Cover

Titel

 

 

 

 

                                                           Alex Carpenter

 

 

                                                      VON DEN GEFAHREN

                                                     MAGISCHER TRÄUME

 

                     

 

 

                                                                Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                            Suche den Tod

                                                                       -

                                                        Entdecke das Leben

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                          Alex Carpenter

 

 

 

 

                                                      VON DEN GEFAHREN

                                                     MAGISCHER TRÄUME

 

 

 

 

 

                                                          FANTASYROMAN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                 Gewidmet meinen bereits toten,

                                           wie auch den noch lebenden Freunden.

                      Besonderer Dank gilt meinen größten Fans und Unterstützern:

                                           Dem geheimnisvollen Cornel Devnusom

                                und allen, die eine Figur für die Geschichte entwarfen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Text & Cover © 2017 by Alex Carpenter

Vervielfältigung und Nachdruck, auch in Auszügen, sind nur mit Genehmigung der Autorin gestattet.

Cover: Agnes Landgraf

Titelgrafik: Michaela Feitsch

 

 

Creator Management

P. Seidel

Volpertusstraße 14

51105 Köln

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                       Das Lied des Wanderers

                                                       Ich folge dieser Straße

                                                       Sie führt von Ort zu Ort

                                                       Bleibst du am Wegrand stehen

                                                       Oder gehst du mit mir fort?

                                                       Die Zeit vergeht im Fluge

                                                       Wenn fröhlich klingt mein Lied

                                                       Vom Wandern in die Ferne

                                                       Egal was dort geschieht.

                                                       Werd’ ich einst Ruhm erlangen?

                                                       Verlor ich, was mir wert?

                                                       Mein Ziel liegt noch im Dunkeln

                                                       Ich wand’re unbeschwert.

                                                                                                   

                                                                                          Mursa

 

 

 

 

Verwendete Maße / Zeiteinheiten:

1 Zyklus        =  8 Monde

1 Mond         =  35-45 Tage (je Ebene)

1 Tag             =  20-40 Stunden ( je Ebene)

1 Stunde        =  60 min.

1 Minute        =  60 Sek.

1 Maile          =  2000 Schritt

1 Schritt         = ca. 65 cm

1 Elle             = ca. 30 cm

1 Handbreit   = ca.  9 cm

 

 

 

 

 

Kurze Information: Da eBooks mit Fußnoten Probleme haben, lasse ich sie weg, da sie keine extrem wichtigen

Informationen beinhalten. Und zusammengefasst am Ende des Buches machen sie erst recht keinen Sinn. Nur beim ersten Auftritt einer Figur, die von einem Freund oder "Fan" kreiert wurde, folgt am Ende des Satzes *** Info ***. Danke für ihr Verständnis und viel Freude beim Lesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                 Sei mein im Herzen

                                                 Fühl die Gedanken

                                                 Teile die Schmerzen

                                                 Die sie umranken.

 

 

                                                                            Marco Siebentöter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

 

                                                       PROLOG

                                            ­­___________________

 

  1. Musku im 6. Mond im 10. Zyklus der Sommerkönigin

Während nach einem wundervollen Tag die Sonne begann, diesen mit einem fantastisch gefärbten Untergang zu beenden, saß Marco mit Anjin, dem Chuba, auf seinem Lieblingshügel unter einem alten Baum und wusste jetzt schon, dass er diese Momente vermissen würde. So wie er anfangs Köln und den Blick auf den Dom vermisst hatte.

Morgen würden sie unwiderruflich aufbrechen, mit diesem katamaranartigen Schiff, welches von hier wie eine mit ausgebreiteten Armen im Wasser treibende Leiche wirkte.

Marco kraulte Anjin den Nacken, während seine Gedanken in die Vergangenheit schweiften, um wieder bei der Frage zu landen, was dieser Traummeister, der das alles hier verzapft hatte, von ihm wollte. Erst hatte Marco vermutet, er würde träumen. Aber das war nicht in Einklang zu bringen mit der Tatsache, dass es noch weitere Entführte gab, die zusammen mit ihm in Chambalon einen kleinen Palast bewohnten, da geladene Gäste des Meisters hier einen besonderen Status innehatten. Kein Vergleich zu seiner Zweizimmerwohnung in Köln, wobei er befürchtete, dass diese schon zwangsgeräumt worden war.

Jetzt, wo eine Machtgeile den Machtgeilen, der nie seine Haare färben ließ, im Kanzleramt abgelöst hatte, wurde der kleine Mann bis an die Grenze der Erträglichkeit geschröpft, zur Not auch darüber hinaus.

Da er nicht einer reichen und/oder einflussreichen Familie entsprungen war, sah er seine Zukunft mehr oder weniger vorprogrammiert und nicht als sonderlich erstrebenswert an. Wer heutzutage nicht bereit war, sich mit allen Mitteln den Weg zum Erfolg zu bahnen, blieb weiter ein Sklave der Mächtigen.

Doch wozu sich darüber Gedanken machen, denn wenn er es nicht schaffte, irgendwie den Weg zurück in seine Welt zu finden, war alles verloren, alles egal. Zwar hatten die Priesterinnen des Tempels ihm versichert, wenn jemand imstande wäre, ihn nach Hause zu befördern, dann Kumai-Kaan, der von ihnen verehrte Gott, der schläft. Aber schließlich war es ihre Pflicht, solches zu glauben. Andererseits hatte ihn dieser Typ hierher geschafft, hieß also logischerweise, dass der Kerl auch für die Rückflugtickets zuständig war.

Marco wischte sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, welche ein sanfter Windstoß von ihrem angestammten Platz vertrieben hatte. Dabei fragte er sich, ob es Sinn machte, gegen sein "neues" Schicksal zu rebellieren. Warum es nicht einfach akzeptieren?

Nach hiesiger Zeitrechnung war Marco schon rund einhundert Tage hier, was bei einem Zeitrahmen von etwa vierzig Stunden für einen Tag bedeuten würde, dass er nach seinem Zeitverständnis bereits ein halbes Jahr hier gefangen war. Da seine Uhr in dieser Welt nicht funktionierte und er keinen Schmuck getragen hatte, blieb ihm nur ein Andenken an sein Vorleben. Der modellierte Anstecker stellte Smiley, the Psychotic Button dar, der schon als Comicfigur an der Jacke von Evil Ernie einiges erleiden musste, was hoffentlich kein schlechtes Omen war.

 

Marco hatte den größten Teil seines Aufenthalts genutzt, um soviel wie möglich zu lernen, denn ihm war klar, dass es zwangsläufig auch Situationen geben könnte, die er auf sich allein gestellt würde meistern müssen. Mit Langschwert und Schild konnte er sich schon überraschend gut verteidigen, weshalb er sich auch einen speziellen Rundschild hatte anfertigen lassen.

Dieser bestand aus mehreren Lederschichten, darüber eine dünne Metallschicht. Dann hatte er es bemalt, sodass es nun aussah wie das Schild von Captain America.

Allerdings war er gezwungen gewesen, seine Ausdrucksweise, wie auch seine Wortwahl, den Gegebenheiten anzupassen, denn die alles verbindende Sprache des Handels hatte er, wie alle Anderen auch, automatisch gekonnt – sonst hätte er sich zu Anfang seines Aufenthalts ausschließlich mit seiner Landsfrau Marcia unterhalten können – aber es war eine einfache Sprache. Für technische Begriffe oder kölschen Slang gab es natürlich keine adäquate "Übersetzung".

Auch an die dummen Sprüche seinen Namen betreffend hatte er sich gewöhnt. Selbst Rayton hatte vor einigen Tagen zu ihm gesagt:

»Ihr seid sehr wortgewandt, aber wenn Ihr Eurem Namen Ehre machen wollt, solltet Ihr lernen, Euch zu schützen, denn allein mit schönen Worten werdet Ihr Eurem Namen nicht gerecht werden.«

Zwar hatte Marco reflexartig geantwortet:

»Vielleicht doch«, aber Raytons Worte hatten seinen Ängsten neue Nahrung gegeben. Siebentöter. Das erinnerte ihn nur an das tapfere Schneiderlein und dessen Ärger mit der Gerüchteküche. Und warum hatte er immer das Gefühl zu Rayton aufzusehen, obwohl dieser einen halben Kopf kleiner war?

 

Und schließlich, vor zehn Tagen, verkündete die Hohepriesterin vom Tempel der Träume, dass ein neuer Kristall der Suche sich manifestiert habe. Für die sechs Entführten bedeutete das den erneuten Abschied von Freunden und Bekannten.

Ihre Reise würde am anderen Ufer des stillen Meeres beginnen, wo eine unbekannte Wildnis wartete, über deren Gefahren in den Schänken von Chambalon die wildesten Gerüchte kursierten.

Früher hatte Marco sich immer gewünscht, in einer Fantasywelt zu leben, wie er sie während vieler Rollenspielabende erlebt hatte. Aber ohne die speziellen Fähigkeiten einer Spielfigur konnte er hier eigentlich nur scheitern und früh sterben.

Zwar hatten sich auch einige Freiwillige gemeldet, die bereit waren, die Gruppe der Sucher zu begleiten, aber wenn die Gefahren ähnlich denen im Rollenspiel waren, würde wohl keiner der Teilnehmer überleben. Wie mochte es wohl sein, verletzt zu werden und kein Krankenhaus oder zumindest einen Arzt in der Nähe zu wissen?

Überrascht hatte ihn, dass Marcia, die auch von der Erde stammte, hier die Kraft der Magie besaß, während Marco nur Gelerntes und Trainiertes zur Verfügung stand.

Außergewöhnlich war jedoch seine Freundschaft zu Anjin, denn Chubas mögen nicht jeden. Diese Hunden sehr ähnlichen Wesen konnten zwar nicht Gedanken lesen, aber die Gefühle anderer Wesen spüren. Und für Marco zählte diese Freundschaft mehr als Marcias "Wilde Magie", zumal sie sich nicht wagte, diese einzusetzen, da sie nicht wusste, wie sie diese mächtige Kraft sicher kontrollieren konnte. Marco hingegen würde sich immer blind auf Anjin verlassen können, denn ein Chuba nimmt innerhalb seiner Lebensspanne nur einmal einen Freund in seinem Herzen auf.

Anjin spürte Marcos Ängste und richtete sich auf. Der Blick seiner dunklen Augen schien förmlich zu sagen: "Wir schaffen das schon, keine Angst."

Marco fuhr ihm zärtlich über das kurze, silbergraue Fell und sagte:

»Was meinst du, sollen wir nach Hause gehen? Lydia hat bestimmt ein feines Fresschen für uns, hm?«

Anjins Reaktion kam schnell wie immer und so war er schon fünfzig Schritt den Hügel hinuntergerannt, bevor sich Marco auch nur erhoben hatte. Lächelnd folgte er dem Chuba und dachte dabei an seine andere große Liebe, die kleine Lydia. Die Waldläuferin hatte sein Herz vor etwa zehn Wochen im Sturm erobert, als sie ein Reh für die königliche Küche ablieferte. Doch sie hatte ihn ordentlich zappeln lassen, bevor sie seine Gefährtin wurde.

Seitdem hatte man Marco nur noch selten im Palast angetroffen, da er sich nun meist bei ihr im Wald aufhielt und dort das Einmaleins der Wildnis (und andere Dinge) lernte oder es zumindest versuchte. Mit ihr und Anjin an seiner Seite machte Marco sich schon ein paar Sorgen weniger in Bezug auf künftige Gefahren, denn neben einer nicht gerade kleinen Portion Angst breitete sich eine stetig wachsende Neugier aus und er wollte versuchen, sich seinen literarischen Vorgängern würdig zu erweisen. In gewisser Weise kam sich Marco vor wie Frodo, der Hobbit aus Der Herr der Ringe, nur dass zu dessen Gemeinschaft kein Alien gezählt hatte.

Dieser Umbralla war schon ein haariger Typ, im wahrsten Sinne des Wortes, und der Name Yam-Yam war das Tüpfelchen auf dem i. Vielleicht waren sie ja von Aliens entführt worden und spielten nun die Hauptrolle in einer Art Daily Soap oder einer außerirdischen Form von Big Brother!?

Er unterbrach seinen Gedankengang, als sie den Wald und wenig später Lydias Baumhaus erreichten, welches um den mächtigen Stamm eines uralten Cryptichbaums gebaut war.

 

In dieser Nacht konnte Marco einfach keine Ruhe finden. Während Lydia einen Bären im Winterschlaf imitierte, stand Marco vorsichtig auf. Sofort war auch Anjin auf den Pfoten und begleitete ihn nach draußen, wo Marco auf der kleinen Bank vor dem Haus Platz nahm, während Anjin sich die Pfoten vertrat und einige Bäume mit frischen Markierungen versah.

»Tja, mein Freund, in wenigen Stunden beginnt zumindest für mich ein neues Leben und ich weiß nicht, wie die Suche nach diesem träumenden Bastard laufen wird. Wahrscheinlich gibt es den Penner gar nicht. Na ja, wie auch immer, verweigern kann ich mich wohl kaum, und es der Sommerkönigin samt Priesterschaft auszureden, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Aber du passt schon auf mich auf, oder?«

Wie ein Blitz kam Anjin herbei, sprang Marco halb auf den Schoß und leckte ihm stürmisch das Gesicht, bis Marco hervorbrachte:

»Ich werde auch immer für dich da sein, zumindest werde ich es mit aller Kraft versuchen.«

Kaum hatte Marco geendet, da schien Anjin noch etwas anderes gehört zu haben. Ein kurzer Blick zu Marco, dieser nickte wissend und schon war der Chuba in der Dunkelheit verschwunden. Während Marco angestrengt in die Nacht lauschte, natürlich ohne nennenswerten Erfolg, tauchte wieder eine beängstigende Vorstellung auf:

'Was ist, wenn Anjin oder Lydia etwas Schlimmes zustößt? Wenn es bisher niemand schaffte, kann man sich an zehn Fingern ausrechnen, wie gefährlich diese Reise wird. Irgendwas stinkt an der Geschichte!'

Mit einem Kopfschütteln streifte er den Gedanken und die daraus resultierenden Gefühle ab und bemerkte, dass er in der nächtlichen Kühle zu frieren begann, denn er trug nur ein Lendentuch.

»Anjin!«

Obwohl Marco im Flüsterton gerufen hatte, gab der Chuba einmal Laut und nur wenig später betraten beide das Haus. Marco hoffte, noch eine Mütze voll Schlaf zu erhaschen, denn die morgige Überfahrt würde ihm bestimmt mächtig zu schaffen machen.

 

Auch Marcia verfügte über genügend Zeit, um sich verschiedene Dinge durch den Kopf gehen zu lassen, denn ihr Versuch, die restlichen Heimatlosen (so nannte man sie insgeheim) dazu zu überreden, den letzten Abend gemeinsam zu verbringen, war kläglich gescheitert. Deshalb spazierte sie ein letztes Mal durch den Palastgarten und redete sich ein, nichts zu verpassen. Sie fühlte sich ohnehin nicht besonders wohl in der Gesellschaft dieser merkwürdigen Gestalten. Die meisten waren ihr unheimlich und machten ihr fast schon Angst, der Halborgk ekelte sie zudem extrem an. Im Nachhinein war sie sogar wütend auf sich selbst, diese Primitivlinge überhaupt gefragt zu haben. Um so mehr vermisste sie Marco, der es jetzt sicher mit seiner Hinterwäldlerschlampe trieb und seinen Spaß hatte. Gefangen in einer Mischung aus Depression und Zorn kehrte sie in den Palast zurück, verriegelte die Zimmertür hinter sich und zog den Großteil ihrer Kleidung aus.

Kaum unter die Decke geschlüpft, versuchte sie ihren Hass auf Marcos Freundin zu verdrängen und begann sich zu streicheln. Doch Sex mit sich selbst hatte ihr noch nie Spaß gemacht. Kurz entschlossen klingelte sie nach dem "Zimmerservice".

Zunächst war der junge Mann sich im Unklaren, ob die leichtbekleidete Auserwählte ihn wirklich verführen wollte. Doch ihr Tun war eindeutig, und als sie vor ihm kniend an seinem Glied zu saugen begann, schwanden ihm fast die Sinne.

 

Er hatte sein Bestes gegeben und Marcia fühlte sich halbwegs befriedigt. Trotzdem ließ sie ihn beim Abschied absichtlich spüren, dass er nur ein Diener war, ein minderwertiges Wesen. Die Zimmertür verriegelnd überkam sie Reue und Tränen bahnten sich ihren Weg. Sie redete sich ein, alles wäre nur die Schuld dieser Schlampe und fragte sich zum wer weiß wievielten Mal, wie Marco sich in dieses Flittchen verlieben konnte.

Bis der Schlaf sie schließlich übermannte, hatte sie in Gedanken mehrfach durchgespielt, wie sie der Waldläuferin per Magie übelste Dinge antat und es anschließend vor deren Augen mit Marco trieb. In ihren Träumen ging es noch heftiger zu Sache. Sie tat Lydia unbeschreibliche Dinge an, nicht ahnend, dass jemand sich an ihren Fantasien labte.

 

Die beiden geistig einfach gestrickten Boochk und Kroznok verbrachten ihren letzten Abend in der Taverne Zum blauen Fisch. Eigentlich waren sie hier nicht gern gesehen, da sie schon mehrfach eine Schlägerei angezettelt hatten, weshalb die Einrichtung mittlerweile einfach und billig aussah. Sie war es auch, da der Wirt erst nach der Abreise der Heimatlosen umfassend renovieren wollte. Zu seiner Freude gab es an diesem Abend keinen Ärger mit den beiden. Als sie sein Lokal verließen, war sein größter Wunsch, sie niemals wiederzusehen.

Auch unterwegs ging jeder den beiden Kriegern aus dem Weg, sodass sie ohne Zwischenfall den Palast erreichten, wo sie im Zimmer des Zwerges weitertranken, bis Kroznok vom Stuhl rutschte und auf dem Boden liegend einschlief. Boochk registrierte diese Tatsache mit einem breiten Grinsen, trank seinen Becher leer und hielt sich weiterhin für den Größten. Sicher hätte er auch den Daknorier, welcher vor der Entführung ebenfalls auf Mhygram gelebt hatte, mit Leichtigkeit unter den Tisch gesoffen, aber insgeheim strebte der Zwerg aus Hammerhart ein Wettsaufen mit dem haarigen Monster an. Schließlich hatte er einen Ruf zu wahren, überall und jederzeit!

 

Rayton streifte ziellos durch die Stadt. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken an die morgige Seefahrt, und auch die Gesellschaft, in der er reisen würde, hellte seine düstere Gedankenwelt nicht auf. Zwar hatte er sich seinen Leidensgenossen mehr oder weniger angepasst und sich damit abgefunden, entführt worden zu sein, doch würde er nur den eigenen Interessen Priorität verleihen. Er dachte sogar darüber nach, sich bei passender Gelegenheit von der Gruppe zu trennen und auf eigene Rechnung weiterzumachen. Er hatte sein Leben lang allein gearbeitet und hasste alles, was für Gesetz und Ordnung stand. Warum sollte er also ausgerechnet hier mit der Obrigkeit zusammenarbeiten? Was sprach dagegen, eine neue Karriere zu starten? Zudem machte es das Leben um vieles leichter, nicht an jeder Ecke einen Steckbrief hängen zu sehen, auch wenn die Zeichnung darauf seines Erachtens kläglich gewesen war.

Nachdenklich ging er weiter, bis ihn eine Hure in ein geschäftliches Gespräch verwickelte. Sie versprach, er könne auch alles mit ihr machen.

»Wirklich alles?«, fragte er mit einem Raubtiergrinsen.

»Kostet aber extra.«

»Versteht sich von selbst, schönes Kind.«

Nichts ahnend geleitete sie den schlanken Dunkelhaarigen mit dem hübschen Gesicht auf ihr Zimmer. Dort packte dieser sie plötzlich von hinten, hielt ihr den Mund zu und injizierte ihr ein Lähmungsgift. Die Wirkung trat innerhalb weniger Sekunden ein und er ließ sie auf den Boden gleiten.

»Du fragst dich sicher, warum ich das mache, nicht wahr? Nun, ich werde mich jetzt mit dir auf meine Art vergnügen und dich dann töten.«

Trotz der Lähmung nahm ihr Gesicht einen mehr als ängstlichen Ausdruck an.

»Das ist der Moment, wo auch du anfangen würdest, zu bitten und zu betteln. Du könntest sogar schreien oder unkontrolliert kreischen, womit du jedoch ein Signal aussenden würdest, welches jeden normalen Mann dazu bringen sollte, mit der Faust auf die Quelle des Signals einzuschlagen. Ich bin ein Mann und diese Maßnahme dient somit in gewisser Weise deinem Schutz.«

Aus irgendeinem Grund beruhigten seine mit einem Lächeln vorgebrachten Worte die junge Frau nicht, aber sie verspürte auch keine Todesangst, während er sie entkleidete. Das kam erst nach der Vergewaltigung.

 

Als sie nach einer Leidenszeit von fast zwei Stunden tot zu seinen Füßen lag, war Rayton natürlich klar, dass wahrscheinlich niemand in dieser Stadt je in Erfahrung bringen würde, wer all die Morde in den letzten Wochen verübte und warum, aber das war ihm egal. Er tötete nicht, um berühmt zu werden. Sein Zeichen hinterließ er nur, damit alle wussten, dass ein und derselbe Mann dafür verantwortlich war.

Die schäbige Hütte der Hure verlassend, war er mit sich und seinem Werk zufrieden. Doch in sein Hochgefühl mischte sich der Eindruck, beobachtet zu werden. Er sah sich aufmerksam um, konnte die Ursache für seine Wahrnehmung allerdings nicht lokalisieren. Er huschte in die nächste Gasse und wartete in der hier herrschenden Dunkelheit auf eventuelle Verfolger. Als niemand in seine Falle tappte, schlich er sich davon und kehrte in den Palast zurück.

 

Zumindest von den Auserwählten hätte wohl keiner vermutet, dass Yam-Yam an einem Ort namens Haus der Begierde Abschied von Chambalon feierte. In diesem Tempel der Lüste bekam man für einen entsprechenden Betrag alles, in das man sein erigiertes Geschlechtsteil reinstecken konnte.

Das dunkelrote Fell der zahmen Brodak-Bärin Vijagram gaukelte dem Umbralla bei geschlossenen Augen vor, es mit einer Frau seines Volkes zu treiben, was nicht nur seinem Körper Befriedigung verschaffte. Da er sich darüber im Klaren war, so bald keine andere Partnerin für diese Art der Betätigung zu finden, bestieg er Vijagram im Laufe des Abends siebenmal.

 

Es war schon spät, als er aus dem großen Haus mit den vielen Türen kam und sich gut gelaunt auf den Heimweg machte. In der Nähe eines der vielen kleinen Marktplätze verschaffte er sich an einem Baum Erleichterung, als er plötzlich Rayton aus einer der vernachlässigt wirkenden Hütten kommen sah, die den Platz umgaben. Um lästige Fragen zu vermeiden, wartete Yam-Yam hinter dem Baumstamm, bis Rayton außer Sicht war, um anschließend auf einem Umweg zum Palast zurückzukehren.

1. Die Suche beginnt

 

 

Die Suche beginnt

 

TAG I

Etwa zwei Stunden nach einem herrlichen Sonnenaufgang befanden sich alle Teilnehmer der Expedition auf dem Deck der Wellenreiter und beobachteten die Mannschaft des Schiffes bei ihrer Arbeit.

Auf dem Steg standen nur ein Dutzend Gestalten, meist Freunde der fünf Templer, um dem Aufbruch der Auserwählten beizuwohnen.

Marco hatte schon etwas mehr Pomp beim Abschied erwartet, zumindest eine segnende Zeremonie oder ähnliches, ließ sich seine Enttäuschung aber nicht anmerken.

Auch Lydia wirkte nicht gerade fröhlich. Schon die letzten Tage waren von einer gewissen Traurigkeit überschattet gewesen, besonders, wenn sie einem befreundeten Wesen ein Abschiedsgeschenk machte. Wehmütig sah sie Richtung Wald, versuchte ein letztes Mal ihren Baum zu sehen, von dem sie sich erst vor wenigen Stunden verabschiedet hatte.

Anjin spürte die Traurigkeit der Waldläuferin und leckte ihre Hand. Sie sah zu ihm hinunter und lächelte, dann kraulte sie den Chuba zwischen den Ohren.

Die letzten der sechs Entführungsopfer und sieben Freiwilligen, oder fünf Frauen und acht männliche Wesen, betraten mit gemischten Gefühlen das Schiff, versuchten aber trotz allem Optimismus auszustrahlen.

Die meisten kannte der Kölner nur flüchtig, da er den Großteil der letzten Wochen und Monate entweder mit Marcia zusammen verbracht hatte, oder nach der Trennung von ihr fast ausschließlich mit Lydia und Anjin unterwegs gewesen war, doch bei seinen Aufenthalten in der Stadt war ihm einiges über sie zu Ohren gekommen.

Neben Marco und Lydia stand Boochk. Der rothaarige Zwerg war ein Meister mit der Doppelklingenaxt, trug sein Kettenhemd wahrscheinlich auch im Bett und war für seine Größe ein wahres Kraftpaket. Sein Humor war so deftig wie seine ganze Art. Ansonsten erlebte man ihn eher mürrisch und abweisend, außer er hatte sein nötiges Quantum an Bier bekommen. Dann lösten sich seine geistigen Verkrampfungen und der Zwerg war jedermanns Freund. Er war als Erster in dieser Höhle aufgetaucht, die anscheinend als eine Art Empfangsstation bei den Entführungen diente.

 

Als nächster war Rayton dort angekommen, ein unscheinbarer und verschlossener Mensch, den Marco in seinem Rollenspiel für einen Charakter der Diebesklasse, eventuell sogar für einen Assassin gehalten hätte, denn seine Bewaffnung bestand aus zwei kurzen Schwertern und etlichen Wurfmessern, zudem bewegte er sich meist wie eine schleichende Katze. Er wirkte erfahren und selbstsicher, also genau das Gegenteil von Marco. Rayton hatte sich ebenfalls selten im Gästepalast aufgehalten, war ähnlich wie Marco ständig unterwegs gewesen, doch was der südländisch aussehende Mann während seiner Abwesenheit getrieben hatte, wusste niemand.

