Cover

Böse Konsorten

 

 

 

Gehetzt blickte Julia sich um. Im schwachen Mondlicht war kaum etwas auszumachen. Ihr Atem beschleunigte ebenso wie der Herzschlag, als ihr bewusst wurde, dass sie an den Armen gefesselt mitten im dunklen Wald stand.

 

Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes entlockte ihr einen kleinen Angstschrei und die Vorahnung dessen, was auf sie zukommen würde, schnürte ihr die Luft ab.

 

 

Der Abend war lustig verlaufen. Ausgiebig hatten sie den Geburtstag von Julias bester Freundin in der beliebten Cocktailbar „ Come in“ gefeiert. Kurz vor Mitternacht entschied sie sich, alleine nach Hause zu fahren. Für den nächsten Tag stand eine schriftliche Prüfung an, die sie auf keinen Fall verhauen durfte.

Da ansonsten keiner Anstalten machte, sich auf den Rückweg zu machen, verabschiedete sich Julia und legte die kurze Strecke zum Wohnheim auf Sabrinas Fahrrad zurück.

 

Lächelnd trat sie in die Pedale und verschwendete keinen Gedanken an die dunkle Nacht. Vom Alkohol leicht beschwipst fand Julia es sogar schön, so alleine hier draußen mitten im Park. Ja, es gefiel ihr ausgesprochen gut. Plötzlich durchzuckte ein kurzer Schmerz ihren Körper und Dunkelheit senkte sich über ihre Gedanken.

 

Wann genau das gewesen war, konnte Julia beim besten Willen nicht sagen. Jedes Zeitgefühl ging in dem Moment verloren, als sich der brennende, unbeschreibliche Schmerz über die Wirbelsäule bis direkt ins Hirn fraß.

 

 

„Guten Morgen, Dornröschen. Hast du gut geschlafen?“

Erschrocken zuckte Julia zusammen und begann zu zittern. Eine grausame Kälte lag in der Stimme.

„Hast du Angst? Wenn ja, tust du gut daran. Denn du solltest wissen: Ich bin das Böse!“

 

Einige Minuten vergingen, in denen keiner der beiden sprach. Der Fremde setzte sich in Bewegung und kam langsam auf sie zu. Julias Angst steigerte sich ins Unermessliche. Klägliches Wimmern erfüllte die Stille. Es dauerte lange, bis Julia bewusst wurde, dass sie es war, die diese Töne von sich gab.

 

„Ich bin enttäuscht“, begann der Fremde und musterte sie ungeniert. „Ich dachte, ihr werdet bei eurem Psychologiestudium auf solche Situationen vorbereitet? Ist es nicht dein Ziel, die beste Profilerin deines Jahrganges zu werden? Tagtäglich die Abgründe des menschlichen Wahnsinns zu erforschen und Abschaum wie mich zu bekehren? Julia, Julia, Julia.“

 

Verwirrung verdrängte die Angst und Julia riskierte einen genaueren Blick auf den Mann, der nur wenige Meter vor ihr stehengeblieben war. Er kannte ihren Namen und wusste genau, was sie tat. Verdammt noch mal, wer war der Kerl und was wollte er von ihr? Gehörte dies am Ende zu ihrer Ausbildung? Wurde sie auf die Probe gestellt? Ein kleiner Test, dem sie im Auftrag der Abteilung unterzogen werden sollte? Argwöhnisch richtete sie ihre erste Frage an ihn: „Was willst du?“

 

„Ich brauche deine Hilfe, Julia. Ich bin böse, und nur du kannst mich retten“, hauchte er beinahe zärtlich und trieb damit einen unerwarteten Schauer über Julias Rücken.

 

Ungläubig legte sie den Kopf schräg und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Meinte er diesen Unsinn ernst, oder war er nur ein erstklassiger Schauspieler? Ihr Schicksal in den eigenen Händen? Was für ein abgekartetes Spie! Die Unsicherheit blieb, dennoch erwachte Julias Kampfgeist und sie entschloss sich zu kämpfen, als ginge es tatsächlich um ihr Leben.

 

Angestrengt begann sie mit der Analyse. Es musste einen Ausweg geben. Für jedes Problem gab es eine Lösung. Sie musste nur die richtige finden. Das war es, was sie in den letzten drei Jahren ihres Psychologiestudiums jeden Tag zu hören bekommen hatte.

