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DER BLAUE CIRCUSWAGEN

Sie springt hinein, bleibt unbeachtet
Der Circus seine Wege zieht
Vergangenheit, sie nur verachtet,
ihr leben ohne Namen blieb.

Der alte Mann, ganz dürr und drahtig
Wortlos rückt er auf dem Lager
Sie legt sich zu ihm, scheu und artig
Die Hand sie streichelt, zitternd, hager!

Bisher sie mit den Hunden schlief,
in Cartagenas dunklen Ecken
Bis er vom Seil „TUTU!“ Sie rief-
Sie wird mit ihm die Welt entdecken!

Im blauen Circuswagen!

© Towradi





DER WALD

Der Wald, ein Bild der Ruhe,
wenn leis im Abendwind die Äste wiegen.

Doch lass den Sturm in das Gefieder,
lass biegen sich Geäst und Glieder,
lass stöhnen sie und jammern
und ängstlich aneinander klammern.

Lass spüren sie der Ohnmacht Gnade,
lass heulen, fluchen sie und flehen,
lass ihnen Zeit, in sich zu gehen.

Der Wald, ein Bild des Grauens,
wenn Sturm und Wind hinein sich frisst,
wenn einer auf dem andren lehnt,
wenn Äste krachen, Wurzeln bersten
und jeder glaubt, er hätt`s am schwersten.

Ein Bild des Grauens, musst du erfahren,
dass dir die Last zu groß geworden,
der Grund war für dein kaltes Morden.

Der Wald, ein Bild der Ruhe,
wenn leis im Abendwind die Äste wiegen,

der Wald, er ist verschwiegen.

© Towradi

Begegnung

Schritte hörst du –
Näherkommend.
Regennass das Pflaster!

In der grauen Häuserschlucht-
Dunkelheit,
das Laster.

Vor dir an die Wand gelehnt-
Blass die Haut-
Hast du auch „Zaster?“

Du kramst die Kohle-
Jeden Schein-
Schiebst sie in den Ausschnitt rein.

Sie löst sich von der Häuserwand-

„Um´s Eck rum hier,
geh mit mir heim!“
Regennass das Pflaster !

© Towradi Februar 2009



Ich geh zu Dir –
Das Herz mir bis zum Halse pocht

Ich bin bei Dir
Kann doch nichts sagen
Übervoll – die tausend Fragen

Ich bin in Dir –
Den Tod gestorben
Der immerwährend Wiederkehr

Ich leb in Dir –
Bin eins geworden
Mit mir, mit Dir - und auch dem Morgen!

© Towradi




ALTER

„gereift!“ - sagt ER
„verbraucht!“ - sagt SIE
„warum!“ -fragt ER

SIE: „frag mich nicht mehr!“

© Towradi


DAS LEBEN

Der Clown
Schwermütige Tage, unterbrochen durch die Lächerlichkeit deiner Auftritte vor Publikum.

DER ASKET
In der Völlerei, der unbeantworteten, nutzlosen Fragen.

DER ENGEL
Erträumt die Unerbittlichkeit der höllischen Unmoral.

DAS LACHEN
Auf Irrwegen, versäumt die Pforte der Seele.
Verliert sich in der Größe deiner Kleinheit.

DIE BERÜHRUNG
Verbrennt in der Hitze deiner Schenkel,
verdampft zur unmoralischen Anmaßung.

DAS LEBEN
Es stolpert!
In den verwunschenen Gärten deiner Unwägbarkeiten

© Towradi 2009




Momente nur?


Es ist dein Blick-
Dein Glanz der Augen-
Dein Lächeln, das den Mund umspielt-
Momente nur?

Finger durch dein Haar sanft gleiten-
Lippen die sich zart begegnen-
Berührung sucht, wehrt nicht dagegen-
Verzaubert unser Atem streikt-
Momente nur?

Seelen die sich suchten, fanden-
Momente nur?
Nein – Liebe pur!

© Towradi 17.01.2009





GEFANGEN

Sag mir, wie hoch sind die Mauern?
Kannst du das Land weit vor dir schauen?
Ich würd` so gern wandern, bei Tag oder Nacht.
Seit dein Vogel am Abend
Die Nachricht gebracht.

Er flog drüber weg, listig und keck.
Ließ fallen die Botschaft tief zu mir runter.
Da sitz ich, ich lese, vielhundert mal!
Würd` gerne sehen, versprochen das Tal.
Wer sprengt die Mauern, wer die Qual?

Dein Vogel, ich seh` ihn, weit über mir!
Sein Lied ihn begleitet, er kommt zu mir.
Umfasst meinen Finger, wippt mit dem Schwanz
Komm mit, ich trag dich
Sie sagt – ich kann`s!


© Towradi


Gestern

Einst hieß es „Maddows“,
vor dreißig Jahren, die lange Theke,- wenig Licht,
gut die Musik, man leise spricht.

„Alter Ego“, so jetzt der Name,
geh rein, besuch es, warum nicht?
Die lange Theke, ganz wenig Licht.

Gute Musik, die Barfrau lächelt,
vor dreißig Jahren, gab’s mich noch nicht,
„Alter Ego“, das andre ICH !

Es war wohl gestern, glaub es nicht!

© Towradi


Olivenbaum

Genügsam formt er sich zum Licht
Schnörkellos nimmt er die Pflicht

Kann hungern, dürsten –
Kein Anspruch, der weiter geht als – geben!

Der Stamm – das Holz
Das Blatt – den Schatten
Die Frucht – das Öl

Das Völker nährt!

© Towradi


Unendlich

Ich denk an dich –
such Innerstes, Verborgenes
Ich sehe dich in meiner Welt,
schau Lächeln, Wärme, Zärtlichkeit

Ich suche dich, will in dir leben,
umschlinge deine Lenden
Und fühle dich, ganz nah bei mir,
beschützt in deinen Händen

Mein Kuss, dem warmen Regen gleich,
umhüllt dich ganz und gänzlich.
Es ist der Traum, Glückseligkeit
Ich liebe dich - unendlich.

© Towradi 05.12.2008


Die Nacht

Samtumhüllt, das stille Denken,
Einkehr, Rückzug, Grabesruh.
Warmer Wind, will Wärme schenken,
Nachtgeflüster, raunt er zu.

Orpheus Welt, in aller Munde
Schweigen, sie am Leben hält.
Sehnsucht nagt, zu später Stunde,
der Hund, den gelben Mond verbellt.

Sie lebt in dir, zerreißt dein Herz,
sie fühlen, lieben, trösten, kosen.
Gedanken, Liebe, himmelwärts,

Gebettet hast auf Rosen.

© Towradi




Einsam

Kein laut erreicht das Ohr
Man sagt, es führe zum Verlust....
Kein Licht durchdringt das geschlossene Lid
Man sagt, auch das führe zum Verlust......

Streichelst dich selbst, empfangend und gebend,
Irrwitz - in deinem Leben...
Sprichst mit dir selbst,
hörst dir zu,
immer die gleiche Stimme, unter geschlossenen Lidern....

