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Tod

Menschen kommen und gehen. Menschen werden geboren, und sie sterben. Das ist der Lauf der Dinge, der Lauf unserer sterblichen Welt.

 

1986

Abschied nehmen ist so ein großer Begriff, man kann ihn so vielfältig auslegen. Ich bekam schon recht früh Kontakt zu diesem Gefühl der Trauer. Allerdings erklärte mir keiner, was dieser "Abschied" zu bedeuten hatte. Ich war gerade einmal 5 Jahre jung, ich war noch nicht einmal in der Schule, und schon lernte ich den Lauf der Dinge kennen.

 

Was ich damals für einen Schmerz in mir spürte, welch Schmerz dieses kleine Mädchen durchbohrte, das konnte keiner nachvollziehen. Man dachte, dass sei so "das Beste" für mich. Aber keiner hat mich je gefragt ob ich auch eine Meinung habe. Als kleines Mädchen war das einfach so, Punkt. Immerhin gab es Gesetze, und da war es egal ob Kinder den Wunsch hatten Abschied zu nehmen.

 

Zu dieser Zeit lag meine geliebte Uroma Pauline im Sterben, sie war schon eine Weile im Krankenhaus, wo sie dann auch später starb. Schon während des Aufenthalts nahm mich keiner mit, dabei vermisste ich sie unsagbar doll, war sie doch sonst jeden Tag bei mir gewesen. Sie hatte mich vom Kindergarten abgeholt, und dafür war ich ihr so dankbar. Nachdem sie von uns gegangen war, war ich oft das letzte Kind, oftmals musste ich sogar mit zu den "Tanten" nach Hause. Wie ich das gehasst habe.

 

Mit dem Abschied, der kein Abschied war, denn ich durfte mich nicht verabschieden hatte ich schwer zu kämpfen auf verschiedenen Ebenen. Sie gab mir Halt, Hoffnung, Freude und Zuversicht, und sie war einfach immer für mich da. Ich glaube, dass an dieser Stelle brach mein zartes Herzchen das erste Mal, und diese Stelle ist bis heute eine Narbe.

 

Eins habe ich schon damals gelernt, Abschied kann ich nur "wirklich" nehmen, in dem ich noch einmal dem Menschen ganz nah bin bevor er zur letzten Ruhe gebettet wird.

 

Jahre lang machte ich mir darüber Gedanken wieso man mir diesen Abschied vorenthalten hatte, die Erklärung "du bist zu jung" wurde später nichtig, denn es war nicht das letzte Mal, dass ich sowas erlebte.

 

Zeit lebens meiner Erinnerung war ich ein trauriges ruhiges Kind. Nachdenken tat ich gewöhnlich mehr als andere Kinder, und nur mit Bildern konnte ich mich in eine andere Welt flüchten. War das der Beginn meiner Depressionen?

1989

Im Jahr 1989 stand irgendwann der Bruder meines Erzeugers bei uns vor der Tür, und verkündete, dass dieser (mein Erzeuger) von uns gegangen sei. Krank war er auch, die Sucht zum Alkohol machte ihm das Leben schwer. Der Grund für die Trennung von meiner Mutter. Anstatt zu heizen trank er sich warm, und so bekam er eine schwere Lungenentzündung. Mein Vater wurde in ein Krankenhaus gebracht, aber es kam jede Hilfe zu spät, er starb im Alter von gerade einmal 35 Jahren.

 

Meine Mutter, die schon lange versuchte mit meinem Vater abzuschließen, brach als wir wieder allein waren in Tränen aus. Das passierte nun die nächsten Tage, Wochen und Monate. Ich weiss nicht mehr wie lange das anhielt, ich weiss nur, dass es mich sehr belastete. Wir mussten viel regeln, die Wohnung meines Vaters ausräumen, und meine Mutter bat die Geschwister von ihm, und andere Verwandte oft um Hilfe, immer mit mir im Schlepptau. Wenn sie von der Arbeit kam war der erste Weg entweder in die stinkende Bude meines Erzeugers, oder zu einem Verwandten wo alle Einzelheiten bestimmt Hundert Mal durch gekaut wurden. Ich war zwar immer dabei, aber ich fühlte mich fehl am Platz. Dann waren da noch die ewigen Fahrten mit unserem Gummiwagen, die ganzen Sachen mussten raus, aber praktische Hilfe gab es kaum. Alles wurde in unser Haus gebracht, und da steht das meiste bis heute, unangerührt, außer ein paar wenige Sachen.

