Cover

VON DEN GEFAHREN MAGISCHER TRÄUME

 

 

 

 von ALEX CARPENTER

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Text & Cover © 2017 by Alex Carpenter

Vervielfältigung und Nachdruck, auch in Auszügen, sind nur mit Genehmigung der Autorin gestattet.

 

Creator Management

P. Seidel

Volpertusstraße 14

51105 Köln

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Prolog

  1. Die Zombieplage
  2. Der Tod hat viele Gesichter
  3. Ist Töten immer eine Option?
  4. Die Bande des Ebolarus Snorks
  5. Das Geheimnis der Nakels
  6. Nur eine Nervensäge?
  7. Über den Tod hinaus
  8. Zeit für Fragen an sich selbst
  9. Welch friedlicher Ort
  10. Die müssen alle sterben!
  11. Wo ist Shalyshilaih abgeblieben?
  12. Ein Gottesdienst mit unbekannten Folgen
  13. Die Lösung aller Probleme?
  14. Der wandelnde Geist
  15. Der kreisförmige Fluss
  16. Alles und Nichts für Jeden und Keinen
  17. Gewissenskonflikt
  18. Die Vielhundertjährige
  19. Die geheimnisvolle Insel
  20. Der Plan
  21. Planänderung
  22. Die letzte Entscheidung
  23. Überraschung, Überraschung!
  24. Allein!
  25. Die Geheimnislöser
  26. Der Olgypter
  27. Die Geschichte des schwarzen Kristalls
  28. Der Prinz der Schnuffelnippler
  29. Der Chronist in der Zollstation
  30. Grenzüberschreitungen
  31. Prinzessin in Not
  32. Das Ultimatum
  33. Gerüchte und andere Wahrheiten
  34. Der Wald der Träume
  35. Die Drei mit der Kiste
  36. Manchmal siegt das Böse
  37. Die Täuschung
  38. Ein verlockendes Angebot
  39. Der Richter hat entschieden

Prolog

 

Der letzte Tag in Chambalon.

Marcos Rückkehr, so plötzlich und unerwartet vor dem Tempel stehend, ins Licht der aufgehenden Sonne getaucht, hatte für reichlich Alarm unter der Priesterschaft gesorgt.

Nachdem man sich vergewissert hatte, dass das Zeichen – ein geschlossenes Auge, kunstvoll verziert – auf der Stirn des Eindringlings echt war und somit feststellte, dass zum ersten Mal ein Auserwählter zurückkehrte, geleiteten ihn eine Priesterin und zwei Krieger des Ordens zum Palast.

Während einer relativ kurzen "Notfall-Audienz" in den Gemächern der Sommerkönigin, bei der ihr Marco unter anderem versicherte, dass Chambalon und ihre Regentschaft weiterhin unter dem Schutz des Träumenden standen, lobte sie vor allem seine Opferbereitschaft und Treue.

Danach führte man den Deutschen zu seiner Unterkunft.

Während die Krieger vor seiner Tür Aufstellung nahmen, winkte er die noch junge Nalepe zu sich herein. Kaum hatte die Priesterin die Suite betreten und er die Tür geschlossen und sie gebeten, Platz zu nehmen, verlangte er von ihr ohne große Umschweife Informationen zum Stand der Vorbereitungen und über die neuen Auserwählten.

Bereitwillig setzte sie ihn ins Bild, aber ihr Wissen war begrenzt. Zu Amar ten Draaken wusste sie zu berichten, dass er dem Gott Verzinksie diene und in der Garde seines Ordens den Rang eines Feldwebels einnehme. Persönlich, so fügte sie an, mache ihr ein Blick in seine schwarzen Augen Angst. Seine Zurückhaltung, auch gegenüber den anderen Auserwählten, und die unauffällige Art verstärkten in ihren Augen das negative Gesamtbild, welches sie sich von ihm gemacht hatte. Ihren – rein zufälligen – Beobachtungen zufolge war Amar nur an einer Person interessiert, aber nicht, um deren Freund zu werden, wenn sie seine Blicke richtig interpretiert hatte, obwohl beide von der Welt Mhygram stammten. Vielleicht mochte er Ravio Conkaaf nicht, weil dieser ein Zauberer war, vielleicht auch nur wegen dessen Arroganz.

Anjina gehörte ebenfalls einer religiösen Gemeinschaft an und diente der Weißen Göttin. Außer ihrem guten Aussehen war Nalepe nur deren Sturheit aufgefallen.

Der Riese namens Olait war, laut eigener Aussage, Sohn eines Ogers und einer Wüstenelfe. Jedem war in diesem Fall sofort klar, von wem er die geringe Intelligenz und von wem er sein abstoßendes Äußeres geerbt hatte. Diese Handicaps hatten wahrscheinlich großen Anteil daran, dass der arme Kerl auch mit sich selbst sprach, wie ihr verschiedentlich aufgefallen war.

Jedoch die auffälligste Person war zweifelsohne die dunkelhäutige Shalyshilaih, mütterlicherseits Waldelfin, Anhängerin der Waldgöttin Mashimass, und trotz ihrer ebenfalls schwarzen Augäpfel und der weiß geschminkten Lippen eine absolute Augenweide. Ihre langen weißen Haare trug sie als Zopf, dessen obere Hälfte geflochten war, und kleidete sich nur in eng anliegendes Leder. Seit sie hier war, hatte sie die meiste Zeit in den umliegenden Wäldern verbracht, wie auch die anderen Auserwählten eigentlich nie etwas gemeinsam unternommen hatten, soweit sie wusste.

Immer wieder hatte er Nalepe mit gezielten Zwischenfragen unterbrochen, sich ein Bild der Lage und der Gruppe gemacht. Was ihn wirklich aufmerken ließ, war der Name Ulf Karsten Schmidt.

'Könnte ein Landsmann sein', dachte der Kölner amüsiert.

Dem war tatsächlich so.

Mit ernster Miene ließ sie ihn wissen, der ältere Mann trage das Zeichen eines Schlangendämons auf der linken Schulter, weshalb sie Marco riet, auf ihn ein besonderes Augenmerk zu legen, und das nicht nur, weil der angebliche Illusionist jedem Weiberrock hinterher lief, worauf der Paladin ihr mit einem Lächeln versprach, dem Deutschen mit gebotener Skepsis zu begegnen. Und bekräftigte dieses Versprechen innerlich, denn die folgende Information beinhaltete die Sorge wegen Ulfs Drogenkonsums.

Nur über "geheime" Kräfte der Sucher wusste Nalepe nichts, da sie bis zu diesem Zeitpunkte gar nicht gewusst hatte, das diese solche überhaupt besaßen oder besitzen sollten.

Seine darauffolgenden Anweisungen wurden widerspruchslos umgesetzt, selbst die Verhaftung einer gewissen Priesterin wegen Verrats und Spionage.

Im Gesicht den Ausdruck tiefer Zufriedenheit legte er das ominöse "Schlüssel-Suchgerät", nach dem der Kölner ebenfalls verlangt hatte, auf dem Tisch und kraulte seinem Tiqua den Nacken.

»Geht doch«, lobte er sich quasi selbst. Obwohl seine Hände bei diesem Gedanken nur kurz innehielten, protestierte Maurice sofort mit einem wirklich herzerweichenden Mauzen, welches den gewünschten Erfolg erzielte.

»Schon gut, kleiner Mann, geht ja schon weiter.«

 

Während Ravio den Inhalt der unzähligen Taschen an der Innenseite seines Umhangs und die restliche, nicht gerade umfangreiche Ausrüstung zum dritten oder vierten Mal überprüfte, fragte er sich, was wohl passieren würde, sollte er sich letztendlich doch noch weigern, an diesem wahnsinnigen Unternehmen teilzunehmen. Natürlich hatte er nicht vor, eine Antwort auf diese Frage zu provozieren, schließlich wollte er sich die Chance, seinen Halbbruder Rayton zu finden, nicht entgehen lassen. Nachdenklich hielt er inne, ging zum Fenster und sah hinaus auf die Stadt. Die Betriebsamkeit der Wesen dort unten wirkte beruhigend auf ihn, bis sein Blick auf einen bestimmten Mann fiel.

'Was er wohl vorhat?', sinnierte Ravio und spielte nervös mit seinem geflochtenen Kinnbart, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Seine Augen starr auf den Mann gerichtet, der sich bereits auf Mhygram als hartnäckiger Verfolger erwiesen hatte, überlegte Ravio, ob er aktiv werden sollte, um dieses gefährliche "Anhängsel" endgültig loszuwerden.

 

Nicht weit von der Unterkunft des Zauberers entfernt betete der frischgebackene Paladin zu seiner Gottheit, auf seine spezielle, nicht sehr unterwürfige Art, denn er war wütend. Statt zu knien, lief er erregt in seiner kleinen Suite auf und ab und sprach dabei mit "seiner" Kumai-Kaan, als wäre sie anwesend.

Als von einer Zehntelsekunde zur nächsten die Prinzessin neben ihm auftauchte, hielt er überrascht für einen Moment inne und ärgerte sich dann weiter.

Alle Schlüssel – bis auf drei – und die Figur von Kali-Nero waren weg, doch am schlimmsten wog der Verlust des Würfels und seines Freundes Alfrado. Außerdem wusste er noch nichts von seinen neuen Kräften, über welche er als Paladin eigentlich verfügen sollte. Hatte Sie ihm überhaupt welche verliehen?

Im "Tausch" diesen Beutel mit merkwürdigen Würfeln bekommen zu haben, tröstete ihn nicht im Geringsten. Nur die neue "Verzierung" am Ende des Schwertgriffs gefiel ihm. Das Gesicht des Frauenkopfes ähnelte Glammron. Oder sollte es sie gar darstellen?

»Bei Kmilishys Brüsten! Seid Ihr es wirklich, Meister?«

Bevor Marco antworten konnte, stand sie plötzlich vor ihm und umarmte ihn innig, küsste ihn zärtlich auf den Mund, wobei sie ihn spüren ließ, wie lange sie ihn vermisst hatte.

Für einen kurzen Augenblick ließ er sie gewähren, befreite sich schließlich sanft von ihr.

»Gemach, meine kleine wilde Stute, ich bin jetzt ein Paladin. Hübscher Rock! Passt gut zu Eurem Lederwams.«

»Ihr schmeichelt mir. Wo sind wir hier, Meister, und was ist passiert seit Eurem Verschwinden?«

»Wir sind in Chambalon. Hier begann meine "Reise" vor ungezählten Tagen, und morgen startet hier das Remake.«

»Heißt das, Ihr reist weiter durch Seine Träume und ich darf Euch die ganze Zeit begleiten?«

»Nicht nur mich.«

»Oh, wie süß! Ich wusste gar nicht, dass Ihr Euch auch um Kleintiere kümmert.«

»Hab ich das nicht schon bewiesen, als damals Euren süßen Arsch rettete? Vorsicht, Maurice hat es faustdick hinter den Ohren!«

»Dann müsst Ihr ihn dort mal ordentlich waschen.«

»Sehr witzig, doch falls Ihr nicht immun gegen sein Gift seid, solltet Ihr seine Nähe meiden. Außerdem ist noch ungeklärt, welches Geschlecht Maurice hat.«

»Dann sehen wir doch mal nach.«

Schon lag der Tiqua in ihrer Armbeuge, ließ sich den Bauch kraulen und schnurrte zufrieden.

»Anscheinend hat er begriffen, dass größere Wesen nicht automatisch Gefahr bedeuten«, bemerkte Marco.

