst als sie seine hochgezogene Augenbraue registrierte, erkannte sie ihren zweiten Fehler innerhalb weniger Minuten. Siehe deinem Herrn nicht in die Augen, wenn er es nicht befiehlt.

Sofort senkte sie ihren Blick wieder. Trotzdem lächelte sie leicht. Freundin. Das Wort flipperte zwischen ihren Ohren.

„Doro, deck den Tisch für uns drei. Brot, Auflage, Wasser, Saft.“

Doro sprang auf und beeilte sich, die diesmal leisen und ruhig gesprochenen Befehle umzusetzen. Das klang wieder nach ihrem Sir Jo. Kurze und präzise Anweisungen. Nach wenigen Minuten war der Tisch gedeckt und Sir Jo und Tamara gingen hinüber. Und die Kleine kletterte auf den Stuhl neben ihm. Unterkante Nase auf Höhe Oberkante Tisch. Er musste kurz überlegen. Dann stand er wieder auch und holte ein dickes Kissen von der Couch. Tamaras Blick folgte ihm dabei, bis er wieder kam. Mit einem Arm hob er sie etwas an und schob das Kissen unter sie. Jetzt konnte sie bequem über den Tisch sehen.

Wieder war Sir Jo unter Zugzwang. Aber er raffte sich auf und schenkte dem Mädchen etwas Saft in einen bunten Plastikbecher. Für den bunten Becher bekam Doro ein anerkennendes Nicken. Er wusste gar nicht, dass so etwas überhaupt im Haus war. Doro schmierte ein Brot für die Kleine und fragte sie, was sie von dem Angebotenen mochte. Das bekam das Mädchen dann kleingeschnitten serviert.

„Danke.“

Das kam leise von der Kleinen. Doro lächelte als Antwort und Sir Jo strich ihr vorsichtig über den Kopf. Schweigend aßen sie fertig. Immer wieder huschten die Blicke der beiden Erwachsenen zu dem Mädchen, das still auf seinem Platz saß und sich auf das Essen konzentrierte. Beide hatten überhaupt keine Erfahrungen mit Kindern, aber unterbewusst hatten sie das Gefühl, dass Tamara fast zu ruhig war.

Nach dem Essen räumte Doro wie gewohnt die Küche auf, während Sir Jo sich in seinen Lieblingssessel sinken ließ. Und er hatte postwendend seine nächste Panikattacke. Tamara war ihm gefolgt, einfach zu ihm auf den Schoss geklettert und kuschelte sich nun an ihn. Er saß da, blickte mit leicht entsetzten Augen auf das Mädchen und hielt die Arme auf Abstand. Doro, die gerade fertig geworden war und nun auch ins Wohnzimmer kam, ließ ein winziges Kichern hören. Sir Jo machte den Eindruck, als ob irgendetwas Furchtbares auf seinen Beinen war und er sich nicht entscheiden konnte, ob er es wegwischen oder lieber gleich aufspringen und laufen sollte. Das brachte ihr natürlich einen strafenden Blick ihres Herrn ein.

Plötzlich keuchte Sir Jo auf. Eine Frage war in seinem Kopf materialisiert. Wo schläft die Kleine? Das frühere Gästezimmer hatte er zu Doros Sklavenzimmer umfunktioniert. Ein Kleiderschrank und eine Matratze auf dem Fußboden. Fieberhaft jagten seine Gedanken und er wälzte die wenigen Optionen.

„Doro, geh auf dein Zimmer. Du räumst deine Sachen rüber in mein Schlafzimmer. Vorerst nächtigst du dort. Dein Bett neu beziehen. Nimm die Koffer mit hoch und du räumst ihre Sachen in deinen Schrank. Wenn du fertig bist, kommst du wieder.“

Dorothea stand auf und eilte wortlos in den Flur.

„Moment, Doro. Ab jetzt nur noch ‚Jo‘ und öffentliches Verhalten, verstanden?“

„Ja, He … Jo.“

Sie verschwand nach oben. Unterdessen saß Jo auf seinem Sessel und Tamara lag an ihn geschmiegt. Damit sie nicht wegrutschen konnte, hatte er einen Arm um sie gelegt. Sie sagte keinen Ton, aber er merkte, dass sie nicht schlief, weil ihre Hand ab und zu an ihm tastete.

Eine Stunde später kam Dorothea zurück und brachte auch einen Schlafanzug für Tamara mit. Die kannte anscheinend das Prozedere und rutschte von Jos Schoss. Gemeinsam wurde sie umgezogen und Jo trug sie hoch in das Badezimmer. Wieder etwas, was er neu kennenlernte. Toilette, Waschen und Zähneputzen bei einer Dreijährigen. Auch, als es zum Schlafen ging, sah Tamara Jo wieder an. Er erkannte die Aufforderung, dass er es machen sollte. Seufzend brachte er sie ins Bett. Die Kleine kuschelte sich in ihre Decke. Die Stoffpuppe, die sie die ganze Zeit im Arm gehalten hatte, lag neben ihr. Das Licht war gelöscht, nur vom Flur fiel durch die angelehnte Tür noch Licht. Er hockte sich neben sie auf den Boden und wusste nicht, was er nun mit ihr machen sollte. Also wartete er einfach, bis ihr endlich die Augen zufielen. Dann erhob er sich einige Minuten später und schlich lautlos hinaus. Die Tür ließ er angelehnt. Leise ging er wieder ins Wohnzimmer. Er nahm wieder in seinem Sessel Platz, schloss die Augen und lehnte den Kopf hinten an.

„Verdammt, verdammt, verdammt.“

Mehr fiel ihm nicht zu der Situation ein. Dorothea saß ihm gegenüber und wartete.

Müde richtete er sich wieder auf. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Dann erinnerte er sich, dass der Typ vom Amt von einem Brief von Carmen gesprochen hatte. Also durchstöberte er den übergebenen Umschlag, bis er ihn fand. Tatsächlich, sein Name und seine Adresse standen darauf. Er öffnete ihn, zog das Blatt heraus und fing an, die handschriftlichen Zeilen halblaut zu lesen.

Mein geliebter Herr,

wenn du das liest, bin ich nicht mehr. Doch ich danke dir für die schöne Zeit, die ich mit dir als deine Sklavin verbringen durfte. Deshalb bin ich auch heute noch sehr betrübt, dass ich dein Vertrauen so enttäuscht habe, durch mein Verschwinden und meinen Diebstahl. Ich danke dir auf Knien, dass du mich dafür nie angezeigt hast. Immerhin hat es mir ermöglicht, damit neu anzufangen.

Angefangen hat alles, als ich meinen vierteljährlichen Gesundheitscheck gemacht habe. Da ich mich etwas unwohl fühlte, habe ich gleich den kompletten Check beim Arzt machen lassen.

Herr, bitte verstehe, dass das Ergebnis mich sehr schockiert hat. Mir wurde gratuliert, dass ich in der achten Woche schwanger sei. Ich trug dein Kind unter meinem Herzen. Du hattest mir aber einmal mitgeteilt, dass du mit Kindern nichts anfangen kannst und keine wolltest.

Ich habe nun befürchtet, dass du bei der Mitteilung auf meine Dienste verzichten würdest. Und eine Abtreibung kam für mich nie in Frage.

Es tut mir Leid, Herr, aber ich wusste nicht, was ich machen sollte. Um Rat fragen, wie es meine Pflicht war, konnte ich in diesem Fall nicht. Also habe ich das Geld genommen und deine Dienstreise genutzt, um zu verschwinden.