 

Binnen weniger Wochen musste ich einen Schub durchmachen, für meine Mutter da sein, sie trösten, und nicht schwach sein. Als dann die Beerdigung, die offizielle Verabschiedung anstand benahm sich meine Mutter wie immer, und wollte aus Trotz nicht zur Beerdigung, immerhin hatten wir nichts Brauchbares, und vor allem kein Geld gefunden. Nicht einmal ein Sparbuch. Ich war Alleinerbin, aber irgendwer musste vor uns die Sachen beiseite geschafft haben. Da wir keinen Stress wollten, oder viel mehr meine Mutter behielt sie das für sich, frass alles in sich rein, und als Prügelknaben an dem sie ihre Wut ablassen konnte diente ich. Mir verbot sie ebenfalls die Beerdigung zu besuchen, obwohl ich da dabei hätte sein können, aber sie redete mir ein, dass wir nicht zu der Familie gehören, und auch nichts dort zu suchen haben. Ein Cut auf Lebenszeit.

 

In dieser Zeit übernahm meine Mutter die unschöne Angewohnheit zu rauchen was das Zeug hielt, sie tat es heimlich, sie dachte ich würde es nicht merken. Wieso sie nicht einfach offen rauchte weiss ich bis heute nicht, aber ich denke es war das schlechte Gewissen, immerhin hatte sie vorher immer über meinen Vater gelästert, und wie schlimm das sei, und nun tat sie nichts anderes, war nicht besser als er.

Etliche Jahre später begann das gleiche Spiel mit dem Alkohol. War sie bis dato die größte Alkoholgegnerin überhaupt, so trank sie mit ihrem neuen Lebensgefährten mehr als gut für sie war. Sie wurde nicht süchtig, aber es zeigte abermals ihre Schwäche.Diese beiden menschlichen Unarten blieben in mir tief verankert, meine Psyche hat sie fest in meinem Körper verankert, und sobald ich Zigarettenrauch rieche wird mir übel, und Alkohol schmeckt mir einfach nicht. Ab und an trinke ich zwar gern mal einen Cocktail, aber der muss nicht unbedingt mit Alkohol sein.

 

Mein kindliches Gleichgewicht war zu diesem Zeitpunkt schon sehr gestört, und meine Mutter ließ all ihre Wut an mir aus. In dieser Zeit muss sie begonnen haben mich zu schlagen, es sollte Jahre dauern bis ich mich traute mich zu wehren. Aber was mit dem Tod meines Erzeugers für eine qualvolle Zeit für mich begann, das sollte ich erst viel später verstehen lernen.

 

Die Tatsache, dass Menschen all zu oft weg schauen wurde mir zum Verhängnis, ich fühlte mich einsam so lang ich denken konnte, ich war draußen in der Natur so oft ich konnte, Hauptsache ich konnte fliehen, konnte einmal kurz durchatmen, nur für einen klitze kleinen Moment.

 

Als die Schule dann begann merkten wohl selbst die Kinder recht schnell, dass ich anders war. Dass ich verletzlicher war. Sensibler. Eine Memme. Ein Baby. Nicht in der Welt der großen Kinder passte. Ich heulte einfach viel zu oft wegen Kleinigkeiten, die zu Hause zu einer Tracht Prügel führten.

 

Fortan gab es gar keine Zuneigung mehr, meine Mutter war mit sich selbst beschäftigt, sie merkte auch nicht wie ich in der Schule litt. Wenn ich Noten schlechter als 1, maximal 2 mit nach Hause brachte bekam ich eine Standpauke warum ich denn nur so ein dummes Kind sei. Wenn ich gefragt wurde wie mir die Schule gefällt, gab es ein "gar nicht", und mein Cousin der in der gleichen Klassenstufe war, aber viel schlechter als ich war, kam immer ein "gut". Verkehrte Welt? Für mich war die Schulzeit eine Einzige Tourtour, ein Einzelkampf gegen den Rest der Welt.

