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Klara räumt auf

Ein lauter Knall durchbrach die Nacht. Eine Rauchwolke legte sich vor  den ohnehin blassen Mond. Das alles geschah innerhalb weniger Minuten. Dann war es wieder still.

 

Da stand sie nun, in einem ihr fremden Zimmer und wusste nicht wie ihr restliches Leben aussehen würde. Die Möbel waren bis auf einen Lehnstuhl nicht ihre eigenen, ihr so vertrauten. Statt des antiken Bücherschranks nur ein kleines Regal. Davor das klinisch weiße Bett. Ein kleiner Tisch und eben ihr Lehnstuhl. Ihre Kleider hingen im Vorflur in einem Wandschrank. Von dort aus ging es auch in das winzige Duschbad mit Toilette. „Tut mir leid Mutter“ hatte Hubert ihr Sohn gesagt. „Aber wir konnten im Moment wirklich nichts anderes finden. Sobald sich etwas ergibt hole ich dich hier wieder raus.“ Sie hatte ihn beschwichtigt. Aber im Innersten wusste sie, hier würde sie sterben.

 

 

 

Seufzend ließ sie sich in ihren Lehnstuhl fallen. Das gute alte Stück. Wenigstens das hatten sie ihr gelassen. Die restlichen Möbel wurden eingelagert, hatte zumindest Hubert behauptet. Bis er was anderes für sie gefunden hätte. In seinem Haus war jedenfalls kein Platz mehr für sie. Naja, so direkt hatte er es nicht ausgesprochen. Er hatte ziemlich herumgedruckst. Von wegen zu viel Arbeit und wenig Zeit. Und überhaupt brauche sie mehr Gesellschaft in ihrem Alter. Dabei ging es doch nur darum, dass seine Frau endlich ihr Bügelzimmer wieder wollte. Da konnte sie gut ihre unerledigten Arbeiten liegen lassen, die Schlampe. Die alte Dame seufzte abermals. Und nun? Hinunter würde sie auf keinen Fall gehen. Dort saßen die anderen Mitbewohner im langen Flur, wie aufgereihte Hühner auf der Stange. Und beobachteten mit Argusaugen jeden Besucher. Nein, sie nicht.

Während sie sich schließlich wieder erhob, und ihre wenigen Kleidungsstücke im Schrank ordnete, öffnete sich die Türe zu ihrem Zimmer. Ohne anzuklopfen kam ein schlaksiger junger Mann in weißem Kittel herein. „Na Oma, schon heimisch?“ sprach er sie mit einem breiten Grinsen an. Was ihm aber unter ihrem entrüsteten Blick bald verging. „Ich bin nicht ihre Oma. Ich heiße Klara Hausmann. Und das nächstemal klopfen sie bitte an.“ „Schon gut, schon gut“ beschwichtigte der Pfleger. „Ich wollte ja nur nach ihnen sehen, ob sie etwas brauchen. “ Klara meinte in energischem Ton: „Nur meine Ruhe junger Mann, sonst nichts.“ Nachdem dieser die Türe wieder hinter sich geschlossen hatte, diesmal von außen,  beschloss sie, sich erst mal schlafen zu legen.  Morgen würde man weiter sehen.

Am nächsten Morgen erwachte Klara nicht etwa vom hellen Schein der Sonne, sondern von nervendem Geschirrklappern. Drüben, an ihrem kleinen Tisch, war gerade eine etwas stärker gebaute Frau mittleren Alters dabei denselben einzudecken. „So, Frau Hausmann, ihr Frühstück“ meinte sie mit einem leichten Ostakzent. Na Benehmen hatte sie wenigstens. Im Gegensatz zu diesem ungehobelten Pfleger gestern. Neugierig erhob sich die alte Dame, um einen Blick auf den nun gedeckten Tisch zu werfen. Gleich darauf verzog sie angewidert das Gesicht. Zwei Scheiben Weißbrot, ebenso viele sich schon leicht wellende Käsescheiben, und eine undefinierbare graue Wurst. Das Ei war die Krönung des Ganzen. `Wahrscheinlich steinhart` mutmaßte Klara. Die Helferin, die ihren kritischen Blick sah, schmetterte jeden möglichen Einwand sofort ab. „Bej uns in Pollen …..“ begann sie ihre Rede. Worauf Klara sie mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen brachte. „Na gut“ seufzte sie. „Wir werden daran arbeiten müssen.“

