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Kurzgeschichte

Die Sonne senkte sich bereits, als ich den kleinen Kiosk betrat. Kai erwartete mich schon und auf meine Frage, was wir heute Abend machen würden, antwortete er mit rauer Stimme: »Wir gehen heute zu einer Geburtstagsparty.«

 

»Wer hat denn Geburtstag?«, fragte ich neugierig nach. Ich war zwar schon ein Weile mit Kai zusammen, doch weder kannte ich seine Freunde, noch ihn wirklich.

 

»Den kennst du nicht. Ist ein  alter Klassenkamerad«, bei diesen Worten, schnappte Kai sich meine Hand und zog mich mit. 

 

Drei Straßen weiter hielt er inne. Er sah sich um und schob mich durch eine Hecke hindurch in die dunkle Ecke eines Vorgartens. Behutsam drehte er mich zu sich herum und streichelte mir sanft über mein Gesicht. Seine braunen Augen glänzten heller als die untergehende Sonne, als er mich ansah. Sanft berührten seine Lippen, die meinen und seine Hand streichelte mir dabei zart über meinen Rücken. 

 

Ich genoss diesen kleinen Augenblick der Zweisamkeit, denn ich wusste, er würde nicht länger anhalten, als dass eine Biene vom Nektar einer Blume kostete. 

 

Kai ließ seinen Kopf zurückfallen und sah mich mit dunkelbraunen Augen an. »Du gehörst zu mir, vergiss das nie«, keuchte er und küsste mich abermals. Diesmal jedoch fordernder.

 

Ein paar Minuten später betraten wir einen anderen Garten, indem die Party schon in vollem Gange war. Während er sich prima mit den Leuten aus seiner Clique unterhielt, stand ich wie schon oft zuvor unbeachtet neben ihm. Zum Trost trank ich genüsslich einen Weinbrand nach dem anderen. 

 

Zügig nahm ich den letzten Schluck aus meinem vierten Becher, hielt es für einen Moment fest und sah auf den weißen leeren Grund. Plötzlich griff eine Hand nach dem Behälter, entnahm es mir und überreichte mir dafür ein volles Glas. Neugierig sah ich auf und blickte in hellblaue Augen, die mich anstrahlten.

 

»Du sahst so verloren aus. Da dachte ich mir ich leiste dir ein wenig Gesellschaft. Ich bin Gerrit.«

 

»Und ich bin vergeben«, antwortete ich lapidar.

 

Gerrit lachte auf »Ich weiß. Du bist die Freundin von Kai. Aber sag mal, wo steckt der überhaupt?«

 

Ich sah hinter mir, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. »Eben war er noch …« Von Kai war keine Spur mehr zu sehen. In einem Anfall von Zorn kippte ich den Whiskey in einem Zug hinunter und musste aushusten, denn selbst für mich war ein Doppelter nicht alltäglich.

 

Gerrit und ich unterhielten uns eine ganze Weile, oder besser gesagt, er unterhielt mich, während ich ihm fasziniert lauschte. Er erzählte mir, dass er Kai bereits seit zwanzig Jahren kannte. Er sah ihn zum ersten Mal, als dieser nass triefend aus einer Pfütze aufstand, in die er kurz zuvor gefallen war. Gerrit konnte sich ein Lachen nicht verkneifen »Der sah aus, als wenn seine Mutter mit ihm den Boden aufgewischt hätte.« 

 

Nach einer Weile steuerte Kai wieder auf mich zu. Als er Gerrit erblickte, wurde er puterrot »Was willst du denn hier?«, schnauzte er ihn an. »Ich hab dir doch gesagt, dass du mir aus dem Weg gehen sollst, wenn dir dein Leben lieb ist.«

»Stimmt, das hast du gesagt …« 

 

»Gerrit war so nett und hat mir was zu trinken gebracht«, schaltete ich mich ein und hielt meinem Freund den Becher vor die Nase. 

 

»Kai kommst du endlich. Wir müssen los«, rief ein Junge, von dem ich nur wusste, dass er Michael hieß, zu uns herüber.