 

Aufhörte es als ich gerade 18 geworden war. Meine Mutter erhob die Hand gegen mich, und ich sagte zu ihr "wenn du das tust, schlag ich zurück", seit dem hat sie mich nie wieder angefasst, nur beschimpft, aber das tut nicht weniger weh, nein, manchmal sogar noch um einiges mehr. Für sie war ich immer das schlechte Kind, und recht machen konnte ich ihr sowieso nie etwas.

 

Der Schnittpunkt lag für mich also im Jahr 1999, und als ich endlich frei war, meine Ausbildung machte, dachte ich, dass es jetzt aufwärts gehen konnte, das ich endlich auch ein normales Leben führen könnte, aber das war schon längst nur noch Illusion. Das Mobbing sollte niemals in meinem Leben aufhören, immer sollte ich die bleiben, die "anders" ist als die Anderen. Aber wie sind die denn? Hat nicht jeder seine Berechtigung, selbst wenn man empfindlicher ist als der ganze Rest der Welt?

2005

Im Jahr 2005, ich war bereits aus der Heimat verzogen und versuchte mir selbst ein Leben aufzubauen, starb mein kleinster Cousin (zu diesem Zeitpunkt der Jüngste) an plötzlichem Kindstod. Es schmerzte, und es war so unwirklich, war er doch gerade knapp ein halbes Jahr alt. Immer wieder fragte ich mich, wieso dieses reine Geschöpft den Weg in die Unendlichkeit gehen musste, wo mein Lebenswille doch so gering war, dass ich nur zu gern mit ihm getauscht hätte muss ich sicher nicht erwähnen. Ich hatte den kleinen Mann noch nicht einmal kennen gelernt, die Taufe hat man mir vorenthalten, und zur Beerdigung wollte man mich nicht dabei haben.

 

Da war er wieder, dieser Schmerz, dieses Klirren in meinem Herzen. Diese unendliche Leere, und ich glaubte durchdrehen zu müssen. Mir liefen die Tränen über die Wangen, Stunde um Stunde, Tag um Tag, aber ich akzeptierte den Wunsch meiner Familie. In diesem Moment hatte ich das Gefühl ein Stück weit mit ihm zu gehen.

 

Fortan war das Verhältnis zu meiner Familie in der Heimat so schlecht wie noch nie, und obwohl ich mit meiner Mutter so meine Probleme hatte, war sie es, die mich informiert hatte.

2006 - 1

Anfang des Jahres 2006, ein ganz normaler Anruf, und kurz bevor das Gespräch endet sagt mir meine Mutter "weist du eigentlich schon das Torsten tot ist?". Ich dachte in dem Moment sie verarscht mich. Ich wusste nicht, freu ich mich jetzt, oder bin ich tot traurig. Ich konnte es nicht fassen, die Beerdigung war schon am Tag zuvor gelaufen, und keiner hat es für nötig gehalten mich zu informieren. KEINER! Mein Partner fuhr an diesem Tag mit mir noch die 75km in meine alte Heimat, wir besuchten meine Patentante, und ich las die Grabrede, ich wurde immerhin nicht gleich wieder weg geschickt.

 

Es war so komisch die letzten Worte an ihn zu lesen, die Worte an einen lieben jungen Mann, der immer für alle da war. Mir hat er einen Teil meiner Seele geraubt, aber das wusste keiner, die Beerdigung hätte ich nicht heil überstanden, aber trotzdem wäre ich gern dabei gewesen, auch er war immerhin mein Cousin. Die Entscheidung wurde mir abermals abgenommen, und das sog mich wieder in die Tiefe.

