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Frau Fuchs hält den Tod von der Arbeit ab

 

 

 

In den meisten Gegenden der Welt ist es nachts dunkel. Viele Menschen befällt in der Dunkelheit eine Art Unwohlsein, vielleicht sogar Angst. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe, aber einer davon ist ganz sicher die Annahme, dass nachts der Tod sein Unwesen treibt, dass er umherläuft und arme, überraschte Seelen sucht, um sie - vermutlich gegen ihren Wunsch - mit sich zu nehmen. Dabei ist diese Annahme falsch. Der Tod holt nur die, deren Namen auf seiner magischen Liste erscheinen und es ist ihm völlig egal, zu welcher Tageszeit. Die Todesengel, heutzutage werden sie eher Todesagenten genannt, sind eine sehr gut strukturierte, effiziente Organisation. Noch nie hat man davon gehört, dass ein einzelner Agent seine Aufgaben vernachlässigt hätte. Kein Auftrag blieb jemals unerledigt.

Nur eine einzige Geschichte wird dann und wann erzählt, aus Neuss am Rhein. Dort soll es möglicherweise eine Störung im Ablauf gegeben haben. Die Gründe sind nicht bekannt und wahrscheinlich handelt es sich nur um eine Legende, denn was oder wer aus der Welt der Sterblichen sollte den Tod von seiner Arbeit abhalten können...?

 

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Azrael stand im Halbdunkeln eines schmucklosen 50er-Jahre Hausflurs, und er fühlte sich, als habe er einen elektrischen Weidezaun angefasst. Aber obwohl der Strom mit einem leisen dzt-dzt-dzt durch seine Hände knisterte, konnte er den Draht nicht loslassen. Was war hier eben geschehen, und noch wichtiger: WER war das?

Sein aktueller Auftrag hatte ihn hierher gebracht, in ein vierstöckiges Haus nahe der Innenstadt, ganz nahe seiner eigenen Wohnung. Mitten in der Nacht war der Name des Mannes, der hier wohnte, auf Azraels magischer Todesliste erschienen und selbstverständlich hätte er sich sofort auf den Weg machen müssen. Weil er sich nicht in der Stimmung fühlte, hatte Aza die Ausführung des Auftrags auf den frühen Morgen verschoben, aber dann den Kunden in seiner Wohnung nicht angetroffen. Mit einem trägen Schulterzucken hatte er sie wieder verlassen. Draußen im Treppenhaus war es passiert. Vom Fenster der nächsten Etage zog ein schmales Bündel aus hunderten feiner Sonnenstrahlen am Treppengeländer vorbei und traf auf die Tür der gegenüberliegenden Wohnung. In genau diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Frau trat in das Licht. Ihr langes Haar schimmerte in derselben goldenen Farbe wie die Sonne und beinahe wirkte es, als versuchten ihre Haare und die Sonnenstrahlen sich miteinander zu verflechten. Aza ahnte plötzlich, warum die Sterblichen so sehr vom Sonnenaufgang schwärmten.

Die Frau sah Aza an, SIE KONNTE IHN SEHEN! Wie war das möglich? Während der Arbeit müsste er für alle Sterblichen außer seinem Kunden unsichtbar sein. Azrael hätte erschrocken sein müssen, aber er war angesichts der überirdischen Erscheinung vor ihm ohne weiteres bereit zu glauben, dass Zauberei im Spiel war.

»Kann ich ihnen helfen?« fragte sie freundlich, weil sie bemerkte, dass Aza sie fassungslos anstarrte.

»ICH WOLLTE ZU HERRN KAMP ...ich meinte: ich wollte Herrn Kamphausen bei seinen ...Finanzgeschäften helfen, aber er ist nicht zu Hause.«

»Hm«, machte sie wachsam. »Aber nicht über's Ohr hauen, den armen Mann«, warnte sie ihn mit angehobenen Zeigefinger, wartete aber nicht auf seine Antwort, sondern eilte die Stufen hinab. Wie benebelt beugte Aza sich langsam vor um ihr noch ein paar Sekunden nachsehen zu können, doch sie war bereits im Dunkeln verschwunden. Das Gefühl leichter Stromstöße in seinen Händen war allerdings immer noch da.

Wer war das denn? dachte er noch einmal sehr intensiv, weil er hoffte, dass jemand seine Gedanken hören und ihm antworten würde. Dann tippte er mit der flachen Hand an seine Stirn, sprang die Treppen hinunter, durch die Haustür, und las unten die Klingelschilder. "Fuchs" stand dort, gleich neben "Kamphausen".

»Frau Fuchs«, sagte Aza sich vor auf seinem Weg zurück nach Hause. »Frau Fuchs.«

 

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»Aza, alte Knochensäge! Hast du deine Stadt im Griff? Bist du bereit für die Konferenz nächsten Monat?« Sein Kollege und Freund Malik tauchte aus dem Nichts an Azraels Lieblingsort, einem winzigen Dachbalkon, auf und schlug ihm jovial auf die Schulter. Herrje, die jährliche Konferenz! Aza zog beunruhigt den Zettel aus seiner Tasche. Der Name Kamphausen pulsierte mittlerweile in roten Buchstaben. Zögernd hielt er Malik den Zettel hin.

»Hab ein kleines Problem...ich habe einen Namen übrig gelassen, irgendwie war ich zu fertig zum Arbeiten. Weißt du, wie lange ich das noch nachholen kann, ohne dass es Ärger gibt?«

»Zu fertig? Mann, fang bloß nicht mit sowas an«, empfahl Malik erschrocken. »Das gibt einen ganz üblen...wie sagen die Sterblichen nochmal...Burnup?«

»Burnout«, korrigierte Aza müde. »Bin kein Sterblicher.«

»Siehst im Moment aber stark wie einer aus«, feixte Malik, wurde dann aber ernst.

»Nein, ich weiß nicht, wie lange der Job offen bleibt. Ich würde das an deiner Stelle auch nicht testen. Du weißt doch, wie unser Chef drauf ist.«

Natürlich hatte Malik Recht. Für einen winzigen Moment verschwand Azas Verwirrung und machte einer grimmigen Entschlossenheit Platz. Er würde gleich zu Kamphausen zurückschweben und ihn abholen. Immerhin war das sein Beruf und er hatte so etwas schon viele tausend Male erfolgreich erledigt.

Obwohl Einfühlungsvermögen keine von Maliks bekannten Eigenschaften war, bemerkte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6211-1

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
"Frau Fuchs" existiert natürlich nicht wirklich. Aber wenn es sie gäbe, wäre ich ihr für ihre unbewusste Hilfe bei dieser Geschichte sehr dankbar.

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