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Schlüsselerlebnis

 

„Papa?, Kommst du?“ Die Frauenstimme aus dem Treppenhaus klang ungeduldig und gereizt. „Ja gleich“ brummelte der alte Herr, und drehte den Schlüssel noch einmal im Schloss seiner Wohnungstüre. Versonnen starrte er dann auf den Schlüsselbund in seiner Hand, bevor er einem Impuls folgend einen der Schlüssel löste.  Als er Schritte hörte ließ er ihn schnell in seiner Hosentasche verschwinden. Neben ihm stand nun seine Tochter, eine gutgekleidete junge Frau mit dezent geschminktem Gesicht. Das jetzt allerdings unwillig verzogen war. Sie zupfte an ihrem gutsitzenden grauen Kostüm und trat unruhig auf der Stelle. „ Papa du weißt doch, sie müssen heute noch einige Untersuchungen machen, bevor du morgen operiert wirst. Und ich habe dann auch noch einen wichtigen Termin.“  Langsam folgte er ihr zum Aufzug, wo sie schon sein Gepäck, eine große Reisetasche, abgestellt hatte. „So viel?“ meinte er erstaunt. Die junge Frau wurde verlegen. Wie oft sollte sie ihm noch erklären, dass es für sie unmöglich war jeden Tag vorbeizuschauen. Wortlos betätigte der den Knopf des Aufzugs und wartete, dass sich die Türe in seinem Stockwerk öffnete.

 

 

Welch ein Segen, dass er damals, nach dem Tode seiner Frau, in diese kleine Wohnung gezogen war. Kein Treppensteigen mehr. Und dazu noch einen schönen kleinen Balkon. Leicht war es für ihn nicht gewesen, die alte Stadtwohnung zu verlassen. Aber Silvia, seine Tochter, hatte ihm gut zugeredet. „Schau Papa, die Wohnung ist viel zu groß für dich. Und dann die vielen Treppen.“ Sie hatte ihm also eine hübsche kleine Wohnung am Stadtrand besorgt. Und inzwischen war er ihr dankbar dafür. Er hatte sich gut eingelebt. Und mit dem neuen Hüftgelenk würde er auch wieder kleine Spaziergänge machen können. Vielleicht sogar wieder selber einkaufen und kochen. Nur Kleinigkeiten, er brauchte ja in seinem Alter nicht mehr viel. Aber immer noch besser als diese Fertigkost, die er einmal die Woche geliefert bekam. Mit Widerwillen nahm er jeden Tag eines der Menüs aus seiner Truhe, und erwärmte sie im Wasserbad. Schlecht war das Essen ja nicht unbedingt, aber schrecklich eintönig. Wie Nudeln mit Braten und Braten mit Nudeln. Unwillkürlich musste er über diesen komischen Gedanken schmunzeln. Silvia strich ihm zärtlich über die schmale Wange. „Wird alles gut Papa.“

 

 Der Aufzug hielt abrupt und öffnete sich zur kleinen Eingangshalle. Dort stand gerade Frau Kruse, die Hausmeisterin, vor den Briefkästen. „Na Frau Kruse, verteilen sie schon die Einladungen zum Hausfest? Ich hoffe sie warten damit auf mich. Dann kann ich sie auch mal zu einem Tänzchen auffordern. Sie werden sehen wie gut das geht, mit meiner neuen Hüfte.“ Und dabei zwinkerte er ihr verschmitzt zu. Die ältere Frau bekämpfte schnell die aufkommende Verlegenheit, und setzte ein gequältes Lächeln auf. „Alles Gute Herr Weber.“ Und dann schüttelte sie ihm kurz die Rechte, bevor sie sich umwandte. Was war denn das? Hatte sie gerade eine Träne im Auge gehabt. So waren sie die Weiber, immer sentimental. Und das wegen einer kleinen Routine Operation. Kopfschütteln folgte er seiner Tochter, und sah so nicht mehr den wehmütigen Blick der Hausmeisterin. Der arme Herr Weber, wenn der wüsste.

