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Es war einmal und wiederholt sich immerzu….

Der Turm

Solange die Bewohner des Dorfes auch zurückdachten, zog es sie hin zu dem Turm, der ihnen in seiner Ganzheit, auf unerklärliche Weise Schutz und Trost bot. Der Dorfälteste, dessen Bart und Haar silbrig weiss glänzte erzählte oft, das ihn niemand erbaut hatte, eines morgens war er da: Viele Generationen pilgerten zu ihm, bestaunten ihn mit grossen Augen, berührten ihn, glaubten an seine heilenden Kräfte doch in seiner Andersartigkeit löste er auch Respekt und befremden aus.
Einsam stand er auf einem kleinen Hügel. Zu seinen Füssen grüne Auen, fruchtbare Äcker und ein glasklarer See, in dem der Turm sich widerspiegelte. Geschichten rankten sich um ihn. Sie erzählten davon, dass in den frühen Morgenstunden auf den Zinnen des Turmes eine Frau erschiene, das Gesicht der wärmenden Sonne zugewandt, den Blick in die Ferne gerichtet. Ob es sie gab?

Die silbrig matte Aussenhaut des Turmes war organisch, weich und warm. Weder Tür noch Fenster, gewährten den Menschen Zugang. Viele, beäugten ihn deshalb misstrauisch und doch, suchten sie bei ihm Schutz und er gewährte ihn auch. Der Turm mit seiner mentalen Lebendigkeit, die die Menschen sich zu Eigen machten, spendete Schatten und hörte geduldig ihren Nöten zu. Oft half er ihnen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und so war er ein Ort, den sie trotz seiner Fremdheit gerne aufsuchten.
Keiner fragte sich je, woher dieser Turm die Kraft und Ruhe nahm, ihnen mit klaren Gedankenstrukturen weiter zu helfen und keiner erahnte das Ausmass des persönlichen Leides, dass in den Mauern des Turmes seine Heimat gefunden hatte.

In dem Turm lebte wirklich ein Wesen, zeitlos –mal Kind mal Greisin – in selbst gewähltem Exil. Viele Jahre lebte es schon dort, lebte mit dem Turm in einer Symbiose. Er, dessen Mauern meterdick , der niemals wankte und es in seiner filigranen Schönheit so verletzlich, dass er beschloss ihm seine Mauern zu Verfügung zu stellen. Es sollte überleben.
In den ersten Jahren erzählte das Wesen viel von sich, von seinen Erfahrungen, von Gefühlen, von fremden Ländern und Kulturen und auch von Liebe, Wertschätzung… und von Menschen. Ja, von Menschen!

Es erwärmte seinen kalten Stein, veränderte die Beschaffenheit, hin zu dieser glatten, weichen warmen Oberfläche, die die Menschen so gerne berührten. Oft fragte der Turm das Wesen, warum es so Anteil am Leben der Fremden da draussen nahm, denn er erkannte, das ihre Anwesenheit nicht immer zum Vorteil für sie beide war. Immer öfter war seine Haut ganz matt, wenn sich ein Mensch zu lange an ihm gewärmt hatte und die Augen des Wesens stumpf. Und doch lag ein feines Lächeln auf seinen Zügen.
„Was geben dir die Menschen, was ich dir nicht zu geben vermag“, fragte er es an einem kühlen Winterabend und sah es forschend an.
„Ach Freund“ antwortete es, nachdem es einige Zeit nachgedacht hatte, “ deine Frage ist berechtigt. Ich fühle die Menschen, fühle ihre Sorgen, Nöte, ihren Schmerz. Fühle das, was ich so für mich nicht mehr zu fühlen vermag. Ich, nein wir geben ihnen Hilfestellung zum Leben und manchmal kommen sie ja zurück, mit einem Herzen voller Liebe, mit Lebenskraft und Freude, die dann uns ein wenig wärmt.“ Während es so sprach, sah es recht verloren aus und der Turm, bedauerte es sehr, dass er es nicht umarmen konnte.
So wie das Wesen, die Gefühle der da draussen aufsog, so spürte es auch die Traurigkeit des Weggefährten. Tränen suchten sich den Weg, netzten die Wangen. Es lehnte die Stirn gegen seine Haut. Da durchströmte seine Mauern ein intensives Gefühl, von dem das Wesen sagte, das es Liebe hiesse und er ward ganz froh und beschloss, dass sie für immer eins sein sollten.
Er würde es schützen, beschützen. Damit es ihn immer wieder an diesem Gefühl teilhaben lies.