Bitte verzeih, aber es war Panik in mir.

Im sechsten Monat kam meine Strafe. Bei einer Ultraschalluntersuchung stellte meine Ärztin etwas Anderes fest. Ich hatte Krebs. Zu dem Zeitpunkt war wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft nichts zu machen. Erst nach der Stillzeit wollte ich mich darum kümmern, aber dann war es zu spät. Es hatte bereits gestreut.

Also habe ich auf alle Maßnahmen verzichtet und versucht, solange es ging, nur für unser Kind da zu sein. Diese Zeit geht nun zu Ende. Meine Schmerzen werden immer schlimmer und ich ertrage sie trotz der Medikamente nicht mehr. Aber es gibt einen Weg für mich.

Ich bitte dich, nein, ich flehe dich an, Herr, dass du dich bitte um unsere Tochter Tamara kümmerst. In den bisherigen Jahren habe ich dich unserer Tochter gegenüber nie verheimlicht, sondern ihr immer gesagt, dass du eine lange Reise machst. Bilder, die ich von dir hatte, habe ich ihr gezeigt und für dich alle Bilder aus ihrem Leben auf meinem Notebook gesammelt.

Bitte, bitte, verzeih mir und lass unsere Tochter nicht unter deinem Zorn auf mich leiden.

Deine Sklavin Carmen, die dich geliebt hat

Die letzten Zeilen waren schwierig zu lesen. Das Papier war so gewellt und die Schrift fast unleserlich. Jo vermutete, dass Carmens Tränen die Ursache waren.

Er war erschüttert über diese Beichte. Ihm liefen selber die Tränen über die Wangen. Jetzt hätte er alles gegeben, wenn sie damals zu ihm gekommen wäre.

„Carmen, ich verzeihe dir. Ich muss mich eher bei dir entschuldigen, dass ich dir nicht helfen konnte. Auch, wenn du es nicht hörst, sei gewiss, dass ich dir schon längst verziehen habe und ich verspreche dir, mich um unsere Tochter kümmere. Sie wird ihre Mutter nie vergessen.“

Leise gab er dieses Versprechen und sah die ebenfalls weinenden Doro dabei an. Die stand auf und kniete sich vor ihn. Ihren Kopf legte sie auf seine Beine.

„Herr, bitte lass mich dir bei deiner Aufgabe helfen. Ich verspreche ebenfalls, für Tamara in jeder Hinsicht da zu sein.“

Sanft legte sich seine Hand auf ihren Kopf.

„Ich danke dir, Doro. Ja, bitte hilf mir.“

Er gab ein kurzes hartes Lachen von sich.

„Da hocken nun zwei und versprechen, eine Dreijährige großzuziehen. Und beide haben keine Ahnung von Kindern und Kindererziehung. Das wird eine gewaltige Aufgabe.“

Er überlegte, was sie machen konnten.

„Doro, wir müssen erst einmal alles normalisieren. Ab jetzt lebst du nicht mehr als Sklavin bei …“

„Aber Herr, entlässt du mich aus deinen Diensten“, unterbrach ihn Doro entsetzt.

„Ja. Nein. Du bleibst hier, aber nicht als Sklavin, sondern als meine Lebensgefährtin. SM ruht bis auf weiteres. Also ganz normales Verhalten, nur Namen, kein Herr, keine Sessions. Klar?“

„Ja, … Jo.“

Ihr erleichtertes Aufseufzen war deutlich vernehmbar.

„Gut, dann fängst du morgen an und suchst in der Community bei BookRix nach Büchern über Kindererziehung, was Dreijährige brauchen, und so weiter. Oder du machst einen eigenen Chat dazu auf und fragst andere aus der Community.

Morgen werde ich mal sehen, was die vom Amt noch wollen.“

Zusammen sichteten sie noch die anderen Dokumente. Schließlich gingen sie in seinem und jetzt auch ihrem Schlafzimmer ins Bett. Sie hielten sich nur im Arm dabei. Aber es brauchte eine Zeit, bis sie einschliefen.

 

Jo schreckte hoch. Es war noch mitten in der Nacht. Halb zwei. Irgendetwas hatte ihn geweckt. Er lauschte angespannt. Da! Da war ein merkwürdiges Geräusch. Er lauschte, weil er es nicht zuordnen konnte. Da, wieder. Das klang wie ein … Schniefen? TAMARA!

Schlagartig war er so wach wie nach fünf Tassen hochdosiertem Espresso.

Schnell stand er auf und schlich in das benachbarte Zimmer, in dem die Kleine schlief.

Dort lag das kleine Mädchen und wimmerte leise.

„Was ist denn los, Tamara“, murmelte er leise.

„Ich will zu meiner Mama“, kam die geschniefte Antwort.

Panikstufe 3. Was soll ich der Kleinen sagen? Jo hatte keine Antwort.

Das Einzige, was ihm einfiel, war sich neben die Kleine zu legen und ihr den Rücken sanft zu streicheln, so, wie er es sonst bei Doro machte, um diese nach einem großen Höhepunkt wieder sicher landen zu lassen.

„Sch sch sch. Du musst nicht weinen. Papa ist jetzt da und beschützt dich.“

Er wusste zwar nicht, wie und was er machen konnte, aber es erschien ihm ein guter Spruch zu sein. Papa, der Beschützer. Darauf fahren Kinder doch sicher ab. Anscheinend funktionierte das sogar, denn Tamaras Tränen versiegten langsam und auch das Schluchzen endete, als sich die Kleine enger an ihn drückte.

Jo wartete bis das Mädchen wieder ruhig schlief. Ein paar Minuten wollte er noch warten, bis er wieder in sein Bett zurückging.

 

Langsam wachte Dorothea auf. Ihr wurde bewusst, dass sie in Jos Doppelbett lag. Es war selten, dass sie dort geschlafen hatte. Nun würde es erst einmal dauernd sein. Als seine Lebensgefährtin. Allein das Wort jagte ihr einen wohligen Schauer über ihren Rücken. Wenn er sie so behalten wollte, durfte er ihr gern jeden Tag den Hintern versohlen. Schlagartig fiel ihr der Rest vom gestrigen Abend ein und sie drehte sich zu Jo um. Der war nicht im Bett. Schnell stand sie auf, wusch sich kurz und schlüpfte mit frischer Unterwäsche wieder in den Jogging Anzug. Dann eilte sie runter. Dort war alles dunkel. Kein Jo zu sehen. Wo war der? Raum für Raum prüfte Dorothea. Als letztes sah sie in Tamaras Zimmer. Da lagen beide auf der Matratze und schliefen eng aneinander gekuschelt.

Ein Lächeln lag um Doros Mund, als sie wieder hinunterging und das Frühstück vorbereitete. Es dauerte noch eine Weile, bis ein kleines munteres Mädchen einen verschlafen wirkenden Jo in die Küche führte.

Nach dem Frühstück telefonierte Jo zuerst mit seiner Firma und informierte seine Sekretärin, dass er bis auf weiteres Urlaub nehme, beziehungsweise von zu Hause arbeiten würde. Dann sprach er mit Herrn Brommer vom Jugendamt und sagte zu, dass er in Kürze vorbeikäme. Doro sollte mit Tamara spielen und er würde den Vormittag in der Behörde verbringen.

