Liebe Leser*innen,
diese Novelle ist einer wahren Geschichte nachempfunden, von der auch ich erst sehr viele Jahre später erfahren habe. Als mein Großvater starb, hinterließ er eine Art Kriegstagebuch, in dem er seinen letzten Marsch als Major stichpunktartig festhielt. Lange Zeit blieb seine Desertation ein Geheimnis, so wie eben auch seine Kameraden darüber mit niemandem sprachen.
Für manche Menschen mag mein Großvater als Feigling gelten, der seine Pflicht an der Waffe im entscheidenden Moment ablehnte. Für mich hingegen ist und bleibt er ein Held, weil er seine menschlichen Werte höher stellte als seinen Dienst für das Dritte Reich.
Einen Satz schrieb er zuletzt, als er wohl schon in Dargun war. Ich möchte Ihnen diesen Satz nicht vorenthalten:
Ich bete zu Gott, dass mein Sohn niemals in einen Krieg ziehen muss!
Sein Wunsch sollte sich erfüllen, wenn auch die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg nicht einfach waren und in vielen Teilen Deutschlands ebenso Hunger und Armut ertragen werden mussten. Mein Großvater starb in den 70er Jahren als Erster seines damaligen Zuges bei einem Verkehrsunfall. Der Letzte, Peter Püren, erlag Anfang der 90er Jahre einem Krebsleiden. Ich habe die Namen aller Beteiligten zum Schutz der Hinterbliebenen verändert. Die Orte allerdings sind, genau wie die Erlebnisse auch, in akkurater Reihenfolge verzeichnet.
Herzlichst Ihre Uta Pfützner
Ein friedlicher Tagesbeginn im September 1943 am Stettiner Haff – die Spätsommersonne war noch nicht ganz aufgegangen. Der Morgennebel hatte sich malerisch über das Haff gelegt und tauchte die Natur in ein mystisches Licht. Es musste kurz nach sechs Uhr sein.
Die ersten Befehle und der unerträgliche Ton der Sirene drangen an sein Ohr. Hauptmann Heinz Spoeck wünschte sich einen Moment lang, er könne wieder einschlafen. Er hatte von der Heimat geträumt. Die stillen Wiesen, die sich bis kurz vor Oranienburg erstreckten, der Wannsee und die knorrige alte Weide, in der er einst mit seinem Bruder Wilhelm Verstecken spielte, wurden in seinen Träumen lebendig.
Und er hatte von Anni geträumt, um deren Hand er im letzten Heimaturlaub gebeten hatte. Seine hübsche Anni, mit ihren wundervollen Brüsten, ihrem dunklen seidigen Haar, ihrem herzlichen Lachen und den neckischen Grübchen an den Wangen … Und Anni hatte Ja gesagt. Es wurde nur eine kleine Feier im Kreise der Familie. Ihre Eltern waren extra aus Mecklenburg angereist. Das Hochzeitsmahl hatte aus dunklem Brot und einer kräftigen Suppe bestanden. Dennoch war es wunderschön.
Oh Heimat, wie miss ich dich! Doch das hier war nicht der Stadtrand von Berlin. Hier war auch nicht das gutbürgerliche Städtchen Dargun, aus dem seine Frau stammte.
Das hier war Stettin in Pommern, und seine Rekruten warteten sicher schon auf ihn. Also raus aus den Federn, die ohnehin nicht halb so weich wie das heimische Daunenbett galten. Es handelte sich vielmehr um eine recht kratzige Wolldecke und ein schlecht gestopftes Kissen auf einer billigen Strohmatratze. Nur gut, dass die Temperatur in den jetzigen Nächten kaum unter fünfzehn Grad sank.
Er wusch sich mit dem kalten Wasser, das in einem Krug auf der Anrichte stand. Die darauf folgende Rasur benötigte nicht allzu viel Zeit. Nach gerade einmal zehn Minuten stand er in seiner Uniform und war bereit für den Tag. Er reckte sich ein letztes Mal und ging dann zur Mannschaftsbaracke.
„Moin, Herr Hauptmann!“, ertönte es aus vierundzwanzig Männerkehlen. Sie waren bereits angetreten. Peter Püren, seines Zeichens Erster Zugführer, hatte die Männer gut im Griff. Spoeck blickte belustigt auf diese verrückte Truppe. Die meisten Soldaten waren gleich alt oder älter als er selbst. Im Gegensatz zu ihm bekamen sie ihre Einberufung nicht bereits zu Kriegsbeginn.