So lebten sie innig und vertraut, die Jahreszeiten wechselten und immer mehr Menschen besuchten sie und hinterliessen ihre Spuren an seinen Wänden. Die Neugier verführte die Menschen dazu, ihn erklimmen zu wollen und allerlei technisches Gerät kam zum Einsatz, doch ohne Erfolg.
Immer öfter jedoch fügten sie ihm tiefe Wunden zu, die es mit der Kraft des Geistes heilte, doch er bemerkte, dass es danach oft erschöpft zu Boden sank.

Als es wieder einmal erschöpft an seiner Haut lehnte, spürte er neben den Gefühlen, die sie beide wärmten eine neue ihm unbekannte Emotion bei dem Wesen…die ihn verunsicherte.
„Was fühlst du, dein Gefühl ist mir fremd“ besorgt sah er es an.
Das Wesen sass nun ganz blass, klein und zusammengekauert in ihm und mit Unbehagen stellte er fest wie es sich verändert hatte. Lange schwieg das Wesen, trommelte mit den Fingern einen ihm fremden Rhythmus gegen seine Wand. „Ich bin einsam, Turm“
„Einsam? Was bedeutet dieses Wort?“ erwartungsvoll und innerlich verunsichert, fragte er es.
„Turm, ich vermisse die Nähe eines Menschen, ich vermisse Arme, die mich halten, die wärmenden Strahlen der Sonne, das Lachen von Kindern, das scherzen Verliebter, Musik und Tanz.“
Als sich der Sinn des gesagten in seine Wände grub, ächzten und stöhnten diese unter der Last und ein Riss klaffte auf, durch den Tageslicht in den Turm strömte.
Erwartungsvoll sah er hinüber zu dem Wesen, aber es regte sich nicht.
„ Schau, nun kannst du in die Welt der Menschen hinaussehen. Freu dich doch.“
Unter halb geöffneten Lidern blinzelte es ihn an und sog den Schmerz, den er durchlitt tief in sich ein.
„Turm, dein Schmerz lässt mich lebendig sein“ lächelnd fuhr die Hand tief in den Spalt hinein und seine Qual zauberte ein Lächeln auf das Antlitz.
Von diesem Tag an begrüsste es jeden Morgen die Sonne und ab und an auch einen Menschen, im inneren des Turmes, wenn er beharrlich nach dem Zugang suchte.

All dies geschah im Schutze der Mauern und obwohl so nah, war es doch unendlich fern, denn noch immer konnte das Wesen nur die Gefühle der anderen aufgreifen und mit dem Turm teilen, es selbst empfand meist nur Leere.

Diese Leere, gepaart mit Hoffnungslosigkeit wurden treue Weggefährten des Wesens, sie begleiteten es durch die Zeit und liessen es im Inneren des Turmes überleben, der ihm einst doch Schutz und Geborgenheit vermittelt hatte. Es gab Tage, da ertrug das Wesen den Turm in seiner Ganzheit kaum, an anderen suchte es seine Nähe, tauschte sich mit ihm aus.
In all diesen Gesprächen spürte er, dass das Wesen ihn verlassen wollte. Ihre Wege werden sich trennen, doch, was würde dann aus ihm?
Besorgt sah er das Wesen an“ Was wird aus mir, wenn du in diese garstige unfreundliche Welt hinausgehst?“
„Ach Turm, sorge dich nicht, du wirst in mir eine neue Heimat finden. Ich werde einen Freund brauchen, der mich aufnimmt und stärkt, wenn ich strauchle. Wir werden lernen müssen zu fühlen und diese Gefühle anzunehmen. Lass mich bitte nicht allein.“
Nachdenklich nahm der Turm diese Rede auf, denn er spürte nur allzu deutlich, welcher Zwiespalt in diesem Wesen, seinem Wesen klaffte. Doch er erkennt, er hat einen Platz in ihm, sie gehören zueinander, auch…oder gerade, weil Welten sie trennen.

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Tag der Veröffentlichung: 14.07.2009

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