Kein fröhliches Leben.... einsam eben!


© Towradi 12.o2.2010


DIE FRAU DES ANDEREN

Wie schön sie ist, so weiblich, fordernd,
biegsam, schmiegsam, gertenschlank,
ihr Lachen deine Sinne raubt.

Ihr Blick, dein Herz, die Sinne lockt,
des Anderen Frau, das Feuer zündet,
Ungläubigkeit, der Atem stockt.

Gewissheit zeigt sie, leichte Hand,
zögerst, zauderst, spielst mit Sand.
Oh süßer Traum der Leidenschaft!

Komm zu mir, will dich bei mir haben,
fühlen, lieben, küssen, rasen,
Den Anderen werd ich von mir stoßen.

Du bist so schön, so weiblich gebend,
verzeih mir Liebste, Traum für Traum.
Ich sterbe jetzt, doch in dir lebend,

die Frau des Anderen- glaub es kaum!

© Towradi

Hände
Dich tragen, sie wiegen dich,
streicheln und sagen –
ich liebe dich!
Hände
die zeigen, gelebtes Leben
sie fassen dich leicht –
in den Himmel sie heben!
Hände
Sie zittern, berühren Zartes,
sie fühlen das Beben -
Dir Leben geben!
Hände
Umschließen, die Hände weich,
Vertrauen sie wahren –
sie machen dich reich!
Hände
Beacht sie, begreif, was sie sagen,
Sie sind die Antwort –
Auf all deine Fragen!

© Towradi 26.02.2009


Wüstenweg

Träume in den Augen,
Kraft in deinen Adern,
Ungebrochen dein Wille-
Die Spur einer Viper im heißen Sand.

Angst in deinem Nacken,
schwer deine Brust,
das Zittern deiner Hände-
Verantwortung besetzt deine Tage.

Hoffnung in dir, findest das Grün,
nass und kühl,
es fliest vorbei, verschwindet im Sand-
Staunen in deinen Fragen.

© Towradi




Der alte Mann,

erinnert,
sieht ihre Augen - und lacht!

Streichelt ihr Haar,
ruhig und bedacht, - und fühlt!

Vergräbt sein Gesicht,
in ihrem Wesen, - und weint!

Der alte Mann

erinnert,
Zärtlichkeit ...... - sie ist gemeint!


© Towradi





KURZGESCHICHTEN





ZWEITGEBORENER oder Das MONSTER


Heute schreiben wir den vierten Juni 1945, es ist morgens, exakt fünf Uhr.

Mein erster Schrei!

Mutter, eher weniger wie mehr, ärztlich versorgt, hat ihr zweites Kind geboren. Vater gräbt im Garten eine über die Kriegsjahre versteckte Flasche mit Kirschwasser aus.

Dr. Petzold und er besaufen sich!

Meine Geburt lässt zwei Bedeutungen zu.

- Das Leben geht weiter!
-
- Der Krieg ist verloren, keiner hat etwas zu beißen – noch einer mehr, der zu versorgen ist!


Zwischenzeitlich gehe ich nicht mehr davon aus, dass mein Erscheinen als Zeichen der Hoffnung gewertet wurde!

Das Gefühl, quasi zur falschen Zeit am falschen Ort aufgetaucht zu sein wird mich für den Rest meines Lebens nicht mehr verlassen.

Jede Art des Unwillkommenseins schärft die Sinne des Betroffenen. Kein träges Geborgensein, kein wohliges Einlullen, kein bequemes Räkeln in den Daunen der Anerkennung eines Erstgeborenen.

Nein! – Schreien, Strampeln, Präsenz zeigen, plärren,- überleben!


Eine Bombenstrategie für die ersten Tage meines Überlebenskampfes gegen das Establishment!

Ich „nerve“, stärke gleichzeitig meine Lungenkapazität, aggressiv fordere ich mehr Zuwendung.

Vollkommen nebensächlich hier die Frage der Motivation der Beteiligten.

Ob aus Zuneigung, ob aus dem „genervt sein, was zählt sind Portionen von Babybrei und der unauffällige Wechsel meiner Windeln, die damals Baumwolle -Sonnengebleicht hießen und nur nach mühevoller Prozedur mit Kernseife und Waschbrett, Wind und Sonne, erneut Zugang zu meinem Allerwertesten fanden.

Ich bin ein „Monster“ und ich weiß das!

Ich bin Zweitgeborener, keine Sensation. Ich bin kein Kind der ersten Liebe, eher schon ein Produkt der Gewöhnung, verdächtig nahe an der Tatsache des „Betriebsunfalls“.

Ich brauche Publikum, ich brauche Versorger. Ich arbeite daran und schreie!

Zwischendurch balle ich drohend meine Fäuste mit hochrotem Kopf und strample mit meinen krummen Beinen.

All dies ist extrem anstrengend, der Stoffwechsel arbeitet in Höchstform.

Meine Lagerstätte umwehen zeitweise Düfte, die an Unerträglichkeit schwer zu überbieten sind.

Auch das subjektives Empfinden im Modder zu liegen, trägt nicht dazu bei, solchen Zuständen und Zeitspannen auch nur den Hauch von Babyhaften Glücksempfindungen zu entlocken.

Was liegt näher, als mit infernalischem Geschrei die Umwelt auf meine beschissene Situation aufmerksam zu machen, mit dem eindeutigen Ziel, die hygienischen Verhältnisse zwischen meinen Oberschenkeln grundlegend zu verbessern.

Meine Fähigkeit, andere zu nerven, hat ihren qualitativen Ursprung aus dieser frühkindlichen Phase der seelisch, emotionalen, wie auch praktisch, betreuenden Unterversorgung durch die Verantwortlichen meiner physischen Existenz.

Meine erstaunliche Lungenkapazität, mein Talent für Ausdauersportarten in späteren Jahren – auch!

Es ist meine Stimmgewalt, die mich überleben lässt. Ich nerve unsäglich, meine damaligen Fähigkeiten voll und ganz ausschöpfend.
Plärren, Strampeln, bedenklich rot anlaufen, sabbern und wieder „plärren!“


Langsam, nach einigen Monaten, nähert sich mein Erscheinungsbild, dem des kleinen Buddha.


Ich werde „gnädiger“!
Schreie weniger!
Ab und an setze ich mein „Lächeln“ ein, meine Augen bekommen einen eigenartigen Glanz!
Sie „strahlen!“

Meine Gesichtszüge wirken erstmalig entspannt, ein gönnerhaftes Lächeln reicht knapp bis zu den Ohren, zahnlos mein Kiefer.

Man kennt mich so nicht!

Ich stifte Verwirrung, verbreite Unsicherheit. Große Erleichterung bei meinem Umfeld: “Der wird schon!“

Eine trügerische Hoffnung!

Fortan bringe ich sie mit „Zuckerbrot“ und „Peitsche“ auf „Trab“.

