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--- LESEPROBE ---
Was du liebst, lass frei
Liebesfluch der Vergangenheit
J. J. Winter
Impressum
Was du liebst, lass frei (1. Auflage 2014)
Autor: J. J. Winter
Lektorat: Iris Bachmeier
Covergestaltung/Bild: Jasmin Waisburd © Bigstockphoto.com
Copyright © 2014
Fantasy Verlag
http://www.fantasyverlag.com
207 Taaffe Place, Office 3A
Brooklyn, NY 11205, USA
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
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Trotz sorgfältigem Lektorat können sich Fehler einschleichen. Autor und Verlag sind deshalb dankbar für diesbezügliche Hinweise. Jegliche Haftung ist ausgeschlossen, alle Rechte bleiben vorbehalten.
Über das Buch
„Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer.”
Mit diesem Zitat von Konfuzius überrascht Dominique seine achtundzwanzigjährige Schwester, die fest davon überzeugt ist, nicht lieben zu dürfen. Kurz zuvor hat Maria einen jungen Mann kennengelernt, der mit einer Truppe von Gauklern und Darstellern umherzieht und beim legendären Mittelalterfest die Besucherinnen in seinen Bann schlägt. Dominique ist sicher, dass es diesem jungen Mann gelingen könnte, Maria das Gegenteil zu beweisen.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf – die Anziehung zwischen den beiden ist nicht aufzuhalten. Maria ahnt jedoch nicht, dass Juliano ein Geheimnis hütet, einen Fluch, der ihm vor mehr als 400 Jahren auferlegt wurde.
Juliano kennt den Weg, diesen Fluch zu brechen. Aber ist er tatsächlich bereit, das zu opfern, was ihm am wichtigsten ist?
Über die Autorin
Jessica Johanna Winter wurde 1969 in Kufstein im Tiroler Unterland geboren, wo sie noch heute mit Mann und Kindern lebt. Bei Tag arbeitet sie mit Zahlen, in den Nächten widmet sie sich dem geschriebenen Wort. Neben kleinen Kurzgeschichten und Drabbles gehört ihre große Leidenschaft dem Schreiben von Fantasy-Romanen, gespickt mit Spannung, Romantik und der ganz großen Liebe.
Konfuzius sagt:
„Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer!“
***
Seine Lenden schmerzten. Wild schoss das Blut durch seine Adern. Er war bereit. Bereit, sie zu verführen und zu hören, wie sie in der Hitze des Gefechts laut seinen Namen schrie. So, wie er es täglich bis zu fünf Mal von fremden Frauen gewohnt war.
Sie hingegen schien noch nicht in dem Feuer gefangen zu sein, das er für gewöhnlich nur durch seinen Anblick und die Aussicht auf Erfüllung in seinen Opfern entfachte. Sie saß einfach nur da und sah ihn mit großen Augen an. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, streifte er sein Hemd ab und beförderte es durch die kleine Öffnung nach draußen, um das Publikum anzustacheln. Üblicherweise folgten jetzt die Kleider seiner Gespielin. Die Frau vor ihm machte allerdings keine Anstalten, es ihm nachzutun, sah ihn weiterhin nur stumm aus diesen wunderbaren braunen Augen an.
„Jetzt du!“, forderte er sie auf, während er mechanisch seinen Gürtel aus der Hose zog und zu dem Hemd auf die freie Fläche vor seinem Zelt warf.
Sie blickte sich um. In einer Ecke entdeckte sie ein fein säuberlich zusammengelegtes Häufchen Hosen und Hemden. Achselzuckend griff sie nach dem Packen Wäsche und warf ihn hinterher. Die Ansammlung von Schaulustigen vor seinem Heiligsten begann lautstark zu johlen. Sein Mund klappte auf, und er musterte sie entgeistert.
„Hätte ich sie einzeln rauswerfen sollen?“, erkundigte sie sich kleinlaut.
Fassungslos antwortete er: „Das waren meine Sachen zum Wechseln.“
Zerknirscht blickte sie an ihm hoch und zog schuldbewusst die Schultern nach oben. „Sorry, ich dachte, die wären dazu da.“
Er schüttelte verwirrt den Kopf. Was war das denn? Sonst fielen die Frauen in Scharen vor ihm nieder. Bettelten darum, dass er sie auswählte und beglückte. Sie konnten es gar nicht erwarten, sich die Kleider vom Leibe zu reißen und zu genießen, was er mit ihnen teilte.
Verunsichert erhob sich Maria und eilte nach draußen, um seine Gewänder wieder einzusammeln. Er folgte ihr irritiert. Die Gruppe vor dem Zelt lachte noch lauter, als er mit in die Hüften gestemmten Händen hinter ihr stand und kopfschüttelnd dabei zusah, wie sie jedes einzelne Stück fein säuberlich wieder zusammentrug. Auch das Hemd und den Gürtel hob sie auf und überreichte ihm alles mit einem leisen „Entschuldigung“. Ein paar der Männer brüllten, und Maria senkte verlegen den Blick, als ihr bewusst wurde, dass sie es war, die sie dermaßen belustigte.
Franco, dessen Aufgabe es war, Julianos Geschichte zu erzählen, hatte sich bisher recht ruhig verhalten, angesichts des bizarren und für ihn vollkommen unverständlichen Ablaufs der Show. Seit vielen Jahren begleitete er Juliano nun schon. Hatte schon einiges erlebt. Aber das hier war auch ihm neu.
