Abschied
Zögerlich ergreife ich die Türklinke, blicke mich nochmals im Raum um, sehe hinüber zu dem Stuhl, auf dem er meist sitzt. Das Zimmer ist leer. Seltsam, das Leere oft so schmerzlich ist.
Leere: für viele nur ein leerer Begriff. In mir tief manifestiert, begleitet von der Erkenntnis, wie sehr sie mich und mein Leben verändert hat.
Zögerlicher wie zuvor löst sich meine Hand von der Türklinke, und ich gehe die wenigen Schritte hinüber zu dem Stuhl, lasse mich auf ihm nieder.
Nichts hat sich in diesem Zimmer verändert in den letzten Stunden, nichts was sichtbar ist und doch…
Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf, manche verschwommen, andere so real, dass ich sie vermeintlich ergreifen und festhalten kann – kann ich wirklich festhalten, was längst flüchtet?
Flüchtet er? Flüchte ich? Flüchten wir beide?
Festhalten, aber nicht fest halten, da sein, das war es, was ich wollte …wollten wir je beide dasselbe? Dieses Wir, war es je so real, wie es sich für mich immer noch anfühlt?
Die letzten Monate rasen im Schnelldurchlauf durch mein Gehirn, gehen verloren, finden sich wieder ein.
Ich verweile bei kauernden Momenten, die mir so nah sind in ihrer Distanz.
Sein Gesicht, dieser Ausdruck, wenn er gelöst daliegt …dasselbe, wenn er wild und finster wirkt. Oft denke ich dann an einen Troll. Troll, so nenne ich ihn liebevoll für mich, ja auch manchmal Scheißkerl, wenn ich mich geärgert habe. Viel zu viel Gefühl, das mich mürbe macht. Gefühlt, ersehnt, gefunden geglaubt und nun wieder Leere. Leere als Sinn. Warum frisst sich dieser Sinn so erbarmungslos in mich, warum bohrt und zerrt er so schmerzhaft an mir?
Nur Stunden ist es her, dass wir uns berührten, ohne Verführung verführten. Kein Tag ist es her, dass seine Augen mich anblitzten und das Feuer in ihnen mich verbrannte. Keinen Monat, dass ich mir sicher war, das er mein ist – und nun? Nun fühle ich das, was ich Leere nenne, fühle nicht mich und nicht ihn.
Frösteln in mir, wenn ich an die Sekunden denke, in denen ich erkannte, dass er neben mir lag und doch nicht bei mir. Pure Verzweiflung kroch durch mich, lähmte, setzte sich in mir fest, und die Angst, ihn zu verlieren, verödete gedankenlos mein Ich.
Mein Ich das ich mir mühsam zurückerobert habe in den letzten Jahren. In vielen heimlichen Gefechten, hatte es mit der Liebe zu ihm gehadert. Weshalb nur, habe ich es in diese Heimlichkeit gesteckt? Kein Sieger, kein Besiegter.
Und nun dieser leere Raum in mir und um mich. Schmerz, der aus meinem Herzen tropft, zähflüssig, klebrig. Schmerz ersetzt die Leere in seiner Vollkommenheit. – Erstaunt bade ich in diesem Schmerz, suhle in ihm und fühle wild, unkontrolliert und exzessiv. Strudel die mich mit sich reisen und mich taumeln lassen.
Liebe – Wut, Lust – Leid, Frust – Gier wirbeln in mir, suchen einen Ausweg. Wie immer versuche ich unbändiges Gefühl anzuketten, und verliere doch. Nein, ich siege, besiege mich! Doch wozu?
Ein Schrei, mein Schrei: der Schrei. Ich schrei, schrei, schreie, ohne einmal Atem zu holen. Ich schreie, während Mauern in mir wanken, einbrechen. Und dann wieder Staub. Und dann wieder Tränen, erlösendes Weinen und die Reste des Panzers, die davonschwimmen.
Noch immer derselbe Raum, das Zimmer dreht sich um mich, schleudert die Tränen trocken.
Was bleibt in mir? Erkennen, Angst vor dem Neuen, vor dem Fremden, Unbekannten in mir. Unsicher stolpere ich den verlorenen Gefühlen hinterher. Aber, sie wollen keinen Wegbegleiter, suchen sich ihren eigenen Weg, tropfen von mir, perlen von mir ab, stieben aus mir heraus. Ersetzen die Leere in mir durch Leere.
Und plötzlich wird es warm in mir, ein Lächeln besucht meine Augen, erkundet meine Lippen. Ich fühle mich leichter, stark und frei.
Im Badezimmer streichle ich mit wenig Wasser die Tränenspur von meinem Gesicht. Aussen an der Oberfläche wieder glatt … innen, unter der Haut schlagen die Tränen weiter Wurzeln, keimen, gehören zu mir. Geschmeidig gehe ich zurück in das Zimmer, lege den Blick auf den Stuhl, tackere ihn dort fest und verharre. Wissend um meine Gefühle, meine Leidenschaft, meine Zukunft. Erkannt, dass alles das zu mir gehört, meins ist, ich bin.
Leere? – Ja, immer wieder wirst du nach meiner Hand, nach mir greifen. Aber du drohst nicht mehr. Erkannt: du bist, ich bin. Und wer weiss, vielleicht geht es dir ja auch nicht allzu gut mit mir.
Leichteren Schrittes gehe ich zur Tür, lege entschlossen meine Hand auf die Türklinke. Kein Zaudern, öffnen, hindurchgehen, sie von aussen schließen. Meine Zukunft wird durch mich gestaltet und sie beginnt...jetzt.
Texte: Copyright bei Marion Szallis
Tag der Veröffentlichung: 29.06.2009
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