Nach dem Frühstück inspizierte sie endlich ihre nähere Umgebung. Die ersten Alten saßen schon wieder parat, und beäugten den Neuzugang mit neugierigen Blicken. `Brust raus, Bauch rein` befahl sich Klara. Schließlich war sie für ihr Alter noch recht ansehnlich. Im Gegensatz zu mancher dieser zerknitterten, aber übermäßig geschminkten Damen. Die Männer waren auch nicht gerade erste Wahl, stellte sie fest. Entweder Hängebauch über der Hose, oder die Hose war mit Hosenträgern bis fast zur Brust geschnallt. Dazu weibliche Dauerwellen im spärlichen Haar und männliche Spiegelglatzen. Und dann dieser lüsterne Blick von dem Dicken mit der Nickelbrille. Ekelhaft. Sie war ja, trotz ihres Alters, einem kleinen Flirt nicht abgeneigt. Aber der war bestimmt nicht ihre Kragenweite. Da würde aus zärtlichem streicheln, ehr ein begrapschen werden.  Zielstrebig steuerte sie auf den Aushang neben dem Fahrstuhl zu. Heute 10.00 Seniorengymnastik -  14.00 Uhr Spielenachmittag   stand da in gut leserlicher Schrift. Naja, ein bisschen Gymnastik konnte ja nicht schaden. Aber erst wollte sie sich den Garten ansehen. Dort wurde sie zum ersten Mal positiv überrascht. Ein kleiner See wurde umrahmt von Sträuchern und Bänken. Leider befanden sich darauf keine Enten, wie sie gehofft hatte. Nur Fische kamen ab und zu luftschnappend an die Oberfläche. Morgen würde sie ihnen etwas von ihrem Weißbrot mitbringen.

Auf dem Weg zur Gymnastik begegnete ihr der gestrige Pfleger. Er führte eine der dauergewellten Damen am Arm, die ihn förmlich anhimmelte. „Ach Michael, sie sind ein Engel“ flötete sie mit gespitzten Lippen. „Keine Ursache Frau Meier, mache ich doch gerne für sie“ antwortete „Engel“ Michael. Und so schleppte er Frau Meier förmlich zur Gymnastik. Klara kamen erste Zweifel. Gymnastik? Nun gut, sie würde sich das ganze mal anschauen. Im Aufenthaltsraum saßen etwas 20 Seniorinnen und Senioren auf ihren Stühlen erwartungsvoll im Kreis. Klara suchte sich erst mal ein Plätzchen etwas abseits. Nicht das sie schüchtern war, oh nein. Aber aufdrängen sollte man sich auch nicht so schnell. Nach fünf Minuten betrat eine sportliche junge Frau den Raum. Und nach kurzen Begrüßungsworten konnte es losgehen. Was dann geschah, riss die alte Dame fast vom Stuhl. Keinesfalls vom sprichwörtlichen Hocker. Denn das hätte ja positives bedeutet. So aber begann eine Seniorengerechte Gymnastik mit Händeschütteln zur Ententanzmusik. Das reichte Klara schon, und fluchtartig aber diskret ging sie wieder. Nach dem sie den Aufzug in ihrem Stockwerk verlassen hatte, ging sie langsam den Gang entlang, und las die Türschilder. Jedes war mit Namen und Foto versehen. Also da wohnte Frau Meier. Die Türe stand einen Spalt offen. Vorsichtig warf sie einen Blick hinein, um gleich wieder zurückzutreten. Drinnen machte sich der Pfleger Michael gerade an einem Schränkchen zu schaffen. `Ach so geht das hier` dachte sie erstaunt. Und nahm sich vor auf der Hut zu sein.

Der Dicke mit der Nickelbrille war jetzt ständig hinter ihr her. Was die anderen alten Damen entweder belustigt oder eifersüchtig zur Kenntnis nahmen. Dabei war ihr das ganze doch eher peinlich.  Inzwischen wusste Klara, dass er früher von Beruf Bäcker gewesen war, und Heinrich Bremer hieß. Eines Tages schlug er ihr sogar einen gemeinsamen Cafebesuch bei seinem Sohn vor. Bei dem jämmerlichen Essen hier bestimmt eine willkommene Abwechslung. Aber war das nicht zu eindeutig zweideutig? So versprach sie ihm zunächst, dass er sie zum täglichen Fische füttern an den See begleiten dürfe. Damit war er erst mal zufrieden.