Es gibt für alles eine Erklärung. Auf die eine oder andere Art ist jedes Rätsel zu knacken. Suche den Ansatz, zersplittere ihn, folge den Fasern und setze sie wieder zusammen. So wirst du zum Kern des Problems vorstoßen.

 

All ihren Mut nahm Julia zusammen und flüsterte: „Das glaube ich nicht.“

„Ach nein?“

„Nein! Niemand ist von Grund auf schlecht. In jedem steckt etwas Gutes, auch in dir. Du musst es nur zulassen.“

 

„Hast du eine Ahnung, was ich bin?“, erkundigte er sich als Nächstes. Julia verneinte. Die Räder in ihrem Kopf drehten sich unentwegt. Was ich bin, waren seine Worte - nicht wer ich bin, wiederholte sie ständig.

 

„Du hast recht. Ich war nicht immer böse.“ Julia nickte heftig. Der erste Hoffnungsschimmer zog am Horizont auf.

 

„Ich könnte dir meine Geschichte erzählen. Natürlich nur, wenn du willst“, fügte er höflich hinzu. Respektvolles Auftreten. Noch ein Grund mehr, die Hoffnung nicht fahren zu lassen.

 

„Du wirst mich hassen“, grinste er. „Aber weißt du was? Das ist mir egal. Ich verspüre Lust zu reden. Mich dir zu offenbaren. Du sollst als einziges lebendes Wesen daran teilhaben. Du bist stark. Ich sehe es an deiner Haltung, die du tunlichst zu wahren versuchst. Das gefällt mir. Du hast die Wahrheit verdient. Und wer weiß, vielleicht findest du ja die richtigen Worte, mich vom Gegenteil zu überzeugen, damit ich dich laufen lasse.“

 

„Das werde ich!“, blaffte Julia und streckte energisch das Kinn vor.

 

„Du gefällst mir. Es könnte spaßig werden.“ Lachend trat er näher. In Windeseile löste er die Fesseln an ihren Handgelenken und bedeutete ihr, sich auf den Boden zu setzen. „Bemüh dich nicht zu fliehen. Du würdest nicht weit kommen.“ Da war sie wieder, die Kälte in seiner Stimme. Sie ließ Julias schon zu Beginn ihrer kleinen Unterhaltung das Blut in den Adern gefrieren.

 

„Wie heißt du?“ Schon früh war ihr beigebracht worden, eine persönliche Verbindung zu dem Täter aufzubauen. Und sein Name war der Schlüssel.

„Santos, und nun höre genau zu“, antwortete er freundlich. Julia jubilierte.

 

 

„Es geschah an einem milden Sommerabend im Jahr 1321 in der Nähe von Athen. Ich war eines von sieben Kindern und unsterblich in ein Mädchen aus dem Nachbardorf verliebt.“

 

Ungläubig verzog Julia den Mund. Wollte er sie verarschen? Ein Fake, eindeutig ein Fake, um von seiner Unsicherheit abzulenken. Aber gut. Sie würde auf die Charade eingehen, was blieb ihr anderes übrig.

 

„Eine Woche vor unserer Vermählung stand ein Fremder vor der Tür. In letzter Zeit machten Gerüchte über Angriffe von wilden Tieren die Runde. Erst vor drei Tagen hatte eine Gruppe Wölfe eine ganze Familie in einem kleinen Dorf, etwa drei Stunden östlich, ausgelöscht.

Der Mann bat um Einlass, also willigte mein Vater ein.

 

Der Fremde war freundlich und meine Schwestern sofort von ihm angetan. Er erzählte eine Weile von seinen Reisen und was er dabei alles gesehen hatte.

Ich erinnere mich noch, dass mich das sehr verwunderte, immerhin konnte der Mann kaum älter als fünfundzwanzig sein.

Ruhig und gesittet aß der Mann, der sich als Allmar vorgestellt hatte, das Wenige, das wir ihm anbieten konnten. Alsbald schlug er sein Nachtlager auf und legte sich neben den Geschwistern auf den Boden. Damals waren die Häuser klein und der Fußboden das Einzige, das einem Fremden zum Schlaf angeboten werden konnte.