 

Als Dritter war Kroznok hierher gebracht worden, ein wirklich hässlicher Typ. Er war ein Halborgk, verwendete im Kampf eine große, mit Nägeln bestückte Keule und erinnerte Marco an gewisse Wesen in Peter Jacksons Verfilmung von Der Herr der Ringe, vor allem, weil Kroznok diese beiden Hauer aus dem Unterkiefer ragten. Auch seine extreme Körperbehaarung und extrem mangelhafte Hygiene machten ihn nicht ansehnlicher. Daher wusste Marco nur, dass der Typ an einem Ort namens Dunkelloch gelebt hatte und ziemlich aggressiv reagierte, wenn er sich verspottet fühlte, weshalb er des Öfteren in Schlägereien verwickelt gewesen war. Dazu kam, dass er erst hier Bekanntschaft mit Alkohol machte. Mehrmals hatte man ihn betrunken verhaftet, aber da er ein Sucher und damit ein Auserwählter war, hatte man ihn nie ins Gefängnis gebracht. Mittlerweile erreichte er schon fast die Trinkfestigkeit des Zwerges und trainierte bei jeder sich bietenden Gelegenheit, um Boochk eines Tages unter den Tisch saufen zu können. Zurzeit litt er heftig unter den Nachwirkungen des letzten Saufgelages.

 

Aber das war nichts im Vergleich zu Yam-Yam, zumindest was extremes Aussehen anging. Der Umbralla hatte zwar eine humanoide Körperform mit zwei Armen und zwei Beinen, war jedoch behaart wie ein Yeti, allerdings gepflegter als Kroznok, mit einem halbkugelförmigen Kopf direkt auf den Schultern sitzend, sein Gesicht ebenfalls mit einer dicken Mähne bedeckt. Die vier halbkreisförmig angeordneten großen, runden Augen konnten nicht davon ablenken, dass der Umbralla offensichtlich weder Nase noch Ohren besaß. Dafür aber ein riesiges Maul. Wenn Yam-Yam es öffnete und mit einem haifischartigen Grinsen eine Menge scharfer Zähne zur Schau stellte, trug dies nicht dazu bei, seinen Anblick auch nur halbwegs als angenehm zu empfinden, und bei einer Körpergröße von fast zwei Metern zählte er hier eindeutig zu den Riesen. Er war mit einer Art Kampfstab aus Metall bewaffnet, dessen beide Enden zu einer scharfen Klinge geformt waren. In seiner Welt bezeichnete man diese Waffe als Kackab.

 

Marcia van der Dorken dagegen war eine wahre Schönheit. Ihr Körper war eine einzige Verlockung, besonders in dieser eigens für sie angefertigten Lederkleidung, welche vor allem ihre gut proportionierten Brüste und die wohlgeformten Beine betonte. Und dann dieses herzförmige Gesicht mit den blonden Locken eines Engels, welche sie zu etwas ganz besonderem machten, denn Naturlocken waren zumindest auf dieser Seite der großen Wasserfläche unbekannt. Der Status einer Auserwählten gefiel ihr, weshalb sie nur ungern die Stadt verließ.

Sie kaschierte ihre Unsicherheit und fehlende Reife mit einer spitzen Zunge und atemberaubenden Dekolletés, doch sie war nicht dumm, und um zu bekommen, was sie wollte, wusste sie ihren Körper entsprechend einzusetzen. Zumindest bei Männern klappte das fast wie auf Knopfdruck.

 

Die Abordnung des Tempels umfasste fünf Personen. Layra, die Priesterin, war die recht autoritäre geistige Anführerin dieser Gruppe, Hauptmann Khrom von den sogenannten Hütern des Tempels war für die Sicherheit zuständig und ihr engster Vertrauter.

Limar und Naria kümmerten sich um das leibliche Wohl der Truppe, Pijäi umsorgte die Tiere der Expedition.

Und zu guter Letzt, auf seiner Laute leise vor sich hinklimpernd, war der halbwegs talentierte Mursa dabei. Ein Barde mit der nervtötenden Kraft eines Troubadix, nur dass man ihn nicht jeden Abend geknebelt an einen Baum hängen konnte. Oder vielleicht doch?

 

Marco hatte nur selten versucht, jemanden näher kennen zulernen, was sich im Verlauf der Reise zwangsläufig ändern musste, und er war gespannt, wie weit diese Ansammlung verschiedenster Charaktere kommen würde.

Die meisten Gäste auf der schnell dahingleitenden Wellenreiter kamen gut zurecht, was das Problem der Seekrankheit betraf, nur der Zwerg sowie der Umbralla fühlten sich äußerst unbehaglich. Der Zwerg, weil er jede Wasserfläche, welche die eines Badezubers übertraf, hasste, und der Umbralla, weil er eine riesige Wasseransammlung wie diese noch nie gesehen hatte und sie ihn einerseits faszinierte, andererseits ängstigte. Richtig schlecht ging es nur Kroznok, weshalb sich dieser ständig an der Reling aufhielt und ununterbrochen fluchte, wenn sich nicht gerade sein Magen verkrampfte.

Unterstützt durch magische Winde flog das Zweikörperschiff förmlich über das dunkle Wasser, und da keines der Ungeheuer, welche angeblich das stille Meer bevölkerten, auftauchte, um das Schiff zu verschlingen, wurde es eine langweilige Überfahrt.

Immerhin war die See ruhig, und so versuchten einige zu schlafen, andere beschäftigten sich mit dem Kontrollieren der Ausrüstung, wieder andere standen an der Reling und angelten, oder sprachen zum ersten Mal mehr als drei Worte miteinander.

Die Sonne stand schon tief, als der Ausguck meldete:

»Land in Sicht!«

Sofort bewegte sich jeder in Richtung Bug und sah mit gemischten Gefühlen der Zukunft in Form eines Küstenstreifens entgegen. Die Kahlheit und extreme Trostlosigkeit dieses Anblicks verdichteten sich mit jedem Augenblick der Annäherung. Eine öde Hügellandschaft erwartete sie, links und rechts in der Ferne die stets präsenten Berge, welche diese Welt offenbar ringsum begrenzten.

 

Als das Schiff sicher am Ufer lag, zündete man zunächst ein paar Fackeln an und steckte sie halbkreisförmig in den Sand. Dann sammelten einige Gruppenmitglieder Treibholz, der Rest begann mit dem Entladen der Ausrüstung.

Nachdem die vier Maultiere und der Planwagen unfallfrei den Strand erreicht hatten, wurden mehrere Zelte aufgebaut. Derweil verströmte der große Kessel über dem Feuer einen gar köstlichen Geruch. Wer gedacht hatte, Limar würde in der Wildnis nicht zurechtkommen und weniger göttlich kochen, der sah sich gewaltig im Irrtum.

Allerdings gerieten diese hier unbekannten Gerüche auch in die Nase eines Mannes, der auf der Suche nach Streit war. Und es würde todsicher eine Auseinandersetzung geben, denn an seinem Gürtel baumelte ein auffällig großer Schlüssel mit mehr als einem Bart!

 

Nachdem selbst Kroznok und Yam-Yam satt waren, zogen sich bereits die Ersten in die Zelte zurück und richteten ihre Lager. Der Rest saß im Halbkreis am Feuer und Mursa erzählte ihnen eine Geistergeschichte. Gerade als er an einer spannenden Stelle angelangt war, rief aus der Dunkelheit eine Stimme:

»Kehrt um oder morgen bei Sonnenaufgang wird der Tod Euch heimsuchen! Dieses Land will Euch nicht, ihr gehört hier nicht hin!«

Alle schienen in diesem Augenblick den Atem anzuhalten.

»Verschwindet oder betet ein letztes Mal zu Euren toten Göttern!«

Kaum war der letzte Ton der Drohung verklungen, da stürzte Layra aus ihrem Zelt und fuchtelte mit etwas schwach Leuchtendem herum.

»Der Kristall! Er leuchtet!«

 

Nachdem sich die Aufregung im Lager etwas gelegt hatte, wurden zunächst Wachen aufgestellt, dann teilte Layra dem Rest der Truppe mit, warum der Kristall leuchtete.

»Der Kristall der Suche hilft uns beim Aufspüren dieser Schlüssel.« Dabei hielt sie einen Gegenstand ins Licht, der anscheinend aus purer Jade bestand und die Form eines circa zwei handbreit langen Schlüssels hatte. Doch das Besondere an ihm waren seine vier Bärte.

»Der Kristall zeigt die Richtung durch den Pfeil in seinem Inneren und die Entfernung durch die Stärke seines Leuchtens an. Er ist unser wichtigstes Hilfsmittel und darf auf keinen Fall verloren gehen, denn wir werden weitere Schlüssel dieser Art brauchen, um in die nächste Ebene zu gelangen.«

»Die nächste Ebene?«, fragte Rayton überrascht. »Von wie vielen Ebenen sprechen wir hier eigentlich? Ich dachte, wir suchen nur ein Tor und sind am Ziel.«

»Elf Tore unseren Weg versperren, sagt das Buch der Träume. Und bevor einer danach fragt, ja, es bedeutet das Versagen unserer Vorgänger.«

»Nett, dass wir darüber auch schon informiert werden. Was verheimlicht Ihr uns denn noch?«

Rayton wirkte leicht ungehalten.

»Entschuldigt, wenn ich Euch unterbreche, aber sollten wir uns nicht erst mal Gedanken über die Drohung aus dem Dunkel machen?«, warf Boochk ein und registrierte bei den meisten ein beifälliges Nicken.

»Dem werden wir uns stellen, wenn es soweit ist.« Khrom blickte Boochk mit einem abfälligen Grinsen von oben herab an. »Oder wollt Ihr ihn jetzt suchen?«

»Nein, aber vielleicht sollten wir uns weniger beleuchten, schließlich sitzen wir hier wie auf einem Präsentierteller«, verteidigte sich der Zwerg.

»Wenn unser Feind jetzt angreifen wollte, warum opferte er das Überraschungsmoment?«

Khroms Frage löste eine mittelgroße Debatte aus. An deren Ende stand, dass alle auf dem Schiff schliefen, die dem Frieden der Nacht nicht trauten. Und das Vertrauen untereinander hatte scheinbar auch erste Risse erlitten!

 

TAG II

Der neue Tag begann friedlich.

Als der Wagen fertig beladen und das Schiff unterwegs in die Heimat war, bemerkte Lydia Anjins Anspannung, was sie auf eine einsame Gestalt aufmerksam werden ließ. Sofort informierte sie die Mitreisenden über diesen Umstand.

»Das muss der Kerl sein, der uns gestern zu ängstigen versuchte«, mutmaßte Boochk mit gepresster Stimme und sah Mursa an.

»Versuchte?«, fragte der Barde.

»Keine Angst, schließlich ist es nur einer.«

Nur Pijäi war mit dem Einspannen der Maultiere beschäftigt, alle anderen blickten der sich langsam nähernden Person entgegen. Diese war männlich, fast drei Schritt groß, trug ein fleckiges Kettenhemd und in jeder Hand eine Streitaxt. Ansonsten vermittelte der Mann einen abgerissenen Eindruck, ähnlich einem zottigen Straßenköter. Nur noch zwanzig Schritt von der Gruppe entfernt rief er:

»Ist unter Euch Feiglingen einer, der es wagt, gegen mich die Waffe zu erheben? Denn wenn ihr vorhabt, hier etwas zu suchen, so werdet ihr nur den Tod finden.«

»Etwa durch Hand von Euch? Wo sein Eure Armee?«, höhnte Kroznok.

»Habt Ihr gesehen«, flüsterte die Priesterin Khrom zu, »was am Gürtel dieses Mannes hängt?«

Während dessen zog der unbekannte Krieger mit einer seiner Äxte eine Linie vor sich in den Sand und baute sich anschließend bühnenreif auf.

»Ich wette, unter euch ist niemand, der die Linie des Todes zu überschreiten wagt. Und ich behaupte zudem, ihr seid ehrloses Gesindel und scheißt euch vor Angst in die Hosen.«

»Das reicht!«, brüllte der Zwerg voller Zorn und stürmte, die eigene Axt beidhändig schwingend, dem Unbekannten entgegen. Kaum hatte Boochk die Linie im Sand überschritten, da wurde er schon mit einem Hagel von Schlägen eingedeckt, denn der Prahlhans bewegte sich geschmeidig und schnell und entpuppte sich als hervorragender Kämpfer. Unerwartet und zum Entsetzen aller trennte er plötzlich mit einem Hieb aus einer fast anmutig wirkenden Drehung den Kopf des Zwerges von dessen Körper, warf sich sofort in Positur und schrie seinen Triumph der Welt mit hochgereckten Äxten entgegen.

Während noch stoßweise eine Blutfontäne aus dem Halsstumpf des Zwerges schoss, da dessen Herz noch nicht wusste, dass die Blutzufuhr zum Gehirn unterbrochen war, forderte sein Bezwinger die Gruppe erneut heraus.

»Niemand bezwingt Gulampar, ich bin unbesiegbar! Selbst eure machtlosen Götter zittern vor mir!«

Noch bevor sich jemand wirklich von dem Schock erholt hatte, stürmte der Verrückte auf die Gruppe zu und löste bei einigen Panik aus. Da rief Layra:

»Stirb!«, aber der scheinbar Wahnsinnige starb nicht und griff ohne Rücksicht auf Verluste an.

Yam-Yam konnte gerade noch ausweichen, Khrom war nicht so schnell und verlor seine rechte Hand, welche weiterhin den Schwertgriff umklammerte. Das Blut spritzte schubweise, wie bei einer Fontäne mit Zeitschaltung, aus der Wunde. Khrom biss die Zähne zusammen, versuchte mit der linken Hand die Wunde am Bluten zu hindern.

Plötzlich stoppte der Angriffswirbel. Aus Gulampars Brust ragte eins von Raytons Wurfmessern, ein von Lydia abgeschossener Pfeil hatte das Kettenhemd durchschlagen und sich in den Rücken gebohrt.

Der Wüterich schien trotzdem nicht sonderlich beeindruckt, als Layra erneut mit dem Finger auf ihn zeigte und »Stirb!« rief. Ein unmerkliches Zögern, dann fiel Gulampar auf die Knie, schließlich auf sein Gesicht und lag regungslos auf dem Boden.

»Schnell, er ist noch nicht tot«, rief die Priesterin erregt.

Yam-Yam reagierte am schnellsten auf Layras Ruf und rammte eine Klinge seiner eigenartigen Waffe in den Rücken des Wahnsinnigen. Und zwar mehrfach. Das schien zu reichen, denn die blutüberströmte Gestalt gab weder Geräusche von sich, noch machte sie Anstalten aufzustehen.

Layra kniete schon bei Khrom und berührte den blutenden Armstumpf, dabei eine Art Gebet murmelnd. Kurz darauf setzte die Heilung ein und die Wunde schloss sich und vernarbte. Zwar machte der Blutverlust Khrom mächtig zu schaffen, doch er würde zumindest überleben.

 

Marco konnte es noch immer nicht fassen, wie schnell einen hier der Tod ereilen konnte. Anjin versuchte vergeblich, ihn zu trösten, indem er sich kraulen ließ.

Selbst als Layra Anweisungen für die Beerdigung des Zwerges gab und dann Gulampars türkisfarbenen Schlüssel an sich nahm, ging ihm nur ein Gedanke durch den Kopf:

'Wir sind schon so gut wie tot. Schon beim ersten Hindernis verlieren wir zwei unserer besten Kämpfer. Ich hätte .... oder .... Scheiße, mich werden sie auch irgendwo im Gelände verscharren, inmitten dieser Twilight Zone! Oh Lydia, warum hast du dich ausgerechnet in einen Loser wie mich verliebt?'

Während dessen hatten Yam-Yam, Kroznok und Pijäi begonnen, ein Grab auszuheben. Limar und Naria beschäftigten sich mit Kochen und Mursa saß neben Marcia, um sie zu trösten. Rayton stand etwas abseits und schüttelte immer wieder leicht den Kopf.

Nach einer einfachen Zeremonie des Abschieds gab Layra den Befehl zum Aufbruch. Khrom saß bei Pijäi auf dem Wagen, die Anderen gingen zu Fuß. Niemand sprach ein überflüssiges Wort, statt dessen hingen die meisten ihren mehr oder weniger traurigen Gedanken nach.

Ein Dutzend Mailen später stieß man auf eine Quelle und beschloss, hier die Nacht zu verbringen.

 

TAG III

Am Ende des Tages entdeckten die Reisenden einen Wald am Horizont, der einen düsteren, ja bedrohlichen Eindruck machte. Und man schien ihn nicht umgehen zu können!

Selbst der schmackhafte Eintopf, den Limar und Naria gezaubert hatten, konnte die Stimmung nicht sonderlich aufhellen.

Marco saß mit Anjin und Lydia etwas abseits des Feuers und starrte in den Sonnenuntergang.

»Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, mein Herz«, sagte die Waldläuferin und nahm zärtlich seine linke Hand, führte sie zum Mund und küsste deren Innenseite. »Irgendwie werden wir es schaffen, dessen bin ich mir sicher. Es kann nicht sein, dass die Geschichte unserer Liebe schon das Ende erreicht hat. Wir hatten nur einen etwas unglücklichen Start.«

»Ich weiß, du bist mutiger, als es einer einzelnen Person zusteht. Aber es ist nicht Angst, die mich quält, sondern Ungewissheit, gepaart mit Machtlosigkeit. Früher, da war es lustig einen Helden zu spielen, denn wenn er in Erfüllung seiner Pflicht starb, würfelte man eine neue Spielfigur aus und stieg wieder ins Geschehen ein. Obwohl man auch manchmal Trauer empfand, wenn ein lieb gewonnener Charakter starb. Doch hier ist alles endgültig. Aber am schlimmsten ist, dass eigentlich keiner weiß, warum wir das machen müssen. Sind wir vielleicht eine Art Opfer für diesen Gott? Oder Spielzeug? Was auch immer, es kotzt mich an und die Hilflosigkeit, das Gefühl der Unfähigkeit, auch nur eine Kleinigkeit ändern zu können, macht mich irgendwann noch verrückt.«

»Ich weiß, aber war dein Antrieb nicht, in deine Heimatwelt zurückzukehren?«

»Und was ist für den Fall, wir schaffen es, aber du darfst mich nicht begleiten? Oder Anjin? Ich könnte euch nie verlassen. Doch kaum habe ich mich mit den Umständen arrangiert und die Liebe meines Lebens gefunden, da befiehlt man mir, lächelnd in den Tod zu marschieren. Ich komme mir vor, als wäre ich eine Schachfigur und muss erdulden, was jemand anderes für mein bisher so sinnloses Leben plant. Diese Gedanken sind für mich kaum zu ertragen. Am liebsten wäre ich mit dir in Chambalon geblieben, wo wir viele kleine Waldläufer herstellen würden und Anjin immer einen Baum finden könnte.«

Lydia nickte verstehend mit dem Kopf und sagte:

»Dann wandle deine Ängste doch um in Wut! Sei extrem wütend auf alles, was unsere Liebe zerstören will! Und trainiere wieder, vielleicht sogar mit diesem Rayton. Er scheint sich mit Überleben auszukennen.«

»Ich will es versuchen, morgen geht’s los, versprochen.«

»Aber eines musst du schon heute tun, nämlich deine Gefährtin küssen, bevor sie sich einen Liebhaber sucht.«

Augenblicklich umarmte er Lydia und erfüllte ihren Wunsch.

 

TAG IV

An diesem Tag brannte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel unbarmherzig auf die Reisenden nieder, machte besonders dem Halborgk zu schaffen, weshalb dieser ohne Unterlass vor sich hinfluchte.

Als sie am frühen Nachmittag den Rand des düsteren Waldes erreichten, freuten sich alle über den kühlen Schatten, blieben aber wachsam.

Zum Glück war das Unterholz nicht dicht, wenig später entdeckten sie sogar einen für den Wagen ausreichend breiten, künstlich angelegten Weg, dem sie folgten, bis sie eine kleine Lichtung betraten, auf deren Mittelpunkt sich ein Wegweiser befand. Fünf spitz zulaufende Bretter waren an ihm befestigt und wiesen in verschiedene Richtungen. In leuchtend roter Farbe, die wie frisch aufgetragen wirkte, war auf ihnen zu lesen:

Langer Weg zur Weisheit

Berg der Gehörnten

Lebkuchenhaus – Warnung! Zutritt für Erwachsene verboten!

Kurzer Weg zur Höhle des Menschenfressers

See der Verlockung

Sie entschieden sich, hier zu kampieren, doch kaum hatten sie mit dem Aufbau des Lagers begonnen und Limar ein Feuer entzündet, als eine helle Stimme schrie:

»Löscht sofort das Feuer in meinem Wald!«

Dann trat eine hübsche junge Frau auf die Lichtung, eine Toga in verschiedenen Grüntönen tragend, in den Händen einen Bogen samt aufgelegtem Pfeil, dessen Spitze aber noch auf den Boden gerichtet war.

»Entschuldigt«, sagte Layra und gab Limar zu verstehen, das Feuer zu löschen. »Wir sind fremd hier und wussten nichts von diesem Verbot. Ich hoffe, wir können das mit einer Einladung zum Abendessen wieder gutmachen.«

Als die Frau sah, dass Limar das Feuer löschte, lächelte sie die Gruppe an, steckte den Pfeil in ihren Köcher und streckte dann die Rechte zur Begrüßung aus.

»Willkommen im Rabenwald! Ich bin Trystona, die Hüterin.«

Als die Reihe an Marco war, von der Priesterin vorgestellt zu werden, bemerkte Trystona Anjin an dessen Seite und schien davon beeindruckt.

»Ihr gehört zusammen?«, fragte sie und ging in die Hocke, um Anjin an ihrer Hand schnüffeln zu lassen. Was dieser auch tat und zu Marcos Überraschung ließ er sich danach sogar von ihr anfassen! Das hatte der Chuba, seit er mit Marco zusammen war, nur drei Personen gestattet, und zwar Lydia, Pijäi und Yam-Yam.

»Ich heiße Marco, und der kleine Mann hier ist Anjin, mein Navigator.«

»Es ist besonders schön, euch kennen zulernen.«

 

Nach dem Essen erzählte Trystona von den verschwundenen Raben, die einst dem Wald seinen Namen eintrugen und von denen sie hoffte, sie würden irgendwann zurückkommen. Danach beantwortete sie Fragen zu den Zielen, die der Wegweiser avisierte.

»Am Berg der Gehörnten wurden früher Frauen angekettet und dem Tod überlassen, weil sie ihren Ehemännern untreu waren.«

»Eine barbarische Strafe, wie sie nur von Männern erdacht werden kann«, war die Meinung der Priesterin.

»Kommt auf den Standpunkt des Betrachters an«, konterte Rayton.

»Meist sind es doch die Männer, welche erst Freundin oder Ehefrau vernachlässigen und dann auch noch fremdgehen«, behauptete Marcia.

»Animiert von wem? Soweit ich weiß, gehören dazu noch immer zwei«, verteidigte Marco seine Geschlechtsgenossen.

»Man hätte sie auch direkt zum Menschenfresser bringen können, der erst vor kurzem Vater wurde. Ich hoffe, der Nachwuchs kommt mehr nach seiner Mutter. Das Lebkuchenhaus meide ich wie alle klugen Erwachsenen, ebenso den See, außer ihr möchtet gefressen oder versklavt werden«, fuhr Trystona fort, und damit niemand diesen Gefahren zum Opfer fiel, erbot sie sich, die Suchenden durch den Wald zu begleiten, was diese sehr begrüßten. Besonders Pijäi, denn der schüchterne Tierfreund hatte sich ein wenig in die hübsche Waldläuferin verguckt.

Da es ohne Lagerfeuer schon bald recht kühl wurde, übernahm Kroznok die erste Wache und der Rest wickelte sich in wärmende Decken. Während Lydia wie gewohnt nach dem Schließen der Augen zügig einschlief, war Marco noch mit den Ereignissen der letzten Tage beschäftigt. Anjin richtete sich auf, legte seinen Kopf auf die Brust des Kölners und reflexartig kraulte ihn Marco zwischen den Ohren.

»Das Leben in meiner Welt hätte so schön sein können«, flüsterte er. »Aber leider gibt es Dinge wie wahnsinnige Wissenschaftler, verrückte Götter, machthungrige Politiker und religiöse Fanatiker, die einem das letzte Fünkchen Spaß nehmen. Alles drehte sich nur noch um das Beschaffen von Geld, aber wenn du endlich welches hattest, solltest du es möglichst direkt wieder ausgeben. Eigentlich war alles mit einem Widerspruch versehen, sodass ein normaler Mensch nie wusste, woran er war. Dafür schien das Überleben an sich leichter, doch in Wirklichkeit war es nur entscheidend, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Das Einzige, was ich wirklich vermisse, ist Musik. Hätte dir bestimmt auch gefallen, zumindest die ruhigen Sachen. Aber jetzt schlaf schön, mein Freund, dann ist die Anzahl der Probleme überschaubarer.«

 

TAG V

Der rabenlose Wald war größer, als die Sucher angenommen hatten. Auf Trystonas Rat hin folgten sie dem langen Weg zur Weisheit, da dieser ihrer Erfahrung nach der sicherste war. Unterwegs stießen sie auf eine Bärin mit ihren zwei Jungen, doch nachdem die Waldhüterin mit ihr gesprochen hatte, zog sie brummend mit ihrem Anhang von dannen.

Da man wegen des Wagens nicht besonders schnell vorankam, war absehbar, dass man auch die kommende Nacht im Wald verbringen würde.

