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Ich renne. Und renne immer weiter. Neben höre ich Alex keuchen. Seit ich Alex kenne, und das ist schon ziemlich lang, bin ich der bessere Läufer gewesen.
Warmer Abendwind schlägt mir ins Gesicht und die untergehende Sonne taucht mich und alles rings um mich herum in eine Mischung aus warmen Safrangelb und triefenden Blutrot.
Nur wenn ich laufe, kann ich alles um mich vergessen. Das Elend. Die Einsamkeit. Alex.
Nach der großen Katastrophe sind viele Menschen fortgegangen, denn hier gab es fast nichts mehr, was sie hier hielt. Doch ich bin nicht gegangen, weil der Sonnenuntergang hier einfach magisch ist. Meine Eltern wollten auch nicht weg. Zu viele Erinnerungen halten sie an diesem Ort fest. Und Alex ist wegen mir nicht gegangen.
Ich liebe es, der untergehenden Sonne entgegen zu laufen, die sich glitzernd auf dem Meer spiegelt. Als ich endlich den Sand unter meinen Füßen spüre, halte ich inne und genieße die letzten warmen Sonnenstrahlen. Alex steht jetzt auch neben mir, immer noch außer Atem.
Langsam verschwindet die Sonne nun hinterm Horizont und die Dunkelheit streckt nun unbarmherzig ihre düsteren, kalten Arme nach allem, was sie finden kann, aus. Ich merke, wie ein Schauer meine Arme und Beine entlang fließt. Dann spüre ich den sanften Druck von Alex Hand, die meine festhält. Für Außenstehende mag es zwar so wirken, dass Alex und ich mehr sind als nur Freunde, doch das stimmt nicht. Alex ist für mich wie ein Bruder. Er war schon meine ganzes Leben da und wird es auch immer sein. Hoffe ich.
Es ist nun fast ganz dunkel und er drängt mich: „Sally, nun komm schon! Morgen laufen wir doch wieder hier her. Ich hab schon überall Frostbeulen!“ Seufzend werfe noch einen letzten Blick auf das Meer, das nun dunkel und bedrohlich wirkt. Alex ist mir schon ein ganzes Stück voraus, aber ich mache mir keine Sorgen, dass ich ihn nicht einholen werde.
Wir wohnen am Ende der großen Straße, die einmal durch die ganze Stadt führt, in einem, für hiesige Verhältnisse recht großem Haus, dass aber leider durch die Katastrophe einige Schäden erleiden musste. Zum Beispiel schließt die Haustür nicht ganz richtig, bei meinem Zimmer gab es mal einen Balkon, der jetzt jedoch in Kleinteilen im Garten liegt und es gibt kein fließend warmes Wasser.
Wenn man warm duschen will, muss man zuerst Holzscheite aus dem Schuppen holen und den Ofen anfeuern.
Endlich erreiche auch ich unser Haus, wo mir schon eine freudenstrahlende Bell entgegen rennt. „Schau mal, Sally! Schau mal, was Alex mir Schönes vom Strand mitgebracht hat!“ Sie hält ein kleines Schneckenhaus in die Höhe, dass in den schönsten Rosatönen schillerte. „Auch noch in Rosa, deiner Lieblingsfarbe!“ Ich finde, Bell sieht einfach so süß aus, wenn sie sich freut.
„Ich weiß halt, was den Frauen gefällt!“ Sein verschmitztes Lächeln bemerke ich schon, bevor ich es sehe. Bell betet Alex an, manchmal erzählt sie mir auch, wie wohl ihr Haus und ihre gemeinsamen Kinder aussehen würden.
Die Kleine lief schon wieder ins Haus, ich wollte es ihr nachtun, als Alex mich zurück hielt. „Halt, Sally, warte mal!“ Alles Kindische und Trottelige verschwindet aus seiner Stimme, sodass sie nun sehr männlich und rau klingt. „Für dich habe ich auch noch was.“ Er nimmt meine Hand und legt etwas hinein. Als ich hinsehe, entdecke ich einen Stein, der sich fremd und zugleich vertraut in meine Handfläche schmiegt.
Doch bevor ich meine Verwunderung über ein solches Geschenk zum Ausdruck bringen kann, flüstert Alex: „Sieh genau hin!“ Ich spüre seinen heißen Atem in meinem Gesicht und erst da merke ich, wie nah er bei mir steht. Ich öffne meine hand vollständig und bemerke, dass das nicht irgendein Stein ist, sondern ein Herz. „Ich, ähm, danke, Alex.“
Ich sehe ihm direkt in die grünen Augen, die mich nun wie Smaragde aus seinem erwartungsvollem Gesicht anfunkeln. „Ähm, ich hoffe, es gefällt dir.“, sagt er, als er meinen verwirrten Gesichtausdruck sieht.
„Noch mal danke, Alex, er ist wunderschön!“, bringe ich stammelnd hervor. Da ruft meine Mutter, dass wir endlich hereinkommen sollen, um den Tisch zu decken. Abrupt wende ich mich von im ab, gehe Richtung Haus und Alex folgt mir schweigend.
Am Tisch sitzen wir dann alle schweigend da, man hört nur die Gabeln auf den Tellern kratzen und Kaugeräusche.
Danach bringe ich Bell ins Bett, lese ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vor, warte bis sie eingeschlafen ist und schleppe mich darauf erschöpft in mein eigenes Zimmer.
Während des gesamten Abends haben Alex und ich nicht mehr miteinander geredet, sondern nur schweigend kleine Blicke ausgetauscht.
Als ich endlich im Bett liege, höre ich draußen die Grillen zirpen und von nebenan das vertraute Schnarchen von Alex. Ich will noch überlegen, was jetzt mit ihm und mir ist – gibt es überhaupt ein Alex und ich? -, fallen mir die Lider zu und versinke in einen tiefen Schlaf.

