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Das neue Spielzeug

Rebecca strahlte, als ihr Vater ihr das locker in buntes Papier eingewickelte Geschenk übergab. »Was ist das, Daddy?«, fragte das sechsjährige Mädchen ihn neugierig. »Nun, pack es doch aus, Engelchen!«, sagte Robert Bundy zu seinem braunhaarigen Schatz, der sein ein und alles war. Hastig und voller Vorfreude riss das Mädchen die Verpackung herunter und enthüllte ihren Inhalt. Rebeccas Augen begannen, zu leuchten, als sie sah, was ihr Dad ihr von seiner langen Geschäftsreise mitgebracht hatte.

Es war eine zirka ein Meter zwanzig große Puppe mit blonden Zöpfen in einem rosa Kleidchen mit roten Punkten drauf. »Ihr Name ist Marina«, erklärte Robert ihr in einem liebevollen Ton, »Sie ist eine ganz besondere Puppe. Sie kann ihre Arme und Beine bewegen und ihre Augen ebenfalls. Und man muss sie sogar füttern, damit sie funktioniert.« »Kann sie auch laufen und sprechen, Daddy?«, fragte das Kind.

Bundy zögerte einen Augenblick. Dann sagte er in einem fast schon traurigen Tonfall: »Nein, mein Schatz! Das kann sie leider nicht.« Dabei setzte er einen Moment lang, zu kurz, als dass die Sechsjährige es hätte bemerken können, ein diabolisches Grinsen auf, dass eine halbe Sekunde später wieder einem freundlichen Lächeln wich. »Danke, Daddy!«. Mit diesen Worten umarmte Becky ihren Dad einmal kurz, bevor sie dann mit ihrem neuen Spielzeug in ihr Zimmer verschwand.

Rebecca setzte die Puppe an einen kleinen Tisch, um den herum kleine Stühle standen, auf denen verschiedene Puppen und Stofftiere saßen. »So, Marina! Herzlich willkommen! Nun machen wir erst mal eine Teeparty«, sprach das Mädchen zu der über einen Meter großen Puppe, die ihr direkt gegenüber saß. Als Becky sich Marina genauer anschaute, kam ihr irgendetwas merkwürdig vor.

Ihre Arme und Beine bewegten sich ständig. Aber es waren nicht die typischen, mechanischen Bewegungen eines Spielzeugs mit elektronischem Innenleben. Es sah mehr nach wilden Zuckungen aus. Auch ihre Augen waren komisch. Nicht nur, dass sie nicht wie die Plastikaugen einer Puppe, sondern eher menschlich aussahen, sie öffneten und schlossen sich permanent und die Augäpfel drehten sich in ihren Höhlen ständig nach links und rechts. Insgesamt wirkte es so, als wenn Marina, die nicht aufhören wollte, zu zappeln, aus irgendeinem Grunde Panik hätte. Becky kam die Puppe irgendwie unheimlich vor.

Auf einmal geschah etwas, das der Tochter des Handelsvertreters einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Aus den Augen, die ihr irgendwie bekannt vorkamen, liefen plötzlich Tränen. Panisch rief das Kind: »Daddy! Daddy! Komm schnell!«. Einen Augenblick später riss Robert die Tür des Kinderzimmers auf und fragte besorgt: »Ja, Schatz? Was ist denn?«. Rebecca sagte mit ängstlicher Stimme: »Es ist Marina. Sie macht so komische Bewegungen. Und sie weint. Sie macht mir Angst.« „Ach, Schatz! Du brauchst keine Angst zu haben. Das ist doch nur ein Spielzeug“, versuchte der Vater, sie zu beruhigen.

Er betrat den Raum, nahm Marina in beide Hände und hielt sie Becky direkt vors Gesicht. »Das ist eine ganz neue Art von Puppe. Sie läuft ohne Batterien. Man muss sie wie gesagt nur regelmäßig füttern. Gib ihr doch ein bisschen Pudding zu essen! Dann wird Marina schon aufhören zu weinen.« Er drehte den mit Kunststoff umhüllten Körper zu sich. »Marina wird dir nie wieder Angst einjagen, sondern nur noch Freude schenken. Nicht wahr, Marina?«. In Bundys Stimme lag ein leicht bedrohlicher Unterton. Die Augen des Spielzeugs waren direkt auf Robert gerichtet und fixierten ihn, so als wenn sie ihn ängstlich anstarren würden. Einen Moment lang hatte Rebecca sogar den Eindruck, als wenn Marina ihrem Vater zunicken würde.

»Jetzt komm, Engelchen! Spiel schön weiter mit deinem neuen Spielzeug!«, sagte Bundy mit ruhiger Stimme und gab seiner Tochter die Puppe zurück. »Ist gut, Daddy«, antwortete Becky, die sich wieder beruhigt hatte, mit süßer Stimme. Robert lächelte zufrieden und wollte gerade das Zimmer wieder verlassen, da fragte Rebecca ihn: »Daddy, wo ist Mommy?«. Der Mann zögerte einen Moment, drehte sich dann um und sagte schließlich in teils trauriger und teils zufriedener Stimmlage: »Mach dir keine Sorgen, Schatz! Mommy wird immer bei dir sein.« Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür. Bundy ging zur Hausbar und schenkte sich einen Scotch ein. Danach setzte er sich auf die Couch vor dem Kamin und dachte nach.