Endlich räusperte er sich: „Oho, was für eine stürmische Maid. Sie hatte wohl Angst, dass sie in dem Zelte nicht ausreichend Platz für ihr Liebesspiel fände. Aber seid versichert, holde Jungfer, Meister Juliano ist ein begnadeter Künstler. Ihm wird es gelingen, trotz der Enge euer Blut zum Kochen zu bringen und euch in die höchsten Gefilde von Lust und Ekstase zu geleiten. Denn er ist Meister Juliano, der Liebesgott!“
Marias Blick schweifte schuldbewusst zwischen ihm und dem Zelt hin und her, während Juliano sie noch immer ungläubig anstarrte. Zumindest nahm sie an, dass er das tat. So genau konnte sie dies unter der Maske, die er trug, nicht erkennen. Ohne ein Wort griff er nach ihrem Arm und zog sie in sein Zelt zurück. Die Sachen flogen unachtsam in eine Ecke, und erneut heftete er seinen Blick auf ihre sanften braunen Augen.
„Es tut mir leid, wenn ich deine Show ruiniert habe. Ich verspreche auch, mich von jetzt an zu benehmen.“
Maria kannte seine Vorstellung. Hatte Arbeitskolleginnen davon reden hören. Ziel war es, den Festbesuchern da draußen vorzugaukeln, dass es hier drinnen tatsächlich zu sexuellen Handlungen käme und Juliano, der Liebesgott, beinahe stündlich eine holde Maid beglückte.
„Okay. Ich bin bereit, fangen wir an!“ Schnell nahm sie im Schneidersitz Platz und blickte zu ihm auf, unsicher, ob sie beginnen sollte zu stöhnen, oder ob er den Takt vorgab. Überrascht sah Juliano auf sie nieder, als sie sich nun so bereitwillig fügte und darauf zu warten schien, dass er sein Spiel beginne. Langsam trat er näher, postierte sich so, dass der Knopf seiner Hose unmittelbar vor ihren Augen war, und wartete gespannt, ob sie die Initiative ergreifen würde.
***
Und das tat sie. Und wie sie es tat. Ihre Wangen röteten sich, den Blick auf den Boden geheftet, kaute sie kurz auf ihrer Lippe herum, bevor sie mit unsicherer Stimme begann: „Oh ja, Juliano. Du bist mein Hengst. Der Liebesgott unter all den Göttern. Oh ja, du bist der Beste.“
Und wieder klappte sein Mund auf. Vor dem Zelt brachen die Zuschauer in haltloses Gelächter aus, als sie das laienhafte Gesäusel vernahmen.
„Ist das so richtig?“, erkundigte sich Maria leise und blickte erstmals wieder direkt in sein Gesicht. Aber Juliano war zu perplex, um zu antworten. So etwas war ihm noch nie untergekommen. Seit unendlich vielen Jahren vollzog er seine Show, und noch keine hatte sich ihm jemals verweigert.
Maria machte weiter. Ihre Stimme klang dabei um einiges fester. „Oh ja, oh ja, mach weiter! Ich kann es gar nicht fassen! Oh ja, oh ja, jetzt! Jetzt, oh ja!“, brüllte sie nun laut, wobei sie ihren Blick nicht von seinen dunklen Augen nehmen konnte.
Da Juliano noch immer keine Anstalten machte, etwas beizutragen, Maria aber der Meinung war, dies nicht mehr steigern zu können, erhob sie sich und verließ das Zelt. Die Plane noch in der Hand, sah sie zurück und versank beinahe im Erdboden, während sie, von fröhlichem Gelächter und belustigten Blicken unzähliger Schaulustiger begleitet, zum Abschied noch ein „Danke. Das war der beste und vor allem schnellste Sex meines Lebens“ hineinwarf.
Juliano erlangte seine Fassung wieder, stürmte hinterher, in der Absicht, sie zurückzuholen. Aber Maria war schnell von der Mauer gesprungen und stand bereits wieder neben dem jungen Mann, mit dem sie vor zehn Minuten vor dem Zelt zum Stehen gekommen war, um sich die einzigartige Darbietung von Juliano dem Liebesgott anzusehen. Noch immer verlegen, ergriff sie die Hand des ausgelassen lachenden Mannes und zog ihn in Richtung der Hauptbühne.
Kurz vor der Biegung wandte sich Maria noch einmal um. Juliano stand reglos auf der Mauer und fixierte sie mit seinen dunklen, geheimnisvollen Augen hinter der Maske. Sein nackter, durchtrainierter Oberkörper glänzte in der Sonne, barfuß, nur in Leinenhosen, mit der Maske im Gesicht, die unweigerlich an einen Vogel erinnerte, stand er da.
In diesem Moment sah er wirklich aus wie ein Gott aus früheren Zeiten. Maria schluckte heftig, bevor sie den Blick von ihm losriss und sich wieder ihrem Begleiter zuwandte.
***
Franco, Geschichtenerzähler und Julianos Wegbegleiter, näherte sich mit fragender Miene. „Was war das denn? Brauchst du künftig Viagra?“ Sein Blick fuhr nach unten. „Nein“, entschied er lachend. „So wie es aussieht, war das nicht das Problem.“
Juliano murrte ungehalten und zog sich in sein Zelt zurück. Noch einmal ließ er die letzten fünf Minuten im Geiste Revue passieren.
