bedeutet im Hawaiianischen wichtig und das sind folgende Angaben auch:
Alle Rechte verbleiben beim Autor.
Kopie und Weitergabe sind ausdrücklich untersagt.
Weiterempfehlungen sind selbstverständlich erlaubt und auch erwünscht.
Es handelt sich um eine Buchserie, die ineinandergreift. Ggfs. wird es weitere unabhängige ML Bände geben.
Dieses Buch enthält sinnlich-erotische Szenen und wird von mir erst ab 16 Jahren empfohlen. Solltest du jünger sein, finde ich, sollten deine Eltern darüber entscheiden, ob du es lesen darfst.
Bisher sind erschienen:
Familienbande
Band 1 ~ Die Legende der Okelani
Auch als Taschenbuchausgabe. ISBN 13: 978-1500487218
Seelenbande
Band 2 ~ Das Erwachen der Mächte
Auch als Taschenbuchausgabe. ISBN 13: 978-1500487218
Herzensbande
Band 3 ~ Quell des Lebens
Auch als Taschenbuchausgabe. ISBN 13: 978-1973530848
Die Taschenbücher als auch Notiz- und Tagebücher gibt es mit Widmung zu bestellen unter:
http://bit.ly/2C3OonN
Kontakt: astridrose@gmx.net
Meinen allerliebsten Dank an H. P. und Astrid, die eine Menge ihrer kostbaren Zeit dafür geopfert haben aus diesem tollen Buch ein grandioses Buch zu machen.
Des Weiteren möchte ich mich bei meinen Kindern und meinem Göttergatten bedanken, die in den letzten Jahren sehr viel Geduld mit mir hatten und hoffentlich auch noch haben werden.
Außerdem einen herzlichen Gruß und ein großes Mahalo nui loa an das Team von Bookrix.de. Nur mit eurer stetigen Hilfe, ist es mir möglich das E-Book bundes-, nein sogar weltweit den Lesern zur Verfügung zu stellen. Macht weiter so!
Neu auf meiner Dankesliste ist Casandra Krammer, die sich viel Zeit und Geduld genommen hat, um diesem Buch ein neues, und wie ich finde, wunderschönes Gewand zu geben. Mahalo nui loa.
Das Buch selbst widme ich jedoch meiner Großmutter, die immer ein Lächeln für mich parat hatte.
Omi ich vermisse dich!
Das Gefühl der Unruhe traf mich wie immer völlig unvorbereitet: Meine Haut kribbelte und trotz der sengenden Hitze an diesem frühsommerlichen Freitag, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich wusste, irgendwo in der Nähe wartete sie auf mich: meine neue Aufgabe.
Forschend sah ich mich in der Menge der Passanten um. Viele nutzten, wie ich, den Nachmittag, um durch die Bremer Innenstadt zu schlendern und Ausschau nach etwas Neuem und Einmaligem zu halten. Dennoch unterschieden sich die anderen von mir: Keiner von ihnen sah sich nach einem magischen Rätsel um.
›Es war wahrscheinlich nur der Wind‹, beruhigte ich mich selbst, ahnend, dass dem nicht so war. Diese innere Unruhe hatte ich schon zweimal zuvor erlebt und jedes Mal kam ein Auftrag zu mir: Weder konnte ich es herbeiholen noch verhindern.
Erneut lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, um sich im nächsten Moment in glühende Hitze zu verwandeln. Blitzschnell drehte ich mich um und durchforstete erneut die Menschenmasse: Wer auch immer meine Auftraggeberin war; Sie hatte mich entdeckt, allerdings sah ich sie nicht. Es waren einfach zu viele Leute unterwegs und dennoch spürte ich, wie ihre Blicke auf meiner Haut brannten.
Für einen Augenblick wurde ich an die Seite gedrängt. Ihr Blickkontakt brach ab und das Gefühl beobachtet zu werden verlor sich. Ich besann mich darauf, weshalb ich hergekommen war: Mein jüngerer Bruder wollte in sechs Wochen heiraten und ich war eigens nach Bremen gefahren, um für diesen Anlass ein Abendkleid und ein paar Pumps zu kaufen.
Beim nächsten Geschäft sah ich mir die Schuhe im Schaufenster an. Abermals beschlich mich das Gefühl beobachtet zu werden. Durch die Spiegelung der Schaufenster versuchte ich ihren Blick einzufangen, doch wiederum sah ich niemanden.
›Beruhige dich, da ist keiner. Reiß dich zusammen.‹ Mühsam versuchte ich Haltung zu bewahren. ›Eine neue Aufgabe ist das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst.‹ Schnell schob ich die Gedanken beiseite und sah mir die Angebote an.
Letztendlich entschied ich mich dafür, ein Paar nachtblaue Pumps mit schwarzen Verzierungen anzuprobieren. Die Schuhe sahen sehr gut an meinen Füßen aus. ›Und der Absatz ist auch nicht zu hoch. Darin kann ich bestimmt einen Abend lang laufen, ohne mir Blasen zu holen‹, dachte ich und sah nach dem Preis. ›Oh, runter gesetzt, aber für meinen Geschmack immer noch zu teuer‹. Seufzend stellte ich das Paar zurück.
Enttäuscht ging ich weiter. Der nächste Laden war ein größeres Bekleidungsgeschäft. Es war mir allzu bekannt: In grauer Vorzeit, noch bevor mein Leben auf qualvolle Weise in andere Bahnen gelenkt wurde, war ich regelmäßig hier, um die neuen Kreationen anzusehen.
Ehe die Erinnerungen an diese Zeit Besitz von mir ergreifen konnten, blendete ich sie aus, betrat den Laden und ging zielstrebig in die Abteilung für Abendmode. Dort entdeckte ich bald ein dunkelrotes langes Abendkleid aus Acetat. Es wurde mit zwei dünnen Trägern im Nacken festgebunden. Der obere Saum war ein bisschen gerüscht, sodass die Sicht aufs Dekolleté versperrt war. Das Kleid war oben schmal geschnitten und ging dann ab der Hüfte in einen weiten Rock über.
›Genau was ich suche: Elegant, aber nicht sexy!‹ Voller Vorfreude nahm ich es und schaute mich nach einer freien Umkleidekabine um. Meine Achtsamkeit wurde jedoch von einem Cocktailkleid abgelenkt. Es war in demselben nachtblau, wie zuvor die Schuhe.
Der Schnitt des Kleides glich einer Einladung zu mehr: Es hatte breite durchsichtige Träger aus Spitze, ging dann in einen tiefen V-Ausschnitt hinunter und endete mit einem kurzen mehrschichtigen, ebenfalls durchsichtigen Spitzenrock. Das Einzige, was Blicke auf die reine Haut verhinderte, waren zwei kleine eingenähte Seidenstücke in Höhe der Brust und eins unterhalb der Hüfte. Dieses Gewand verkörperte alles, was ich nicht wollte und dennoch war ich wie verzaubert und nahm es an mich.
Mit den beiden Kleidern im Arm machte ich mich erneut auf die Suche nach einer Umkleidekabine.
›Mist alle besetzt!‹ Suchend blickte ich mich um und entdeckte am anderen Ende des Raumes noch eine freie Kabine in der Herrenabteilung. ›Na toll! Wenigstens brauche ich da nicht noch stundenlang zu warten.‹ Schnellen Schrittes ging ich hinüber.
Zuerst zog ich das rote Abendkleid an und ging vor die Kabine zum Spiegel. Es saß perfekt und war auch nicht überteuert.
›Das ist meins‹, freute ich mich innerlich. Der Triumph währte jedoch nicht lange: Er wurde erneut von der inneren Unruhe abgelöst. Ich versuchte die Unsicherheit aus meinen Gedanken zu streichen und eilte in die Kabine zurück.
Panisch griff ich in meine Tasche, nahm eine Wasserflasche heraus und entleerte sie bis zur Hälfte in einem Zug, wodurch die Unruhe verflog.
Nachdem ich das Rote ausgezogen hatte, nahm ich zögernd das Nachtblaue und schaute es lange an. Leise murmelte ich zu mir selbst: »Ach, was soll’s? Ich will’s ja nur anprobieren.«
Diesen kleinen Augenblick wollte ich mir gönnen. ›Was soll schon passieren?‹ Schließlich war ich mitten in einem Geschäft voller Leute und dieses Kleid lockte mich förmlich an. Schnell schlüpfte ich hinein und ging abermals aus der Kabine heraus zum Spiegel.
›Wahnsinn! Es ist wie für mich geschnitten.‹ Es sah überwältigend an mir aus. Die Blicke der umherstehenden Männer brannten sich förmlich auf meiner Haut ein, doch ich spürte noch mehr: Ein Kribbeln erfasste meinen Körper, meine Nackenhaare stellten sich auf. Wie in Trance drehte ich mich um und fühlte nur noch einen elektrischen Schlag. Dann schossen die Bilder nur so in meinen Kopf:
In Gedanken stand ich vor einer Hütte aus Lehm und davor saß eine - mir nur allzu bekannte - grauhaarige Polynesierin.
»ALOHA, E Komo Mai!«, begrüßte sie mich freundlich.
»ALOHA«, antwortete ich.
»Hele mai«, die Frau winkte mich mit einer Hand näher heran und mit der anderen nahm sie einen Stapel alter Karten und reichte ihn mir.
Neugierig betrachtete ich die schönen handgemalten Bilder: Sie sprachen von Liebe, Leid, Glück, Tod und Hoffnung. Nachdem ich die Karten gemischt hatte, gab ich sie ihr zurück.
Die Grauhaarige drehte die erste Karte um. »Ohana.«
Dann hob sie die zweite Karte ab. »Ho'oponopono.«
Die Dritte folgte. »Kapu.«
Die Vierte. »Makuahine.«
Die Fünfte. »Huna.«
Die Sechste. »`eha koni.«
Die Siebte. »Kâpili.«
Die Achte. »Nohona hau `oli.«
Ein Kreischen über uns ließ mich zusammenfahren. Sie schaute in den Himmel und mein Blick folgte ihr. Wir sahen eine Eule und die alte Frau murmelte beschwörend: »‘aumakua ho`omaluhia.«
Die Bilder verschwanden und ich wachte aus meinem merkwürdigen Traum auf. Für einen Moment ließ ich die Augen noch geschlossen und versuchte mich an die Vision zu erinnern. ›Familie, etwas richtig stellen, Verbot, Mutter, Geheimnisse, schmerzende Herzen, jemanden zusammenbringen, glückliches Leben und den Familiengöttern Frieden bringen.‹ Zwar wusste ich nicht, woher ich die Bedeutung der Wörter kannte, aber ich kannte sie.
Durch meine Gedanken hindurch hörte ich eine überaus betörende Stimme: »Bleib ganz ruhig liegen, du hattest einen Schwächeanfall. Der Rettungsdienst müsste bald kommen.«
»Bitte keinen Arzt«, murmelte ich und rieb mir dabei über meine Augen. »Mir geht es gut.«
»Diesen Eindruck habe ich aber nicht!«, erwiderte die sanfte Stimme eines Mannes.