»Er ist eindeutig ein Kater. Wie seid Ihr eigentlich darauf gekommen, ihn Maurice zu nennen?«

»Nun, die Neutralität und mein Bauchgefühl. Warum, ist Euch ein besserer eingefallen?«

»Nein, Ihr versteht mich falsch. Ich liebe diesen Namen und seinen Besitzer. Als Kind hatte ich auch einen Tiqua als Haustier, aber irgendwann war Glutixx, so hieß er, spurlos verschwunden.«

»Vielleicht eine Eigenart, von der wir nichts wissen.«

»Ja, vielleicht.«

»Es gibt noch weitere Begleiter, um zum Thema zurückzukehren. Es werden mindestens sechs sein und ich habe vor, zumindest eine Zeit lang, auf sie aufzupassen. Mit Eurer Hilfe natürlich.«

»Meister, Ihr glaubt gar nicht, wie glücklich ich in diesem Moment bin«, strahlte sie den Deutschen an.

»Allerdings muss ich gleich in die Stadt, obwohl meine Hoffnung, hier fündig zu werden, eher gegen Null geht. Und Alfrado kann mir auch niemand ersetzen.«

»Ihr habt den Würfel verloren? Wie schrecklich!«

»Ich vermisse ihn auch, seine Art, mir ins Gewissen zu reden ....«

»Ich rede nicht von Eurem Diener! Aber dieser Luxus, die ausgewählten Speisen, die Kleider ....«

»Sprecht nicht so oder ich bitte Kumai-Kaan, Euch wegen Undankbarkeit woanders hinzuträumen.«

»Natürlich fehlt er mir auch. Seine Höflichkeit, seine Freundlichkeit ....«

»Schon gut, ich kannte ihn länger.«

»Wie Ihr wünscht, geliebter Meister«, schnurrte sie und kümmerte sich wieder um das kleine Bündel auf ihrem Arm.

 

Der Ausflug in die Stadt erregte zwar, zunächst im Palast, das erwartete Aufsehen, führte aber nicht zum gewünschten Ergebnis. Chambalon war noch immer keine Stadt für Zauberer oder gar Magier.

Enttäuscht kehrte der Kölner in seine Unterkunft zurück und freute sich umso mehr über eine Nachricht, während seiner Abwesenheit hinterlegt, in welcher ihm ein Gegenstand, wie er einen suchte, angeboten wurde. Kumai-Kaan war doch mit den Seinen.

 

Ravio näherte sich der Vorhalle, im Kopf rekapitulierend, welche Utensilien er noch einkaufen wollte, als Feldwebel ten Draaken auf ihn zu kam. Beide Hände bereits in bestimmten Innentaschen seines Umhangs blieb er stehen und sah dem Krieger vom Orden der Hüter des wahren Glaubens trotzig entgegen. Wenn es hier und jetzt sein sollte, er war bereit.

Doch der Feldwebel der schwarzen Garde hatte anderes im Sinn, suchte nicht die Konfrontation.

»Hört mir kurz zu!«, kam er ohne Umschweife zur Sache. »Aufgrund der Umstände halte ich es für das Beste, wir lassen die Vergangenheit ruhen, bis wir das hier lebend überstanden haben. Lasst uns bis dahin eine Art Waffenstillstand schließen, was sagt Ihr dazu?«

Ravio versuchte im Gesicht des anderen zu lesen, eine Misstrauen weckende Zuckung zu entdecken. Es schien keine zu geben.

»Soviel Vernunft hätte ich Euch gar nicht zugetraut, Feldwebel. Also gut, schließen wir einen Frieden auf Zeit.«

 

Marco betrat die Schaumkrone, angeblich das beste Lokal der Stadt, allein, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden. Vergebens.

Kaum hatten ihn die ersten Gäste in dem überraschend vollen Laden an seiner "Tätowierung" auf der Stirn erkannt, ließen sie ihn hochleben, viele wollten ihm ein Bier ausgeben, ganz Verwegene klopften ihm auf die Schulter. Er blieb freundlich, bis der Wirt und seine Angestellten für Ruhe sorgten.

Während der Wirt dem Deutschen noch versicherte, wie groß die Ehre seines Besuchs sei, erblickte Marco eine rothaarige Frau. Die extrem helle, fast weiße Haut ihres Gesichts, umrahmt von einer Flut roter Locken, ließ sie zerbrechlich wirken und bannte seinen Blick.

Sie saß direkt in der Ecke, hatte in selbiger ihren Kampfstab aus dunklem Holz abgestellt, und sah ihn mit ihren hellgrünen Augen an. Dazu der Anflug eines Lächelns und er setzte sich in Bewegung, ohne weiter auf den Wirt zu achten. Sie begrüßte ihn mit den Worten:

»Schön, dass Ihr doch noch gekommen seid.«

Marco setzte sich, bestellte bei dem ihm nachgeeilten Wirt einen Krug des besten Weines, antwortete der Rothaarigen.

»Wird sich noch zeigen. Wie kommt es, dass Ihr hier so unbehelligt herumsitzt? Sind es Eure schlagkräftigen Argumente oder die Anziehungskraft Eurer Augen?«

»Weder noch. Ich bin Anjina, eine der Auserwählten. Niemand würde es wagen, mir hier Probleme zu bereiten.«

»Fordert mich besser nicht heraus. Woher wisst Ihr, was ich suche?«

Erneut der Anschein eines Lächelns auf ihrem Gesicht, doch ohne jede Wärme.

»Woher ich meine Informationen bekomme, geht Euch nichts an.«

»Hm, verstehe. Habt Ihr ihn bei Euch?«

»Natürlich nicht. Er besteht aus rötlichem Gestein und auf fünf Seiten ist ein Wort graviert. Auf der Sechsten sind zwei Augen zu sehen. Geschlossene Augen.«

»Hört sich gut an. Wie wäre Eure Preisvorstellung, sollten wir handelseinig werden?«

»Da kommen wir zu meinem Dilemma. Ich weiß, dass dieser Würfel wertvoll ist, kann jedoch seinen Wert nicht einschätzen. Erzählt mir zunächst, wozu er gut ist, damit ich sehe, dass Ihr mich nicht übervorteilen wollt.«

»Das habe ich nicht nötig. Aktiviert man den Würfel, verwandelt er sich in ein Gebäude. Je nach Ausstattung mit einem Diener und anderen Extras. Allerdings gilt zu beachten, dass jede falsche Anwendung die Magie schwächt. Wenn man Pech hat, ist er zerstört, bevor man ihn auch nur einmal nutzen konnte.«

Marco kam es so vor, als könne er förmlich hören, wie sich ihre Gedanken aneinander rieben, weil sie einerseits nicht schnell genug in ihren Kopf rein und andererseits nicht schnell genug wieder rauskamen.

»Und wie geht das?«

»Ich bitte Euch ....«

»Also gut, macht mir ein Angebot!«, forderte sie ihn auf.

»Ich weiß auch nicht, zu welchen Preisen diese Teile gehandelt werden. Wenn ich jetzt Dreißig sage und es stellt sich raus, es müssten eher Dreitausend sein, würdet Ihr doch bestimmt denken, ich hätte Euch betrogen. Macht Ihr einen Preis.«

»Wie könnte ich Euch blind vertrauen? Ihr seid nur der Paladin einer regionalen Pseudo-Gottheit, doch selbst, wenn ich dieses und meine nicht geringe Intelligenz unberücksichtigt lasse, würde es mir schwerfallen, keinen Betrug zu vermuten. Wie hört sich tausend Goldstücke für Euch an?«

Marco überging die Beleidigung und antwortete:

»Für mich gut, aber das sind mindestens zwanzig Kilo. Wollt Ihr Euch die ganze Zeit damit abschleppen?«

»Dann sollten wir besser unser kleines Geschäft verschieben, bis wir verbindliche Informationen besitzen.«

»Und was haltet Ihr von einem Tausch?«

»Und wogegen?«

»Wie wäre es mit meinem goldenen Seil?«

»Was kann das?«

Allein dieser herablassende Tonfall, mit dem sie fragte, erregte seinen Missmut. Langsam erhob er sich, konnte nicht umhin, noch zu sagen:

»Für Euch scheinen gewisse Prinzipien keinen Wert zu besitzen. Vielleicht kommt der Tag, da wäret Ihr froh, in meiner Gunst zu stehen. Stattdessen werdet Ihr mir den Würfel schenken wollen, doch ob ich ihn dann noch will? Ist er überhaupt soviel wert oder schätzt Ihr Euer Leben höher ein?«

Beim Verlassen gab der unterdrückt vor sich hinfluchende Deutsche dem Wirt eine Kupfermünze.

Diesem fuhr angesichts der finsteren Miene, welche der Kölner in diesem Moment unzweifelhaft zur Schau stellte, der Schreck in die Glieder und er stammelte zitternd eine Entschuldigung, aber Marco war bereits an der Tür.

Auf dem Rückweg zum Palast spielte der Deutsche mit dem Gedanken, die von ihm an die Auserwählten geschickte Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen abzusagen oder zumindest Anjina auszuladen, tat aber letztendlich keins von beidem. Hier war seine Geduld gefragt. Er ahnte nicht, wie recht er haben sollte. Doch dann fiel ihm jemand auf, den er schon fast vergessen hatte. Aber nur fast. Vierauge. Er versuchte dem Magier unauffällig zu folgen, doch dieser hatte ihn wohl auch erkannt, denn seine Schritte wurden schneller, bis er in einer schmalen Gasse verschwand.

 

Offensichtlich versprach sich der Magier von der Enge einen Vorteil, denn er wartete bereits auf den Kölner. Bevor Marco etwas tun oder sagen konnte, flogen ihm mehrere kleine Feuerbälle entgegen. Mit einem Lächeln blieb er stehen und zog, nachdem der Angriff auf seinen Verursacher zurückgeworfen wurde, sein Schwert.

Überrascht von dieser Wendung schaffte es Meister Machmut gerade so, sie mit einer Geste zu stoppen und dann verschwinden zu lassen, aber für einen neuen Angriff reichte es nicht. Er wollte fliehen, doch Marco war schneller und stieß ihm die Klinge in den Unterleib.

»Schön Grüße von meiner Frau«, raunte er ihm ins Ohr, nachdem er ihn mit der Linken an der Schulter gepackt und näher an sich ran gezogen hatte.

»Seid …. verflucht«, presste der Magier unter Schmerzen zwischen seinen Lippen hervor.

»Wie langweilig. Aber ich schenke Euch Eure Seele, wenn Ihr mir sagt, warum Ihr meine Frau töten wolltet.«

Statt zu antworten, spuckte Vierauge ihm ins Gesicht.

»Verstehe, Ihr habt meine Lüge durchschaut. Nun denn, so genießt, was Glammron nun mit Euch tun wird.«

Als der Magier anfing zu schreien, zog Marco das Schwert aus der Wunde und stieß es weiter oben in den zappelnden und sich krümmenden Körper.

Als der Deutsche die Gasse verließ, schmückte ein grimmiges Lächeln sein Gesicht.

 

Niemand leistete seiner Einladung Folge.

Nach einer angemessenen Wartezeit speisten der Paladin und die Prinzessin, doch bereits beim Löffeln der Suppe spürte die Mukishi, wie die wachsende Wut des Kölners der riesigen Enttäuschung den Rang ablief.

»Diese Suppe ist wirklich köstlich, findet Ihr nicht, Meister?«

»Dieses undankbare Pack!«

Hass schwang in seiner Stimme mit, ließ Ayshelay aufhorchen.