Das Umschalten von „Strahlemann“ auf „Zornesröte“ gelingt in immer kürzeren Abständen, lediglich mein markerschütterndes Geheul setzt erst nach langen Sekunden äußerster Konzentration ein.
Ich genieße dabei den beginnenden Fluss meiner Tränen, achte auch darauf, rechtzeitig erneut Luft zu holen, obwohl mein Dauerton bereits eine talentverdächtige Zeitspanne erreicht hat.

Klappt das eine nicht, bleibt immer noch das andere! Meine Erfolgsaussichten haben sich durch diese Erkenntnis glatt verdoppelt!


Vater faltet mit versteinertem Gesicht seine Zeitung, Mutter nimmt mich endlich auf den Arm und die Schwester, in stiller Resignation, zupft an ihren Puppen herum.....

Ich bin ein Monster, ich bin der Zweitgeborene!


© Towradi




DAS KURFRÜHSTÜCK


Der Tisch im großen Speisesaal der Kurklinik ist rechteckig. Er bietet Platz für vier Personen und vier genormte Gedecke, inklusive der weißen Papiertaschen, in denen unsere Stoffservietten ihre mikrobielle Aufbauarbeit leisten können, fein gefaltet und in der Tasche ruhend.

Die Taschen haben ein geprägtes Schriftfeld für den Namen des jeweiligen Benutzers. Es ist anzuraten, dieses Feld mit dem eigenen Namen zu beschriften.
Man weiß ja nie!

Die vier Plätze sind natürlich nummeriert. Ja, das muss sein! Die Bedienungen kennen uns nur als Nummern, Nummer eins, zwei, drei und vier. So eben, wie die kleinen rosafarbenen Zettel, die hälftig in der Suppe hängen oder vorwitzig aus dem Spinat entgegenleuchten.

Die Farbe „rosa“ ist sehr gut gewählt, denn welche Speise ist schon rosa? Es senkt das Risiko, diese Erkennungsmarke drei mal täglich zu verspeisen.

Unser Tisch grenzt mit einer Seite direkt an das Büro der Diätassistentin. Signifikantes Signal, hier sitzen die ernährungsphysiologisch schwersten Fälle, die eine gewisse örtliche Nähe zur Heilsbringerin Diätassistentin, zwingend erforderlich machen.

Wir sitzen abgegrenzt zur Welt der Normalköstler hinter wuchernden Hydrokulturen, während der Mahlzeiten liebevoll im Nacken gestreichelt durch immergrüne Farne, die gemütliches Zurücklehnen erst gar nicht aufkommen lassen. Vereinzelt leisten uns kleine rötlichbraune Ameisen Gesellschaft, wir ignorieren sie, es sei denn, sie tummeln sich auf der weißen Tischdecke. Sie werden kommentarlos zerdrückt, entsorgt.

Es ist der Tisch 32!

Ich esse „salzarm“ und habe den Platz 3. Mein Nachbar links isst „fettarm“ hat den Platz 4. Sein Gegenüber isst „purinarm“, Platz Nr. 1, wohingegen mein Gegenüber, Platz 2, sich „cholesterinarm“ ernährt.

Wir nehmen uns und unsere Ernährung sehr ernst.

Schließlich ist es unsere jahrzehntelange Fehlernährung, die uns hier am Tisch 32 zusammengeführt hat.

Die Tatsache, dass unsere Knochen im Begriff sind, ihren Dienst zu quittieren kennt nur eine Ursache, „falsche Ernährung!“

Erklärt hat uns dies in abendlichen Pflichtvorträgen die junge, aber schätzungsweise einhundertdreißig Kilogramm schwere Diätassistentin mit ihren hochroten Backen und einer alterentsprechend, ungewöhnlichen Kurzatmigkeit.

Wir am Tisch 32 sprechen nicht über unsere Erkrankungen, nein.
Höchstens ganz kurz, bei der gegenseitigen Vorstellung am Tisch. Das klingt dann in etwa so:

Mein Name ist XYZ, ich esse salzarm! Das wäre wohl die kürzeste, denkbare Form um am Tisch als „kurwürdig“ akzeptiert zu werden.

Aber natürlich behandeln wir das Thema variantenreicher....

Im laufe der nächsten Tage lernen wir uns und unsere Krankheitsbilder je nach Rethorikfähigkeit und Enthusiasmus kennen.

In plastischen Bildern, gezimmert aus orthopädischen Gerätschaften, mehr wie blutigen, operativen Eingriffen, Nahtodeserfahrungen, und die alle menschliches Durchhaltevermögen übersteigende Schmerzzustände, werden leidvolle Lebensabschnitte geschildert.

Welch ein Wunder, wir leben noch und haben –„Hunger!“

Für mich gibt es keine Wurst, keinen Käse!
Ich erhalte einen kleinen Teller mit Konfitüre, Magerquark, Knäckebrot und heiß begehrt am Tisch, ein Stück Butter!

Meine Nachbarn erhalten gemeinschaftlich drei Scheiben dunkles Brot, drei Scheiben Käse und Wurst. Konfitüre, Quark und Honig steht ihnen auch zur Verfügung, aber keine Butter!

Acht Augen fixieren, registrieren und verarbeiten unter erhöhtem Speichelfluss die auf dem Tisch aufgetragenen Köstlichkeiten.

Peter der clevere Taktiker eröffnet: „Jungs, esst doch Wurst und Käse, es ist noch Wurst und Käse da!“

Bei seinem Gegenüber hat er spontan Erfolg: „Esst nur, ich möchte heute keine Wurst!“ sagt dieser, wohl spürend, welche schmerzliche Kasteiung er seinem Gaumen zufügt, sichtbar schluckend.

„ Ich nehme mir noch eine Scheibe Käse, die ist eh gesünder!“ Er räumt eine Scheibe Käse ab, sichtbar stolz auf den Wurstverzicht, dokumentiert seinen glasklaren Willen, seinem Kuraufenthalt ein Maximum an Selbstdisziplin und neuer, asketischer Lebensweise abzugewinnen.

„Nein, diesen Käse, den esse ich zuhause auch nicht, den könnt ihr frei ham!“
sagt unser Ansbacher „Purinarmer“ und beißt herzhaft in sein Wurstbrot.

Auf dem Teller liegt immer noch eine Scheibe Wurst und eine Scheibe Käse.
Köstlichkeiten am Tisch 32!

Die zweite, die dritte Tasse Kaffee ist bereits getrunken, die Gefahr dass diese „Köstlichkeiten“ innerhalb der nächsten Minuten von der Bedienung abgeräumt werden ist signifikant.

Also doch!

„Isst denn keiner mehr diese Wurst, diesen Käse?

Peter, der „Fettarme“, er reitet erneut die Attacke, eröffnet das Finale.
Exakt terminiert, denn drei Sekunden später hätten sie wohl zu dritt, synchron sozusagen diesen denkwürdigen Fragesatz formuliert.