 

Ein paar Stunden waren vergangen, als ich von einem eigenartigen Geräusch geweckt wurde. Es hörte sich an, als ob jemand schmatzen würde. Ich versuchte etwas zu erkennen, aber die Nacht war rabenschwarz. Saphira schrie plötzlich auf und es entstand einiger Tumult.“

 

Gebannt verfolgte Julia jedes Wort. So erschreckend und unmöglich seine Geschichte auch war, er zog sie damit in seinen Bann.

 

„Stühle und der Tisch wurden umgeworfen, und ein grauenhaftes Knurren erfüllte den Raum. Servil, meinem jüngeren Bruder, gelang es, die Öllampe zu entzünden. Und da sahen wir es. Jener Mann, den wir zu schützen glaubten, hing gebeugt über der jüngsten Schwester, deren Augen leer waren. Das Gesicht des Fremden war über und über mit Blut verschmiert. Neben den beiden lagen zwei der Brüder reglos auf ihren Decken. Sie waren ihm als Erste zum Opfer gefallen.

 

Vater und Mutter stürmten in die Küche. Im selben Moment sprang der Fremde mit einem unglaublichen Satz auf Servil, der die Lampe in der Hand hielt. Die Decken fingen sofort Feuer und es griff schnell auf das Strohdach über.“

 

Gänsehaut überzog Julias Körper und der Geruch beißenden Rauches stieg ihr in die Nase.

 

„Zusammen mit meiner Mutter und Athene rannte ich nach draußen. Vater war direkt hinter uns. Ich konnte hören wie seine Knochen brachen, als er zu Boden ging. Nur Augenblicke später war uns jemand auf den Fersen. Kurz vor dem kleinen Wäldchen holte er uns ein.

 

Hilflos musste ich mit ansehen, wie dieses Scheusal zuerst meiner Mutter das Genick brach und dann meine Schwester aussaugte. Verzweifelt versuchte ich, mich zu befreien. Allmar hatte mich jedoch fest im Griff und ließ mich zwanzig Zentimeter über dem Boden, an seinem ausgestrecktem Arm, baumeln.

Der Druck um meine Kehle wurde zunehmend stärker. Ich wehrte mich nach Leibeskräften, aber der Mann lachte nur. Mein Widerstand gefiel ihm und mit glühenden Augen verkündete er: ‘Ich glaube, ich werde dich behalten. Ich bin schon lange alleine. Ein kleines Schoßhündchen wäre genau das Richtige für mich.‘

Du kannst dir nicht vorstellen, was in diesem Moment in meinem Kopf vor sich ging. Ich wollte schreien, auf ihn einschlagen, ihn töten. Aber nichts von alledem tat ich. Mein Körper war wie gelähmt. Bewegungsunfähig hing in an seinem ausgestrecktem Arm und wartete.“

 

Mitleid stand in Julias Augen und für einen Augenblick war sie versucht, die Hand nach ihm auszustrecken, um ihn zu trösten.

 

„Er versenkte seine Zähne in meinem Hals. Bis zu dem Moment hatte ich noch nie einen solchen Schmerz verspürt. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, bis ich keine Kraft mehr hatte. Kurz spürte ich noch, wie etwas Warmes meine Kehle hinunterrann. Dann wurde es schwarz.“

„Atmen!“, befahl er barsch.

 

Erschrocken fuhr Julia hoch. Bei seiner Erzählung hatte sie flacher geatmet. Letztendlich ganz darauf verzichtet.

 

„Wenn du wissen willst, wie meine Geschichte weitergeht, solltest du besser darauf achten, dass du am Leben bleibst. Kalt nützt du mir nichts.“

Julia begnügte sich mit einem Nicken und sog kräftig ein paar Mal die Luft ein.

 

„Fünf Tage später erwachte ich. Feste Mauern und modriger Geruch umgaben mich. Verstört sah ich mich in dem Raum um. Da war er wieder. Schneller als ich schauen konnte, stand er vor mir, öffnete sein Handgelenk und presste es auf meinen Mund.

Reflexartig wehrte ich ihn ab, aber schon nach einem Schluck war es geschehen. Ich wollte mehr, sehnte mich nach dem süßlichen Geschmack und herrlichen Geruch, der mich umgab. Fest umklammerte ich den Arm meines Schöpfers, wie ich später erfuhr, und sog das köstliche Gut in mich hinein.