Dam- dam- dadam- dam- dam- dadam...
Der Hochzeitsmarsch. Ich schreite auf den Altar zu, wo schon der Priester und ein Mann warten. Der Mann dreht sich nun zu mir um und ich erkenne sein Gesicht. Es ist Alex. Ich heirate Alex.
Plötzlich verschwimmt alles vor meinen Augen und eine neue Szenerie bildet sich. Ich sehe zwei kleine Kinder, die lachend miteinander auf einem Spielplatz spielen. Ein Mädchen und ein Junge. Ich schätze sie auf etwa vier Jahre. Ich sitze im Gras auf einer Picknickdecke und neben mir sitzt Alex, der gerade etwas den beiden Kindern zu ruft. Ich kann nicht genau verstehen, was er sagt. Ich habe das Gefühl Watte in den Ohren zu haben. Als die beiden nun freudestrahlend in unsere Richtung laufen, wird mir klar, dass das meine eigenen Kinder sind. Die Kinder von Alex und mir.
Wieder verschwimmt alles vor meinen Augen und jetzt kann ich das Meer sehen. Ich sitze auf einer alten Bank und als ich meinen Kopf zur Seite drehe, sitzt neben mir Alex. Nein, nicht direkt Alex. Eine Opa Version von ihm, die mich nun warmherzig anlächelt und meine hand ergreift, um sie sanft zu drücken.
Ich blinzele und meine Augen müssen sich erst wieder an das helle Licht gewöhnen. Als ich endlich außerdem meinen Orientierungssinn wiedergefunden habe, schaue ich mich um und bin erleichtert. Ich bin in meinem Zimmer.
Ich lasse den Traum in Gedanken noch einmal Revue passieren und frage mich: Würde so meine Zukunft mit Alex aussehen? und Will ich überhaupt eine gemeinsame Zukunft mit Alex?
Wie jeden Tag gehe ich zuerst eine Runde laufen und zwar ohne Alex. Der schläft nämlich noch tief und fest. Ich atme die frische Morgenluft tief ein. Ein weitere meiner Lieblingsbeschäftigungen.
Doch diesen Morgen riecht die Luft nicht wie immer. Sie riecht zwar immer noch nach Maiglöckchen, frischem Gras und Meer, aber da ist noch etwas anderes. Ich kann diesen Geruch nicht beschreiben.
Doch, jetzt fällt es mir ein. Ich war mal im Krankenhaus, weil ich mir das Bein gebrochen hatte und dort hatte es genauso gerochen, wie jetzt hier. Nur, dass der Geruch hier nicht so penetrant ist.
Fremde Gerüche bedeuten nichts Gutes. Denke ich zumindest. Denn als die große Katastrophe sich hier ereignete, lag ein Hauch von Metall in der Luft.
Ich denke mir nichts dabei und laufe einfach weiter. Da höre ich ein Surren, das nicht wie das von den Grillen oder Zikaden klingt. Das Surren wird immer lauter. Und lauter. Bald ist es schon so laut, dass ich stehen bleiben muss, um mir die Ohren zu zuhalten.
Panisch sehe ich mich nach der Ursache dieses ohrenbetäubenden Lärm um, kann aber keine ausmachen. Der Lärm wird immer schlimmer und nun beginnt auch noch die Erde an zu vibrieren. Die eh schon baufälligen Häuser stürzen ein und selbst die Bäume knicken ein wie Streichhölzer. Ich stehe immer noch auf der Straße, zur Salzsäule erstarrt.
Jetzt bersten auch noch die Fensterscheiben und ich kann mich endlich aus meiner Erstarrung lösen, um mich hinter einem Schutthaufen in Sicherheit zu bringen. Denn genau an dem Punkt, wo ich vor einigen Sekunden noch stand, steckt jetzt eine tödliche Tirade aus Scherben und Kleinschrott. Ich muss keuchen, mein Herz schlägt so laut, dass man es eigentlich bis noch Hause hören müsste, und kalter Schweiß läuft mir den Rücken hinunter.
Ein gigantischer Sturm bricht aus und da sehe ich es.
Zuerst kann ich es nicht genau erkennen, weil mich das grelle Licht, das von dem Ding ausgeht, blendet, doch dann erkenne ich kleine Fenster und überall blinkt und flimmert es. Mit einem gewaltigen „Rumms!“ landet das Raumschiff. Zumindest vermute ich, dass es ein Raumschiff ist.