Trystona hatte sie zu einem Bach mit kühlem Wasser geführt, was viele nutzten, um ihre Haare, den Körper und manchmal auch die Kleidung zu reinigen. Einige Frauen waren dabei nicht gerade prüde und zeigten ihre wohlgeformten Kurven. Einige der Männer boten an, bei schwer erreichbaren Stellen behilflich zu sein, doch die Frauen halfen sich lieber gegenseitig und manche machten sich einen Spaß daraus, die Männer ein wenig zu reizen, indem sie sich vor allem die Brüste betont langsam abrieben. Ein Anblick, der so manchen Mann schwer schlucken ließ, vor allem, wenn der Blick an den vor Kälte verlockend abstehenden Nippeln hängen blieb. Dabei fiel auf, dass das Ganze niemandem peinlich war, selbst der Priesterin nicht.

Und wenn die Frauen die deutliche Erregung der Männer bemerkten und die Beulen in den Hosen kommentierten, schien eher das Gegenteil der Fall.

 

Nach dem abendlichen Mahl fragte Marcia:

»Was erwartet uns, wenn wir Euren Wald passiert haben?«

»Fruchtbare Landschaft, sehr hügelig. Mehr weiß ich auch nicht.«

Die Antwort schien Marcia zu enttäuschen, aber Trystona gab zu bedenken, dass sie zeitlebens den Wald nie verlassen habe.

»Welch langweiliges Leben. Ich freue mich schon auf einen Discobesuch, sobald wir diese furchtbare Welt verlassen haben.«

»Was ist ein Disco?«, fragte Naria.

»Ein Laden, in dem sich Menschen treffen um zu tanzen, was zu trinken und sich zu amüsieren«, klärte Marcia sie auf.

»Ah, wie in einem Bordell.«

»Nicht wirklich«, lachte Marcia.

»Nur Menschen?«, hakte Kroznok nach.

»Bei uns gibt es nur Menschen. Es gibt verschiedene Hautfarben ....«

»Bei Euch gibt es keine Tiere?«, fragte Pijäi überrascht.

»Doch, aber die gehen nicht zum Tanzen in die Disco.« Marcia lächelte. »Es gab allerdings auch ein winziges Gerät bei uns, in dem man die Musik mitnehmen konnte, um sie jederzeit hören zu können. Aber hier hätte es sehr wahrscheinlich nicht funktioniert, genau wie unsere Uhren.«

»Ah, davon habe ich in Chambalon gehört«, sagte Rayton. »Es diente zum Messen der Zeit, nicht wahr?«

»Korrekt. Immerhin war meine Uhr hier noch so viel wert wie ein gutes, solides Langschwert«, warf Marco ein und grinste.

Es herrschte eine entspannte Stimmung, weshalb Mursa zu fragen wagte:

»Würden die Leute in dieser Disco auch zu meiner Musik tanzen?«, dabei lächelte er die Deutsche schüchtern an.

»Ihr sagen, Gekrampfe von Euch wäre wie Musik?«, grölte Kroznok und sah sich, nach Bestätigung heischend, in der Runde um.

»Eure Meinung zählt nicht, da Ihr ein Banause seid!«, konterte Mursa.

»Wenn das Beleidigung sein, können Ihr Euch von Lärm machendem Ding verabschieden«, knurrte der Halborgk und sprang auf.

Da schaltete sich Layra ein.

»Hört sofort auf, euch wie kleine Kinder zu benehmen. Wir werden unsere Kräfte für morgen brauchen, also legt euch jetzt schlafen.«

Entschuldigungen murmelnd kamen alle diesem Befehl nach, auch wenn mancher dabei Magengrimmen hatte.

So war es nicht verwunderlich, dass es nur Mursa schaffte, unter eine fremde Decke zu kriechen und sich mit Naria zu vergnügen.

 

TAG VI

Als nach dem Frühstück jeder seine Habe zusammenpackte, fiel Rayton, der seine Augen überall zu haben schien, ein Gegenstand auf, der Trystona aus ihrem ledernen Umhängebeutel gerutscht war. Dabei handelte es sich um einen Schlüssel mit vier Bärten, also trat Rayton näher und fragte leise:

»Wozu braucht Ihr hier im Wald einen Schlüssel, falls es nicht der Schlüssel zu Eurem Herzen ist?«

»Das ist doch nur ein alter Knochen. Ich fand ihn vor einigen Wochen und behielt ihn wegen seiner seltsamen Form. Oder geht es Euch gar nicht um den Schlüssel?«

»Wie es der Zufall will, können Schlüssel dieser Art helfen, dass wir das Ziel unserer Reise erreichen. Würdet Ihr ihn eintauschen, da Ihr augenscheinlich nichts mit ihm anfangen könnt?«

Trystona lächelte ihn süßlich an.

»Ich tausche ihn gegen einen Kuss von .... Marco.«

Zunächst schien er enttäuscht, dann musste auch Rayton grinsen und ging zu Marco, der gerade seine Decken auf dem Wagen verstaute, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen.

»Falls Ihr nichts Besseres vorhabt, könntet Ihr Trystona einen Kuss geben.«

In Marcos Blick mischten sich Besorgnis und Zweifel an Raytons geistiger Gesundheit, weshalb er ihn fragte:

»Nehmt Ihr etwa Drogen? Warum sollte ich riskieren, von Lydia die Haut bei lebendigem Leib abgezogen zu bekommen?«

»Küsst sie doch selbst«, rief Lydia entrüstet und lugte unter der Plane des Wagens hervor.

»Das geht leider nicht, schönste Lydia, sie besteht auf Marco. Jedoch würden wir von ihr einen Schlüssel erhalten, wie er in unserer Sammlung noch fehlt.«

»Wenn dem so ist«, während sie sprach, blickte sie Marco tief in die Augen, »soll es so sein. Und dann komm zu mir zurück.«

Damit verschwand sie wieder unter der Plane.

»Viel Spaß.«

Rayton grinste von einem Ohr zum anderen. Marco enthielt sich eines Kommentars und schlenderte langsam in Richtung Trystona. Diese beobachtete ihn die ganze Zeit aufmerksam, kam ihm aber nicht entgegen. Schließlich hatte Marco sie erreicht und meinte:

»Warum wollt Ihr ausgerechnet einen Kuss für Euren Schlüssel? Und weshalb wählt Ihr mich dafür aus, obwohl Ihr wisst, dass Lydia meine Lebensgefährtin ist.«

»Weil ich schon lange nicht mehr geküsst worden bin und mir die Schnauze des Chubas zu feucht ist. Aber der Mann, den ein Chuba zum Freund wählte, reicht auch. Wollt Ihr nun den Preis bezahlen oder bleibt mir dieser Knochen zum Andenken an einen Mann, der mich nicht küssen wollte?«

»Dann lasst mich meine Dankbarkeit in diesen Kuss legen, da meine Liebe schon vergeben ist.«

Damit nahm er sie in die Arme und küsste sie sanft, wobei er zärtlich ihren Nacken streichelte. Als sie sich voneinander lösten, glaubte Marco in ihren Augen mehr Flüssigkeit als sonst zu bemerken, doch sie wandte sich rasch von ihm ab und zog den Schlüssel aus dem Lederbeutel.

»Ich danke Euch auch für Eure Worte, selbst wenn mir der Glaube fehlt. Möge der Schlüssel Euch gute Dienste leisten.«

Damit reichte sie Marco den Gegenstand, ließ ihn dann einfach stehen und tat so, als hätte sie etwas Wichtiges mit Mursa zu bereden. Marco verstaute den Knochen in seiner Gürteltasche und wollte gerade zurück zu Lydia, als Layra ihn zu sich winkte.

»Gebt mir bitte den Schlüssel, ich werde ihn zusammen mit den anderen verwahren«, sagte sie ein wenig zu herrisch für Marcos Geschmack und hielt ihm fordernd ihre rechte Hand entgegen.

»Ich kann ihn ebenso gut verwahren. Zudem halte ich es nicht für angebracht, alle Schlüssel in der Hand einer Person zu lassen. Was ist, wenn Ihr in einen tiefen Abgrund stürzt und alle Schlüssel mit Euch verloren gehen?«

»Ihr habt recht«, sagte sie nach kurzem Zögern und ließ die Hand langsam sinken. »Wir sollten diese Möglichkeit bedenken.«

Doch ihr Blick, so schien es Marco, stimmte ihren Worten nicht zu. Als er zurück zum Wagen ging, meinte Marcia im Vorübergehen:

»Warst du schon früher so ein Herzensbrecher oder hast du erst hier Spaß daran gefunden?«

Marco überhörte ihren Spott und ging einfach weiter. So bemerkte er nicht die Blicke, welche Pijäi aus zusammengekniffenen Augen auf seinen Rücken warf.

 

Gegen Mittag war das Ende vom Rabenwald erreicht. Nacheinander verabschiedeten sich alle (einige mehr, andere weniger herzlich) von Trystona und näherten sich, nun wieder ohne Führer mit Ortskenntnis, weiter dem Unbekannten, das ihrer harrte. Selbst das Wetter wurde unangenehmer, denn der auffrischende Wind und die dunkelgrauen Wolken kündeten von baldigem Regen.

Als die ersten Tropfen fielen, kam Lydia vom Kundschaften zurück und trieb zur Eile an, denn sie hatte in dieser menschenleeren Landschaft etwas Unvorstellbares entdeckt: einen Gasthof! Doch die Begeisterung wurde sofort durch den wolkenbruchartigen Regen gedämpft, der jetzt vom Himmel stürzte. Als die Reisenden bei kaum noch vorhandener Sicht das Tor des Hofes erreichten, hämmerte Kroznok ungeduldig dagegen. Kurz darauf öffnete sich ein Fensterladen im oberen Stockwerk und eine kräftige Männerstimme rief:

»Wer begehrt Einlass?«

»Eine Reisegruppe aus Chambalon. Und jetzt öffnet rasch, bevor wir hier draußen ersaufen.«

Die Stimme des Hauptmanns war mehr als nur laut, da er es gewohnt war Befehle zu brüllen, und wenige Augenblicke später trat jemand im Licht einer Laterne aus dem Haus und entriegelte das Tor.

»Fahrt euer Gespann nach hinten, da ist der Stall. Der Rest von euch möge mir folgen.«

Bis auf Pijäi zog es alle in die warme Gaststube, wo sie sich vor dem Kaminfeuer versammelten. Khrom verhandelte abseits der Wärme bereits mit dem Wirt betreffs Unterkunft und Verpflegung. Da außer ihnen keine weiteren Gäste Platz benötigten, waren ausreichend Zimmer vorhanden. Auf diese zog man sich zurück, nachdem jeder, der nicht zur Templergruppe gehörte, sein Gepäck selbst aus dem Stall geholt hatte, um trockene Kleidung anzuziehen. Danach ließ man sich im Schankraum einen heißen Gemüseeintopf und Wein kredenzen.

 

Der Wirt vom Gasthof Zum wissenden Weisen war zwar ziemlich dick, aber auf Zack. Seine Preise waren fair, Essen und Getränke überraschend gut. Als dieser einen weiteren Krug Wein an den Tisch brachte, fragte Marco ihn:

»Bitte erlaubt mir Euch zu fragen, wie euer Gasthof zu seinem Namen kam?«

»Aber gern, werter Herr. Der Name kommt daher, weil jeder, der zu meinem Gasthaus findet, hier Antworten auf seine drei dringendsten Fragen erhalten kann.«

»Dann müsst Ihr der Weise sein«, stellte Layra mit unbezwingbarer Logik fest.

»So ist es.«

»Und welchen Preis hat der Fragende zu entrichten, wenn er Euren Rat erbittet? Schließlich ist Wissen Macht und verlangt stets nach einer Gegenleistung.«

»Wozu sollte ich etwas dafür verlangen, Herr Livell? Ich habe hier alles, was ich brauche.«

»Woher kennt Ihr meinen Namen?«, fragte Rayton misstrauisch.

»Ich erfahre den Namen einer jeden Person, die meinen Gasthof betritt. Bitte fragt nicht, wie ich das mache, denn ich weiß es selbst nicht.«

»Dann seid doch so nett und verratet uns Euren Namen«, bat Lydia mit einem Lächeln, das selbst ein verdorrtes Herz wieder zum Schlagen gebracht hätte.

»Bitte entschuldigt meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Kju. Falls jemand dringende Fragen hat, geduldet euch bitte einen Augenblick.«

»Irgendwas stimmt hier nicht«, sprach Khrom mit gedämpfter Stimme, nachdem Kju gegangen war. »Ein Gasthaus inmitten unberührter Wildnis, ein Wirt ohne Helfer, der aber unsere Namen kennt. Wir sollten vorsichtig sein mit dem, was er hören darf.«

»Dann hätten wir besser nichts von seinen Speisen zu uns genommen, vielleicht waren sie versetzt mit einem Schlafmittel oder gar Gift.«

Marcos Worte, halb im Ernst, halb im Spaß gesprochen, fielen auf ein frisch bereitetes Feld namens Misstrauen. Also beschloss man, dass Layra für die Angehörigen des Tempels sprach, Marco speziell für die Gruppe der Sucher.

Als Kju sich wieder zu seinen Gästen gesellte, bemühten die sich um den Anschein von Unbefangenheit. Doch schon seine ersten Worte rissen sie aus allen Versuchungen und Vorsätzen.

»Wenn Ihr mir nicht über den Weg traut, so stellt mir keine Fragen. Warum sollte ich euch Böses wollen? Der Waldhüterin habt Ihr doch auch vertraut, warum fällt es euch bei mir so schwer?«,

Mit einer herrischen Handbewegung stoppte Layra die aufkommende Entrüstung bei den Anwesenden und gab Kju recht.

»Verzeiht unser Misstrauen, aber unsere Mission ist äußerst wichtig und nicht alle, auf die wir noch treffen, werden unsere Bemühungen unterstützen.«

»Wohl gesprochen, ehrenwerte Priesterin, natürlich ist euch verziehen. Solange Ihr keine Gewalt anwendet, dürft Ihr an diesem neutralen Ort des Friedens Schutz und Hilfe beanspruchen. Doch jede Verletzung dieses Prinzips hat eure sofortige Abreise zur Folge. Es liegt also bei Euch. Mir ist das Gesetz der Gastfreundschaft heilig.«

 

Mit diesen Worten verschwand er in seiner Küche und Marco registrierte überrascht, dass Anjin dem Wirt folgte. Dessen Instinkten vertrauend stand er auf und ging ihnen nach, was Lydia mit einem Stirnrunzeln registrierte. Als er die Küche betrat, reichte Kju dem Chuba gerade einen großen Knochen.

»Bitte entschuldigt, ich wollte Euch mit meinen Worten nicht beleidigen, sondern Khroms Worte etwas ins Lächerliche ziehen. Leider hat niemand bemerkt, dass meine Worte ironisch gemeint waren. Sorry.«

»Ich bin keinem von euch böse, denn an eurer Stelle ist eine gesunde Portion Misstrauen durchaus angebracht. Zudem gibt es in den Traumwelten von Kumai-Kaan nur wenige Orte, an denen ihr euch wirklich, zumindest für eine gewisse Zeit, entspannen könnt. Erinnert Euch meiner Worte.«

»Das war mir spätestens klar, als ein Wahnsinniger einen meiner Begleiter erschlug. Und das ohne ersichtlichen Grund.«

»Mit solchen und anderen Dingen müsst ihr jederzeit rechnen, denn der Meister der Träume will schließlich verhindern, dass ihr jemals das Tabhironakel erreicht.«

»Was ist das Tabionakel?«

»Tabhironakel. Nun, ist das Eure erste Frage? Ihr wisst ja, Ihr habt nur drei!«

»Dann antwortet bitte nicht. Könnt Ihr auch Antworten die Zukunft betreffend geben?«

»Nur in gewissem Maße. Wenn Ihr wissen wollt, wann oder wie Ihr sterben werdet, so kann ich nicht helfen, denn dafür birgt die Zukunft zu viele Möglichkeiten zu einem Ereignis. Bedenkt jedoch, zusammen habt Ihr immerhin sechsunddreißig Fragen.«

»Verstehe.«

»Das hoffe ich, besonders für Eure Freunde.«

»Man wird sehen. Danke für den Knochen.«

Damit verließ er die Küche, gefolgt von Anjin, der nur ungern seinen Snack unterbrochen hatte. Im Schankraum setzte Marco sich neben Lydia und lächelte sie an.

»Es ist schon spät, lass uns zu Bett gehen.«

Rasch trank Lydia ihren Becher leer, wünschte dem Rest der Truppe eine gute Nacht und ging mit Marco nach oben. Anjin und sein Knochen wurden vor der Zimmertür postiert. Der Chuba wusste aus Erfahrung, nun folgte das Liebesspiel der beiden und dabei wollten sie weder gestört, noch beobachtet werden.

 

TAG VII

Als das Frühstück serviert wurde, hatte sich die allgemeine Stimmung dem trostlosen Wetter angepasst, denn es regnete noch immer.

»Wir werden wohl einen weiteren Tag bleiben müssen«, wandte sich Rayton an die Gruppe. »Also sollten wir Kju trotz allem unsere Fragen stellen. Vielleicht erfahren wir etwas Hilfreiches.«

Niemand widersprach ihm, worauf er zur Küche ging und den Weisen von diesem Beschluss unterrichte. Kurz darauf setzte sich Kju zu ihnen an den Tisch.

»Ich bin bereit für eure Fragen, ob ihr meinen Worten Glauben schenkt oder nicht.«

»So lasst mich den Anfang machen, sofern alle einverstanden sind.«

Marco sah fragend in die Runde, niemand erhob Einwände.

»Nun gut, los geht’s. Zu welchem Zweck wurden Boochk, Yam-Yam, Rayton, Kroznok, Marcia und ich in diese Welt entführt?«

»Weil die anderen Götter eure Hilfe brauchen.«

»Es gibt noch andere Götter?«, entfuhr es Mursa.

»Ja.«

Nur Layra schien diese Antwort nicht zu überraschen.

»Wir müssen unsere Fragen so formulieren, dass nicht nur ja oder nein die Antwort ist, sonst erfahren wir nicht viel«, sagte Marco, damit die Anderen möglichst keine unbedachten Fragen stellten.

»Euer Freund hat recht, denn ich muss eure Fragen so knapp wie möglich beantworten.«

»Gut zu wissen. So sagt mir, ob einer unserer Schlüssel das bronzene Tor öffnen kann und welcher«, wollte Layra wissen, aber Marco kam Kju zuvor.

»Ihr scheint erheblich mehr zu wissen, doch niemand ist Eures Vertrauens würdig, außer vielleicht Khrom. Wie kann ich Euch noch trauen, wenn Ihr uns Wissen vorenthaltet?«,

»Können wir das nicht später klären?«, fragte Layra in gelangweiltem Ton.

»Natürlich, aber was auch immer euer Plan war, er ist in diesem Augenblick gescheitert«, rief Marco, seine Wut schlecht verbergend.

Khrom sprang auf, erzürnt über die in seinen Augen respektlose Art, mit der Priesterin zu reden.

»Wenn ich noch meine rechte Hand hätte, würde ich Euch etwas Respekt beibringen.«

»Dann ich Euch töten müssen«, war Kroznoks lapidarer Kommentar.

»Was! Du stinkender Affe wagst es ....«

»Gebt Ruhe!«, befahl Layra.

»Allmählich glaube ich, euer Gott ist eher daran interessiert, dass wir scheitern. Und seine Verbündeten in unseren Reihen werden natürlich alles tun, damit die Feinde ihres Gottes ihr Ziel nicht erreichen.« Marco, mittlerweile sicher, den Plan der Priesterin durchschaut zu haben, konnte seinen Zorn nur mühsam unterdrücken.

In Layras Miene spiegelte sich Überraschung.

»Das glaubt Ihr anscheinend wirklich.«

»Sonst wäre es ja blödsinnig, einen solchen Verdacht laut auszusprechen, oder? Ich hatte von Anfang an keinen Bock auf diese Scheiße, wieso habt Ihr uns dann gezwungen, an dieser hirnverbrannten Reise teilzunehmen? Dann könnte Boochk noch leben!«

Die gespannten Blicke aller Entführten lagen auf Layras Gesicht.

»Da ihr die Wahrheit nicht glauben würdet, bleibt mir nur eins, ich werde morgen den Rückweg antreten. Dieser Mann«, und deutete dabei auf Kju, »hat es geschafft, diese Gemeinschaft in Uneinigkeit zu stürzen ....«

»Schiebt die Schuld dafür nicht auf andere!«, schnitt Rayton ihr das Wort ab. »Kju hat uns nur die Augen geöffnet. Ich glaube, Marco hat recht, denn Eure Reaktion bestätigt in meinen Augen seinen Verdacht.«

Doch Layra stand nur kommentarlos auf, richtete ihre nächsten Worte an ihr Gefolge:

»Wer weiterhin der Tempelgemeinschaft angehören will, begleite mich morgen zurück nach Chambalon. Diese Narren sind unserer Hilfe nicht wert.«

Und genauso theatralisch ging sie nach oben. Khrom, Limar und Naria folgten ihr sofort, nur Pijäi zögerte.

»Ich würde gern an eurer Seite gehen, aber ich kann die Frauen nicht ohne Beistand lassen, da Khrom keine große Hilfe ist. Außerdem brauchen die Tiere mich. Ich hoffe, ihr könnt das verstehen.«

»Eure Einstellung ehrt Euch und ich wünsche Euch viel Glück.«

»Danke Marco, ich weiß, Ihr meint es ehrlich. Ich wünsche euch allen nur das Beste. Passt auf euch auf.« Damit verließ auch er den Schankraum.

»Nun ist uns der Rückweg mehr oder weniger versperrt«, resümierte Marcia und meinte damit die Entführten. »Aber was ist mit Euch?«

Dabei sah sie Mursa und Lydia an.

»Mein Platz ist an Marcos Seite, egal, wohin unser Weg führt,«, sagte die Letztere, ohne lange überlegen zu müssen. Mursa zögerte, schien sich da nicht so sicher.

»Ich würde euch gerne weiter begleiten, aber unsere Überlebenschance ist ohne die Heilerin beträchtlich gesunken und ich bin nur dabei, um später eure Geschichte zu erzählen, nicht um in die Geschichte einzugehen. Außerdem, ohne Limars köstliche Verpflegung wird auch die Moral bald sinken, das kann selbst ich nicht kompensieren. Deshalb werde auch ich euch schweren Herzens verlassen, tut mir leid.«

»Macht Euch keinen Kopf deshalb. Ihr seid `ne ehrliche Haut und noch weniger auf Überleben geeicht als ich. Passt auf Euch auf, Freund Barde, und schreib meinen Namen nicht falsch!«

»Habt keine Sorge, Marco, außerdem kann ich so ein Auge auf die Anderen haben, falls sie nichts Gutes für euch planen. Lebt wohl, meine Freunde, mögen die unbekannten Götter mit euch sein.«

Nachdem Mursa sie verlassen hatte, ergriff Kju das Wort.

»Damit ist leider auch die Anzahl Eurer Fragen arg reduziert worden. Was wollt ihr nun tun?«

»Wenn es nach mir ginge«, murmelte Marco, »würde ich nach einem ruhigen und friedlichen Ort suchen, wo wir uns niederlassen, um wenigstens den Rest unseres Lebens in Ruhe zu genießen.«

Alle bis auf Marcia schienen sich mit dem Gedanken anfreunden zu können.

»Aber ich will nicht hier bleiben«, maulte sie.

»Goldlöckchen, wir sind nur noch zu siebt, haben weder einen Wagen noch einen Heiler und anscheinend einen ziemlich langen Weg vor uns liegen, dessen Gefahren niemand kennt. Die Chancen, diesen ungewollten Auftrag zu erfüllen, stehen äußerst schlecht. Die Frage ist doch, wo könnte in dieser Albtraumwelt ein nettes, ruhiges Fleckchen auf uns warten?«

Rayton hatte es auf den Punkt gebracht, selbst Marcia sah es schweren Herzens ein.

»Ich glaube, wir sollten mit unseren verbliebenen Fragen versuchen, dazu etwas von Kju zu erfahren«, sagte Marco und sah alle der Reihe nach an.

Niemand widersprach ihm. Doch bereits der Antwort auf ihre erste Frage mussten sie entnehmen, dass es nirgendwo in der Welt des Träumers einen Platz gab, der ihnen das bot, was sich alle erhofft hatten: ein friedliches und sicheres Zuhause für längere Zeit. Durch die folgenden Fragen erfuhren sie vom Sumpf des Grauens und der dahinter liegenden Ödnis. Was die Gruppe dann jedoch hörte, nachdem Marco, von seinen Rollenspielen inspiriert, eine Frage gestellt hatte, brachte wieder etwas Leben in die Truppe. Kju informierte sie über einen Ort am Fuß der nördlichen Berge, wo ein mächtiges, von Elfenhand gefertigtes Schwert auf seinen rechtmäßigen Besitzer wartete. Silberdrache war der Name des Schwerts, aber selbst Kju wusste nicht, in welchem Raum es aufbewahrt wurde, denn der Turm von Alamatis gab seine Geheimnisse nur vor Ort preis.

»War Alamatis ein Magier?«, fragte Rayton, bevor es jemand verhindern konnte.

»Nein.«

»Sondern?«, fragte Rayton nach.

Marco ärgerte sich bereits über die sinnlose Verschwendung ihrer begrenzten Ressourcen, da antwortete Kju:

»Ein Wissenschaftler, der mit Raum und Zeit experimentierte.«

Bevor Rayton weitere Fragen stellen konnte, ergriff der Kölner das Wort.

»Die Schlüssel, die wir bisher stets im Besitz anderer Menschen fanden, bestanden aus unterschiedlichen Materialien. Mich würde interessieren, wie viele es insgesamt gibt, mit denen man diese elf Tore öffnen kann«, überlegte Marco laut.

»Ist das Eure Frage?«

»Ja, schon ....«

»Vierundzwanzig.«

»Und alle befinden sich im Besitz von Menschen?«, fragte Rayton spontan.

»Nein.«

Nachdem sie ihr Kontingent an Fragen ausgeschöpft hatten und nun unter anderem wussten, wie schwer es war, mit wenigen Fragen viel zu erfahren, einigte die Gruppe sich schließlich dahin gehend, dieses Schwert zu suchen, obwohl dieser mysteriöse Turm auch Gefahren bergen würde. Man dankte Kju, aß noch eine Kleinigkeit und ging zu Bett, doch der Streit innerhalb der Gruppe ließ die meisten nur wenig Schlaf finden.