Er hatte wie gewöhnlich auf der Mauer gehockt und seinen Blick über die Reihen der Zuschauer schweifen lassen, auf der Suche nach einer Frau. Einer bestimmten Frau. Sie musste ihn auf Anhieb ansprechen, seine Manneskraft erwecken, seine Sinne anregen und seine Fantasie beflügeln. In früheren Zeiten legte er darauf keinen Wert. Er nahm sie alle, wie sie gerade daherkamen. Aber im Laufe der Jahre war er müde geworden. Wählerischer.
Er wollte nicht einfach nur mehr Juliano der Liebesgott sein. Er wollte selbst Befriedigung erlangen. Daher begann er, sich seine Partnerinnen genau auszusuchen. Wenn ihm die Frauen gefielen, war sein Liebesspiel um einiges besser. Konnte er sich selbst und auch seine Gespielinnen in ungeahnte Höhen treiben, ihnen und sich alles abverlangen. Sie mit seiner Sinnlichkeit und seinen Qualitäten als Liebhaber beinahe in den Wahnsinn treiben.
Sicher, es war ein gefährliches Spiel, das er da trieb. Nicht nur einmal war eine dieser Frauen ihm hinterher verfallen, sodass sie versucht war, alles aufzugeben. Heim, Kinder und Ehemann, um künftig an seiner Seite zu glänzen. Aber dazu war er nicht bereit. Konnte er nicht. Durfte er gar nicht. Sonst wäre er gezwungen gewesen, die Maske zu lüften und sein Geheimnis preiszugeben.
Es kostete ihn auch immer wieder erhebliche Mühen, dies von ihm abzuwenden und die Frauen zu bekehren, um sie wieder in ihren sicheren Hafen zurück zu geleiten. Dennoch war er zwischenzeitlich zu egoistisch geworden, um zu seinen Anfängen zurückzukehren. Sich wieder jenen Frauen zuzuwenden, die einfach nur dankbar die wenigen Minuten seiner animalischen Zuwendung genossen, um dann ihr gewohntes Leben weiterzuführen.
Das Mädchen, die Frau, die allerdings heute sein Augenmerk auf sich gezogen hatte, bewegte augenblicklich etwas in ihm. Jeder Sinn, jeder Muskel begann sich bei ihrem Anblick zu regen. Sein Herzschlag wurde schneller, sein Atem heftiger, seine Gedanken begannen sich zu überschlagen, sein Blut geriet in Wallung und pochte energisch in seinen Adern. An seinen Schläfen, in seiner Manneskraft, und eine schier unerträgliche Hitze stieg in ihm hoch. Unbändiges Verlangen ergriff Besitz von ihm, und nur mehr von dem einen Gedanken getrieben, sie in sein Zelt zu schleifen, ihr die Kleider vom Leibe zu reißen und mit ihr gemeinsam ins Paradies einzutreten, steuerte er auf sie zu.
Dieses Mädchen, mit den wunderbaren braunen Augen, dem beinahe schwarzen Haar, das in gleichmäßigen Wellen bis weit unter die Schulterblätter reichte. Den dichten, langen Wimpern, dem natürlichen Gesicht und den sinnlichen roten Lippen. Ihren Lippen, vom Glanz der Sonne überzogen, nachdem sie sie kurz zuvor mit der Zunge benetzt hatte. In ihren Dreivierteljeans und dem dunkelblauen Shirt mit dem keltischen Dreieck um den Hals.
Wie gebannt starrte er in ihr Gesicht und ging geradewegs auf sie zu. An unzähligen Frauen vorbei, die flehentlich die Hand nach ihm ausstreckten und mit den Augen darum bettelten, dass sie es sein sollten, die er erwählte. Aber seine Füße zwangen ihn immer weiter, durch die Menge hindurch, bis ganz nach hinten, wo sie etwas abseits stand, an der Seite eines jungen Mannes, und interessiert in seine Richtung blickte, aber nicht gerade den Eindruck erweckte, als würde sie darauf brennen, Teil seiner Darbietung zu werden.
Trotz allem ergriff er ihre Hand und verneigte sich, um einen galanten Handkuss auf ihre Rechte zu drücken. Dabei sog er ihren unwiderstehlichen Duft tief ein, der ihn auf eigenartige Weise sofort umfing und einhüllte. Vielversprechend, betörend wirkte er auf ihn und benebelte seine Sinne, nahm ihn gefangen und verhinderte jede Form von rationalem Denken. Von nun an verlief alles nur noch mechanisch.
Ohne auf ihren Protest zu achten, zog er sie mit sich durch die Menge. Vor der etwa einen halben Meter hohen Mauer, die den Schotterweg vom Rasen abgrenzte, hielt er inne, zog sie ganz nah an sich, und hob sie ohne Anstrengung hinauf. Augenblicklich sprang er hinterher, stets darauf bedacht, den Blickkontakt nicht abreißen zu lassen. Irgendetwas sagte ihm, dass dies auf keinen Fall geschehen durfte, dass er mit dem Verlust ihrer Aufmerksamkeit noch etwas anderes verlieren würde. Etwas bis dahin Unbekanntes, Wertvolles. Etwas, das er auf gar keinen Fall verlieren wollte.
Rasch führte er sie weiter. Hob die Plane zu seinem kleinen Reich und schob sie sanft, aber bestimmt hindurch. Nun saß sie vor ihm. Leicht verlegen, zugleich schüchtern und unentschlossen, und harrte der Dinge, die nun kommen würden. Den Blick unverwandt auf ihre warmen, braunen Augen gerichtet, entledigte er sich seines Hemdes.