Mein Verstand sank abermals ab. Dieser Traum hatte mich sehr viel Kraft gekostet und mein Geist brauchte noch einen Moment, um sich zu erholen.
Als ich das nächste Mal klar denken konnte, drang diese wundervolle Stimme erneut an mein Ohr: »… habe sie bereits eine Zeit lang hier gesehen und mir ist aufgefallen, dass sie, trotz der Hitze, gar nichts getrunken hat.«
»Nicht nur bei solch hohen Temperaturen ist die Einnahme von Flüssigkeit sehr wichtig. Ich werde ihr zunächst eine Ringerlösung und ein Schmerzmittel verabreichen. Sie wird mit Sicherheit starke Kopfschmerzen haben. Und dann nehmen wir sie zur weiteren Beobachtung mit in die Klinik.«
»Nein«, japste ich. »Kein Krankenhaus. Mir geht es gut!«
»Das sehe ich aber nicht so«, antwortete mir der Notarzt und schob mir eine Nadel in den Arm.
Langsam wurde mein Körper mit kühler Flüssigkeit durchtränkt und für einen Moment war ich versucht die Injektion herauszuziehen, doch ich besann mich eines besseren, denn ich wusste, dass ich dann auf jeden Fall eingewiesen werde. Nach einer Weile hatten sich mein Geist und mein Körper erholt und ich konnte mich aufsetzen. »Bitte. Ich möchte nicht in eine Klinik. Ich verspreche auch heute noch mindestens vier Flaschen Wasser zu trinken und zum Arzt zu gehen, wenn es mir in drei Stunden nicht besser geht.«
»Mmh«, murmelte der Arzt. »Ich kann Sie nicht zwingen mitzukommen, aber genauso wenig kann ich Sie in Ihrem Zustand noch Auto fahren lassen …«
»Keine Sorge. Ich kümmere mich schon darum, dass sie nach Hause kommt«, antwortete mein geheimnisvoller Freund, der im Halbschatten des Arztes stand.
Der Doktor sprach wieder: »Okay, Ihr Blutdruck scheint ja so weit in Ordnung zu sein …« Er zog die Nadel aus dem Arm und klebte ein Pflaster fest. »Aber denken Sie zukünftig daran, mindestens anderthalb Liter, nichtalkoholische Flüssigkeit, am Tag zu sich zu nehmen, dann passiert Ihnen so was hier nicht noch einmal. Und wenn Ihnen in zwei Stunden immer noch schwindelig sein sollte, suchen Sie bitte umgehend erneut einen Arzt auf.«
Freundlich bedankte ich mich und versprach Besserung, wohl wissend, dass dieser Zusammenbruch nicht durch einen Flüssigkeitsmangel hervorgerufen worden war.
Der Mediziner stand auf, drehte sich um und sprach den Mann hinter ihm an: »Ich gebe sie jetzt in Ihre Hände. Denken Sie dran, dass Frau Lorenz in den nächsten vierundzwanzig Stunden kein Auto fahren sollte.«
Der Unbekannte antwortete: »Vielen Dank für Ihre Mühen. Nina werde ich gleich nach Hause bringen und dann auch dafür sorgen, dass sie noch etwas trinkt.«
Der Arzt nickte und verabschiedete sich. Als er mir nicht mehr die Sicht auf den Fremden versperrte, sah ich in wunderschöne grüne Augen. Sie gehörten zu einem makellosen Gesicht: Die Wangenknochen schlossen eine gerade geschnittene Nase zwischen sich ein und die Lippen brachten das warmherzigste Lächeln hervor, welches ich je gesehen hatte. Das braune Haar fiel ihm locker ins Gesicht, ohne jedoch die Augenbrauen zu berühren.
Plötzlich verband ich mit diesem Gesicht eine Erinnerung an einen jungen Mann mit Sonnenbrille, der vorhin in einem Café saß und hin und wieder in meine Richtung blickte. »Du warst es. Du bist derjenige, der mich die ganze Zeit beobachtet hat, stimmt´s?«, stieß ich hervor. ›Aber er ist … ein Mann!‹ Meine Gedanken kreisten: ›Bisher wurde mir eine neue Aufgabe immer von einer Frau auferlegt.‹
Der Unbekannte unterbrach meine Überlegungen: »Yes«, erwiderte er und setzte sich neben mich auf den kalten Boden, »ich gebe zu, dass ich dich beobachtet habe. Ich fand es einfach süß, wie du dich immer wieder so nervös umgesehen hast.« Er lächelte mich bewundernd an. »Dann habe ich dich aber für einen Moment aus den Augen verloren und erst wiedergesehen, als du hier mit dem dunkelroten Abendkleid vor dem Spiegel gestanden hast.« An seinem Mundwinkel bildete sich ein kleines Grübchen. »Als du dann in diesem Kleid aus der Kabine gekommen bist«, er schloss kurz die Augen, »Really Hot! Das war ein toller Anblick. Vor allem deine linke Pobacke sah hinreißend aus«, er grinste leicht amüsiert.
»Wie bitte?«, fragte ich empört.
»Na ja der Unterrock saß an der linken Seite nicht richtig.« Er schaute verlegen zu Boden und sah dabei wie ein kleiner Junge aus, den man in der Mädchendusche ertappt hat. »Eigentlich wollte ich dir ja zur Hilfe kommen und die Dinge ins rechte Licht rücken, stattdessen habe ich dir einen elektrischen Schlag versetzt und du bist umgefallen.«
Eine kleine Falte bildete sich auf seiner Stirn. »Es tut mir wirklich leid, meine Schuhe hatten sich wohl an diesem Teppich elektrisch aufgeladen. Unter Strom setzen, wollte ich dich jedenfalls nicht.«
»Schon gut … ist ja nichts weiter passiert.« Nervös schaute ich auf meine Armbanduhr. »Oh, schon so spät? Langsam sollte ich mich mal auf den Heimweg machen.« ›Bloß weg hier!‹ Ich wollte mich nur noch aus dieser verfänglichen Situation befreien.
»Wo soll ich dich denn hinbringen?«, fragte er.
Verwirrt schaute ich ihn an.
Das musste er wohl bemerkt haben, denn gleich darauf sprach er weiter: »Der Doc sagte, dass du heute kein Auto mehr fahren darfst und ich hab ihm versprochen, dafür zu sorgen, dass du sicher nach Hause kommst.« Er sah mich ernst an. »Für gewöhnlich halte ich meine Versprechen.«
»Ja, irgendetwas in der Richtung habe ich vernommen, aber meinst du wirklich, dass ich mich von einem Wildfremden einfach nach Hause fahren lasse?«
Mit einem Grübchen über dem Mundwinkel antwortete er: »Natürlich nicht! Deswegen habe ich mir auch gedacht, dass es am besten ist, wenn du bei mir schläfst.«
Mir blieb die Spucke weg, aber nicht nur wegen seiner unverschämten Antwort, sondern vielmehr, weil mir sein herzerfrischendes Lachen durch und durch ging. Jede andere hätte sich in diesem Moment in ihn verliebt. Nur ich nicht - ich durfte nicht!
»Im Ernst Nina. Wir sollten jetzt gehen. Die Leute haben schon genug zu tuscheln. Ich bring dich jetzt heim.« Er stand auf und hielt mir seine Hand hin, die ich geflissentlich übersah.
Obwohl ich immer noch benommen war, versuchte ich aufzustehen. Doch bevor ich erneut hinfallen konnte, fasste er mich an der Taille und hielt mich fest. Er hatte so starke Arme und er duftete nach einem Hauch von Iris. Für einen Moment verlor ich mich in diesem Duft.
›Nein!‹, hämmerte es in mir. Ich versuchte mich von ihm loszueisen, doch er zog mich nur noch näher an sich heran. Für einen Moment war ich sogar versucht einen erneuten Schwächeanfall vorzutäuschen, nur damit er mich losließ. ›Das wird nichts nützen‹, sagte mir mein Instinkt. ›Wahrscheinlich hält er dich dann noch fester oder er bringt dich ins Krankenhaus. Das ist das Letzte, was du willst. Also reiß dich am Riemen‹, beruhigte ich mich.
Er lockerte den Griff noch immer nicht. ›Für eine Weile kannst du seine Nähe wohl ertragen‹, ermutigte ich mich.
Arm in Arm gingen wir nebeneinander her, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Jeder Versuch mich ein wenig aus seiner Nähe zu entfernen endete damit, dass er meinen Bewegungen folgte und wir dadurch immer noch im selben Abstand zueinander nebeneinander hergingen.
Zwei Straßen weiter hielt er plötzlich an einem knallblauen Audi R8 an. Mit einem Druck auf die Fernbedienung entriegelte mein Begleiter den Wagen. Ohne mich loszulassen, öffnete er die Beifahrertür.
Erneut sträubte sich alles in mir. »Du meinst doch nicht ernsthaft, dass ich zu einem Fremden ins Auto steige«, blaffte ich ihn an. Für nichts auf der Welt wollte ich mein Leben in die Hände eines Mannes geben.
»Aha! Jetzt bin ich wenigstens nicht mehr wildfremd. Allerdings hast du recht: Ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Thomas Jefferson McAllister, meine Freunde und meine Ohana nennen mich aber alle einfach nur Tom … Du darfst mich auch Tom nennen.«
»Du sprichst hawaiianisch?«, japste ich überrascht.
»Klar, da komme ich schließlich her. Hawaii ist meine Heimat! Interessierst du dich für die Inseln, Nina?«
»Ein wenig. Mein Großvater ist Hawaiianer und ich bin in Honolulu zur Welt …«, ich stutzte. »Sag mal, woher kennst du eigentlich meinen Namen?«, fragte ich ihn misstrauisch.
»Von deinem Reisepass! Den habe ich in deiner Handtasche gefunden, als der Doc deine Versichertenkarte haben wollte.« Er schaute auf die Uhr. »Es ist schon kurz vor drei. Ich sollte dich jetzt wirklich besser nach Hause bringen. Nicht, dass dein Boyfriend sich noch Sorgen macht.«
»Ich habe keinen Freund, aber wenn es dir nichts ausmacht, werde ich kurz meine Eltern anrufen.« Bevor er auch nur den Mund aufmachen konnte, hatte ich mir sein iPhone geschnappt, welches er die ganze Zeit schon in der Hand hielt. Tom zuckte kurz zusammen. »Am besten ist, ich rufe mit deinem Handy an, dann können sie wenigsten gleich deine Nummer sehen.«
Seine bereits ausgestreckte Hand schnellte zurück. »Du meinst, falls ich doch noch auf falsche Gedanken kommen sollte und dich entführen will.« Abermals war da dieses unverschämte Grübchen an seinem Mundwinkel.
Tom griff in seine Tasche und zog einige Kärtchen heraus. Zwischen seiner VISA-Karte und der American Express fand er dann seinen Ausweis und reichte mir diesen. »Zu meiner Ohana gehören meine Mutter Christine, mein Cousin Ben mit seiner Frau Sophie und den Zwillingen Cassie und Justin, mein Onkel Eric und seine Frau Leanne, meine Cousine Sunny und deren Tochter Lucy.« Bei den letzten Namen glitt seine Stimme ab, fast so, als wenn er sich scheute, sie auszusprechen.