„Ist doch schade, das kann man doch nicht wegwerfen! Kommt, teilen wir uns das Ganze!“ Schaut seinem Gegenüber hypnotisierend in die Augen, Käse und Wurst bereits auf der Gabel baumelnd.

Das ist brillant, Timing, Gestik, Rethorik, alles passt, die beiden anderen haben keine Chance jetzt noch Ansprüche geltend zu machen.

Der Ansbacher huscht mit seinen Augen über die Gabel mit Wurst und Käse, zurück zum Agierenden und denkt:

„Du Heuchler, der Braten ist ja schon auf deiner Gabel, so verfressen bin ich nicht. Im Hals soll es dir stecken bleiben!

Er stemmt sich mit beiden Händen weit vom Tisch, als müsse er gewaltsam Distanz zu diesen, auf ihn gerichteten Augen schaffen, hebt eine Hand und winkt ab.

„Iss`ner, iss, ich moch nix`mer!“ ein gequältes Lächeln auf den Lippen, beim Ansbacher.

Erst jetzt löst sich die Spannung bei Peter dem „Fettarmen“, die Gabel, bisher noch über dem Tisch schwebend wandert zu seinem Teller.

Er ist ein frommer Mann!

„Also dann, in Gottes Namen!

Wäre doch ein Frevel, wenn es kaputt gehen würde!“

© Towradi




Ein Zentner Kartoffeln und zwanzig Mark – oder – Der erste Tag

Was ich zu erzählen habe findet neunzehnhundertfünfundfünfzig statt, ich bin seit kurzem zehn Jahre alt, bin bis jetzt in der Volksschule eines bayerisch, schwäbischen, mittelgroßen Dorfes und werde, sofern ich die Aufnahmeprüfung bestehe, ab Herbst das Gymnasium in der Kreisstadt besuchen.

Achtundvierzig stolze Bauernhöfe reihen sich links und rechts der staubigen Dorfstrasse eng aneinander, die fensterreichen, mit Geranien geschmückten Giebel zeigen ausnahmslos neugierig zur Straße, dahinter Stallungen, Scheunen, Remisen und große Gärten mit Streuobstbäumen.
Zwei Bäckereien, drei Lebensmittelläden, zwei Schmiede, ein Wagner, ein Schindel und Fassmacher, eine Molkerei, ein Friseur, ein kleines Baugeschäft, Elektriker und eine Fabrik, etwas außerhalb, die Steinbearbeitungsmaschinen herstellt. Sie alle sorgen dafür, dass es dem Dorf gut geht.

Ein imposantes Schloss aus dem sechzehnten Jahrhundert mit der barocken Dorfkirche nebenan bilden den Ortskern.

Traktoren sind noch unbekannt, reiche Bauern besitzen schwere Kaltblütler als Zugtiere, die ärmeren Bauern spannen ihre Kühe vor die eisenbereiften, ausnahmslos aus Holz vom Wagner gefertigten Erntewagen.

Der Pfarrer ist ein „Geistlicher Rat“, ist ungemein streng, gelegentlich wird er von epileptischen Anfällen heimgesucht. Die Frauen des Dorfes buhlen um seine Gunst.
Die Dorfschule leitet ein Herr Fieger, klein, dick und von der Vielzahl recht derber Bauernsöhne nervlich arg ramponiert.

Die Klassen eins bis vier sind die Domäne des Weiblichen, verkörpert durch das zweiundsechzigjährige Fräulein Krumholz, dürr, lang, mit extrem kalten Händen. Ihre anfängliche Zuneigung verliert sich bei ihrer Razzia der Schulranzen, sie findet bei mir vier Schachteln Zigaretten der Marke „Roxy“. Ludwig, mein Freund, bricht sein Sparschwein auf, setzt den gesamten Geldbetrag in Zigaretten um, und verteilt den Schatz auf diverse Schulranzen aus dem engen Freundeskreis. Das Problem das sich früh morgens ergibt, ist der Umstand, dass wir vor Schulbeginn bereits die verschiedenen Zigarettenmarken rauchender Weise testen, um dann, kurz nach Schulbeginn, unsere Übelkeit, abwechselnd und schnellen Schrittes mit vor dem Mund gehaltener Hand, zur Toilette tragen. Diese Übelkeitsepidemie wiederum ist der direkte Anlass für das Fräulein Krumholz den Erreger in unseren Schulranzen zu suchen.
Die Tatsache, auch im Schulranzen ihres Musterschülers solch „Teufelszeug“ vorzufinden ist, dessen bin ich mir gewiss, als eine der härtesten Enttäuschungen im pädagogischen Lebenswerk von Fräulein Krumholz einzuordnen.

Das war gestern! Heute bin ich dabei, meiner Familie zu zeigen, dass bereits ein Zehnjähriger seinen Mann steht. Ich habe ein Engagement als „Hiatabua“, für Dialekt Unkundige auch „Hirtenjunge“, bei meinem Freund, dem Bauer Donald Schmid, abgenickt. Den Rest meiner Schulferien werde ich seine elf Milchkühe und den „Meckes“, das Stierkälbchen Udo jeden Tag auf die entfernt liegende Weide treiben. Ich werde sie beaufsichtigen und gegen vier, fünf Uhr Nachmittags, wenn die Milchkühe prall gefüllte Euter haben, unruhig werden, dann werde ich sie behutsam und langsam zurückführen in den Stall.
Alle machen das, alle Bauernsöhne in meinem Alter. Es ist ein Glück für mich, dass mein Freund Donald Junggeselle ist, keine Kinder hat, nur eine alte Mutter, die den Hausstand in Ordnung hält.

Meine Dienste werden belohnt! Vereinbart sind zwanzig D-Mark und ein Zentner Kartoffeln der Marke „Siglinde“, am Ende meiner verantwortungsvollen Tätigkeit. Ich werde vor meiner Familie dastehen, als großer Ernährer, man wird ihn schätzen, den Zentner Kartoffeln. Die zwanzig D-Mark, eine unvorstellbare Summe Geldes, werde ich restriktiv handhaben. Es gibt da ein paar Wünsche!

Die Familie entlaste ich durch die Tatsache, dass ich beim Bauer Schmid vertraglich zugesichert, zwei Mahlzeiten pro Tag einnehmen werde. Ich werde essen, bevor ich austreibe und nach meiner Rückkehr. Nur schlafen werde ich noch zuhause. Man wird mich in Ruhe lassen denn, ein schwer arbeitender Zehnjähriger braucht Ruhe!

Wir sind so weit! Die elf Milchkühe abgekettet, verlassen den Stall, muhend und in teilweise grotesken Bocksprüngen zeigen sie draußen im Hof ihre Freude über die unerwartete Bewegungsfreiheit nach Monaten der Fixierung im Stall.
Donald wird mich am ersten Tag begleiten. Udo hat er am langen Strick fest in der Hand. Udo muss lernen bei der Herde zu bleiben, was nicht schwer sein wird, denn seine Mutter, die „Zenzi“ ist in der Herde.

