Es ist jetzt ungefähr ein Jahr her, als mir die folgende Geschichte passierte, welche auf einem ziemlich schlimmen Erlebnis für mich, aufbaut. Ich habe schon immer viel geschrieben, und ich habe das Schreiben schon immer benutzt um meine Seele zu erleichtern, um ihr Raum zu geben, um meine Gefühle in Worte zu fassen. Immer schon hat es mir sehr gut getan, und das hat sich bis heute nicht verändert.
Am 01. Juni 2011 machte ich mitten in der Nacht, weil ich es nicht mehr aushalten konnte vor Aufregung, einen Schwangerschaftstest. Vier Jahre zuvor hatte ich schon einmal dieses Gefühl schwanger zu sein, ich machte einen Test, und das Ergebnis war positiv. In mir war ein ähnliches Gefühl, und es hätte mit dem Teufel zu gehen müssen, wäre es anders gewesen. Also ging ich ins Bad, packte den Test aus, ging nach Beschreibung vor, und tauchte den Test in den Urin. Dann wartete ich ungefähr 3 Minuten, der Streifen, der sich immer rosa färbt, färbte sich sehr schnell, die 3 Minuten kamen mir vor wie Stunden, es passierte nichts, und ich dachte, nein, das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein. Ich war mir doch so sicher, dieses Gefühl in mir, meine nicht vorhandene Menstruation. Aber dann nahm ich mir selbst den Wind aus den Segeln, indem ich mir sagte, deine Menstruation macht sowieso was sie will, also kann es durchaus sein, dass du nicht schwanger bist. Ich wendete mich wieder dem zu, was ich zuvor gemacht hatte, war ein wenig traurig, aber es war okay, hatte sich kurz zuvor doch mein Freund von mir getrennt, keine Grundlage für ein so kleines Lebewesen, und trotzdem, ich hätte mich sehr gefreut.
Nach weiteren zwei Minuten schaute ich abermals auf den Schwangerschaftstest, und was sahen meine Augen da? Einen ganz leichten rosa Streifen, einen Schatten, so zart, als wäre er gar nicht da. Ich ging an den Laptop, googelte ob es falsch positive Tests gibt, und ob das vielleicht auch was anderes sein kann, eben ein Versehen oder irgendwas in der Art. Dann fand ich tatsächlich die Antwort, die ich nicht wollte, es könne ein Fehler sein, alles wäre möglich. Oh Gott, in mir hämmerte es, in meinem Kopf war riesiges Wirrwarr ausgebrochen, was ich unbedingt auflösen wollte.
Ich ging in mein Stammforum, einem Mütterforum, einem Schwangerschaftsforum, einem in dem die Profis für Schwangerschaftstest saßen. Welche, die rund um die Uhr online waren. Ich machte also ein Bild und stellte es online, und prompt kam die Nachricht auf die ich gehofft hatte. „Das sieht doch ein blinder mit Krückstock, du bist eindeutig schwanger!“. Ich machte einen Luftsprung, freute mich riesig, und teilte das Ergebnis meinem Exfreund mit. Der war natürlich alles andere als erfreut, obwohl das Baby auf Wunsch entstand.
In dieser Nacht bekam ich kein Auge mehr zu, morgens suchte ich gleich einen Frauenarzt raus, und ich bekam direkt einen Termin. Als mir dann der Arzt das Wunder bestätigte, war ich wohl die glücklichste Frau dieser Welt. Ich fühlte mich so wunderbar leicht und schwerelos, ich fühlte vollkommenes Glück.
Zehn Tage später bekam ich Besuch von meiner Mutter, mein 30. Geburtstag stand bevor, und wir wollten ihn gemeinsam mit meiner besten Freundin feiern. Wir fuhren alle zusammen nach Augsburg zur Wohnung meiner Freundin, da ich zu dieser Zeit in einem Minizimmer beherbergt war. Das war der 10.06.2011. Einen Tag später gingen wir alle zusammen einkaufen, und Abends spielten wir das Spiel, welches mir meine Freundin geschenkt hatte. Irgendwann, als alle müde waren, lösten wir die Spielerunde auf. Ich schlief relativ schnell ein, die Freundin sowieso, aber mitten in der Nacht wurde ich von Krämpfen geplagt wach. Ich krümmte mich vor Schmerzen, konnt nicht mehr aufstehen, und machte Tränen überströmt meine Freundin wach. Am liebsten hätte sie direkt einen Krankenwagen gerufen, aber das wollte ich nicht. Wir entschieden uns „kurz“ ins Krankenhaus zu fahren, eine Kontrolle konnte ja nicht schaden, so war mein Gedankenansatz, ich sollte eines Besseren belehrt werden.