Vielleicht irrte ich mich auch. Vielleicht hatte er sich verschluckt oder einen Frosch im Hals, denn gleich darauf fuhr er in dem, mir inzwischen bekannten, lebhaften Ton fort: »Meine Grundschulzeit habe ich mit Ben zusammen hier in Deutschland in einem Internat verbracht. Unseren Highschool Abschluss haben wir jedoch in Honolulu abgelegt. Danach gingen wir beide auf die Hawai’i Pacific University in Honolulu, wo wir unseren Master of Arts in Computer Information Systems, Science und Communication abgeschlossen haben. Zurzeit bin ich hier an der Bremer Uni …«
»Stopp!«, sagte ich bestimmend. »Warum erzählst du mir das alles?«
»Du hast selbst gesagt, dass du zu keinem Fremden ins Auto steigst. Jetzt kannst du wenigstens nicht mehr sagen, dass ich dir fremd bin.« In jeder Sekunde bewahrte er dieses verführerische Grinsen und seine Augen strahlten mich an und für einen Augenblick verlor ich mich in diesem Gesicht. Er stupste mich sanft an. »Ist alles in Ordnung?«
»Ähm ja … natürlich. Mir ist nur noch ein bisschen schwindelig und der Kopf schmerzt auch noch.«
»Soll ich dich doch noch zu einem Arzt fahren?«
»Nein geht schon, die Medikamente wirken langsam.« Schnell wählte ich die Nummer meiner Eltern.
»Johannes Lorenz.«
»Papa …«
»Ja«, antwortete er knapp. Doch an seiner Stimme konnte ich erkennen, dass er wegen der fremden Telefonnummer verwirrt war.
»Bitte reg dich nicht auf. Ich hatte eine Art Unfall.«
»Um Himmelswillen! Ist dir was passiert?« Seine Stimme klang besorgt.
»Nein, mir geht’s gut … Ich hatte wohl einen Hitzschlag, aber ich wurde sehr gut versorgt. Mich bringt jetzt ein … Warte ich muss eben den Ausweis lesen … Also, mich bringt jetzt ein Tom McAllister nach Hause.«
»Ist dieser McAllister lieb zu dir?«, fragte er.
»Ja, er ist nett.«
»Und, wie sieht er aus?«, unterbrach er mich.
»Papa! Könntest du mich bitte mal ausreden lassen? Also, Tom wohnt zurzeit hier in Bremen, seine Handynummer hast du ja auf dem Display, also wenn ich nicht in einer Stunde zu Hause bin, ruf bitte die Polizei.«
»Ja, mache ich. Aber ist auch wirklich alles in Ordnung?«, erkundigte er sich.
»Papa, es geht mir wirklich gut. Bis gleich.«
Tom war ein Stück weggegangen. Sein Gesichtsausdruck zeigte mir, dass er gegen einen Lachanfall ankämpfte.
Das wiederum brachte mich leicht auf die Palme. »Wenn du nicht sofort aufhörst, gehe ich zu Fuß nach Hause.«
»Entschuldige bitte. Aber, wenn man dich so reden hört, könnte man glauben, du bist erst 15 und nicht 25 Jahre alt. Dein Pass ist nicht gefälscht, oder?« Immer noch breit grinsend kam er zurück und öffnete nun die Fahrertür.
»Nein, ist er nicht. Können wir jetzt bitte fahren? Wir brauchen schließlich eine knappe Stunde bis zu mir nach Haus.«
»Nö, höchstens 45 Minuten, aber das auch nur, wenn wir einen Trecker vor uns haben«, sagte er trocken, schmiss eine Tüte in den hinteren Fahrgastraum und setzte sich hinter das Steuer.
Meinen Mund verzog ich zu einem spöttischen Grinsen und stieg ein. »Wie schnell fährt der Wagen?«, fragte ich beiläufig.
»Spitze 316 km/h«, er griff in die Mittelkonsole. »Hier bitte sehr. Die wirst du brauchen. Ich lass mir gern den Fahrtwind um die Ohren pusten.« Freudig erregt reichte er mir eine riesige Sonnenbrille von Gucci und drückte erneut auf die Fernbedienung seines Schlüssels. Sofort öffnete sich das Dach und verschwand zusammengefaltet im Kofferraum.
»Spezialumbau«, gluckste er sichtlich erfreut über mein ungläubiges Gesicht und startete den Wagen, um mit aufheulendem Motor loszufahren.
Allein bei dem Gedanken, wie schnell das Auto fahren konnte, drehte sich mir der Magen um. Das Gefühl jedoch legte sich schnell, als ich merkte wie sicher und souverän Tom den R8 zunächst durch den dichten Stadtverkehr und später dann über die Autobahn Richtung Süden lenkte.
Als wir den Stadtrand passiert hatten und die dreispurige Autobahn auf zwei wechselte, fing ich sogar an, den kühlen Fahrtwind zu genießen. Es war eine richtig erfrischende Brise nach der Hitze des Tages. Meiner selbst geschaffenen Natur zum Trotz fühlte ich mich auch in seiner Gegenwart wohl und dennoch konnte ich mich meiner Angst nicht vollständig entziehen. »Wie kannst du dir so ein Auto leisten?«, fragte ich, um ein wenig mehr von ihm zu erfahren.
Tom wiegte den Kopf hin und her. »Du weißt bereits eine ganze Menge über mich«, er sah zu mir herüber, »wie wäre es, wenn du zur Abwechslung etwas von dir erzählst. Wie kommt es zum Beispiel, dass du in Honolulu geboren wurdest?«
Sein Blick ließ mich erahnen, dass er nicht nachgeben würde, bis auch er seinen Wissenshunger gestillt hatte und so fing ich an zu erzählen: »Meine Eltern waren dort, weil mein Vater wollte, dass ich wenigstens einen US-Pass erhalte, wenn er schon keinen kriegt.«
»Aber ich dachte, er ist Hawaiianer«, unterbrach er mich.
»Nein, mein Großvater ist von den Inseln. Mein Vater ist hier geboren. Pass auf!«, rief ich. »Der Idiot überholt dich von rechts.«
Tom grinste und trat noch mal kräftig aufs Gas. Mit Leichtigkeit ließ er den Rowdy links liegen. »Also, ich fasse zusammen: Dein Großvater ist Hawaiianer, dein Vater Deutscher und du bist US-Bürgerin.«
»Ja, aber ich habe auch einen deutschen Pass, wie du weißt. Allerdings war ich nur in meiner ersten Lebenswoche auf Oahu. Erst nach meinem Abi habe ich Deutschland wieder verlassen, um in Maastricht internationales Völkerrecht zu studieren. Vor wenigen Wochen bin ich fertig geworden und habe jetzt meinen Master in der Tasche.«
»Dann hast du aber ziemlich lange studiert«, sagte Tom.
Pikiert darüber, dass er mich für dumm hielt, ließ ich meine antrainierte Vorsicht außer Acht. »Ich war eine der Jahrgangsbesten in meinem Fach! Das Studium hat sich nur so lange hingezogen, weil ich aufgrund einer Krankheit für ein halbes Jahr ausgesetzt habe. Im Anschluss war ich für ein paar Wochen in Afrika und später dann für ein Praktikum in Neuseeland.«
»Und was hat Frau Rechtsanwältin jetzt vor? Machst du eine eigene Kanzlei auf oder versuchst du lieber in einer der Großen unterzukommen?«
»Weder noch. Ich habe mich bei der UNO und der NATO beworben und bis dahin wollte ich in den USA Jura studieren und meine Computerkenntnisse ausbauen.«
»Oh, da hast du dir aber was vorgenommen. Hast du ein bestimmtes Ziel vor Augen?«
»Ja. Mein Ziel ist es die Unterdrückung der Frauen und Kinder zu unterbinden und ihre Stellung in der Gesellschaft zu festigen. Ihr Männer vergesst leider viel zu oft, dass es euch ohne uns nicht geben würde«, sagte ich bissig.
»Und ihr Frauen vergesst viel zu oft, dass es auch euch nicht ohne uns Männer geben würde.« Er lachte.
»Punkt für dich!« Ungewollt umspielte ein Lächeln meine Lippen. Einen Augenaufschlag später erstarrte ich. »Stopp! Wir müssen umdrehen«, rief ich, »das ist nicht mein Kleid. Ich muss es zurückbringen.« Mein Blick war auf dem nachtblauen Chiffonkleid hängen geblieben.
»Mach dir darüber keine Sorgen. Das Kleid habe ich bereits bezahlt.«
»Es kostet 500 Euro«, empörte ich mich.
»Das ist nicht ganz richtig: Es kostete nur 495,99 Euro«, antwortete er umgehend und grinste dabei über beide Ohren. »Ich konnte dich ja schlecht umziehen, als du ohnmächtig warst, also habe ich es für dich erworben.«
Verlegen murmelte ich: »Danke ich gebe dir das Geld gleich zurück. Du musst nur an einer Bank anhalten.«
»Nicht nötig. Betrachte es als Geschenk.«
»Das kann ich …«
Tom unterbrach mich. »Aber ich bestehe darauf!« Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
Doch so leicht gab ich nicht auf. »Nein! Das Kleid bezahle ich. Erstens kenne ich dich nicht wirklich. Zweitens kann ich es mir leisten und drittens hättest du das Geld auch genauso gut zum Fenster rausschmeißen können, denn ich werde es nicht wieder anziehen. Es ist nämlich nicht mal meine Stilrichtung. Ich trage lieber lässig als … aufreizend.«
»Das ist schade. So etwas Reizvolles steht dir recht gut. Aber wenn du es nicht im Alltag tragen willst, kannst du es ja wenigstens auf unserer Hochzeitsreise zum Tanzen anziehen.« Diesmal hatte er ein extra breites Grinsen aufgesetzt, doch der Blick, den er auf sein Handy in meinen Händen warf, sprach eine andere Sprache.
Nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, navigierte ich ihn zunächst in die Innenstadt und ließ ihn an einer Bank anhalten. Nach dem Aussteigen hielt ich ihm sein Handy hin. »Danke. Ich brauche es nicht mehr.« Lächelnd drehte ich mich um und lief ins Bankgebäude hinein, um das Geld abzuheben.
Als ich ihm die Scheine übergab, bedachte er mich mit einem Blick, der zugleich einen Hauch Ungnade als auch Respekt in sich trug.
Mit einem kräftigen Tritt aufs Gaspedal fuhr er an, musste aber sofort wieder scharf abbremsen, um eine ältere Dame die Straße überqueren zu lassen. »Ups«, entfuhr ihm, dann lächelte er ihr entschuldigend zu und ließ sie in Ruhe vor dem Wagen herschleichen. Beim Anfahren achtete er sogar darauf, sie nicht zu sehr mit den Pferdestärken seines Motors zu erschrecken.
Nur fünf Minuten später hielt er vor meinem Elternhaus.
»Hab vielen Dank für deine Hilfe …«
Er lächelte mich an. »Gern geschehen. Es war mir ein Vergnügen, dich kennengelernt zu haben. Aber warte, ich hab hier irgendwo«, er streckte sich hinter meinem Sitz aus und wühlte nach etwas, »dein Sommerkleid.« Tom zog eine Papiertüte hervor.