Wir marschieren vom Oberdorf entlang der Dorfstrasse bis zur Schmiede, dann rechts in Richtung Mindelzell.
Stolz, mit dem Rucksack auf dem Rücken und einer selbstgemachten „Goasel“, Peitsche, in der Hand. Im Rucksack ein dick belegtes Leberwurstbrot von der alten Bäuerin, eine Flasche Apfelsaft, eine Regenjacke, Streichhölzer, eine alte Zeitung zum Feuer machen.

„Schaut nur alle her, ich bin es, der Kleine vom Stocker! Ich kann das auch! Kein Mamasöhnchen, kein Weichei! Ich stelle mich der Aufgabe, der Herausforderung, der Sonne, dem Regen und dem Wind. Der Verantwortung, jawohl !“

Dass sind meine Gedanken beim Parademarsch die lange Dorfstrasse hinunter. Das Dorf liegt hinter uns, wir sind auf der kiesigen, staubigen Strasse nach Mindelzell. Links und rechts der Strasse, saftige Wiesen, Kleeäcker, feinstes Futter für meine Herde.
Es wird ernst, Donalt wirft sein Fahrrad auf die Strasse, rennt in den Kleeacker, traktiert Zenzi und Co mit einem Stock zwischen die Hörner und treibt sie zurück auf die Strasse. Ich übernehme die rechte Seite, stelle fest dass der große Rucksack, vor allem die darin befindliche Flasche mit Apfelsaft, die mir beim Rennen ständig in den Rücken schlägt, meine Grundschnelligkeit entscheidend beeinträchtigt. Meine „Goasel“ gibt trotz heftigster Bemühungen keinen Knalllaut von sich, ich schreie dafür wie ein Berserker, es hilft auch.
Die Herde ist auf der Strasse zurück, Donald schwitzt!
„Hör mir zu, niemals die Kühe im Klee fressen lassen, hörst du, niemals! Der Klee enthält zuviel Stickstoff, es treibt den Magen der Kühe auf, sie gehen daran zu Grunde! Denk dran!
Bis heute verbinde ich meine Vorstellung bei dem Wort- Klee- mit einem zum Bersten geblähten Luftballon.

Oben, beim Morgante, vorbei an der zerfallenen Ziegelei mit dem einsam stehenden, gemauerten Schornstein, rechts abbiegen auf einen Waldweg, noch dreihundert Meter, wir sind da. Das Weideland wird „Kultur“ genannt, warum hat mir keiner erklärt, auch habe ich nie danach gefragt. Wir stehen am Rand einer Fichtenschonung mit hohem, alten Baumbestand dahinter. Nach Osten erstreckt sich das Hochplateau das ausschließlich aus Grasland besteht auf zwei bis drei Kilometer, nach Süden etwa eineinhalb Kilometer. Die Bauern nutzen das Land gemeinsam, es gibt keine Zäune, keine Grundstücksgrenzen.
Die Herde ist damit beschäftigt das frische Gras abzuweiden, es ist Ruhe eingekehrt, die Tiere scheinen den Tag, die milde Vormittagssonne, ihre Bewegungsfreiheit und das Futter zu genießen.

Mein Rucksack steht im verdorrten Seegras am Rand der Schonung auf dem Boden. Donald hat sich verabschiedet und ist mit dem Fahrrad zurück in das Dorf, nicht ohne mir nochmals Anweisungen für meinen Job an das Herz zu legen. „Kein Klee, achte darauf und wenn du heute Nachmittag „eintreibst“, dann mache das langsam, treibe die Kühe nicht, sie werden viel Milch produzieren und schwere Euter haben. Müssten sie rennen, würden sie ihre Milch verlieren!“

Bescheid wissend und jetzt, das erste mal alleine verantwortlich für meine Tiere, beschleicht mich doch die Angst, ich könnte zu euphorisch an diese Verantwortung herangegangen sein.
„Eins, zwei. Drei......., elf, auch Udo weidet friedlich bei der Zenzi!“ Ich zähle durch und wende mich beruhigt dem Rucksackinhalt zu.
„Das Leberwurstbrot, doppellagig, dick mir Wurst bestrichen, der Duft beherrscht den Rucksack. Ich sollte es essen, jetzt gleich, wer weiß, die Hitze, am Ende verdirbt es noch!“
Auf einem kleinen Rain am Rand der Fichtenschonung sitzend, genieße ich mein Brot, langsam kauend. Rechts neben mir fällt mein Blick auf etwas blinkendes unter einem Fichtensprössling. Ich stehe auf, gehe den Schritt und sehe eine Stahldrahtschlinge, sorgsam eingebettet in das Gras und den Nadeln des Bäumchens. Zunächst bin ich ratlos um dann mit größtem Schreck zu begreifen, was ich entdeckt habe. Es ist die Schlinge eines Wilderers, ausgelegt für Hasen, Rehe, alles Getier, das diesen Wechsel benutzt. Nun erst sehe ich, dass es ein Wildwechsel ist, oft begangen, zu erkennen an dem niedergetretenen, plattpoliertem Bodenbewuchs.

Der Schreck über diese Entdeckung sitzt tief. Als erstes, die Schlinge muss weg!
Suchend, mit den Händen tastend finde ich den kleinen Stamm, an der die Schlinge verankert ist. Es ist feinster Stahldraht in guter Qualität und es ist nicht einfach die Befestigung aufzurödeln. Zange habe ich natürlich keine.
Irgendwie gelingt es mir und ziehe die Schlinge aus dem Gestrüpp, suche den Wechsel ab, finde aber keine weitere, dieser heimtückischen Fallen.

Draußen auf der Wiese, ich zähle erneut meinen Viehbestand. Zehn, elf – halt! Udo fehlt!
Wo ist Udo? Zenzi, seine Mutter grast friedlich, Udo kann nicht weit sein. Die Fläche vor mir ist weit und gut zu überblicken. Wäre er da draußen, ich müsste ihn sehen.
„Er wird doch nicht..!“
Ich drehe mich um und inspiziere die Fichtenschonung. Tatsächlich, keine dreißig Meter entfernt steht Udo ruhig inmitten der Fichtenschonung.
Er sieht mich kommen, versucht vor mir zu fliehen. Doch irgendwie kann er nicht von der Stelle, wie angekettet zerrt er an dem armdicken Fichtenstamm. Ich bin noch wenige Schritte von ihm entfernt und kann jetzt erkennen, was der Grund ist.
Udo hat sich in das Wäldchen zurückgezogen, wohl wegen der lästigen Fliegen oder wegen der doch noch starken Mittagssonne. Natürlich hat er seinen kräftigen, am unteren Ende mit langen Haaren besetzten Schwanz auch im Wäldchen gegen die plagenden Fliegen eingesetzt. Dabei haben sich die langen Haare so um ein Stämmchen mit der rauen Rinde gewickelt, dass er ohne Hilfe nicht mehr los kommt.