»Wie ich Euch kenne, habt Ihr nicht vor, diese Kränkung ungestraft zu lassen, oder liege ich da falsch, Meister?«

»Worauf Ihr einen lassen könnt! Ich überlege gerade, ob wir überhaupt mit der Gruppe reisen sollten.«

»Dann wollt Ihr sie nicht mehr unter Eure Fittiche nehmen?«

»Nein. Und da sich nach der Verhaftung dieser hinterhältigen Schlange diesmal keine Freiwilligen gemeldet haben, bin ich gespannt, wie dieser traurige Haufen die Sache angehen wird. Bedauerlich, dass der Berserker nicht mehr sein Unwesen treibt.«

Als er ihren verständnislosen Blick bemerkte, erzählte er ihr die dazugehörige Geschichte.

 

Glammrons Streicheleinheiten taten nicht nur seinem Körper gut. Doch sein Zorn auf Kumai-Kaan löste sich nur langsam auf, wie die Rauchwolke über einem aktiven Vulkan an einem windstillen Tag.

»Und wieso gab Sie den Würfel dieser verdammten Priesterin, nachdem Sie mir meinen nahm?«

»Sie dachte wohl, du verstehst ihre Art von Humor. Wundert mich, dass diese Priesterin nicht in der Lage ist, sich die Informationen anderweitig zu besorgen.«

»Du hast recht, das wäre das Erste, was ich versuchen würde, obwohl man auch mit etwas nachdenken darauf kommen kann, wie man den Würfel aktiviert. Vielleicht ist sie doch nicht so intelligent oder ....«

»Oder sie ist gar keine Priesterin im eigentlichen Sinne. Immerhin erhörte Sie deinen Wunsch nach Rache, welche ich übrigens sehr genossen habe. Doch nun vergiss diese Schlange. Götter geben und Götter nehmen«, vollendete Glammron seinen Gedankengang.

»Alles sehr mysteriös. Aber ich bin zuversichtlich, dass mein Spaßfaktor diesmal höher ausfällt, trotz dieser blutleeren Figur. Hat Sie dir eigentlich gesagt, wozu dieser Sack voll Würfel dient?«

»Die dienen der Unterhaltung. Das Spiel heißt ....«

»Echt jetzt?«

»Reingefallen! Nein, diese Würfel sind deine Verstärkung im Notfall. Ich erkläre es dir nachher, denn jetzt brauchst du etwas anderes.«

»Ach ja? Ach ja!«

01. Die Zombie-Plage

 

TAG I

Wie in einer Prozession wurde jeder der Auserwählten separat in einer Sänfte zur Anlegestelle getragen.

Nur Marco musste seine Sänfte mit zwei pelzigen Wesen teilen, aber er war ja auch nur der Paladin der veranstaltenden Gottheit. Der Kölner war überrascht, wie pompös die Verabschiedung diesmal ausfiel, denn es gab noch weitere Sänften mit diversen Würdenträgern.

Nur die Sommerkönigin erschien verständlicherweise nicht, da es mit der Ernennung zur Herrscherin ihr Schicksal wurde – zum Wohle ihres kleinen Landes – die Stadt erst wieder zu ihrem Begräbnis verlassen zu dürfen.

 

Nach einer größeren Zahl schier endloser Reden von fetten Politikern und unwissenden Mitgliedern des Ordens, befahl Marco dem Kapitän der nicht gerade schnell wirkenden Sharkonia, sie möglichst schnell von hier wegzubringen, da die Ausrüstung endlich verstaut war.

Verdutzt stammelte die eine Hälfte noch Glückwünsche – wofür auch immer – und die andere versuchte jeden noch so unwichtigen Furz zu segnen, wobei man sich des Öfteren ins Gehege kam.

Auf dem Schiff dagegen herrschte fast schon Stille, wenn man von den ständig wiederholten Befehlen der Decksoffiziere und den permanenten Geräuschen des Schiffes absah.

 

Marco und die Prinzessin standen etwas abseits der Gruppe und blickten auf die unendlich wirkend könnende Wasserfläche, wären da nicht diese unbezwingbaren, alles umspannenden, die einzelnen Ebenen begrenzenden Berge gewesen.

»Wisst Ihr nun, wie Ihr vorgehen wollt, Meister?«

»Nicht wirklich, aber passt ja gut auf meinen Rücken auf«, antwortete Marco und spuckte ins Wasser.

»Bei Kmilishys Feuerblick, seht nur .... da vorn .... Diese riesige Rückenflosse!«

Völlig unvorbereitet auf solch hektisch gestammelte Worte, unterstützt von heftigem Ziehen an seinem Arm, sah Marco erstmal gar nichts. Als er das Monstrum von einer Rückenflosse sah und mit welcher Geschwindigkeit sie auf das Schiff zukam, rief er reflexartig:

»Wir werden angegriffen! Alle Mann an die Waffen!«

Merkwürdigerweise scherten sich die Seeleute nicht um sein Geschrei, nur die Auserwählten gerieten in helle Aufregung.

Selbst Olait, der spitzohrige Muskelberg, kam in Wallung, machte seine Kettenwaffe einsatzbereit, welche er sonst wie eine Schärpe trug.

Die Flosse war nach Marcos Schätzung keine zweihundert Meter vom Schiffsrumpf entfernt, da tauchte ihr Besitzer ab. Gehörte dieses Manöver zu seiner Angriffstaktik?

»Seid ohne Sorge, der Mastophin ist harmlos«, klärte sie der hinter ihnen stehende Kapitän auf.

Und tatsächlich. Das Wesen hatte unter Wasser die Richtung geändert und schwamm nun neben dem Schiff her.

»Wenn ihr mal in Seenot geratet und ein Mastophin ist in der Nähe, verhaltet Euch ruhig und er wird Euch mit hoher Wahrscheinlichkeit finden und retten«, fügte der Kapitän seiner ersten Behauptung zu.

»Gut zu wissen, aber woher weiß ich, dass einer in der Nähe ist?«, murmelte der Deutsche fast unhörbar, außer für Ayshelays Ohren, denn das Ganze war ihm peinlich. Nicht sehr, aber ausreichend. Er spürte förmlich die Blicke auf seinem Rücken und wartete nur darauf, dass einer den Fehler machte, eine abfällige oder gar beleidigende Bemerkung auszusprechen, damit er einen Vorwand hatte, sich abzureagieren. Doch niemand tat ihm den Gefallen.

 

Beim Anblick der näherkommenden Küste bestätigte sich Marcos Verdacht. Kumai-Kaan hatte einiges, wenn nicht alles verändert. Statt eines leeren Strandes steuerten sie nun eine marode Hafenanlage an, hinter denen die Skelettfinger ausgebrannter Ruinen, einem monumentalen Mahnmal gleich, anklagend gen Himmel wiesen.

Nur die Menschenmassen passten nicht ins Bild. Etliche beluden improvisierte Flöße, manche saßen auf länglichen Holzklötzen, einer sogar in einem leeren Sarg, oder lagen auf einer Tür oder einem Brett, aber alle versuchten krampfhaft, diesen Ort mit absolut unzulänglichen Mitteln zu verlassen. Und beim Anblick des Schiffes brach totales Chaos aus, denn alle drängten in Richtung der Anlegestelle, sahen in diesem Schiff ihre letzte Rettung, obwohl klar war, dass höchstens ein Zehntel der Anwesenden Platz finden würde.

Marco fragte den Kapitän, ob es noch Alternativen gäbe, wo er sie absetzen könnte.

»Nein, Herr, leider nicht. Die Küste ist meist zu steil oder die Brandung zu stark.«

»Und was gedenkt Ihr angesichts dieser Lage tun?«

»Seeheim ist eigentlich eine menschenleere Ruine. Das Sicherste wäre umzukehren, da ich nicht weiß, was hier los ist, aber mein Befehl lautet, Euch und die Auserwählten hier an Land zu bringen.«

»Zur Not muss ich Gewalt anwenden, sollten die Leute nicht auf mich hören. Kümmert Ihr Euch um das Seemännische, ich versuche, die Leute vom Schiff fernzuhalten.«

Der Deutsche begab sich zum Bug und baute sich dort gut sichtbar auf. Dann zog er das Schwert der Gnade und hielt es in die Höhe. Doch der erwartete Effekt, nämlich Ruhe und daraus resultierende Aufmerksamkeit, stellte sich nicht ein. Also entschied er sich für einen Test und bat Glammron, ihr sogenanntes Alarmkreischen vorzuführen, was er kurz darauf bereute.

Da seine Frau in diesem Fall ihre Kraft noch nicht einschätzen konnte, gab sie ihr Bestes. Und das war laut! Aber sie erzielte die gewünschte Wirkung. Alles und jeder zuckte zusammen, presste die Hände auf die Ohren und wandte sich Marco mit schmerzverzerrtem Gesicht zu. Doch Glammron bemerkte auch die "Nebenwirkung" ihres Tuns und beendete es rasch.

Kollektive Erleichterung nach dem Ende der Schmerzen, bis man feststellte, dass man fast taub war. Erneut kam Unruhe auf, erste verzweifelte Rufe wurden laut.

»Leute, hört mir zu!«, rief Marco und hielt Glammron erneut hoch. »Ich bin der Paladin von Kumai-Kaan und dies das Schwert der Gnade! Räumt den Anleger! Zwingt mich nicht, Gewalt anzuwenden! Wer versucht, dieses Schiff zu betreten, ist des Todes!«

Seine Drohungen schienen zu fruchten, die Menge wich langsam zurück. Also ging der Kölner zurück zum Heck, gab Befehl zum Anlegen und wies die Auserwählten darauf hin, ihm nicht im Weg zu stehen, sollte es zum Äußersten kommen.

Es bot sich auch umgehend die Möglichkeit, ein abschreckendes Exempel zu statuieren, denn zwei Männer, die sich auf einem Baumstamm dem Schiff genähert hatten, enterten dieses nun. Noch bevor einer von ihnen das Deck betreten konnte, huschte die Prinzessin herbei und tötete sie, ohne zu zögern.

Zu sehen, wie zwei kopflose Leichen ins Hafenbecken klatschen, beeindruckte die Leute nachdrücklich. Der Anleger leerte sich merklich.

Während ihre Ausrüstung, der Karren und der Esel ausgeladen wurden, gingen Marco und Ayshelay auf die weiter zurückweichende Menge zu.

»Was ist hier eigentlich los?«, fragte der Deutsche und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf eine Person.

Mehrere blickten irritiert umher, sahen den Kölner ängstlich an und direkt wieder zu Boden.

»Ja, du«, bestätigte Marco den fragenden Blick einer Frau mittleren Alters.

»Wer? Ich?«, fragte sie, scheinbar verwirrt, in der Hoffnung, das Unvermeidliche hinauszuzögern, vielleicht sogar abwenden zu können.

»Ja, du! Sag mir, was hier los ist.«

»Habt Ihr es denn noch nicht gehört, Herr? Die Toten sind zurückgekehrt, weil in der Hölle kein Platz mehr ist.«

»Sagt wer?«

»Die Priesterin im Tempel von Dulek.«

»Und diese Toten verfolgen euch?«

»Das weiß ich nicht .... Es ging alles .... so schnell.«

»Also gut, Leute, gleich dürfen die Ersten auf das Schiff und nach guter alter Tradition Frauen und Kinder zuerst. Ist das Schiff voll, wartet, bis weitere Schiffe kommen, um euch abzuholen. Sollten in der Zwischenzeit Tote auftauchen, schlagt ihnen den Schädel ein. Das wirkt immer und stoppt ihren Bewegungsdrang, verstanden? Wir gehen gleich den Toten entgegen und versuchen euch so mehr Zeit zu verschaffen.«

Die kleine Rede rief unterschiedliche Reaktionen hervor, doch angesichts der acht – zum Teil – Schwerbewaffneten blieb es bei verbalen Protesten.