 

Als ich ein paar Tage später noch einmal mit einem Freund das Grab besuchen wollte brach ich zusammen, es war eine Befreiung, aber auch eine endlose Last die er mit ins Grab genommen hatte. Natürlich wusste ich, er kann mir jetzt kein Leid mehr zufügen, aber das entschädigte mich nicht für die Taten die er an mir begangen hatte, und von denen keiner wusste. Ich war wütend auf mich selbst, und ich heulte und heulte, aus Trauer, aus Hass, aus Verzweiflung. An diesem Tag war ich das erste Mal wieder an der Stelle, an der er mir meine Seele geraubt hat. Es tat weh, ich sah alles wieder vor mir, alles was ich tun konnte war weiter zu machen wie bisher, wenn dies denn möglich wäre. Es wühlte viel auf aus meiner Vergangenheit, aber dieser Freund bot mir seine starke Schulter, und er war bedingungslos für mich da, was einfach nur gut tat.

 

Wieder wurde ich der Möglichkeit beraubt Abschied zu nehmen, obwohl es in unserer Familie üblich ist den Toten aufzubaren. Ich glaube, gerade bei ihm hätte mir das einiges gegeben, aber unter der Erde, ist unter der Erde.

2006 – 2

Kaum war der eine Tod ein halbes Jahr her, überraschte mich kalt erneut diese Nachricht. Diesmal war es nicht nur einen Tag zu spät, sondern schon eine ganze Woche. Man wollte mir nicht zuviel zumuten. Ich wurde nicht von den Vorkommnissen in Kenntnis gesetzt, mir wurde abermal die Entscheidung genommen. Diesmal traf es meinen Patenonkel, den Vater meines Cousins Torsten, der schon seit dem Tod seines Bruders (er hatte sich ein paar Jahre zuvor selbst das Leben genommen, das genaue Datum ist mir nicht mehr in Erinnerung geblieben) nicht mehr der Alte war. Er sah schon bei meinem Besuch ganz schlimm aus, er erkannte mich nicht einmal mehr, das war einfach nur schrecklich für mich. Tag für Tag zu sehen wie ein Mensch "stirbt" ist eine Sache, aber diese geballte Stärke des Verfalls mit einmal präsentiert zu bekommen, das ist unglaublich schmerzhaft. Es trifft einen wie ein Hammerschlag auf den Kopf.

 

Er kam damit nicht klar, dass sein Sohn starb, somit war sein Lebenswille erloschen, und er wurde neben seinem Sohn bestattet. Nicht er hatte den Krebs besiegt, sondern den Krebs ihn.

 

Das Ereignis werd ich niemals mehr vergessen, denn mein Geburtstag war einen Tag zuvor, ich war gerade in Therapie, und ich war kurz davor damit fertig zu sein. Endlich glaubte ich ein Licht am Horizont zu sehen, das mit dem nächsten Abschied in soweite Ferne rückte, dass ich nicht mal mehr ein Flackern sah. Meine Therapie war gescheitert, und mein Aufenthalt verdoppelte sich von der Zeit her, was für eine Katastrophe.

 

Aber nicht genug damit, als ich zurück in die Klinik kam wurde mir mitgeteilt das ich bestohlen worden bin, das gab mir echt den letzten Rest. Hätte ich diese Frau an diesem Tag in die Hände bekommen, ich hätte für nichts garantieren können. Ab dem Zeitpunkt verschonte man mich dort, man ließ mir viele Freiräume, ein Einzelzimmer, und zwei Wochen später zog ich auf eine andere Station.

 

Als ich vier Monate später entlassen wurde glaubte ich, dass ich niemals mehr gesund werden würde. Meine Depressionen waren furchtbar, und jede Tablette dieser Welt, die man an mir versucht hatte, brachte keinen Nutzen. Ich fühlte mich so hilflos, sinnlos und leer. Wieder zu Hause bei meinem Freund konnte ich keinerlei Nähe mehr ertragen, ich hatte es einfach verlernt wie das ist. Meine Ängste nahmen zu, meine Probleme mit Menschen stiegen an, die Therapie hatte nicht den Erfolg den ich mir versprochen hatte, und meine Zukunft schien aussichtslos zu sein.