„Kein großes Problem!“ denke ich, „das werden wir gleich haben!“
Gehe auf Udo zu, der aber gerät in Panik, verstärkt seine Anstrengungen zur Selbstbefreiung und mit einem ultimativen Ruck ist Udo frei. Die gebündelten Schwanzhaare verbleiben am Stämmchen, Udo ist wieder draußen bei der Herde.

„Nochmals gut gegangen, wer denkt denn an so etwas?“ Und gehe ebenfalls raus. Das Wäldchen ist mir nach dem Schlingenfund unheimlich geworden, wenn es nicht gar eine echte Angst ist, Angst vor dem unbekannten Schlingenleger. Er kann ja wieder kommen, jeden Augenblick. Er kann den Erfolg seiner Schandtat überprüfen wollen. Was ist wenn er merkt, dass seine Schlinge entfernt worden ist, wenn er mich sieht? Er muss nicht viel Hirn im Kopf haben, um zu erkennen, dass nur einer in Frage kommt, dass ich Bescheid weiß über seine Machenschaften.

Wenn ich es genau überlege, dann ist aus meinem idyllischen Plätzchen am Rand einer Fichtenschonung im Handumdrehen ein für mich gefährlicher Ort geworden.
Angst kriecht in mir hoch, fahrig greife ich nach meinem Rucksack. Weg vom Wald, wo er sich nicht unbemerkt an mich anschleichen kann. Raus auf die Wiese, hundert Meter Distanz, dann sehe ich ihn, sollte er kommen und wegrennen, das ginge auch!

Kaum bin ich im Freien durchfährt es mich wie ein Blitz. Udo steht friedlich auf der Wiese, sein Schweif wedelt nach den Fliegen und an seinem unteren Ende tropft Blut, viel Blut, was ich sehen kann. Er hat sich beim ruckartigen Lösen vom Fichtenstamm verletzt, ein Blutgefäß aufgerissen.
Würde er wenigstens den Schweif ruhig halten, nein er wedelt unablässig weiter, so dass sein kompletter hinterer Rücken blutüberzogen ist. Ein Bild wie ich es von Stierkampfplakaten aus Spanien kenne.

Das Entsetzen geht mit mir durch. Mein Hirn spuckt nur noch grelle Blitze, bin kurz davor mich meinem hemmungslosen, augenverschleiernden Heulen hinzugeben.
„Reiß dich zusammen, du musst handeln, Udo braucht Hilfe, Eintreiben! Was, mitten am Tag, mein Bauer erwartet mich gegen vier Uhr dreißig, jetzt ist es gerade mal Mittag vorbei, ich muss durch das ganze Dorf, sie werden mich mit Entsetzen angaffen, das habe ich doch gleich gewusst...., werden sie sagen, zusammenstehen und tuscheln oder mich offen verspotten. Ich bin erledigt, ich bin gescheitert, ich bin unfähig den Schweif eines Kalbes von der rauen Schale eines Fichtenbäumchens zu lösen, ohne dabei das ganze Tier umzubringen!“
Wäre da ein Loch irgendwo, das groß genug wäre um darin auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, ich würde reinspringen.
Udo steht da, seelenruhig und wedelt mit seinem blutgefüllten Weihwasserpinsel, wie der Geistliche Rat am Umzug zu Fronleichnam, in mir ist das Grauen!

Udo wird verbluten, soviel steht fest. Er wird keinen Tropfen Blut in seinem Körper haben, wenn ich bis vier Uhr dreißig hier oben bleibe.
Ich schwinge meine Goasel, jetzt knallt sie urplötzlich. Die Kühe erheben sich, vorne auf die Knie, hinten ganz nach oben, vorne ganz nach oben. Sie dösten satt und wiederkauend in der Nachmittagssonne.

Zittrig und der Verzweiflung nahe nehmen ich den umgekehrten Weg vom Morgen. Langsam, die Äcker mit Klee, die habe ich mir auch gemerkt, da muss ich seitlich davor stehen um alle Fressversuche schon im Ansatz zu ersticken.
Die Herde ist satt und träge, kein Vergleich zum Morgen, wo alles hungrig und freiheitsverrückt durcheinander sprang. Aber was erzähle ich meinem Bauern? Hoffentlich ist der überhaupt zuhause und nicht irgendwo auf dem Feld mit anderen Arbeiten beschäftigt.

Der einzige Mensch der mir begegnet, ist der „Karre“ auf seinem Motorrad. Er ist etwa zwanzig Jahre älter wie ich, im Dorf fürchtet man ihn ob seiner zwielichtigen Lebensweise.
Ich sehe, mich umschauend, wie er in eine Staubwolke gehüllt am Ziegeleischornstein rechts zum Wäldchen abbiegt und ich erschrecke ein weiteres mal.

Die ersten Häuser sind erreicht. Udo zeigt keinerlei Ermattung nur das Blut auf seinem Rücken hat fast alle Farben angenommen, von frischem hellrot bis dunkelrot, bis hin zu bereits verkrustetem braunschwarz, auch hat es sich flächenmäßig erweitert.
Wie vermutet, die ersten stehen an den Gartenzäunen, halten sich das Kinn mit vor Entsetzen aufgesperrten Mündern, meist Frauen.

„Ja Bua, was isch denn dau passiert?“ Als ob man das nicht überdeutlich sehen würde!
Es ist so weit, ich kann es nicht mehr aufhalten, meine Augen füllen sich mit wohltuender, kühlender Flüssigkeit. Meine Umgebung zerfließt zu schleierförmiger Schemenhaftigkeit, ich schluchze und heule laut vor mich hin, meinen Körper schütteln Weinkontraktionen als hätte ich einen epileptischen Anfall.
Der Weg bis zum Bauern ist fürchterlich, nur mein unaufhörlicher Tränenfluss besitzt die Gnade mir die gespenstische Härte des Realen etwas zu vernebeln. Wir schaffen es und erreichen den Hof, ohne weitere Verluste.

Ich sehe Donald wartend, einen kurzen Augenblick überlege ich mir, ob ich nicht auf der Hacke umdrehen sollte um nach Hause zu laufen, das wäre das Ende meiner Karriere als zehnjähriger Ernährer, zumindest Miternährer, meiner Familie. Es ist zu spät, Donald geht auf mich zu mit einem verzweifelten Schluchzer meinersts, die ganzen Qualen des Tages hinausheulend umklammere ich ihn und spüre wie er mit seiner schweren groben Hand über meinen Kopf streicht „Es ist schon gut, es ist schon gut, das ist anderen auch schon passiert!“

Udo hat überlebt, der Karre war der Schlingenleger, und nach sechs Wochen brachte ich zwanzig D-Mark und einen Zentner Kartoffeln nach Hause.


© TOWRADI




MARGOT

Ein Treffen mit Kollegen. Der lange dunkelbraune Tisch, die fast schwarze, durchlaufende Bank vor der Holzvertäferung, sie reichten kaum aus, alles rückte zusammen.

Der „Dauth-Schneider“ in Sachsenhausen zum bersten voll. Stimmengewirr, rauchige Luft und überheizt.