 

Kaum war das Schiff bereit zum ablegen, flammten die Proteste erneut auf, dann diverse schrille Schreie und sich rasch verbreitende Panik.

»Okay, Prinzessin, jetzt zählt nur eins: Wir müssen jeden aufhalten, der versucht, hinter uns zu gelangen! Kein Pardon, unser Schutz geht vor, habt Ihr verstanden?«

»Ja, Meister, kein Pardon. Wie es sich gehört.«

Die Menschen vor ihnen versuchten dem Druck standzuhalten, kamen den beiden tödlichen Klingen langsam aber sicher näher, angsterfüllt schreiend, die Götter um Gnade bittend, um ihr Leben bettelnd. Doch sobald die beiden Klingen etwas angehoben wurden, stemmten sie sich, scheinbar von neuer Kraft erfüllt, der wogenden Masse entgegen.

»Heißt das, Ihr macht eigentlich nie Gefangene?«, hakte Marco nach.

»Gefangene und Verwundete belasten einen Krieger nur unnötig.«

Reihenweise sprangen Leute, meist unfreiwillig, ins Hafenbecken.

»Auch, wenn der Verwundete ein Freund ist?«

»Gerade dann!«

»Verarscht Ihr mich gerade oder ist das Euer Ernst?«

»Was glaubt Ihr?«

Trotz aller Angst brach der menschliche Damm und ein unrühmliches Gemetzel nahm seinen Lauf.

Während der Paladin sich für das, was er tat, tun musste, verabscheute, schien die Prinzessin in ihrem Element zu sein und das Abschlachten unschuldiger Wesen zu genießen.

Regelmäßig stürzten rechts und links des Anlegers Leute ins Wasser, was jedoch kaum jemanden rettete, da nur wenige schwimmen konnten. Wer es konnte, bekam meist Probleme mit den Leichen oder klammernden Nichtschwimmern.

Nach einer relativ kurzen Zeit stabilisierte sich der "Damm" wieder, aber die Luft war noch immer erfüllt von der gesamten Skala verbaler Absonderungen, zu denen Stimmbänder fähig waren. Wieder verschob sich die Menschenmenge, jedoch diesmal vom Anleger weg. Viele traten die Flucht in die Ruinen an, suchten vielleicht ein Versteck oder rannten, bis die Lunge und der restliche Körper die Mitarbeit verweigerten.

 

Schließlich erblickte Marco die ersten Untoten. Was er sah, stufte er unter der Rubrik "klassischer" Zombie ein. Er registrierte die Unruhe in seinem Rücken und hoffte, dass die sechs "Arbeitslosen" alles unter Kontrolle hatten. Viel gab’s ja nicht zu kontrollieren. Erst als die nicht besonders leisen Proteste des Esels in Verzweiflung umschlugen, drehte sich Marco kurz um und sah gerade noch, wie der Karren samt Esel vom Anleger rutschte, beinahe die weißhaarige Bogenschützin mitriss.

Für den kurzen Moment einer scheinbaren Ewigkeit vergaß der junge Kölner, wer und wo er war, sah den Esel ertrinken, die Ausrüstung versinken. Er sah nicht die ersten Zombies sterben, starrte weiter auf die Stelle, welche das letzte bischen Luxus geschluckt hatte. Erst eine abgetrennte Hand, die gegen seinen Kopf prallte, brachte ihn zu sich und zurück in die Realität. Mit einem Fluch auf den Lippen nahm er wieder Sichtkontakt zur "Front" auf und half der Prinzessin, die letzten Untoten auszuschalten, wobei ihm auffiel, dass nicht einer der Zombies Spuren von Verwesung aufwies. Er sah sich genauer um, bewegte sich dabei in die Richtung, aus welcher der Angriff erfolgt war, doch Fehlanzeige.

'Wie kann das sein?', fragte er sich, obwohl alle anderen Merkmale vorhanden waren, einschließlich der Ansteckungsgefahr durch Biss. Nachdenklich kehrte er um.

Nun stellte er die Auserwählten zur Rede, wollte eine Erklärung für das Dilemma. Vielleicht schüchterte es den einen oder anderen Sucher ein, die Mukishi beim genussvollen Reinigen ihres Fells zu beobachten, denn zu hören bekam er nur Ausflüchte und Mutmaßungen, von manchen sogar nur ein Schulterzucken, was ihn maßlos aufregte. Doch der Anblick des traurigen Haufens, in den Mienen pure Verzweiflung, aber auch Trotz, verschlug ihm die Sprache. Er drehte sich um und ging mit Ayshelay davon.

Irritiert sahen sich die neuen Sucher an, fragten sich, wie es nun weitergehen sollte und beschlossen, mangels Alternativen, vorerst Marco – mit einem gewissen Sicherheitsabstand – zu folgen.

 

»Wohin mag diese Straße uns wohl bringen? Seht nur, sie führt uns in einen Wald«, plapperte eine gut gelaunte Prinzessin, um den Deutschen aus seinem grüblerischen Schweigen zu locken, doch vergeblich.

»Die Frau sagte etwas von Dulek, erinnert Ihr Euch? So sagt doch etwas oder wollt Ihr mich für etwas bestrafen?«

»Wie kommt Ihr denn darauf?«, knurrte er.

»Ist es wegen der Ausrüstung?«

»Das auch, aber ich muss immer an den armen Esel denken, der so elendiglich ersaufen musste, weil diese Penner zu blöd waren ....«

»Beruhigt Euch, Meister! Oder würdet Ihr Euch besser fühlen, wenn ich sie für ihr Versagen mit dem Tod bestrafe?«

»Das können wir nicht machen.«

»Wir? Warum nicht?«

»Sie haben es ja nicht mit Absicht getan. Und ich weiß, wie sie sich jetzt fühlen. Auch ich wurde damals kurz nach der Landung mit Gewalt und Tod konfrontiert, war verwirrt und hatte Angst, in dieser Welt keine drei Tage zu überleben.«

»Ich glaube, ich verstehe, worauf Ihr hinaus wollt.«

»Außerdem ist einer von ihnen ein Landsmann von mir.«

»Vermutlich weiß er nichts davon, da er Eurer Einladung nicht folgte. Habe ich recht?«

»So ist es.«

»Wer ist es?«

»Der Typ mit den langen weißen Haaren. Sein Name ist Ulf.«

»Ihr meint den mit dem Schlangen-Dämon auf der Schulter?«

»Hm? Ihr wisst davon?«

»Ich bitte Euch. Ein geflügelter Schlangen-Dämon mit einem Totenschädel in der rechten Hand. Wusstet Ihr das nicht?«

»Ich wusste nicht, dass Schlangen-Dämonen Arme und Hände haben.«

»Nicht alle.«

 

Sie näherten sich dem Gasthof im Schatten der Bäume mit angemessener Vorsicht. Das Tor, über welchem auf einem Schild Zum Orakel zu lesen war, stand sperrangelweit offen, was den Palisadenzaun eigentlich überflüssig machte.

Gespenstische Stille lag über dem Ort, nur ein einsamer Vogel (?) forderte die andersgeschlechtlichen Artgenossen der Umgebung zur Paarung auf – vermutlich. Was sollte er – es konnte sich nur um ein Männchen handeln, oder? – auch sonst in diesem Moment tun?

Blutige Kleidungsfetzen lieferten die ersten Hinweise auf den Kampf, der hier zweifellos stattgefunden hatte. Es fanden sich weitere Spuren, nur Tote fand man nicht. Hatte es keine gegeben oder waren sie alle als Untote den Flüchtlingen gefolgt?

Während draußen die Sucher rumstanden und sich fragten, was sie nun tun sollten, durchsuchten der Kölner und seine Begleiterin das Gebäude.

Derweil entschloss sich Shalyshilaih für einen Abstecher in den Wald, um auf die Jagd zu gehen. Schließlich würden bald alle Hunger haben. So argumentierte sie zumindest, als sie gefragt wurde, was sie vorhabe.

»Pass auf dich auf!«, rief Olait ihr mit seiner nicht zur Masse seines Körpers passenden Stimme nach, als hätte er sie einem kleinen Jungen gestohlen.

Kaum hatte der Wald sie in seine Arme genommen, atmete sie wie befreit auf, schienen Zentnerlasten von ihr abzufallen. Anmutig bewegte sie sich mit schussbereitem Bogen durchs Gelände, genoss das Schleichen im Unterholz, das Lesen der Spuren, das Verfolgen der Beute. Am liebsten hätte sie noch ihre gänzlich aus Leder bestehende Kleidung abgestreift, aber in Anbetracht der Umstände sah sie davon ab. Sie schürzte die weiß geschminkten Lippen zu einer Art Lächeln, sog prüfend die Luft ein.

 

Das Gebäude war feindfrei, also bedienten sich Marco und Ayshelay in der Küche und machten es sich mit einem Krug Wein, einem großen Stück Käse und einem noch größeren Schinken in einer Ecke des Schankraums gemütlich.

»Wir könnten die Nacht hier verbringen«, schlug die Mishimai-Coka vor und schnitt sich noch ein Stück vom Schinken ab. »Das eine Zimmer im Obergeschoss sollte unseren Ansprüchen gerecht werden, meint Ihr nicht, Meister?«

»Alles ist besser, als unter freiem Himmel zu schlafen.«

 

»Wir sollten vielleicht Holz für ein Feuer sammeln«, schlug Olait mit seiner Kinderstimme vor.

»Seid Ihr von Sinnen? Wollt Ihr etwa jedes Monster im näheren Umkreis zu uns locken?«, zischte Ravio in gedämpftem Ton.

»Oh, entschuldigt, aber glaubt Ihr denn, es gibt noch mehr von diesen unheimlichen Wesen?«

»Wenn Ihr gesehen habt, was ich gesehen habe, beantwortet sich Eure Frage von selbst.«

»Wir sollten uns lieber überlegen, wie und wo wir die Nacht verbringen«, gab Anjina zu bedenken und lenkte damit die Gedanken der Anwesenden in eine andere Richtung.

»Ihr habt recht. Da die beiden offensichtlich keine lebende Seele vorgefunden haben, sollten wir uns auch da drin umsehen, denn ich schätze, jeder von uns verspürt bereits das Bedürfnis, seine trockne Kehle mit etwas Flüssigem anzufeuchten«, stimmte der schwarzäugige Amar der Verkünderin eines falschen Glaubens zu.

»Und was ist mit Shalyshilaih?«, fragte Olait, als alle anderen sich in Bewegung setzten.

»Die findet uns schon«, behauptete Ravio leichthin und kümmerte sich nicht weiter um den Olf und dessen Bedenken.

Schließlich traf Olait – irgendetwas musste er laut Tialo ja tun – eine Entscheidung.

 

Die Melfin lag auf dem Bauch und beobachtete seit geraumer Zeit ein winziges Dorf, errichtet rund um den kräftigen Stamm eines Riesenfarns, und seine blauhäutigen Bewohner.

Nie zuvor hatte sie solch putzige Wesen gesehen. Mit ihren weißen Mützchen sahen sie herzallerliebst aus und Shalyshilaih, als läge ein Zauber über dem Dorf, konnte ihren Blick gar nicht mehr abwenden, hätte ihnen stundenlang zusehen können, wie sie kleine, lecker aussehende Kuchen auslieferten oder wegen anderer Dinge hin und her wuselten.

Bis jemand ganz in der Nähe ihren Namen rief. Sie erkannte die Stimme sofort, hörte noch ein "Das hast du gut gemacht", blieb trotzdem auf dem Boden liegen und verhielt sich still.