Bauern, Handwerker, Musiker und sogar zwei Medizinstudenten, die sogleich zum Sanitäter gemacht wurden, fanden sich im 3. Zug. Der baumlange Püren machte keine Unterschiede zwischen Intellekt und Hammer. Hauptmann Spoeck ebenfalls nicht, denn eines musste klar sein: Der Feind würde nicht fragen, ob er da einen klugen oder einen weniger klugen Menschen vor sich hatte. Der Feind würde schießen, ohne Vorwarnung und ohne Zweifel.
„Marschgepäck aufnehmen, Stellen am Haupttor in zehn Minuten!“, befahl Spoeck dem Zugführer. Püren wiederholte den Befehl lautstark vor den Soldaten und fügte hinzu: „Im Laufschritt Marsch!“
„Jawohl, Zugführer!“, riefen die Männer zurück. Obwohl sicher drei Stunden durch Feld, Wald und Wiese vor ihnen lagen und obwohl sich die Temperaturen bereits jetzt bei über 20 Grad Celsius bewegten, sah man keinen Unmut auf ihren Gesichtern.
Jeder war froh, bei Spoeck zu sein. Es gab böse Gerüchte über den 1. und den 2. Zug unter Hauptfeldwebel Hans-Dietrich Wont. Hinter vorgehaltener Hand wurden diese Gerüchte weitergetragen, bis sie auch die obere Etage erreicht hatten. Oh ja, Spoeck wusste, wie Hans-Dietrich Wont vorzugehen pflegte. Der war erst zufrieden, wenn die Männer Blut spuckten.
Wont prahlte täglich in der Offiziersmesse damit, wie arg er seine zwei Züge zu schleifen wusste. Das führte letztlich dazu, dass gestern sogar der stellvertretende Bataillonskommandeur Major Walter Rettig einschritt. Er wolle bei Tisch seine Ruhe haben und Wont solle endlich das Maul halten, sagte Rettig ungehalten. Hauptmann Spoeck war sehr viel beliebter unter den Soldaten, obschon er sie nicht weniger forderte. Aber er pflegte dies mit Humor und Verständnis zu tun. Auch wenn die vorgegebenen Zeiten so gut wie nie geschafft wurden, hielt Spoeck dennoch zu den Männern und verteidigte sie vor dem Bataillonskommando.
Wenn man bedachte, dass seine Rekruten kaum vier Wochen Zeit hatten, das Soldatenhandwerk zu erlernen, waren Rekordergebnisse kaum möglich. Man könne nicht verlangen, dass in dieser kurzen Spanne ein perfekter Soldat zu formen sei. Üblich waren eigentlich drei volle Monate Grundausbildung, aber das ließ die immer weiter vorrückende Front nicht zu.
So versuchte Hauptmann Spoeck, wenigstens die Grundbegriffe in die sturen Schädel seiner Soldaten einzuhämmern. Der heutige Marsch würde hoffentlich beweisen, dass seine Züge die wichtigsten Lektionen gelernt hatten. Spoeck eilte in seine Unterkunft. Felduniform, Rucksack, Wasserflasche, Waffen, Munition, Notfallmedizin und Feldverpflegung, Stahlhelm – routiniert kleidete er sich an. In weniger als einer Minute war er fertig. Als er zum Haupttor schritt, sah er Wont vor dessen zwei Zügen stehen. Und er sah das gemeine Grinsen in Wont‘s kantigem Gesicht.
Am Haupttor der Kompanie erwartete ihn Peter Püren bereits.
„Dritter Zug angetreten und bereit!“
Hubert Frante rief: „Vierter Zug angetreten und bereit!“
„Zugführer zu mir, Lagebesprechung!“, antwortete Hauptmann Spoeck. Püren und Frante stellten sich neben ihrem Hauptmann auf und breiteten die Landkarten aus.
„Runter ans Haff, dann nordwärts bis zur Heide, übersetzen zur Insel, zurück bis zum Heidehügel, heimwärts“, erklärte Hauptmann Spoeck die heutige Route.