 

Kais Gesicht verdunkelte sich. »Ich muss los. Such dir jemanden, der dich nach Hause bringt«, befahl er mir nahezu. Der Kuss, den er mir gab, war weniger mir gewidmet, als Gerrit. Kais Lippen pressten sich auf meinen Mund und seine Zunge leckte mir über die Zähne, bevor er sie in meine Mundhöhle schob. »Bis morgen«, flüsterte er. Bedachte Gerrit mit einem kalten Blick und verschwand in der Dunkelheit.

 

Da es schon spät war, fragte ich Gerrit, ob er mich nach Hause bringen könne und dieser stimmte nur zu gern zu. Er besorgte noch schnell eine Flasche Sekt, und dann verschwanden auch wir in die sommerliche Nacht.

 

Auf dem Weg nach Hause kamen wir an einem Spielplatz vorbei. Dort setzte ich mich, angeheitert, wie ich war, auf eine Schaukel und Gerrit schupste mich an. Er musste wohl auch etwas zu viel getrunken haben, denn der Schwung, den er mir gab, ließ mich regelrecht von der Schaukel fliegen, und so landete ich mit dem Gesicht voran, im weichen Sand.

 

Schnell kam er zu mir geeilt und besah sich meine rote Nase »Wie kann ich das nur wieder gut machen?«, fragte er.

 

»Indem du mich küsst.«

 

Gerrit tat wie geheißen und so fanden sich unsere Zungen alsbald in einem kleinen Spiel wieder. Meine Hände wanderten zu seinem T-Shirt und schoben es über seinen Kopf. 

 

Er verstand die Aufforderung und schob mir meine Träger von den Schultern, um einen sanften Abdruck seiner Lippen auf meiner Schulter zu hinterlassen. Für einen kurzen Augenblick hielt er inne und sah mir tief in die Augen. Sein Blick fragte mich, ob er wohl weitergehen dürfte, und mit einem intensiven Kuss, gab ich ihm zu verstehen, dass er es durfte.

 

Nur Minuten später lagen wir erschöpft beieinander und besahen uns den hellen Sternenhimmel.

 

Ein Geräusch ließ uns irgendwann aufschrecken. Eiligst rückten wir unsere Kleider zurecht und liefen den Rest des Weges zu mir nach Haus. 

 

Gentleman, wie Gerrit war, brachte er mich noch bis zu meiner Tür und verabschiedete sich mit einem leichten Kuss.

 

Erst am nächsten Abend wachte ich mit tierischen Kopfschmerzen auf, die durch das Brüllen von Kai nur noch verstärkt wurden. 

 

Wutschnaubend schmiss er die Tür zu meinem Zimmer auf und schnaubte nur: »Verdammt! Musste das sein?« Noch, bevor mir bewusst wurde, was er von mir wollte, schleuderte er mir meinen roten Slip vom Vorabend vor die Füße.

 

Mit einem Schlag war ich hellwach und die Erinnerungen waren wieder da. Gerrit! Oh, verdammt, was habe ich nur gemacht?, hämmerte es in meinem Kopf. Ein Stich durchzog meine Schläfe, und ich rieb mir meine Stirn.

 

»War das nötig? Musstest du dich wirklich von ihm verführen lassen?« Er zeigte auf das rote Stück Stoff zu meinen Füßen. »Das hätte ich echt nicht von dir gedacht!« Jedes seiner Worte erhöhte den Schmerz in meinem Kopf.

 

»Na und?«, brüllte ich ihn an. »Wo ist dein Problem?« Mir war in diesem Moment alles egal. Hauptsache er verschwand, und ich konnte mich in meinen Schmerzen aalen.

 

Doch anstatt sich verjagen zu lassen, sah Kai mich entsetzt an. »Mein Problem? Du bist meine Freundin …«

 

»Ach, davon habe ich gestern nicht viel gemerkt«, fiel ich ihm ins Wort. »Wo warst du denn bitteschön? Bei mir jedenfalls nicht.«

 

»Ich hatte anderweitig meinen Spaß«, antwortete er flapsig, drehte sich um und spazierte hocherhobenen Hauptes aus meinem Zimmer.