Ein Plan ist die Grundlage für eine Änderung. Jo hielt diesen Spruch zwar für dämlich, aber er traf wieder einmal zu. Als er das Haus verließ, brach hinter ihm ein riesiges Geschrei los. Schnell trat er wieder ein und konnte gerade noch seine Tochter auffangen, die ihm hinterherlief.

„Papa, du darfst mich nicht verlassen“ schrie sie und klammerte sich mit all ihrer Kraft an ihn.

Sanft streichelte er ihre Rücken.

„Ich verlasse dich nicht, meine Kleine. Ich muss nur auf diese Behörde und einige Dinge klären.“

„Doch, du verlässt mich, wie Mama auch“, schluchzte das Mädchen.

Langsam begriff er, was in ihrem Kopf vorging. Kaum den Papa gefunden, verschwand der auch wieder. Das wollte sie nicht. Er nahm sie auf den Arm und sie klammerte sich weiter an ihm fest.

„Ok, Doro“, seufzte er.

„Dann fährst du jetzt los und kaufst einen Kindersitz für das Auto. Den brauchen wir sowieso. Und anschließend gehen wir alle zusammen los.“

Es dauerte eine Weile, bis Doro zurück war. Dann fuhren sie gemeinsam zum Amt und gingen hinein. Während Jo in das Büro von Herrn Brommer ging, blieben Doro und Tamara auf dem Flur. Die Tür ließ Jo offen, dass seine Tochter ihn sehen konnte. Das Geschrei von vorhin wollte er hier nicht erleben. Herrn Brommer war die offene Tür gar nicht Recht. Aber diesmal hatte Jo ein Erfolgserlebnis.

„Wenn Sie die Tür schließen, werde ich ihre Vorgesetzte aufsuchen und mit ihr weiter über den Fall reden.“

Herr Brommer lenkte etwas erblasst ein. Jo klärte mit ihm dann die offenen Punkte zu Carmens Beerdigung und ließ sich die Schlüssel zu Carmens Wohnung geben. Noch stand ihm diese Wohnung einen Monat zur Verfügung. Eigentlich genügend Zeit, Erinnerungen abzuholen. Später bekam Doro den Auftrag, hinzufahren und einige Dinge von Tamara, wie Spielzeug, zu holen. Auch Wertgegenstände, wie Schmuck und auch das Notebook. Das würde er für Tamara aufbewahren als Erinnerung. In der Zeit setzte er sich mit seiner Tochter in den Garten und ließ sie dort spielen. Tamara blieb immer in seiner Nähe. Jo war ziemlich stumm, weil er nicht wusste, was er machen oder sagen sollte. Er hoffte auf Doro. Die war doch eine Frau und Frauen hatten so einen Mutterinstinkt und sollten deshalb wissen, was sie tun müssen. Zumindest hoffte er das.

Sobald Jo aber Anstalten machte, ins Haus zu gehen, folgte ihm Tamara. Selbst als Doro zurück war und ein bisschen mit der Kleinen und ihren Puppen spielte, brauchte er nur erste Schritte woanders hin machen und Tamara ließ alles liegen und eilte ihm hinterher.

Nachdem Tamara am Abend endlich eingeschlafen war, holte er sich Carmens Notebook und zusammen mit Doro sah er sich die Bilder von seiner Tochter an. Wieder hatte er feuchte Augen und im Stillen dankte er Carmen, was sie damit auch für ihn gemacht hatte. Und er stellte erstaunt fest, dass er die Kleine bereits voll und ganz als seine Tochter akzeptierte. Sie war sein Kind und sie würde bei ihm bleiben. Punkt. Egal, was er dafür machen müsste. Allerdings hatte er bei dem Versprechen auch einen kleinen Schweißausbruch, denn er ahnte, dass sein Leben nicht mehr dasselbe sein würde.

 

Mitten in der Nacht wurde Jo diesmal von Tamara geweckt. Sie stand neben seinem Bett und wiederholte leise ‚Papa‘ und wollte zu ihm, kuscheln. Da sie keine Ruhe gab, nahm er sie auf den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer, damit wenigstens Doro schlafen konnte. Hier fand Doro die beiden am nächsten Morgen. Jo lag schräg auf der Couch und Tamara auf seinem Bauch. Beide schliefen fest. Leise breitete Doro eine Decke über die beiden und ging hinaus.

Ihr kam eine Träne, als sie daran dachte, wie Jo am Anfang protestiert hatte und wie liebevoll er nun doch zu seiner Tochter war. Auch, wenn er laufend grummelte und sich sträubte. Aber er war schließlich auch ihr geliebter Herr und wenn es darauf ankam, konnte man sich immer auf ihn verlassen.

Langsam wachte Jo auf. Er fühlte sich irgendwie kaputt. Sein Rücken tat ihm weh und er spürte einen Druck auf der Brust. War er auf dem Weg, krank zu werden? Vorsichtig blinzelte er. Dann kamen die Erinnerungen und er war schlagartig wach.

Er war mit der leise weinenden Tamara ins Wohnzimmer gegangen, um Doro nicht zu stören. Damit seine Tochter besser einschlafen konnte, hatte er sich schräg auf die Couch gelegt und die Kleine auf seine Brust gebettet. Und so, wie es aussah, war nicht nur seine Tochter eingeschlafen. Er erkannte auch, dass Doro wach war. Immerhin lag nun eine Decke über ihnen beide und er war sich sicher, dass er sie nicht dorthin gelegt hatte.

Trotzdem bewegte er sich nicht. Er wollte seine Tochter schlafen lassen. Auch wenn ihm der Rücken wehtat, irgendwie war es ein schönes Gefühl, seine Tochter so auf sich liegen zu spüren. Jo lächelte leicht. Wenn ihm einer vor einer Woche gesagt hätte, dass er mit einem kleinen Mädchen kuscheln würde, hätte er da höchstens gelacht. Und zwar sehr laut und lange.

Eine halbe Stunde später wachte Tamara auf. Jo war fasziniert. Kurz gingen die Lider hoch. Ein erstaunter Blick auf ihn. Nachfolgend ein Rundumblick und fünf Sekunden später lief ihr Motor mit 125 Prozent Leistung. Runter von ihm und anschließend die Treppe hochwuselnd, um im Bad zu verschwinden. Doro war oben und half ihr dann beim Anziehen. Zusammen kamen sie wieder runter. Jo lag noch genauso da. Erst jetzt richtete er sich ächzend auf. Er fühlte sich, als ob sein Körper über Nacht 50 Jahre älter geworden war.

Nach der dritten Tasse Kaffee war er dann soweit wiederhergestellt, dass er mit seiner Tochter in den Garten ging. Doro kam später auch dazu und nahm die Kleine wieder unter ihre Fittiche. Sie ließ die Kleine bei ihrer Gartenarbeit etwas helfen. Immer wieder sammelte die Kleine etwas auf und brachte es zu Jo. Der bedankte sich dann, was die Kleine etwas strahlen ließ. Er grübelte ansonsten über das Nachmittagsprogramm. Was sollte er machen? Heute Nachmittag wurde Carmen beerdigt. Was sollte er mit Tamara machen? Alleine hingehen, würde sie ihn nicht lassen. Das konnte er Doro auch nicht zumuten.

Nach dem Mittagessen schickte er die beiden zum Duschen. Doro zog der Kleinen dann ein hübsches dunkles Kleid an und kleidet sich selber anschließend auch in ein schwarzes Kleid. Auch Jo duschte und zog seinen dunklen Anzug an. Gemeinsam fuhren sie zum Friedhof. Jo hatte Doro noch gebeten, drei Rosen aus dem Garten mitzunehmen.

