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„Gewalt an Schulen ist ein aktuelles Thema. Ich möchte deshalb dass ihr bis Montag einen drei- seitigen Aufsatz verfasst habt. Ich werde euch den Aufsatz verbessern und euch eine Note daraufgeben.“
Das allgemeine Stöhnen der Klasse ging in dem Schulklingeln unter das, das Ende des heutigen Tages ankündigte. Ich war die einzige die noch sass. Konzentriert versuchte ich mir die Angaben des Lehrers zu notieren. Es war nicht leicht. Obwohl ich nun schon seit drei Jahren hier lebte fiel es mir immer noch schwer die Sprache zu verstehen.
Als letzte verliess ich den Klassensaal und musste rennen um meinen Bus noch zu erwischen.

Gemächlich ging ich die Strasse entlang und hörte Musik. Ich achtete nicht sonderlich auf meinen Weg, kannte ich ihn doch im Schlaf. Es war nicht mehr weit. Hier um die Ecke dann... abrupt blieb ich stehen.
Ich stand vor meiner alten Schule. Erinnerungen gewaltsam wie ein Wasserfall strömten auf mich ein. Erinnerungen die, wie ich glaubte schon lange vergessen waren. Jeden Tag ging ich hier vorbei und hatte es doch geschafft schon so lange nicht mehr daran zu denken.
Es hatte mit dem Aufsatz zu tun. Gewalt an Schulen. Langsam stieg ich die paar Stufen zu dem Schulhof hinauf. Bilder blitzten vor meinen Augen auf; ich, klein verängstigt an die Schulhofmauer gedrückt, mit zusammengekniffenen Augen hoffend dass sie mich nicht finden.
Ich ging weiter. Dort konnte man durch ein Fenster in die Klasse schauen. Unaufällig linste ich hinein. Es war die Stunde bei Herrn Franzen, dem Geschichstlehrer. Schicksal. Wieder sah ich mich, zusammengesunken in der letzten Reihe. Die Blicke der Klasse auf mich gerichtet.
Ein Kind, ein kleines Mädchen, in der ersten Reihe hatte mich entdeckt. Schnell ging ich weiter bevor Herr Franzen mich ebenfalls entdecken konnte.
Ich war schon ewig nicht mehr auf dem Schulgelände der Grundschule gewesen. Eigentlich nicht mehr seit ich ins Gymnasium gekommen bin.
Ich schaute auf die Uhr. Gleich vier. Um vier hörte auch die Grundschule auf. Ich setzte mich auf die Bank und wartete ab. Punktlich wie jeden Tag kündigte die Schulglocke das Ende dieses Schultages an. Nicht anders als im Gymnasium stürmten die Schüler raus. Die wenigsten beachteten mich, waren sie doch viel zu sehr damit beschäftigt sich zu verabreden und auf den Spielplatz zu stürzen um eine der beiden Schaukeln zu ergattern.
Als die meisten Schüler draussen waren betrat ich das Gebäude.
Ich musste an damals denken. An die Zeit in der wir gerade aus Deutschland hergezogen waren.
Vorsichtig drückte ich die Klinge eines Klassensaalen runter. Er war nicht verschlossen. Ich schlich hinein und atmete tief durch. Der Geruch hatte sich nicht verändert. Es roch nach abgestandener Luft, Pausenbroten und... und Demütigung, Angst und Unverständnis.
Ich setzte mich in die letzte Reihe, mein Platz, und schaute auf die Tafel. Sie behandelten sogar das gleiche Thema. Natürlich, es war das beliebteste Thema im Geschichstunterricht.
In Gossbuchstaben stand auf der Tafel: DER ZWEITE WELTKRIEG. Darunter die Jahreszahlen.
Dann neue Zahlen, die Überschrift dazu: WIR WERDEN VON DEUTSCHLAND ÜBERANNT.

Unterdrücktes Kichern und verstohlene Blicke in meine Richtung. Ich hasse es und sinke tiefer in meinen Stuhl. Ich, das ist Amélie Meyer. Ich bin neun Jahre alt und bin vor einem Jahr hierhergezogen aus Deutschland hierhergezogen. In meiner Klasse bin ich die einzige Deutsche. Bislang fand ich das auch toll und fühlte mich einzigartig. Ich war etwas besoderes und konnte damit prahlen mal in einem anderen Land gelebt zu haben. Die anderen Kinder hörten mir neidisch zu wenn ich in Deutsch ganz akzentfrei sprach. Aber seit gestern hat sich etwas geändert. Seit gestern wollen die anderen Kinder nicht mehr mit mir sprechen und das liegt glaube ich nur an Geschichte. Der Lehrer sagte uns wir nähmen nun das Thema Krieg durch. Die Jungs grölten und die Mädchen kicherten nervös. Krieg das war etwas spannendes etwas furchtbares. Nahm man dieses Thema in der Schule durch war man schon gross und konnte so was verstehen. Auch ich kicherte eifrig mit und war ganz gespannt auf den nächsten Tag.
Die Schulstunde begann damit, dass der Lehrer , recht undiplomatisch erklärte wer die Bösen in diesem Krieg waren und wem, also welchem Land man die Schuld an dem ganzen Schlamassel geben konnte.
Seitdem wollen die anderen nicht mehr mit reden. Auch heute nicht. Ich habe meinen Platz gewechselt und sitze nun so still und klein wie möglich in der letzten Reihe und rühre mich nicht.
Aus den Augenwickeln kann ich erkennen wie Jessica ein Blatt Papier von David entgegennimmt und einen kleinen Text liest. Ihre Augen zucken in meine Richtung. Ich schaue ihr geradewegs in ihre Augen. Lange hält sie den Blickkontakt nicht stand. Sie gibt David das Papier zurück und schüttelt entschieden den Kopf. Er zuckt gleichgültig mit den Achseln und reicht das Blatt an jemand anderes weiter. Ich starre auf Jessicas Hinterkopf. Was stand auf dem Blatt?
Kalter Schweiss bildete sich auf meiner Stirn. Das Blatt wanderte in der Klasse herum, genau wie Jessica starrt jeder mich an. Langsam aber bestimmt als würde irgendwas gegen meinen Hinterkopf drücken senkt sich mein Blick. Mit hochrotem Kopf starre ich auf meine Hände.