 

TAG VIII

Bis auf Yam-Yam war es für alle äußerst ungewohnt, nicht nur Kleidung und Waffen zu tragen, sondern auch Lebensmittel für mehrere Tage, Wasser, eine Decke sowie Ersatzkleidung und andere Dinge, die man eben so dabei haben sollte in der Wildnis. Dafür brauchten sie sich keine Sorgen mehr darüber zu machen, ob man für den Wagen entsprechendes Gelände vorfand.

Da die Entfernung bis zu den Bergen auf circa fünfzehn bis zwanzig Mailen geschätzt worden war, wollte man möglichst noch heute die ersten Ausläufer erreichen und hoffentlich am nächsten Tag den Turm finden.

Diesmal war das Glück auf ihrer Seite, schon am Abend lagerten sie am Fuße des Turms und bestaunten seine Höhe. Er hatte einen quadratischen Grundriss und als Eingang ein metallenes Tor mit zwei Flügeln. Etwas wahrlich Besonderes war der Türgriff in Form eines Gesichts, denn dieser konnte sprechen!

Gesucht wurde nun die Lösung für das von ihm gestellte Rätsel, damit sie den Turm betreten konnten, welches lautete:

"Was wird größer, wenn man es auf den Kopf stellt?"

 

TAG IX

»Ich wusste, ich hatte dieses Rätsel schon mal gehört, aber mir wollte die Lösung einfach nicht einfallen. Und dann kam mir irgendwie in den Sinn, dass es was Mathematisches sein könnte.«

Marcia war ganz aufgeregt, endlich konnte auch sie einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten.

»Was sein dieses matamanische?«, wollte Kroznok wissen.

»Das ist das Wissen über Zahlen, eine Art Magie«, klärte ihn Marco auf.

»Ich bin natürlich erst sicher, wenn sich dieses Tor für uns öffnet, aber die Antwort müsste "Die Zahl Sechs" sein.«

»Lasst uns erst was essen, dann prüfen wir unsere Ausrüstung. Die Tür läuft uns nicht weg.«

»Ihr habt recht, edle Lydia, wir sollten bestmöglich vorbereitet sein. Das wird kein Spaziergang, und vielleicht bereuen wir eines Tages, diesen Ort jemals betreten zu haben.«

»Rayton haben Angst?«, fragte Kroznok auf seine wortreiche Art.

»Keine Angst, nur eine düstere Vorahnung, basierend auf Erfahrung.«

 

Das Türschloss grinste breit.

»Eure Antwort ist richtig, und wenn euch euer Mut nicht verlassen hat, so betretet nun den Turm des alten Alamatis

Die Worte waren kaum verklungen, als die beiden Torflügel begannen, sich langsam mit heftigem Ächzen und Knirschen zu öffnen.

Als endlich wieder Ruhe herrschte, blickten sieben Augenpaare in einen leeren Vorraum. Allerdings befanden sich in der Wand ihnen gegenüber zwei Türen, doch als Marcia den Turm betreten wollte, hielt Rayton sie zurück.

»Wartet, lasst mich erst etwas prüfen.«

Er begann den Raum mit den Augen förmlich abzutasten. Dann setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen und gab schließlich das Signal, ihm zu folgen. Während sich Rayton den Türen näherte, hatten Lydias scharfe Augen auf der linken Wand eine unter Schmutz versteckte Wandinschrift entdeckt. Vorsichtig legten sie diese frei und lasen:

Der Du einkehrst bei mir

Willst Schätze rauben hier?

So sei gewarnt - versuch dein Glück

Doch dieser Weg führt nie zurück!

»Das hört sich irgendwie nicht gut an, war aber andererseits auch nicht anders zu erwarten. Durch welche der Türen gehen wir?«,

Für Marcia schien das Ganze eine Art Schnitzeljagd zu sein, zumindest war ihr nicht mehr langweilig.

»Keine Ahnung, vielleicht sollten wir abstimmen oder habt Ihr schon einen Plan, Rayton?«, fragte Marco.

»Nein, eine scheint so gut wie die andere.«

Die Mehrheit war für die rechte Tür, also versuchte Rayton sie zu öffnen. Sie sträubte sich nicht großartig und gab den Blick auf einen Gang frei, welcher von brennenden Fackeln beleuchtet wurde, die in Wandhalterungen steckten. Mit der gebotenen Vorsicht folgte man Rayton. Anjin, Marco und Lydia dicht auf, dann Kroznok und Marcia, Yam-Yam deckte ihnen den Rücken. Jedoch bemerkte niemand, dass die Tür auf der Rückseite weder Griff noch Klinke besaß!

Der Gang bog nach rechts ab, kurz darauf versammelten sie sich vor einer Tür in der rechten Wand. Nachdem Rayton ihm ein Zeichen gegeben hatte, versuchte Kroznok sie zu öffnen. In diesem Augenblick gab es hinter ihnen ein lautes Geräusch und alle zuckten erschrocken zusammen, machten sich kampfbereit. Yam-Yam sah um die Ecke und bemerkte dann lapidar:

»War nur diese Tür. Ist zugefallen. Alles in Ordnung.«

Kurz entstanden Sorgenfalten auf Raytons Stirn, doch dann wendete er sich wieder der Tür zu.

Nun drückte Kroznok endgültig die Klinke nieder und die Tür gab den Weg frei. In einem großen Zimmer stand ein Mann in voller Kampfmontur, inklusive Breitschwert und rundem Buckelschild. Alle blieben ruckartig stehen, da sprach der Krieger sie an.

»Wer von euch ist Manns genug, mir einen guten Zweikampf zu liefern?«

»Warum sollten wir mit Euch kämpfen?«, fragte Lydia.

»Weil ich besitzen könnte, was ihr sucht.«

Kroznok nahm seinen Bogen von der Schulter.

»Ich schießen Pfeil in sein Auge.«

»So könnt Ihr mich nicht töten, nur in einem fairen Zweikampf.«

»Wir sollten ihn ignorieren und weiter gehen«, schlug Marco vor.

»Da wir nicht wissen, ob sich eine Konfrontation lohnt, stimme ich Marco zu. Er scheint den Raum nicht verlassen zu können, also schauen wir vielleicht später noch mal rein.«

Schon wollte Rayton die Tür schließen, als Marcia zu bedenken gab:

»Denkt an diese Inschrift. Nach der führt kein Weg zurück.«

»Es ist vielleicht sein Schwert, das wir suchen«, warf Marco ein, ohne dabei überzeugend zu klingen.

»Wir sollten abstimmen, falls sich jemand dem Risiko auszusetzen bereit ist.«

Und da dies niemand wirklich wollte, schloss man die Tür und ging weiter den Gang entlang. Einer Linksbiegung folgte kurz darauf eine zweite, dazwischen lag eine Tür. Auf dieser stand in gelber Farbe:

Ruht Euch aus

Denn noch lang

Ist der Weg

Da unverschlossen, betrat man den Raum, denn er war leer bis auf einen Tisch in der Mitte, um ihn herum etliche hölzerne Schemel. Auf dem Tisch war alles für ein Festmahl bereitet, der Braten und das frische Brot dufteten köstlich, das Obst schien frisch und knackig.

»Das kann doch nur eine Falle sein«, meinte Rayton fachmännisch. »Außerdem stinkt hier alles nach Schwarzer Magie.«

»Wie kann das sein, da er laut Kju kein Magier war?«, fragte Marcia, aber da alle Raytons Urteil vertrauten, folgte man kurz darauf weiter dem Gang, doch schon nach zehn Schritt tauchte die nächste Tür in der Wand links von ihnen auf.

Hinter ihr fand sich eine Treppe, welche aufwärts führte. Sie endete an der nächsten Tür. Dahinter lag ein Quergang, dem sie nach links folgten. Die nächsten drei Türen ließen sich nicht öffnen, in der darauf folgenden Räumlichkeit tummelten sich zwei Wesen, die Marco an gigantische Tausendfüßler erinnerten und es vielleicht auch waren. Sie bewachten eine Truhe, die jedoch zu klein war, um ein Schwert zu bergen.

 

Hinter der letzten zu öffnenden Tür dieser Ebene fand sich nur die Statue einer tanzenden Frau, laut Rayton aus Bernstein bestehend, die trotz ihrer geringen Größe von zwei Ellen nicht anzuheben war, was bei den Kräftigsten zum Wettbewerb wurde, den keiner gewann. Also wechselte man in die dritte Ebene.

»Ich glaube, die Anlage funktioniert nach einem simplen Muster. Auf den Gängen droht uns keine Gefahr, nur die Räume bergen Herausforderungen und damit Gefahren. Man will quasi erreichen, dass wir jede Aufgabe lösen, aber die Logik sagt mir, die wichtigen Schätze werden weiter oben aufbewahrt.«

Alle stimmten Rayton zu, obwohl Marco zu bedenken gab, dass Logik in dieser Welt auch der falsche Führer sein könnte. Und schon standen sie vor der nächsten Tür. Doch erst eine Tür weiter wurde es erneut interessant, denn in einer Wand steckte ein Schwert. Das erinnerte Marco an die Artus-Sage, also riskierte er es und zog daran, jedoch ohne den geringsten Erfolg. So erging es der Reihe nach allen.

 

Ohne jeden Mut zum Risiko erbeuteten sie auch in den Zimmern der nächsten zwei Etagen nichts von Wert oder gar das Elfenschwert.

Auf der sechsten Ebene befand sich im ersten Zimmer ein Ruheraum mit Schlaf- und Waschgelegenheit, ein Tisch, Stühle und ein Schrank. Rayton öffnete diesen vorsichtig und fand eine Handvoll eiserne Rationen sowie drei große Krüge, gefüllt mit unbekannter Flüssigkeit, weshalb man die ledernen Verschlüsse samt Wachsversiegelung nicht anrührte. Man nahm die Gelegenheit wahr, sich zu erholen, obwohl die Luft im Turm nicht die Beste war, da er keine Fenster besaß. Die Sachen im Schrank ignorierte man und nach einem schnellen Imbiss aus ihren Rucksäcken gingen alle zu Bett.

 

TAG X

Kroznok saß schon am Tisch, als der Rest der Truppe nach und nach erwachte. Anhand der Wachspapierfetzen war sofort klar, weshalb er so zufrieden wirkte. Da man seinen ewigen Hunger kaum zu stillen vermochte, hatte er mitten in der Nacht eine der eisernen Rationen geöffnet und probiert, immer wieder, bis er sicher war, davon nicht zu sterben. Also öffnete man auch die letzten Päckchen und folgte seinem Beispiel. Ausgeruht und satt verließ man den Raum, bereit zu neuen Taten. Aber die folgenden Zimmer boten keinen Anhaltspunkt, hier könne ein Schwert auf seinen Besitzer warten. Dafür hielten sich dort manchmal Wesen auf, wie sie noch keiner der Gruppe jemals gesehen hatte. Ekelhafte Würmer mit Laufbeinen und riesigen Beißwerkzeugen, Kakteen mit abschießbaren Stacheln, Schleim spuckende Riesenschnecken, ganze Wesen aus Schleim, fliegende Augen und im Dunkeln lauernde Untote.

 

Als die Ersten eine Pause verlangten, fanden sie, als hätte man sie erhört, auf der elften Ebene einen Schankraum samt Wirt vor. Dieser agierte in Marcos Augen wie ein vorprogrammierter Roboter und hatte zudem angeblich keine Ahnung, was außerhalb seiner Kneipe vorging, was nicht nur dem Kölner zu denken gab, bis sich dieser an Kjus Worte erinnerte: Alamatis experimentierte mit Zeit und Raum. Kroznok schienen solche Nebensächlichkeiten nicht zu interessieren. Er machte erneut den Vorkoster und war begeistert von der Qualität der Speisen und dem süffigen Rotwein. Natürlich bestellten nun auch die anderen Sucher etwas, selbst Anjin bekam einen Knochen mit Fleischresten. Problematisch wurde es erst, als der Wirt bezahlt werden wollte.

»So, ihr habt also kein Geld! Verdammte Zechpreller!«, schrie der Wirt, wobei seine Stimme sich in ein Brüllen wandelte, welches nicht nur den gesamten Raum erzittern ließ, ihm zwei weitere Arme wuchsen und seine Haut plötzlich aus dunklen Schuppen bestand. Innerhalb weniger Augenblicke wuchsen ihm auch drei Hörner auf dem Kopf und Klauen an Händen und Füßen. Schon griff er an. Die Gruppe war geschockt, aber auch schnell auf den Beinen und bereit zur Verteidigung. Doch rasch mussten sie einsehen, dass ihre Waffen diesem dämonischen Wesen nichts anhaben konnten.

»Raus hier!«, rief Lydia, denn der Kampf drohte in einem Blutbad zu enden. Kroznok hatte es bereits übel erwischt, da eine Klaue ihn quer über Brust und Bauch bis auf die Knochen aufgeschlitzt hatte, und beinahe auch Marco, was Anjin verhindern konnte, indem er dem Monster blitzschnell an die Kehle sprang und sich festbiss. Aber das Vieh griff sich den Chuba, der trotz der Schmerzen durch die eindringenden Krallen nicht losließ, und zerrte an ihm. Schnell färbte sich Anjins Fell rot, dann riss das Monster ihn in zwei Teile. Während es den hinteren Teil zur Seite schleuderte, dabei Blut und Eingeweide verteilend, hing der vordere Teil noch immer an seinem Hals und ließ nicht los.

»Neeiiiiiiinn!«, schrie Marco entsetzt und stürzte vor, aber bevor er zuschlagen konnte, wischte ihn einer der neu gewachsenen Arme wie ein lästiges Insekt beiseite. Er prallte mit dem Kopf gegen einen Tisch und verlor das Bewusstsein.

»Marco!«

Lydia lief zu ihm, durchdrungen von Sorge um ihren Liebsten, derweil sich das Monster erneut darum bemühte, Anjins Überreste an seiner Kehle loszuwerden, da diese verhinderten, dass er sein markerschütterndes Gebrüll, welches seine Gegner einschüchterte und schwächte, weiterhin einsetzen konnte.

»Marcia«, rief Rayton, dessen Wurfmesser gerade von den Schuppen des Monsters abgeprallt war. »Unsere Waffen sind nutzlos. Wir haben keine Zeit nach einer Schwachstelle zu suchen, die jedes Lebewesen hat. Ihr müsst etwas tun oder alles endet hier!«

In diesem Augenblick drehte sich das Monster in ihre Richtung und Marcia versuchte verzweifelt, sich zu konzentrieren. Da strömte die Magie aus ihr heraus, formte sich zu einer hellen Kugel und fuhr dann wie ein Blitz durch den monströsen Körper ihres Gegners, aber auch durch den von Lydia, die sich in diesem Moment hinter dem Gehörnten befand. Ihr Schrei mischte sich mit dem röchelnden Gebrüll des Monsters. Noch im Fallen schienen die getroffenen Körper ohne Flammen zu verbrennen, beim Aufprall auf den Boden entstand eine kleine Wolke aus Asche.

Rayton sah, wie Marcia die Augen verdrehte, und konnte sie gerade noch auffangen, als sie ohnmächtig zusammenbrach.

»Was für ein Desaster!«, stöhnte er und fragte dann Yam-Yam:

»Wie geht es Marco und Kroznok?«,

»Der Mensch lebt noch, für Kroznok ist alles vorbei.«

»Marco wird durchdrehen, wenn er merkt, dass er auch Lydia verloren hat. Und dass Marcia eine Mitschuld daran trägt, macht unsere Situation nicht gerade einfacher.«

»Ich würde diesem Traumgott gern den Hals umdrehen, aber nach Lage der Dinge wäre es vermessen, noch eine Chance dafür zu sehen. Wie geht es Marcia?«, erkundigte sich der Umbralla.

»Wohl nur der Schock über Lydias Tod. Hoffentlich versteht Marco, dass es nur ein unglücklicher Zufall war. Aber dass er Anjin und Lydia gleichzeitig verliert, wird ihm das Herz zerreißen.«

Yam-Yam nickte nur. Auch sein Herz war schwer vom Verlust der Gefährten, aber das sah man ihm wegen der vielen Haare nicht an. Dann kümmerte er sich um die Beule an Marcos Kopf, indem er sie mit einem feuchten Stück Stoff kühlte.

 

Marcia kam wieder zu sich und fing an zu weinen. Yam-Yam setzte sich neben sie und nahm sie in die Arme.

»Danke, kleine Frau, ohne Euch wären wir jetzt wahrscheinlich alle tot. Es ist immer schlimm, wenn trotz bester Vorsätze alles zu misslingen scheint, aber Ihr dürft Euch nicht die Schuld an diesem Desaster geben. Wir alle haben versagt.«

Zu diesen Worten konnte Rayton nur nicken, denn der Klumpen in seinem Hals wollte sich nicht schlucken lassen.

 

Nach einiger Zeit fand auch Marco zurück ins Bewusstsein. Als er realisierte, dass auch Lydia ihn für immer verlassen hatte, blieb er überraschend ruhig. Vor sich hinstarrend registrierte er nicht die Tränen, die ohne Unterlass über sein Gesicht liefen. Zudem reagierte er weder auf tröstende Worte noch auf Erklärungsversuche, verlor sich in einer Welt aus Trauer, Wut und Hass. Dann stand er plötzlich auf, wischte sich mit den Ärmeln über sein Gesicht, denn seine Sicht war verschwommen, und suchte sich, weiterhin schweigend, ein kleines Gefäß, füllte etwas von Lydias und Anjins Asche hinein und verschloss es danach sorgfältig. Danach verließ er mit hassverzerrter Miene den Raum. Besorgt eilte Rayton ihm nach.

»Wartet, Marco, wir sollten diesen Ort verlassen. Lasst uns zum Gasthof zurückkehren, vielleicht ....«

»Nein, dann wären alle umsonst gestorben. Ihr könnt ja aufgeben, ich werde diesen Bastard weitersuchen, und wenn ich ihn gefunden habe, werde ich alles tun, um ihn zu töten!«, stieß der Kölner mit grollender Stimme hervor.

»Dann lasst es uns gemeinsam tun, bis zum bitteren Ende. Sollten wir dabei sterben, treffen wir unsere Freunde an einem hoffentlich besseren Ort wieder.«

Raytons Worte entlockten Marco ein grimmiges Lächeln.

»Gut gesprochen, mein Freund. So soll es sein.«

Sie warteten auf Yam-Yam und Marcia, dann setzten sie ihre Suche nach dem magischen Elfenschwert fort.

 

Schließlich standen sie auf Ebene Dreizehn vor einer weiteren Tür, aber als sie diese geöffnet hatten, machte sich Enttäuschung breit. Der Raum war leer und hatte keinen sichtbaren Ausgang. Nur in der Mitte hing ein rotes Seil von der Decke, schien ohne Befestigung direkt aus der Zimmerdecke zu kommen, ohne dass man dort eine Öffnung sah. Das gesuchte Schwert lag zu niemandes Überraschung nirgends herum.

»Wahrscheinlich haben wir irgendwo eine Geheimtür oder Ähnliches übersehen.«

Rayton wirkte zerknirscht.

»Vielleicht war es dieses Schwert in der Wand und es war keinem von uns bestimmt, es in Besitz zu nehmen«, sagte Marco und zeigte in den Raum. »Es könnte aber auch hier versteckt sein. Lasst uns nicht aufgeben, bevor wir am Ende sind.«

Entschlossen begannen sie mit der Untersuchung der kahlen Wände, nur Marcia nicht, sie näherte sich dem Seil. Bevor es jemand verhindern konnte, gab sie ihrer Neugier nach und zog daran.

Schlagartig es wurde dunkel.

Alle stürzten durch eine scheinbar bodenlose Schwärze, erwarteten den tödlichen Aufprall oder Schlimmeres. Doch dann landeten sie, fast schon sanft, auf halbwegs festem Untergrund und plötzlich kehrte auch das Licht zurück.

Nachdem sich ihre Augen erholt hatten, wurde schnell realisiert, dass man wieder saubere Luft atmete, allerdings von einer heißen, grellen Sonne extrem erwärmt. Die Gruppe stand zwischen großen Sanddünen inmitten einer wüstenartigen Landschaft. Zwanzig Schritt von ihnen entfernt erhob sich ein mächtiger Torbogen aus dunkelbraunem Material.

»Was ist passiert?«, fragte ein verwirrter Marco.

»Ich weiß nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, an dem Seil ziehen zu müssen, schon wurde es dunkel. Als wir hier ankamen, hatte ich das in der Hand.«

Mit diesen Worten und einem unschuldigen Blick streckte sie ihren rechten Arm aus, auf dessen offener Hand ein dunkelbraunes Stück Metall lag. Es hatte die Form eines Schlüssels und dieser verfügte über vier Bärte!

»Na, wenn das mal keine weitere Verarschung ist«, äußerte sich ein pessimistischer Marco.

»Das werden wir gleich wissen, denn ich schätze, das Teil da ist dieses bronzene Tor.«

Marcia setzte sich in Bewegung.

»Mögen die Götter diesmal auf unserer Seite sein«, murmelte Rayton und näherte sich mit seinen Gefährten dem Objekt.

Ohne etwas zu sagen, steckte Marcia den Schlüssel direkt in die kreuzförmige Öffnung, die wegen der glatten Oberfläche des Materials, aus dem der Bogen bestand, sofort ins Auge sprang. Er passte perfekt und vorsichtig drehte sie ihn nach rechts, was auch gelang und dazu führte, dass die Luft innerhalb des Bogens zu flimmern begann. Schnell zog sie den Schlüssel aus dem Schloss, verstaute ihn und mit den Worten »Wer will schon ewig leben?«, schritt sie unter dem Bogen her und war plötzlich verschwunden.

»Will hoffen, dass es drüben kühler ist.«

Damit folgte ihr Rayton, Yam-Yam verließ den einsamen Platz in der Wüste als Letzter.

2. Das Knochen-Tal

 

 

Das Knochen-Tal

 

Auf der anderen Seite war es tatsächlich ein wenig kühler, jedoch genauso trostlos und öde. Dass der Boden unter einer nicht unerheblichen Schicht Knochen lag und dass, soweit man es beurteilen konnte, bis zu den auch hier vorhandenen Bergen, welche diese Welt anscheinend begrenzten, schockierte alle. Keiner hatte eine Idee, wer oder was diesen Friedhof verschuldet oder angelegt haben könnte.

Marco vermutete, dies könne eine Art Elefantenfriedhof sein. Rayton befürchtete, dass es hier eventuell Drachen oder artverwandte Viecher gab. Da diese Überlegungen sie nicht weiter brachten, bewegten sie sich auf dem unsicheren Untergrund in die Richtung, in der die Berge sich am Horizont nicht berührten, hielten aber auch den Himmel im Auge.

 

In der Nacht kam Nebel auf, was aber nur eine weitere Unbequemlichkeit darstellte und niemand verlor einen Ton darüber, obwohl keiner in der Gruppe wirklich Schlaf fand. Nicht aus Furcht vor dem Nebel, sondern vor dem, was sich eventuell in ihm verbarg.

 

TAG XI

Mit steigender Sonne verschwand der Nebel, welcher Marco an einen Carpenter-Film erinnert hatte. Des Weiteren befürchtete er, bedingt durch seine Erfahrungen im Bereich Fantasy, die Knochen könnten sich, von untotem Leben erfüllt, zusammensetzen und nach ihrem Blut lechzen, was aber nicht geschah.

 

Gegen Mittag näherten sie sich einem trutzigen Gebilde, dessen Umgebung frei von Knochen war, da es mitten in einem fast zugefrorenen See stand. Selbst Mauern und Türme waren teilweise eisbedeckt und die kalte Luft ließ alle, außer Yam-Yam, frösteln.

»Ob wir da willkommen sind?«, fragte Marcia mehr sich selbst, weshalb wohl auch niemand antwortete.

Mutig umrundeten sie die kleine Festung, bis sie eine herabgelassene Zugbrücke entdeckten. Die im Schatten des Torbogens liegende, eisenbeschlagene Flügeltür machte ihnen mehr Kummer, bis Marco vorschlug, es mit Ziehen zu versuchen. Was sich dann ihren Augen darbot, ließ sie in der Bewegung erstarren. Auf dem Boden der Halle, auf halbem Weg zwischen einem riesigen Kamin und dem Eingang, lag ein Kopf, mindestens doppelt so groß wie ein menschlicher Schädel! Und als sich auch noch dessen Augen öffneten, eins davon in üblem Zustand, waren alle zutiefst erschrocken und hatten (eine reine Vorsichtsmaßnahme) die Festung fluchtartig verlassen. Doch schon an der Grenze zum Land der Knochen hielten sie inne und versuchten, ihre Nerven zu beruhigen. Was zunächst scheiterte, denn aus der Festung drang eine Stimme an ihr Ohr, die zu dem übergroßen Kopf passte.

»Kommt zurück, habt keine Angst!«

Niemand brachte ein Wort hervor, schon sprach die Stimme weiter.

»Ich stecke im Boden fest! Ohne Hilfe werde ich sterben, also besiegt eure Furcht, denn keiner der Götter, die ich anrief, half mir. Ihr seid somit meine letzte Hoffnung!«

»Ihn anzuhören kann ja nicht schaden«, meinte Rayton, jedoch nicht so bestimmt wie sonst.

»Bitte, ich flehe euch an, lasst mich nicht sterben«, rief der Kopf.

Yam-Yam machte schließlich den Anfang und kurz darauf standen alle erneut in der großen Halle.

»Ich danke euch, dass ihr ....«

»Schon okay«, unterbrach Marco mutig den Redefluss des Kopfes. »Doch verratet uns zunächst mal, wie Ihr heißt und warum Ihr in dieser Lage seid, falls das kein Geheimnis ist.«

»Mein Name ist Bru-Talo und ich stecke hier fest, weil meine verfluchten Diener mich hinterlistig in eine magische Fallgrube lockten.«

»Und welchen Grund hatten Eure Diener, dies zu tun? Habt Ihr sie schlecht behandelt?«, fragte Marco nach.