Eine Feier war nicht geplant und so folgte sie nur dem Sarg auf seinem Weg. Jo hielt Tamara auf seinem Arm. Die klammerte sich an seinen Hals und weinte. Jo hatte wieder Panikstufe 3. Was sollte er dem Kind sagen? Wie erklärt man einem Kind, dass da vorne die Mutter liegt und nie wieder kommt? Plötzlich fiel ihm ein Lied ein von Jonny Hill, einem seiner Lieblingssänger, ‚Rosen für Mama‘.

„Du weißt, dass deine Mama sehr krank war, Tamara?“ sagte er leise zu seiner Tochter.

Die Kleine nickte, während sie weinte.

„Jetzt muss sie einen ganz langen Schlaf machen und irgendwann werden wir sie wiedersehen. Bis dahin wird Gott auf sie aufpassen. Genauso, wie ich auf dich aufpassen werde. Und wir werden sie hier immer besuchen kommen und du kannst ihr alles erzählen.“

Verdammt. Ich bin Sir Jo. Ein harter Dom. Ich bin doch kein Weichei. Warum laufen jetzt auch bei mir die Tränen? Verdammt.

„Ja, Papa“, wisperte das Mädchen auf seinem Arm.

Als der Sarg in die Grube gelassen worden war, trat Jo an den Rand mit einer Rose in der Hand.

„Carmen, ich danke dir für die Zeit mit mir. Besonders danke ich dir für unsere Tochter, die du mir geschenkt hast. Schlaf beruhigt. Ich werde mich um sie kümmern und für sie sorgen. Und wir werden dich besuchen kommen.“

Er warf die Rose auf den Sarg. Dann nahm er Tamara, die in der Zeit bei Dorothea gestanden hatte, mit nach vorne und hielt sie fest. Tamara hatte seiner leisen Rede zugehört.

„Schlaf gut, Mama. Papa passt ja jetzt auf mich auf.“

Dann warf auch sie die Rose auf den Sarg.

Schließlich trat auch Dorothea vor.

„Carmen, ich habe dich nie kennengelernt, aber ich verspreche dir auch, alles für deine Tochter zu tun.“

Auch ihre Rose folgte den anderen beiden.

Kurz standen sie noch am offenen Grab und gingen dann wieder. Alles weitere hatte Jo bereits veranlasst, auch den späteren Stein.

Der restliche Tag verlief sehr still und Tamara klammerte sich oft an ihren Papa, aber auch an Doro.

 

In der Nacht konnte Jo nicht einschlafen. Die Erinnerungen an die letzten beiden Nächte und den Tag schreckten ihn immer wieder hoch. Konzentriert lauschte er, aber da war kein Jammern. Und die Tür öffnete sich auch nicht und Tamara schob sich nicht herein. Jo stand auf und schlich in das Kinderzimmer. Erstaunlich, wie gut man im Dunkeln sehen kann, nur bei dem Licht durch die Rollläden. Ja, dort schlief Tamara. Jo beobachtete sie. Ja, sie atmete ruhig. Jo ging leise wieder in sein Bett. Und er wartete weiter auf ein Jammern oder Kommen. Noch zwei Mal schlich er in der Nacht hinüber. Warum schlief die Kleine bloß so ruhig und friedlich? Trotz der Beerdigung heute. Und warum kann ich nicht schlafen?

 

Das Frühstück am nächsten Morgen verlief schweigsam. Zumindest bei Jo. Der saß mit fast geschlossenen Lidern und mit dicken Ringen unter den Augen beim Essen. Der extrastarke Kaffee hatte allerdings nur die aufmunternden Auswirkungen wie warmes Wasser.

Jo war fertig. Die letzten drei Nächte hatten ihn geschafft. Die ganze veränderte Situation hatte sein Leben auf den Kopf gestellt und er hatte es noch nicht geschafft, wieder Ruhe in sein Leben zu bekommen. Tamara war ein neues Element geworden. Ihm war nur klar, dass er sie behalten wollte, aber er hatte keine Ahnung, was damit auf ihn zukam. Und der fehlende Schlaf raubte ihm die letzten klaren Gedanken.

Um sich abzulenken, zog er sich nach dem Frühstück in sein Arbeitszimmer neben dem Wohnzimmer zurück. Er wollte E-Mail durchsehen und dringendes mit der Firma abstimmen. Die Tür ließ er offen, während Tamara im Wohnzimmer spielte. Doro war in der Küche und fing an, das Mittagessen vorzubereiten.

Immer wieder tauchte seine Tochter kurz in der Tür auf. Sie musste kontrollieren, dass ihr Papa noch da war. Es war für sie notwendig, um mit dem Verlust der Mutter klarzukommen und sicher zu sein, dass ihre wichtige Bezugsperson da war. Den Papa hatte ihr ihre Mutter nie vorenthalten. Von Bildern kannte sie ihn. Mama hatte immer freundlich von ihm gesprochen. Auch wenn er am Anfang so komisch gewesen war, er war für sie da, wenn sie ihn brauchte. Das hatte sie schon für sich festgestellt.

Zwischen dem Mail und Telefonaten lauschte Jo immer mit einem halben Ohr auf das leise Geplapper von Tamara aus dem Wohnzimmer, während sie mit ihren Puppen spielte. Eine Weile später schreckte er auf. Es herrschte Stille im Wohnzimmer. Nur leises Klappern aus der Küche war zu hören. Tamara? Was war da los? Er lauschte angestrengt.

Dann sackte er wieder erleichtert in sich zusammen. Jetzt drang ein dumpfes Klatschen aus dem Wohnzimmer zu ihm. Als ob sie mit der Hand auf den Boden schlug. Und ein leises Kichern war zu hören. Langsam drängte sich ihm die Frage auf, warum ein Kind kichert, wenn es auf den Boden haut. Er erhob sich, um nachzusehen. Sein Blick bescherte ihm ein lautes Aufkeuchen. Panikstufe 4.

Tamara saß auf dem Boden und hielt seinen sehr flexiblen langen Silikondildo in der Hand. Normalerweise verwendete er ihn, um seiner Sklavin unten beide Körperöffnungen gleichzeitig zu penetrieren. Tamara verwendet ihn nun als eine Art Rute. Das Teil wippte in alle Richtungen und klatschte immer wieder mit einem satten Geräusch auf den Boden. Das Geräusch und das flexible Wippen erfreute die Kleine.

Jo röchelte leicht, als er das beobachtet. Er wusste nicht, wo die Kleine das Teil gefunden hatte. Zumindest wusste er aber, dass Spielzeuge nach jeder Benutzung penibel gereinigt wurden. Aber das war egal. Ein ausgewachsener Dildo ist auf keinen Fall ein Spielzeug für eine Dreijährige.

Mit einem Satz war Jo bei seiner Tochter und nahm ihr den Dildo aus der Hand. Überrascht sah die Kleine zu ihm hoch und ihr Mundwinkel verzog sich nach unten. Ihre Unterlippe begann zu zittern.

„Das ist kein Spielzeug für dich, Tamara!“

Zur Betonung schüttelte er die Hand und der flexible Dildo wippte wieder in alle Richtungen. Dass er dabei lauter geworden war, gab für Tamara den Ausschlag. Aufweinend sprang sie auf und eilte in ihr Zimmer hoch. Jos Hand mit dem Dildo sank herunter, als er ihr erschrocken nachsah. War er zu hart gewesen?