 

In diesem Jahr beantragte ich meine Rente, ich wusste mir keinen anderen Rat, denn den ständigen Druck für den Arbeitsmarkt bereit stehen zu müssen ertrug ich nicht mehr. Keiner glaubte, dass ich überhaupt Rente bekommen könnte, aber nach einer Odysee an Gutachten, die meine Seele so sehr zerlöcherten, dass es mir noch viel schlechter gehen musste, und einer Reha, welche allerdings bestimmt gut zwei Jahre verschoben wurde, war es geschafft. Ich bekam rückwirkend zum Sommer 2006 die Bestätigung für die Rente, und es fiel mir eine unendliche Last vom Rücken. Gleichzeitig fühlte ich aber wie ich mich selbst ins Aus schoss, denn keiner aus meiner Familie konnte verstehen warum. Für die war ich nur die Faule, die keinen Bock hatte. Aber wie will man anderen Menschen Psyche erklären? Mir wurde noch mehr als einmal in diesem Leben bewusst, dass rechtfertigen nichts bringt, wer nicht glauben will, der glaubt sowieso nicht, da kann man sagen was man will. Wer die Augen vor Leid verschließt, der wird nie erkennen was tief in meinen Augen geschrieben steht, was mein Herz bewegt.

2007

Das Ende dieser Abschiede sollte einfach noch nicht gekommen sein, denn im März 2007 sollte es auch meinen geliebten Opa treffen. Er war krank, er hatte keinen Lebenssinn mehr. Er wollte sich nicht helfen lassen, und er baute immer mehr ab. Als mir meine Mutter erzählte das er im Krankenhaus sei, und wie schlecht es ihm geht, schnappte ich mir sofort meinen Freund und fuhr dorthin, im Gepäck mit meiner Mutter, die wir zuvor abgeholt hatten. Auf dem Flur begegneten uns meine Oma, meine Patentante, und meine Tante. Meine Oma meinte, was wir denn bei ihm wolllten, und das wir wieder fahren sollten. Ich hab noch genau das böse Gesicht von ihr vor Augen. Sie war regelrecht sauer, aber in dem Moment war es mir egal. Schon die ganzen Wochen zuvor verstand ich sie nicht mehr, es sollten Entscheidungen getroffen werden, die Opas Leben hätten verlängern können, aber die Entscheidung kam zu spät, es half nichts mehr. Ob meine Tante was sagte weiss ich nicht mehr, aber meine Patentante sagte, dass sie uns doch lassen solle. Sie gingen in den Fahrstuhl, und wir stiegen aus, und weg waren sie.

 

Als ich meinen geliebten Opa da liegen sah, er schlief, war nicht ansprechbar, total hilflos, begann in mir ein Gefühlschaos. Sofort verstand ich wie schlimm es um ihn stand, und ich wollte einen Arzt sprechen, bzw. bat ich meine Mutter einen aufzusuchen, um Erklärungen zu seinem Zustand zu erhalten. Was dann folgte war grausam, man meinte, meine Oma, meine Tante und Patentante waren ja schon da und wüssten alles, aber meine Mutter war doch auch sein Kind, und sie hatte genauso das Recht zu erfahren was los war. Ich wurde sauer, richtig sauer, und ich machte die Schwester rund wie einen Buslenker. Ich machte ihr klar, dass ich aus der Klinik komme, und das sie doch nicht wolle, dass ich hier durchdrehe. Das hätte natürlich auch ein Schuss in den Ofen sein können, aber ich hatte Glück, und eine sehr nette junge Ärztin nahm sich unser an. Meine Mutter schwieg wie ein Mäuschen und sagte rein gar nichts, wie üblich wenn es um wichtige Dinge ging.

 

Nach dem Gespräch war mir klar, es würde nicht mehr lange dauern bis Opa von uns gehen würde. Ich wusste nun wie schlimm es um ihn stand, und auch wenn meine Oma ihn noch nach Hause holte, er starb trotz dessen im Krankenhaus wenige Wochen später, da sein Zustand pendelte, und man noch versuchen wollte zu retten was zu retten war. Aber dazu war es zu spät. Es war das letzte Mal das ich ihn sah, lebend, ein viertel Jahr zuvor, zu Silvester hatte ich noch Bilder von ihm gemacht, sein fröhliches Lachen steckte alle an. Aber dieses Lachen hörte ich nun niemals wieder.