‘So Kleiner, nun weißt du, was du zu tun hast, wenn du leben willst. Ich bin dein Meister und du wirst tun, was ich dir befehle.‘

 

Stunden vergingen. Vom Schöpfer kein Zeichen. Unbändiger Durst stieg in mir hoch, den ich nicht stillen konnte. Die Tür zu meinem Verließ war fest verschlossen. Erst am nächsten Tag öffnete sie sich und der Meister schleifte ein junges Mädchen hinter sich her. Verächtlich warf er es vor mir auf den Boden.

‘Du hast Durst, mein Sohn. Bitte schön. Es ist angerichtet. Töte sie!‘

 

Die Augen weit aufgerissen, starrte ich auf das Wesen vor meinen Füßen. In Tränen aufgelöst, mit zittriger Stimme flüsterte sie: ‘Santos, was geht hier vor. Bitte hilf mir.‘“

 

Er stoppte in seiner Erzählung und blickte traurig auf Julia nieder. Diese schluckte heftig und suchte nach Worten. Eine Vorahnung dessen, was er ihr sagen würde, überfiel sie.

 

„Ich weiß bis heute nicht, ob er es wusste, oder es einfach nur Zufall war. Aber das Mädchen war Kassiepeia, meine Braut. Für ein paar Minuten konnte ich meinem Drang wiederstehen. Ignorierte den brennenden Schmerz in meinen Lungen, während ihr unwiderstehlicher Duft mich umspielte. Standhaft betrachtete ich die Tränen in ihrem Gesicht und zwang mich, ständig daran zu denken, dass es Kassiepeia war, die vor mir lag und um ihr Leben bettelte.

 

Ich wollte sie retten. In meine Arme schließen und beschützen. Zu allem entschlossen trat ich auf sie zu, presste sie fest an meine Brust und … versenkte meine Zähne in ihrem zarten, geschmeidigen Nacken. Drei Minuten später war sie tot und das Monster geboren, das seitdem in mir schlummert.“

 

Erneut hielt er inne und betrachtete Julias versteinertes Gesicht. Er hätte einiges dafür gegeben zu erfahren, was in ihrem Kopf vor sich ging. Bemüht, ein Lächeln zu unterdrücken, sprach er weiter.

 

Er berichtete darüber, wie er die nächsten Jahre mit seinem Meister durch die Gegend zog. Ihm wurde schnell klar, dass dieser anders war. Allmar war rücksichtslos und interessierte sich nicht dafür, ob er auffiel. Nahm sich jeden, der ihm über den Weg lief. Egal ob Männer, Frauen oder Kinder. Er schreckte vor nichts zurück.

 

„Es gab Tage, da versuchte ich mich selbst zu töten. Das Grauen, von dem ich fortan begleitet wurde, zerfraß meinen Verstand.

 

Dann kam ich endlich hinter sein Geheimnis. Allmar war kein gewöhnlicher Vampir, sondern der Sohn eines Urvampires und einer Dämonin. Diese Verbindung war einzigartig und vor allem nicht gewaltfrei zustande gekommen.

 

Zwei Jahre lang hielt Costas, Allmars Vater, die Tochter des ranghöchsten Dämons der Gegenwelt in einem unterirdischen Verließ gefangen. Vergewaltigte sie auf bestialische Art und Weise an jedem einzelnen Tag. Nur zu dem einen Zweck, sie zu schwängern und einen einzigartigen Sohn zu zeugen. Als die Zeit reif war, handelte er seinem kranken Wesen entsprechend. Mit Zähnen und bloßen Händen arbeitete er sich bis zur Gebärmutter vor, entriss ihr das Neugeborene und ließ sie sterbend zurück.

 

Er wollte nur dieses Kind. In der Vorstellung, eine neue, alles beherrschende Lebensform geschaffen zu haben, etwas Mächtiges und Grauenhaftes, das in der Lage war, seinen Platz ganz oben einzunehmen, zog er ihn auf. Fünfhundert Jahre später wurde er dafür gepfählt und sein neu erschaffenes Monster auf die Menschheit losgelassen.