Meistens hingen die Frauen zu diesem Zeitpunkt bereits an seinem Hals und rissen sich selbst die Kleider vom Leib. Viele ließen ihm noch nicht einmal ausreichend Zeit, sich vollends seiner Hose zu entledigen. Aber diese hier nicht. Sie dachte vermutlich nicht einmal daran, sich aktiv einzubringen.
Da er noch nie in die Situation gekommen war, eine Frau aufzufordern, sich auszuziehen, wusste er nicht so recht, was er sagen sollte. Also beschränkte er sich auf ein knappes „Jetzt du!“
Das Blut schoss geradezu durch seine Adern, bei der Vorstellung, dass sie sich gleich das Shirt über den Kopf zog und er einen ersten Blick auf ihre Brüste erhaschen würde, die sich verheißungsvoll unter dem eng anliegenden Oberteil abzeichneten. Ebenso der flache, mit Sicherheit durchtrainierte Bauch, dem er gewiss besondere Beachtung schenken würde, bevor er seinen Weg nach unten fortsetzte. Diese Show würde garantiert mehr Zeit in Anspruch nehmen als die vorangegangenen. Das hier war Vergnügen und keine Arbeit.
Dann griff sie nach seinen Sachen zum Wechseln und warf sie energisch aus dem Zelt. Mitten im schnellsten Lauf stoppte sein Blut und kurz wurde ihm schwindelig. Ungläubig brachte er nur hervor, dass das seine Kleidung wäre, was sie dazu veranlasste, seine Liebeshöhle zu verlassen, um alles wieder einzusammeln.
Endlich hatte er sie wieder da, wo er sie haben wollte. Direkt vor seiner Manneskraft, die ihr unmöglich nicht ins Auge stechen konnte. Schon begann sein Blut von Neuem zu brodeln. Bahnte sich in einem irren Tempo den Weg durch seinen Körper. Heftig sog er die Luft ein, als ihn die Vorstellung überfiel, dass sie jeden Augenblick mit ihren zarten Händen den Knopf öffnen und seine Hose nach unten streifen würde, um sich selbst davon zu überzeugen, wie sehr es ihn nach ihr verlangte.
Seine Gedankenreise ging weiter. Er sah bereits, wie sich seine Hände ihrem Haupt näherten. Zuerst streichelte er sanft ihr seidig glänzendes Haar. Dann fasste er sie bei den Schultern und warf sie zärtlich, aber bestimmt auf den Rücken, legte sich auf sie, befreite sie geschickt von ihren Kleidern. Begann ausführlich ihren Körper zu erkunden, während sein Blut noch immer in schier unglaublicher Geschwindigkeit durch seinen Körper raste und jeden weiteren Gedanken verhinderte. Ihn nur immer wieder dazu aufforderte, endlich nachzugeben, einzutauchen und der heiß ersehnten Erlösung entgegenzueilen. In einer bis dahin auch ihm noch unbekannten Ekstase auf dem Gipfel des Genusses zu bersten und dabei immer wieder zu hören, wie sie verzückt und berauscht zugleich seinen Namen schrie. „Juliano, oh Juliano!“
Aber anstatt zuzugreifen und ihm das abzuverlangen, was in den letzten vierhundert Jahren jede Frau von ihm gefordert hatte, machte sie aus seiner Show das, was es war. Eine Show.
„Oh ja, Juliano. Du bist mein Hengst. Der Liebesgott unter all den Göttern. Oh ja, du bist der Beste.“
Schon zum zweiten Mal, seit er ihr begegnet war, musste er das unangenehme Gefühl ertragen, das sein Blut verursachte, als es unvermittelt seinen Lauf stoppte und beinahe vollständig zum Stillstand kam.
Aber sie setzte dem Ganzen noch eins drauf. Und während er noch immer reglos dastand und mit den Folgen seiner Erregung kämpfte, hatte sie bereits ihren Höhepunkt erreicht und ließ ihn unbefriedigt in seinem kleinen Zelt sitzen. Eilte davon, zurück in die Arme des jungen Mannes, den er am liebsten auf der Stelle getötet hätte, nur um sie nicht mehr an seiner Seite zu sehen.
***
Maria und ihr Begleiter hatten den Platz vor der Hauptbühne erreicht. Dominique lachte noch immer über die zarte Röte, die das Gesicht seiner kleinen Schwester zierte. „Wenn du das immer so machst, wundert es mich nicht, dass du mit deinen achtundzwanzig Jahren noch Single bist“, gab er amüsiert von sich, was ihm einen Hieb in die Seite einbrachte.
Dominique liebte seine Schwester und freute sich immer sehr auf die wenigen Tage im Jahr, die er sich von allem freinahm, um hierherzukommen. In ihrer Gegenwart konnte er wieder ganz der kleine Junge sein, ohne Verantwortung, ohne Verpflichtung, wie sie es als Kinder waren. Auch Maria genoss diese Zeit in vollen Zügen.
Nachdem sie vor drei Jahren nach Tirol gezogen war, fühlte sie sich anfangs sehr einsam und wünschte sich nicht nur einmal, doch wieder in seiner Nähe zu sein. Aber das Angebot, das ihr der pharmazeutische Betrieb gemacht hatte, in welchem sie als Chemielaborantin arbeitete, war zu gut, um es abzulehnen. Auch gab es im Umkreis von einhundert Kilometern zu ihrem einstigen Wohnort keine vergleichbare Stelle.