»Meine Schätze haben die Diener zu dieser Untat verführt, was sonst. Sie haben weggeschleppt, soviel sie konnten, doch was sie wirklich begehrten, vermochten sie nicht zu finden.«

»Also ist euer größter Schatz noch in dieser Burg?«, fragte Rayton mit steigendem Interesse.

»Warum fragt Ihr das?« Bru-Talo klang ein wenig besorgt und runzelte die Stirn.

»Na, wegen der Belohnung. Wenn wir Euch helfen sollen, müssen wir vorher aushandeln, was Euch unsere Hilfe wert ist.«

Marco fand langsam Gefallen an diesem Szenario, endlich saßen sie mal am längeren Hebel. Aber das würde sich höchstwahrscheinlich sofort ändern, wenn der Riese seine Freiheit zurück erhielt, denn Marco schätzte dessen Körpergröße auf mindestens drei Meter.

»Ihr könnt alles von mir haben, aber nicht das Schwert. Und jetzt holt mich hier raus«, forderte Bru-Talo, doch Marcia konterte:

»Wenn Ihr so brüllt, kann ich mich nicht konzentrieren. Außerdem muss ich wissen, welche Magie Eure Diener einsetzten, das würde die Angelegenheit vereinfachen.«

»Mögen diese Hunde in der Sonne versteinern, da sie mein Vertrauen ausnutzten. Mit dem Spruch Festes zu Schlamm hatten sie den Boden der Halle vorbereitet, und als ich sie bei meiner Heimkehr betrat, stürzte ich hinein. In dem Augenblick, als sich mein Kopf noch über dem Rand der Grube befand, kehrten sie den Spruch um und ich saß fest. Aber auch ihre Misshandlungen entlockten mir nicht den Ort, wo mein Schatz ruht. Warum sollte ich ihn Euch verraten?«

»Da habt Ihr nicht Unrecht, allerdings werdet Ihr dann sterben. Vielleicht sollte das auch so sein, immerhin sind wir erheblich früher dran, als eigentlich vorgesehen«, sagte Marco und warf Rayton einen verschwörerisch wirkenden Blick zu.

»Dann suchen wir dieses Schwert eben auf eigene Faust!«, schlug Rayton vor, der Marcos Blick falsch gedeutet hatte. »Wer sollte uns daran hindern?«,

Er blickte alle der Reihe nach an.

Ergeben zuckte Marco mit den Schultern und sagte schließlich:

»Außerdem scheint das wieder eins dieser Szenarien zu sein, die dieser träumende Bastard zu seiner Unterhaltung und unserem Untergang ersonnen hat. Wir sollten trotz allem immer mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen.«

 

In den Zimmern auf der linken Seite waren anscheinend die Wohnräume der flüchtigen Diener, dementsprechend stank es dort. Jedoch der letzte war zum Lagerraum für Räucherwaren, Obst und Gemüse umfunktioniert worden. Also beschloss die Gruppe, als sie auf der gegenüberliegenden Seite eine Küche entdeckten, sich ein kleines Festmahl zu bereiten, zumal im Raum neben der Küche einige Fässer Met und Wein standen, Säcke mit Mehl und mit Wachs versiegelte Käseräder. Bru-Talo jammerte, bettelte um Nahrung, drohte ihnen, verfluchte die Gruppe, doch es half nichts. Bald knurrte er nur noch, da selbst Marcia keine Angst mehr zeigte.

 

Nach einem kurzen Nickerchen erforschten die Vier die oberen Etagen. Hier lagen zunächst hinter aufgebrochenen Türen die restlichen Schätze, welche die Diener aus Gewichtsgründen zurückgelassen hatten.

Vor allem fanden sich hier Münzen, Ballen mit wertvollen Stoffen, Waffen und Rüstzeug, sowie Kisten mit Kleidung und diverse Kunstgegenstände. Rayton, wie auch Marco, steckten sich eine Handvoll Goldmünzen für Notfälle ein, Marcia beschäftigte sich mit dem durchforsten der Kleidungsstücke.

Aber dann entdeckte Rayton eine Geheimtür und die Spannung stieg mit jeder Sekunde, als er auch den versteckten Hebel fand, der sie höchstwahrscheinlich öffnen würde. Nachdem Rayton nichts Verdächtiges feststellen konnte, zog er den Hebel nach unten und die Tür schwang einen Spalt weit auf. Er gab ihr einen leichten Stoß und betrat vorsichtig in gebückter Haltung eine winzige Räumlichkeit, in der selbst ein Zwerg nach einiger Zeit Platzangst bekommen würde.

Auf einem einfachen Regal lagen ein länglicher Kasten, ein lederner Beutel, eine große Rolle, die sich als zusammengerollter Teppich entpuppte, und eine kleine, reich verzierte Kiste aus rotbraunem Holz.

Als sie mit ihrer Beute auf dem Weg zur Küche in Bru-Talos Sichtfeld kamen, heulte dieser vor Wut auf und überschüttete die Gruppe erneut mit Flüchen und Verwünschungen übelster Art, doch niemand ließ sich davon aus seinen Gedanken reißen, die ausschließlich um die Fundstücke kreisten. Nur Marco gingen auch andere Überlegungen durch den Kopf.

 

»Ich frage mich, wie der Riese seine Schätze in diese für ihn winzige Zelle gebracht hat. Seine Diener hat er damit wohl nicht betraut, bliebe nur, dass unser Gastgeber Magie anwenden kann. Was meinst du dazu, Marcia?«

»Kann schon sein, aber mit gefesselten Händen kann er nichts machen, da bin ich mir sicher.«

Inzwischen hatten Yam-Yam und Rayton den großen Teppich ausgerollt, aber ihre Vermutung, etwas wäre darin eingewickelt, bestätigte sich nicht.

»Vielleicht kann er ja fliegen«, meinte Marco halb im Scherz, als Marcia rief:

»Ein Schlüssel! Seht doch!«, gleichzeitig hielt sie ein Duplikat von Layras Jade-Schlüssel hoch.

»Cool!«, doch Marco meinte wohl eher den Inhalt des Kastens, denn er hatte für den Schlüssel keinen Blick übrig. Statt dessen fuhr er mit den Fingerspitzen sanft über das kühle Metall, fasziniert von der schlichten Schönheit der vor ihm liegenden Waffe. Zuerst hatte ihn der längere, lederumwickelte Griff irritiert, dann fiel ihm ein, hier handelte es sich um ein sogenanntes Bastardschwert, welches auch zweihändig geführt werden konnte, ähnlich einem japanischen Katana. Doch während dessen Klinge nur eine scharfe Seite hatte, besaß dieses Schwert vor ihm zwei und beide schienen mindestens so scharf wie ein Rasiermesser zu sein.

Inzwischen hatte Rayton das kleine Holzkästchen geöffnet und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Neugierig fragte Marcia ihn:

»Was habt Ihr gefunden?«

»Seht selbst«, sagte er und hielt ihr das Kästchen hin. Kaum hatte sie den Inhalt gesehen, nahm sie ihn auch schon aus seinem weichen Samtbett und streifte ihn sich über den Mittelfinger der linken Hand. Es handelte sich um einen breiten Ring aus Gold, mit einem einzelnen, tiefgrünen Stein besetzt.

»Frauen und Schmuck.« Rayton lächelte.

»Wenn er Euch auch gefällt, müssen wir auslosen, wem er zufällt.«

Als Marcia nicht reagierte, legte sich Raytons Stirn in Falten. Die junge Frau schien angespannt und geistig abwesend, dann erhellte plötzlich ein Lächeln ihr hübsches Gesicht.

»Dieser Ring ist fantastisch, aber seine Fähigkeiten können nur von mir genutzt werden.«

Rayton musste grinsen.

»Und das hat Euch der Ring erzählt?«

»Nicht direkt. Als ich ihn überstreifte, sah ich plötzlich vor meinem inneren Auge ein Buch, das sich öffnete. Dort stand geschrieben, welche magischen Kräfte sein Träger einsetzen kann und was zum Benutzen nötig ist. Aber Ihr könnt es gerne ausprobieren.«

Mit diesen Worten zog sie den Ring vom Finger und hielt ihn Rayton hin. Dieser winkte lächelnd ab.

»Schon gut, edle Marcia, ich glaube Euch. Es bleiben mir ja noch die Goldmünzen.«

Derweil hatte sich Yam-Yam auf dem Teppich niedergelassen und Marco dem Schwertkasten seinen Inhalt entnommen. Er schob das Langschwert in die dazugehörige Scheide und fragte in die Runde:

»Wer außer mir will diese Waffe besitzen?«

Bevor jemand antworten konnte, rief Yam-Yam begeistert dazwischen:

»Der Teppich kann tatsächlich fliegen! Und sprechen kann er auch, ist das zu glauben?«

Rayton wandte sich wieder Marco zu.

»Da Ihr der Einzige seid, der vernünftig mit solch einer Waffe kämpfen kann, wird wohl niemand Ansprüche geltend machen. Ich begnüge mich mit dem Schlüssel, wenn Ihr gestattet.«

Sofort legte Marco sein altes Schwert in den Kasten und befestigte das neue an seiner linken Hüfte. Marcia wollte ihm gerade etwas sagen, als Yam-Yam erneut unterbrach:

»Jetzt setzt euch endlich zu mir. Mal sehen, ob er auch vier Personen tragen kann.«

Nachdem alle Platz genommen hatten, murmelte Yam-Yam vor sich hin und langsam schwebte der Teppich in die Höhe.

»Aber draußen fliegen wir nur in geringer Höhe. Falls jemand herunter fällt, passiert so nicht viel Schlimmes. Außerdem habe ich eine kleine Phobie gegen unsichere Orte«, offenbarte die Deutsche eine Schwäche.

»Keine Sorge, schöne Marcia, der nette Teppich passt auf uns auf. Wir werden aber nur im Notfall höher als zehn Schritt fliegen, versprochen.«

Und damit ließ Yam-Yam ihren fliegenden Untersatz landen. Alle waren begeistert von der Aussicht, nicht mehr marschieren zu müssen, da fiel Marcias Blick auf Marcos neues Schwert.

»Da fällt mir ein, was ich dich noch fragen wollte. Hat das Schwert auch was von sich gegeben oder ist es nur eine besonders scharfe Klinge?«

»Keine Ahnung, wohl eher Letzteres. Aber es liegt gut in der Hand und ist erheblich leichter.«

»Vielleicht kann mein Ring uns helfen, falls es etwas Besonderes zu erfahren gibt.«

Sie machte eine Geste, als zeichne sie etwas in die Luft, dann umfasste ihre Linke den Griff und sprach:

»Informiere mich.«

Marco fiel auf, dass der Stein des Rings die Farbe wechselte, dann aber von Gelb wieder zu Dunkelgrün überging.

»Und?«

Marcia reagierte nicht sofort.

»Was sagt es?«

Marco wurde unruhig.

»Marcia?«

»Diese Waffe ist sehr alt und äußerst gefährlich, jedoch nicht für dich. Man bezeichnet es als Schwert der Gnade und sein Name lautet Glammron. Die kleinste Verletzung durch diese Klinge bringt den Tod, bei einem Kratzer dauert es vielleicht Tage oder Wochen, größere Wunden lassen dir weniger Zeit.«

»Zeit wofür?«

»Um Gnade zu gewähren und somit das Leben des Verletzten zu schonen.«

Marcia sah Marco tief in die Augen.

»Das ist eine riesige Verantwortung und du solltest nie zur Waffe greifen, wenn du nicht von der Schuld des Anderen überzeugt bist, sonst könnte sich das Schwert gegen dich wenden. Außerdem werden die meisten Menschen, ohne den Grund dafür zu wissen, das Schwert erkennen und sich, entsprechend dem Umfang ihres schlechten Gewissens, davor fürchten.«

»Nicht schlecht, aber kann ich damit auch einen Gott töten?«

»Ja«, war ihre knappe Antwort.

»Dann geht diesem Heckenpenner hoffentlich schon jetzt der Arsch auf Grundeis. Wenn ich erst vor ihm stehe, bleibt ihm dafür keine Zeit mehr.«

»Nur die Ruhe, Freund Marco, lasst uns lieber noch etwas von diesem köstlichen Wein trinken. Ich schlage außerdem vor, den Rest des Tages zur Erholung zu nutzen und erst morgen unseren Weg fortsetzen.«

Raytons Vorschlag fand großen Anklang, nur Bru-Talo wurde fast verrückt, denn der Duft der Speisen erinnerte ihn schmerzhaft an seinen Hunger. Aber niemand erbarmte sich seiner.

 

TAG XII

Nach einem ausgiebigen Frühstück verabschiedete sich die Gruppe bestens gelaunt von ihrem unfreiwilligen Gastgeber, rollte draußen den Teppich aus und stellte ihr Gepäck auf ihm ab. Bei einer Größe von zehn mal sechs Schritt blieb den Reisenden ausreichend Platz, um eine bequeme Sitzposition einnehmen zu können. Sanft hob der Teppich ab und flog in etwa fünf Schritt Höhe auf eine Hügelkette zu.

 

Noch bevor die Sonne im Zenit stand, überquerten sie diese Hügel, welche den Eindruck vermittelten, hier habe erst vor kurzer Zeit ein Flächenbrand gewütet. Schwarzgraue Erde, verkohlte Baumstümpfe, Überreste verbrannter Körper, das war alles, was die Reisenden unter sich sahen und sie waren froh, diesen Landstrich nicht zu Fuß durchqueren zu müssen.

 Gegen Mittag wandelte sich die Landschaft schlagartig. Sie flogen nun über einem Meer aus so hohem Gras, dass Yam-Yam den Teppich um zwei Schritt steigen ließ.

»Schade, dass unsere Freunde jetzt nicht bei uns sind«, flüsterte Marco, ergriffen von der Erhabenheit des Ortes, und dachte, Glammrons Griff streichelnd:

'Wie sagte Conans Vater? Vertraue niemandem, nur deinem Schwert. Von jetzt an bist du mein bester Freund.'

Marcia, die mit ihm hinten saß, nickte nur und wandte das Gesicht ab, um ihre Tränen zu verbergen.

Es war eine äußerst bequeme Art zu reisen, denn man konnte jederzeit etwas essen oder ein kleines Schläfchen machen, wobei Yam-Yam sich Letzteres verkneifen musste, schließlich saß er am "Steuer". Mit der Zeit wurde es jedoch eintönig, also erzählte man sich kleine Anekdoten, welche aber oft nur begrenzten Unterhaltungswert hatten.

Ein Fluss bot keine große Abwechslung für das Auge, auch wenn das Gras auf der anderen Seite nur hüfthoch war. Trotzdem stoppte Yam-Yam den Teppich und ließ ihn über dem Fluss auf der Stelle schweben, denn am anderen Ufer tobte ein Gewitter.

»Der Teppich meint, bei Regen funktioniere er nicht. Wir sollten also entweder das Ende des Gewitters abwarten oder versuchen, die Regenzone zu umfliegen.«

»Wäre auch zu schön gewesen«, meinte Marco lapidar und stimmte für Umfliegen.

Keiner wollte warten, also versuchte man es erst flussaufwärts, dann in die andere Richtung, doch überall gab es nur den gleichen, eintönigen Anblick von strömendem Regen! Bald schon würde es dunkel werden, somit beschloss man, im hohen Gras zu landen, um dort zu nächtigen. Sollte es am nächsten Tag immer noch regnen, wollte man eventuell über die Wolken hinweg fliegen, falls der Teppich so hoch steigen konnte, wovor Marcia sich schon jetzt fürchtete. Für den Fall des erneuten Scheiterns würden sie am nassen Ufer landen, den Teppich aufrollen und Yam-Yam würde ihn tragen, obwohl er schon in trockenem Zustand einiges wog.

 

TAG XIII

Da der Plan, die Regenwolken zu überfliegen, an unzureichender Flughöhe scheiterte, ging man zu Plan B über. Um nichts in der Welt hätte sich Yam-Yam von diesem Kleinod getrennt, auch wenn das bedeutete, es von nun an auf unbestimmte Zeit tragen zu müssen. Wenige Augenblicke nach der Landung waren alle schon bis auf die Haut durchnässt. Sich mit hängenden Köpfen in ihr Schicksal fügend, empfanden sie den rutschigen Untergrund als zusätzliche Verhöhnung, besonders der Umbralla. Die schier unerschöpfliche Menge an Wasser von oben machte ihm langsam Angst, aber tapfer versuchte er, diese zu ignorieren. Doch der unaufhörliche Regen machte es ihm nicht leicht. Zudem ließ das ständige Donnern sie fast taub werden, und mit jedem Blitz stieg die Angst, der nächste könnte einen von ihnen treffen.

Endlos zogen sich die Stunden, Yam-Yams Tempo ließ langsam nach. Da schnappten sich Rayton und Marco die triefende Masse, sodass Yam-Yam sich etwas erholen konnte. Und dann schien das Glück wieder auf ihrer Seite zu sein, denn urplötzlich standen sie vor einem Gebäude. Nicht viel hatte gefehlt, um es bei diesen Sichtverhältnissen zu verfehlen. Rayton entdeckte als Erster einen Klingelzug und betätigte ihn mehrmals. In den Augen der Wartenden dauerte es eine Ewigkeit, bis sich das massive Tor öffnete.

 

»Willkommen im vergessenen Tempel! Ich bin froh, dass ihr zu mir gefunden habt. Tretet näher.«

Dazu brauchte es keine Aufforderung, schon während der Begrüßung hatten alle ins Trockene gedrängt. Nun stand man in einer schlichten Halle, an deren Seiten jeweils drei Statuen standen, gegenüber dem Eingang befand sich zudem ein einfacher Altar. Feuerschalen zu Füßen jeder Statue erwärmten ein wenig die Luft und sorgten für ausreichend Licht.

»Danke für Eure Gastfreundschaft, ich bin Marco.«

»Ich weiß! Und wie ich sehe, seid Ihr der neue Richter. Ich bin Gollram Gollumba, der Hüter dieser heiligen Stätte.«

Der Priester wies die Gruppe Richtung Altar, wo hinter einem Wandteppich ein Durchgang zu den Privaträumen führte. Dort war es ein wenig wärmer und es erwartete sie eine kleine Festtafel. Sogar trockene Kleidung in Form einfacher Kutten lag bereit, worüber sich außer Yam-Yam alle freuten.

Während des Essens erzählte Gollram von den sechs Göttern, denen dieser Tempel geweiht war. Und die Reisenden erfuhren außerdem, ihre Aufgabe sei lediglich, den schlafenden Gott zu wecken. Dann könnten die Götter auf ihn einwirken und alles käme wieder ins Gleichgewicht.

»Kann der sich keinen Wecker leisten?«, fragte Marcia amüsiert, während Marco dachte:

'Ich werde ihn trotzdem töten!'

Die einzelnen Ebenen zwischen den Toren waren noch Bruchstücke, erklärte ihnen der Priester, doch wenn es dem Traumgott gelingen würde, sie zu vereinen und er im Kern sicher ruhen könnte, wäre niemand mehr in der Lage ihn zu wecken. Aber der heikelste Punkt war es, den einzigen Schlüssel zu finden, mit dem man dieses Tabhironakel öffnen konnte. Und dass sich sein Fundort in der Stadt der Toten befand, ließ die Aufgabe nicht leichter erscheinen.

Überrascht war die Gruppe, als sie hörte, dass in all den Jahren seiner hiesigen Existenz sie die Ersten waren, denen Gollram öffnen und helfen konnte.

»Die Götter ließen den Tempel in einer gemeinsamen Anstrengung entstehen und wählten diesen Ort, da dieses Bruchstück schon fertig erträumt war. Zudem entzieht der Regen es dem direkten Blick und ich darf deshalb außen kein Signallicht anbringen.«

»Hat Euch die Einsamkeit nicht verzweifeln lassen? Wenn ich mir vorstelle, dass ich ....«

Marcia brach ab, gepackte von ihrer eigenen Vorstellungskraft.

»Manchmal schon, besonders, wenn ich wusste, dass einige Sucher in der Nähe sind und ich nichts anderes tun konnte, als beten. Doch wir sollten uns nicht mit der Vergangenheit aufhalten, denn leider dürft ihr nicht länger als einen Tag verweilen. Ich weiß, ihr würdet gerne länger bleiben, aber das könnte Ihm auffallen und wäre nicht zu eurem Vorteil.«

 

Später folgten sie dem Priester in den Altarraum, wo er ihnen die Götter vorstellte.

»Dies ist Shirama, die Göttin des Wassers, der Musik und der Poesie.«

Es folgten Maritor, der Gott der Lüfte und der wahren Liebe, der Feuer- und Rachegott Loskoor, sowie die Göttin der Erde und ihrer Magie, Timanji. Capamerica war der Lebensspender und für die Gerechtigkeit zuständig, Xorontia war die Mutter der Toten und entsprechend hässlich. Ihre zweite Leidenschaft war, wer hätte das gedacht, der Krieg. Die einzelnen Statuen waren aus dunklem Holz gefertigt und die fast nackten Götter sehr detailliert dargestellt.

Marco interessierte solches Wissen nicht, aber da er froh war, sich in diesen trockenen und warmen Räumlichkeiten aufhalten zu können, hatte er an der Führung teilgenommen.

»Welchem davon habe ich zu verdanken, dass ich jetzt hier bin?«, wollte Rayton wissen.

»Nun, Ihr wurdet von Shirama ausgewählt.«

»Und weshalb? Ich liebe weder Wasser, noch den anderen Kram.«

»Da bin ich überfragt.«

Erst als Gollram davon sprach, etwas zu überreichen, stieg nicht nur Marcos Aufmerksamkeit. Wieder in privater Umgebung, zeigte ihnen der Tempelhüter einen roten Schlüssel und erklärte:

»Dies ist der Schlüssel aus Rubin, der Echte, denn Er hat auch unbrauchbare Kopien verteilt, als zusätzliches Hindernis.«

»Meint Ihr mit Er diesen Ku ....?«

»Sprecht seinen Namen nicht aus«, unterbrach Gollram hastig Raytons Frage. »Denn auch dieses kann Ihn auf uns aufmerksam machen!«,

»Könnt Ihr erkennen, ob einer unserer Schlüssel eine Kopie ist?«, fragte Marcia und zeigte dem Priester ihr steinernes Exemplar.

Gollram berührte ihn kurz.

»Dieser ist echt.«

Auch Raytons Jadeschlüssel war ein Original, Marcos Knochen dagegen wertlos, obwohl dieser lieber das Gegenteil gehört hätte. Während Marcia auch den Rubinschlüssel verstaute, ging Gollram zu einem Wandschrank, öffnete ihn und bemerkte dabei:

»Nun habe ich noch ein letztes Geschenk für jeden von euch.«

Mit diesen Worten entnahm er einer Schatulle ein rotes Bündel, legte es auf den Tisch und entfaltete es. Zum Vorschein kamen vier silberne Armreifen in identischer Ausführung, geformt wie zwei Schlangen, die mit ihren Mäulern einen in schwarzem Metall gefassten Blutstein hielten.

»Tragt sie immer! Eines Tages wird dieser Armreif euer Leben retten! Was hoffentlich nie nötig sein möge!«

Jeder nahm sich vorsichtig einen und zog ihn an. Marco dachte dabei an Lydia und verspürte einen Anflug von Zorn bei der gedanklichen Frage, weshalb der Tempel nicht weiter vorn im Abenteuer platziert worden war. Er spürte, wie Tränen sich ihren Weg bahnen wollten, daher wandte er sich ab.

Rayton hatte Marco beobachtet und lenkte daher die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, indem er fragte:

»Werter Gollram, Ihr erwähntet bei unserer Ankunft, Marco sei der neue Richter. Was bedeuten Eure Worte?«

»Es kann passieren, dass er Recht sprechen muss und niemand, egal welchen Standes, wird es wagen, dieses Urteil infrage zu stellen. Er ist nun Herr über Leben und Tod.«

»Nicht schlecht, das kann Zugang zu Orten verschaffen, die uns sonst verschlossen blieben. Jetzt müssen wir nur noch in Erfahrung bringen, wie wir trockenen Fußes diese Ebene durchqueren können. Oder haben die Götter auch Regenschirme für uns ....?«

»Eure lose Zunge wird Euch eines Tages den Kopf kosten! Wenn man nichts zu sagen hat, sollte man zumindest so tun, als hätte man etwas zu verschweigen«, wies ihn sanft zurecht.

»Entschuldigt, aber ich hatte nach all den Rückschlägen und Verlusten an guten Freunden gerade meine gute Laune wieder gefunden. Ich wollte nicht respektlos sein.«

Diese Erklärung glättete die Wogen und Gollram akzeptierte Raytons Entschuldigung.

»Bis zum Gasthof Am dunklen See kann ich euch bringen, bei einer größeren Entfernung riskieren wir ebenfalls, bemerkt zu werden. Und bedenkt, dass eure Ankunft in fast trockener Kleidung auffallen wird, also legt Euch eine Erklärung zurecht.«

»Wir sind Euch dankbar für jede Hilfe, auch wenn es sich nicht so anhören sollte.«

'Rayton ist schon aalglatt', dachte Marco nach dessen Worten, 'aber zusammen könnten wir es tatsächlich schaffen, diesem göttlichen Bastard tief in den Arsch zu treten.'

»Und vergesst nie, die Anhänger des siebten Gottes werden alles tun, damit der Schläfer nicht geweckt wird!«, fügte Gollram warnend hinzu.

Da Marcia die herrische Art der Priesterin von Anfang an nicht gefallen hatte, machte sie sich nun Luft.

»Dafür ist Layra das beste Beispiel, immerhin hat sie einfach dieses Schlüsselsuchteil mitgenommen, diese hinterhältige Schlange.«

Etwas später nahm Marco den Priester beiseite und fragte ihn, ob dieser für Lydia mit der aufgesammelten Asche im Nachhinein eine Beerdigung durchführen könnte.