Wieder blendet mich ein helles Licht und mit einem Zischen klappt sich aus dem Inneren des Raumschiffs eine Rampe aus. Der Sturm tobt immer noch, doch nicht mehr so heftig wie gerade eben, weshalb ich nun etwas mutiger bin und mich weiter aufrichte, um mehr von dem Raumschiff und dem, was da gerade aus seinem Bauch herauskommt, zu sehen.
Ich höre sie, bevor ich einen von ihnen überhaupt sehen kann. Das rhythmische Getrampel von Soldaten dringt dröhnend an meine Ohren und zwar so laut, dass ich sie mir zuhalten muss. Als ich sie sehe, will ich mich abwenden, doch ich kann nicht. Mein Blick wird wie von einem hypnotisierenden Strudel von ihnen angesogen. Sie sind alle überirdisch schön, so schön, so unbeschreiblich schön. Doch obwohl sie alle so faszinierend und wunderschön sind, bleibt mein Blick an einem Jungen hängen. Wie alle sieht auch er abgrundtief, abnormal, paralysierend, abgöttisch, himmlisch gut aus, doch irgendetwas anderes fasziniert mich noch mehr, als sein Aussehen, doch ich weiß nicht was.
Doch. Seine Augen.
Trotz diesem kalten, herzlosen und leblosen Blick wirkte er nicht mürrisch oder gar böse, denn, sobald die Sonne sein Gesicht benetzte, brach in seinen Augen ein wahres Feuerwerk aus und sie funkelten um die Wette.
Ich merkte erst, dass ich in die ganze zeit anstarrte, als er mir sein Gesicht zuwendete und sein Blick sich geradewegs durchschaute.
Es fühlte sich an, als wäre sein Blick der Schlüssel zu meiner Seele und als würde er jetzt all meine großen und kleinen Geheimnisse kennen. Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt und sie kirschrot zu glühen beginnen. Endlich sieht er weg, sodass ich mich aus meiner Erstarrung lösen kann.
So schnell wie ich kann, und das ist bei meinen zitternden Beinen schwierig, renne ich nach Hause.
Am Eingang zum Garten kommt mir schon Alex entgegen und ich falle ihm erleichtert in die muskulösen Arme. „Zum Glück ist dir nichts passiert! Ich hab mir Sorgen um dich gemacht!“, nuschelt er in mein Haar. Ich drücke ihn noch einmal fester an mich und auch er hält mich fest. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen.
„Wie geht’s meinen Eltern? Ist mit Bell alles in Ordnung? Alex?“, fragte ich ihn, während ich versuchte meine Schluchzer herunterzuschlucken, was mir erwartungsgemäß schlecht gelingt.
„Denen geht es allen gut. Wir konnten uns rechtzeitig in den Keller flüchten, aber du... Was ist mit dir? Geht es dir gut?“ Sanft wischte Alex die Tränen mit einem Daumen von meinen Wangen und drückte mich noch einmal an sich.
Und da fließen die Worte nur so aus mir raus.
„Da, da ist ein Raumschiff....“ „Ein Raumschiff?“, fragt er ungläubig, doch ich ignoriere seine Frage. „Und dann ging dort eine Klappe auf und ganz, ganz viele Soldaten in so hautengen Raumanzügen sind dort herausgekommen und Richtung Krankenhaus gelaufen.“
Den Jungen mit dem magischen Blick ließ ich bewusst aus. Von ihm wollte ich Alex nicht erzählen. Dieser Moment, als er mich ansah, war so intim gewesen.
„Komm ich bring dich rein!“, sagt er, nimmt mich auf seine Arme und bringt mich wimmerndes Bündel ins Haus.
Drinnen lässt er mich auf das Sofa plumpsen und meine Mutter kommt sofort angeeilt. Vor Erschrecken keucht sie kurz laut auf, um darauf gleich wieder ins Schlafzimmer zu hasten und mir einen Berg an Decken zu holen.
Eigentlich wollte ich protestieren, doch da durchfuhr meinen ganzen Körper ein heftiger Schauer.
Ich musste alles immer wieder erzählen, weil es einfach so unglaublich klingt. Alle waren geschockt und meine Mutter wurde geradezu hysterisch. Wie in Trance sagte sie immer und immer wieder: „Raumschiff. Soldaten. Was wollen die bloß hier? O mein Gott!“
Das war das Letzte, was ich mitbekam, bevor ich zusammenbrach.