Heidi, unsere Assi vom Alten kam als letzte. In ihrem Schlepptau eine Mischung aus Marilyn Monroe und Gina Wild.
Ihre Freundin aus Landau, zu Besuch über das Wochenende. Sie hieß Margot, war braun gebrannt, hatte blaue Augen trug etwas zuviel make up. Keiner der anwesenden Männer blieb ruhig bei Ihrem Anblick. Heidi und Margot nahmen die Plätze links und rechts vom Alten, alias „Kugelblitz“, wegen seiner Kürze und gleichzeitiger Fettleibigkeit.

Ich hatte Pech mit der Wahl meines Sitzplatzes, dem Alten genau gegenüber, am unteren Ende des zehn Meter langen Tisches.

„Nichts mit Monroe und Co, die lassen dich am heutigen Abend nicht mehr ran an dieses Sahnestückchen. Die balzen ja jetzt schon wie die Gockel auf der Hühnerfarm und das Mädchen sitzt noch nicht mal richtig!“

Gelangweilt zünde ich mir eine Zigarette, nehme einen kräftigen Schluck Äpplwoi. „An dieses Zeug gewöhne ich mich nie!“ Drehe mich auf meinem Stuhl und lasse meinen Blick kreisen im großen Gastraum. Das Geschehen am Tisch geht für Minuten an mir vorüber.

Ich drehe zurück, suche den Aschenbecher um meine Kippe darin auszudrücken und starre direkt in die großen blauen Augen von Margot. Ein Stich durch den ganzen Körper macht es zur Gewissheit. Zufall, Verträumtheit? Ich beschließe den Kampf aufzunehmen. Sie wird mir gehören, heute abends!

Ich hatte Rauch in die Augen bekommen und trockne mir die ein, zwei Tränen mit dem Taschentuch. Heidi und Margot tuscheln, stecken die Köpfe zusammen. Auch Heidi blickt in meine Richtung, zwei, drei mal, vermittelt erklärendes, Margot nickt, nimmt beide Hände vor den Mund. Sie Tuscheln, sie lachen beide, lösen sich.
Jetzt gleich, sie wird überprüfen wollen, ob ihr Gebaren von mir auch registriert wurde, sie wird einen weiteren Blick riskieren wollen. Und schon passiert es, ihr Lächeln aus der Unterhaltung mit Heidi ist noch nicht aus ihrem Gesicht verschwunden, als unsere Blicke erneut aufeinander prallen. Mein breitestes Grinsen zu dem ich fähig bin, stelle ich diesem Blick entgegen. Bingo! Ihr gebräunter Teint wird um Stufen dunkler, der Blick wendet sich ab, die Ellenbogen undamenhaft auf dem Tisch gestützt, die Hände verschämt die Mundpartie abdeckend.

Innerlich jubiliere ich, äußerlich höre ich das Gequake meines Nachbarn zur Linken, gebe ihm seit mindestens zehn Minuten keine Antwort, es scheint ihn nicht zu stören.
Ok Blicke sind wichtig, schaffen Interesse und die Basis, aber eine Eroberung, allein mit Blicken, das wird schwierig.

Die Stimmung steigt, die drei Liter Bembel wurden schon mehrfach nachgefüllt der Handkäs mit Musik ist allenthalben verzehrt.

In Tischmitte steht der Stojanik, der Herr Dipl. Ing Stojanik auf, Sextanerblase. Wie zufällig sitze ich Sekunden später auf seinem Platz, heuchle Interesse an den Nachbarn links und rechts, Small Talk.

Ich sehe sie jetzt besser, erkenne einen Ring am Ringfinger der linken Hand, ein einfaches goldenes Kreuz auf ihrem Busen. Unsere Blicke treffen sich öfters, nicht mehr gehetzt, nein begleitet von gegenseitigem gewinnenden Lächeln, auch Lachen.
Der Bann ist gebrochen und sobald in Ihrer unmittelbaren Umgebung ein Stuhl frei wird, werde ich dort sein.

Ich glaube es nicht, der Alte will sich verabschieden, Termine, seine Begründung. Der Platz zwischen Heidi und Margot wird frei werden, es kann nicht mehr lange dauern.
Ich stehe bei Heidi, beuge mich zu ihr herunter. Wenn der Alte geht, dann besetzt du den Stuhl für mich, seinen Stuhl, Ok? Ich erzähle dir dann was!

Margot kann alles mithören ich beachte sie aber nicht, in diesem Moment.

Minuten später, ich hatte mir eine neue Packung Zigaretten geholt, der Alte war tatsächlich gegangen und meine Strategie, meine Vorbereitung wurde erst mal belohnt, der Stuhl war frei, Gina Wild, alias Marilyn zeigt prachtvolle, weiße Zähne und lächelte zu mir nach oben.

Ich beugte mich zu ihr, reichte ihr meine rechte Hand entgegen, umschloss diese mit kräftigem Druck. Sie zuckte kurz zusammen, verlor aber nicht ihr Lächeln. „ Diese äußerst unsoziale Art von Heidi kenne ich gar nicht, ich darf mich vorstellen?“ Und schon saß ich auf dem noch vorgewärmten Stuhl des Alten, die atemberaubernste Frau am heutigen Abend an meiner Seite.

Heidi kehrte ich notgedrungen den Rücken zu. Die tief blauen Augen, der Blick des scheuen Rehs, ihr Lächeln, die vollen Lippen, der braune Teint.
Ich war im Begriff, alles um mich herum zu vergessen. Ihre Weiblichkeit zog mich in ihren Bann.
Ich wollte ihre Nähe, wollte diese Schamgrenze von dreißig, vierzig Zentimeter reduzieren, am besten auf null, ich wollte sie küssen, auf den Mund, auf die Augen, auf die Wangen, auf die Stirn. Ich war wie von Sinnen und vertieft in Margot. Und Margot lächelt!
Sie spürte meine Erregtheit, meine seelische Wildheit, mein Drängen mit Worten, mit Blicken, mit Gesten.

Auch die anderen, die uns nicht aus den Augen ließen, tuschelten, sie waren Verlierer am heutigen Abend, soviel konnte ihnen mein Verhalten vermitteln.
Heidi rammt mir ihren Ellenbogen in das Kreuz, ich drehe mich zu ihr um. „Was machst du da? Das ist meine beste Freundin, lasse deine Finger von ihr!“
Heidi greift nach meinem Kopf, zieht ihn zu sich und flüstert mir in das Ohr „Margot ist verlobt, mit einem aus Landau, der ist grauenhaft eifersüchtig, bringe sie bitte nicht durcheinander, bitte!“
Ich nicke, ein haltloses Versprechen.