Mit dem ersten Bus verließen wir die Wohnung, dachten wir sind bald wieder da, es sollte doch nur eine kurze Kontrolle sein, und ließen meine Mutter weiter schlafen. Angekommen im Klinikum kamen wir auch bald dran, und zu meinem Pech untersuchte mich eine Ärztin. Dazu sollte ich vielleicht sagen, dass ich sehr schlechte Erfahrung mit weiblichen Frauenärzten gemacht habe, und so kam es dann auch, dass ich eine Blutung bekam. Laut ihr soll diese Blutung angeblich schon vorher da gewesen sein, war sie aber nicht, es kam durch ihr Rumgestochere. Ich hatte die Dame vorher gebeten kleinere Untersuchungsmaterialen zu nehmen, aber das interessierte die Frau nicht. Sie schrie mich sogar noch an, ich solle mich gefälligst nicht so anstellen. Das saß, und mir kullerten die Tränen nur so über mein Gesicht.
Als wir endlich fertig waren, meine Freundin war immer an meiner Seite, mussten wir wieder warten. Es sollte ein Ultraschall vorgenommen werden, und noch irgendeine andere Untersuchung, aber ich hab vergessen was das war. Blöder Weise war in meinem Bauch zu viel Luft, so konnte der Arzt nichts erkennen, und er war dafür, dass ich eine Nacht dort bleibe. Oh mein Gott, was für ein Alptraum. Mein 30. Geburtstag war ja mittlerweile, und ich sah den Alptraum schon vor mir. Ich weinte und weinte, und konnte mich einfach nicht mehr einbekommen. So wurde ich auf Station aufgenommen, und meine Freundin machte sich auf den Weg nach Hause, wo sie eine leere Wohnung vorfand. Meine Mutter hatte einen Zettel geschrieben, sie schaue sich die Stadt an. Meine Freundin schnappte sich meinen Laptop und ein paar Joghurte, vielleicht würde ich darauf ja Appetit bekommen, und mit dem Laptop konnte ich mich ablenken. Sie schrieb eine Nachricht für meine Mutter, aber die tauchte erst wieder auf, als sie schon wieder zu Hause war. Wir dachten sie würde ins Krankenhaus kommen, aber das tat sie nicht.
So verbrachte ich die nächsten 4 Tage komplett liegend im Klinikum Augsburg, und immer wieder wurde mir gesagt, da sei kein Leben in dem befruchteten Ei. Aber mein Frauenarzt hatte mir doch bestätigt, dass ich schwanger bin und alles okay sei. Auch die Hormonwerte stiegen weiter, abgestorben konnte es nicht sein, das hätte einfach nicht gepasst. Am letzten Tag meines Aufenthalts schauten sogar zwei Ärztinnen um etwas, dass aussah wie ein Herz zu finden, sie fanden aber nichts.
Ich war so fix und fertig mit den Nerven, ich verstand die Welt nicht mehr. Immer wieder fragte ich mich was das zu bedeuten hat. Habe ich mich doch geirrt, bin ich gar nicht schwanger? Aber auch die Übelkeit deutete daraufhin, dass ich mich nicht getäuscht haben konnte.