 

Es dauerte sehr lange, bis ich verstand. Mein Meister akzeptierte sein Dasein als das, was es war. Ausgestattet mit einer überlegenen Macht, erschaffen um zu töten. Keine Schuldgefühle, kein Erbarmen, keine Reue. Ich passte mich an. Lernte von ihm, und was soll ich dir sagen? Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Heute bin ich frei. Frei von jeder Form von belastenden Gefühlen und Emotionen. Ich wurde selbst zu einem Monster.“

 

 

Glanz trat in seine Augen und Julia fuhr entsetzt zurück. Amüsiert verfolgte er ihre Reaktion. „Siehst du? Nun hast du doch Angst vor mir. Du weißt, dass es keine Rettung für dich und mich gibt. Ich bin abgrundtief böse!“

 

Julias Gedanken überschlugen sich. Beinahe konnte er hören, wie sie eine Idee nach der anderen überdachte und wieder verwarf. Ein feines Schmunzeln glitt über seine Züge. So sehr er sich auch bemühte, konnte er es nicht verhindern.

 

Julia war mit allem durch, dass ihr nützlich erschien. Ihr Plan sah wie folgt aus: Ihn mit der Wahrheit konfrontieren, ihn damit aus dem Konzept bringen. Die Grundlage für sein Vorhaben zerstören. Die Rechtfertigung, die er sich für seine Tat zurechtgelegt hat, zerpflücken und als unwahr widerlegen. Und zu guter Letzt an seine Menschlichkeit appellieren. Genau, so würde es funktionieren. Er versuchte, sie mit seiner Geschichte für dumm zu verkaufen. Es gab keine Vampire. So ein Schwachsinn.

 

„Nein, ich fürchte mich nicht vor dir. Dafür gibt es keinen Grund.“ Santos‘ Augenbrauen fuhren nach oben. Sein Blick zeugte von Überraschung. Julia nahm dies alles im Bruchteil einer Sekunde auf. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Zudem war er recht nahe.

 

„Es gibt keine Vampire. Das weißt du genau so gut wie ich. Auch bist du nicht im 14. Jahrhundert geboren. Du bist gerade einmal zwei Jahre älter als ich. Dein Meister, wie du ihn nennst, ist eine Erfindung. Du suchst verzweifelt nach einer Ausrede für dein Verhalten. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob du überhaupt schon einen Menschen getötet hast. Ich denke eher, du bist noch auf der Suche. Das ist der Grund, warum du mich um Hilfe bittest. Du hoffst, dass ich dir einen Grund gebe, es nicht zu tun.“

 

Nach außen hin völlig ungerührt, lauschte er ihren Worten. Die Kleine war süß, eine richtige Kämpfernatur. Welch ein Glück, dass er sich für sie entschieden hatte und nicht für die alternde Kellnerin, die eine halbe Stunde zuvor durch den Park marschiert war.

 

„Oh Gott. Du ahnst ja gar nicht, wie sehr ich mir wünsche, dass du recht hättest“, flüsterte er augenscheinlich beklommen.

 

Julia sah sich am Ziel. Nur noch ein kleines Stück und er würde aufgeben. Sie laufen lassen. Vielleicht würde es ihr sogar gelingen, ihn zu überreden, sich der Polizei zu stellen. Selbstsicher beugte sie sich etwas vor und blickte direkt in seine dunklen Augen.

 

„Ich habe recht. Vertrau mir. Du bist kein Vampir. Sie sind eine Erfindung der Filmindustrie. Es ist nicht real. Du hast dich in etwas reingesteigert und denkst nun, dass es Wirklichkeit ist. Aber so ist es nicht. Du bist kein Blutsauger und auch kein Mörder.“

 

Der Fremde erhob sich und trat einen Schritt zurück. „Du bist stark. Aus dir könnte wirklich eine gute Profilerin werden. Es gibt da nur etwas, auf das sie euch bei der Ausbildung nicht vorbereitet haben.“

 

Julia sprang ebenso hoch: „Auf was?“

 

Ein lang gezogener, schmerzerfüllter Schrei verhallte ungehört im dunklen Wald. Das Letzte, das sich in Julias Gedächtnis brannte, waren drei Worte, bevor sich rasiermesserscharfe Zähne in ihren Nacken bohrten.

 

„Auf die Wahrheit!“

 

 

ENDE

Impressum

Texte: Traum Faenger
Bildmaterialien: Traum Faenger - Bild von Pixapay
Lektorat: Marcel Porta
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Marcel Porta - für seine wunderbare Unterstützung.

Nächste Seite
Seite 1 /