Hinter ihm erschien Doro in der Küchentür.

„Was war los, Jo?“ wollte sie wissen.

„Ich habe ihr ein … Spielzeug weggenommen und ich bin wohl etwas laut geworden“, gab Jo zurück.

„Jo, du kannst deiner Tochter doch nicht einfach ihr Spielzeug wegnehmen. Was soll der Blödsinn?“

Jetzt wurde Doro selber ein wenig lauter und wütender. Merkte Jo denn nicht, was er da gerade angestellt hatte?

„Hätte ich es ihr lassen sollen?“

Die Frage kam etwas sarkastisch, während er ihr das spezielle ‚Spielzeug‘ zeigte. Doros Augen wurden groß, als sie es erkannte.

„Oh.“

Das eine Wort beinhaltete Verstehen, Entschuldigung und Zustimmung. Doro verschwand ohne ein weiteres Wort mit gerötetem Gesicht in der Küche.

Jo sank in seinen Lieblingssessel. Er senkte sein Gesicht in seine Hände. Erste Tränen sickerten aus seinen Augen. Fehlender Schlaf und alles anderes schlugen jetzt durch. Seine Nerven versagten. Er fühlte sich nur noch mies. Ja, es war richtig gewesen, seiner Tochter den Dildo abzunehmen, aber die Art, wie er es gemacht hatte, war falsch gewesen. Selbst Doro hatte ihn angeschnauzt. Er war ein Versager bei seiner Tochter. Versagen, Versager, Versager. Er quälte sich selber und seine Tränen liefen.

Bis er eine zarte Hand auf seiner Schulter spürte. Da erstarrte er förmlich. Seine Sklavin fand ihn, ihren Herrn, in einem Zustand des vollständigen Zusammenbruchs. Wie sollte er noch einmal der Herr für sie sein können, wenn sie seine Schwäche gesehen hatte.

„Du bist kein Versager, Jo. Du bist liebevoll und kümmerst dich.“

Doros leise Stimme informierte ihn, dass er seine ‚Versager‘-Litanei anscheinend halblaut gemurmelt hatte. Seine Schwäche wurde für ihn damit nur noch größer.

Beruhigend strich Doro über seine Schulter.

„Du kümmerst dich vielleicht zu sehr und nimmst vieles zu persönlich, Jo. Dein neuer Job als Vater ist noch ungewohnt, aber du zeigst immer wieder, dass Tamara dir wichtig ist, dass sie etwas Besonderes für dich ist. Tamara braucht dich. Sie hat ihre Mutter verloren und braucht jetzt Halt. Und den kannst nur du ihr geben. Ohne dich ist sie nichts. Ohne dich bin auch ich nichts, Herr. Du wirst immer mein Herr bleiben. Tamara und ich, wir beide brauchen dich, damit du uns im Leben hilfst, Herr.“

Doro redete ihn bewusst mit ‚Herr‘ an. Es sollte ihn motivieren. Es sollte ihm zeigen, dass sie ihn nicht wegen seiner Schwäche verachtete. Eher im Gegenteil, dass sie deswegen umso mehr achtete, weil seine Schwäche ja nicht in seiner Person lag, sondern in der gewaltigen Aufgabe, der er sich gestellt hatte.

„Nimm deine Schwäche nicht wichtig, Herr. Deine Schwäche ist gut. Sie zeigt, dass du dich sorgst und bemühst. Sie zeigt, dass du auch nur ein Mensch bist mit allen Schwächen. Die Schwäche macht dich wieder stark, Herr. Dann führst du uns wieder, wie es richtig ist. Momentan hast du vielleicht keine Lösung, aber sie wird kommen.“

Langsam versiegten seine Tränen und er hob den Kopf. Doro sah ihn besorgt an und hatte auch feuchte Augen. Seine Augen tasteten ihr Gesicht ab.

Überrascht quietschte sie auf, als er sie mit einem Ruck auf seinen Schoß zog und ausgiebig küsste.

„Du hast Recht, Doro. Der beste Herr ist nichts, wenn er nicht eine Sklavin hätte, die ihn zu ihrem Herrn erhebt. Wenn sie sich nicht um ihn kümmert, ist er allein. Ich danke dir für dein Geschenk. Es hat mir sehr geholfen. Ich werde dir dafür in besonderer Weise danken.“

Erneut küsste er sie und strich ihr sanft über die Wange.

Doro kletterte von seinem Schoss, als er sich erhob.

„Ich glaube, da werde ich nun etwas geradebiegen müssen.“

Jo setzte eine entschlossene Miene auf und ging hinauf zu Tamaras Zimmer. Leise öffnete er und sah sie weinend auf der Matratze liegen. Der Anblick tat ihm weh. Sie weinte wegen seinem Versagen.

Er setzte sich neben sie. Als sie anfing von ihm weg zu robben, schnappte er sie sich einfach und setzte sie auf seinen Schoss. Die Kleine zappelte und versuchte, sich zu befreien, doch er hielt sie sanft, aber fest.

„Ich möchte mich entschuldigen, Tamara. Ich habe einen Fehler gemacht. Gut, das Spielzeug war für dich nicht geeignet, aber ich hätte nicht laut werden dürfen. Ich hätte es dir erklären sollen. Weißt du, ich bin noch nicht lange Papa. Ich habe nicht gewusst, dass es dich gibt. Ich habe auch keine Erfahrungen mit Kindern. Es ist nicht so, dass ich Kinder nicht mag. Ich hatte nur keinen, der mir zeigt, wie man mit Kindern umgeht. Deswegen mache ich auch Fehler. Aber du bist meine Tochter. Damit bist du ein ganz besonderer Mensch für mich. Vielleicht kannst du mir zeigen, wie ich ein guter Papa sein kann. Vielleicht kannst du mir verzeihen, wenn ich wieder einen Fehler mache. Vielleicht kannst du mich erinnern, dass ich es besser erkläre.“

Tamara hatte sich beruhigt, als er mit leiser Stimme seine Entschuldigung vortrug. Papa entschuldigte sich, weil er etwas falsch gemacht hat. Er erklärte es ihr. Er bat sie um Unterstützung. Sie war ihm wichtig. Sie spürte es ganz deutlich. Er ließ sie nicht allein. Er war zu ihr gekommen. Er tröstete sie und sie konnte ihn trösten. Sie fühlte sich als Papa und Tochter zusammengehörig.

Tamara blickte zu ihm hoch. Ihre Augen waren noch feucht, aber sie weinte nicht mehr.

„Ja, Papa, ich helfe dir.“

Und Papa lächelte. Sie hatte Papa lächeln gemacht. Ihr ging das Herz auf. Sie war zufrieden. Und er belohnte sie.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen in den Zoo gehen und die Tiere ansehen?“

Tamara überlegte. Etwas fehlte ihr noch. Wenn Papa es vergaß, sollte sie ihn daran erinnern, hatte er gesagt.

„Aber Doro muss mit.“

Jo lachte leise.

„Natürlich. Ohne Doro macht es weniger Spaß.“

Tamara ließ ein kleines Kichern los. Da hatte er Recht. Mit Doro war es schöner. Das war wie einen … richtige Familie. Ein kleiner Hauch Sehnsucht zog in ihr Gesicht. Ihre richtige Mama schlief ja jetzt und konnte nicht bei ihnen sein, aber vielleicht würde Doro ja ….