Als ich danach griff, berührten meine Finger seine Hand. In diesem Moment sah ich die Kartenlegerin vor mir, die mich ermahnte, dass ich das Rätsel lösen müsse. ›Verdammt!‹, fluchte ich in mich hinein, denn ich befürchtete jetzt schon, dass ich ihn auf Dauer nicht so auf Abstand halten konnte, wie ich es gerne gehabt hätte.
Tom stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete mir die Tür. Zur gleichen Zeit ging die Haustür auf. Mit einem Lächeln in Richtung meiner Eltern sagte er: »Wenn dein Dad möchte, nehme ich ihn mit nach Bremen, dann kann er dein Auto holen.«
Ich nickte und ging zu meinen Eltern, die mich wortwörtlich mit offenen Mündern in Empfang nahmen. Bei ihnen angekommen, gab ich den Vorschlag von Tom weiter. Mein Vater zog seine linke Augenbraue hoch, dann schaute er Tom an. Mein Blick fiel zum tausendsten Mal auf seine Stirn. Sie war immer noch da. Diese verdammte kleine Narbe über der rechten Schläfe meines Vaters wollte einfach nicht verschwinden. Mit einem Schlag war ich wieder in meiner, mir selbst erschaffenen, Welt.
Kurz darauf stieg er zu ihm ins Auto, und ohne, dass Tom sich verabschiedet hatte, fuhren sie davon.
Meine Mutter sah in mein verwirrtes Gesicht und sagte: »Er scheint dich zu mögen …«
»Ich weiß«, krächzte ich, »das ist ja das Problem.«
Sie nahm mich in die Arme. »Ach Kleines. Was dir passiert ist, ist schrecklich, aber das Leben geht weiter. Eines Tages musst du wieder anfangen zu vertrauen. Du willst bestimmt nicht ewig alleine bleiben, oder?« Meine Mutter entließ mich aus ihrer Umarmung und blickte mir tief in die Augen. »Und, sieh mal dieser junge Mann war sogar so freundlich dich nach Hause zu bringen. Also mir gefiel sein Lächeln und wie galant er dir die Tür geöffnet hat.«
Augenblicklich verschränkte ich meine Arme, biss mir auf die Lippen, drehte mich um und ging schnurstracks in mein Zimmer. Dort ließ ich mich aufs Bett fallen und verfiel umgehend in einen unruhigen Traum:
Gefesselt lag ich auf meinem Bett und der Angreifer vor mir, entledigte sich gerade seiner Hose. Ich fühlte die Kälte, die von ihm ausging und sich in mir breitmachte.
Mit letzter Kraft stieß ich mit meinem Fuß zu. Ein Schmerz durchzuckte meine Schläfe und meine Kehle brannte. Kraftlos schloss ich meine Augen und verlor mich in der Finsternis.
Die Kälte ließ nach und wandelte sich in eine angenehme Wärme. Etwas Schweres … Angenehmes lag auf mir. Meine Hände glitten nach vorne und berührten nackte Haut. Der Geruch von Iris lag in der Luft.
Zarte Finger wühlten sich durch mein Haar und sanfte Lippen berührten meinen Mund.
Eine gewisse Unruhe breitete sich in mir aus. Meine Hände glitten über den nackten Rücken und wanderten tiefer, während fremde warme Lippen weiter hinunter zu meiner Brust glitten, um diese zu liebkosen. Ein Stöhnen entfuhr mir, dann fühlte ich den heißen Atem an meiner Wange.
Langsam öffnete ich meine Augen und sah in das sanfte Gesicht von Tom. »Vertrau mir«, hauchte er mir zu.
Ich nickte und schloss erneut meine Augen. Mein Körper versank in einem Bett aus Sand. Die Küsse waren jetzt fordernder. Heiße Lippen saugten an meinem Busen und sinnliche Hände flogen sanft über meine Haut. Ein Duft von Sandelholz legte sich auf mir nieder und eine befremdliche Stimme flüsterte: »Was geschehen ist und was geschehen wird, ist dir vorherbestimmt, doch nur mit mir bist du eins.«
Verunsichert öffnete ich meine Lider und sah in golden schimmernde Augen.
Erschrocken fuhr ich hoch und wischte mir zittrig übers Gesicht. Meine Lippen fühlten sich an, als wenn sie gerade geküsst worden wären.
Noch völlig benommen stand ich auf und ging ins Bad. Dort nahm ich eine kalte Dusche und nur langsam verschwanden die Erinnerungen an den Traum.
Zwei Stunden später kam mein Vater mit meinem alten Polo auf den Hof gefahren. So sehr ich auch versucht hatte nichts zu fühlen, war ich in meinem Innern doch ein klein wenig enttäuscht. Von Tom war keine Spur zu hören oder zu sehen und, anstatt mir einen Gruß auszurichten, sagte mein Vater zu mir: »Ein toller Junge, den solltest du dir angeln und festhalten.«
»Okay, Papa, ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen«, antwortete ich demütig, weil ich wusste, dass er mir, genauso wie die Kartenlegerin, keine Ruhe lassen würde.
»Na, das ist doch schon mal ein Anfang.« Er grinste und ging in die Küche.
Nachdenklich setzte ich mich in den Fernsehsessel und ließ den Nachmittag noch mal vor meinem inneren Auge Revue passieren.
Immer wieder sah ich die Grauhaarige auf die Mana-Karten deuten. Ich fasste zusammen, was ich wusste: Die Polynesierin hatte hawaiianisch gesprochen. Das Rätsel wurde mir mit der Berührung Toms aufgelegt, folglich musste es mit ihm oder seiner Ohana zu tun haben. Mir war klar, dass ich nicht umhinkam, ihn ein weiteres Mal zu sehen. Die Greisin würde mir sonst jede Nacht im Traum erscheinen und mir nach und nach sogar am Tag den Verstand rauben. Doch mit jeder Minute, die verstrich, wurde mir bewusster, dass meine Fassade auch schon Risse hatte, ich spürte es genau. Das Rätsel um Tom zu lösen, war eine Sache, Gefühle für ihn zu hegen war eine andere. Dagegen musste ich mich wehren. Mein eisiger Mantel durfte nicht durchbrochen werden. Kein Mann sollte je wieder die Gelegenheit bekommen, mir so wehzutun: mich zu verletzen und zu demütigen.
Noch bevor mein Handy klingelte, hatte ich es schon in der Hand und klappte es mit zittrigen Händen auf. »Hallo, wer ist da?«, fragte ich mit einer unterdrückten Freude in der Stimme.
»Hier ist Tom.«
»Wer?«, fragte ich tonlos.
»Tom McAllister, der Fremde, der dich heute Nachmittag nach Hause gebracht hat.« Die Enttäuschung war ihm anzuhören. »Erinnerst du dich nicht mehr an mich?«
»Doch, doch mir schwant da etwas.« Dabei konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Allerdings rede ich nicht mehr mit dir. Du hast es nicht mal nötig tschüss zu sagen«, erwiderte ich betont sarkastisch.
»Oh … Sorry. Aber ich dachte immer, dass man sich nur verabschiedet, wenn man sich eine Weile nicht mehr sieht.«
Mein Bauch fing an, zu kribbeln. Für einen Moment schloss ich die Augen und kämpfte gegen die Verwirrung an, die sich in mir breitmachte.
»Bist du noch da?«, fragte er besorgt.
»Ja«, flüsterte ich zaghaft.
»Du hast mir einen Schrecken eingejagt. Tu das bitte nicht noch einmal.«
»Was möchtest du?«, fragte ich ihn.
»Nun, ich hab es mir doch noch mal überlegt. Ich wollte dir gerne die Gelegenheit geben, dich bei mir zu bedanken.«
Obgleich ich mich innerlich sträubte, wusste ich, dass ich um eine Verabredung nicht umhinkam. Zu stark war die innere Unruhe, die mich erneut erfasste. »Gerne. Morgen Nachmittag könnte ich dich auf einen Kaffee oder ein Eis einladen.«
Spontan antwortete er: »Nein, das ist mir zu wenig! Hast du nichts Besseres anzubieten?« Tom klang jetzt fordernder.
›Verdammt! Es sollte nicht zu persönlich werden. Jetzt musste ganz schnell Plan B her.‹
Mein Blick fiel auf die Zeitung. »Gut, dann lade ich dich ins Kino ein … in eine Nachmittagsvorstellung am Sonntag. Vielleicht in Terminator?«
›Alles nur kein Liebesfilm. Ja, das war ein guter Plan B‹, den ich jedoch ohne Tom gemacht hatte.
»No, ich hab da eine bessere Idee: Ich habe deinem Dad ein Geschenk für dich mitgegeben. Zieh es bitte an. In ungefähr 30 Minuten müsste ich bei dir sein.«
Bevor ich auch nur antworten konnte, hatte er bereits den Hörer aufgelegt.
Als ich aufblickte, sah ich in das grinsende Gesicht meines Vaters, in dem eine breite Kerbe sich bis in beide Wangen zog. »Du wusstest, was er vorhat«, warf ich ihm vor.
Er konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. »Klar, ich hab ihm ja schließlich den Floh ins Ohr gesetzt, dass er dich überrumpeln muss, wenn er mal mit dir Essen gehen will. So und jetzt mach dich fertig, du hast schließlich eine Verabredung.«
»Was soll das?«, fragte ich ihn angesäuert. »Du weißt genau, dass ich nicht auf der Suche nach einem Freund bin. Musst du denn immer wieder versuchen mich zu verkuppeln?«
»Ja!«, antwortete er spontan. »Himmelherrgott Nina. Ich weiß, dass das, was Markus dir angetan hat, nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Und Daniels Verhalten ist auch nicht gerade entschuldbar, aber ich bin es leid, wie du dich ständig in dich zurückziehst. Versteh doch. Ich vermisse dich. Ich vermisse das kleine fröhliche Mädchen, welches du mal warst.«
»Das gibt es aber nun mal nicht mehr!«, fauchte ich ihn an, verschränkte die Arme und biss mir auf die Unterlippe.
Mein Vater blickte mich missbilligend an, doch was auch immer ihm nun auf den Lippen lag, er behielt es für sich, denn er wusste, dass ich gehen würde, sobald er einen der beiden Namen noch einmal erwähnte.
»Hör zu Paps«, lenkte ich stattdessen zu seiner Verwunderung ein, weil die Unruhe in mir wieder anstieg, sobald ich auch nur daran dachte, mich nicht noch mal mit Tom zu treffen. »Ich habe diesem Kerl versprochen, mich für seine Hilfsbereitschaft zu bedanken, und das werde ich auch tun, indem ich mit ihm auf meine Kosten Essen gehe. Doch das war´s auch schon. Mach dir bloß keine Hoffnung, dass da jemals mehr draus werden könnte.« Mein Entschluss, es bei einem einfachen Restaurantbesuch zu belassen, stand fest. Eher würde die Narbe auf der Stirn meines Vaters verschwinden, als dass ich mich jemals wieder auf einen Mann einlassen würde.
