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Ein wichtiger Schnitt

Einer der schlimmsten Momente wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, ist das Räumen des Kleiderschrankes. Die meisten bringen es wohl lange nicht über sich. Atmet man doch mit jedem Stück noch etwas Vergangenheit ein. Vielleicht ihr Parfüm, oder seinen Tabak. Doch irgendwann kommt der richtige Zeitpunkt. Und damit die entscheidende Frage: Was soll mit diesen Sachen geschehen?

Ich weiß nicht mehr wann bei mir dieser Zeitpunkt gekommen war. Die Lederjacke meines Mannes hing noch einige Zeit an der Garderobe. Aber von ihr konnte ich mich am ehesten trennen. Hatte er sie doch kaum getragen. Und bei seinem Bruder war sie gut aufgehoben. Eines seiner Flanellhemden, in großem rot/weiß/schwarz kariertem Karomuster trug ich noch lange zuhause über meiner Jeans. Es war schön weit, schön warm und vermittelte die verlorene Geborgenheit. Später erzählte mir eine Bekannte, dass ihre Tochter nach dem Tod des Vaters lange in seinem Schlafanzug geschlafen habe.

 

 

 

 

Es tat mir weh, wenn ich daran dachte die andern Kleidungsstücke in einen dieser Altkleider Container zu werfen. Man hörte so viel von diverser Verarbeitung. Und dazu waren sie eigentlich zu schade. Aber das sie weit weg mussten, also aus meinem Blickfeld, war mir auch klar. Nun hatte meine Schwiegermutter familiäre Beziehungen zu einem Pater, der im Auftrag seines Klosters schon bis nach Afrika gereist war. Dieses Kloster sammelte auch immer wieder für die Mission. So sprach ich mit ihr darüber und begann alles in Säcke zu verpacken, die ich ihr dann zur Weiterleitung übergab. Meine Schwiegermutter war eine sehr praktische und in manchen Dingen sparsame Frau. Es hätte mich nicht verwundern dürfen, dass sie auf die Idee kam ihr zweiter Mann könnte einiges davon bei seiner Gartenarbeit auftragen. Entsetzt schaute ich sie an. Und dann bat ich sie in einem etwas bestimmten Ton keinen der Säcke mehr zu öffnen. Nein, übelgenommen habe ich ihr ihre Überlegung nicht. Es war keine Herzlosigkeit, sondern wie schon erwähnt einfach ihr praktischer Sinn. Auch wenn es ihr jetzt sehr gut ging, die Zeit davor konnte sie nicht einfach abstreifen.Ich habe dann wirklich keines dieser Kleidungsstücke wiedergesehen.

 

 

 

 

Am längsten lag ein großer schwarzer Hut unten in meinem Kleiderschrank. Ein Borsalino mit breiter Krempe, der ganze Stolz meines Mannes. Als ich ihn kennenlernte trug er eher konservative Hüte. Einer, ein grauer Filzhut, hatte sogar einen Gamsbart. Doch Gottseidank kam er bald davon ab. Der erste große Hut wurde in einem Hutgeschäft unterfüttert, weil er nicht die richtige Kopfgröße hatte. Aber diesen Hut gab es eben nicht anders. Richtig glücklich war er nie damit. Und dann verliebten wir uns beide in diesen schwarzen Borsalino, der auch auf Anhieb passte. Er trug ihn sehr oft und voller Stolz. Der große Hut war Schutz bei Sonne und Wind. Und noch lange war es mir als fahre er auf dem Weg nach Hause, mit eben diesem Hut, neben mir her. Und seine Hand lag in meiner. Aber ich musste diese Strecke nun alleine gehen. Immer wenn ich von seinem Grab kam.

 

 

 

 

 

 

 

 Ich denke ihr könnt  ein bisschen verstehen, warum mir der Abschied von diesem Hut so schwer fiel.

 

 

 

 

Allein der Gedanke jemand anderes könnte ihn tragen, vielleicht genauso stolz wie er, erfüllte mich mit Schmerz. Sicherlich war es sehr unwahrscheinlich, dass ich einen anderen mit ausgerechnet diesem Hut sehen würde. Es gibt tausende davon. Aber da blieb immer diese Ungewissheit. Ich musste einfach sicher gehen. Und so stand ich dann eines Tages mit einer Schere bewaffnet und Tränen in den Augen da. Jeder Schnitt in den schwarzen Filz bedeutete Trauer und Erleichterung zu gleich. Auch das war ein Abschied.

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Bildmaterialien: cover: gestaltet aus Einzelteilen Innenbild: eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2014

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