„Was meinst du, Tamara, wollen wir ein bisschen im Pool plantschen?“

Was für eine Frage? Sofort leuchteten ihre Augen auf und aller Kummer war vergessen. Im Pool schwimmen und plantschen. Mit Papa.

Den restlichen Tag verbrachten sie zu dritt am Pool. Wenn sie nicht im Wasser waren, lagen sie unter dem Sonnensegel und Tamara kuschelte an Jo. Als der nachmittags einschlief, während Doro ihm den Rücken massierte, spielte die Kleine leise weiter. Papa war ja da.

Abends genoss sie es, das ihr Vater sie wieder zu Bett brachte. Es war jetzt auch das erste Mal, dass er sich holprig an einer Gutenachtgeschichte versuchte. Er las nicht vor, sondern er erfand eine Geschichte. Von einem kleinen Mädchen, das anderen half. Und sie konnte sich vorstellen, dass sie das war. Darüber schlief sie mit einem Lächeln ein.

Auch Dorothea freute sich. Als sie mit Jo später in ihr Schlafzimmer gingen, schloss er leise die Tür hinter sich.

„Doro, zieh dich aus und lege dich weit gespreizt auf das Bett. Dann nicht mehr bewegen und keinen Laut will ich hören.“

Doro strahlte, als er ihr wieder Befehle gab. So schnell hatte sie sich noch nie ausgezogen und in Position gebracht. Dann aber musste sie kämpfen. Keine Bewegung und keinen Laut trieben ihr die Schweißperlen auf die Stirn, als er anfing, sie zu verwöhnen. Er wusste, wie er ihr einheizen konnte. Und es war gut, dass er ihr half und ihr den Mund zuhielt, als sie einen überwältigenden Höhepunkt hatte. Erst, als sie sich erholt hatte, gab er mit einem breiten Grinsen seinen nächsten Befehl.

„Doro, jetzt bist du dran. Treib mich in den Wahnsinn.“

Sie grinste auch, als sie sich an diese Aufgabe machte. Auch sie wusste, was sie mit ihm anstellen musste, um ihm und sich einen Höhepunkt zu geben, bevor sie auf seiner Brust vor Erschöpfung liegen blieb.

In dieser Nacht schliefen alle durch.

 

Die nächsten Tage waren geprägt von Ausflügen, sofern das Wetter mitmachte. Alles wurde zusammen durchgeführt. Tamara lernte das Herumtoben. Und sie schenkte ihrem Papa immer mehr Vertrauen. Erst war es eine Viertelstunde, dann immer längere Zeiten, die er woanders sein konnte.

Ihrer Mama war immer bei ihr gewesen. Sie hatte oft liegen müssen. Da war kein Toben möglich. Jetzt war sie weg. Mit Papa und Doro konnte sie toben und jedes Mal, wenn Papa weg war, kam er wieder und wirbelte sie durch die Luft, bis sie quietschte. Papa kam immer zurück.

 

Jo hatte einen Bekannten kommen lassen. Der arbeitet in einer Elektronikfirma und hatte auch schon Codeschlösser eingebaut. Und er kannte BDSM. So gab es kein Problem, die Tür zu seinem Spielzimmer mit einem solchen Codeschloss zu versehen. Tamara würde es auf absehbare Zeit nicht aufbekommen. Doro und er würde es wieder benutzen können. Sie hatten sich auch ein Babyphone besorgt. Damit würden sie mitbekommen, wenn Tamara sie suchte und die schalldämpfende Tür geschlossen war. Beide freuten sich schon darauf, wieder eine kleine Rückkehr zu ihrem vorherigen Leben zu erleben.

„So, fertig. Du musst nur noch den vierstelligen Zahlencode eingeben. Steht alles in dieser Anleitung, Jo. Rechnung schicke ich dir dann. Mach‘s gut.“

Der Bekannte verabschiedete sich nach getaner Arbeit. Jo las die Anleitung durch und dachte über einen Code nach. Geburtsdatum war ein Klassiker. Von ihm? Oder von Doro? Oder von Opa? Oder von … Tamara!

Na klar. Das war genial. Der Code sollte vor Tamara schützen, also war sie der Code.

Also 2014 war das Geburtsjahr. Beim Codeeingeben ging ihm ein dummer Spruch durch den Kopf.

„Zwei … null … eins … vür … und auf ist die Tür.“

Er kicherte leise, als er den Spruch ein paar Mal leise vor sich hinmurmelte. Allerdings erstarb das Kichern schlagartig, als die Programmierung beendet war und er sich umdrehte. Vor ihm stand Tamara und strahlte ihn an. Ein schneller Blick zurück und ein Rütteln an der Tür. Alles geschlossen.

„Hey, Kleines. Schleichst du mir wieder hinterher?“

Er streichelte ihren Kopf, während er die Anleitung in seiner Hose verschwinden ließ. Dann nahm er sie auf den Arm und ging mit ihr in den Garten. Das machte ihr am meisten Spaß. Sie konnte herumlaufen. Nur an den Pool durfte sie nur in Begleitung, aber das hatte sie inzwischen begriffen, so dass Doro und Jo sich etwas weniger Gedanken darum machen mussten.

Am nächsten Tag wurden die neuen Möbel für das Kinderzimmer geliefert. Manchmal war es von Vorteil, die richtigen Kontakte zu haben. Drei Tage Lieferzeit statt sechs Wochen. Er schmunzelte, als er daran dachte, wie sie zu dritt die Möbel ausgesucht hatten.

Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch mit Stuhl sollte eigentlich ein Klacks in einem Möbelhaus sein. Hingehen, ein paar Beispiele ansehen, entscheiden, bestellen.

Für Jo begann allerdings ein neuer Lernprozess. Vor allem, wenn man dem Kind zugesteht, dass es entscheiden darf. Er hatte am Ende einiges über den sehr flexiblen Entscheidungswillen einer Dreijährigen gelernt. Der Wechsel zwischen ‚das will ich‘ und ‚das doch nicht‘ im 10 Sekundentakt war fast schon faszinierend. Und er würde nie mehr den Fehler machen und zu etwas Abgelehntem zurückgehen. Es sei denn, er wollte eine zweite Runde. Nach sieben Stunden waren sie mit der erschöpften Kleinen endlich wieder zu Hause gewesen.

Langsam klappte es immer besser, Tamaras Fixierung auf ihn zu reduzieren. Inzwischen schaffte er es, sich schon drei bis vier Stunden woanders aufzuhalten, bis sie wieder unruhig wurde und zu ihm wollte. Das Ziel war, dass er wieder arbeiten gehen durfte. Zumindest in der Firma gäbe es sonst ein Problem. Bisher hatten Handy, Tablet und Skype dabei geholfen. Immer, wenn Tamara anfing, unruhig zu werden, rief Doro Jo an und er unterhielt sich mit Tamara via Skype. Er war zwar nicht bei ihr, aber sie hatte ihn gesehen und mit ihm gesprochen. Dann war sie wieder beruhigt.

Doro wurde von Tamara inzwischen auch voll akzeptiert, aber Jo war der Papa und damit das Maß aller Dinge. Beide schätzten, dass es noch eine Weile dauern würde, bis Tamara vollends ihre Angst überwunden hätte, dass Papa genauso verschwinden würde, wie Mama. Allein deswegen war das Aufbauen einer Ersatzmama in Gestalt von Dorothea wichtig. Das fand auch Jo. Jetzt schon 10 Tage mit seiner Sklavin ein normales Leben fand er schön. Gut, er wollte wieder in das Spielzimmer mit ihr, genauso wie sie auch, aber 24/7 musste nicht mehr sein. Immerhin hatte er jetzt noch Tamara. Und es fiel ihm immer leichter, mit seiner Tochter umzugehen oder mit ihr zu spielen.