Diese Narbe hatte für mich einen symbolischen Wert: Sei wachsam und lass nicht noch mal zu, dass ein Mann dich so verletzen kann! Meine finsteren Gedanken wurden erneut von ihm unterbrochen.
»Na gut, das ist immerhin ein Anfang.«
Genervt verdrehte ich die Augen. ›Gib´s auf‹, sagte ich mir selbst. ›Er will es einfach nicht kapieren.‹
Mein Vater ahnte schon, was gleich passieren würde, doch bevor ich den Raum verlassen konnte, sagte er beschwichtigend zu mir: »Nina es tut mir leid, was dir widerfahren ist, aber der Junge scheint wirklich sehr nett zu sein und du hättest ihn mal sehen sollen, als er über dich sprach. Wenn er deinen Namen erwähnte, glänzten seine Augen, als sähe er zum ersten Mal einen Tannenbaum.«
»Klar und morgen kommt der Weihnachtsmann«, bemerkte ich schnippisch. »Papa tu mir den Gefallen und misch dich nicht immer in meine Angelegenheiten ein, und bitte, bitte hör auf immer alles so übertrieben darzustellen.«
»Aber wenn ich´s dir doch sag. Der hat richtig von dir geschwärmt. Er sagte so Sachen, wie ´Ich hab das Gefühl ihre Tochter schon ewig zu kennen´ und ´Sie hat mich nahezu verzaubert´.«
Nachdenklich kniff ich die Augen zusammen. ›Verzaubert?! Er hat wohl eher mich verzaubert, aber gewiss auf eine andere Art, als er es wollte.‹ Und wie auf ein Zeichen hörte ich die Stimme der Kartenlegerin: »Der Weg zur Lösung führt über ihn.«
»Weißt du was Paps? Nachher gehe ich mit ihm essen und, wenn er mich dann noch mal wiedersehen will, werde ich ihn morgen zum Kaffee einladen. Bevor du ihn mir weiter als deinen Schwiegersohn präsentierst, solltest du ihn erst mal selber besser kennenlernen. Man kann niemanden nach einer halben Stunde Autofahrt beurteilen. Das kann man nämlich noch nicht einmal, wenn man jahrelang mit jemanden zusammen war.« Auf dem Absatz drehte ich mich um und verschwand in meinem Zimmer, so wie ich es immer tat, wenn ich nicht zeigen wollte, dass auch ich ein menschliches Wesen war.
Die Tür knallte hinter mir ins Schloss und sofort drückte ich auf den Knopf meines CD-Players: Eins meiner liebsten Lieder ertönte, während ich meinen Gedanken nachhing.
Mein Blick war auf die Nachttischlampe geheftet. Sie war ein Sinnbild dessen, wie ich mich fühlte. Nachdem sie damals zerbrochen war, hatte ich sie gekittet. ›Sie wird nie wieder ganz werden. Genauso wie ich … ich werde auch nie wieder heilen.‹
Ich hing meinen düsteren Gedanken nach. Kein Licht konnte mich jetzt erreichen. Wie in Trance sang ich den Refrain mit. Er handelte von einer verletzten Seele, die sich jedoch nicht unterkriegen ließ.
Nachdenklich nahm ich das blaue Kleid, welches ich notgedrungen gekauft hatte und betrachtete es sehnsüchtig. ›Es war wirklich eine nette Geste, aber es war auch rausgeschmissenes Geld. Das Kleid werde ich nie wieder in der Öffentlichkeit tragen.‹
Mir stieg die Röte ins Gesicht, als ich daran dachte, wie die Männer mich im Kaufhaus angestarrt hatten. Jetzt fiel mir auch wieder ein, dass sich einige Jugendliche nach uns umgedreht hatten, als wir zum Auto gingen. ›So etwas darf dir nie wieder passieren. Du wirst dich nicht noch mal zur Zielscheibe fremder Blicke machen lassen.‹
Als ich die Lider schloss, sah ich diese umwerfenden grünen Augen und das Grübchen über dem Mundwinkel vor mir, als ob er direkt vor mir stehen würde. ›Mist!‹, fluchte ich. ›Der hat jetzt schon ´nen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wehr dich dagegen!‹
Automatisch sang ich den Refrain des nächsten Liedes mit, welches davon sprach, dass das verletzte Mädchen eine Mauer um sich aufgebaut hatte. Doch am Ende sieht sie einen Hoffnungsschimmer aufkeimen.
›Nein, nichts wird gut. Es kann nicht wieder gut werden. Was ist nur mit mir los? Bisher hatte ich mich doch auch immer gut im Griff.‹ Ich schmiss mich aufs Bett und zog mir die Decke über den Kopf. ›Nein! Verdammt, ich darf mich nicht verlieben.‹ In meiner Not schrie ich in mein Kopfkissen. Es war ein lauter Schrei und doch war ich mir ganz sicher, dass keiner ihn hören konnte.
Plötzlich berührte mich etwas an meinem Knöchel. Ich wirbelte herum und konnte meine geballte Faust im letzten Moment noch zurückziehen.
Meine Mutter starrte mich an, der Schreck war ihr ins Gesicht geschrieben. »Johannes sagt, du hast das im Auto vergessen«, ihre Stimme zitterte, während sie mir den Karton reichte.
Ich nahm ihr die Schachtel ab und murmelte leise: »Danke. Mama … es tut mir leid.«
Sie lächelte zaghaft. »Es ist ja noch mal gut gegangen. Das nächste Mal ruf ich lieber durch den Lärm hindurch.« Sie ging zur Anlage und stellte die Musik leiser. Am Türrahmen blieb sie kurz stehen und drehte sich zu mir um. »Kleines, er muss es dir aber ganz schön angetan haben. Ich habe schon lange nicht mehr erlebt, dass dich jemand so aus der Fassung brachte.« Dann schloss sie die Tür hinter sich zu.
›Wenn du wüsstest‹, dachte ich. Meine Eltern ahnten nichts von meiner Gabe, also konnte ich ihnen auch nicht erklären, dass ich keine Wahl hatte. Meine Aufgabe war es ein Geheimnis zu lüften, welches ihn oder seine Familie umgab, nur so konnte ich wieder Frieden finden.
Neugierig betrachtete ich die Pappschachtel in meiner Hand. ›Für das dunkelrote Abendkleid ist die Box zu klein‹, überlegte ich und öffnete sie. ›Abgefahren!‹ Da lagen sie: diese herrlichen blauen Pumps. Ich zog sie gleich an, ging an meinen kleinen Kleiderschrank und holte ein paar Jeans, einen langen Rock und ein paar Blusen heraus. Aber was ich auch anhielt, es passte nicht zu diesen Schuhen: Meine Sachen waren einfach alle zu unauffällig und schlicht.
Als ich die Schuhe auszog, fiel mein Blick auf eine Karte in dem Karton:
›Haha, sehr witzig!‹ - Auf der einen Seite empfand ich es als snobistisch von ihm, dass er mir die Schuhe gekauft hatte, obwohl ich auf die Bezahlung des Kleides bestanden hatte, doch auf der anderen Seite war ich amüsiert, ob des kleinen Scherzes. ›Was wenn es keiner war?‹, kam mir in den Sinn. ›Verdammt! Wie soll ich bloß das Rätsel lösen, ohne Gefahr zu laufen, dass er sich in mich verliebt, oder schlimmer noch: ich mich in ihn.‹ Ich war zugleich rat-, als auch machtlos.
Im oder besser gesagt, an meinem Bauch, fing es an zu kribbeln und mein Handy ertönte. »Sie haben eine Nachricht erhalten.«
Sofort zog ich es aus meiner Tasche und öffnete die Kurzmitteilung:
›Oh je, jetzt muss ich mich aber schnell anziehen.‹ Eiligst rannte ich in das Schlafzimmer meiner Eltern und zog ein schwarzes, knielanges Kleid meiner Mutter an.
Während ich mir ein schlichtes Make-up auflegte, klingelte es an der Haustür. Normalerweise öffnete meine Mutter, diesmal war mein Vater jedoch schneller.
»Hallo Tom. Komm rein und trink eine Kleinigkeit mit mir. Nina ist noch nicht fertig. Sie will sich bestimmt ganz besonders in Schale werfen«, sagte er laut, damit ich es auch durch die zwei Räume und meine Zimmertür hören konnte.
»Blödmann«, fluchte ich leise, genau wissend, dass er mich durch die Tür nicht hören konnte.
»Das braucht sie gar nicht! Selbst in ihrem schlichten Sommerkleid heute Mittag sah sie hinreißend aus. Ich glaube, sie könnte sogar in einem Kartoffelsack gut aussehen.« Auch Tom war unnatürlich laut.
»Schleimer.« Ungewollt kicherte ich.
Wieder ertönte die Stimme meines Vaters durch die Tür hindurch. »Tja, da kann ich dir nur beipflichten! Sie ist unser ganzer Stolz!« Und der hallte auch in seiner Stimme wieder. Mir wurde richtig warm ums Herz. Ob es an meinen Vater lag oder an Toms Komplimenten, ich vermochte es nicht mal zu unterscheiden.
Trotz des Make-ups konnte ich im Spiegel sehen, wie die Röte in meine Wangen rutschte. ›Mist!‹, fluchte ich zum wiederholten Male innerlich. »Behalt die Nerven!«, ermahnte ich mich leise. »Es geht nur um den Auftrag. Lass dich von so einem Schleimbolzen bloß nicht einwickeln.«
Mein Vater behielt die Lautstärke bei, obwohl er bereits im Wohnzimmer sein musste und nur noch meine Zimmertür zwischen uns war. »Wusstest du eigentlich, dass Ninas Großvater, also mein Vater ebenfalls Hawaiianer ist, oder war. Leider wissen wir nicht, ob er noch lebt. Er ist 1944, kurz vor dem D-Day, in der Normandie gelandet, dabei hatte er sich verletzt. Meine Mutter fand ihn in der Scheune ihrer französischen Freunde und pflegte ihn gesund. Sie verliebten sich alsbald ineinander. Allerdings forderte der Krieg seinen Preis: Sie wurden auf der Flucht getrennt. Nach Kriegsende hat sie jahrelang versucht meinen Vater zu finden, doch es war ein aussichtsloses Unterfangen. Durch die Bomben wurde damals einfach zu viel zerstört. Auch heute, mit knapp 83 Jahren, denkt sie noch oft an ihren Alois.«
»Ein ungewöhnlicher Name. Bist du sicher, dass dein Vater Hawaiianer war?«, fragte Tom.
»Na ja, zumindest hat er das meiner Mutter erzählt.«
Schnell legte ich mir noch einen unauffälligen Lippenstift auf, sah noch mal prüfend in den Spiegel und sagte zu mir selbst: »Erledige den Auftrag, dann bist du ihn wieder los!«
Als ich das Wohnzimmer betrat, schoss mir jedoch nur noch ein Gedanke durch den Kopf: ›Himmel sieht der gut aus.‹
Tom hatte einen anthrazitfarbenen Anzug an, dessen Stoff bei jeder Bewegung edel schimmerte. Seine blanke, braun gebrannte Brust blitzte unter seinem zartblauen Hemd hervor und sein Lächeln ging mir wieder durch und durch.