 

 Aus der Klinik war er relativ schnell entlassen worden. Aber dann gleich ab in die Reha. Eigentlich wollte er vorher noch mal in seine Wohnung zurück, aber Silvia hatte bereits alles Nötige gepackt und mitgebracht. Naja, das was Sie für nötig hielt. Die zusätzlichen Kleinigkeiten, wie das Bild seiner Frau und bestimmte Bücher, hatte sie noch holen müssen. Ebenso die warme Jacke, aber die die seine Frau für ihn gestrickt hatte. Mit Zopfmuster und aus besonders weicher Wolle. Ihre verkniffene Miene hatte er dabei geflissentlich übersehen, selber schuld.

Die zugewiesene Kurklinik war wirklich sehr schön. Ein weitläufiger Kurpark den er, wenn auch noch mit Hilfe eines Rollators, täglich genießen konnte, einige durchaus anspruchsvolle Konzerte, und eine gut sortierte Bibliothek. Nebenbei hatte er durchaus noch Chancen bei den Damen. Und nicht nur bei denen in seinem Alter. Nun ja er sah ja noch ganz gut aus mit seinem vollen weißen Haar. Und zugenommen hatte er auch schon etwas. Im Gegenteil, er musste langsam darauf achten, dass er die Knöpfe seiner Hemden nicht zu sehr belastete. Aus diesem Grund bat er dann seine Tochter, bei einem ihrer seltenen Besuche, ein paar neue Hemden zu kaufen. Sein Lob über ihren guten Geschmack, gab ihr den nötigen Mut für ein erforderliches Gespräch.

 

 Ziel war es ihm ein Seniorenstift mit ebenso schönem, wenn auch etwas kleinerem, Park schmackhaft zu machen. Und natürlich die vielen kulturellen Angebote, die er zuhause vermissen würde. Jeden Tag nette Leute seines Alters um sich, und keine Aufgaben die ihn vielleicht überfordern könnten. Bei dieser Aussage schaute er sie erstaunt an. „Mein liebes Kind,. Ich bin gerade mal 75“ war seine Antwort. „Und da oben“, er wies mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Stirn, „da oben ist noch alles topfit.“ Nein, er wollte wieder in seine kleine Wohnung, Tomaten auf dem Balkon züchten, und Radio hören oder ausgehen sooft und wann er wollte. Freunde hatte er auch genug. Nach weiteren zahlreichen Argumenten ihrerseits meinte er, er würde es sich überlegen. Silvia unterlies erst mal weitere Gespräche über dieses Thema. Und das hatte er letztendlich erreichen wollen.

Als seine Reha, ohne sein Zutun, nochmals verlängert wurde, wurde er unruhig. Ganz in Gedanken versunken zog er an diesem Morgen seine Lieblingshose an, weicher brauner Cord. Wenn auch an manchen Stellen schon etwas abgenutzt. Silvia hatte sie mit nach Hause nehmen wollen. Behauptete sie wenigstens. Aber er wusste genau sie hätte sie entsorgt.  Während er den Gürtel schloss fuhr seine Hand wie zufällig in die rechte Tasche. Da war doch was? Und tatsächlich hatte er plötzlich einen Schlüssel in der Hand. Seinen Wohnungsschlüssel. 

Lange brauchte er nicht mehr zu überlegen. Er musste zuhause nach dem Rechten sehen. Die Hausmeisterin hatte versprochen seine Post entgegenzunehmen. Dafür war extra ein Zettel an seinem Briefkasten angebracht worden. Auch seine wenigen Pflanzen wollte sie betreuen. Zu ihr hatte er Vertrauen. Aber was hatte Silvia gemacht? Auch wenn sie immer behauptete wenig Zeit zu haben, das eine oder andere wollte sie schon längst mal entsorgen. Irgendwie hatte er ein seltsames Gefühl. Aber dann kam alles viel schlimmer.