»Aber natürlich, doch sollten wir zum Aufbewahren eine gesegnete Urne benutzen.«

Dagegen hatte Marco nichts, doch als der Priester diese Prozedur auf dem Altar vollziehen wollte, stellten sie fest, dass die Asche von Lydia und Anjin auf geheimnisvolle Weise verschwunden war. Auch Gollram wusste dieses Phänomen nicht zu erklären und schlug Marco vor, statt dessen für ihre Seele zu beten, was der Kölner jedoch ablehnte.

 

TAG XIV

Es war ein zu Herzen gehender Abschied, denn Gollram vergoss tatsächlich ein paar Tränen. Man hatte sich die ganze Nacht mit dem Erzählen von Geschichten wachgehalten, obschon der eine oder andere ab und zu für kurze Zeit wegnickte. Der Priester wusste dieses Opfer zu schätzen, schien jede Information förmlich aufzusaugen. Nach ihrer Abreise würde er gewiss wieder lange mit sich allein sein.

Auch seinetwegen wollten sie Erfolg haben, um gleichzeitig seine Erlösung zu erreichen. Als alles gesagt schien, sammelte Gollram sich und schickte sie mit der Kraft seiner Götter in eine ungewisse Zukunft. Dann ließ er seinen Tränen freien Lauf, kniete vor dem Altar nieder und bat die sechs Götter, ihn doch endlich zu erlösen, wobei ihm schlagartig einfiel, dass er vergessen hatte, den Suchern etwas äußerst wichtiges mitzuteilen. Was seine Verzweiflung auf ein kaum zu ertragendes Niveau brachte. Erschüttert von seinem Versagen und der Nichtbeantwortung seiner Bitte, beschloss er seine Qual zu beenden und traf Vorbereitungen für seinen Tod.

 

Die Ankunft vor dem Tor des Gasthofes stand unter einem guten Stern, denn obwohl es auch hier heftig blitzte und donnerte, fiel kaum Regen. Nachdem Marco dem bereit hängenden Horn nur ein feuchtes Krächzen entlocken konnte, erzeugte Yam-Yam damit einen Ton, der selbst Tote geweckt hätte.

»Kein Wunder, ich hab ja auch gute Vorarbeit geleistet«, entgegnete der Kölner lachend, als Rayton eine Bemerkung über die Größe von Marcos Lunge machte. Kurz darauf ließ ein Knecht sie ein.

Im Schankraum war überraschend viel los, Marco zählte dreizehn Personen, allesamt menschlich. Ihre Blicke richteten sich insbesondere auf Yam-Yam, was dieser jedoch (scheinbar) ignorierte. Rayton zeigte dem Wirt eins der Goldstücke und fragte, ob diese Währung hier galt. Er erfuhr, dass diese Goldmünzen einen hohen Wert besaßen und sie dafür mindestens fünf Tage Kost und Logis bekämen.

»Sagt Bescheid, wenn sie aufgebraucht ist.«

Eine hübsche Magd zeigte ihnen ihre Zimmer im Obergeschoss, die einen passablen und halbwegs sauberen Eindruck machten. So beschloss man, zunächst etwas Schlaf nachzuholen und sich danach unters Volk zu mischen, um vielleicht die eine oder andere Information zu erlangen.

 

Erst am späten Abend wurde Marco, der sich das Zimmer mit Marcia teilte, wach, und während er sich ankleidete, erwachte auch die Magierin und streckte sich ausgiebig. Als Marco ihre - nach seinen bescheidenen Maßstäben - perfekten Brüste sah, konnte er nicht verhindern, dass sein Körper darauf reagierte.

»Ah, endlich mal wieder richtig ausschlafen, das hat mir gefehlt.«

Sie rekelte sich ungeniert und präsentierte sich ihm dabei in ihrer ganzen Schönheit, ignorierte aber seine sichtbare Erektion.

»Dafür ist unser Zeitgefühl völlig durch den Wind. Wenn wir nachher regulär zu Bett gehen, kriegen wir unter Garantie kein Auge zu.«

Damit schnallte er sich seinen Waffengurt um und verließ das Zimmer.

»Würde mich nicht stören«, entgegnete sie mit einem Grinsen und streckte sich erneut.

 

Unten im Schankraum saß nur noch Rayton und unterhielt sich mit dem Wirt. Marco setzte sich dazu, worauf er nach seinen Wünschen gefragt wurde. Er bestellte einen Tee, Käse, Brot und zum Nachspülen einen Krug Wein.

»Und, etwas Brauchbares in Erfahrung gebracht?«, fragte Marco, als der Wirt gegangen war.

»Wie man’s nimmt. Wenn wir der Straße folgen, gelangen wir zu einem kleinen Städtchen mit dem eindrucksvollen Namen Qualvoll. Danach führt der Weg über das wahrscheinlich noch reizendere Kummervoll weiter zu einem Ort namens Grauenvoll. Und das Beste ist, man fühlt sich dort dem Namen entsprechend, ist das nicht abartig?«

»Können wir diese Städte nicht umgehen?«

»Es gibt einen besseren Weg, mein Freund ....«

Rayton unterbrach sich, denn in diesem Augenblick kam Marcia zu ihnen. Sie hatte kaum Platz genommen, als der Wirt Marcos Abendessen brachte.

»Für mich bitte das Gleiche.«

Rayton nahm den Gesprächsfaden wieder auf.

»Hier verkehrt halbwegs regelmäßig eine Kutschenlinie und ich habe mir erlaubt, vier Plätze zu erwerben. Die Kutsche fährt bis zu einer Station am Rande der Regenzone, dort wartet ein angeblicher Zauberwald auf uns, in dem sich meiner Meinung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit das Tor befindet.«

Marcia bekam ihren Snack und Rayton fuhr fort.

»Und jetzt haltet Euch fest ....«, er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Erst vor knapp dreißig Tagen rastete hier ein Pärchen, welches nach vierbärtigen Schlüsseln fragte.«

Das schlug ein wie eine Bombe. Marcia verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall, während Marco fast der Becher fallen ließ, aus dem er gerade hatte trinken wollen.

Kaum hatte sich die Überraschung ein wenig gelegt, bestürmten sie Rayton mit Fragen, welche dieser meist nicht beantworten konnte. Es gab nur eine vage Beschreibung, da sie ziemlich vermummt waren und ihr Zimmer bis zur Abfahrt der nächsten Kutsche nur bei dringenden Bedürfnissen verlassen hatten, so wurde es ihm berichtet.

Marco befürchtete, Layra und Khrom könnten ihnen gefolgt sein. Rayton hielt dies für möglich, glaubte es aber nicht, selbst wenn sie den verfluchten Turm ebenfalls bezwungen hätten. Da bliebe immer noch der Schlüssel, um das Tor zu öffnen.

Marcia fragte daraufhin, ob nur jeweils ein Schlüssel pro Tor dieses aktivieren könne, denn wenn nicht, und das implizierte die Zahl vierundzwanzig bei nur elf Toren, hätten sie auch dieses Hindernis bewältigen können.

Rayton vermutete, es sind vielleicht ihre Vorgänger, die man sehr wahrscheinlich in diesem Zauberwald, spätestens auf der nächsten Ebene, antreffen könnte. Vielleicht war die Abkürzung kürzer gewesen als gedacht, eventuell hatte man mehrere Tore übersprungen! Daraufhin sprach man einige "Was wäre wenn"-Szenarien durch, bis der Wirt zu verstehen gab, er mache für heute Schluss.

 

Marco war klar, selbst die zwei Krüge Wein würden jetzt keinen Schlaf bringen, zu viele lose Fäden flatterten durch seinen Kopf und wollten miteinander verbunden werden. Marcias gedämpfte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er richtete sich etwas auf und sah zu ihr hinüber. Auch Marcia hatte ihren Oberkörper aufgerichtet und präsentierte ihm - natürlich ungewollt - ihre spitz zulaufenden Brüste.

»Hältst du mich eigentlich immer noch für eine verwöhnte Discozicke?«

»Es tut mir leid, wenn ich damals vielleicht zu hart über dich geurteilt habe. Heute finde ich dich nicht nur attraktiv, jetzt hast du auch Persönlichkeit, bist auch mental zur Frau gereift«, antwortete Marco, obwohl er nicht wirklich dieser Meinung war, aber selbst in diesem Zustand wusste sein Gehirn noch, was Frauen auf solche Fragen hören wollten.

»Dann sei bitte nicht sauer, wenn ich mich nicht richtig ausdrücke, aber ich wollte dir etwas sagen, was mich schon lange bedrückt.«

»Du möchtest, dass wir wieder zusammenkommen, richtig?«, vermutete er spontan, schließlich hatte er seine Landsfrau schon näher kennengelernt und das nicht nur körperlich.

»Woher .... weißt du es? War es so auffällig? Es ist mir klar, dass du mich nie so lieben wirst wie Lydia, dafür liebe ich dich um so mehr. Erst als du mir sagtest, du hättest dich in jemand anderen verliebt, wurde mir mit aller Klarheit bewusst, dass du meine große Liebe bist. Ich habe danach oft geweint, wusste nicht, wen ich hassen sollte. Ich war so allein, aber dann wünschte ich euch nur das Beste, wollte deinem Glück keinen bitteren Geschmack beifügen. Aber nun, nach all dem Verzicht, bin ich mir sicher, in dieser Situation müssen wir uns gegenseitig die nötige Kraft zum Durchhalten geben, die zumindest ich schon dringend brauche.«

Bei der Erwähnung seiner toten Lebensgefährtin kehrte die Erinnerung zurück und drohte nicht nur sein Herz mit Tränen zu überschwemmen. Immerhin war es erst vier Tage her, dass die Waldläuferin und sein bester Freund gewaltsam von seiner Seite gerissen wurden. Marco atmete zweimal tief durch und antwortete dann mühsam:

»Ich habe auch schon darüber nachgedacht. In dieser Welt sollte man frühere Prinzipien schnell und gründlich überdenken, denn schon am nächsten Tag könnte es zu spät sein. Lydia mochte dich sehr«, log er, »und ich kann mir nicht vorstellen, sie würde sich wünschen, dass ich zum Abstinenzler werde. Wir hatten auch überlegt, was wäre, wenn wir unser Ziel erreichen und ich mich von ihr und Anjin hätte trennen müssen. Jetzt bin ich mir sicher: Da sie von Ihm erschaffen wurden, wären sie bei seinem Erwachen vernichtet worden, schließlich haben Träume keine Substanz und selbst die Erinnerung an sie vergeht.«

'Wie auch immer', dachte er nach seiner kleinen Rede, während sie ihn anlächelte, 'vielleicht bin ich ja in einer Matrix gefangen oder vollkommen durchgedreht, egal, eine kleine Ecke in meinem Herzen darf ich ihr bestimmt einräumen, ohne respektlos gegenüber Lydia zu sein.'

»Auch unsere Körper haben Bedürfnisse, die wir nicht verleugnen können. Meinst du .... ?«

»Sie ist erst vor vier Tagen von uns gegangen. Findest du nicht, dass es etwas zu früh ist?«

»Lydia möge mir verzeihen, aber jetzt brauche ich dich an meiner Seite.«

»Ich bin doch an deiner Seite.«

»Die Seite meine ich nicht«, sagte sie und klopfte auf die leere Stelle neben sich.

Marco stand auf, ging leicht schwankend zu ihrem Bett und legte sich zu ihr. Zärtlich streichelte er ihren Körper, der schon mehr als bereit zur Liebe war.

Marcia erschauerte unter seinen Berührungen und fast wie eine Süchtige ergriff sie seine pralle Männlichkeit und dirigierte sie direkt zu dem Vulkan, der zwischen ihren Schenkeln brodelte und endlich gelöscht werden wollte. Ruhig und sanft drang er in sie ein, liebkoste ihre Brüste, besonders die harten Nippel ihrer Brustwarzen, genoss die Hitze in ihrem Paradies und schlief dabei ein.

 

TAG XV

Marco war überrascht, in Marcias Bett zu erwachen, da er sich an den vergangenen Abend nur sehr bruchstückhaft erinnern konnte. Da bemerkte Marcia sein Erwachen und begann ihn zu streicheln.

»Guten Morgen, Liebster.«

Sie war entschlossen, ihn nicht von der Angel zu lassen und gab sich deshalb besondere Mühe, kein böses Wort wegen des gestrigen Abends fallen zu lassen. Stattdessen verführte sie ihn erneut und diesmal mit Erfolg.

 

Beim Frühstück fiel selbst Yam-Yam Marcias strahlender Gesichtsausdruck auf, aber niemand machte deswegen anzügliche oder gar taktlose Bemerkungen.

Man verbrachte den Tag mit Würfelspielen, einfachen Übungen auf dem Zimmer und Gesprächen. Von den anderen Gästen war nichts Neues zu erfahren, die meisten waren zudem eingeschüchtert von Marcos Schwert und Yam-Yams Anwesenheit. Dieses führte dazu, dass die Sucher recht früh ihre Betten aufsuchten.

 

Die Nachtruhe wurde jäh unterbrochen, denn Schreie und hämmernde Geräusche rissen alle aus ihrem Schlaf. Marco hörte etwas wie "Sie kommen! Schließt alle Türen!" und zog sich hastig an. Als er den Flur betrat, kamen auch Yam-Yam und Rayton aus ihrem Zimmer.

»Was ist los?«, fragte letzterer.

»Keine Ahnung, lasst uns ....«

Marco unterbrach sich, als der Gasthof von einer heftigen Erschütterung durchgerüttelt wurde. Im Schankraum herrschte reine Panik. Mancher verfluchte sich selbst, weil er nicht eher den Heimweg angetreten hatte, andere standen wie gelähmt herum. Der Rest versuchte zu verhindern, dass die Eingangstür den draußen lauernden Feind passieren ließ.

Als der Wirt in Marcos Nähe auftauchte, packte er diesen am Ärmel und rief:

»Was ist denn hier los? Eine Räuberbande?«,

Mit vor Angst verzerrtem Gesicht schrie dieser:

»Die Froschmänner greifen uns an! Wir werden alle sterben!«, und riss sich los.

In diesem Augenblick erschütterte ein weiterer Stoß die Tür und riss sie aus dem Rahmen.

Die Verteidiger, meist nur mit einem Messer oder Stuhlbein bewaffnet, sprangen zurück, da drängten schon die ersten Angreifer durch die entstandene Öffnung.

Marco erinnerten sie an das Monster aus Der Schrecken vom Amazonas, doch im Gegensatz zu diesem waren diese Viecher nicht allein. An ihrer Seite kämpften überdimensionierte Frösche. Diese schleuderten ihre extrem langen und klebrigen Zungen nach den Menschen und wessen Haut sie trafen, war meist nach wenigen Augenblicken gelähmt. Die menschenähnlichen Monster waren mit Keulen und Speeren bewaffnet und offensichtlich nicht gewillt, jemand lebend gefangen zu nehmen.

Mittlerweile war Marcia am oberen Treppenabsatz aufgetaucht, gleichzeitig schien auch die hintere Tür in der Küche zerstört worden zu sein. Marco und Yam-Yam stellten sich im Schankraum den Angreifern, Rayton ließ niemanden aus der Küche heraus. Marcia aktivierte den Ring und feuerte nacheinander fünf magische Geschosse auf verschiedene Gegner. Diese trafen automatisch, bei den Fröschen jedoch immer tödlich, also konzentrierte sie sich auf diese. Aber am schlimmsten wütete Marco, denn Glammrons Klinge fuhr mühelos durch das Holz der Waffen sowie durch Haut und Knochen der monströsen Angreifer. Körperteile, Blut und anderes Gekröse auf dem Boden machten den Kampf alsbald zu einer schlüpfrigen Angelegenheit, der auch Marco bei einem Ausweichmanöver zum Opfer fiel. Er stürzte hart, konnte sich aber im letzten Moment zur Seite drehen und die Keule, die seinen Schädel zerschmettern sollte, verfehlte ihn um Haaresbreite.

Wild schlug Marco um sich und durchtrennte dabei beide Beine eines Kombattanten knapp unterhalb der Knie. Mit einem schrillen Schrei ging dieser zu Boden und Marcias zweite Salve magischer Geschosse verschaffte Marco die nötige Zeit, wieder auf die Füße zu kommen, nur um festzustellen, dass der Feind unerwartet den Rückzug angetreten hatte, dabei allerdings einige der menschlichen Opfer mitnahm.

Schnell wurden zwei Dinge klar: einzig die Sucher hatten den Angriff überlebt und der Froschmensch ohne Füße klammerte sich noch immer an diese Daseinsebene. Jedoch scheiterte der Versuch, dieses Amphibienwesen zu befragen, an der Tatsache, dass es die Handelssprache nicht kannte. Zumindest schien es so. Schließlich verstarb es und ließ ratlose Sieger zurück. Diese verbarrikadierten die beiden Türen so gut es ging mit Tischplatten, schürten dann das Feuer im Kamin und machten es sich so bequem wie möglich, um die Ankunft der Kutsche abzuwarten.

Die Szenerie des Schankraums wirkte im Licht des Kaminfeuers noch schrecklicher, deshalb setzten sich alle so, dass ihr Blick nicht ständig auf dieses Bild des Horrors fiel. Mit gedämpften Stimmen diskutierten sie die Gründe, die zu diesem Massaker geführt haben könnten, aber ohne entsprechende Informationen blieb alles Spekulation.

Da ihnen, unter anderem durch den Gestank des Todes, auch der Appetit vergangen war, blieben nur der Alkohol und die Freude darüber, sich diesmal mehr als achtbar geschlagen zu haben. Niemand war ernsthaft verletzt worden und Marco streichelte immer wieder den Griff seines neuen und zuverlässigen Freundes.

Draußen schien die Nacht es dem Regen gleichzutun und kein Ende nehmen zu wollen.

 

TAG XVI

Als sie die ersten Geräusche einer sich nähernden Kutsche vernahmen, atmeten alle erleichtert auf und schulterten ihr Gepäck.

Marco öffnete das Tor und starrte erstaunt an, was an ihm vorbei in den Hof rollte. Gezogen wurde es von zwei Wesen, die Marco stark an die Raptoren aus Jurassic Park erinnerten. Die Kutsche selbst war mindestens dreimal so lang wie eine Normale und auch breiter, hatte drei Achsen und vorne eine kleine Kabine für Fahrer und Begleiter.

Zwar ernteten sie am Anfang misstrauische Blicke, doch nachdem man Marcos Schwert gesehen und Rayton kurzen Bericht über die nächtlichen Ereignisse verarbeitet hatte, löste sich die ablehnende Haltung in Luft auf.

Als auch die Passagiere mit eigenen Augen das Bild des Grauens im Inneren der Station gesehen hatten, wurde rasch das Gepäck der Gruppe verstaut und die Luxuskutsche der Fells Kargo Gesellschaft brach in Richtung Qualvoll auf. Innen fand man Platz für mindestens zehn Reisende vor, und da zurzeit nur drei außer ihnen mitfuhren, konnte man es sich auf den leicht gepolsterten Sitzbänken richtig bequem machen. Frische Luft kam durch verschließbare Seitenschlitze und erhellt wurde der fensterlose Kasten von einer leuchtenden Kugel, welche mitten im Raum unter der Decke "klebte".

Marcia war sofort klar, hier hatte ein Magier ein ewiges Licht erschaffen, höchstwahrscheinlich eine Auftragsarbeit. Eines Tages, so hoffte sie, würde auch sie die Magie beherrschen und solch wundervolle Dinge tun.

Natürlich wollten die Mitreisenden alles über dieses grauenvolle Massaker erfahren und Rayton übernahm es, die vergangene Nacht zu schildern, übertrieb es aber mit den blutigen Details.

Die Sensationsgier der Zuhörer war gerade halbwegs befriedigt, da fuhr man schon in die FKG-Station am Rande des kleinen Städtchens Qualvoll ein. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck verabschiedeten sich ihre Mitreisenden, danach nutzte die Gruppe die Pause, um im Gasthof etwas für Magen und Leber zu tun. Dort fiel ihnen auf, dass alle Anwesenden nicht gerade bester Laune waren, selbst die Verpflegung hatte sich angepasst und war kaum genießbar. Jeder war in gewissem Maße erleichtert, ohne zu wissen warum, als man mit verkniffenen Gesichtern zur Kutsche zurückkehrte und die Stadt verließ.

 

Sie bemerkten es schon, als man sich noch der Station von Kummervoll näherte. Traurige Gedanken überfluteten die Reisenden. Erinnerungen an Freunde, Familie, aber besonders an Kranke, Verstorbene und Ermordete. Mit dem Erreichen des Gasthofes war Marcia in Tränen aufgelöst, auch ihre Begleiter (wen wundert’s?) waren sichtlich von Kummer erfüllt.

Zu ihrem Glück wurde hier nur das Gespann gewechselt. Schon kurz nach Verlassen des Stadtgebiets spürten alle erneut die Erleichterung, als hätte man eine große Last von ihrer Seele genommen.

»Wie soll das erst in der nächsten Stadt werden, die heißt bestimmt nicht umsonst Grauenvoll?«, fragte Rayton in die Runde.

»Ich frage mich, wie die Bewohner das auf Dauer ertragen können. Wir werden es wohl oder übel aushalten müssen, egal was, egal wie lange, es sind nur Gefühle und nichts Lebensbedrohliches!«,

»So ist es«, pflichtete Rayton Marco bei. »Wir werden es einfach hier in der Kutsche abwarten.«

Was sie auch ernsthaft versuchten, doch die schlimmsten Befürchtungen schlichen sich in ihre Köpfe, grauenhafte Bilder von Monstern in menschlichen Hüllen, vergifteten Speisen und anderen abartigen Dingen.

Als sie bemerkten, dass die Kutsche anhielt, erwartete die Gruppe einen hinterhältigen Überfall und griff zu den Waffen. Da hörten sie den Fahrer rufen:

»Nur kurzer Aufenthalt, letzte Latrine vor dem Zauberwald! Aber beeilt euch, wir warten nicht!«

Das brachte sie halbwegs zurück in die Realität und bis auf Yam-Yam nahmen alle das Angebot an. Aber es wurde für sie eine wahre Tortur, da sie hinter allem und jedem Verrat, sowie Mord und Totschlag vermuteten. Auch während der Rückkehr zur Kutsche belauerten sich die Sucher gegenseitig, trauten niemandem über den Weg.

Gerade als sie einsteigen wollten, kam ein rattenköpfiges Wesen auf sie zu, welches Anstalten machte, es ihnen gleichzutun. Die Nase des neuen Passagiers schien nie innezuhalten, schnupperte und schnüffelte ständig herum, als hätte sie ein Eigenleben. Das war erst recht keinem geheuer und jeder platzierte sich möglichst mit dem Rücken zur Wand, sodass er die Anderen, aber vor allem den Neuling, im Blick hatte. Nur wenig später setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung und irgendwann schwanden auch die letzten Fetzen dieser üblen Gedankenwelt.

Nun wurde es Zeit für zwischenmenschliche Kontakte, mit einem verlegenen Lächeln grüßte man sich nachträglich und stellte einander vor. Der neue Mitreisende entpuppte sich als weibliche Ritzo und hieß Fipma. Sie hatte sich nur aus geschäftlichen Gründen in der Stadt aufgehalten, und als Rayton nachfragte, welcher Art von Geschäften sie nachging, antwortete sie mit ihrer hohen, leicht fiependen Stimme:

»Ich bin Kopfgeldjägerin und Leute aus Grauenvoll bringen immer hohe Prämien.«

»Und bei welchen Verbrechen gibt es die höchsten Prämien? Mord, oder?«

Eigentlich hatte Marcia die Frage mehr aus Freundlichkeit, denn aus Neugier gestellt, um so mehr schockierte Fipmas Antwort.

»Bei Weitem nicht, dafür gibt es zu viele Mörder. Aber einen dieser Schlüsselsucher zu greifen, das bringt reichlich Belohnung.«

Rayton erholte sich als Erster von seiner Überraschung und wollte wissen, woran man diese erkennen könne.

»Niemand sonst braucht diese merkwürdig geformten Schlüssel. Wer also dahin gehend Fragen stellt oder ein solches Objekt besitzt ....«

Jedem war klar, was sie damit meinte, und da Fipma eine erfahrene Jägerin war, bemerkte sie die unbewussten Reaktionen in der Gruppe, was wiederum Rayton nicht entging. Blitzschnell schleuderte er ein Messer, und obwohl die Ritzo trotz der kurzen Distanz noch reagierte, bohrte es sich in ihr linkes Auge. Blut spritzte umher, aber sie zuckte noch, als Rayton sie erreichte und mit einem Schlag auf den Knauf die Klinge tiefer trieb, worauf Fipma zusammensackte und der Rest erschrocken bis entsetzt erst Rayton und dann ihre eigenen, mit Ritzoblut besudelten Kleidungsstücke anstarrte.

»Sie wusste es.«

»Aber musstet Ihr sie deshalb direkt töten?«, wollte Marcia wissen.

»Sie hätte uns spätestens an der nächsten Station Ärger bereitet, und da wir keine unnötigen Risiken mehr eingehen wollten, kann ich mit Raytons spontaner Entscheidung gut leben«, antwortete Marco anstelle des Angesprochenen.

Das leuchtete Marcia halbwegs ein und kurz darauf warfen sie die Leiche aus der Kutsche. Zurück blieb eine ziemliche Sauerei, die man nur oberflächlich beseitigen konnte.

»Was erzählen wir, wenn jemand nach ihr fragt?«, sorgte sich Marcia.

»Keine Ahnung«, antwortete Marco. »Warten wir ab, ob jemand dem Richter eine Frage wie diese zu stellen wagt.«

Da auch den Anderen keine plausible Erklärung für das Verschwinden der Kopfgeldjägerin einfiel, war Marcos Vorschlag genehmigt.

 

Die Endstation befand sich direkt am Waldrand und außerhalb der Regenzone, was die Reisenden dankbar zur Kenntnis nahmen. Da es schon Nacht war, mieteten sie sich im Gasthaus Zur letzten Rast ein und verzogen sich nach einem kurzen Mahl sofort auf ihre Zimmer.