Er musterte mich von oben bis unten. »Auch, wenn es nicht das Blaue ist, siehst du dennoch umwerfend aus.«
»Du übertreibst mal wieder maßlos, Fremder«, sagte ich leise.
Tom fing an zu lachen und hörte erst wieder auf, als ich hoch erhobenen Hauptes zur Haustür hinausging.
»Sorry, ich wollte dich nicht verärgern«, rief er hinterher.
Auf dem Absatz drehte ich mich um und schaute ihn mit meinem schönsten Lächeln an. »Hast du auch nicht. Ich habe jetzt nur großen Hunger und wollte schnell zur Imbissbude rüber, um mich dort zu beköstigen.« Innerlich hoffte ich ihn mit meiner albernen Art ein wenig zu verschrecken, ohne ihn jedoch zu verjagen.
Tom lachte erneut. »Okay, du hast gewonnen. Wir fahren ja schon los. Schließlich kann ich ja nicht riskieren, dass den Bubis hier die Kinnlade einfriert, wenn sie dich so sehen«, griff er das Spiel, welches ich trieb, mühelos auf. Er reichte mir seinen Arm und führte mich zur Beifahrertür seines Wagens.
Bereits zehn Minuten später hielten wir vor dem Restaurant in meinem Nachbarort.
Tom musterte mich für einen Augenblick, doch ich verzog keine Miene und so schüttelte er kaum wahrnehmbar den Kopf und stieg aus.
Während er schnellen Schrittes um den Wagen ging, nutzte ich den kleinen Moment der Ungestörtheit und flüsterte leise vor mich hin: »Was für ein kleiner charmanter Mistkerl …« Innerlich ärgerte ich mich darüber, dass ich schon zum zweiten Mal an diesem Tag etwas vom Blutgeld nehmen musste, um etwas zu bezahlen, was ich mir ohne diesen Kerl nie gekauft hätte. Bisher hatte ich immer vermieden dieses Geld zur Anschaffung schöner Dinge zu verwenden. Es hatte für mich einfach nichts Schönes an sich, es war in meinen Augen schmutzig.
Just in dem Moment, als er die Tür öffnete, setzte ich wieder ein ernsteres Gesicht auf. Schließlich wollte ich ihm ja nicht zeigen, wie verärgert und dennoch beeindruckt ich wirklich war. Dies war das einzige Sterne Restaurant weit und breit und er kannte es.
Mit einem leichten Lächeln übersah ich seine, mir dargereichte Hand und stieg freihändig aus.
Im Innern des Restaurants erwartete uns bereits der Chef de Rang. »Guten Abend. Herzlich willkommen im Legato. Möchten Sie dinieren, oder lieber einen Drink in unserer kleinen Lounge zu sich nehmen?«
Tom sah mich fragend an. »Das Restaurant scheint mir ein wenig zu überfüllt zu sein, meinst du nicht auch?«
Für einen Augenblick sah auch ich mich in dem puristisch eingerichteten Raum um, der tatsächlich sehr gut besetzt war. »Haben Sie vielleicht noch einen Platz auf Ihrer Terrasse frei?«, fragte ich den Angestellten freundlich.
Sein Lächeln schwand ein wenig. »Es tut mir leid. Bei solch schönem Wetter möchten alle gerne draußen sitzen. Aber wir haben noch einen Tisch direkt beim Kamin.«
Ehe ich etwas sagen konnte, ergriff Tom das Wort: »Schade, dabei wurde mir Ihr Restaurant so sehr vom kubanischen Botschafter ans Herz gelegt. Na ja, da kann man wohl nichts machen. Da meine Begleitung gerne draußen etwas zu sich nehmen möchte, werden wir wohl ein anderes Restaurant aufsuchen müssen. Eins was zwar nicht so exklusiv ist, aber zumindest einen Platz …«
»Aber nicht doch! Ich hätte da vielleicht noch einen Tisch für zwei im hintersten Teil des Gartens, allerdings ist er auf der Rasenfläche …«
»Das hört sich sehr gut an. Ich denke, damit werden wir alle zufrieden sein«, sagte ich, weil ich mir nicht die Blöße geben wollte, auf sein unterschwelliges Angebot, ein günstigeres Restaurant aufzusuchen, einzugehen.
Tom zog seine Augenbraue ein wenig hoch, während der Angestellte kaum merklich grinste. »Wenn Sie mir dann bitte folgen mögen.« Er führte uns tatsächlich in die hinterste Ecke des Grundstücks und deutete auf einen kleinen Tisch, auf dem lediglich ein leuchtendes Windlicht stand. »Bitte sehr. Hier sind Sie auch ein wenig ungestörter.« Während er dies sagte, zwinkerte er mir leicht zu.
Lächelnd nickte Tom ihm zu, während ich mich eher versteifte.
›Ungestörter – wohl eher am Arsch der Welt. Ich liebe es zwar draußen zu essen, aber das hier …‹ Meine anfängliche Begeisterung für einen Gartenplatz wandelte sich mehr und mehr in Unwohlsein ob der abgeschiedenen Lage.
Der Chef de Rang räusperte sich und holte mich damit aus meinen Gedanken heraus. Er stand hinter einem der beiden Stühle und forderte mich mit seinem Blick dazu auf, mich hinzusetzen, was ich dann auch tat.
Nachdem Tom ebenfalls Platz genommen hatte, reichte er an uns die Speisekarten weiter, die er von einem anderen Mitarbeiter erhielt.
Tom fragte ihn jedoch ganz direkt, was er uns denn heute empfehlen könnte, während ich einen Blick in die Karte warf.
»Heute kann ich Ihnen Zweierlei von der norwegischen Jakobsmuschel empfehlen. Anschließend könnten Sie ein Irisches Lammkarree an Cassoulet von Cocobohnen genießen und sich als Dessert das Duett von der Erdbeere …«
»Gekauft!«, rief ich laut aus. »Ähm … ich meinte, das Erdbeerduett nehme ich gerne an«, sagte ich um einiges leiser.
Mein Blick auf die Männer sagte mir, dass der Chef de Rang sich innerlich zwar über meinen kleinen Fauxpas amüsierte, aber versuchte äußerlich die Fassung zu bewahren. Unterdessen grinste Tom mich breit an, wobei in seinen Augen etwas anderes zu lesen war, etwas, was ich jedoch nicht deuten konnte.
Diesmal räusperte ich mich. »Nach so einem heißen Tag würde ich lieber etwas Leichtes zu mir nehmen. Bitte bringen Sie mir das Spargelmenü, doch anstelle der Himbeermousse nehme ich das Erdbeerduett.« Ich lächelte ihn wohlwollend an.
»Sehr wohl.« Der Mann nickte mir mit einem leicht schiefen Grinsen zu und wandte sich dann an Tom.
»Well … Ich nehme Ihren Menüvorschlag gerne an. Wie gut ist Ihre Weinkarte bestückt?«
»Wir haben 120 europäische Weine zur Auswahl.«
»Nina möchtest du einen bestimmten Wein?«
Kopfschüttelnd verneinte ich.
»Nun, dann überlasse ich Ihnen die Wahl des Weines passend zum Essen für die Dame und mir bringen Sie bitte ein Selters.«
»Jawohl.« Damit ging der Angestellte erst mal von dannen.
Für einen Augenblick war es sehr still an unserem Tisch und ich begann mit der Kerze zu spielen.
Tom beobachtete mich eine Weile dabei, bis er plötzlich sagte: »Der Kellner mag dich.«
»Au! Verdammt, jetzt hab ich mich verbrannt.«
Tom lachte. »Das kommt davon, wenn man mit dem Feuer spielt.«
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu. »Nein, das kommt davon, wenn jemand so ´n Blödsinn redet, wie du.«
Mein Gegenüber versteifte sich und zog seine Augenbrauen hoch. »So, so, ich rede Blödsinn.«
»Ja genau, oder was war das mit dem kubanischen Botschafter?«
Diesmal lachte er und über seinen Mundwinkeln bildete sich ein Grübchen. »Okay, du hast mich erwischt. Den kubanischen Botschafter kenne ich tatsächlich nicht persönlich, aber seine hübsche Frau hat mir heute getwittert, dass er hier schon einmal eingekehrt ist.« Das sagte er in so einem ernsten Ton, dass mir für einen Moment glatt die Spucke wegblieb.
Just in diesem Moment kam der Kellner und reichte mir den Wein, den ich erst mal in einen Zug leer trank, statt an ihm zu nippen, um ihn zu kosten.
»Der ist gut, den können Sie stehen lassen«, sagte ich und hielt ihm mein leeres Glas gleich zum Nachfüllen hin, was er dann auch mit einem Augenzwinkern tat.
Als er dann Toms Wasser hingestellt hatte, verließ er uns auch schon wieder.
»Erzähl mir von Afrika«, forderte mein Gegenüber mich auf.
»Naja, da gibt es nicht so viel zu erzählen. Es ist ein schönes, wenngleich auch ein teilweise sehr armes Land. In Namibia liegen die Farmen so weit auseinander, dass man sich darüber ärgert, wenn man sieht, wie über der anderen eine Regenwolke hängt.«
»Du warst auf einer Farm? Ich dachte, du hättest Urlaub gemacht.«
»Nein, das waren keine Ferien. Ich war in Begleitung eines Bekannten dort. Wir beide haben dort in einem Kinderdorf ausgeholfen und auf der Farm konnten wir unterkommen, weil er mit den Farmbesitzern über Ecken verwandt ist.«
›Verdammter Daniel!‹ Die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit wollte ich nicht zulassen. Zu tief saß der Schmerz, den sein plötzliches Verschwinden verursacht hatte.
Erneut trat der Kellner an den Tisch und unterbrach dadurch meine Gedanken. Er reichte uns den ersten Gang und ließ uns dann wieder allein.
Von nun an wechselten Tom und ich kaum noch ein Wort, da wir uns am köstlichen Essen labten. Erst beim Nachtisch suchte ich erneut das Gespräch, schließlich galt es ein Rätsel zu lösen, um ihn wieder loszuwerden.
»Was führt dich nach Deutschland? Ich meine, viele würden das warme Klima Hawaii´s dem unseren vorziehen. Warum du nicht?«
»Wie du ja schon weißt, habe ich meine Kindheit hier auf einem Internat verbracht und mir gefällt das Land, die soziale Absicherung und auch die Mental…«
»Die soziale Absicherung?«, ungläubig sah ich ihn an. »Deinem Auto zufolge bist du nicht gerade arm, also wozu brauchst du …«
»Nicht für mich«, unterbrach er jetzt mich. »Ich bin, wie du bereits bemerkt hast, abgesichert. Aber ich unterstütze einige Einrichtungen, die es ohne die soziale Infrastruktur des Landes wohl nicht geben würde. Das macht es mir leicht, mein hart verdientes Geld denen zu geben, die es brauchen. In anderen Ländern kommt die Hilfe leider nicht immer dort an, wo sie hin soll, es sei denn man ist vor Ort. Doch das kann ich nicht sein, weil ich dann wiederum nicht meinen Beruf ausüben könnte, mit dem ich das Geld, was ich weitergebe, erwirtschafte.«
»Du gehst arbeiten?« Dieser Mann überraschte mich immer mehr.