Als ich aufwache fühlt sich mein Kopf an, als würde er gleich platzen, und ich muss erst einmal die Augen schließen, damit ich mich nicht übergebe.
Ein wenig später geht es meinem Kopf so gut, dass ich Alex, der in meinem Sessel sitzt, ausmachen kann. Erfreut bemerke ich, dass er im Schlaf selig lächelt.
Ich will mich gerade so leise aufsetzen wie möglich, um Alex nicht zu wecken, mache aber dabei so viel Krach wie man nur machen kann und er dann doch auf.
„Dir geht es wieder besser.“ „Ja.“ Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.
Nach dem Frühstück geht es mir soweit so gut, dass ich meine Mutter überrede, dass ich eine Runde laufen gehen darf. Sie argumentiert zwar damit, dass das doch schlecht für meine Gesundheit ist, als ich aber sagte, dass das Laufen und die frische Luft bestimmt gut für mich sind, schweigt sie.
Ich habe Recht. Das Laufen und die frische Luft tun mir gut. Sie sind wie ein Jungbrunnen und erfrischen meine Seele.
Ich machte gerade eine Pause, um mich zu dehnen, als ich ihn sehe.
Er steht einfach nur da und starrt mich an.
Und ich starre zurück.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gehe ich einfach auf ihn zu. Zwei Meter vor ihm bleibe ich stehen und mein Blick wandert automatisch wieder zu seinen faszinierenden Augen.
„Hallo.“
Schweigen.
„Wer bist du?“, frage ich etwas forscher.
Ein Räuspern. „Flightcommander A14.“
„Heißt du so?“ Eine Weile Schweigen. „Ceev.“
„Was?“ „So heiße ich. Ceev.“
„Ich bin Sally.“ Und strecke ihm eine Hand entgegen.
Zögerlich ergreift er sie. Überrascht, dass ein so muskulöser Mann einen so sanften Händedruck hat, muss ich ihn einfach anlächeln.
Doch er lacht nicht zurück.
Mein Lächeln erstirbt.
„Wo kommst du her?“, frage ich. „Vom Planeten Pi- Delta 184.“
„Okay. Und was wollt ihr hier? Was wollt ihr von uns? Wieso zerstört ihr hier alles, nachdem wir gerade angefangen haben, so etwas wie Normalität zu entwickeln?“ Ich bin wütend und schreie ihn an.
„Wir sind mit einer Mission hier. Die kann ich dir aber nicht sagen.“, sagt er ganz nüchtern.
Genervt drehe ich mich um und will so schnell wie möglich weg von hier, als ich seine Hand um mein Handgelenk spüre. Er zwingt mich stehen zu bleiben und ihm direkt in die Augen zu sehen.
„Wir sind keine grausamen Monster, die alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt.“ Tränen fließen meine Wangen herunter. Ich muss schlucken.
„Ach nein? Warum tut ihr es dann?“
Er antwortet mir nicht, sondern streicht mir nur mit seinem Daumen die Tränen von meiner Wange. Diese Geste erinnert mich an Alex.
„Sally.“ Ich sehe, dass es ihn Überwindung kostet meinen Namen auszusprechen.
„Vertrau mir.“ Dann lässt er mich los und verschwindet.