Wieder grinste er, als er sich die Frage stellte, wer bei diesem Dreiergespann eigentlich der Chef und wer die Subs waren. Wahrscheinlich hatte er deswegen früher Kinder abgelehnt, weil er da geahnt hatte, dass er dann zum Sklaven würde. Und für seine kleine Tochter machte er alles, was sie wollte.

Bei dem Gedanke wegen der ‚Ersatzmama‘ fand er eine sehr interessante Lösung, die er mit Doro demnächst besprechen wollte. Aber, wenn er ihre Blicke richtig deutete, würde sie sich seiner Idee sofort anschließen. Er spielte auch schon weiter mit dem Gedanken, ob Tamara dann auch ein Einzelkind bleiben würde.

Wenn jemand vor zwei Wochen zu ihm gesagt hätte, dass er über Kinder nachdachte, den hätte er einliefern lassen. Jetzt aber fing er dabei an, zu träumen und dümmlich zu grinsen.

 

Herr Brommer meldete sich mal wieder und teilte ihnen mit, dass am nächsten Tag jemand vom Amt käme. Man würde prüfen, ob es Tamara gut bei ihren Vater hatte. Jo hatte leichte Bauchschmerzen, weil es darum ging, Tamara bei sich zu behalten. Er würde mit allen Mitteln darum kämpfen. Tamara gehörte zu ihnen. Er war der Vater. Basta.

 

Es klingelte.

Jo öffnete die Haustür. Vor ihm stand eine ältere Frau, etwa Mitte 40, wie er schätzte. Sie trug ein graues Kostüm und schwarze flache Schuhe. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem Dutt geformt. Über die Schulter hing eine riesige Tasche. Durch ihre Hornbrille sah sie ihn mit ihren dunklen Augen streng an.

„Guten Tag, Herr Herbst. Mein Name ist Helene von Stüben. Ich komme vom Jugendamt und werde prüfen, ob das Kind hier in einer guten Betreuung ist. Sollte ich wesentliche Kritikpunkte finden, dann wird das Kind in eine richtige Pflegefamilie kommen.“

„Aber, Frau von Stüben. Tamara fühlt sich hier sehr wohl. Außerdem bin ich ihr leiblicher Vater. Sicher hatten wir am Anfang ein paar kleinere Problemchen, aber ich denke, das ist normal, wenn man überraschend ein Kind erbt.“

Frau von Stüben hob eine Augenbraue und sah fast noch strenger in sein Gesicht.

„Wollen Sie etwa, dass ich meine Aufgaben nicht korrekt erfülle?“

Das Klimathermometer an der Haustür rutschte um geschätzte 40 Grad Celsius nach unten.

„Nein, nein, so war das nicht gemeint. Vielleicht ist es sogar gut, dass Sie bestätigen, dass Tamara hier ein gutes Zuhause hat. Kommen Sie doch bitte erst einmal herein.“

Jo trat zur Seite und Frau von Stüben rauschte an ihm vorbei.

Drinnen stand Dorothea und hatte Tamara auf dem Arm.

„Das ist meine Lebensgefährtin Dorothea Stange. Sie kümmert sich zusammen mit mir um Tamara.“

Tamara hatte nur einen kurzen Blick auf Frau von Stüben geworfen und drehte sofort den Kopf und barg ihn an Doros Schulter. Die strich ihr beruhigend über den Rücken.

Ganz kurz huschte ein winziges Lächeln um Frau von Stübens Mund. Dann wandte sie sich wieder Jo zu. Aus ihrer Schultertasche holte sie einen Klemmblock. Sie nahm einen Stift und blickte kurz auf das Formular.

„Zeigen Sie mir bitte alle Räumlichkeiten, insbesondere die des Kindes.“

Damit begann die Hausführung. In jedem Raum ließ Frau von Stüben ihren frostigen Blick schweifen und machte Notizen auf dem Formular. Auch der Garten wurde genau inspiziert. Immer wieder Fragen, wie sie den Schutz und das Wohl des Kindes gewährleisten wollten. Sie gingen gemeinsam weiterhin von Raum zu Raum. Im neu eingerichteten Kinderzimmer wollte Doro einige Erklärungen abgeben. Frau von Stüben drehte sich nicht einmal zu ihr um und hob nur den Stift etwas an.

„Schweig.“

Fast wäre Doro auf die Knie gefallen und hätte den Kopf gesenkt. Die Dominanz in dem einen, nicht einmal laut gesprochenen, Wort war gewaltig. Als Sklavin wurde sie davon fast überrollt. Mit großen Augen sah sie Jo an. Auch der hatte nun einen eher prüfenden Gesichtsausdruck. Er wühlte in seinen Erinnerungen. Irgendwas war an der Frau, dass ihn an jemanden erinnerte. Nur an wen? Inzwischen hatte Jo die Kleine in seinen Arm übernommen und hielt sie sanft. Tamara kuschelte sich an seinen Hals und beobachtete aus dieser sicheren Position die fremde Frau.

Am Ende kamen sie in Jos Schlafzimmer an. Dort war dann nur noch die verschlossene Tür zu seinem Spielzimmer.

„Und was ist dahinter?“

„Das … äh … ist mein Hobbyzimmer.“

Doro schmunzelte bei der Umschreibung für das SM-Studio.

„Öffnen Sie bitte.“

„Tut mir leid. Ich habe extra ein Codeschloss angebracht, dass niemand Unbefugtes dort Zugang hat. Und schon gar nicht Tamara. Schließlich möchte ich nicht, dass sie sich dort an den … äh … Geräten verletzt. Deshalb ist es extra hoch angebracht, für alle Fälle.“

Frau von Stüben notierte etwas auf den Formularen.

„Bitte öffnen Sie.“

Eiswürfel klirrten in der Luft.

Jo schüttelte den Kopf. BDSM und Kind. Dann wäre Tamara schneller weg, als er ‚Nein‘ sagen konnte.

Überraschend hob Tamara den Kopf und krähte mit einem Grinsen.

„Zwei … null … eins … vür … und auf ist die Tür.“

Jo war geschockt. Diesen dämlichen Spruch hatte sich Tamara gemerkt, als er das neue Schloss programmiert hatte und ihn leise ein paar Mal als Eselsbrücke vor sich her gemurmelt hatte? Richtig, sie war ihm ja wieder einmal gefolgt und er hatte sie beim Umdrehen hinter sich gefunden.

Frau von Stüben lächelte kurz und tippte die Zahlenfolge ein. 2 … 0 … 1 … 4. Tamaras Geburtsjahr.

Mit einem Klicken sprang die Tür einen Spalt auf und Frau von Stüben schob sich hinein.

Schweigen.

Eine Minute.

Zwei Minuten.

Fünf Minuten.

Frau von Stüben erschien wieder. Und sie hatte ein breites strahlendes Lächeln im Gesicht. Jo rutschte das Herz bis in die Schuhe. So also sah Triumpf bei der Vernichtung anderer aus. Frau von Stüben nahm ihre Hornbrille ab.

„Lady Helena!“ keuchte Jo. Ohne die Brille hatte er sie nun endlich erkannt.