 Es war noch früh am Morgen. Ihre liebste Zeit. Da sie abends schon sehr bald ins Bett ging, sie hatte keine Lust auf Schnulzenfernsehen, war sie morgens zeitig wach. Bewaffnet mit einer Scheibe Weißbrot vom Vorabend schlich sie dann zum See. So bald würde er bestimmt nicht aufstehen. Doch dann kam alles anders. Kaum hatte sie den See erreicht stand er schon hinter ihr. „Guten Morgen liebste Klara“ säuselte er. Klara fuhr herum. „Waren wir schon soweit?“ fragte sie mit bebender Stimme. Nach kurzem Erstaunen legte er ihr eine seiner schwabbeligen Hände auf den Arm. „Aber, aber wer wird denn so gehemmt sein“ lachte er, und zeigte dabei eine Reihe nikotinverfärbter Zähne. Das gab ihr den Rest. Sie lächelte zurück und wies auf den See. „Schau mal Heinrich, die vielen hungrigen Fische.“  Durch ihre nachgiebigen Worte ermutigt, trat er ein paar Schritte vor. Und schon bekam er einen sanften Stoß in sein breites Kreuz. Mehr bedurfte es nicht. Er war ja nicht mehr der Jüngste. Selbst der Schrei blieb ihm zu Klaras Erleichterung im Halse stecken. Vermutlich erlitt er schon einen Herzanfall bevor er ins Wasser fiel. Und mit leisem blubbern ging er unter. Zu ihrem Schrecken kam er nochmal kurz hoch, um dann endgültig zu versinken. Klara atmete tief durch und straffe sich.  Dankbar sollte er ihr sein, für diesen schnellen Tod. Er stand ja sowieso schon auf der Abschussliste. Nein, Skrupel hatte sie keine mehr. Die waren irgendwie wie weggeblasen. Was hatte sie denn noch zu verlieren? Nicht Wir machen den Weg frei, war von nun an ihr Motto, sondern Ich mache mir den Weg frei. Im Alter sollte man sich nur noch mit angenehmen Dingen umgeben.

Vermisst wurde Heinrich Bremer erst beim Mittagessen. Die zartbesaitete Damenwelt war in heller Aufregung. Und Pfleger Michael wurde zu einer Suchaktion animiert. Trotz hinzugezogener polizeilicher Hilfe, kein Ergebnis bis zum Abend. An den See dachte niemand. Man ging schließlich von einer Flucht aus, und verlegte die Suche außerhalb des Geländes. Schon am nächsten Tag kehrte wieder der normale Heimalltag ein. Einer weniger der schmatzte und sabberte.

Klara hatte es sich nun zur Aufgabe gemacht, den „Engel“ besser im Auge zu behalten. Inzwischen wusste sie genauso, wie er wohl auch, wo lohnendes zu holen war. Beschwerte sich einer der Bewohner, dass ihm Geld oder ein Schmuckstück abhanden gekommen war, wurde er allgemein als verwirrt abgestempelt. Hier klaute man nicht. Wobei merkwürdigerweise nur Insassen mit wenig oder gar keinem Verwandtenbesuch betroffen waren. Hubert hatte sich auch schon lange nicht mehr sehen lassen. Wobei Klara aufgrund der Vorkommnisse schon überlegt hatte, ihm ihren Familienschmuck anzuvertrauen. Er bekam ihn ja doch eines Tages.  Aber dann fiel ihr wieder ihre ungeliebte Schwiegertochter ein. Nein, sie würde ihn vorerst behalten. Ihre Enkelin kam ja bald aus Kanada zurück. 

So vergingen Tage und Wochen. Klara hatte sich noch immer nicht an das Essen der Polin gewöhnt. Morgens Weißbrot, abends Weißbrot und zwischendurch mindestens dreimal die Woche Eintopf. Vom Weißbrot bekamen immer noch die Fische ihren Anteil. Und wenn Klara so am See stand, gedachte sie auch des darin ruhenden Heinrich. Leise summte sie ein Lied dabei.