Gott, wie froh er war, endlich alles geregelt zu haben. Noch vor zwei Monaten wusste er nicht, wie es weiter gehen sollte. Nach zwölf Jahren Ehe hatte Marina, seine Frau ihm offenbart, dass sie ihn und Becky verlassen würde. Und das alles nur, weil ihr plötzlich nach über zehn Jahren eingefallen war, dass sie ihre Freiräume bräuchte, die ihr Mann ihr ihrer Ansicht nach nicht lassen würde. Sie hatte gesagt, sie müsse lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und ihren Weg gehen.

Robert musste plötzlich lachen, als er an den Satz dachte. Auf eigenen Beinen stehen! Dieser Traum seiner egoistischen Ehefrau war wohl spätestens an dem Tag zerplatzt, als Dr. Michael Dharma, ein brillanter Chirurg, mit dem er schon im Kindergarten befreundet war, ihr beide Beine und später auch die Arme amputierte. Zuvor hatte Bundy Marina in ein Café gelockt, um sich mit ihr auszusprechen. In einem passenden Moment hatte er ihr etwas in ihren Espresso gemischt, wodurch ihr mehr als schwummrig wurde. Seine Erklärung gegenüber den anderen Gästen im Café war, dass seine Frau unter Kreislaufproblemen leiden würde. Dann hatte er sie in sein Auto verfrachtet und sie zu einer abgelegenen Lagerhalle gefahren, wo sein alter Freund schon mit Chirurgenbesteck und anderer medizinischer Ausrüstung auf ihn wartete.

Michael war wirklich eine Choriphäe. Allein, mit welcher Präzision er Marinas Stimmbänder durchgeschnitten und ihr die Schweißdrüsen unter den Achselhöhlen sowie später auch ihren Unterkiefer entfernt hatte… Eine Meisterleistung! Nur die Augen hatte Robert ihr gelassen. Schließlich sollte seine plötzlich so freiheitsliebende Frau sehen, wie ihre Familie, die sie aus so selbstsüchtigen Gründen verlassen wollte, ein glückliches Leben führt, während sie selbst den Rest ihrer Tage stumm und in Bewegungsunfähigkeit verbringen würde.

Zum Glück passte ihr verstümmelter Körper perfekt in die Kunststoffpuppenhülle, die ihm von einem Spielzeughersteller und altem Geschäftspartner zur Verfügung gestellt worden war. Bundy hatte sich die zwei Monate lange Prozedur natürlich nicht entgehen lassen. Jedes Wimmern, jedes Flehen, jeder Schrei… Nicht umsonst war auf jegliche Art von Narkose oder Betäubungsmittel verzichtet worden. Während dieser langen Geschäftsreise hatte Aileen, Marinas Schwester auf Becky aufgepasst. Seine Tochter, die noch nie vorher so lange ohne Eltern daheim gewesen war, hatte laut Aileen oft geweint.

Aber nun war ja wieder alles in Ordnung. Robert war wieder zu Hause bei seinem Kind. Und Rebeccas Mutter würde sie beide niemals verlassen…

Der Beweis

Richard saß in dem bequemen Garderobenstuhl und schaute in den großen, mit brennenden Glühbirnen umrahmten Spiegel vor sich. Die Maskenbildnerin schminkte ihn und kämmte sein Haar. Noch eine halbe Stunde, dann ist es endlich soweit. Dieser Gedanke löste eine Welle der Euphorie in ihm aus und ließ ihn breit grinsen.

Überall im Land hatte die Geschichte Furore gemacht. Richard Brown, der Mann, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war und über den es keinerlei Unterlagen gab, Geburtsurkunde mit eingeschlossen, behauptete, er käme aus der Zukunft. Zwar gab es zu dem Zeitpunkt viele Leute, die mit derartigen Behauptungen an die Öffentlichkeit traten, ob nun im Fernsehern, in der Presse, oder auf You Tube, aber Richard unterschied sich in einem entscheidenden Punkt von ihnen. Denn der 55-Jährige erzählte auf allen Platt-formen wie Instagram, Twitter oder Facebook sowie in den Nachrichten und Zeitungen, dass er etwas hätte, was die anderen „Zeitreisenden“ nicht vorbringen könnten, nämlich einen Beweis.

Und dieser Beweis, so Brown, sei unanfechtbar und würde, sobald er ihn der Menschheit zeigen würde, auch den letzten Skeptiker überzeugen. Was für ein Beweis das genau sein sollte, dazu machte der Mann, der aufgrund seiner charismatischen und ehrlichen Ausstrahlung sowie der allgemeinen Neugierde verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, keine Angaben.