Die Bewohner des Dorfes allerdings nicht. Sie schrien wild durcheinander. Manche befürchteten ein Erdbeben, andere den Angriff eines Zauberers und seiner Katze oder gar den Weltuntergang.

Angelockt von ihren dünnen Stimmchen – einen anderen Anhaltspunkt hatte er augenscheinlich nicht – brach Olait durchs Unterholz und zerstörte mit seinen Stiefeln Marke "Brandbekämpfer" die halbe Siedlung, obwohl Shalyshilaih im letzten Moment aufgesprungen war und geschrien hatte, er solle stehen bleiben. Aber um seine Masse zu stoppen und nicht zu stürzen, hatte es eines Ausfallschritts bedurft, aber eben dieser war einer zu viel.

»Bei Mashimass, was habt Ihr getan?«

»Entschuldigt, wenn ich das Wild verscheucht habe«, stammelte er, von kurzen Grunzlauten unterbrochen, während er gleichzeitig verlegen von einem Bein auf das andere trat und weitere Verwüstungen anrichtete.

»Bleibt endlich stehen und bewegt Euch nicht!«, schrie sie ihn an, worauf er erschrak und einen Schritt zurück machte. Entsetzt betrachtete sie das Chaos am Boden und sah den bisher einzigen Blauling mit Bart, der zudem auch noch mit einem kleinen Stock herumfuchtelte, als könne er damit dem gigantischen Fleischberg irgendwie Einhalt gebieten, um ihn in eine andere Richtung zu dirigieren. Zu spät begriff sie, worum es sich in Wirklichkeit handelte.

 

Während drei Sucher die Küche plünderten, blieb Ravio im Schankraum und trat an Marcos Tisch. Er erwiderte den fragenden Blick des Kölners und suchte nach den richtigen Worten, als Marco ihm zuvor kam.

»Ravio, richtig?«

»Äh, ja, Herr. Wenn Ihr erlaubt, würde ich Euch bitten, uns mit Eurer Erfahrung zu helfen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Nun, eigentlich weiß keiner von uns, weshalb wir hier sind und was wir hier machen sollen. Vielleicht ....«

»Die Chance hatten alle, wenn Ihr Euch an meine Einladung erinnert.«

»Was können wir tun, um diesen Fehler wettzumachen?«

»Sprecht Ihr offiziell für alle oder sondiert Ihr nur die Konditionen?«

»Wenn ich ehrlich bin, eher Letzteres.«

»In diesem Fall sollten wir das Gespräch erst fortsetzen, wenn alle anwesend sind, meint Ihr nicht?«

Ravio nickte und ging Richtung Küche.

 

Die bläulichen Blitze trafen seinen Kopf und das Licht ging aus. Geschockt und verzweifelt, weil er nicht wusste, was passiert und ob er dauerhaft erblindet war, taumelte der Olf jammernd umher, fiel auf die Knie und rieb sich die brennenden Augen in der Hoffnung, dadurch wieder sehen zu können. Sein Kopf schmerzte, was Olait gar nicht mochte, und schien einer Handvoll winziger Minenarbeiter ein neues Heim in Aussicht gestellt zu haben, wenn sie den Noch-Besitzer mit ihren Hämmern und Hacken in den Wahnsinn trieben. Sie bemühten sich zumindest.

Nun "schoss" der bärtige Blauling in Shalyshilaihs Richtung. Jedoch hatten diese Blitze nicht die Augen zum Ziel, was die Melfin eigentlich erwartet hatte und deswegen nur den Kopf zur Seite riss, sondern jede beliebige Stelle. Sie trafen die linke Hüfte und löschten ebenfalls das Licht, denn sie verlor das Bewusstsein.

Eine dritte Entladung erlöste den Vier-Zentner-Mann von seinen Schmerzen und schlagartig baute sich eine bedrückende Stille auf.

Langsam sammelten sich die Überlebenden um den Bärtigen und stellten fest, dass das einzige Weibchen dem Angriff der Riesen zum Opfer gefallen war. Da fasste der Bärtige einen Plan.

 

Die halbwegs gesättigte Truppe wartete mittlerweile im Schein etlicher Lampen auf die Rückkehr ihrer Kameraden. Doch keiner sagte etwas wie:

»Die sind schon verdammt lange weg. Lasst uns nachsehen, wo sie bleiben!«

Niemand schien die Abwesenden zu vermissen.

Schließlich zogen sich Marco und seine Prinzessin auf das Zimmer im oberen Stockwerk zurück, wo sie sich scheinbar zu geräuschvoll liebten, was bei einigen Suchern Abscheu, bei anderen Neid hervorrief, und woraus ihr jeweiliger Gesichtsausdruck kein Hehl machte.

 

 

TAG II

Das Erste, das Shalyshilaih neben der Dunkelheit registrierte, war, dass jemand in ihrer Nähe weinte, wozu eine Kette wie ein Begleitinstrument leise klirrte. Mühsam richtete sie sich auf und stellte entsetzt fest, dass ihre untere Körperregion sich völlig entblößt ihren aufgerissenen Augen darbot, welche auch bei schwachem Mondlicht ein detailreiches Bild lieferten. Als nächstes spürte sie die Schmerzen im Genitalbereich und entdeckte gleichzeitig die Umrisse von Olait, der weinend am Fuße eines Baumes saß und unverständlich vor sich hin brabbelte.

»Olait? Was ist passiert?«, brachte ihre trockene Kehle rau zu Gehör.

»Shalyshilaih? Wo seid Ihr? Ich kann nichts sehen!«, antwortete er schluchzend.

»Das bringt die Dunkelheit so mit sich. Warum bin ich halb nackt?«

»Ich weiß nicht. Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich Euch suchte. Und dann wachte ich hier auf .... und war blind.«

»Seid Ihr sicher? Wartet, ich komme zu Euch.«

So rasch es ihre schmerzenden Muskeln zuließen, richtete die Melfin ihre Kleidung und zerstörte auf dem Weg zu Olait ein weiteres pilzförmiges Haus des winzigen Dorfes, was ihrem Gedächtnis auf die Sprünge half.

»Die Blaulinge!«

»Was?«, fragte Olait irritiert.

»Der bärtige Blauling war wohl ein Schamane oder Magier. Die Blitze aus seinem Stab setzten uns außer Gefecht, aber ich würde zu gern wissen, warum ich untenrum nackt war. Habt Ihr damit zu tun?«

»Nein!«, rief Olait entsetzt. »Ich könnte Euch nie etwas Böses antun!«

»Beruhigt Euch, aber weshalb sollten die Blaulinge so etwas tun?«

»Von welchen Blaulingen sprecht Ihr? Wurden wir angegriffen?«

»Ihr habt ihr Dorf zerstört .... Wo sind die kleinen Wichte eigentlich?«

Sie sah sich um, da sie dank ihrer elfischen Anlagen selbst in mondlosen Nächten ausreichend sehen konnte, entdeckte jedoch keine Lebewesen in unmittelbarer Nähe.

»Was .... Was machen wir jetzt? Findet Ihr auch im Dunkeln den Weg zurück?«

»Mit etwas Glück, aber sicherer wäre, wir warten bis Sonnenaufgang.«

Was sie schließlich schweren Herzens auch taten.

 

Die im Schankraum verbliebenen Sucher machten es sich so gemütlich wie möglich und spekulierten mit gedämpften Stimmen über das Schicksal der abwesenden Gruppenmitglieder, wobei Ulf nur durch Anwesenheit glänzte, da er sich zehn Minuten vorher eine Klickla-Kugel zu Gemüte geführt hatte, deren Wirkung ihm unter anderem vorgaukelte, den totalen Durchblick zu haben.

Der militärisch geschulte Amar erläuterte ihnen, welche Fehler sie in Zukunft vermeiden sollten, was darauf hinauslief, dass die Beiden selbst schuld waren, da sie sich von der Gruppe getrennt hatten.

Das gefiel Ravio nicht sonderlich und um Amar zu ärgern, sagte er:

»Ich wünschte, sie würden in diesem Moment die Tür öffnen!«, und zuckte erschrocken zusammen, als die Tür förmlich aufflog und Shalyshilaih in den Raum taumelte, während Olait draußen stand und mit jammervoller Stimme nach der Melfin rief.

Kaum hatten Amar, Anjina und Ulf realisiert, was soeben passiert war, richteten sich ihre fragenden Blicke auf Ravio, doch dieser erhob sich rasch, um seine Hilfsbereitschaft zu signalisieren. Das brachte auch den Rest der Truppe auf die Beine.

An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Es dauerte nicht lange und Ulf fragte Ravio, woher er gewusst habe, dass diese beiden vor der Tür standen. Schließlich sei er kein Hellseher oder gar so machtvoll, sich Wünsche zu erfüllen. Oder doch?

»Keine Ahnung. War wohl ein glücklicher Zufall.«

»Warum wünscht Ihr nicht etwas Vernünftiges zum Essen herbei?«, wollte Anjina wissen, obwohl es sich weniger nach einer Frage anhörte, sondern nach einem, mit einem Vorwurf versehenen Befehl.

»Ich kann’s versuchen.«

Doch bevor es dazu kam, mischte sich Shalyshilaih ein und fragte, ob er nicht vorher Olait helfen wolle.

»Ich weiß nicht, warum plötzlich alle glauben, ich könnte Wünsche erfüllen, aber ich will es gern versuchen, auch wenn es lächerlich wirkt. Also gut, ich wünsche, Olaits Augen mögen augenblicklich gesunden!«

Und siehe da, innerhalb eines Wimpernschlags geschah das Wunder und ein dankbarer Olf umarmte Ravio, welcher hinterher froh war, ohne Knochenbrüche davongekommen zu sein.

Jetzt bestürmte man den Zauberer erst recht mit dem Verlangen nach Essen und diversen Getränken.

Überwältigt von der Situation und den Möglichkeiten wünschte Ravio ausreichend Lebensmittel und Getränke für ein opulentes Frühstück herbei, erwähnte jedoch nicht die Zahl der Hungrigen oder andere Details, die sich als nicht gerade unwichtig erwiesen, denn das Ergebnis dieses Wunsches war mehr als ernüchternd.

Von den auf dem Boden verstreuten Dingen machte das meiste einen ungenießbaren Eindruck, manches Gefäß war zu Bruch gegangen. Zum Teil üble Gerüche machten sich breit und Ravio versuchte mit dem nächsten Wunsch eine Korrektur, doch nichts geschah.

»Vielleicht hattet Ihr nur drei Wünsche frei?«, mutmaßte Anjina und Ulf spann den Gedanken weiter und fragte sich laut, ob nun eventuell jemand anderer drei Wünsche frei hat.

Hatte er nicht und auch sonst niemand, wie sich schnell herausstellte.

Frust war die Folge und die vorwurfsvollen Blicke Richtung Ravio, verbunden mit der unausgesprochenen Frage, wie man drei Wünsche so unbedacht vergeuden konnte, nahmen zu, während die Augen schmaler wurden.

Da dieser sich keiner wirklichen Schuld bewusst war, sich eher als Opfer der Umstände sah, schwor er sich für den Fall, jemals wieder drei Wünsche – oder auch nur einen – freizuhaben, sie nicht an jemand anderen zu verschwenden.

 

Als die Ersten morgens wach wurden, standen Marco und die geheimnisvolle Prinzessin bereits mitten im Gastraum und schienen nicht sonderlich erbaut über das sich ihnen bietende Bild.

»Kann mir jemand erklären, was hier passiert ist?«, fragte Marco und sah sich um, wobei er angewidert das Gesicht verzog.

Zunächst schien keiner der Angesprochenen den Drang zu verspüren, den Paladin aus seiner Unwissenheit zu befreien, bis Ulf – nach dem Konsum einer weiteren Kugel – das Wort ergriff.