Ihr Verdacht gegen den Pfleger Michael bestätigte sich, als sie ihn eines Tages in ihrem eigenen Zimmer in Flagranti erwischte. Eine unbändige Wut kam in ihr hoch, als sie ihn in ihren Sachen wühlen sah. Eigentlich wäre sie um diese Zeit noch am See gewesen, aber ein plötzlich aufkommender Wind hatte sie vertrieben. Schicksal, glaubte Klara. Und jetzt gab es für sie kein Halten mehr. Der „Engel“ hielt schon eines ihrer Schmuckstücke in der Hand. „Schönes Stück, nicht wahr?“ Erschrocken fuhr er herum. „Ich wollte nur… „ „Ja ich weiß“ unterbrach ihn die alte Dame, mit auffällig milder Stimme. „Sie wollten nur den Schmuck putzen. Naja, das Silber ist ja auch schon etwas angelaufen. Aber erst könnten sie meinen Rollo mal überprüfen. Er klemmt in letzter Zeit.“ Michael legte schnell den Schmuck aus der Hand und ging eilfertig zum Fenster. Da es in diesem Altbauzimmer sehr hoch war, musste er auf die Fensterbank steigen um an den klemmenden Rollo zu gelangen. Während er sich abmühte die Sperre zu lösen, ging Klara langsam zur Türe zurück. `Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob du auch fliegen kannst mein Engel ‘dachte sie.  Beim öffnen  entstand ein Luftzug. So dass das ungesicherte offene Fenster mit voller Wucht gegen den Pfleger schlug. Leider konnte er keinen Halt mehr finden. Gleichzeitig mit seinem Entsetzensschrei schrie Klara theatralisch um Hilfe. Zu spät. Ein herbeigerufener Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Und alle bedauerten nicht nur das, sondern auch die arme Frau Hausmann, die Schuldgefühle hatte. Ob wohl sie ja nichts dafür konnte. Klara kicherte in sich hinein. 

Tatsächlich kam dann eines Tages ihre Enkelin Sabine. Die beiden Frauen hatten  sich so viel zu erzählen. „Mach dir keine Sorgen Oma“ meinte Sabine, nachdem Klara ihr ihr Herz ausgeschüttet hatte. „Mutter bekommt das Zimmer nicht.“ Aber eine aufkommende Hoffnung machte sie gleich wieder mit den Worten zunichte „Ich werde nämlich erst mal wieder zu Hause einziehen. Eine eigene Wohnung ist mir zu teuer.“ Den anvertrauten Familienschmuck  beäugte sie kritisch. „Naja Oma, so was trägt man eigentlich nicht mehr. Aber er könnte noch ein hübsches Sümmchen bringen.“ Bevor die alte Dame protestieren konnte, hatte ihre Enkelin den Schmuck lässig in ihre Handtasche geworfen und verließ nach einem flüchtigen Küsschen  auf die Wange und einem vagen Versprechen wieder mal vorbei zu schauen das Seniorenheim. Klara verstand die Welt nicht mehr.

 

Das wieder Mal jämmerliche Abendessen tat sein übriges dazu, ihre Laune auf den Nullpunkt zu senken. Es wurde Zeit, dass sie sich der Küchenhilfe annahm. Also betrat sie forsch die in der unteren Etage gelegene Küche. Die Hilfe fuhr unwirsch herum, als sie Schritte auf dem Fließenboden vernahm. Und in der Annahme die alte Dame wolle sich wieder Mal beschweren, begann sie gleich kampfeslustig mit ihren üblichen Worten: „Bej uns in Pollen….“  „Wir sind hier aber nicht in Polen“ stellte Klara energisch fest. Und begann mit einer kleinen Demonstration  in Sachen Verpflegung für anvertraute Schutzbefohlene, soll heißen von ihren Angehörigen abgeschobene arme alte Leute.

Weit hörte man die Sirenen der Feuerwehr und Rettungswagen. Im unteren Geschoß des Seniorenheimes waren etliche Fenster zerborsten, die Küche glich einem Schlachtfeld. Mühsam arbeiteten sich die Helfer vor. Gottseidank waren die  weiteren Stockwerke  unversehrt, und man hatte die Alten evakuieren können. Wie es schien hatte sich zum Zeitpunkt der Gasexplosion niemand im Untergeschoß aufgehalten, außer der Küchenhilfe. Man fand sie tot zwischen den Trümmern. Bei Besichtigung des Außengeländes entdeckte man dann doch noch eine alte Dame. Diese saß am Rande des Sees und sang leise vor sich hin:

 

 

"Alle meine Entchen schwimmen auf dem See, schwimmen auf dem See. Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen   in  die Höh`".                                                                                                                                                                                                                                          

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewinner des Thrilling Wettbewerbs Dezember 2013

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