So beschränkten sich die Zusammentreffen der beiden auf fünf Tage im Jahr, an denen Dominique extra von der östlichen Steiermark nach Tirol fuhr, um gemeinsam mit Maria ein paar unbeschwerte Tage zu verbringen.
Schon früh hatten die Geschwister Reitberger ihre Eltern verloren. Damals hatten sie in Innsbruck gelebt. Maria war sechs und Dominique acht Jahre alt gewesen, als des Nachts zwei Polizisten und eine Frau vom Jugendamt an der Wohnungstür klingelten und der Babysitterin kurz und bündig mitteilten, dass Anna und Hermann Reitberger bei einem Autounfall ums Leben gekommen wären und sie die Kinder mitnehmen würden, bis geklärt wäre, wo sie künftig leben sollten.
Ohne zu verstehen, was vor sich ging und wie drastisch sich ihr Leben von gleich an verändern würde, wurden Maria und Dominique aus dem Schlaf gerissen, in saubere Kleidung gesteckt und aus dem Haus getragen. Den Rest der Nacht verbrachten sie bei einer völlig fremden Frau in einer Anlaufstelle des Jugendamtes für Notfälle.
Auch am nächsten Morgen sagte man ihnen nicht viel. Erst als am dritten Tag Tante Hanna, die Schwester ihres Vaters, in der Tür stand und die beiden unter Tränen an ihre Brust drückte, erfuhren sie nach und nach, was sich in jener verhängnisvollen Nacht zugetragen hatte.
Es war der zehnte Hochzeitstag ihrer Eltern gewesen. Aus diesem Anlass hatte Hermann seine Frau in ein kleines, nettes Lokal in der Nähe des Flughafens eingeladen. Frau Hauser, eine Nachbarin, oder Oma Hauser, wie die Geschwister sie nannten, hatte sich bereit erklärt, auf die Kinder aufzupassen und dafür zu sorgen, dass sie rechtzeitig ins Bett kamen. Gegen elf Uhr wollten die Eltern wieder zu Hause sein, um die Freundlichkeit der alten Dame nicht überzustrapazieren.
Laut Auskunft des Kellners war es schon reichlich spät, als sie aufbrachen. Der Weg durch die Stadt war ziemlich lang, da die Wohnung der Familie auf der gegenüberliegenden Seite von Innsbruck lag. Vermutlich nahmen sie deswegen die Autobahn. Fünf Kilometer vor ihrer Ausfahrt geschah dann das Unfassbare.
Ein fünfundfünfzigjähriger Bauarbeiter, sturzbetrunken, fuhr als Geisterfahrer auf die A12 und raste mit 120 Stundenkilometern frontal in den Nissan Imperial der Familie. Sie hatten keine Chance. Hermanns Licht war bereits erloschen, als die Rettungsmannschaften sieben Minuten später am Unfallort eintrafen. Anna erlag ihren schweren Verletzungen, noch bevor der Krankenwagen die Uniklinik erreichte.
Nun waren Dominique und Maria Waisen und es oblag Tante Hanna, sich um die beiden zu kümmern und ihnen sowohl Vater als auch Mutter zu ersetzen. Sie erfüllte ihre Aufgabe ausgezeichnet. Mit viel Liebe, Geduld und Wärme widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit den traurigen Kinderherzen und brachte sie mit jedem Tag dem Leben wieder ein klein bisschen näher. Nicht ein einziges Mal hatten die Geschwister bereut, bei ihr geblieben zu sein. Auch wenn die Möglichkeit bestanden hatte, zu einer Tante mütterlicherseits nach Wien zu ziehen oder in Innsbruck beim Bruder ihres Vaters zu bleiben.
Tante Hanna war eine liebenswürdige Frau, die ihren Mann bereits sehr früh an den Krebs verloren hatte. Auch waren ihr selbst keine eigenen Kinder vergönnt, wodurch es für sie ein besonderes Privileg darstellte, nun doch noch in den Genuss der Mutterschaft gekommen zu sein. Maria und Dominique wurden trotz des Verlustes ihrer Eltern sehr behütet und liebevoll großgezogen, in einem eigenen Haus mit Garten, in einem ruhigen, kleinen Ort unweit der slowenischen Grenze.
Mit achtzehn verliebte sich Dominique in ein Mädchen aus der Gegend. Sechs Jahre später heirateten die beiden und waren nun selbst Eltern zweier prächtiger Jungen. Dominique arbeitete als Architekt in einer kleinen, aber sehr gefragten Agentur im Nachbarort.
Maria hingegen hatte noch niemanden gefunden, der tatsächlich ihr Herz berührt hätte. Oder besser gesagt, Maria ließ nicht zu, dass sich ihr jemand so weit nähern konnte, um ihr gefährlich zu werden.
Hannas Mann starb nach nur drei Jahren Ehe. Danach blieb sie alleine. Sie betonte immer wieder, dass Winfried ihre einzige, wahre Liebe gewesen sei und sie sich niemals hätte vorstellen können, des Morgens an der Seite eines anderen Mannes zu erwachen, auch wenn Winfrieds Liebe zu ihr nicht annähernd mit der Hingabe zu vergleichen gewesen war, die sie ihm entgegengebracht hatte.
Tante Traudi aus Wien erging es nicht viel besser. Ihr Mann hatte sie nach fünfzehn Jahren wegen einer Jüngeren verlassen. Ihre Trauer darüber hielt sich in Grenzen. Gustav war nicht gerade das, was sie sich erhofft hatte. Auch mussten die beiden nur heiraten, weil eine kleine Tochter unterwegs war. Sobald Lisa die Schule abgeschlossen hatte, trennten sich die Wege der beiden. Es hatte zwar seitdem noch andere Männer in Traudis Leben gegeben, aber keiner blieb lange genug, dass sich daraus wirklich etwas Ernstes hätte entwickeln können.