Durch das tägliche Laufen geht es mir von Tag zu Tag besser, doch von dem Schock mit Ceev habe ich mich noch nicht erholt.
Ich denke jeden Tag und jede Nacht an ihn und an unsere erste Begegnung.
Wird es unsere Erste bleiben? Will ich ihn überhaupt noch einmal sehen? Ja. Definitiv.
Doch auf keinen meiner Runden durch die zerstörte Stadt kann ich ihn ausmachen.
Während ich so dahin laufe, mache ich immer wieder Schreie aus, die aus Richtung Krankenhaus kommen.
Jedes Mal, wenn jemand so schreit, zucke ich zusammen. Ich will mir gar nicht vorstellen, warum dieser jemand so schrecklich schreit.

Ich will gerade wieder meine Morgenrunde laufen, als ich Ceev sehe, der unten in unserem Garten steht, als hätte er auf mich gewartet.
Ich gehe auf ihn zu und bleibe kurz vor ihm stehen. Ich will ihn gerade fragen, warum er hier ist, als er sich zu mir herunterbeugt und seine heißen Lippen auf meine presst.
Ein wohliger Seufzer entfährt mir und ich lege meine Hände auf seine Brust. Er legt seine Hände auf meine Taille und küsst mich heftiger.
Ich will mehr, doch plötzlich stößt er mich von sich, wendet sich von mir ab und eilt davon.
Jetzt stehe ich da und meine Lippen prickeln noch immer von dem Kuss.
Ich frage mich, warum er das getan hat.


Es ist früher Morgen, als mich ein Krachen und Poltern aus dem Schlaf reißt. Ich haste aus meinem Zimmer, um nachzusehen, was passiert ist, kann aber zuerst keine Ursache ausmachen.
Und dann sehe ich sie.
Diese überirdisch schönen Männer, wie sie wie Dampfwalzen sich einen Weg durch unser Haus bahnen. Ein Schrei.
Bell.
Sie schleppen sie aus ihrem Zimmer:
Ich reiße vor Panik die Augen auf, will zu ihr hin und sie retten, doch ich kann mich nicht bewegen.
Ich muss mit ansehen, wie sie meine kleine Schwester, die jetzt nur noch schlaff in ihren Armen hängt, aus unserem Haus tragen.
Meine Eltern und Alex sind mittlerweile auch bei mir und machen alle ein entsetztes Gesicht.
„Sie haben Bell entführt.“, ist das Einzige was ich stockend hervorbringen kann, weil ich immer noch wie gelähmt bin.
Schon rennen meine Eltern die Treppe herunter und in den Garten.
Endlich kann ich mich wieder bewegen, wenn auch zögerlich, und renne ihnen hinterher. Neben mir höre ich Alex lautstark atmen.
Bald habe ich meine Eltern eingeholt und sprinte instinktiv Richtung Krankenhaus.
Mein Körper schreit nach einer Pause, doch ich zwinge mich die Tür zum Krankenhaus aufzustoßen und hineinzurennen.
Panisch stoße ich jede Tür auf, die mir in den Weg kommt.
Auf einmal wird alles viel langsamer, meine Bewegungen geschehen nur noch in Zeitlupe.
Ich stoße die letzte Tür auf dem Gang auf und tatsächlich ist jemand in dem Raum.
Vier Leute kann ich sehen, die um etwas herumstehen.
Als sie mich bemerken, drehen sie sich um und geben mir die Sicht auf einen OP- Tisch frei, auf dem jemand liegt.
Ich stürze auf den Tisch zu und erkenne nun ganz genau, wer dort liegt.
Die Zeit und mein Herz bleiben stehen.