 

TAG XVII

Marcia hatte bei ihrer Ankunft die Schmiede des Gasthofes bemerkt und sich beim ersten Hahnenschrei aus dem Zimmer geschlichen, um den Schmied zu fragen, ob er in der Lage wäre, nach ihren Vorgaben eine brauchbare Schere herzustellen. Zwar hatte sie sich in Chambalon noch ein Schminkkästchen zusammengestellt, nur eine Schere hatte sie vergessen.

Zu ihrer großen Freude hatte er zwei fertige Exemplare, die kleinere Ausführung wechselte den Besitzer, denn die andere war eher für Pferdemähnen geeignet.

Als sie beim Frühstück ihren Kauf präsentierte, waren bis auf Yam-Yam alle begeistert, denn nun konnte man unter anderem die wildwuchernden Bart- und Haupthaare auf eine angemessene Länge stutzen.

 

Da der Teppich noch ziemlich nass und ein Überfliegen des Waldes somit nicht möglich war, betrat die Reisegruppe den sogenannten Zauberwald mit einer wohldosierten Portion Vorsicht.

Kaum hatten sich ihre Augen den schummrigen Lichtverhältnissen angepasst, da sahen sie einen relativ kleinen Baum, der eine grausige Last trug. Fünf Gehenkte, alle menschlich. Doch besonders schockierend war, dass alle noch zu leben schienen! Aufmerksam die Umgebung beobachtend, die röchelnden Laute eines scheinbar endlosen Todeskampfes in den Ohren, näherten sie sich dem Galgenbaum.

Jedem Opfer hatte man ein einfaches Schild umgehängt, auf dem anscheinend das Verbrechen stand, welches derjenige begangen hatte. Auf einem stand Ich habe Fikuris Haus zertrampelt, auf einem anderen Ich habe Quikfik beleidigt.

»Das ist ja schrecklich! Was sind das für Verbrechen, die solch eine Strafe rechtfertigen? Kannst du sie nicht erlösen?«, wandte sich Marcia, Tränen des Mitleids in den Augen, an Marco.

»Könnte sein, doch was sind die Konsequenzen? Ich würde wahrscheinlich gegen die hiesigen Gesetze verstoßen und damit riskieren, ebenfalls aufgeknüpft zu werden. Da ich die genauen Umstände nicht kenne, werde ich mich schweren Herzens abwenden und meines Weges ziehen.«

Auch Rayton und Yam-Yam waren dieser Auffassung, als plötzlich einer der Gehängten vom Seil freigegeben wurde und zu Boden fiel. Marcia lief sofort zu ihm, da ließen auch die anderen Seile in kurzen Abständen ihre Last fallen. Die Deutsche war untröstlich, als man unerwartet feststellte, alle fünf waren tot. Jedoch der Ausdruck ihrer Gesichter war seltsamerweise entspannt und friedlich.

 

»Dann sollten wir sie auch beerdigen«, schlug Marco vor, als man plötzlich bemerkte, dass die Toten langsam im Boden versanken.

»Die Mühe könnt ihr euch sparen«, sprach jemand mit hoher, fast kreischender Stimme. »Der Wald kümmert sich nicht nur um die Lebenden.«

Die überraschte Gruppe wandte sich der Stimme zu und erblickte eine zwergenhafte Gestalt, keine zwei Schritt groß, die sich vornüber gebeugt an einen Stab festhielt, deren Gesicht jedoch von einer großen Kapuze verdeckt wurde.

»Danke für den Hinweis«, meinte Rayton ironisch.

»Aber warum wurden diese armen Menschen so brutal gequält?«

Marcias Entrüstung schien auf Überraschung zu stoßen.

»Habt Ihr denn nicht gelesen, welche verabscheuungswürdigen Verbrechen sie begingen?«

»Schon, aber wir konnten nicht glauben, dass man hier wegen Beleidigung gehängt wird.«

»Schöne Frau, wenn jemand Eure Königin beleidigt, wird man ihm dafür bestimmt keinen Orden verleihen, oder?«

»Zumindest wird da, wo ich herkomme, niemand zu Tode gedrosselt und zur Schau gestellt«, konterte Marcia. »Außerdem man stellt sich vor, wenn man eine gute Erziehung zu haben glaubt.«

Das saß, die gebeugte Gestalt zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen.

»Vergebt mir, doch lasst mich zu meiner Verteidigung anführen, dass Eure Tränen auch mein Herz rührten, was in all den Zyklen, die ich schon Wächter des Würgallesbaums bin, noch nie passiert ist. Mein Name ist Kikmi und ich bin erfreut, jemanden wie Euch kennenzulernen.«

Nicht nur Marcia entspannte sich etwas nach diesen Worten, Marco konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. Nach einem angedeuteten Knicks antwortete sie:

»Ich bin Marcia van der Dorken, dies sind meine Freunde Rayton der Tödliche, Yam-Yam der Schreckliche und Marco der Richter.«

Bei diesen Worten musste selbst Yam-Yam grinsen, worauf Kikmi ein zweiter Peitschenhieb zu treffen schien.

»Vielleicht könnt Ihr uns helfen, denn wir suchen etwas, von dem wir glauben, dass es sich in diesem Wald befinden könnte.«

Da drehte sich Kikmi wortlos um, gab mit der freien Hand Zeichen ihm zu folgen.

 

Vor einem circa drei Schritt hohen "Hügel", hauptsächlich aus Ästen und Laub bestehend, meinte Kikmi mit gespieltem Bedauern:

»Leider seid ihr zu groß für meine bescheidene Behausung, deshalb wartet bitte hier, es wird nicht lange dauern.«

Sofort entledigte man sich des Gepäcks und Yam-Yam rollte seinen Teppich zum weiteren Trocknen aus.

»Die haben ja wirklich spaßige Namen hier«, stellte Marco fest, während er nach seinem Wassersack griff.

»Aber Miladys Konter war auch nicht schlecht«, meinte Rayton.

Jetzt lächelte auch Marcia, was den Pegel für gute Laune weiter ansteigen ließ. Plötzlich rief sie:

»Seht nur, was für ein schöner Schmetterling!«

»Sieh dich vor, er scheint beleidigt, siehst du, jetzt fliegt er auf dich zu, will seinen riesigen ....«

Marcia unterbrach Marco mit einer abwinkenden Geste, denn sie hatte entdeckt, dass dieser Schmetterling keiner war. Ein vielleicht zwei Handbreit großes, eindeutig weibliches Wesen mit rötlich schimmernden Flügeln, schwebte vor ihrem Gesicht und jetzt drang auch dessen wispernde Stimme an ihr Ohr.

» .... über unsere Namen lustig macht!«

Mehr konnte Marcia nicht verstehen und antwortete reflexartig:

»Wir machen uns nicht darüber lustig, dass ihr lustige Namen habt, wir haben es nur festgestellt. Zudem sind wir nicht von hier und kennen uns mit den hiesigen Sitten und Gebräuchen nicht aus. Ich hoffe, Ihr könnt uns verzeihen.«

Nach einer kurzen Phase des Abwägens nickte die winzige Person, flog zu Marcias Schulter und ließ sich darauf nieder.

»Ich bin Zombiene, eine Sammlerin vom Wampirella-Clan. Wie heißt du?«

»Marcia die Goldgelockte nennt man mich, aber als meine neue Freundin darfst du Marcia zu mir sagen.«

Obwohl die anderen Sucher Zombienes Worte nicht hören konnten, registrierten sie trotzdem Marcias Anpassungsfähigkeit und lächelten still vor sich hin. Da stürzte Zombiene mit spitzem Schrei zu Boden, die Brust von einem kleinen, silbrigen Pfeil durchbohrt.

Bevor Marcia reagieren konnte, lag ihre neue Freundin zu ihren Füßen und hauchte ihre Seele, falls sie eine hatte, vor aller Augen aus.

Und ihr Mörder war Kikmi! Er hielt etwas in der Hand, das aussah wie eine Miniaturarmbrust, und wirkte sehr befriedigt. Marcia wollte gerade ihren Ring aktivieren, als er mit dieser greisenhaften Fistelstimme sagte:

»Sie wollte nur euer Blut. Ihr solltet nicht so voreilig Freundschaft schließen, edle Dame!«, und stieß so etwas wie ein Kichern aus, was bei allen, außer vielleicht Yam-Yam, Gänsehaut verursachte.

»Wollt Ihr damit sagen, das war so eine Art Vampirelfe?«

Marco hatte den Schock als Erster überwunden, aber noch plagten ihn Zweifel. Schließlich könnte dieser Kikmi der Böse sein und die kleine Elfe (oder was auch immer sie war) wollte die Gruppe nur vor ihm warnen. Oder hatte der Pfeil gar Marcia gegolten?

»Nur die Wampirellas haben diese roten Flügel und diese war schon sehr hungrig. Das erkennt man daran, dass sie fast durchsichtig sind. Seht Euch ihre Zähne an.«

Vorsichtig, fast widerwillig, kam Marcia der Aufforderung nach und zuckte erschrocken zurück, als sie vampirartige Eckzähne vorfand.

»Dankt mir nicht, seht es an als zweite Lektion, denn Unwissenheit schützt hier nicht vor Strafe!«

Sein Bolzenschussgerät verstauend wankte er näher, um sich zu ihnen zu setzen.

»Ich tausche euren Teppich gegen das hier.«

Er hielt einen dieser Schlüssel hoch und studierte aufmerksam ihre Gesichter.

»Niemals!«, brüllte Yam-Yam sofort, was nicht nur Kikmi zusammenzucken ließ.

»Da ihr zu den Suchenden gehört, könnt ihr diesen Schlüssel aus Ton sicher gebrauchen. Außerdem ist es in diesem Wald nur Elfen erlaubt, sich durch die Luft zu bewegen. Sie würden euch schwer bestrafen, wenn ihr ihn nicht zurücklasst.«

»Woher wisst Ihr das mit dem Teppich und wer sagt uns, ob der Schlüssel echt ist oder nur eine dieser Kopien?«, wollte Marco daraufhin wissen.

»Traut ihr mir etwa nicht? Ihr auch nicht, Lady Marcia?«

Bevor er beleidigt sein konnte, beeilte sich Marcia ihm glaubhaft zu versichern, es sei nur natürlich, seinem Lebensretter zu vertrauen. Diese Beteuerung überzeugte Kikmi und er kramte in einem kleinen Beutel, welcher an seinem Gürtel hing, bis das Gesuchte gefunden und mit stolzer Miene präsentiert werden konnte.

Im ersten Moment machte Enttäuschung die Runde, denn sie sahen nur einen Würfel aus Metall, der statt "Augen" fünf verschiedene Buchstabenkombinationen aufwies, die sechste Seite war mit einem Totenkopfsymbol verziert.

»Dies ist ein Festungswürfel. Er bietet Schutz, bis zu einem gewissen Grad sogar vor Magie, hält zudem Nahrung und kühles Wasser bereit, bewahrt aber auch euer Gepäck auf. Mehr werde ich nicht bieten, also entscheidet euch jetzt.«

»Ich bin für den Tausch«, verkündete Marcia ohne lange nachzudenken und sah Marco an. Dieser nickte, Rayton tat es ihm gleich. Yam-Yam war offensichtlich fassungslos, weshalb Marco versuchte, ihn von den Vorteilen des Deals zu überzeugen.

»Überlegt doch mal, die Vorteile für uns überwiegen bei Weitem. Die Schlepperei hat ein Ende, wir haben jederzeit eine Unterkunft, Nahrung und Wasser zur Hand. Meint Ihr nicht, dafür können wir auf etwas Bequemlichkeit verzichten?«

Yam-Yam starrte ihn an, schien zu überlegen. Dann setzte er sich auf den Teppich und nahm Abschied von seinem neuen Freund.

Derweil ließen sich die Anderen den Würfel vorführen, das Ergebnis war beeindruckend. Nachdem man den Würfel auf den Boden gelegt hatte, mit dem Wort Mein nach oben, kippte man ihn immer wieder, bis die Seiten mit den anderen Worten (Würfel, ist, meine, Festung) in dieser Reihenfolge oben lagen, den Abschluss machte die Seite mit dem Totenkopf.

Daraufhin verwandelte er sich in einen Turm von circa fünfundzwanzig Schritt Höhe, komplett aus Metall. Die Räume im Inneren waren luxuriös, da die Grundfläche des Turms außen nur etwa fünf mal fünf Schritt betrug, im Inneren jedoch das Doppelte!

Der untere Raum war geteilt. Auf der linken Seite gab es einen Kamin mit Gittereinsatz, den man auch zum Kochen benutzen konnte, einen Tisch mit eigener Magie, eine Bank und Stühle, sowie auf der rechten Seite zwei Wandschränke. Im ersten fand man Kochgeschirr, Teller und Besteck, während der zweite wohl für Vorräte gedacht war, denn zurzeit befand sich darin nichts. Aber die Krönung war das bequeme Klo mit Waschgelegenheit im vorderen Drittel. Die neuen Besitzer konnten es kaum glauben. Eine schmale Wendeltreppe gegenüber dem WC führte bis unters Dach und verband alle Etagen miteinander.

In den nächsten zwei Stockwerken gab es jeweils drei Türen. Zwei führten in Schlafzimmer mit Doppelbetten und Teppichboden, die dritte offenbarte, dass es auch auf diesen Etagen jeweils ein WC gab. Im dritten Obergeschoss war im Boden nur eine große Vertiefung, welche sich als eine bequeme Badewanne entpuppte, die sich auf Wunsch mit angenehm temperiertem Wasser füllte. Auch hier gab es ein separates WC. Der nächste Abschnitt des Turms beherbergte nur einen Tisch in der Raummitte, dessen quadratische Platte eine Fläche von etwa drei mal drei Schritt hatte. Das Besondere war die originalgetreue Miniaturlandschaft darauf, in der Mitte die Nachbildung des Turms.

Sogar Lebewesen wurden dargestellt, aber nicht nur ihre Position, sondern auch was sie gerade taten, selbst wenn sie sich in der Luft befanden! Und das bis zu einer Entfernung von rund einer Maile!

Am Ende der Führung kam man in einen leeren Raum, in dessen Wänden sich je eine Öffnung von zwei mal zwei Ellen Größe befand, welche von innen mit metallenen Läden verschlossen werden konnte. Den Abschluss bildete ein Spitzdach.

Für Licht in den Räumen sorgten, da keine Fenster oder Ähnliches (vom Dachzimmer abgesehen) vorhanden, zwei abblendbare Laternen (außer in den Toiletten, da reichte eine), in welchen sich magische Lichtkugeln befanden.

Aber es gab noch weitere Extras, wie zum Beispiel die Reinigung aller sich im Turm befindlichen Kleidungsstücke. Oder auf Wunsch durchsichtig werdende Außenwände, sodass man nach draußen sehen konnte, aber niemand hinein.

 

Nachdem ihnen Kikmi alles gezeigt und danach erklärt hatte, wie man den Würfel deaktiviert, vollzog man den Tausch und übergab Yam-Yam das neue Zuhause der Gruppe. Da nun bereits der Großteil des Gepäcks sowie alle Schlüssel in ihm deponiert waren, lastete große Verantwortung auf den breiten Schultern des Umbralla. Als sich die Sucher schließlich von Kikmi verabschiedeten, gab er ihnen einen letzten Rat:

»Nicht immer ist der schnellste Weg ein gerader Weg!«

»Der gute Kikmi, immer einen Joke auf den Lippen«, kommentierte Marco mit einem Lächeln.

 

Kaum waren sie außer Sichtweite, schon wollte Marcia im Turm ein Bad nehmen.

»Das würde allen gut tun, aber ich bin aus einem anderen Grund dafür«, sagte Rayton und blieb stehen. »So kann ich in Ruhe überprüfen, was dieser Wächter momentan treibt.«

Marcia sprang jubelnd wie ein kleines Mädchen herum und dann in Marcos starke Arme, während Rayton Yam-Yam zeigte, wie man den Würfel aktivierte.

 

Marcia badete noch, Yam-Yam schlug sich unten den Bauch voll, da erhoben sich Marco und Rayton von den Stühlen, welche sie mitgebracht hatten, falls die Überwachung länger als erwartet ausfallen sollte.

»Schau, schau, unser Freund bekommt Besuch. Wenn das mal keine Elfen sind.«

Rayton nickte bestätigend.

»Ich frage mich noch immer«, fuhr Marco fort, »warum hat der Kerl diesen Würfel eingetauscht? Wo ist der Haken, denn der Turm ist fast zu schön, um wahr zu sein? Warum wohnte er statt dessen in diesem Laubhaufen? Vielleicht wollte man unsere Orientierungsmöglichkeiten oder Fluchtchancen minimieren, es könnte auch etwas sein ....«

Marco unterbrach seine Gedankengänge, als er sah, wie die Elfen Kikmi aus seiner Behausung zerrten und zum Würgallesbaum brachten, wo eins der Seile sich um seinen Hals schlang und ihn ins Geäst zog. Kurz darauf stieg Rauch auf und Flammen züngelten aus Kikmis Hügel, wo ein zweiter Trupp Feuer gelegt hatte.

Wortlos verfolgten Rayton und Marco das Geschehen, richteten sich erst erleichtert auf, als die Elfen in eine Richtung verschwanden, die entgegengesetzt zum Turm lag.

 

Ihre Blicke trafen sich und es war klar, sie hegten denselben Gedanken. Ohne zu zögern, gingen beide zu Marcia, die nach dieser Nachricht ihr Bad sofort beendete und sich ankleidete. Als Yam-Yam hörte, was los war, packten ihn Wut und Verzweiflung. Sein Teppich ein Opfer der Flammen! Konnte die Welt ungerechter sein? In seinen Augen nicht.

 

Vorsichtig schlichen sie näher, die Augen ständig in Bewegung, bis sie sich dem Baum auf zehn Schritt genähert hatten. Als Marcia Kikmi sah, kamen ihr die Tränen und sie ging einfach weiter. Fast am Ziel, löste sich das Seil und gab Kikmi frei. Zu ihren Füßen liegend, mit diesem friedlichen Gesichtsausdruck, kam ihr nur noch eins über die Lippen:

»Danke.«

Der Körper des Toten war schon zur Hälfte im Boden verschwunden, als sie Marcos Stimme vernahm.

»Du hast ihn erlöst, jetzt lass uns von hier verschwinden.«

Dabei fiel sein Blick auf das Schild und konnte die Worte Elfenmörder und Verräter gerade noch entziffern.

 

Marco genoss den Ausblick auf die Umgebung, aber seine Gedanken weilten wieder mal bei Lydia und Anjin. Auch die überraschende Hinrichtung von Kikmi ging ihm nicht aus dem Kopf. Warum, so fragte er sich selbst, konnte er einfach nicht so cool und pragmatisch sein wie einer dieser Filmhelden? Oder konnte ein normaler Mensch nicht so cool sein, weil es im richtigen Leben kein Drehbuch gab, welches einem vorher schon verriet, dass diese Geschichte ein gutes Ende nehmen wird?

Einmal mehr schwor er sich, diese undurchsichtige Geschichte irgendwie zu überleben und am Ende seinen Seelenfrieden zu finden, indem er diesen Langschläfer im Augenblick des Erwachens einen Kopf kürzer machte.

Da holte ihn Raytons Ruf in die Realität zurück und er suchte den Überwachungsraum auf, wo Rayton auf eine kleine Felsformation zeigte und Marco darüber informierte, dass sich dort jemand mit einem Sehrohr befand und eindeutig den Turm beobachten würde.

»Dann gebt Bescheid, wenn er Feuer legen will. Ich geh erst mal was schnabulieren.«

»Ihr macht was?«

»Das sagt man bei uns, wenn man lecker essen geht, versteht Ihr?«

»Es ist manchmal verwirrend, wie viel verschiedene Wörter Ihr für ein und dieselbe Sache benutzt. Beeilt Euch besser mit essen, der Unbekannte versucht sich anzuschleichen.«

»Echt? Dann warne ich die Anderen besser mal vor.«

 

Da der unbekannte Schleicher keine Anstalten machte am Tor zu klopfen, beschlossen die Sucher bis zum Morgen abzuwarten, während ständig einer von ihnen den Tisch im Auge behielt, falls es doch zu einem Angriff oder Ähnlichem kommen sollte.

 

TAG XVIII

Marco hatte beim Frühstück entdeckt, dass man sogar etwas ähnliches wie heiße Schokolade beim Tisch bestellen konnte und gab sich gerade dem Genuss dieser Köstlichkeit hin, da kam Yam-Yam zu ihnen herunter und vermeldete:

»Die Person hat sich auf freies Gelände gewagt und gibt merkwürdige Zeichen. Ob sie verhandeln will?«

»Ach was«, lachte Marco. »Entweder fordert sie unsere bedingungslose Kapitulation oder bettelt um etwas Essbares.«

Marcos gute Laune war äußerst ansteckend, und so vergingen einige Minuten mit dem Lachen über weitere Witze, obwohl das Gebaren der Gruppe auf einen Außenstehenden wirken musste, wie das berühmte Pfeifen im dunklen Wald. Erst als jemand gegen die Eingangstür hämmerte, wurde es fast schlagartig ruhig.

»Lasst uns mal nachsehen und mit dem Feind verhandeln, bestimmt gewährt er uns freien Abzug.«

Raytons Bemerkung ließ das Lachen kurz aufflackern, dann hielt der Ernst des Lebens wieder Einzug in ihre Mienen.

 

»He, mach unsere Tür nicht kaputt! Wer bist du und was willst du von uns?«, rief Rayton aus dem Fenster der oberen Etage.

Die behelmte Gestalt hob den Blick und wich dabei ein paar Schritte zurück.

»Ich komme in Frieden, deshalb verzeiht bitte, wenn mein Klopfen zu heftig ausfiel«, antwortete eine helle Stimme. »Ich bin Cathy, man nennt mich auch Red Cat. Sieht so aus, als hätte ich mich verirrt. Habe auch seit zwei Tagen nichts zwischen die Zähne bekommen, Ihr versteht?«

»Dann bewegt Euch nicht, bis ich unten bin.«

Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde, und Cathys Körper war bereit zur Flucht. Drei Menschen standen ihr nun gegenüber, darunter eine sehr schöne Frau mit goldenen Locken. Dann sprach der Mann mit einem gefährlich grinsenden Smiley an der Brust.

»Ich bin Richter Marco, dies sind Marcia, der Engel der Hoffnungslosen und Rayton Treffdichimmer.« Marco lächelte Cathy an. »Was können wir für dich tun?«

Cathy wandte sich Marcia zu.

»Wenn Ihr wirklich ein Engel seid, habt Erbarmen und gebt mir etwas zu essen.«

»Das ist nicht gerade höflich, jemanden zu igno ....«

Marco unterbrach seine angesetzte Standpauke, als Marcia eine Hand auf seinen Arm legte und zu Cathy sagte:

»Verratet uns zunächst, woher Ihr kommt und womit Ihr Eure Brötchen verdient.«

Bei dieser Formulierung stutzte Cathy. Könnte es sein .... ?

»Meine letzte Unterkunft stand in Chambalon und mein Job ist überleben. Kommt Euch das bekannt vor?«

Ihre Antwort war kalkuliert und risikobehaftet, löste aber die erhoffte Reaktion aus.

»Dann seid Ihr einer der Sucher, sehe ich das richtig?«

Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Resignation im Gesicht nickte Cathy.

»Ich hoffe, Ihr auch!«

Als Marcia daraufhin einladend die Arme ausbreitete, flog ihr das kleine Mädchen förmlich hinein und schien nie wieder loslassen zu wollen.

 

Nach einem ausgiebigen Bad unter Marcias Aufsicht genoss die Kleine das köstliche Essen, aber noch mehr die Zuwendungen ihrer neuen Bekanntschaften, nur Yam-Yam machte ihr anfangs etwas Angst.

Obwohl es nicht einfach war, hielten alle ihre Fragen zurück, aber als Cathy satt war, forderte Marcia sie auf, ihren Leidensweg zumindest kurz zu umreißen, denn Cathy hatte auch Ruhe nötig.

Kurz vor ihrem dreizehnten Geburtstag war sie morgens in dieser Höhle erwacht und vor Verzweiflung fast durchgedreht. Eine Waldläuferin namens Lydia (alle blickten zu Marco, dem stand der Mund offen) hatte sie gefunden und in die Stadt gebracht.

Dann folgte, was die Anderen schon kannten, bis zu dem Tag, an dem ihre Suche begann. Mit ihr brachen die anderen fünf Entführten sowie einige Freiwillige unter Führung der Priesterin Layra auf. Besonders Marco knirschte bei Erwähnung dieses Namens mit den Zähnen, unterbrach Cathy aber nicht. Schon in der dritten Nacht starb der Sucher Carlos, ein Kolumbianer, angeblich durch den Stich eines giftigen Insekts.

Als sie im Rabenwald von einer kleinen Armee Kobolde (wie sie später erfahren hatte) überfallen wurden, verlor der aus Norwegen stammende Sven Ole sein Leben und die Französin Monique war verschwunden. Die Kobolde hatten sie wohl verschleppt, vielleicht war sie auch in Panik geraten und hatte sich im Wald verirrt, sie blieb jedenfalls unauffindbar.

Am Rand eines Sumpfes gerieten sie in einen Hinterhalt von kleinen Pflanzenwesen, doch trotz schnell eingeleiteter Flucht fiel ihr Landsmann Homer einem Giftpfeil zum Opfer. Kurz darauf wurde Cathy von ihren Mitstreitern getrennt.

Dann war zum ersten Mal etwas Positives geschehen, sie traf einen Pegasus. Dieses wunderbare Wesen mit dem Namen Morgenwind hatte Cathy auf seinem Rücken über den Sumpf bis zum Fuß der Berge getragen.

Dort fand sie den Eingang zur unterirdischen Stadt Shadowkeep. Diese Stadt mochte keine Schatten anderer Wesen und versuchte sie zu vernichten, was ihr in Cathys Fall auch gelang. Da es bisher niemandem aufgefallen war, schockierte diese Tatsache Cathys Zuhörer um so mehr. Gleich einem Vampir warf ihr Körper im Licht keinen Schatten.