Selbst Onkel Robert stellte keine Ausnahme dar. Auch ihm war es nicht bestimmt gewesen, die Liebe seines Lebens zu finden, oder wie Maria immer zu denken pflegte, Gott sei Dank. Seine jetzige und zugleich dritte Frau entfernte sich zwar immer mehr von ihm und die Scheidung der beiden war nur mehr eine Frage der Zeit, aber beide lebten noch.
Anna und Hermann waren die Einzigen aus der Familie, die die wahre Liebe gefunden hatten. Das Verhältnis zwischen den beiden war das zärtlichste und liebevollste, ihre Verbundenheit einzigartig, soweit sich Maria mit ihren gerade einmal sechs Jahren noch daran erinnern konnte. Sogar Onkel Robert, der ebenfalls in Innsbruck wohnte und engen Kontakt mit der Familie hielt, wurde nie müde, ständig zu betonen, wie sehr sich die beiden geliebt hätten und wie eifersüchtig er doch auf die beneidenswerte Beziehung seines Bruders gewesen sei.
Beide ereilte der Tod viel zu früh. Jede Liebe, die ein Mitglied von Marias kleiner Familie erfuhr, endete unweigerlich in einer Trennung oder mit dem Tod. Je nachdem, wie tief verwurzelt die Gefühle füreinander gewesen waren.
Das war der eigentliche Grund, warum Maria stets davor zurückschreckte, einen anderen in ihr Herz zu lassen. Ihn bedingungslos in ihr Leben aufzunehmen, ihm ihre uneingeschränkte Liebe angedeihen zu lassen und diese auch anzunehmen. Trennung oder Tod. Sie wollte keines von beidem ertragen müssen.
Mit fünfundzwanzig Jahren war sie deshalb noch immer alleine. Zog mit Sack und Pack in eine Zweizimmerwohnung unweit ihres Arbeitsplatzes, trat an ihrem ersten Arbeitstag ins Büro ihres Vorgesetzten und verkündete: „Hier bin ich. Ich bin vogelfrei und ungebunden und jederzeit bereit, Überstunden zu machen, wann auch immer ich gebraucht werde.“
Seitdem war Marias Leben in erster Linie von Arbeit, vielen Überstunden und nur wenigen gemütlichen Abenden mit Freunden geprägt. Meistens verbrachte sie ihre Freizeit sowieso in den Bergen. Sowohl im Sommer, beim Wandern oder Klettern, als auch im Winter beim Skifahren.
Aber die wichtigste und zugleich schönste Zeit im Jahr war für Maria jene Woche, in der Dominique sich von seiner Familie löste, um sich für ganze fünf Tage ausschließlich ihr zu widmen. Das waren die einzigen freien Tage, an denen es kein Rütteln gab. Kein auch noch so verzweifelter Anruf ihres Chefs konnte sie dazu bewegen, auch nur einen Fuß in die Firma zu setzen.
Heute war Donnerstag, der letzte gemeinsame Tag. Bereits morgen nach dem Frühstück würde sich Dominique in sein Auto setzen, um den Rest des Wochenendes mit seiner Frau und den Kindern zu verbringen. Da die kleine Ortschaft inmitten von Bergen sonst nicht viel zu bieten hatte, beschlossen sie, diesen Tag auf dem alljährlich stattfindenden Gaukler- und Fantasiefest ausklingen zu lassen, welches schon zum vierten Mal am nahegelegenen Waldrand veranstaltet wurde. Obwohl Maria bereits seit drei Jahren hier lebte, hatten ihre Freundinnen sie noch kein einziges Mal dazu überreden können, mit ihnen dorthinzugehen. Heute war es etwas anderes. Immerhin war es Dominiques Idee gewesen.
***
Es dämmerte bereits, als sie einen der Biertische direkt vor der Hauptbühne ergattern konnten, auf welcher noch ein abwechslungsreiches Abendprogramm geboten werden sollte. Dominique holte Getränke und Maria erbot sich, auch etwas für ihre hungrigen Mägen beizusteuern. Auf dem Weg zu dem Stand mit den leckeren Crêpes fing sie hie und da einen herzhaften Lacher oder einen wohlgemeinten Ratschlag hinsichtlich ihrer nicht gerade bühnenreifen Darbietung als Sexgespielin auf. Es waren also doch ein paar Leute mehr Zeugen ihres jämmerlichen Auftrittes geworden, als sie in ihrer Verlegenheit und dem Wunsch, schnellstmöglich von dort wegzukommen, wahrgenommen hatte.
Aber was sollte es. Geschehen ist geschehen. Mit einem gleichgültigen Achselzucken und einem freundlichen Lächeln nahm sie die Anregungen hin und eilte rasch auf ihren Platz neben Dominique zurück.
Gerade beendete eine Truppe von insgesamt acht Männern ihren Ritterschaukampf. Maria war begeistert von der Präzision und dem sicheren Auftreten der Gruppe auf der großen Bühne. Wenn sie doch nur ein klein wenig davon gehabt hätte, als sie selbst ihren großen Auftritt hatte! Ein weiterer Gedanke flog ihr zu. Hoffentlich würde nicht auch noch Juliano der Liebesgott in das abendliche Programm eingebunden sein. Vor fremden Menschen konnte sie ihre Verlegenheit ja noch verbergen, aber ihm gegenüber würde das schon um einiges schwieriger werden.
