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Ein kalter Februarnachmittag, der Ostwind treibt kleine Schneekristalle übers Land. Kraftvoll rüttelt er an den blattlosen Ästen der Bäume, die den Friedhof säumen. Ein ungemütlicher Tag, die kleine Gruppe trauernder schreitet geduckt hinter einem schmucklosen Sarg den Kiesweg entlang zu dem ausgehobenen Grab. Eingehüllt in wärmende Mäntel mit eingezogenen Köpfen, trotzen die Menschen der Natur. Engste Verwandte und die, die jeder Beerdigung beiwohnen, haben sich eingefunden um den 49 jährigen Anton auf seinem letzten Weg zu begleiten und anschließend in der warmen Gaststube des Dorfes zu schmausen.

Ja der Anton, unauffällig hatte er gelebt, doch seine Familie und auch viele Dorfbewohner hatten sich in den letzten Jahren oft gefragt, wohin er an jedem Freitagnachmittag gegen 15 Uhr fuhr und wie er bis Sonntagabend seine Zeit verbrachte. Lächelnd ignorierte er alle Fragen und amüsierte sich über die Neugier seiner Mitmenschen und ihr enges, antiquiertes Weltbild, aus dem er ausgeschert war. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, dass er homosexuell wäre und deshalb immer verschwände. Denn warum sonst hatte er keine Familie gegründet? Die Dorfgemeinschaft suchte nach Indizien, fand diese nicht und wandte sich brisanteren Themen zu.

Anton selbst, war dies nicht unangenehm. Er, der erst in den letzten Jahren zu sich selbst gefunden hatte, wollte unauffällig und unbehelligt im Hause seiner Eltern leben.
Am letzten Sonntag kehrte er dann nicht in diese ländliche Idylle zurück. Sein Leben fand ein jähes Ende auf der Autobahn. Nun trugen sie ihn zur letzten Ruhe und allen fiel die fremde elegant gekleidete Dame auf, die in einigen Metern Entfernung zu den Trauernden stehen geblieben war. Diese Dame passte so wenig hier auf den Friedhof des 500 Seelen Dorfes, wie ihr Auto. Ein 911er Porsche, der auf dem Parkplatz an Friedhofsmauer, direkt neben dem schmiedeeisernen Tor stand.

Sogar Antons Mutter, eine kleine, vom Leben gebeugte Frau, lies sich durch ihre Anwesenheit ablenken. Sie fragte sich, was diese fremde Frau bewog dieser Zeremonie beizuwohnen. Scheu sah sie sie an und versuchte, sich ihren Sohn neben der Fremden vorzustellen. Es wollte ihr nicht gelingen. Ihr Toni neben dieser …Nein!

Die anderen Trauergäste indessen vergassen vor Neugier fast, welcher Anlass sie herführte. Die Blicke der Männer hingen an der ansprechenden Erscheinung mit dem Interesse, das sie schon ihrem Auto entgegengebracht hatten. Die Frauen zeigten unverhohlen ihren Missmut darüber, sie tuschelten aufgeregt. Eine einer Beerdigung unwürdige Situation. Der Herr Pfarrer sah sie ärgerlich an, räusperte sich einige Male und setzte dann das Gebet mit erhobener Stimme fort. Er beschloss dieses Verhalten am folgenden Sonntag von der Kanzel herab anzuprangern. Es galt, seine Schäfchen auf den rechten Weg zu leiten. Doch auch er, beobachtete die Fremde nicht ohne Interesse. Was sie wohl mit dem Anton verbunden hatte?

Katharina, die stolz und unnahbar wirkte, nahm all dies zur Kenntnis. Die verkniffnen Münder, die nicht nur von der Kälte geröteten Nasen einiger Herren, die missgünstigen Blicke der Frauen. Sie bedachte diese Menschen mit einem verächtlichen Lächeln, nannte sie insgeheim …Heuchler. Seltsam, wie leicht sich Menschen deklassieren.
Armer Anton, jetzt verstehe ich dich.
Immer wieder hatte Toni ihr von der Enge seiner Heimat erzählt und bedauert, dass er ihr nur von Freitag bis Sonntagabend dienen durfte. Vielleicht, aber war es ja gerade dieses Umfeld, das es ihm erleichterte die Umstände zu akzeptieren. Es war, wie es war.

