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zumindest meine, hat einen ...




Ein ganz normaler Tag lag hinter mir und auch noch vor mir. Es war früher Nachmittag und ich fuhr gerade auf der Landstraße Richtung Autobahn.

Ich weiß heute noch nicht einmal mehr, welches Ziel meine Fahrt hatte, aber ich weiß, dass diese Fahrt mein Leben für immer verändert hat.

Die Sonne strahlte. Es war warm und gemütlich in meinem Mini-Van. Mein Sohn brabbelte leicht kichernd in seinem Kindersitz vor sich her. Er saß fest und sicher in einem dieser Modelle, denen mehrere Testunternehmen das Siegel „Gut“ oder sogar „Sehr gut“ verliehen hatten.

Und auch ich saß sicher in meinem Sitz. Der Dreipunktgurt lag fest, aber nicht einschnürend um meine Taille. Die Kontrollleuchte der Airbags hatte zehn Minuten zuvor angezeigt, dass sie für den Notfall einsatzbereit waren. Die Reifen hatte genug Profil und auch die Bremsen waren im einwandfreien Zustand. Kurz: Es hätte nicht sicherer sein können.

Die Straße war sauber, kein Treckerschmutz und auch keine alten Reifenreste oder gar eine Ölspur war zu sehen. Die Sicht war klar. Die Sonne war hinter uns und blendete mich nicht, da meine hinteren Scheiben vom Werk aus verdunkelt waren. Und auch der Verkehr war fließend und gleichmäßig verteilten sich die Autos vor und hinter mir, mit dem vorgeschriebenen Abstand zum nächsten Kraftfahrzeug.

Ja, es war ein Tag, den jeder Autofahrer zu schätzen wusste, der sicher und behutsam an seinem Ziel ankommen wollte.

Die Autobahn näherte sich. Über das vor mir liegende Feld hinweg sah ich, dass auch dort der Verkehr überschaubar war und nur wenige LKW´s unterwegs waren.



Gut, dann kommen wir zügig durch, ohne Stau und Drängelei, dachte ich noch. Dann sah ich das Schild, welches mir zeigte, dass ich die rechte Auffahrt nehmen musste, um auf die Bahn in südlicher Richtung aufzufahren.

Plötzlich … völlig unerwartet … wie aus dem Nichts … war SIE da!

Das Herz sackte mir buchstäblich in die Hose. Die Kehle schnürte sich mir zu und mein Atem stockte. Meine Hände fingen an zu zittern und auf meiner Stirn bildeten sich wahre Schweißtropfen. Kurz: Ich hatte Angst … Angst auch nur Luft zu holen. Angst meinen Blick schweifen zu lassen. Angst davor mich gleich übergeben zu müssen.

All diese Befürchtungen kannte ich noch nicht wirklich. All diese Gefühle hatte ich so zuvor noch nie gespürt. All diese Empfindungen hüllten mich plötzlich ein, wie ein kalter Mantel an einem heißen Sommertag. Ich wollte es nicht. Ich wollte mich befreien. Ich wollte wieder atmen können. Ich wollte ... Ja, ich wollte, dass es aufhört!

Doch ich konnte nicht atmen. Ich konnte nicht die Übelkeit unterdrücken. Ich konnte nicht das Zittern unterbinden und genauso wenig konnte ich mir den Schweiß abwischen. Ich konnte gar nichts von alledem. Denn ich konnte noch nicht einmal einen klaren Gedanken fassen.

Die Angst hatte mich fest im Griff. Sie umklammerte mich, packte mich, hüllte mich ein. Kein Licht war am Ende dieses Tunnels, kein Luftzug erreichte meine Lungen, kein Gedanke formte sich zu Ende.

Instinktiv bog ich dennoch rechts ab.

Meine Panik wurde stärker. Noch weniger bekam ich Luft, dafür wurde mir schlechter und ich zitterte am ganzen Leib, während der Schweiß mir die Wange runter rann. Ich bremste ab! Riss das Steuer herum! Kehrte auf die Gegenfahrbahn und verließ die Autobahnauffahrt schneller, als ich sie befahren hatte.

Die Angst war wie weggeblasen. Sie war dem Gefühl von Scham gewichen. Ja, ich schämte mich. Doch wofür eigentlich? Dafür, dass ich alle Vorsicht außer Acht ließ und mein Kind, mich und andere Autofahrer in Gefahr gebracht hatte, oder doch eher dafür, dass ich meinem eigenem inneren Schweinehund nicht die Stirn bieten konnte?

Mir war in diesem Augenblick egal, wie die Antwort lautete.

Ich war in diesem Moment nur heilfroh, dass mein Mann nicht mit im Auto saß. Er hätte mich vor Schreck bestimmt angeschnauzt und mich gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Und ich? Ich hätte ihm sagen müssen: »Nein, habe ich nicht!«

So ging es mir seitdem nicht nur einmal. Nein, leider wurde ich seitdem mehrmals von Panikattacken ergriffen. An anderen Orten, zu anderen Zeiten, ohne wirkliche Gemeinsamkeiten, außer der Angst selbst. Doch ich versuchte ihr keinen Freiraum zu gewähren. Jedes Mal kämpfte ich gegen das Gefühl der Ohnmacht an. Und desto mehr ich dagegen in den Krieg zog, je häufiger gewann ich die Schlacht. Aber zufrieden war ich mit dem Ergebnis nie, denn immer blieb die Frage im Raum, ob ich „Geisteskrank“ wäre.

Und so beschloss ich das Einzige zu tun, wozu ich mich in der Lage fühlte: Ich redete über meine Panikattacken. Bei jeder Gelegenheit, in der ich befürchten musste erneut heimgesucht zu werden, offenbarte ich mich demjenigen, der involviert oder auch nur in der Nähe war.

Alle … Ja, ausnahmslos alle reagierten mit Verständnis und mein Mann hielt mir jedes Mal die Hand, wenn es wieder hieß, ich muss auf die Autobahn aufbiegen.

Irgendwann fand ich sogar einen Namen für das, was mit mir passierte. Es ist eine Krankheit und sie nennt sich Agoraphobie, und seitdem das „Kind“ einen Namen hat, geht es mir besser. Zumal ich zu der Erkenntnis gekommen bin, dass ES mich vielleicht umhaut, aber nicht umbringt … Zumindest solange nicht, bis ich mich diesem Gefühl ergebe und erneut das Steuer umreiße.

Durch Selbstdiagnose habe ich versucht den Ursprung meiner Agoraphobie zu finden und bin der Meinung auch fündig geworden zu sein. Jedenfalls wurde ich, seitdem ich die Pille ganz bewusst abgesetzt habe, nicht wieder von einer Angstattacke heimgesucht.
Mag sein, dass ich damit meinem Hirn nur ein Schnippchen geschlagen habe, aber es hilft und doch ahne ich, dass es keine Heilung für diese Krankheit gibt.

Aber im Grunde weiß ich: Es ist die Angst vor der Angst, die an mir nagt … Sie lauert … Sie geifert … Sie wartet … Tag für Tag … um mich zu umhüllen.






Impressum

Texte: Astrid Rose
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
*Kurzgeschichten Wettbewerb Dezember 2012*

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