„Maria, die Feuershow beginnt. Bin ja mal gespannt, was so geboten wird“, zog Dominique ihre Aufmerksamkeit auf sich. Mit einem verschmitzten Lächeln fügte er hinzu: „Wer weiß, vielleicht ist da ja einer dabei, der dein Herz erwärmen und dein Blut zum Kochen bringen kann.“ Maria zog die Nase kraus und warf ihm eine rasche Kusshand zu. Typisch.
Dominique war einen Kopf größer als Maria. Hatte dieselben dunklen Haare, die ihm weit in die Augen fielen. Seine Züge waren weich und freundlich, ebenso wie Marias. Nur eines unterschied die beiden: Dominique hatte die lachenden blauen Augen seines Vaters geerbt. Deren Blick lag nun erwartungsvoll auf seiner kleinen Schwester.
Die Lichter erloschen, und schon ging es los. Einer nach dem anderen betrat die Bühne. Schnell erkannte Maria, dass so ziemlich jeder, der nicht einen der Stände zu betreuen hatte, in der Show auftrat. Mit einem flauen Gefühl im Magen wanderte ihr Blick immer wieder zum Seitenaufgang der Bühne, über den jeder neuer Künstler eintrat.
Nach einer halben Stunde war es so weit. Maria stockte der Atem. Dominique begann laut zu lachen und klopfte sich auf die Oberschenkel, als er Marias Reaktion auf den leicht bekleideten Mann mit der Maske bemerkte, der gerade im Begriff war, die Bühne zu betreten.
Da ansonsten alles recht ruhig war und Dominique der Einzige zu sein schien, der sich bei seinem Anblick köstlich amüsierte, richtete Juliano sein Augenmerk auf ihn. Sofort erkannte er in ihm jenen Mann, den er erst vor wenigen Stunden am liebsten getötet hätte. Dann fiel sein Blick auf die Frau, die ihm gegenübersaß, und in seinen Adern begann erneut ein Feuer zu lodern.
Das Objekt seiner Begierde unmittelbar vor Augen, trat er, mit brennenden Fackeln in Händen, in die Mitte der Bühne und verharrte dort still. Die Trommler gaben den Takt vor. Eigentlich sollte er jetzt mit seiner Vorführung starten, aber noch immer galt Julianos Interesse der Frau. Erst als das Trommeln lauter wurde, besann er sich und begann.
Es war wirklich eine Darbietung erster Klasse, die er auf der Bühne bot. Mit nacktem Oberkörper, barfuß, und mit der unverkennbaren Maske im Gesicht ließ er das Feuer in seinen Händen tanzen. Marias Mund wurde trocken. Das Zusammenspiel von stählernen Muskeln, verbunden mit dem Tanz des Feuers, erweckte sowohl ihre Sinne als ihre Fantasie. Würde er sie jetzt, nach diesem einzigartigen Schauspiel seines Körpers mit den lodernden Flammen, in sein Zelt entführen, wäre sie sicher in der Lage, eine ebenso glaubhafte Vorstellung abzuliefern wie so manch andere Frau vor ihr. Davon war Maria fest überzeugt.
Enttäuscht und mit einem leisen Seufzer auf den Lippen sah sie dabei zu, wie Juliano eiligen Schrittes die Bühne verließ und hinter der Absperrung verschwand. Dominique schmunzelte, als er Marias verhaltenen Seufzer vernahm. Schnell erkundigte er sich, ob sie auch noch etwas zu trinken wollte, und erhob sich rasch.
***
Fünf Minuten lang stand Dominique neben der Absperrung und wartete, bis Juliano endlich erschien. Freundlich lächelnd streckte er dem Liebesgott die Hand entgegen.
„Hallo, ich bin Dominique, der Bruder dieser miserablen Schauspielerin von heute Nachmittag. Ich hoffe, meine kleine Schwester hat deine Show nicht vollkommen ruiniert, und du verzeihst ihr diesen peinlichen Auftritt. Anfangs ist sie immer ein wenig schüchtern, aber wenn du es noch einmal mit ihr versuchen willst, bin ich mir sicher, dass sie sich beim nächsten Mal nicht mehr ganz so hilflos anstellen wird. Obwohl, versprechen kann ich es nicht. Sie war schon immer anders als alle Mädchen, die ich kenne. Aber wie gesagt, ich bin nur ihr Bruder und habe keine Ahnung, was da heute in ihrem Kopf vorgegangen ist.“
Lächelnd entfernte er sich und bezog Stellung hinter der längsten Schlange, die sich vor einem der Stände gebildet hatte. Er wollte nur klarstellen, dass die Bahn frei war und Juliano sich keinesfalls Sorgen machen musste, einem Freund oder Ehemann in die Quere zu kommen. Er für seinen Teil würde nicht im Wege stehen.
Maria hatte schon lange keinen Freund mehr, und wenn er das richtig verstanden hatte, auch noch nie so wirklich guten Sex gehabt. Es würde ihr guttun, einmal wieder jemanden in ihrem Bett zu haben. Und was gäbe es für eine bessere Gelegenheit für haltlosen, ungezwungenen Sex, als mit einem Fremden, der spätestens in drei Tagen sein Zelt abbrechen und in eine andere Stadt ziehen würde?