»Wir haben nichts getan, dessen wir uns vor Euch rechtfertigen müssten.«

»An dem Punkt waren wir auch noch nicht. Ich wollte eigentlich nur wissen, was ihr hier letzte Nacht veranstaltet habt.«

»Wir haben zumindest keine Satansmesse samt Orgie abgehalten, falls Euch dass beruhigt«, erwiderte Ulf und scheiterte an dem Versuch, dabei witzig zu wirken.

»Ich auch nicht, was mich ungemein erleichtert, da ich euch sonst töten müsste, ohne Ausnahme.«

Während der Bergneustädter ihn mit offenstehendem Mund anstarrte, sprach Marco weiter.

»Erst vor Kurzem fragte mich einer aus eurem Kreis, ob ich bereit wäre, euch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Das hatte ich vor, bis ich erkannte, was für ein selbstsüchtiger Haufen ihr seid. Deshalb ist euer Scheitern und der damit verbundene Tod vorprogrammiert. Vielleicht gelingt es euch auch ohne die wahrscheinlich lebenswichtigen Informationen, ein paar Tage oder Wochen zu überleben, aber ich versichere euch, dass euer Leben kein Kupferstück mehr wert ist, wenn ihr nicht bedingungslos zusammenhaltet!«

»Ich schätze, eine Kupfermünze ist hier nicht viel wert«, mutmaßte Ravio, »also lasst mich erzählen, was sich zutrug, auch wenn Ihr es kaum glauben werdet.«

»In einer Welt mit funktionierender Magie glaube ich ohne Gegenbeweis zunächst alles, dessen seid versichert«, beruhigte der Kölner den Zauberer.

Ravio nickte und erzählte kurz und knapp von den Geschehnissen.

Dann war es an Marco, verstehend zu nicken.

»Interessant, aber bevor nicht jeder von euch geschworen hat, mich als Anführer zu akzeptieren und meinen Anweisungen zu folgen, werdet ihr weiterhin unwissend eurem Tod entgegentaumeln. Und um zu sehen, wie ihr euch verhaltet, setze ich euch davon in Kenntnis, dass meine Göttin einem Mitglied eurer Gruppe ein Hilfsmittel zur Verfügung stellte, welches die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sicherstellt. Außerdem hättet ihr die letzte Nacht nicht in diesem stinkenden Schankraum verbringen müssen, sondern in richtigen Betten.«

Natürlich dauerte es nicht lange, bis ein verbaler Tumult ausbrach, nachdem Anjina zugegeben hatte, eventuell einen solchen Gegenstand zu besitzen.

»Aber niemand hat mir gesagt, wie er einzusetzen ist!«, schrie sie schließlich trotzig, um die größer werdende Welle der verbalen Vorwürfe vorzeitig zu brechen.

Das ließ die anderen kurzzeitig verstummen, also ergriff Marco die Chance und legte nach.

»Ich habe ihr angeboten, das Teil zu kaufen oder einzutauschen, aber ihr eigener Profit war ihr wichtiger als das Wohl der Gemeinschaft, obwohl das Geschenk eigentlich der Gruppe gehört. Anjina ist nur die Treuhänderin, wenn man so will.« Mit einem triumphierenden Lächeln sah er in das blasse Gesicht seiner "Gegenspielerin" und erfreute sich an den Vorwürfen, die man ihr machte. Zumindest hatte er das vor, aber Anjina überraschte alle mit ihrer Reaktion, denn sie zog einen kleinen Lederbeutel unter ihrer Kleidung hervor, warf ihn auf einen nahestehenden Tisch und rief:

»Wenn jemand weiß, wie man das Ding einsetzt .... Bitte!«

Ravio ging zum Tisch, holte den Würfel aus dem Beutel, betrachtete ihn eingehend und schüttelte dann den Kopf.

»Ich habe schon von solchen Dingen gehört, aber jeder Versuch wäre ein Experiment.«

Nun fokussierten sich alle Blicke auf Marco, worauf dieser vorschlug:

»Schenkt mir den Würfel und ich helfe euch.«

»Und wenn nicht?«

»Ihr habt nicht viele Optionen, dessen seid versichert. Ihr wisst nicht, was eigentlich los ist, kennt die Regeln nicht und seid euch uneinig. Nur mit meiner Hilfe habt ihr eine Chance, worauf auch immer. Entscheidet euch jetzt, denn auf eine zweite Chance solltet ihr nicht hoffen. Und glaubt nicht, ich würde euch dieses Angebot machen, weil ich euch brauche. Um je weniger Leute ich mich kümmern muss, um so besser. Ich könnte mir den Würfel und andere Dinge auch mit Gewalt nehmen, aber dazu besteht kein Anlass, zumindest noch nicht. Ich gehe jetzt mit der Prinzessin das Gelände ein wenig sondieren und bei meiner Rückkehr will ich klare Verhältnisse vorfinden.«

Kaum hatten die beiden mit Maurice das Haus verlassen, entwickelte sich in kürzester Zeit eine hitzige Debatte über das Für und Wider.

Ravio, Olait und Shalyshilaih waren pro Marco, die anderen Drei mehr oder weniger kontra, doch keiner konnte schwerwiegende Gründe vorbringen, da sie wussten, dass der Paladin recht hatte. Deshalb wechselte Amar nach wenigen Minuten als Erster die Seite. Ihm folgte kurz darauf Ulf Karsten, sodass der wütenden Anjina nichts anderes übrig blieb, als ebenfalls einzulenken.

 

»Was glaubt Ihr, Meister, wer wird sich Euch anschließen?«

Der Kölner zuckte kurz mit den Schultern.

»Wenn sie nicht wirklich dumm sind, alle.«

»Und wem, glaubt Ihr, kann man vertrauen?«

»Keinem!«

 

Trotz aller Zweifel und Vorbehalte stimmten die sechs Sucher einstimmig dafür, Marco den Würfel zu schenken und zu schwören, ihm in gewissem Rahmen Gehorsam zu leisten. Danach beschäftigte sich jeder mit seinen eigenen Gedanken und so warteten sie schweigend auf die Rückkehr ihres neuen Anführers.

Als dieser wenige Minuten später das Gebäude betrat, erhoben sich die Sucher und Ravio überreichte Marco den Würfel.

»Und schwört Ihr, mir zu gehorchen und meinem Urteil zu vertrauen?«, fragte der Kölner daraufhin.

»Ja, ich schwöre.«

Die verbale Prozedur wiederholte sich noch fünf Mal.

»Also gut. Ich gehe jetzt den Würfel antesten. Wenn alles klappt, sitzen wir in einigen Minuten entspannt beisammen und frühstücken ausgiebig.«

Als er seinen ersten Versuch startete, war er sich nicht hundertprozentig sicher, da sich zwei "Formeln" anboten. Doch das Glück war auf seiner Seite.

Das Haus mit dem rötlichen Mauerwerk hatte zwei Etagen und einen Diener, welcher ihn empfing.

»Willkommen, Herr! Ich bin Nurich, Euer untertäniger Diener. Erlaubt mir, Euch und Eure Begleiterin durch das Haus zu führen.«

»Du musst zunächst mir das Haus zeigen, denn die Prinzessin holt jetzt unsere Gäste ab. Ich hoffe doch, dass es kein Problem bereitet, ein Frühstück für acht Personen auszurichten?«

»Aber mitnichten, Herr.«

Kaum war Marco mit Nurich allein, instruierte er ihn.

»Ich bin Richter Marco und muss, bevor die Anderen kommen, über alle Besonderheiten und Geheimräume informiert sein. Für die Anderen bleiben diese Informationen vorläufig geheim, verstanden?«

»Selbstverständlich, mein Herr und Meister.«

So erfuhr Marco diesmal sofort von dem auch hier existierenden Geheimzimmer, erfasste aber noch nicht die Tragweite der Möglichkeiten, welche dieser Raum bot. Er war nur überrascht von der Tatsache, dass zu diesem Raum eine deutlich sichtbare Tür gehörte.

»Nur das Innere des Zimmers ist geheim, weshalb nur Euer Ehren und jeder, dem Ihr es ausdrücklich erlaubt, durch diese Tür gehen kann.«

»Okay. Wenn das alles ist, was ich auf die Schnelle wissen muss oder sollte, dann richte jetzt bitte einen Tisch für acht Personen her, die alle recht ausgehungert sind oder sich zumindest so fühlen.«

»Wenn die Gäste seiner Eminenz eintreffen, wird alles vorbereitet sein.«

»Sehr schön. Dann kann’s ja losgehen.«

»Was meint Ihr, Herr?«

»Nur so 'ne Redensart. Besorg auch bitte zwei lebende Mäuse für Maurice.«

»Ein seltenes Haustier, wenn ich bemerken darf.«

»In der Tat, also sei besonders nett zu ihm.«

»Euer Wunsch ist mir Befehl.«

Marco blickte sich um und entschied sich dafür, auch die überall hängenden Jagdtrophäen von Nurich beseitigen zu lassen, denn wen interessierte, wie ein bärtiger Skunkler oder ein Nacktschnakxler aussah? Er selbst hätte auch gern auf den Anblick verzichtet, doch nun würde er das Bild des an ein extrem überdimensioniertes Dildo erinnernden Nacktschnakxlers wohl nie mehr aus dem Kopf bekommen.

 

Nachdem selbst Maurice ausgiebig gefrühstückt hatte, wechselte alle in den bequemeren Wohnbereich des Hauptraums.

Während der Kölner die vor ihm Versammelten ansah, wirkte es fast, als versuche er in ihren Gesichtern zu lesen. In Wirklichkeit ging er im Geiste noch einmal seine "Ansprache" durch.

»Also gut, dann lasst uns anfangen. Jeder von euch hat einen Schwur geleistet, aber zu diesem Zeitpunkt wusstet ihr wahrscheinlich nicht, dass ich nicht nur den Status eines Paladins habe, sondern auch Richter bin. Dieses Schwert«, dabei ließ er es in seine Hand "springen", »ist das Schwert der Gnade. Die kleinste Verletzung durch diese Klinge bedeutet den sicheren Tod, außer ich gewähre Gnade. Deshalb fordere ich jetzt jeden auf, uns zu verlassen, wenn er oder sie vorhat, den Schwur irgendwann zu brechen, denn für Verrat und ähnliche Vergehen kenne ich nur eine wirksame Strafe.«

»Und was passiert mit denen, die jetzt gehen würden?«, wollte Ulf wissen.

»Sie sind sich selbst überlassen, haben sich für mich in Luft aufgelöst. Nun, will jemand von seinem Schwur entbunden werden?«

Umherschweifende Blicke, doch niemand meldete sich.

»Verstehe. Ihr hattet eure Chance, jetzt geht’s ans Eingemachte.«

Das Schwert verschwand wieder wie von Zauberhand und Marco erzählte ihnen gestenreich, was er über die anderen Götter wusste und dass man sie eigentlich als eine Art Killerkommando missbrauchte. Er erzählte von den Schlüsseln, dem Kristall der Suche, den Toren, den verschiedenen Welten, den vielfältigen Gefahren und seinen Abenteuern, bis er schließlich zur Entdeckung der "göttlichen Geschenke" kam, welche der Empfänger selbst entdecken musste.

»Und deshalb denke ich, das Ravio irgendwann erneut drei Wünsche frei hat, es fragt sich nur, ob in einigen Tagen oder Wochen. Von einem längeren Rhythmus gehe ich nicht aus, allerdings wäre es möglich, dass er nur einen Wunsch frei hat, dieser aber nicht verfällt und er sie quasi sammeln kann.«

»Und welche Fähigkeit habe ich bekommen?«, unterbrach Ulf seinen Landsmann.