Ihr selbst passierte nichts und so erreichte sie einen Tunnel, welcher sich irgendwann spaltete. Links war er kurz darauf nicht mehr passierbar, da überflutet. Also folgte sie dem Rechten, der in einer Art Talkessel mündete, voll mit Sand und heiß wie die Hölle. Kurz vor dem Verdursten stieß sie auf das Lager dortiger Wüstenbewohner, welche ihr nicht nur das Leben retteten, sondern ihr auch einen dieser Schlüssel schenkten. Dann brachte man sie zum Tor und ohne die Hilfe und das Geschenk der Sandokanesen hätte ihr Weg hier wohl sein endgültiges Ende gefunden.

So aber öffnete Cathy das Tor, ohne zu wissen, wie viel Glück sie auch dabei hatte, und gelangte in das knochenübersäte Land. Sich an den äußeren Bergen orientierend setzte sie tapfer einen Fuß vor den anderen, aber dass quälendste an ihrer Situation war die Einsamkeit. Am nächsten Morgen saß neben ihrem Lager ein alter Mann, der ihr seine Hilfe anbot.

Cathys Stimme war immer leiser geworden und nun war sie eingeschlafen.

»Das arme Kind«, seufzte Marcia und fuhr mit ihrer Hand sanft durch Cathys rote Haare. Yam-Yam hob den zierlichen Körper vorsichtig auf und trug ihn in einen der oberen Schlafräume. Marcia begleitete ihn.

»Kaum zu glauben, oder? Eine Dreizehnjährige in diese Welt zu schicken! Nach welchen Kriterien wurden wir ausgewählt? Überflüssigkeit? Warum wurden die Entführten nicht gleich nach der Ankunft kaltgemacht? Die anderen Götter leiden wohl an derselben Krankheit wie der siebte Penner, dem weitverbreiteten Schiss ins Gehirn!« Marco war auf hundertachtzig.

»Beruhigt Euch, mein Freund. Bewundert lieber die Zähigkeit und den Überlebenswillen der Kleinen.«

»Ja sicher, aber wie pervers muss man sein ....«

Marco brach ab, als ihm bewusst wurde, dass er Rayton anschrie.

»Entschuldigt, ich wollte Euch nicht anschreien.«

»Ich verstehe Eure Gefühle, aber Ihr solltet lernen, sie zu kontrollieren.«

Am späten Nachmittag setzte sich Marco zu Rayton an den Überwachungstisch und entschuldigte sich noch einmal für seine Unbeherrschtheit.

»Schon vergessen. Seht Euch lieber dieses Wesen an. Es schleicht scheinbar ziellos durch die Gegend, bleibt aber immer in der Nähe des Turms.«

»Ist es ein Kundschafter der Elfen?«

»Er trägt eine Kapuze, scheint aber nicht der Schnellste zu sein. Etwa noch ein Sucher?«

»Wir fragen ihn bei Gelegenheit.«

 

TAG XIX             

Nachdem sie überprüft hatten, wo sich der neue Unbekannte gerade aufhielt, verließen Rayton und Marco den Turm. Er stand in nur zehn Schritt Abstand direkt vor der Tür.

»Morgen, Meister. Können wir Euch behilflich sein oder schleicht Ihr immer um fremde Türme rum?«

Der Fremde reagierte nicht auf Marcos unfreundliche Anrede, gab aber mit dunkler, dumpfer Grabesstimme von sich:

»Sie ist hier, ich will meine Bezahlung!«

»Wen sucht Ihr denn?«, wollte Rayton wissen.

»Red Cat«, grollte es unter der Kapuze hervor.

»Ich bezahle für sie! Wie viel schuldet sie Euch?«,

Rayton hatte seinen Geldbeutel schon zur Hand, was Marco etwas verwunderte, doch die Antwort des Fremden ließ ihn innehalten.

»Nur ihre Seele!«

Marco war fassungslos, Rayton ließ blitzschnell den Geldbeutel fallen und zog in einer fließenden Bewegung seine Schwerter.

»Kehre zurück in die Hölle, aus der du entwichen bist, oder dies ist der letzte Ort, den du mit deiner Anwesenheit verpesten wirst.«

»Sie gab mir ihr Ehrenwort und ich brachte sie ans Ziel. Nun will ich, was mir zusteht.«

»Wer bist du Flachpfeife eigentlich, dass du hier auf dicke Nummer machst?«

 

Noch immer war es Marco nicht gelungen, die Dunkelheit unter der Kapuze zu durchdringen, was ihn nervös werden ließ. Außerdem verströmte die Gestalt einen modrigen Geruch, der Marco auf den Magen schlug.

»Ich bin Shi-Zo, dem eine Seele versprochen wurde.«

»Wofür zum Teufel brauchst du Penner ihre Seele? Mach dich endlich vom Acker, ich will frühstücken, bevor mir dein Gestank den Appetit verdirbt!«

»Wir sollten ihn einfach töten, er ist doch nur eine Seiner Kreaturen«, sagte Rayton lässig. Marco nickte.

»Sehe ich auch so. Macht es Euch nichts aus, dass er unbewaffnet ist?«

»Aber wie sollen wir ihn sonst loswerden?«,

»Wir gehen erst mal was essen, dann sehen wir weiter. Der Klotzkopf läuft bestimmt nicht weg.«

»Nach Euch, ehrenwerter Richter.«

Shi-Zo machte keinerlei Anstalten, die beiden aufzuhalten. Er wollte nicht ihre Seelen und den Turm konnte er auch nicht betreten. Er würde einfach mit der grenzenlosen Geduld eines Untoten warten.

 

»Hieß dieser alte Mann Shi-Zo?«, fragte Marco eine überraschte Cathy.

Sie nickte.

»Und wie lautete deine Vereinbarung mit ihm?«

»Er sollte mich zum nächsten Tor bringen, dafür verlangte er meine Seele. Ich sagte zu, und als wir endlich ankamen, probierte ich sofort meinen Schlüssel aus. Wie ihr an meiner Anwesenheit erkennen könnt, war es nicht der Richtige. Da lief ich weg, verirrte mich aber. Bis ich Euren Turm entdeckte.«

Weinend brach sie ab. Marcia nahm sie in den Arm und sagte:

»Niemand wird dir deine Seele aussaugen, solange ich lebe. Versprochen!«

»Dann werden wir ihn wohl töten müssen«, stellte Rayton fest und klang dabei nicht besonders traurig.

 

Nach dem Frühstück verließ Marcia in Begleitung von Rayton und Marco den Turm, um mit Shi-Zo zu verhandeln.

»Ich bin Marcia, der Engel der verlorenen Seelen. Das Mädchen kann dir aus rein rechtlichen Gründen ihre Seele nicht verkaufen, da sie noch minderjährig ist. Du hast in meinen Augen nur drei Möglichkeiten: Erstens, nenne uns einen anderen Preis. Zweitens, verzieh dich einfach und lass uns in Ruhe oder drittens, stirb bei dem Versuch, die Seele gewaltsam einzutreiben. Für welche der Drei entscheidest du dich?«

»Ich bin schon tot, deshalb gebt mir nun die Seele.«

»Du bist also ein Untoter! Dagegen habe ich die richtige Medizin.«

Marcia aktivierte den Ring und schleuderte Shi-Zo den Zauberspruch Zerstören von Untoten entgegen. Der Seelenlose spürte nicht, dass sich in Sekundenschnelle ein Überdruck in seinem Kopf bildete, dann explodierte sein Schädel förmlich und Einzelteile flogen den Suchern um die Ohren. Der nun kopflose Körper sackte zusammen, die beiden Männer waren schwer beeindruckt. Während Rayton kleine, behaarte Fleischfetzen von seiner Kleidung schnippte, grinste Marcia zufrieden und schlug vor, möglichst bald aufzubrechen, schließlich werde das Tor nicht zu ihnen kommen.

 

»Dann kann ich meine Seele behalten, falls ich eine habe?«

»Wenn hier einer deine Seele verlangt, hast du auch eine«, stellte Rayton fest und schob sich eine Scheibe Wurst in den Mund.

»Bei uns zu Hause verbietet man kleinen Mädchen, Fremden und besonders älteren Männern zu vertrauen, obwohl es in den meisten Fällen kein Unbekannter ist, der ihnen an die Wäsche will.«

»Lass uns das Thema wechseln, Marco, sonst vergeht mir der Appetit«, bat Marcia.

»Wie du befiehlst, mein Engel. Dann schlage ich vor, die Schlüssel wieder am Körper zu tragen für den Fall der Fälle. Vielleicht haben wir’s mal eilig.«

 

Cathy versuchte sich zu orientieren, markante Punkte in der Landschaft zu entdecken, jedoch erfolglos. Somit blieb den Suchern nur ihre übliche Vorgehensweise, einfach der Nase nach und durch.

Ein kleiner See lud zu einer Pause ein, die jedoch recht kurz ausfiel, da die Bewohner des dunklen Sees den meisten noch allzu frisch im Gedächtnis waren.

Gerade bereit zum Aufbruch, bemerkten sie eine Gestalt, die am Ufer entlang in ihre Richtung rannte und drei Verfolger im Nacken hatte. Cathys Sehrohr enthüllte, dass es sich um Halbmenschen handelte, wobei ein fuchsköpfiger von wolfsköpfigen gejagt wurde. Obwohl sie ihm Zeichen gaben, lief der Fuchsmensch an den Suchern vorbei.

»Anscheinend benötigt er keine Hilfe«, dachte Marco laut, zuckte mit den Schultern und rief dann den Verfolgern zu:

»He, ihr da, was liegt an?«

Er lenkte damit die Aufmerksamkeit der drei Wesen auf sich, wodurch diese kurz an Tempo verloren. Da legte Marco nach.

»Ihr seid aber auch hässlich, da wundert es nicht, wenn es keiner mit euch treiben will!«

Man sah förmlich ihr Zögern, aber entweder war ihre Beute zu wertvoll oder der neue Gegner zahlenmäßig zu überlegen, denn sie brachen die Verfolgung nicht ab.

»Mehr war auf die Schnelle nicht drin«, resümierte Marco. »Oder?«

»Wir hätten sie töten können«, war Raytons nachträglicher Vorschlag.

»Oder sie uns«, murmelte Marcia.

 

In einem Bereich des Waldes, wo gigantische Pilze statt Bäume wuchsen, befand sich die baufällig wirkende Hütte von Nokoca. Cathy wusste, dass das Tor an diesem Ort nicht zu finden war, aber am vierten Tag ihrer Flucht vor Shi-Zo war sie hier von Nokoca freundlich empfangen worden.

Die uralte Ritzo stand in dem Ruf, eine Hexe der dunklen Seite zu sein, doch davon wussten die Sucher nichts. Selbst Cathy hielt sie für eine Art heilkundige Kräuterfrau, deren einzige Tochter in einem nicht weit entfernten Dorf lebte und sie unregelmäßig besuchte.

Als sie auf die Hütte zugingen, öffnete sich die schief in Lederschlaufen hängende Tür und Nokoca trat heraus.

»Ich habe Euch schon gerochen, kleines Kätzchen. Ich hätte nicht gedacht, Euren Weg schon so bald erneut zu kreuzen. Wie ich sehe, habt Ihr interessante Freunde gefunden. Willkommen in meinem kleinen Reich. Ich würde Euch gerne in meine bescheidene Hütte bitten, aber für so viele Wesen reicht der Platz nicht.«

»Ehrenwerte Nokoca, wir wollen Euch nicht unnötig zur Last fallen, aber da sich niemand in diesem Wald so gut auskennt wie Ihr, hoffe ich, Ihr könnt uns helfen.«

Mittlerweile hatte Cathy die Ritzo erreicht und umarmt, sah sie nun mit ihren grünen Augen bittend an.

»Ihr wollt direkt weiter? Das ist aber schade, dann verpasst Ihr wieder meine kleine Fipma. Eigentlich wollte sie schon hier sein, aber Ihr wisst ja, wie es mit der Pünktlichkeit bei jungen Leuten so ist.«

Bei der Erwähnung des Namens stockte Cathys Begleitern kurz der Atem, aber allen gelang es, ihre Überraschung zu verbergen. Hofften sie zumindest.

»Das ist wirklich schade, aber zumindest bin ich den Seelenfresser losgeworden.«

»Das freut mich, aber wie kann ich Euch noch helfen?«

»Wir suchen dieses Tor, welches mir Shi-Zo zeigte. Kennt Ihr den Weg dorthin oder jemanden, der uns führen würde?«

»In meinem Alter ist das ein langer und beschwerlicher Weg, aber ich werde Euch einen Suchstein geben, der wird Euch leiten.«

»Das ist lieb von Euch. Leider habe ich nichts, dass ich Euch dafür geben könnte.«

»Macht Euch darüber keine grauen Haare, stellt mir endlich Eure hübschen Begleiter vor.«

 

Nokoca hatte sich in die Hütte zurückgezogen, da Ruhe nötig war, während sie dem Stein erklärte, wohin er führen soll. Die Sucher waren guter Dinge. Bald würde man (wenn einer der Schlüssel passte) die nächste Ebene in Angriff nehmen und damit dem Objekt der Rache näher kommen.

Marco äußerte den Verdacht, einige Begebenheiten hätten frappierende Ähnlichkeit mit einigen Abenteuern, die er in seiner Spielerkarriere durchleben durfte. Der Schöpfer dieser Welten hatte sich wohl von entsprechenden Träumen inspirieren lassen. Allerdings verfügte niemand außer Marco über allzu große Kenntnisse in Sachen Fantasy und Horror. Marcia und Cathy hatten immerhin von Dingen wie D&D gehört und Der Herr der Ringe gelesen, beziehungsweise gesehen. Auch der eine oder andere Filmklassiker und diverse Verfilmungen von Stephen King waren konsumiert worden, doch unbestritten war Marco auf dem Gebiet der Experte. Rayton und Yam-Yam waren ganz wild auf das Erzählen solcher Geschichten, also begann Marco mit einer, die er besonders gut im Gedächtnis hatte, basierte die Verfilmung doch auf einer seiner liebsten Comicserien: Conan der Barbar.

Vorweg hatte er die Anekdote zum Besten gegeben, wie er mit einem Freund im Kino saß und dieser die ganze Zeit laberte, obwohl Marco ihn um Ruhe bat, da er die tolle Musik des Vorspanns genießen wollte, was ihm aber nicht gelang. Deshalb ging er zwei Tage später erneut ins Kino, diesmal allein. Dann beantwortete er Raytons Frage, was denn ein Kino sei, kurz und bündig mit den Worten:

»Dort versammeln sich Menschen, um sich für Geld mit vielen Bildern eine Geschichte erzählen zu lassen.«

Ohne auf weitere Fragen zu reagieren, begann er zu erzählen. Es folgte die Schilderung des Überfalls auf das Dorf, in dem Conan aufwuchs, und des besonders brutalen Mordes an Conans Mutter. Conan und die anderen Kinder des Dorfes waren gerade von Thulsa Dooms Leuten verschleppt worden, als Nokoca zu ihnen kam, in der rechten Hand einen glatten Stein, dessen Oberfläche mit aufgemalten Zeichen übersät war. Diesen überreichte sie Cathy, erklärte ihr seine Handhabung und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, sie alle mögen bald wieder an den Busen ihrer Mütter gedrückt werden.

Nicht nur Marco stutzte bei dieser Formulierung, auch Rayton kamen paranoide Gedanken. Dann gab es eine letzte Umarmung für Cathy und ein »Lebt wohl« für den Rest der Abenteuerer, doch kaum war die Gruppe außer Hörweite, als Nokoca mit zitternden Barthaaren murmelte:

»Viel Spaß in der Hölle, ihr verdammten Mörder!«

 

Der Stein sollte wärmer werden, je näher sie ihrem Ziel kamen. Da der Abend nicht mehr fern war und vor allem Marcia darauf bestand, wurde der Turm schon nach circa einer halben Maile aktiviert. Auch Rayton wollte überprüfen, was sich in nächster Zeit bei der Hütte tun würde, aber wie Marco wurde er enttäuscht, denn es gab zumindest außerhalb des Gebäudes keinerlei verdächtige Aktivitäten.

 

Das Ende der Geschichte der verschleppten Kinder wurde dadurch auf den nächsten Abend verschoben, was alle schade fanden, denn Marco war kein schlechter Erzähler.

Als Rayton später sein wöchentliches Bad nehmen wollte, fand er dort Cathy vor.

»Entschuldigt, Ihr habt vergessen, etwas an den Türgriff zu hängen. Lasst Euch nicht von mir stören.«

Cathy lächelte ihn an, während er den für ihr Alter wohlproportionierten Körper betrachtete, und entgegnete:

»Ihr könnt mir gerne Gesellschaft leisten.«

»Ich mag Euch, deshalb muss ich ablehnen«, sagte Rayton, offensichtlich verlegen, und schloss rasch die Tür.

 

TAG XX      

Die Überprüfung der Umgebung noch vor dem Frühstück brachte keine neuen Erkenntnisse, was Raytons Misstrauen nur minimal dämpfte. Vielleicht täuschte er sich und die Alte hatte nichts bemerkt, doch sein Instinkt warnte ihn davor, das zu glauben.

 

Der Stein war schon mehr als handwarm, als die Sucher von einer vertrauten Gestalt aufgehalten wurden.

»Na, wenn das nicht meine Retter sind, liefere ich mich freiwillig den Wolshaks aus. Wie kann ich mich für Eure freundliche Tat erkenntlich zeigen?«

Es war der fuchsköpfige Halbmensch in seiner bunten, bequem wirkenden Kleidung, lässig an einen Baum gelehnt.

»Ich bin Richter Marco und froh, Euch unversehrt und bei guter Laune zu sehen. Wie darf ich Euch anreden?«

»Meine Freunde nennen mich Prusang, für alle Anderen brauche ich keinen Namen.«

»Mit dieser tapferen Einstellung seid Ihr bestimmt oft auf der Flucht«, witzelte Rayton, was Marco mit leichtem Kopfschütteln quittierte und das fuchsköpfige Wesen betont freundlich fragte:

»Vielleicht wisst Ihr, ob wir auf dem richtigen Weg sind, denn unser Lotse scheut keinen Umweg.«

»Immerhin, ehrenwerter Richter, hat euer Lotse Humor. Wohin soll er Euch denn führen?«

»Wir suchen ein besonderes Tor, aber nicht unser Humorist führt uns, sondern dieser Stein«, sagte Marco, worauf Cathy ihre rechte Hand vorstreckte und das Objekt präsentierte.

Prusang stieß sich vom Baum ab und wirkte plötzlich so ernst wie seine Worte.

»Von wem habt Ihr den bekommen?«

»Warum wollt Ihr das wissen?«, fragte Marco vorsichtig nach und stellte sich innerlich auf Stress ein.

»Weil dieser Stein verflucht wurde und Euch in den Tod führen wird. Ich wette, er bringt Euch zum Herzen, denn dort lebt der Wald und niemand kehrte je aus ihm zurück.«

»Das ist nicht euer Ernst, oder?« Marco wirkte geschockt.

Prusang nickte nur, worauf Marcia wissen wollte:

»Dann könnt Ihr uns bestimmt auch sagen, wie wir den Fluch loswerden und trotzdem unser Ziel erreichen.«

»Werft ihn so weit wie möglich weg und geht in die entgegengesetzte Richtung, namenlose Schönheit.«

Die Deutsche lächelte und antwortete:

»Verzeiht, ich bin Marcia und die anderen Unbekannten sind meine Freunde Rayton, Yam-Yam und Cathy. Was passiert, wenn nun jemand den Stein findet und an sich nimmt?«

Prusang zuckte mit den Schultern.

»Der hat Pech gehabt.«

»Und wenn wir den Stein zerstören?«

»Dann, reizende Marcia, weiß Euer Feind, dass Ihr seiner Falle entkommen seid.«

Marco wandte sich an Cathy und forderte sie auf, ihm den Stein zu geben.

»Der (dabei zeigte Cathy auf Prusang) lügt! Nokoca würde nie etwas tun, um mir zu schaden.«

»Das gilt nicht für uns«, klärte Rayton sie auf. »Irgendwoher wusste die alte Hexe anscheinend, dass ich ihre Tochter getötet habe.«

»Was? Wieso habt Ihr das getan?«,

Cathy war mehr als entsetzt. Rayton zuckte hilflos mit den Schultern.

»Sie war Kopfgeldjägerin und hätte auch Euch tot oder lebend ausgeliefert.«

»Er hat recht, kleiner Rotschopf, werft endlich dieses verhexte Ding weg. Ich weiß, wo Ihr hinwollt und kenne den Weg. Aber Ihr müsst versprechen, mich mitzunehmen.«

»Wenn das der Preis für Eure Hilfe ist, habe ich nichts dagegen«, sagte Marco und registrierte bei seinen Freunden Zustimmung. »Solange Ihr es ehrlich meint.«

Dann ließ er Cathy den Stein wegwerfen und gab anschließend Prusang zu verstehen, nun die Führung zu übernehmen, was dieser mit Freuden tat.

 

Der Glanz des Saphirtors war überwältigend.

Jeder kramte nun den einen oder anderen Schlüssel hervor und Marco probierte es als Erster, aber zu seiner Enttäuschung, obwohl ihm der Priester gesagt hatte, dass es kein Original ist, ließ sich der Knochen im Schloss nicht drehen. Dann versuchte Rayton es mit dem Schlüssel aus Jade, ebenfalls ohne Erfolg. Es folgte der aus Ton, doch genauso erfolglos. Schon machte sich leichte Verzweiflung breit, da trat Marcia an das Tor und probierte es mit ihrem steinernen, doch erst ihre letzte Chance, der rubinrote Schlüssel, aktivierte das Tor und ließ alle aufatmen. Gelassen steckte Marcia ihn wieder ein, dann durchschritt sie das Tor in eine andere Welt.

3. Unerwarteter Besuch

 

 

Unerwarteter Besuch

 

Der Wald war düster, das Unterholz dicht verfilzt und voller Dornen. Was den Suchern mehr Kopfzerbrechen machte, war das Verschwinden von Prusang. Dieser war zwischen Cathy und Rayton durch das Tor geschritten, danach war es, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Also aktivierte man den Turm und nach einem kleinen Imbiss erzählte Marco, was Conan in der Mühle erleiden musste und wie er dort zum Mann wurde. Er schilderte seine blutigen Kämpfe, den Tod der Wolfshexe, die Befreiung von Subotai, dem Dieb und Bogenschützen, und wie sie zum ersten Mal Valeria trafen, in die sich Conan verliebte. Es folgte sein Racheversuch, die Rettung durch Subotai und Valerias Kampf gegen die Todesgeister. Als seine Geliebte nach der Befreiung der Prinzessin auf der Flucht von Thulsa Doom mittels eines Schlangenpfeils getötet wird, erntet Marco Blicke des Mitgefühls. Als Conan schließlich den Magier köpfte und mit der Prinzessin an seiner Seite einer unbekannten Zukunft entgegen schritt, war die Freude unter den Zuhörern groß.

 

TAG XXI

Der Turm war höher als der ihn umgebende Pflanzengürtel, somit konnte man die Richtung festlegen, um die dahinterliegende Ebene zu erreichen und nicht plötzlich vor einer Felswand zu stehen, da der Wald an drei Seiten von diesen allgegenwärtigen Bergen begrenzt wurde.

Da Prusang verschollen blieb, brach die Gruppe mittags auf. Es war ein zähes Ringen um jeden Schritt. Ständig zerrte etwas an ihrer Kleidung, den Haaren, stach nach ihren Augen oder riss an ungeschützten Stellen die Haut auf.

Als das Licht schlechter wurde, zog man sich in den Turm zurück. Danach wollten alle zum ersten Mal nur noch eines: Schlafen!

                

TAG XXII

Sie erreichten das freie Gelände noch vor der Dämmerung, doch alle waren am Ende ihrer Kräfte. Erneut war ihr Weg ein einziger Kampf gewesen. Jeden Schritt hatten sie dem Wald mühsam abgetrotzt, sich den Weg an manchen Stellen förmlich frei hacken müssen. Besonders Marcia litt, da die Anstrengungen des Vortages ihr einen exquisiten Muskelkater beschert hatten.

 

Wie am gestrigen Abend waren alle extrem froh, diesen Luxusturm zu besitzen, selbst Yam-Yam schien nun endgültig überzeugt zu sein.

Beim Abendessen beschloss man, einen oder zwei Tage auszuruhen und Marcia endlich Gelegenheit zu geben, den Umgang mit der Magie intensiv trainieren zu können, da schließlich alle davon profitieren würden.

Nach einem entspannenden Bad und leichten Massagen kuschelten Marcia und Marco ein wenig und schliefen dabei ein.

 

TAG XXIII      

Während eine rote Sonne unbehindert von Wolken ihr Licht ausstrahlte, saßen die Männer neben dem Eingang im kniehohen Gras, beobachteten Marcias Feldversuche und pflegten dabei ihre Waffen, wobei Marco besonders liebevoll mit seinem Schwert vorging.

Er hatte insgeheim für sich beschlossen, das Ganze als Live-Rollenspiel der extremeren Art zu sehen. In den letzten Tagen hatte er über diverse Dinge nachgedacht und entschieden, ähnlich wie der Barbar aus dem Comic, möglichst jeden Tag zu leben, als wäre es der Letzte.

Außerdem waren ab sofort für Einheimische keine tiefer gehenden Gefühle mehr gestattet. Nach dem Vorfall mit Prusang war sich Marco sicher, dass Lydia und Anjin dasselbe zugestoßen wäre, wenn sie ihn zur nächsten Ebene begleitet hätten. Diese Gruppe war nun seine neue Familie und sein bester Freund hieß Glammron.

 

Zu dieser Zeit lag Cathy wieder einmal in der Badewanne und genoss diesen Luxus. Sie dachte an Rayton und seinen muskulösen Körper, streichelte dabei die Spitzen ihrer kleinen Brüste, vernachlässigte aber auch den Rest nicht, um schließlich den Fingern ihrer rechten Hand zu gestatten, ihre Sehnsucht nach einem Mann zu kompensieren und ihrem Körper Befriedigung zu verschaffen.

 

Marcia saß etwa

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 07.03.2017
ISBN: 978-3-7438-0122-6

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