Julianos Blick am Nachmittag und auch vorhin auf der Bühne ließ ihn vermuten, dass dieser etwas Ähnliches dachte oder zumindest nicht abgeneigt schien, sich ihr nochmals zu nähern. Was wäre er für ein Bruder, wenn er dabei nicht behilflich wäre? Also stellte er sich gemächlich ganz hinten an und hatte auch überhaupt kein Problem damit, wenn es jemand besonders eilig hatte und sich vordrängelte.
***
Ich bin der Bruder dieser miserablen Schauspielerin. Ich bin mir sicher, dass sie sich beim nächsten Mal nicht mehr ganz so hilflos anstellen wird. Ich bin der Bruder. Beim nächsten Mal. Bruder … beim nächsten Mal …, hallten Dominiques Worte in Julianos Kopf.
Langsam ließ er seinen Blick in Richtung der Tische schweifen. Da saß sie. Sah fasziniert und lächelnd zugleich auf die Bühne und bewunderte die Feuertrommler, die einen einfachen, aber dennoch einnehmenden Takt vorgaben. Sein Blut setzte sich augenblicklich in Bewegung, begann zu kochen und schoss mit Vollgas durch seine Adern. Sein Herz pochte laut und unregelmäßig, beinahe schon im Takt der Trommeln.
Ohne genau zu wissen, was er da tat, setzte auch er sich in Bewegung. Einen Fuß vor den anderen, getrieben von einer unsichtbaren Macht, die ihn unbarmherzig zu ihr hindrängte. Schon war er am Ziel. Direkt vor ihr blieb er stehen. Wie schon am Nachmittag verneigte er sich tief, ergriff ihre Hand und hauchte einen zarten Kuss darauf.
Maria reagierte nicht, sah ihn nur an. Ihre Gedanken spielten ihr einen Streich. Sie sah, wie sie beide eiligen Schrittes zu seinem Zelt rannten. Dort angekommen, riss er sich die Hose vom Leib und die Maske vom Gesicht. Dann machte er sich daran, ihr Shirt ganz langsam nach oben zu schieben und …
„Hallo, ich bin Juliano. Darf ich mich zu dir setzen, bis dein Bruder wiederkommt?“ Maria sprach kein Wort. Dafür überzog ein leuchtendes Rot ihre Wangen, und sie hoffte aus ganzem Herzen, dass er dadurch nicht ihre Gedanken erraten konnte.
Noch einmal versuchte er sein Glück. „Darf ich mich setzen?“
„Aber sicher doch, bitte“, antwortete Maria nun endlich.
Kaum, dass er saß, musterte er sie aus unergründlichen, dunklen, ja, beinahe schwarzen Augen hinter der Maske, die keinen Schluss darüber zuließ, was er gerade dachte, oder von ihrem neuerlichen Zusammentreffen hielt.
„Woran hast du gerade gedacht?“, wollte er als Nächstes wissen, was Maria erneut die Schamröte ins Gesicht trieb. Wissend begann er zu lächeln und senkte leicht den Kopf. Nun hatte er genau das vor Augen, was er schon am Nachmittag gehofft hatte, in voller Pracht sehen und liebkosen zu dürfen.
Mit weit aufgerissenen Augen fuhr sein Kopf rasch wieder nach oben, und schwer schluckend fixierte er eisern ihre Augen. Maria war sein Verhalten nicht entgangen und sie schnappte hörbar nach Luft. Entschuldigend lächelte er, was sie noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte.
„Wie heißt du?“
„Nimmst du die Maske ab, wenn ich es dir sage?“
Seine Hand fuhr umgehend hoch, als wolle er sich davor schützen, dass ihm diese jemand entriss.
„Nein“, kam es klar und bestimmt.
Maria zuckte gleichgültig mit den Schultern und antwortete nun ihrerseits: „Dann tut mein Name auch nichts zur Sache.“
„Warum, du kennst doch auch meinen?“
„Genau, ich kenne deinen Namen, du meinen nicht. Dafür kennst du mein Gesicht, ich deines nicht. Ausgleichende Gerechtigkeit, würde ich also mal sagen.“
Lächelnd nahm er ihre Antwort hin. Er hatte diese Frau unterschätzt. Sie erregte all seine Sinne, er die ihren wohl auch, wie er ihrer vorangegangenen Reaktion entnehmen konnte. Dennoch war sie ebenso diszipliniert wie er selbst. Ließ sich nicht überrumpeln und blieb eisern ihrem Weg treu. Genauso wie er.
Was für eine fantastische Verbindung! Beinahe zu schade für eine einzige Liebesnacht. Aber mehr konnte er ihr nicht bieten. Nur eine unvergessliche Nacht in seinem Zelt, laut seinen Namen schreiend, sodass ein jeder auf dem Festplatz wusste, dass er, Juliano der Liebesgott, seinem Namen und Ruf mal wieder gerecht geworden war.
Nein, das hier wird anders verlaufen, entschied er ruhig. Auch wenn ihm nur diese eine Nacht mit ihr vergönnt war, sollte dies nicht in seinem Zelt stattfinden, wonach ihr jeder Blick folgen würde, in dem Wissen, dass sie gerade von ihm beglückt worden war. Ihrer beider Vereinigung sollte ein für immer gut gehütetes Geheimnis bleiben.
***
Ende der Leseprobe
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Texte: J.J. Winter
Bildmaterialien: Jasmin Waisburd & Bigstockphoto.com
Lektorat: Iris Bachmeier
Tag der Veröffentlichung: 04.08.2014
Alle Rechte vorbehalten