 

Flugs ging ich zum Fenster hinüber, öffnete es und rief ihm hinterher »Fahr zu Hölle! Verschwinde und komm nie wieder her!« 

 

»Mach ich! Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, rief er, ohne sich umzudrehen. Er hob lediglich seine rechte Hand und zeigte mir den Mittelfinger. »Den kannst du Gerrit ausrichten!« 

 

Wut übermannte mich und in meinem Groll griff ich nach der Topfpflanze und warf sie ihm hinterher. Ich wartete noch nicht einmal das Scheppern ab, sondern knallte das Fenster sofort wieder zu und ließ mich auf den Boden gleiten. Mein Kopf dröhnte und der Zorn in mir sackte zusammen. Er hinterließ eine Spur von Trauer und Verzweiflung. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Gerrits Gesicht schob sich in meine Gedanken und vertrieb die Trauer über den Verlust von Kai. Für einen Augenblick schwelgte ich in der Erinnerung an diese kurzen Momente der Zusammengehörigkeit.

Wie er mich küsste, berührte, und mich nahm … mich nahm - Shit!, durchfuhr es mich. Ich rappelte mich auf, lief zu meinem Laptop und googelte. Sofort wurde ich fündig: Die Pille danach sollte innerhalb von 24 Stunden eingenommen werden. Ich musste also sofort zum Arzt.

Wenn Papa das erfuhr, würde er mir die Hölle heißmachen, kam mir in den Sinn. Seine geliebte Tochter hat ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem fremden Jungen. Ich hörte ihn schon fluchen: »Habe ich dir nicht oft genug gesagt, wie gefährlich das ist?«

 

 

Sofort schnappte ich mir meine Tasche und lief hinunter in die Küche. Dort füllte ich mir ein Glas mit Wasser und warf zwei Aspirin rein.

 

Meine Mutter rief vom Wohnzimmer aus: »Kai ist am Telefon.«

 

»Frag du ihn bitte, was er möchte« Ich griff nach dem Glas, leerte es in einem Zug und ging dann in den Flur. 

 

»Ich soll dir sagen, dass du dir gut überlegen sollst, was du als Nächstes tust. Gerrit sei nicht gut für dich«, rief sie jetzt.

 

Für einen kurzen Moment hielt ich inne. Es ärgerte mich, dass ausgerechnet Kai, der sich sonst nicht um meine Gefühle kümmerte, sich jetzt Gedanken über mein Wohlbefinden machte. Und doch fand ich seine Eifersucht irgendwie süß. Aber mein jugendlicher Leichtsinn überwiegte. Warum nicht?, dachte ich mir. Soll er doch schmoren.

Kurzerhand öffnete ich die Tür, drehte mich halbwegs um und rief in Richtung meiner Mutter. »Er soll dranbleiben. Ich komme gleich.« Dann drehte ich mich wieder in Richtung der geöffneten Tür und prallte mit meinem Kopf gegen einen Blumenkübel.

Wie blöd kann man sein, eine Blumenampel direkt in den Eingang zu hängen?, ärgerlich rieb ich mir die Stirn.

 

»Entschuldige. Jetzt habe ich dich schon wieder verletzt«, flüsterte Gerrit hinter dem Blumentopf hervor. »Wirfst du eigentlich immer deine Pflanzen aus dem Fenster, wenn du sauer auf deinen Freund bist? Wenn ja, überleg ich mir lieber nochmal, ob ich wirklich einen Versuch bei dir starten will.«

 

»Ich … Ja … Nein … Sag das noch mal, bitte.« Mein Kopf hämmerte immer noch.

 

»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Und ich wollte auch nicht, dass Kai den Slip findet. Er war bei mir, um mir zu danken, dass ich dich nach Hause gebracht habe. Tja, und da hat er ihn entdeckt …«

 

Ich schüttelte nur meinen Kopf. Er sieht so süß aus, wenn er redet.

 

Betrübt blickte er mich an. »Oh, du meinst, das mit dem Versuch. Nun ja, Probieren geht über studier…«

 

»Komm her …« Ich lächelte ihn frech an, zog ihn nah an mich und küsste ihn leidenschaftlich.

 

»Heißt das, dass wir jetzt zusammen sind?«, fragte er, als sich meine Lippen wieder von den Seinen gelöst hatten. 

 

Meine Antwort bestand aus einem noch intensiveren Kuss.

 

»Und was ist mit Kai?«, murmelte er zwischen zwei weiteren Küssen hindurch.