Eins.


Zwei.


Drei.


Vier.


Fünf.


Sechs.


Sieben.


Bell.
Sieben Sekunde war alles wie erstarrt. Auch Bell.
Dann schreie ich. Ich schlage auf die Leute um mir ein.
Wie konnten sie mir so etwas antun.
Und dann steht er in der Tür.
Ceev.
„Ich hab Lärm...?“ Bei meinem Anblick stockt er.
Darauf schreie ich ihn auch an.
„Du hast es gewusst! Gib es zu! Du hast gewusst, dass sie Bell holen und umbringen! Du Mörder!“ Die Tränen strömen mir jetzt nur so über mein Gesicht. Ich renne in den anderen Gang und reiße dort die Türen auf. Und überall finde ich noch mehr solcher Leichen.
Wie durch einen Schleier höre ich Rufe und ich kann sogar ein „Sicherheitsdienst!“ vernehmen, während ich durch die Flure laufe.
Ich bleibe abrupt stehen, denn jemand hält mich an meinem Handgelenk fest.
Ceev dreht mich ruckartig zu sich um, sodass ich ihm in die Augen sehen muss.
„Sally! Ich kann nichts dafür! Ich wusste nicht, was sie mit ihr oder den anderen Leuten machen! Glaub mir! Bitte, glaub mir!“ Ich schreie ihn wieder an. „Lügner! Du lügst doch, du Flightcommander! Ich hasse dich! Mörder! Ich hasse dich!“ Der Sicherheitsdienst ist da und schießt. Auf mich.
Doch sie treffen nicht mich, sondern Ceev.
Ich schreie auf, als er die Augen verdreht und zu Boden sackt.
Er bekommt kaum noch Luft und fängt an zu röcheln, während sich rasch eine riesige Blutlache um ihn bildet.
„Er wusste wirklich nichts, kleines dummes Mädchen.“
Ich fahre herum. Ein Mann im mittleren Alter, der trotzdem immer noch unglaublich gut aussieht, schreitet hämisch lächelnd auf mich und den blutenden Ceev zu.
„Was wollen sie von meiner Schwester und den ganzen anderen Menschen?“ Schreie ich ihn wütend an.
Er lacht. „Ich will ihre DNS. Mit ihr werde ich eine neue Rasse züchten, die skrupelloser und herzloser ist als je zuvor. Wahre Killermaschinen! Und mit ihnen werde ich das ganze Universum an mich reißen!“
Ceev neben mir stöhnt auf.
Ich weiß, dass er nicht mehr lange lebt.
Er bewegt seine Lippen und ich kann ein leises „Ich liebe dich, Sally.“ Vernehmen.
Plötzlich presse ich meine Lippen auf seine und küsse ihn.
Doch er ist schon tot.
Als ich mich wieder aufrichte, höre ich einen Schuss und gleich darauf durchfährt mich ein sengender Schmerz.
Ich kreische auf und Dunkelheit überfällt meine Augen.
Ich spüre noch, wie ich dumpf auf dem Boden aufschlage.
Und dann nichts mehr.


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Tag der Veröffentlichung: 15.04.2012

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