„Sind wir zum vorzüglichen Mittagsmenü wieder zu Hause, Vati?“, fragte Peter Püren frech. Spoeck schaute seinen Zugführer scharf an. Auch Frante verschlug es den Atem. So eine Respektlosigkeit hatte er noch nie erlebt. Er war erst seit kurzem bei der Truppe und konnte nicht wissen, dass Spoeck und Püren abseits von den obrigen Ohren sehr salopp miteinander sprachen. Offen gesagt dachte Frante, dass es jetzt eine derbe Strafe hageln würde.
„Nein, mein Sohn“ , erwiderte Hauptmann Spoeck schlagfertig. „Mutti muss heute wohl etwas länger auf uns warten.“
Schweigen, dann brüllendes Gelächter. Die Soldaten konnten vor Lachen kaum mehr gerade stehen. Vor allem, wenn man das „vorzügliche Menü“ kannte – matschige Kartoffeln, ein undefinierbarer Brei aus Karotten und weißen Bohnen, eine Wurst und ein Kanten Brot. In der Offiziersmesse gab es zwar etwas bessere Kost, aber auch das ging weit am guten Geschmack eines normalen Menschen vorbei.
„Ruhe jetzt!“, rief der Hauptmann seine Soldaten zur Ordnung. „Abmarsch, und ich will keinen Mucks mehr hören, bis wir wieder am Haupttor sind!“
Püren und Frante setzten sich an die Spitze ihres Zuges. Schweigend stampften sie bis zur Heide. Dort angekommen durften die Soldaten etwas Wasser trinken, ein Luxus, der bei Gott nicht jedem Soldaten dieser Kompanie zugebilligt wurde. Wont ließ bisweilen sogar nach Ende eines Marsches die Wasserflaschen ausschütten. Wehe dem Soldaten, dessen Wasserflasche nur noch halb voll oder gar gänzlich leer war.
Spoeck fand diese Art der Schikane in jeder Form übertrieben. Er wusste, was bei vollem Gepäck und Marschieren unter Zeitdruck vor ihnen lag, und die Wärme schlug bereits am Morgen mit aller Kraft zu.
Der Hauptmann erteilte bereits während der ersten Etappe seinen Zugführern die kommenden Befehle:
„Auf der Insel verschanzen wir uns und erwarten dann Hauptfeldwebel Wont‘s Züge. Das bedeutet Schützenlöcher graben, tarnen und Hinterhalt legen.“
Püren stöhnte leise auf. Das hatte er bereits erwartet. Spoeck brachte ihn mit einem einzigen Blick zur Ruhe. Es war ein Geschenk, das ihm Oberstleutnant Friedrich Scholz mit dieser Übung gemacht hatte. Spoeck wusste, dass Scholz nicht zu den Fürsprechern Wont‘s gehörte. Der Hauptfeldwebel hatte eine große Schwäche. Er wollte siegen, immer und überall. Seine Egomanie war so groß, dass es Zeit wurde, ihm einen Dämpfer zu verpassen. Außerdem hatte Scholz verlauten lassen, dass Major Rettig sich bereits auf den Ausgang der Übung freute und innig hoffte, dass Spoeck als Sieger hervorging.
„Frante, dein Zug hinter die Kiefernschonung! Püren, deiner fünfzig Meter weiter westlich, dort bei den Sandhügeln! Los geht’s, Männer!“ Die Zugführer gingen zu ihren Soldaten. Sie würden an der Insel anlanden und dort schnellstens mit dem Graben der Schützenlöcher beginnen. Der Hauptmann ging als Erster in das hier nur knietiefe Wasser. Die Furt betrug knapp dreißig Meter und es musste schnell gehen. Wont war mit seiner Truppe höchstens fünfzehn Minuten hinter ihnen.
Kurz vor der Insel hatten die Männer ihre Feldspaten schon in der Hand. Nur wenig später standen alle an ihrem Gefechtspunkt und hoben das Erdreich aus. Püren mit seinen Riesenpfoten war natürlich als Erster fertig. Bevor er zur Wehrmacht kam, war er Bauarbeiter. Er galt als einer der Besten in seiner Firma.
Als das Schützenloch für den Hauptmann, den Funker und den Ersten Sanitäter fertig war, ging Püren zu seinem Zug. Er überprüfte ordnungsgemäß jeden einzelnen Stand. Der kleine Partz hatte eine schlechte Stelle erwischt. Ausgerechnet da war kein Sandboden mehr, sondern steiniger Untergrund. Rainer Wentes half ihm bereits, aber es wollte einfach nicht klappen.