 

 Da zwischen seinem Kur- und Wohnort eine relativ gute Zugverbindung bestand, hatte er sich einfach ein Ticket gekauft und war los gefahren. Bei drei Stunden Fahrzeit würde er am Abend wieder zurück sein. Es war Wochenende und er hatte den ganzen Tag Zeit. Niemand würde ihn vermissen. Und so stand er ein paar Stunden später vor seinem Wohnblock und schaute hinauf zu seinem Balkon. Das erste was ihm auffiel waren die verdunkelten Fenster. Wie ärgerlich, er hatte doch extra gesagt sie sollten nichts herunterlassen. So sah es so unbewohnt aus. Aus dem Hauseingang kam eine junge Frau. Sie gab ihm die Klinke der schweren Eingangstüre förmlich in die Hand. Gottseidank, denn Hauptschlüssel hatte er momentan keinen. Die Halle war leer und auch der Aufzug brachte nur ihn in den 2.Stock. Gemächlich ging er den Gang entlang, und atmete tief den frischen Zitronenduft des Putzmittels ein.

 

 Dann schloss er, leicht zitternd vor Aufregung seine Wohnungstür auf. Endlich zu Hause. Doch was er dann sah, lies ihn irritiert zurückweichen. War das seine Wohnung? Ungläubig schaute er auf das Türschild, und dann wieder in die ihm plötzlich fremden Räume. Sie waren leer, leer bis auf ein paar Kartons in der Diele. Langsam ging er von Raum zu Raum. Alles leer. Hinter sich hörte er schweres Atmen. Als er sich umdrehte stand Frau Kruse unter der Türe. Sie schaute ihn entsetzt an. „Aber Herr Weber, ich dachte sie kuren noch“ meinte sie, als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. Durchdringend schaute der alte Herr sie an. „Was ist hier los?“ fragte er in einem drohenden Ton. Auch wenn ihm dieser viel Kraft kostete. Gleich griff er sich an sein Herz. „Kommen sie.“ Die Hausmeisterin packte ihn behutsam unter den Arm. Und wie betäubt folgte er ihr in ihre Wohnung. Dort setzte er sich auf einen der alten Küchenstühle und klammerte kurz darauf seine Finger um eine Tasse heißen Kaffee. Frau Kruse fühlte sich sichtlich Unwohl. Aber dann begann sie zu erzählen. Ja, seine Tochter hatte die Wohnung ausgeräumt, erklärt ihr Vater werde nicht mehr zurückkommen, sondern in ein gutes Seniorenstift ziehen. In seinem Alter die beste Lösung. Und sie hätte den alten Starrkopf  auch schon so gut wie überzeugt. Aber da sie auf keinen Fall noch einen ganzen Monat Miete bezahlen wollte, musste sie schon mal ausräumen. Vielmehr ausräumen lassen, wie Frau Kruse ihm gestand.  Und diesen Sonntag wollte sie sich von ihrem Vater die Unterschrift für die fristgerechte Kündigung holen. Diesen Sonntag? Also war sie unterwegs zu ihm. `Nicht so mein Mädchen` dachte er grimmig. Und sein Kampfgeist erwachte. „Ihr Sohn hat doch einen PC, oder?“ Irritiert schaute sie ihn an. „Ja, aber…“ Eifrig erzählte er ihr seinen Plan. Und in die bleichen Wangen kam wieder etwas Farbe dabei.

 

 

So kam es das Stunden später eine aufgeregte Tochter die Wohnung der Hausmeisterin, auf der Suche nach ihrem Vater, betrat.  Stumm führte diese die junge Frau in das Zimmer ihres Sohnes. Wo derselbe mit dem alten Herrn ganz vertieft in Ebay stöberte. Der drehte sich nur kurz um „Danke meine Liebe, ich wollte schon immer mal neue Möbel. Und da ich ja deinen Ebay Account noch kenne, dachte ich, ich fange mal ohne dich an. Du bist ja immer so beschäftigt. Und die Rechnungen kannst du dann ja mit Online-Banking begleichen.“

 

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Tag der Veröffentlichung: 02.06.2014

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