Am Abend zu Hause spielten wir wieder, gingen dann mitten in der Nacht zu Bett, und kaum war ich eingeschlafen gingen diese furchtbaren Schmerzen wieder los. Das konnte doch nicht sein, wieso quälte mich die Schwangerschaft jetzt schon so sehr? Ich machte meine Freundin wieder wach, und wir beratschlagten was wir tun. In das Krankenhaus wollte ich nicht noch einmal, soviel stand fest. So machten wir uns am Vormittag auf den Weg zur Innenstadt, wo einige Frauenärzte ihre Praxis hatten. Dort angekommen war in jeder Praxis etwas anderes. In der einen war der Arzt im Urlaub, in der nächsten hatte er grad frei, eine weitere nahm keine neuen Patienten, und der letzte war in einem Kreißsaal. Das konnte doch alles nicht wahr sein, irgendwie schien das ein schlechtes Omen zu sein, und so blieb uns nichts anderes übrig als wieder ins Klinikum zu fahren. Wie wir erfuhren gab es dort auch eine Frauenklinikambulanz, also nix wie hin dort.
Nun begann eine elend lange Wartezeit, es waren zwar nur Stunden, aber es zog sich wie Kaugummi, und meine Schmerzen waren furchtbar. Als alle anderen vor mir bereits verarztet worden waren, wurde endlich ich aufgerufen. Ich zog meine Freundin mit mir, und ging zitternd in das Arztzimmer. Der Doc erklärte mir alles, und sagte, welch Luxus es da gäbe, angewärmte Instrumente. Er stellte sich noch vor, und dann sollte ich mich auf den Stuhl legen. Zuerst machte er einen Ultraschall, und schon nach wenigen Sekunden schaute er mich schockiert an, und meinte „ist doch eindeutig“. Ich fragte ihn natürlich was er meinte, und dann kams: „Das ist eindeutig eine Eileiterschwangerschaft“. Oh mein Gott, binnen Sekunden brach eine Welt in mir zusammen. Fünf Ärzte hatten vorher schon geschaut, aber keiner hatte es erkannt. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Ich fragte ihn noch mehrfach ob er sich auch ganz sicher sei, und eigentlich wollte er mich direkt auf den OP-Tisch packen, aber da machte ich ihm einen Strich durch die Rechnung.
Ich bat ihn um Zeit. Leicht fiel ihm die Entscheidung nicht, denn er hatte durch die fortgeschrittene Schwangerschaftswoche Angst, dass ich ins Koma falle. Er sagte schließlich zu, bat mich aber darum sofort Bescheid zu geben wenn die Schmerzen noch doller werden sollten, dann würde man mich noch in der Nacht operieren. Er machte für mich gleich morgens den OP klar, ich sollte als erstes dran sein. Die Ärztin, welche mich am Vortag mit Vorwürfen ala Simulantin entließ, musste mich wieder aufnehmen. Es war ihr sichtlich peinlich so daneben gelegen zu haben, und als ich das Formular unterschreiben sollte, dass man mich operieren darf, fragte ich sie, ob ich muss. Ihre Antwort war nur „wir dürfen sie nicht sterben lassen, wir haben einen Eid geschworen“. Ich heulte und heulte, und hätte so gern mit diesem kleinen unschuldigen Wesen getauscht. Ich fragte mich die ganze Zeit warum? Warum? Warum? Warum? Aber die Antwort konnte mir keiner geben.
Ich bekam dieses Mal ein Einzelzimmer, allerdings auf der Geburtsstation, das konnte nicht gut sein, aber nur dort war in diesem Moment viel Platz. Meine Freundin machte sich auf den Heimweg und versprach am Morgen ganz früh wieder bei mir zu sein. Sie hielt ihr versprechen, aber meine Mutter schaute viel lieber die Stadt an. Sie wusste ich werde operiert, aber das war ihr egal.
Meine Freundin half mir beim Anlegen der OP-Wäsche, sie brachte mich mit bis zum Fahrstuhl, und als ich nach ewigen Stunden endlich wieder auf die Station kam wartete sie immer noch auf mich. Sie kümmerte sich rührend um mich, tupfte mir die Stirn ab, und sprach liebevoll mit mir, oder schwieg einfach und war für mich „da“. Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht wieder so richtig da, aber das erste an das ich mich erinnerte war mein Zungenpiercing, den sie mir wieder in die Zunge fummeln durfte, damit das Loch nicht zuwächst.