Irgendwann jedoch war das öffentliche Interesse so groß geworden, dass sämtliche TV-Sender Anfragen stellten, ob er nicht endlich den Gegenstand oder was auch immer die Richtigkeit seiner Aussagen beweisen würde, der Öffentlichkeit präsentieren könnte. Schließlich willigte Richard Brown ein.

Allerdings war der Exzentriker, der sich in den drei Monaten seit seinem Auftauchen den Rang eines A-Prominenten erarbeitet hatte, aus irgendeinem Grunde mehr als wählerisch, was den Ort und Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beweises für seine Herkunft aus der Zukunft betraf.

Es sollte unbedingt am 29. Juli 2018 stattfinden. Auf kein anderes Datum wollte der You Tube-Dauerbrenner sich einlassen. Außerdem wollte Brown in keine andere Talk-Show als in die Biff Roland-Show, obwohl die eigentlich Dienstagabend läuft und nicht sonntags. Doch aufgrund der Beharrlichkeit des heiß begehrten Promis erklärte der Sender sich bereit, eine Sonderausgabe der Sendung mit ihm als einzigen Gast zu zeigen. Auch mit seiner Forderung, die Show ausnahmsweise live und nicht als Aufzeichnung auszustrahlen, war der Programm-Chef einverstanden.

Irgendwann war die Lady fertig, ihn für die Show herzurichten. Richard nahm die Metallbox in die Hand, die das beinhaltete, auf das Millionen von Fernsehzuschauern seit Wochen gespannt warteten. Ein Mitarbeiter kam herein und sagte mit angespannter Stimme: „Noch fünf Minuten bis zur Sendung, Mr. Brown!“. „Danke!", antwortete Brown trocken und mit einem freundlichen Lächeln. Der Ausdruck in seinen Augen, der etwas Freundliches, aber gleichzeitig auch etwas Psychotisches hatte, bescherte dem Angestellten eine Gänsehaut, sodass dieser kurz daraufhin schnell wieder den Raum verließ.

Richard schmunzelte mit einem sadistischen Lächeln. „Showtime!“. Mit diesen Worten stand Brown auf und checkte noch einmal im Spiegel sein Äußeres. Dann begab er sich schließlich auf den Weg in den spärlich beleuchteten Flur, in dem die Assistentin des Intendanten schon wartete. Sie begleitete ihn bis kurz vor Ende des Durchganges. „Wie gesagt, Mr. Brown, Biff wird Ihnen zunächst ein paar allgemeine Fragen zu Ihrer Person stellen, bevor er dann zum eigentlichen Thema kommt. Also keine Sorge! Es wird schon ein angenehmes Gespräch werden“, sagte die Mitte 20-jährige Blondine freundlich. „Danke. Ich mache mir auch keine Sorgen“, gab der komplett in schwarz Gekleidete mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme zurück, der der jungen Dame nicht auffiel.

„Gut. Hier wären wir. Haben Sie alles dabei?“, fragte die Assistentin. „Ja, ich habe alles, was ich brauche“, antwortete Brown und strich dabei mit seinen Fingern über das Behältnis in seiner rechten Hand, so als wenn es ein altes Familienerbstück wäre. „Gut. Dann viel Glück!“. Die junge Lady zog sich zurück. Browns Puls beschleunigte sich plötzlich. Nur noch ein paar Minuten! Seine Vorfreude stieg ins Unermessliche.

Das typische Talk-Show-Intro aus den Lautsprechern läutete den Beginn der Sendung ein. Biff Roland trat vor die Kameras und verbeugte sich vor dem klatschenden Publikum. Nachdem sich der Applaus gelegt hatte, begrüßte der stets auffällig gekleidete Talkmaster mit der blonden Lockenfrisur sowohl die Gäste im Studio als auch die Zuschauer zuhause. Nach ein paar kleinen, trivialen Scherzen und einer kurzen Überleitung folgte schließlich die Ankündigung des heutigen Gastes:

„Und nun kommen wir zum Mann der Stunde. Die Klicks für die You Tube-Videos über ihn haben schon längst die Millionen-Grenze gesprengt. Sein Gesicht ziert täglich die Titelseiten der Boulevard-Presse. Nur ins Fernsehen wollte er aus irgendeinem Grunde bisher noch nicht. Doch heute haben wir das Glück, ihn hier in einer Sonder-Live-Sendung begrüßen zu dürfen. Er ist, wie er sagt, ein Zeitreisender. Und heute Abend will er es beweisen. Wir sind alle gespannt. Bitte begrüßen Sie ganz herzlich den Mann aus der Zukunft: Richard Brown!“. Die Begrüßungsmelodie ertönte und Richard betrat die Bühne. Die Leute wollten gar nicht mehr aufhören, zu applaudieren. Er lächelte freundlich, aber gefasst in die Kameras und verbeugte sich höflich. Dann gab er dem Moderator die Hand und setzte sich in den bequemen, rot gepolsterten Sessel.

„Herzlich willkommen, Mr. Brown! Schön,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 06.09.2018
ISBN: 978-3-7438-8007-8

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