»Wie ich schon erwähnte, gelang es uns nur mittels einer Magierin, dies zu ermitteln. Da wir, soweit ich weiß, auf eine solche wohl nicht zurückgreifen können, haben wir zwei Optionen. Die Erste könnt ihr nur selbst durchführen. Hört in euch rein, sucht konzentriert. Sollte dies nicht fruchten, bleibt nur das Beobachten, ob ihr plötzlich etwas könnt wie Ravio. Die zweite Alternative ist warten, bis Ravio uns dabei mit einem seiner Wünsche helfen kann.«

Während Marco sprach, fiel ihm auf, dass Olait immer wieder zum einzigen leeren Sessel blickte, manchmal fast unmerklich den Kopf schüttelte oder mit den Schultern zuckte, als reagiere er auf etwas, dass der Deutsche nicht sehen konnte.

»Selbst wenn wir diese Fähigkeiten entdecken, was hilft uns das? Euren Worten zufolge stehen wir zwischen den Fronten, oder habe ich Euch falsch verstanden?«

Marco sah den Feldwebel an und antwortete:

»Teilweise, denn wenn ihr es mit meiner Hilfe bis zu einem bestimmten Punkt schafft, könnt ihr in Eure Heimat zurückkehren.«

Es dauerte noch eine Weile, bis der Kölner alle Fragen beantwortet und Unklarheiten beseitigt hatte.

»Okay, wenn soweit alles klar ist, lasst uns aufbrechen. Ihr könnt alles, was ihr nicht unbedingt bis zur nächsten Rast braucht, in diesem Zimmer zu deponieren.«

02. Der Tod hat viele Gesichter

 

Allmählich besserte sich die Stimmung in der Gruppe spürbar, doch je länger sie der Straße durch den dichter und dunkler werdenden Wald folgten, desto weniger Worte wurden gewechselt.

Shalyshilaih bildete ab und an auf eigene Faust die Vorhut und erkundete das Gelände, aber das Einzige, was sie bis zum Mittag entdeckte, waren vereinzelte Leichen. Doch dann hörte sie etwas und eilte zurück zur Gruppe.

 

Während der Rest der Truppe auf der Straße wartete, schlichen Shalyshilaih, Ayshelay und Marco durch den Wald. Immer deutlicher vernahmen sie die rauen Stimmen von Männern, das Wiehern nervöser Pferde und noch mehr.

Acht Soldaten und ein Wesen mit gelblicher Lederhaut drängten sich zwischen den Bäumen und erzeugten dabei die verräterische Geräuschkulisse. Über ihren Rüstungen – die meisten schützten sich mit Brustpanzern aus Leder, einige mit knielangen Kettenhemden – trugen die Krieger eine Art Tunika, auf deren Brustbereich ein Wappen zu sehen war: Ein aufrecht stehender Löwe in Gold vor roten Hintergrund. Auch auf den Schilden, mit denen sich sieben der Acht zusätzlich schützten, prangte der goldene Löwe.

Das umzingelte und in schwerer Bedrängnis befindliche Wesen ähnelte einem Drachen, war allerdings erheblich kleiner und besaß keine Flügel, aber einen stachelbewehrten Schwanz, weshalb es den Deutschen entfernt an Godzilla erinnerte, jedoch nur von der Grundform her. Es stand auf seinen kurzen Hinterbeinen und man hatte den Eindruck, die dunklen Muster auf seiner Haut würden leben, aber auch seinen "Bierbauch" betonen. Oder war es gar schwanger?

»Los, gib endlich preis, wo du deinen Schatz versteckt hast!«, schrie einer der Männer das gerade mal zwei Schritt große Monster an, erntete jedoch nur ein Fauchen, welches eindeutig keine Zustimmung zum Inhalt hatte.

»Vielleicht wird er gesprächiger, wenn wir ein Stück von seinem Schwanz abschneiden!«, rief ein anderer.

»Welchen meinst du, Armin?«, wollte ein Dritter wissen und lachte dann anzüglich.

Marco gab seinen Begleiterinnen kurze Anweisungen, wartete eine gefühlte Ewigkeit, bis er schließlich seine Deckung verließ und zusätzlich auf sich aufmerksam machte, indem er mit lauter Stimme fragte:

»Gibt es hier ein Problem?«

Bereits einen Wimpernschlag später trafen ihn erschrockene und überraschte Blicke, und bevor jemand etwas Unbedachtes sagen konnte, stellte er ein Ultimatum.

»Wer sofort seine Waffe wegsteckt oder niederlegt, hat gute Chancen, die nächsten Minuten zu überleben. Ich weiß zwar nicht, in wessen Sold ihr steht, aber wenn euch was an eurem Leben liegt, solltet ihr jede Art von Aggression vermeiden, wozu ich auch das Anschreien meiner Person zähle.«

»Und wer bist du?«, fragte einer verblüfft und dachte – wie alle anderen – nicht daran, der Anweisung des Unbekannten Folge zu leisten.

»Ich bin nur Marco, Paladin von Kumai-Kaan. Aber euer eins kennt mich eher unter dem Namen Richter Gnadenlos, Verkünder und Vollstrecker in einer Person. Mich amüsieren solche Gespräche meist, aber wenn ich ehrlich bin, würde ich euch jetzt lieber töten, als mich mit euch zu unterhalten.«

»Und wie willst du das anstellen, so ganz allein?«, fragte der einzige Rothaarige und schien sich über den einsamen Rächer – von dem er noch nie gehört hatte – zu amüsieren, denn er grinste breit.

»Ja, erklär uns das!«, rief Armin und schien sich ebenfalls für einen Komiker zu halten.

»In solchen Fällen leiste ich besonders gern Überzeugungsarbeit, also passt gut auf, solange ihr noch könnt.«

Während Marco schnellen Schrittes und dabei lächelnd auf den Nächstbesten zuging, tauchte Glammron in seiner Rechten auf, was bei allen Soldaten das herablassende Grinsen einfrieren ließ.

Als Ayshelay in den Kampf eingriff – obwohl ihr Meister das vereinbarte Zeichen nicht gegeben hatte – waren bereits zwei Soldaten diverser Körperteile beraubt oder tot. Zumindest so gut wie.

Obwohl niemand mehr auf das Wesen achtete und er/sie sich unbemerkt hätte aus dem Staub machen können, griff es ebenfalls einen seiner Peiniger an und setzte mit einer gespuckten Flammenkugel seine Kleidung in Brand. Dann brachte es seinen Schwanz zum Einsatz und den Krieger zu Fall, um sich anschließend auf ihn zu werfen und mit einem Genickbiss zu töten.

Als Glammrons Klinge einen Schild in zwei Teile schnitt – inklusive des dazugehörigen Arms – wichen die Ersten zurück. Aber keiner bat um Gnade.

Der Kampf war vorbei, bevor er richtig begonnen hatte. Nur einer ließ seiner Meinung nach noch rechtzeitig die Waffe fallen und unterwarf sich zitternd der Gnade des Richters.

Während Shalyshilaih zu den anderen Suchern zurückkehrte und Ayshelay den Gefangenen mit Lederstricken verschnürte, wandte sich der Kölner dem geheimnisvollen Geschöpf zu, woraufhin ihn dieses anfauchte.

»Ho, Kleiner, ganz ruhig. Wir sind auf deiner Seite. Kannst du mich verstehen?«

»Ihr seid doch auch nur hinter dem Schatz her! Warum also sollten wir Euch vertrauen

»Oh, du kannst sprechen. Das ist gut.«

»Warum ist das gut

»Kommunizieren zu können vereinfacht vieles, zum Beispiel bei der gegenseitigen Vorstellung. Meinen Namen kennst du ja wohl, doch wie ist deiner?«

»Wir heißen Kischbala.«

»Freut mich, dich kennenzulernen. Dies ist übrigens Prinzessin Ayshelay. Wir haben auch ein Problem, bei dem du uns eventuell helfen könntest.«

»Notorischer Geldmangel

»Sehr witzig, echt. Was wir suchen, nennt sich Information.«

»Wir wissen, was Informationen sind. Wir werden dir trotzdem nicht verraten, wo der Schatz ist.«

»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Wir wollen nur wissen, was hier los ist, warum die Menschen auf der Flucht sind und woher diese ....«

»Menschenfressenden Menschen kommen

»Ja, genau. Weißt du ....?«

»Es heißt, der Fluss ist verseucht.«

»Von wem?«

»Woher sollen wir das wissen

»Hätte ja sein können.«

»Jetzt hast du, was du wolltest. Wir gehen dann mal.«

»Äh, wir suchen auch ein magisches Tor und dazu passende Schlüssel.«

»Selbst schuld.«

»Weißt du etwas darüber?«

»Nein«, war Kischbalas knappe Antwort, womit das merkwürdige Wesen ohne ein Wort des Dankes Marco den Rücken zukehrte und sich in Bewegung setzte.

»Was für ein undankbares Mistvieh«, ärgerte sich Ayshelay laut, und das mit voller Absicht, wurde aber vom davonstampfenden Yodraco ignoriert.

»Und selbst tot noch wertvoll«, fügte ihr Gefangener hinzu.

»Wie meinst du das?«, fragte Marco, während er dem Geschöpf nachdenklich hinterher sah.

»Gewisse Leute zahlen mindestens einhundert Goldstücke für einen Dickbauch«, antwortete der Soldat und versuchte so überzeugend wie möglich zu klingen.

»Warum?«

»Das weiß ich nicht, Herr. Vielleicht als Zutat für Zaubersprüche.«

»Dann sag mir, was hier los ist.«

»Wie meint Ihr das, Herr?«

»Na, diese Untoten.«

»Ihr meint die Plage?«

»Hm.«

»Als es vor einigen Tagen begann, glaubte man noch, es in den Griff zu kriegen, da die Untoten leicht zu töten waren. Bis sich aus Kladsh eine Armee auf unsere Stadt zubewegte und ....« Der Mann brach ab, als er verdächtige Geräusche hörte.

»Wurde die Stadt überrannt?«, fragte ein an der Fortsetzung interessierter Richter.

»Das weiß ich nicht, denn meine Kameraden und ich wurden beauftragt, nach Retoria zu reiten und die weisen Männer zu fragen, wie man der Plage Herr werden kann.«

»Und?«

»Sie sagten etwas von einem Parasiten im Glumsch, aber schlimmer sei, gebissen zu werden. Man stirbt recht schnell und wird dann einer von ihnen. Helfen würde nur, ihren Kopf zu zermatschen oder ihn zumindest abzutrennen, obwohl der Parasit dann noch eine gewisse Zeit darin überlebt.«

»Was ist Glumsch?«

»Der Fluss, an dessen Ufer ....«

»Und dann?«

»Auch Retoria wurde angegriffen und wir versuchten, nach Dulek zurückzukehren. Kurz hinter der Brücke entdeckten wir den Dickbauch und folgten ihm. Den Rest wisst Ihr ja.«

»Verstehe. Statt die Bürger dieses Landes zu schützen, seid ihr desertiert und wolltet euch an diesem unschuldigen Geschöpf bereichern. Weist du, welche Strafe darauf steht, Soldat?«

Der Mann ließ den Kopf sinken.

»Ja, Herr.«

Der Deutsche wies Ayshelay an, den Gefangenen an einen Baum zu binden. Ihr fragender Blick blieb unbeantwortet, doch als sie fertig war, verkündete der Richter:

»Als Soldat sollst du aufrecht stehend sterben, aber nicht schnell, damit dir Zeit bleibt, über deine Verfehlungen nachzudenken.« Während er sprach, zog er langsam sein Schwert und brachte am Ende des Urteils mit der Spitze vorsichtig der Stirn des Todeskandidaten eine winzige Wunde bei.