Püren zögerte keine Sekunde. Er rammte seinen Spaten in den Hügel und schaffte es tatsächlich, eine halbwegs sichere Deckung zu bauen. Frante hingegen hatte keinerlei Mühe. Seine Männer hatten sich in der Kiefernschonung mannstiefe Gräben geschaffen. Die Tarnung mit altem Buschwerk und Ästen war einfach. Nun wartete Frante auf das Sichtsignal von Püren.
Hauptmann Spoeck saß währenddessen mit dem Funker Wickle und dem Sanitäter Woll in seinem Schützenloch. Er setzte wieder und wieder den Feldstecher an, aber von Hauptfeldwebel Wont und seinen Zügen war nichts zu sehen.
Wickle fragte leise: „Kommen die denn überhaupt noch oder verscheißern die uns nur?“
„Wir haben unseren Befehl, Wickle. Wir warten!“, antwortete der Hauptmann.
Keine Minute hörten sie Wont‘s unangenehme Fistelstimme brüllen: „FEUER!“ Anschließend flog ihnen alles um die Ohren. Die Äste der Bäume über ihnen zersplitterten krachend.
„Großer Gott, scharfe Munition, der ist doch verrückt!“, stöhnte Wickle. Der Hauptmann hingegen sah, wie Püren das verabredete Sichtsignal an Frante gab.
Auf Frantes Kommando erhoben sich die Männer des 4. Zuges und schlichen, von Wont unbemerkt, von Osten her auf dessen Scharfschützen zu. Es zeigte sich, dass die Kiefernschonung eine hervorragende Wahl war. Die dicht gewachsenen Bäume boten eine sehr gute Deckung. Als die Scharfschützen des 1. Zuges ihre Waffen nachluden und neu anlegen wollten, klickten direkt hinter ihnen die Gewehre. „Waffen fallenlassen“, brummte Frante gutmütig.
„Zweiter Zug, Feuer, Feuer!“, quäkte Wont immer noch aus seinem Versteck.
„Befehl zurück! Ich übernehme hiermit das Kommando. Feuer einstellen!“
Hauptmann Spoeck stand mit bewegungslosem Gesicht und angelegter Waffe hinter Wont. Püren, der sich abseits der Sandhügel auf dem Boden bis zur Feindlinie gerobbt hatte, sprang nun ebenfalls aus seiner Deckung. Resigniert und wütend ließ Wont seine Pistole fallen.
Als die Gefangenen von den Siegern flankiert zurück zum Stützpunkt marschierten, gestattete Wont nicht eine einzige Pause. So kamen die Männer, Sieger wie auch Besiegte, vollkommen ausgelaugt am Haupttor an.
„Dritter und vierter Zug, Säubern, Umziehen, Essen fassen, anschließend Gefechtsbesprechung vor der Unterkunft um Punkt 15:00 Uhr!“, befahl Hauptmann Spoeck.
Wont hingegen konnte und wollte die Niederlage nicht verkraften.
„Erster und zweiter Zug, antreten zum Waldlauf!“, befahl er zornig.
Die Rekruten schauten sich ungläubig an. Waldlauf? Sie waren bereits mehr als acht Stunden zu Fuß unterwegs, mit vollem Marschgepäck und in großer Hitze. Das Thermometer zeigte inzwischen 32 Grad Celsius. Doch Wont kannte keine Gnade. Er wies seine Zugführer an, den Lauf zu überwachen und all jene zu melden, die nicht die geforderte Zeit geschafft hatten. Dann zog er sich in seine Baracke zurück. Mitleidig schaute Peter Püren hinter den Männern her, die soeben das Tor passierten.
„Arme Schweine“, raunte er zu Frante. Dieser zuckte hilflos mit den Schultern. Hauptfeldwebel Wont hatte wieder einmal bewiesen, dass er ein brutaler Despot war, der sich mit nahezu diabolischer Freude an seinen Rekruten versündigte. Spoeck hingegen ging auf direktem Wege zum Bataillonskommandeur. Major Rettig und Oberstleutnant Scholz standen am großen Schreibtisch. Sie beugten sich gerade über eine Landkarte, als Spoeck anklopfte.