 

»Moment!« Ich drehte mich wieder in Richtung Haus und rief hinein: »Mom, sag Kai, er soll hingehen, wo der Pfeffer wächst. Ach, und noch was, ich geh mit Gerrit kurz in die Stadt.« Sachte zog ich die Tür hinter mir zu und ging Arm in Arm mit Gerrit in ein Bistro. 

 

Die nächsten Tage waren ein Traum: Gerrit trug mich auf Händen. Bei jeder Gelegenheit machte er mir Komplimente, überschüttete mich mit Geschenken und war stets freundlich. Seine Berührungen waren zärtlich. Seine Worte sanft und seine Augen leuchteten stetig. Jeden Abend verbrachten wir miteinander, und wenn die Sonne den Horizont berührte verabschiedete er sich nur, um nach Einbruch der Dunkelheit durch mein Fenster zu klettern, um auch die Nacht mit mir zu verbringen. 

 

Drei Wochen später bemerkte ich die ersten Anzeichen: Mir wurde übel, meine Brüste spannten und zu guter Letzt blieb meine Periode aus. Als der Test dann zwei Striche offenbarte, war es amtlich: Ich war 17 und ich war schwanger!

 

»Das kann nicht sein«, keuchte Gerrit.

 

»Ist es aber … du siehst es doch selbst«, sagte ich, immer noch fassungslos. »Und es kann auch nur von dir sein. Mit Kai habe ich nie geschlafen.«

 

Gerrit kam zu mir rüber und nahm mich in den Arm. Leise flüsterte er mir zu: »Es ist ein Wunder.« Er schob mich von sich fort und sah mich freudig strahlend an. »Ein Baby … wir kriegen ein Baby. Das muss ich gleich meinen Leuten erzählen. Die werden es auch nicht glauben.« Er küsste mich noch forsch und ging dann hinaus in die Dunkelheit.

 

Die erste Nacht verbrachte ich wach, mit Sorgen behaftet, allein in meinem Bett. Die zweite Nacht verbrachte ich aufgewühlt, voller Sorgen, einsam in meinem Bett. Die dritte Nacht verbrachte ich aufgebracht, mit Wut im Bauch, einsam und allein, in meinem Bett.

 

Der vierte Tag nach dem Test brach an und Gerrit war immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Sein Handy war abgeschaltet, und zu Hause besuchen konnte ich ihn auch nicht, da ich noch nicht mal seine Adresse kannte. Ziellos lief ich durch die Stadt, machte an den Stellen Halt, an denen ich mit ihm gewesen war. Befragte, die Leute, die ihn kannten. Aber niemand konnte oder wollte mir sagen, wo er war. 

 

Traurig ging ich zu dem Spielplatz, auf dem wir uns das erste Mal geküsst hatten. Dort setzte ich mich in den kühlen Sand und ließ die feine Erde zwischen meinen Fingern durchgleiten. Das Gesicht Gerrits spiegelte sich vor meinem inneren Auge wieder. Es dauerte nicht lange und die ersten Tränen rollten über meine Wange. Ja langsam, ganz langsam wurde mir bewusst, dass ich ihn nie wiedersehen würde.

 

Der Abend nahte, und der Gedanke wieder allein in meinem Bett zu schlafen, zerriss mir mein Herz. Mir blieb die Luft weg, und ich keuchte meine Trauer förmlich heraus. Tränenüberströmt brach ich zusammen und wühlte mich durch den Sand. Irgendwann schlief ich erschöpft auf dem kalten Boden ein.

 

Als eine Hand sich sanft um meine Hüfte schob und starke Arme mich anhoben, wachte ich auf. »Ich wusste doch, dass er nicht gut für dich ist, aber du wolltest ja nicht auf mich hören«, hörte ich jemanden flüstern.

 

Irritiert blickte ich in die braunen Augen von Kai. 

 

»Gerrit ist für niemanden gut. Er ist ein verdammter Blutsauger. Wer sich auf ihn einlässt, kann sich auch gleich einmotten lassen.« Zärtlich küsste Kai mir die Tränen von den Augen, breitete seine Flügel aus, und trug mich in den Sonnenaufgang hinein.

 

Impressum

Texte: Astrid Rose
Bildmaterialien: Bookrix
Tag der Veröffentlichung: 08.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

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