 

Ich rief meine Mutter täglich an, wollte immer den aktuellen Stand von ihr haben, und so erfuhr ich zum Glück rechtzeitig von der Beerdigung. Mir war egal ob man mich wieder nicht dabei haben wollte oder nicht, ich wollte mich verabschieden, das war mein Ziel. Auch die Tatsache, dass meine Mutter mir den Stand der Dinge so oft mitteilte machte es mir insgesamt einfacher, ich konnte akzeptieren, dass es einfach an der Zeit war für ihn zu gehen.

 

Am Tag der Beerdigung war ich schon ziemlich früh vor der Kirche auf dem Friedhof, dort versammelte sich die Familie. Ich wollte Opa unbedingt nochmal sehen, und ich hatte einen Fotoapparat mitgenommen. Ja ich habe Bilder gemacht, denn in mir war noch lange nicht angekommen was geschehen war. Es war mir egal wie ich angeschaut wurde, mir war das wichtig. Wie ich Opa nun da liegen sah, sah ich einen Mann, der nichts mehr mit meinem geliebten Opa zutun hatte, so ausgemergelt wie er schon war, so gelb-grau. Furchtbar. Aber ich bin mir sicher, dass es richtig war, dass ich ihn nochmal anschaute.

 

Als ich dann in der Kirche bei meiner Familie stand, uns Beleidsbekundungen von so vielen Menschen entgegen gebracht wurden erstarrte ich. Ich stand ganz am Ende, meine Oma wollte mich wieder nicht dabei haben, aber als der Zug nach draußen ging nach der Trauerfeier zog mich meine jüngste Tante nach vorn, und sagte, dass ich doch dazu gehöre. So war ich dann direkt nach Oma und den Kindern von meinen Großeltern am Grab, das tat so gut, und wenigstens für kurze Zeit gehörte ich wieder dazu. Ich verstand meine Oma zu diesem Zeitpunkt sowieso nicht, so hatte ich sie noch nie erlebt, aber ich glaube, dass sie einfach völlig überfordert war. Ich habe sie nie weinen sehen, aber auch meine Tante nicht, das war so unreal, einfach absolut unwirklich. Aber mir ging es ähnlich, meine Maske sass absolut fest und sicher, und die alte Stärke aus der Zeit in der mein Vater starb war zurück gekehrt. Es war ein Spiel, nur keine Schwäche zeigen, und dann lud uns meine Oma sogar noch zum Essen nach der Beerdigung ein. Damit hatte ich nun wirklich nicht mehr gerechnet.

 

Zum ersten Mal durfte ich so Abschied nehmen wie ich es mir immer gewünscht hatte, und ich spürte sofort, es war die richtige Entscheidung, wenn gleich ich in der nachfolgenden Zeit zusammen brach, weil in meinem Kopf endlich ankam, dass ich meinen Opa nie wieder sehen werde. Schon auf der Fahrt nach Hause konnte ich nur noch heulen, ich ließ den Tränen freien Lauf, und weinte und weinte. Leider hatte mein Freund nicht die Kraft mich zu stützen, so dass es immer mehr Vorfälle gab, die die Beziehung mit ihm zerbrechen ließ, was wieder einen Abschied mit sich zog. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich zu einem späteren Zeitpunkt aufschreiben werde.

Schlusswort

Das sind nur die Todesfälle aus meiner Familie, das war noch lange nicht alles, aber diese haben mich sehr geprägt, und wohl auch teilweise den Menschen aus mir gemacht, der ich heute bin. Mein letzter Abschied ist in einem extra Buch hier festgehalten, und man kann ihn in Bookrix auf meinem Profil finden. Ich habe mich für den Tod zum Thema Abschied entschieden, weil ich mir davon erhoffe, dass ich mein Herz ein wenig erleichtern kann. An dieser Stelle möchte ich allen danken, die bis zu dieser Stelle gelesen, denn ich bin mir bewusst, dass diese Seiten keine einfache Kost waren.

 

Für meine Liebsten die in die Ewigkeit gegangen sind! Für euch alle ist dieses Buch.

Impressum

Texte: Tränenherz
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Liebsten, die nicht mehr unter uns Weilen.

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