»Grüß deine Kameraden von mir, wenn du in der Hölle ankommst«, bat Ayshelay den verwirrt dreinblickenden Mann und half ihrem Meister beim Einsammeln der wenigen Münzen, welche bei den Toten zu finden waren. Beide ignorierten das bitten um Gnade, bis Marco sagte:

»Keine Gnade für dich, Armin.«

»Nein! Ich flehe Euch an, das könnt Ihr nicht machen!«, schrie der Todgeweihte, doch Marco widersprach:

»Siehst doch, dass es geht.«

»Was passiert jetzt eigentlich genau mit ihm?«, fragte die Halb-Dämonin ihren Meister, nachdem sich die beiden in Richtung Straße bewegten.

»Was schon? Er wird unter grauenvollen Schmerzen sterben.«

»Aber wie genau soll das gehen?«

»Passt auf, es ist eigentlich ganz leicht, auch für die weniger Intelligenten, denn es gibt nur drei Regeln. Erstens: Hört zu, wenn Euch jemand was sagt. Zweitens: Erzählt nie alles, was Ihr wisst.«

Dann ging der Kölner wieder seines Weges.

»Äh .... Und die dritte Regel?«

»Soviel zu Regel eins.«

Ayshelay stutzte kurz.

»Oh«, wobei sie schmunzelte, »für einen Menschen seid ihr ziemlich schlau.«

»Verstehe. Danke für das Kompliment.«

Die verzweifelten Schreie Armins begleiteten sie bis zur Straße, wo man sie bereits gespannt erwartete, aber niemand wagte es, die beiden deswegen anzusprechen.

 

Die Stadtmauern von Dulek in Sichtweite, wandte sich der Paladin an die Sucher.

»Wollt ihr die Stadt lieber umgehen? Andererseits besteht überall die Möglichkeit, einen Schlüssel zu finden oder andere nützliche Dinge. Vielleicht sogar etwas Magisches. Wie entscheidet ihr euch?«

Vier entschieden sich gegen einen Besuch der Stadt.

»Eure Entscheidung«, kommentierte der Deutsche das Ergebnis und schien enttäuscht.

 

In Ermangelung von ausreichendem Platz versperrte das Haus mehr oder weniger die komplette Straße.

Nach dem gemeinsamen Abendessen zeigte Marco ihnen die Kleider- und Waffenkammer, das Bade- und die Schlafzimmer, suchte anschließend mit Nurich den mysteriösen Raum auf, um das Geheimnis zu lüften.

Nach einem Test war Marco überwältigt von den Möglichkeiten, die sich ihm durch die Magie dieses Zimmers boten, hatte die mahnenden Worte des Dieners über Speicherung und Vergessen schon fast verdrängt.

»Habt Ihr noch Fragen, Herr?«

»Eigentlich nicht, aber falls doch, weiß ich ja, wo ich dich finde.«

Kaum hatte Nurich den Raum verlassen, wollte Marco seine Hand auf die Säule legen, welche im Zentrum aus dem Boden ragte und quasi der einzige Einrichtungsgegenstand war. Die schlanke Säule bestand aus einem silbrigen Material, die darauf angebrachte Kugel aus etwas ähnlichem wie schwarzem Marmor.

Im letzten Moment fiel ihm ein, dass es blödsinnig wäre, alles an Musik aus seinem Gedächtnis "laden" zu lassen. Wenn er an den ganzen Müll zurückdachte, hauptsächlich bestehend aus Blasmusik und Schlagern, den er in seiner Kindheit und Jugend gezwungenermaßen hören musste, verspürte er nachträglich eine gewisse Übelkeit. Fast zärtlich berührte seine Hand die Oberfläche der Kugel. Dann ließ er die letzten zehn Jahre seines Lebens nach Musik untersuchen.

 

Misstrauisch beäugte die Prinzessin das Treiben der Sucher und fragte den auf ihrem Schoß liegenden Maurice, ob die Entscheidung ihres Meisters, sich intensiv um diesen verlorenen Haufen zu kümmern, sich irgendwann als falsch herausstellen würde.

Die Sucher hatten mittlerweile die Schlafzimmer unter sich aufgeteilt, und während die beiden Frauen den Luxus des Badezimmers genossen, gaben sich die Männer, unter Führung von Ulf Karsten, dem Alkohol hin.

Als sich schließlich die hübsch zurechtgemachten Frauen dazugesellten, zog sich die Prinzessin auf die Veranda zurück.

»Wir müssen gut auf ihn aufpassen, nicht wahr, kleiner Maurice?«

Doch statt zustimmend zu mauzen, stieg ein leises Grollen aus dessen Kehle.

Jetzt registrierte auch sie, was den Tiqua so erregte. Sie vernahm einen unterdrückten Aufschrei und das Bellen eines Hundes. Ein Kampf fand statt und Ayshelay dachte kurz daran, sich einzumischen, denn ihr war langweilig. Stattdessen ging sie in die Küche und teilte sich mit Maurice eine rohe Hirschkeule, wobei sie sich ein wenig mit Nurich unterhielt, obwohl dieser nicht viel erzählte.

 

Gedanklich noch abwesend verließ Marco das Zimmer, gleich wenn es mit seinen knapp zehn Quadratmetern eher eine Zelle war, und traute seinen Augen nicht, in welchem Zustand sich die Sucher befanden.

»Beim Klöppel des dicken Pitter!«

Völlig betrunken, manche teilweise entblößt, wälzten sie sich brünstig wie Tiere auf dem Boden. Nur Olait saß wie ein verstörtes Kind in einer Ecke und brabbelte vor sich hin.

Anjina saß auf Ravios Hüfte und bewegte sich darauf wie eine Schlange, während der Zauberer die Hände auf ihren Brüsten hatte und alle zwei Sekunden »Oh ja!« rief. Die obenrum fast nackte Shalyshilaih zog Ulf gerade die Hose runter und hielt inne, als sie den Kölner sah. Wie eine Katze bewegte sie sich mit eindeutigen Absichten auf ihr Opfer zu und hielt erschrocken inne, als Marco brüllte:

»Was ist denn hier los?«

Statt auf seine Entrüstung zu reagieren, bat Ulf die Melfin, ihre unterbrochene Tätigkeit doch bitte wieder aufzunehmen, und die anderen forderten den Paladin grölend auf, von einem Pflaumenschnaps und weiteren Köstlichkeiten zu probieren.

Marco rief Nurich zu sich und befahl ihm kurzerhand:

»Nie wieder Alkohol für die Sechs, außer ich bewillige eine Ausnahme!«

»Wenn Ihr gestattet, beglückwünsche ich Euch zu dieser Entscheidung.«

»Gestattet.«

Wütend wandte sich der Deutsche wieder den Suchern zu.

»Das wird ein Nachspiel haben, verlasst euch drauf.«

In der Küche fand er eine satte Prinzessin und einen zufrieden vor sich hindösenden Maurice vor.

»Was habt Ihr so lange in diesem ominösen Hinterzimmer getrieben?«, fragte sie arglos und war überrascht, als er wütend zurückfragte:

»Warum habt Ihr nicht gleich an der Orgie teilgenommen, wenn Ihr sie schon nicht verhindert habt?«

»Ich hatte die Erlaubnis, sie zu töten, wenn sie nicht gehorchen?«

»Nein, natürlich nicht, aber im Nachhinein betrachtet ....«

 

 

TAG III

Marco hatte bereits in der Küche gefrühstückt und sich dabei mit Nurich, der Prinzessin und Maurice besprochen, denn er dachte nicht daran, das Verhalten seiner "Schützlinge" ungestraft durchgehen zu lassen. Nun wartete er darauf, dass die sechs Mitglieder der Gruppe nebenan ihr Frühstück beendete, von denen scheinbar keiner ein schlechtes Gewissen zu haben schien, aber fast alle einen ausgewachsenen Kater.

Als es soweit war, stellte er sich an den freien Platz am runden Tisch und fragte dann, obwohl ihn die Größe der Provokation kurz zögern ließ:

»Glaubt ihr auch, dass selbst ein extrem dummes Schwein, das von einem noch dümmeren Kamel gefickt wurde, schlaueren Nachwuchs zur Welt bringt als eure Mütter?«

Die Reaktionen auf seine Worte fielen sehr unterschiedlich aus, doch niemand – selbst Amar nicht – wurde wütend genug, um Genugtuung für diese Beleidigung zu fordern. Alle sahen den Paladin nur an, sagten nichts und erwarteten eine Erklärung.

»Eure Reaktion zeigt mir, dass ihr um die Scheiße wisst, die ihr gebaut habt. Deshalb gelten ab heute folgende Zusatzregeln ....«

»Wovon sprecht Ihr?«, fragte Ravio irritiert und schien auszudrücken, was alle empfanden.

»Und warum dröhnt mein Schädel so?«, wollte Amar wissen.

»Ist mir deshalb heute Morgen so übel?«, wies Shalyshilaih auf ihren Informationsrückstand hin.

»Wollt ihr abstreiten, was ihr getan habt?«

»Was haben wir Eurer Meinung nach denn getan?«, wobei Ulf den mittleren Teil der Frage besonders betonte.

»Ach so, ihr könnt euch alle nicht erinnern. Ja dann, Schwamm drüber, oder? .... Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Ich weiß nicht, warum niemand von euch den Mumm hat, für sein Verhalten geradezustehen, aber um die neuen Regeln kommt ihr nicht herum.«

»Übertreibt Ihr jetzt nicht ein wenig?«, unterbrach ihn Amar mit finsterem Blick.

»Findet Ihr? Wenn Ihr schon wisst, was ich verkünden wollte, dann haltet Euch auch dran, denn die drastischen Strafen kennt Ihr ja auch.«

»Was meint Ihr damit?«, fragte Shalyshilaih irritiert.

»Ihr seid noch Gäste in meinem Haus und ich habe für vieles Verständnis, aber was ihr abgezogen habt, war eine Beleidigung meiner Gastfreundschaft. Deshalb denke ich, es war ein Fehler, mich um euch zu kümmern.«

»Worüber regt Ihr Euch so auf? Wir haben doch nur ein wenig gefeiert«, goss Ulf ungewollt noch Öl in Marcos flammende Wut.

»So, nur ein wenig gefeiert? Ihr wisst also doch, um was es geht. Meiner Meinung nach hat der Alkohol zutage gefördert, was ihr bisher so erfolgreich vor mir verstecken konntet. Deshalb denke ich darüber nach, mich von euch zu trennen.«

»Und behaltet den Würfel?«, fragte Ulf in einem unverschämten Ton, wodurch sich Marco zu einer Entscheidung genötigt sah.

»Ihr würdet ihn sowieso nur verkaufen. Wenn euch das nicht gefällt, nehmt ihn mir ab. Immerhin seid ihr zu sechst und die Prinzessin wird sich raushalten.«

»Ich habe ihn kämpfen sehen, deshalb rate ich euch davon ab, seiner Aufforderung zu folgen«, warnte Shalyshilaih das älteste Mitglied der Gruppe und erntete dafür einen bösen Blick des Bergneustädters samt der Frage:

»Und was dann? Nichts zum Essen, nichts zu trinken und kein Dach über dem Kopf, wie stellt Ihr Euch das vor?«

»Hattet ihr vorher auch nicht, aber wenn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 02.04.2017
ISBN: 978-3-7438-0584-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist R. H. alias MC Venom gewidmet, ohne dessen Geschenk der Traummeister nie geträumt hätte!

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