Anton und sie, die Beziehung, die nicht in die bürgerliche Idylle der Mitbürger passte. Er war etwas über 8 Jahre ihr Sklave gewesen, treu, ergeben, alles annehmend was sie ihm zukommen lies. Klaglos, dankbar, auch wenn es ihm oft viel abverlangte ihr zu gehorchen. Während der Pfarrer seine Rede beendete und die Verwandten gefrorene Erde in das offene Grab schaufelten, erinnerte sie sich an die erste Begegnung mit Anton, den sie Toni nannte.
Schüchtern, bekleidet mit einem dunklen Anzug, tauchte er auf einer Studioparty auf, stand an der Bar und hob kaum den Blick. Unter halbgeschlossenen Lidern hatte sie ihn einige Zeit beobachtet und sich über sein linkisches Benehmen amüsiert. Und dennoch, etwas an ihm interessierte sie, zog sie an.
Gegen Mitternacht schritt sie mit klackenden Absätzen hinüber, sprach ihn an. Er hob seinen Blick, sah ihr ins Gesicht, lächelte schüchtern, beinahe entschuldigend. Und sie, sie versank in seinen Augen. Augen die sie vereinnahmten, offen, klar, tiefblau wie ein Bergsee. In ihnen lag seine Seele, alles was sie wissen musste und sie nannte ihn Eisblauauge. Noch in dieser Nacht beschloss Katharina ihn anzunehmen, ihn all den Anderen aus ihrem Gefolge vorzuziehen. Sie legte ihm ihr Colar um den Hals, küsste seine Stirn. Lächelnd, senkte er sein Haupt hinab zu ihrem Fuss, berührte diesen zärtlich. Nie zuvor hatte sie Devotion als so natürlich empfunden und in ihrem Herzen schmolz Eis.


Die Trauergäste hatten sich schon einige Zeit entfernt, als Katharina an das offene Grab trat und den Strauss blutroter Rosen fallen lies. Langsam öffnete sie ihren Mantel, nahm den darunter verborgenen Reitstock in die Hand. Sie betrachtete den Messingknauf, küsste ihn und warf ihn hinab. Keinen anderen mochte sie mehr damit berühren. Vor ihrem inneren Auge erschien Tonis Kopf über den Knauf gebeugt, küsste ihn voller Hingabe, eine Geste die sie stets geschätzt hatte.
Schmerz verdunkelte Augen sprachen von der Liebe zu ihrem Sklaven, welche immer ihr Geheimnis bliebe. Sie vermisst ihn, er war ihr Halt in manch schwerer Zeit. - Ruhe in Frieden Toni.
Festen Schrittes verlies Katharina den Friedhof, der Kies unter ihren Stiefeln knirschte. Sie spürte wie das nasskalte Wetter ihr zusetzte, der eisige Wind lies sie wanken. Nochmals glitt ihr Blick über das Grab, das Bild prägt sich ein. Im Frühling wird Sie es erneut besuchen. Oft hatte sie sich in den letzten Tagen gefragt, ob er wusste, dass sie ihn liebte? Schon seltsam, dass sie es Toni nie gesagt hatte. Katharina erreichte ihren Wagen benötigte einen Augenblick um sich zu sammeln. Ihre Schultern strafften sich, sie wischte die Tränenspuren fort. Ihr Weg führte direkt zum Flughafen, sie würde einige Wochen verreisen. Dem Winter entfliehen und dabei lernen mit der Trauer umzugehen. Danach…ja, was kommt danach?

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Tag der Veröffentlichung: 14.09.2009

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