»Ja. Ob du´s glaubst oder nicht: Ich bin ein stinknormaler Referendar an der Bremer Uni.«
Nun war ich vollends sprachlos. ›Sollte ich mich wirklich in ihm geirrt haben? Ist er doch keiner von diesen Kerlen, dem die Frauen zu Füßen liegen, nur weil er Geld und Charme im Übermaß hat?‹
»Außerdem kann ich hier einfach nur Tom sein«, holte er mich aus meinen Überlegungen zurück ins Gespräch.
»Ach, und in Hawaii bist du dann wer?«
Statt eine Antwort zu geben, grinste er mich nur an.
»Rück schon raus mit der Sprache«, forderte ich ihn auf. »Bist du vielleicht der Ur-Enkel von Liliʹuokalani, der letzten hawaiianischen Königin, oder was?«
Nun lachte er sogar. »Nein, nicht ganz. Meine Urgroßmutter hieß Iho Ki und sie war die letzte Kahuna Kupua, also Meisterschamanin des Stammes der Noelani.«
Als ich dies hörte, bekam ich eine Gänsehaut. ›Saß hier vor mir vielleicht nicht mein neuer Auftraggeber, sondern vielmehr der Schlüssel zu meiner Gabe? Schließlich wurden mir die Rätsel immer von einer polynesischen Kartenlegerin offenbart. Und, wenn mich nicht alles täuschte, war sie Hawaiianerin, denn sie hatte dieselbe Augenform wie mein Vater.‹ »Stamm der Noelani?«, hakte ich deshalb jetzt nach.
»Ja, es ist ein sehr alter Stamm. Einer der wenigen, indem die alten Werte noch überliefert und praktiziert werden. Während in anderen Gegenden Hawaiis die christliche Lebensweise Einzug nahm, gelang es den Noelanis sich der Missionierung zu entziehen, indem mein Ur-Urgroßvater Kelii einen Pakt mit einem neureichen Deutsch-Engländer namens Robert McAllister schloss. In einem Abkommen von 1905 wurde Robert erlaubt, auf einem Teilstück der stammeseigenen Landes eine Plantage aufzubauen, auf der jedoch ausschließlich Noelanis beschäftigt werden. Des Weiteren durfte Robert sich ein Haus direkt am Strand errichten. Im Gegenzug versprach er das Land vor äußeren Einflüssen, zu beschützen. Der Vertrag galt zwar nur, bis einer von beiden verstorben war, doch als mein Großvater Keanu 1944 zum Ali'i, also Häuptling der Noelani, ernannt wurde, erneuerten er und Roberts Sohn den Vertrag.
William ließ sich sogar darauf ein, den Noelanis ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz einzuräumen. Im Gegenzug bekam er einen kleinen Landstrich direkt am Kailua Beach überschrieben. Weil dort inzwischen fünf Häuser, eine riesige Garage und ein Pferdestall stehen, nennen wir es das Center.
Ganz wie Keanu es wollte, wurde die Natur jedoch rund um das Center und außerhalb der Plantage in ihrem Urzustand belassen.«
Während er endlich mal Luft holte, brachte ich meine nächste Frage hervor: »Also ist alles noch, wie vor sechzig Jahren?«, dabei dachte ich ungewollt an die Lehmhütte der Kartenlegerin.
»Na ja … nicht alles. Wie du dir vorstellen kannst, leben die Noelanis ebenfalls in stromversorgten Häusern und um das Grundstück ist ein elektrischer Zaun gespannt, der mit Infrarotkameras versehen ist. Am Tor zu Noelani steht ein Wachposten, der nur Familienangehörige oder angemeldete Personen einlässt. Die hohen Sicherheitsmaßnahmen waren ebenfalls ein Wunsch von Keanu, den ich allerdings bis heute nicht ganz verstehe. Wenn man ihn danach fragt, antwortet er immer nur, dass Noelani mehr zu bieten hat, als nette Menschen und einen schönen Strand.«
In meinen Gedanken sah ich mich am weißen Sandstrand entlanglaufen, während die Gischt mir ab und an Wasser ins Gesicht spritzte. »Es muss wie im Himmel sein«, flüsterte ich.
Während ich selig vor mir hin grinste, huschte über Toms Gesicht ein Schatten. »Ja, das ist es wahrlich. Noelani heißt frei übersetzt: schöner Himmel«, sagte er mit einem bekümmerten Unterton.
»Du vermisst es, oder?«
»Yes«, antwortete er knapp.
»Aber wieso gehst du nicht zurück? Du hast den Job doch nicht nötig, oder?«
»Weil der Schein manchmal trügen kann. Hawaii ist wirklich einmalig und das Leben auf Noelani ist unbeschreiblich schön, doch ganz Oahu überwacht uns mit Argusaugen: Unser Leben auf Noelani ist einfach zu blütenrein, um wahr zu sein. Jeder Fehltritt, den einer von uns tut, wird gleich auf den 137 Inseln breit getreten.« Für einen Moment wirkte er in sich gekehrt.
Der Chef de Rang trat an unseren Tisch heran. »Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit? Kann ich Ihnen vielleicht noch etwas bringen?«
»Ja, die Rechnung bitte«, antwortete ich, weil mir gerade vom Wein ganz schummerig wurde.
»Sehr wohl«, sagte er lächelnd, aber an seinen Augen erkannte ich, dass es ihm nicht wirklich gefiel.
Kaum war er aus Hörweite, sagte Tom: »Normalerweise fordert derjenige die Rechnung, der sie auch bezahlen möchte.«
»Will ich ja auch.«
»Aber ich habe dich doch eingeladen.«
»Nein, es war doch so, dass ich mich bei dir bedanken wollte, also zahle ich.«
Der Chef de Rang stand urplötzlich wieder neben unserem Tisch und, noch bevor Tom seine Geldbörse gezückt hatte, zog ich eine Visa unter meinem BH-Träger hervor und gab sie ihm.
Umgehend verschwand er damit im Haus.
Tom schwenkte seinen Kopf hin und her und brummte: »Du bist echt unglaublich!«
»Wie bitte?«
»Genau, das meine ich! In der einen Sekunde bist du eine vornehme junge Dame, die aus einer Seifenoper entsprungen zu sein scheint, in der nächsten gleichst du einem kleinen Teenager, der die Welt zum ersten Mal betritt. Und ehe man sich versieht, bist du ein selbstsicherer Vamp, der fremden Männern den Kopf mit nur einem Lächeln verdreht.«
Überrascht über seine Einschätzung, lächelte ich verlegen, während mir die Quittung überreicht wurde.
»Danke«, flüsterte ich dem Angestellten zu.
Tom legte einen Zwanziger auf den Tisch. »Das ist für Ihre zuvorkommende Behandlung. Wir werden dieses Lokal gerne wieder aufsuchen.« Damit stand er auf und hielt mir die Hand entgegen, die ich sogar entgegennahm, jedoch sofort wieder losließ, als ich auf meinen eigenen Füßen stand. Das allerdings bereute ich bereits nach wenigen Schritten wieder, weil ich strauchelte.
»Man sollte nicht mit High Heels über Rasen laufen«, sagte Tom in Richtung des Kellners, der uns gerade entgegenkam. »Komm, ich helfe dir«, bot er an, und fasste umgehend um meine Taille. »Eine Flasche Wein war wohl zu viel für dich allein«, flüsterte er mir leise zu.
Meine Antwort bestand aus einem leisen »Hicks.«
Im Auto angekommen, bedankte ich mich erst mal für seinen Einsatz, um meine Ehre zu retten.
»Kein Problem. Auch ich hab mal über die Stränge geschlagen und fand es weniger amüsant, als andere mich deswegen belächelten.«
»Hicks.« Mein Blick fiel auf die Quittung und ich sah doch tatsächlich eine handgeschriebene Telefonnummer und eine kleine unleserliche Notiz.
»Was steht da?«, fragte ich Tom und hielt ihm den Zettel hin.
Er ergriff ihn. »Ruf mich an! … Siehst du, ich hab doch gesagt, dass der dich mag.«
»Das ist eine Unverschämtheit!«, blökte ich. »Hicks.«
»In der Tat. Man steckt einer Frau, die in Begleitung eines Mannes ist, nicht seine Telefonnummer zu.«
»Der Kerl trug einen Ehering. Boah – ihr Männer könnt so fies sein.« Der Wein stieg mir nun vollends zu Kopf.
»Dann sag mir doch mal, wann ich fies zu dir war?«
»Du … Nein, du bist wohl eine Ausnahme, zumindest bist jetzt«, gestand ich ihm und mir zugleich ein.
»Na, das beruhigt mich jetzt aber«, erwiderte er und reichte mir die Quittung zurück, dabei berührten seine Finger die meinen und ich hatte das unvermeidbare Gefühl, als ob Tom diesen Körperkontakt provoziert hatte.
»Hör zu Tom.« Tief atmete ich ein, denn das was ich ihm jetzt sagen wollte, kam mir nicht leicht über die Lippen und so senkte ich auch betreten meinen Blick gen Boden. »Du bist ein echt netter Kerl und ich hab den Abend, zugegebenermaßen unfreiwillig, genossen. Aber im Moment möchte ich keine Beziehung. Mehr als eine Freundschaft kann ich dir nicht bieten. Mit Männern stehe ich auf Kriegsfuß und hab gar kein Interesse an ihnen …«
»Perfekt!«, unterbrach er mich laut.
Erschrocken fuhr ich zusammen.
»Weißt du. Momentan bin ich auch nicht auf eine Beziehung aus. Vielmehr würde es mich freuen, wenn ich mit dir ein paar Stunden als Freundin im Sinne von Kumpel verbringen könnte. Meine Heimat ist weit entfernt und die wenigen Freunde, die ich hier noch habe, sind überall im Land verstreut und auch berufstätig. Du und dein Dad, ihr erinnert mich ein Stück weit an meine Ohana, und es wäre wirklich toll, wenn ich jemanden in der Nähe hätte, mit dem ich auch mal etwas unternehmen könnte.«
»Welche Art von Unternehmungen meinst du?«, fragte ich, während sich die Unruhe in mir wieder mal zu Wort meldete.
»Theater, Kino, Musical, bowlen, was auch immer du bevorzugst. Hauptsache ich komme mal aus meiner Wohnung heraus. In drei Wochen endet das Sommersemester und ich hab dann ne lange Zeit nicht wirklich was zu tun.«
»Fliegst du denn nicht heim?«, versuchte ich das Thema wieder in Richtung Hawaii zu lenken.
»Nein!«, erwiderte er in einem für mich eindeutig zu entschlossenem Ton. »Dafür habe ich wiederum zu viel zu tun«, setzte er leiser nach.
Meine Sinne jedoch schrillten nahezu ohrenbetäubend. Und in diesem Moment war ich mir sicher, was auch immer es war, was ich lösen sollte, es hatte mit Tom und Hawaii oder besser gesagt, mit seiner Familie zu tun. Damit konnte ich die erste Karte im Geiste getrost wieder umdrehen.
Tom startete den Wagen und wenige Minuten später hielt er auf der Einfahrt zu unserem Haus.