Nachdem Spoeck hereingerufen wurde, nahm er Haltung an und salutierte. Dann bat er, frei sprechen zu dürfen. Die Erlaubnis wurde umgehend erteilt.
„Na, Spoeck, wie war die Übung?“, fragte Scholz.
„Hervorragende Ergebnisse, Herr Oberstleutnant. Melde feindliche Übernahme um 11:25 Uhr. Die Gefangenen wurden vorschriftsmäßig begleitet.“ Scholz und Rettig tauschten einen belustigten Blick aus.
„Wo ist Wont?“, fragte Rettig.
„Wohl noch in seiner Unterkunft. Seine Züge allerdings befinden sich gerade auf dem Waldlauf“, gab Spoeck Auskunft.
„Waldlauf? Das war nicht angeordnet. Prasser? Gehen Sie zu Hauptfeldwebel Wont, er soll sich auf der Stelle hier einfinden!“ Der schmächtige Sekretär des Majors eilte dienstbeflissen davon.
„Unter uns, Spoeck, haben Sie es dem Scheißer anständig gegeben?“, fragte Scholz nun im vertraulichen Ton.
„Jawohl, Herr Oberstleutnant“, antwortete Spoeck und grinste dabei bis über beide Ohren. „Wir haben ihn eingekesselt, ohne dass er es bemerkt hat. Dann hat ihm auch die scharfe Munition nicht mehr geholfen.“
„Wieso ... Was meinen Sie mit scharfer Munition? Dies war eine Übung! Welcher Arsch hat den Befehl erteilt, dass scharfe Munition verwendet werden soll?“, fluchte Scholz unflätig.
„Das wird ein Nachspiel haben. Sie und Ihre Männer haben diesen Nachmittag frei! Nutzen Sie die Zeit und reinigen Sie das Marschgepäck.“
Mit diesen Worten war Hauptmann Spoeck entlassen.
Kurze Zeit später betrat Sekretär Prasser zusammen mit Hauptfeldwebel Wont das Bataillonskommando. Prasser schloss die Tür hinter sich. Dennoch wussten bald alle Zugführer, welche Worte Scholz benutzte und dass Wont bei Wiederholung degradiert werden sollte. Unfähiges Rindvieh war nur eine der Bezeichnungen, die Wont sich von Scholz und Rettig gefallen lassen musste.
Oh ja, Bernhard Prasser besaß gute Ohren! Schließlich hatte er Orgeln und Klaviere gestimmt, bevor er eingezogen wurde. Der Bataillonskommandeur Major Richard Heiderich hätte vermutlich anders entschieden, aber dieser befand sich im Heimaturlaub. Solange Scholz und Rettig das Kommando hatten, konnten die Rekruten wenigstens auf ein bisschen Menschlichkeit hoffen. Heiderich dagegen kannte kein Mitgefühl. Er gehörte zu der Sorte Mensch, die sogar ihre Mutter erschießen würden, wenn es befohlen wurde. Und Hauptfeldwebel Wont liebte ihn dafür.
Am Abend suchte Hauptmann Spoeck nicht die Offiziersmesse auf. Er konnte die dreckige Visage von Wont nicht ertragen. Stattdessen ging er in den Speiseraum der Soldaten. Bereits am Eingang hörte er ein beifälliges Klatschen. Scholz hatte angewiesen, dass nach dem Gewaltmarsch Kompott zum Abendessen ausgeteilt werden sollte. Bernhard Prasser hatte es soeben verkündet. Pflaumenkompott aus guter deutscher Ernte, das gab es sonst nur für die Offiziere.
Spoeck nahm sich zusätzlich zwei Scheiben Brot und etwas Wurst auf seinen Teller. Er suchte Püren und fand ihn inmitten seines Zuges. Die Soldaten unterhielten sich leise.
„Hier, für dich. Du hast dich heute wacker geschlagen.“
Mit diesen Worten schob er Püren sein Kompott rüber. Der Mann hatte ohnehin ständig Hunger. Erfreut machte sich Peter Püren über die zusätzliche Ration her.
„Was hab
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Uta Pfützner
Cover: Valerian Pfützner
Tag der Veröffentlichung: 23.03.2022
ISBN: 978-3-7554-1006-5
Alle Rechte vorbehalten