Ablenken war in diesen Momenten nicht einfach. Ich fühlte mich leer und unwirklich. Ich war furchtbar verletzt, aber vor allem, weil mich meine Mutter allein gelassen hat. In diesem Moment hätte ich sie so sehr gebraucht, auch wenn sie den Grund für die OP nicht kannte. Sie zog es weiterhin vor die Stadt zu erkunden, und ohne mich noch einmal zu sehen fuhr sie wieder nach Hause. Das war ein so furchtbares Erlebnis, und das Geburtstagsgeschenk, dass sie der Freundin für mich gab, war nicht der Rede wert, und mir dazu ziemlich peinlich.
Ich blieb noch eine weitere Woche im Klinikum, wurde zwischendurch auch noch einmal verlegt, auf eine Station, auf der sich kein Mensch um die Patienten kümmerte, und war deshalb froh als ich wieder zu Hause war.
In der darauf folgenden Woche brachte mich meine Freundin zurück nach Nürnberg, aber kaum war ich dort, wurde mir klar, ich werde es allein nicht schaffen, und so ging ich wieder in eine Klinik, diesmal aber für psychische Gesundheit, wo ich die nächsten 4 Wochen verbringen sollte.
Ich erbat mir Hilfe, wollte gern über das Geschehene reden, aber keiner gab dem nach, jeder blockte sofort. Das machte mich so unglücklich und fertig, dass ich mehr mit Kämpfen verbrachte, als damit wieder auf die Beine zu kommen. Es kostete mich Kraft die ich nicht hatte.
Von der Seelsorge des Klinikum Augsburg bekam ich eine Einladung zur Beerdigung meines Sternenkindes. Alle verhöhnten und belächelten mich, und ich musste mir anhören wie albern ich doch sei. Mein Herz schrie, und ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein bisschen Verständnis, um dann noch Vorwürfe zu bekommen, dass ich nicht am gleichen Tag der Beerdigung wieder zurück auf die Station in Nürnberg kam.
Ein paar Tage später sollte dieser Aufenthalt enden, dagegen machen konnte ich eh nichts, und ab da schloss ich mich in mein kleines Zimmer ein, und hoffte, dass diese unendliche Trauer irgendwann von selbst verschwinden würde. Es heißt ja so schön „Zeit heilt Wunden“. Das stimmt so nicht ganz so, denn heilen werde ich an dieser Stelle im Herzen niemals mehr. Möglicher Weise kann ich nicht einmal mehr Kinder bekommen, weil mir bei der OP der komplette Eileiter entfernt werden musste. Aber irgendwie raffte ich mich wieder auf, machte weiter, atmete weiter, lebte weiter. Aber meinen kleinen Schmetterling werde ich niemals vergessen.
Ich führte dann ganz für mich allein ein Tagebuch im Internet, in dem ich Briefe an meinen Stern schrieb. Darauf wurde eine Frau aufmerksam, welche mir einen sehr netten Kommentar hinterließ. Sie wollte mir etwas schenken, ein Büchlein. Die Frau hatte es selbst geschrieben, und es passte so gut zu mir. Zuerst dachte ich mich würde da wer verarschen, aber nach einer kurzen Recherche im Internet war klar, sie meint es ernst. Als ich dann eine oder zwei Wochen später Post erhielt, habe ich das erste mal in all der Zeit ein Gefühl von Verstandenwerden in mir bemerkt.
Ich ging wieder nach draußen, ich kämpfte weiter. Und das hatte ich nur dieser fremden Frau mit soviel Herz zu verdanken, deren Buch mich so sehr berührt hat, und genau auf meine Situation passte.
Dies ist für mich eine sehr ungewöhnliche Situation, und ich werde sie wohl niemals vergessen. Ich bin so unendlich dankbar, dass diese fremde Frau mehr Herz für mich übrig hatte, als meine eigene Mutter...
Auf diesem Weg möchte ich mich bei dieser Frau bedanken, und bei Susi, die meistens für mich da war wenn ich sie brauchte, und die mir half diese furchtbare Zeit zu überstehen. Ich möchte aber auch C. danken, der immer wieder ein offenes Ohr hatte, obwohl ihn dieses Thema selbst wohl ziemlich belastet hat. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar.
Texte: Tränenherz
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meinem kleinen Schmetterling, und danke ihm für die Stunden in denen er mich glücklich gemacht hat. Ich hoffe es geht dir gut.