»Also, was sagst du?« Er stellte den Motor ab.
»Wie bitte?«
»Könntest du dir vorstellen ein wenig Zeit für einen armen gestrandeten Hawaiianboy zu erübrigen?«
»Klar, wieso nicht. Solange du mir nicht an die Wäsche gehst.«
»Werde ich nicht. Ich wage zu behaupten, dass ich ein toleranter Mann bin, der auch allem Neuem gegenüber aufgeschlossen ist, also werde ich auch deine Neigung zu deinem Geschlecht nicht in Frage stellen.«
Perplex blickte ich ihn an und war froh, dass er gerade zur Haustür sah, aus der meine Mutter lugte. »Das ist sehr zuvorkommend von dir«, sagte ich, so ernst ich konnte, während ich innerlich laut kicherte. »Kommst du morgen zum Kaffee?«
»Gerne. Aber nur, wenn ich meinen Eigenen mitbringen darf.«
Wieder sah ich ihn verdutzt an, doch diesmal sah er es.
»Oh, ich hab dir wohl noch gar nicht erzählt, dass auf Onkel Erics Plantage Ananas, Zuckerrohr und auch Kaffee angebaut wird, oder?«
»Nein haste nicht. Aber kann man damit denn so viel Kohle machen?«
»Ja, es ist Kaffee der Spitzenklasse, das bringt schon einiges ein, und seitdem Ben die Firma übernommen hat, sind noch ein paar andere Geschäftszweige hinzugekommen.«
»Ben? Ist das der vom Internat?«
»Mhm.« Er nickte leicht und dennoch bemerkte ich, dass er sich ein wenig versteifte. »Der Große und ich waren bis zu unserem Bachelor ständig zusammen. Danach trennten sich unsere Wege. Er gründete IT-International, eine Firma, mit der er sehr erfolgreich Hard- und Softwareprodukte produziert und vertreibt. Ich hingegen sah mir ein wenig die Welt an. Heute treffen wir uns nur ab und an mal, um gemeinsam neue Programme zu entwickeln, was mir dann wiederum eine Menge Kohle«, er zog das Wort mit einem Grinsen in die Länge, »einbringt.«
Toms Handy spielte eine fremdartige Melodie. Er zog es aus seiner Anzugtasche. »Oh, das ist meine Cousine Sunny.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Ähm … ich müsste da ran…«
»Schon okay. Wir sehen uns morgen um drei«, sagte ich und verließ das Auto mit einem merkwürdigen Gefühl.
Kurz bevor ich ins Haus trat, drehte ich mich noch einmal um.
Er winkte mir zu, während er offensichtlich in eine Freisprecheinrichtung sprach.
Auch ich winkte und schloss dann die Tür hinter mir.
»Na wie war´s?« Mein Vater stand urplötzlich hinter mir und ich schreckte völlig zusammen.
»Gott Papa! Musst du dich so anschleichen?« Wieder einmal kniff ich meine Lippen zusammen.
»Mach´s nicht so spannend …«, drängte er auf eine Antwort und hibbelte dabei wie ein kleines Kind herum.
»Er kommt morgen zum Kaffee, den er mitbringt.« Damit schritt ich geradewegs durch die Stube in mein Zimmer hinein.
Natürlich konnte ich kurz darauf die Unterhaltung zwischen meinen Eltern mitverfolgen, in der mein Vater Partei für Tom ergriff, während meine Mutter versuchte seinen Enthusiasmus in Grenzen zu halten.
Erst eine Stunde später verstummten die beiden und ich konnte in den Schlaf finden, aus dem ich wenige Stunden später keuchend aufwachte, weil die Kartenlegerin mich erneut ermahnte, dem Geheimnis um Tom auf den Grund zu gehen.
Die nächsten vier Wochen rauschten nur so an mir vorbei. Wie selbstverständlich ging Tom inzwischen bei uns ein und aus. Er hatte mittlerweile auch Semesterferien und wir gingen tatsächlich mehrmals ins Kino, besuchten eine Aufführung im Oldenburger Theater und erlebten die Premiere eines Musicals am ortsansässigen Gymnasium.
Ohne dass ich es wirklich wahrgenommen hatte, schaffte er es sogar mit seiner humorvollen freundlichen Art ein klein wenig, die Wut, die ständig in mir loderte, zu mildern. Doch die Unruhe in mir nahm ständig zu. Es gelang mir einfach nicht, etwas von ihm zu erfahren, was mich auch nur ein kleines Stückchen der Lösung des Rätsels näherbrachte. Aber genauso wenig, wie ich meinen Auftrag erledigen konnte, versuchte Tom mir körperlich näher zu kommen. Die einzige Vertrautheit, die er sich mir gegenüber erlaubte war, mich Engel zu nennen, ansonsten blieb er auf Abstand und hielt die von mir errichteten Grenzen ein. Warum er mich jedoch Engel nannte, wollte er mir nicht sagen. Stattdessen schenkte er mir dann immer eins von seinen Grübchen behafteten Lächeln.
Am 25. Juli fuhr Tom bereits um sieben Uhr morgens bei uns vor. Mit einer Tüte Brötchen und einem großen bunten Blumenstrauß bewaffnet stieg er aus und schlenderte geradewegs zur Haustür, die meine Mutter ihm öffnete.
Als er sie erblickte, blieb er abrupt stehen und zog ein betretenes Gesicht. Sekunden später lächelte er, als hätte er gerade eine Eingebung gehabt, und zog eine einzelne weiße Rose aus dem Bukett. Diese überreichte er mir mit den Worten: »Happy Birthday, Engel.«
Das restliche Gebinde übergab er meiner Mutter, welche ihm daraufhin endlich mal ein Lächeln schenkte.
Eine viertel Stunde später saßen wir zu viert auf der Terrasse und genossen ein reichhaltiges Frühstück, während die ersten Sonnenstrahlen Wärme verbreiteten.
»Kleines«, sagte meine Mutter plötzlich. »Dein Vater und ich wollten gleich ins Reisebüro, um den Flug und das Hotel für Lars Hochzeitsgeschenk zu buchen. Ich weiß, dass das jetzt wieder mal nicht der passende Zeitpunkt ist, aber ich muss jetzt endlich wissen, wie viel du beisteuern willst, damit wir dementsprechend das Hotel buchen können.«
»Mist! Das hab ich ja total vergessen! Entschuldige Mama. Buche was du meinst, ich übernehme, das, was ihr nicht könnt. So teuer wird ein Hotel am Waikiki Beach ja wohl nicht sein, oder?«
»Oh, es gibt da schon Unterschiede«, griff Tom jetzt in die Unterhaltung ein. »Und vor allem wimmelt es dort vor Touristen. Wenn man wirklich das Hawaiian Feeling erleben will, sollte man sich ein Hotel auf einer der kleineren Inseln nehmen.«
»Das ist gut zu wissen. Aber wir schenken Lars diese Reise, weil er etwas über seinen Großvater in Erfahrung bringen will und das wird er wohl am ehesten auf Oahu schaffen«, erklärte meine Mutter ihm.
»Er will ins Archiv von Pearl Harbor?«
Zustimmend nickten wir drei.
»Na das ist was anderes.« Tom verstummte für einen kurzen Augenblick und begann zu grinsen. »Ich habe da eine Idee. Dafür muss ich aber erst noch ein paar Telefonate führen, doch den einen kann ich um diese Uhrzeit nicht machen, also wartet bis morgen, dann erzähle ich euch mehr.«
»Wir möchten Ihnen aber keine Umstände machen, Herr McAllister«, antwortete meine Mutter ihm.
»Ach Quatsch, Lily«, mischte sich nun auch mein Vater ins Gespräch mit ein. »Lass den Jungen doch ein wenig telefonieren. Der kennt sich doch bestens auf den Inseln aus und wir wollen Lars doch was Gutes mit der Reise tun, oder?«
»Ja, aber …«
»Kein Aber! Tom sagt uns morgen, was er geplant hat.«
»Johannes … die Hochzeit ist schon in einer Woche.«
»Eben! Also noch genug Zeit fürs Reisebüro, und jetzt hätte ich gerne mal die Wurst.«
»Oh verflixt! Ich habe das Kleid vergessen«, stieß ich aus. »Nächste Woche muss ich unbedingt noch mal nach Bremen düsen und mir das Kleid holen.«
»Mach das Kleine«, sagte mein Vater, stopfte sich eine Wurstscheibe in den Mund und stand dann auf. Er bedeutete auch meiner Mutter, den Tisch nun zu verlassen.
Kaum, dass die beiden weg waren, erhob sich Tom ebenfalls und stellte sich hinter mich. »Engel … schließ bitte deine Augen.«
Wie selbstverständlich hob er mir die Haare von den Schultern, ohne meine Haut jedoch dabei zu berühren, und ließ sie locker an meinem Rücken herabsinken. Dann fühlte ich eine Kette auf meiner Brust. Meine Hand griff nach dem kühlen Metall und erfühlte dabei einen Anhänger.
Tom flüsterte mir ins Ohr: »Du kannst sie wieder öffnen, Engel.«
Doch ich konnte nicht! Bilder schossen wie Blitze durch meinen Kopf:
Eine in blau leuchtendes Licht gehüllte Eule stieß kreischend vom Himmel hinab auf eine Gruppe Menschen. Ich hörte das Gekreische des Vogels und das schmerzverzerrte Stöhnen eines Mannes. Ich fühlte die aufkeimende Angst in mir. Vor meinem geistigen Auge sah ich golden schimmernde Augen aufflackern, die sich in schwarzer Dunkelheit verloren. Den Duft von Sandelholz nahm ich wahr und spürte, wie die Angst in mir überhandnahm. Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich wusste, dass jemand der für mich wichtig war, an der Grenze zum Tode stand und ich hatte nur noch den einen Wunsch: Ich wollte zu ihm.
Die Bilder verschwanden im Nichts und ein starker Kopfschmerz füllte die Leere aus.
Durch eine Nebelwand hindurch hörte ich eine mir unbekannte Singstimme flüstern: »Sein Leben weilt in deinen Händen.«
Toms Stimme drang zu mir durch: »Nina, Engel. Du kannst deine hübschen Augen jetzt wieder öffnen.«
Meine Augenlider zitterten, wollten sich aber nicht öffnen lassen. Zu stark war der Schmerz in meinem Kopf.
»Nina!« Toms Stimme wurde ungeduldiger. Er legte seine Hand auf meine Schulter und rüttelte sanft an ihr. »Open your Eyes …«
Krampfhaft kämpfte ich gegen den Schmerz an und riss meine Augen auf. Das helle Tageslicht blendete mich und mit jedem Blinzeln verschwand die Erinnerung an die Vision mehr und mehr.
»Hey, du hast mir gerade schon wieder einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, sagte Tom vorwurfsvoll.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Astrid Rose
Bildmaterialien: Astrid Rose, Umschlagsgestaltung von Casandra Krammer unter Verwendung mehrerer Bilder von kuschelirmel-stock@deviantart.com und lostandtaken.com
Lektorat: H. P. Kleinknecht und Astrid Rügamer
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2012
ISBN: 978-3-7309-0022-2
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