Lady Helena war vor 10 Jahren ein sehr bekannte Domina gewesen, die ihre private Anonymität absolut gewahrt hatte. Sie hatte kein eigenes Studio gehabt, sondern nur als Gast-Domina gewirkt. Und sie war gefragt gewesen bei ihren Kunden. Ihr Markenzeichen war eine rote Halbmaske im venezianischen Stil gewesen. Nur auf der Veranstaltung, bei der er in die damalige BDSM-Gruppe eingeführt worden war, war diese einmal verrutscht und damals hatte Jo neben ihr gestanden und kurz ihr wahres Gesicht betrachten können. Kurz danach war sie aus der Szene verschwunden und alle hatten gerätselt, was aus ihr geworden war.

Das Lächeln von Frau von Stüben wurde breiter.

„Ja, Sir Jo, richtig erkannt. Sie haben übrigens ein schönes Stu … äh … Hobbyzimmer.“

Sie erinnert sich noch an meinen Namen, dachte Jo bewundernd. Sie hat die ganze Zeit mit mir gespielt.

Frau von Stüben blickte lächelnd zu Doro hinüber.

„Ihre … äh … Mitarbeiterin bei ihrem … Hobby, nehme ich an?“

Doro senkte den Blick.

„Ja, Lady Helena. Doro ist meine Lebensgefährtin in jeder Hinsicht.“

Jetzt hatte auch Jos Stimme einen härteren Klang bekommen, als er die ‚Lebensgefährtin in jeder Hinsicht‘ betonte. Er wollte klarmachen, dass Doro nicht nur seine Sklavin war, sondern mehr. Viel, viel mehr. Und er sah Licht am Ende des Tunnels.

Frau von Stüben rauschte einfach an ihm vorbei zurück ins Wohnzimmer und nahm ohne Aufforderung auf dem Sofa Platz.

Jo und Doro folgten ihr.

„Setzen.“

Ihre Kommandostimme hatte die Lady jedenfalls noch, auch wenn ihre Stimme leise blieb. Sofort saß Doro und Jo nahm etwas langsamer Platz und setzte Tamara auf sein Bein.

„Deshalb damals die Halbmaske“, murmelte Jo halblaut. Einen Job in der Behörde, auch noch Jugendamt, und nebenbei Domina, war sicherlich keine gute Kombination für die Öffentlichkeit.

Frau von Stüben nickte zustimmend. Sie hatte erkannt, dass Jo verstanden hatte.

„Wieviel Erfahrung haben Sie mit Kindererziehung, Dorothea?“

„Erst die letzten beiden Wochen, Lady Helena“, sagte Doro leise mit gesenktem Haupt. Eine Sklavin sah einer Domina nicht in die Augen.

Frau von Stüben nickte und notierte wieder etwas.

„Sir Jo, ich mache ihnen eine Vorschlag. Ich werde an den nächsten Wochenenden nachmittags zu ihnen kommen und ihnen beiden etwas über Kindererziehung beibringen.“

Ihre Gesichtszüge wurden weicher.

„Immerhin habe ich zwei eigene und bekomme demnächst mein erstes Enkelkind.“

Ihr Blick wurde wieder strenger und schweifte kurz zu Doro. Fast sehnsüchtig, wie Jo schien.

„Als Gegenleistung erlauben sie mir die Benutzung ihres … Hobbyzimmers und ihre … äh … Lebensgefährtin assistiert mir dort.“

Bei dem ‚äh‘ zuckte ihr Blick kurz zu Tamara, die sie inzwischen sehr aufmerksam betrachtete. Für Jo und Doro war trotzdem alles klar. Auch verstanden die beiden den nun sehnsüchtigen Blick von Frau von Stüben. Sie wollte mal wieder Domina sein.

Jo stöhnte plötzlich auf und sah Frau von Stüben mit großen Augen an. Gerade hatte bei ihm ein Lampenladen alles eingeschaltet.

„Sie …“

Es war nur ein mehr ersticktes Wort.

Frau von Stüben sah ihn mit einem Lächeln an und nickte leicht. Dorothea dagegen sah ihn sehr verwundert an.

„Jetzt erinnere ich mich wieder. Der Jungspund, Brommer, der Tamara damals gebracht hatte, hatte sie als seine Chefin genannt. Sogar als Amtsleiterin.“

Das Lächeln von Frau von Stüben wurde breiter.

„Weiter?“

„Sie haben entschieden, dass Tamara zu mir sollte, weil ich der Vater bin.“

Deutliches Nicken von Frau von Stüben.

„Sie wussten die ganze Zeit, wer ich bin.“

Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Richtig. Ich vergesse nie jemanden aus unseren Kreisen, vor allem nicht, wenn er in der Nähe lebt.“

„Und es ging ihnen auch um das gemeinsame … Hobby.“

„Es erschien mir der einfachste Weg zu sein. Ich wusste nur nicht, wie gut sie ausgestattet sind.“

Diesmal schwang richtiggehende Sehnsucht neben Anerkennung mit.

„Und was ist mit Tamara“, wollte Jo jetzt wissen, ohne ihr Angebot zu beantworten.

Frau von Stüben grinste jetzt richtiggehend. Das machte sie einige Jahre jünger.

„Also, ich sehe, dass alles in bester Ordnung ist. Sie achten sehr auf die Sicherheit und das Wohl des Kindes und Sie wollen auch noch mehr lernen. Ich sehe keinen Grund, warum Tamara nicht bei Ihnen bleiben kann. Ich habe sogar schon wohlwollend notiert, dass Sie Tamara adoptieren wollen. Auch das befürworte ich.“

Jetzt hob sich Jos Augenbraue erfreut. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Aber der Vorschlag gefiel ihm sofort. Auch Dorothea hatte verstanden und nickte Jo ihr Einverständnis zu, als er sie kurz ansah. Dann grinste er Frau von Stüben fröhlich an, während er sich danach mit weiter strahlendem Gesicht an Dorothea wandte.

„Ich schätzte, meine geliebte Doro, das für die nächste Zeit einige wichtige Veränderungen anstehen. Wir werden Tamara adoptieren. Du und ich gemeinsam. Sie wird dann unsere Tochter sein. Deshalb werden wir unser beider Beziehung auf ein anderes Niveau heben. Wir werden heiraten. Und wir werden … Tante Helena sicher noch öfter bei uns begrüßen. Dann werden wir uns richtig um unseren kleinen Schatz kümmern lernen.“

Doro rutschte mit Tränen in den Augen an seine Seite und schluchzte ein „Ja, ich will“. Für sie ging ein Traum in Erfüllung. Ihr Herr würde nun für immer ihr Herr bleiben und sie konnte ihm immer dienen. Egal, auf welche Weise. Und die kleine Tamara hatte sie auch lieb und würde sie nun sogar als Tochter bekommen.

Auch Frau von Stüben hatte feuchte Augen nach der Ankündigung. Sie freute sich über die ganzen guten Entwicklungen. Da hatte sie mehr bewirkt als gedacht.

Tamara lachte fröhlich und schlang ihre kleinen Arme um Jos Hals. Vieles verstand sie nicht, was gerade beschlossen worden war. Nur eines hatte sie verstanden und das war ihr das wichtigste. Jo hatte es schließlich gesagt. Wenn Papa das sagte, war es gut und richtig. Sie blieb bei Jo und Doro.

„Ich hab dich so sehr lieb, Papa“, sagte sie leise.

 

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Tag der Veröffentlichung: 26.03.2019

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