Ich zuckte zusammen. Jemand öffnete die Tür. Es war eine Putzfrau.Erstaunt blickte sie mich an.
„Was machen Sie denn hier?“ fragte sie unfreundlich.
Genau was zur Hölle machte ich hier? War ich unter die Masochisten gegangen?
Eine Entschuldigung murmelnd drückte ich mich an ihr vorbei und rannte ins Freie. Die Erinnerung an damals war so stark und so lückenlos gewesen als wäre es erst gestern passiert.
Ich setzte mich auf die gleiche Bank auf der ich auch eine halbe Stunde vorher gesessen hatte. Ein paar Meter von mir entfernt tollten ein paar Kinder unmher. Etwas abseits standen ihre Mütter, mit den Autoschlüsseln in der Hand sich unterhaltend. Sie bemerken nicht was ihre Lieblinge so trieben, sie waren viel zu sehr darauf konzentriert den anderen Müttern ihr Leid zu klagen als dass sie darauf achteten was ihre Kinder taten.
So war das auch damals gewesen. Mein Blick verschwann leicht und ich starrte ins Leere ohne indes es zu bemerken.

Ich husche mit den anderen Schülern ganz unbemerkt, so hoffe ich jedenfalls, aus der Schule. Ich hoffte vergebens. Jemand packt mich am Ärmel. Ich drehe mich um, nur um zu sehen was ich längst schon weiss. Bösartig grinst David mich an und lotst mich durch die Menge zu einer Mauer.
„Du hast wohl gedacht du könntest uns entkommen, was?“
Ich nehme allen Mut zusammen. „Lass mich los David, mein Papa ist Polizist.“ Es stimmt gar nicht mein Vater arbeitet als Versicherungskaufmann, ich dachte nur das klingt nicht so imposant. Ich wusste nicht dass das das verkehrteste war was ich in dieser Situation sagen konnte.
„Kommt er dann und knallt mich ab? So wie er es auch mit meinem Onkel gemacht hat?“
Ich verstehe jetzt gar nichts mehr und starre ihn nur noch verängstigt und stumm an.
„Du und deine Familie ihr habt ganz viele Menschen umgebracht weisst du das denn nicht du Tochter einer Hure, du Nazi. Mein Opa hat mir alles ganz ganau erzählt wie es damals war.“
Er gibt mir eine schallende Ohrfeige und stösst mich mit voller Kraft gegen die Mauer.
Mittlerweile sind auch die anderen aus der Klasse gekommen und stellen sich in einem Halbkreis um uns herum auf. Sie sind stumm, sagen kein Wort und starren mich an. In ihren Gesichtern lese ich Hass und Hohn aber auch Zweifel und Angst. Die Meisten fangen schon an zu zweifeln ob es wirklich so eine gute Idee war. Jetzt sehe ich dass nicht alle dabei sind. Jessica und ein paar andere fehlen. Das war es also was auf dem Zettel gestanden hatte. Die Frage ob sie Lust hätten mich zu schlagen. Mir steigen die Tränen in die Augen. Vor Schmerz aber auch vor Angst vor dem was jetzt noch kommen sollte. Mir ist schon klar dass das nicht alles gewesen sein kann.
Doch dann öffnet sich der Halbkreis. Verblüfft schaue ich auf. Sie lassen mich einfach gehen? Das wars schon? Sind die anderen vielleicht gekommen um David Einhalt zu gebieten? Wilde Hoffnung steigt in mir auf. Ich richte mich auf und gehe langsam auf die Lücke zu, als sie sich nicht wieder schliesst fange ich an zu rennen.
Dann höre ich David hinter mir „Jetzt“ sagen. Er sagt es mit so einer unheilsschwangeren Stimme dass dieses einzelne Wort wie ein Todesurteil klingt.
Dann trifft mich etwas hartes auf dem Rücken. Ich drehe mich nicht um sondern renne nur noch schneller. Immer mehr Steine kommen geflogen, sie treffen mich an Armen und Beinen.
„Verschwinde dorthin zurück wo du hergekommen bist, du elender Nazi, du Mörder.“



Ich stand auf und verliess das Gelände so schnell wie nur möglich.
Die Mütter blicken nicht auf und die Kinder spielen weiter ihre Spiele ohne mich zu beachten, genau wie damals.

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Tag der Veröffentlichung: 08.12.2009

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