Margot ahnte, was Heidi mir anvertraute. Ihr Blick war fragend. Ich nahm ihre Hand in die meine, schaute sie lange an „ich möchte gerne gehen, mit dir zusammen gehen! In ein anderes Lokal, zu mir nachhause, oder wo immer wir ungestört sind. „Was hältst du davon?“
Margot spricht nicht, nickt kaum wahrnehmbar. In meinem Inneren brechen Jubelstürme aus. Ich werde sie für mich alleine haben, sie wird mir zuhören, sie wird mir ihr Vertrauen, ihre Liebe schenken.
Ich bezahle, bitte Heidi uns zu ihrem Auto zu begleiten, Margot braucht ihre Reisetasche. Heidi ist sauer, fast böse. Sie wäscht der Margot den Kopf, erinnert sie an ihre Situation. Margot jedoch, scheint von der gleichen Krankheit heimgesucht worden zu sein, wie ich. Die Schimpfkanonade von Heidi prallt an ihr ab, wortlos greift sie nach ihrer Reisetasche im Kofferraum.

Wir erreichen meine kleine Mansardenwohnung in der Herrmannstraße in Offenbach, fünfter Stock, kein Lift. Ich halte Margot um die Taille gefasst unsere Körper spüren sich fünf Treppen lang.
Wir stehen schwer atmend vor der Wohnungstüre im obersten Stockwerk, den Schlüssel suche ich nicht, aber ihre Lippen. Wir küssen uns, Ertrinkenden gleich, umschlingen uns um eins zu werden, minutenlang. Ich schalte die Treppenhausbeleuchtung nach dem Schalter tastend wieder an, krame den Wohnungsschlüssel hervor, sperre auf, werfe die Reisetasche von Margot auf die Anrichte, zeige ihr das Bad und das große französische Bett.
Wir lieben uns, Stunde um Stunde, können nicht voneinander lassen. Ich kenne die Form ihrer Fußnägel und weiß die Anzahl ihrer Haare unter den Achseln, jede Stelle an der sie kitzlig ist, wir lachen, wir schmusen, wir tollen herum um wieder ineinander zu versinken.
Mein Telefon schrillt, es steht neben dem Bett auf dem Boden. Es ist gegen sieben Uhr dreißig. Verschlafen suche ich den Hörer, hebe ab und ein krächzendes: “ja, bitte?“ Mühsam und orientierungslos.

„Mensch, die Katastrophe schlechthin, Margots Verlobter ist hier! Hier vor meiner Wohnungstüre, schon die halbe Nacht! Er will hier rein, er will zu seiner Verlobten. Er läutete Sturm, lief von der Eingangstüre ums Haus zu meiner kleinen Terrasse und wieder zurück. Er kontrolliert die beiden möglichen Ausgänge, er ist in Rage, läuft hier durch die Gegend wie ein Tiger im Zoo.
In dem Augenblick, in dem ich ihn vor meiner Wohnungstüre hören konnte, habe ich mir ein Herz gefasst und bin über die Terrasse abgehauen! Ich bin jetzt in Eschborn in der Eisdiele, ich warte auf euch. Komm schnell! Unternimm etwas!“

Margot hatte nicht Wort für Wort alles mitbekommen, aber doch so viel, dass ihr schlagartig klar wurde, was in dieser Nacht passiert war, Heidi musste die Hölle erlebt haben mit Karl, ihrem eifersüchtigen Verlobten, der ihr von Landau nach Frankfurt gefolgt war.
Sie hatte die Hölle vor sich, sollte jetzt nicht ein Wunder geschehen.

„Hätte ich doch wenigstens meine Reisetasche bei Heidi in der Wohnung deponiert! Dann könnte ich jetzt sagen! Aber? Ich kann doch nicht von einem Morgenspaziergang, untergehängt bei meiner Freundin Heidi zurückkehren und in der anderen Hand meine Reisetasche?“

Das war das Kernproblem! Margots Gepäck, es musste in die Wohnung! Aber wie?
Margot war im Bad und ich hatte eine rettende Idee. Ich kramte im Flur hinter dem Vorhang meine alte überdimensionierte Sporttasche hervor. Sie war in schäbigem Zustand. Jahrelang flog sie in irgendwelchen Clubräumen irgendwelcher Handballvereine herum. Egal, sie war groß! Sie war so groß, dass die Tasche von Margot darin verschwand.
Ich atmete erst mal durch. Ja, so konnte, so musste es gehen!

Margot war fertig, wir verließen fast fluchtartig meine Wohnung und ich hoffte, dass mich mein altersschwacher TR5 Pi nicht im Stich lassen würde. Er sprang an, Heidi würde noch etwa dreißig Minuten durchhalten müssen.

Margot, nur noch ein Häufchen Elend neben mir im Wagen. Ich nahm ihre Hand: „Versuche bitte nicht zu weinen, du wirst nicht entdeckt werden, aber deine verheulten Augen könnten dich verraten!“
„Du kennst ihn nicht, er ist gemein und gefährlich in seiner Eifersucht, ich fühle mich so unglücklich in dieser Beziehung!“
Wir waren fast da, wir schwiegen die letzten Meter.

Heidi sah mitgenommen aus, sie hatte wenig geschlafen. Die beiden Freundinnen lagen sich in den Armen, Margot schluchzte.

Ich bat Heidi um ihre Wohnungsschlüssel, erklärte ihr, dass ich nun zu ihrer Wohnung gehen werde. Für diesen Besuch bin ich ihr Verlobter, der sie besucht, der Schlüssel zur Wohnung hat.

Mein Plan war es, den Spieß umzudrehen, als eifersüchtiger Verlobter von Heidi aufzutreten und das „Korpus Delikti“ dorthin zu bringen, wo es unbedingt sein musste, sollten die „dünnen“ Erklärungen erfolgsversprechend sein.

Ich fuhr los, nach ein paar Minuten stellte ich meinen Triumph auf einen der leeren Parkplätze vor Heidis Wohnanlage ab, sperrte die Fahrertüre zu, in der Hand die schwere Reistasche mit der verwaschenen Aufschrift von „addidas“.
Zwanzig Meter rechts von mir, der rote BMW.
Ein untersetzter, kräftiger Mann lehnte mit verschränkten Armen am Kofferraum, blickte zu mir.

Ich lief rüber zum Treppenhaus, den Schlüssel zwischen meinen Fingern. Ich bückte mich, schob den Schlüssel in die Hauseingangstüre, drehte mich um und sah direkt in seine Augen.
Er war mir gefolgt und er versuchte offensichtlich mit mir zusammen das Haus zu betreten.
„Wollen sie in das Haus? Wohnen sie hier? Oder warum stehen sie hinter mir?
Haben sie keinen Schlüssel? Ich kann sie hier nicht herein lassen, ich kenne sie nicht!“

Er trat einen Schritt zurück. „Meine Verlobte ist hier im Haus, bei einer Freundin zu Besuch. Ich versuche schon die halbe Nacht zu ihr zu kommen, aber niemand öffnet mir die Tür und an die Sprechanlage geht auch kein Mensch!“

„Lieber Herr, sie sind hier im Großraum Frankfurt, niemand öffnet ihnen hier die Türe mitten in der Nacht, niemand geht an die Gegensprechanlage, sind sie froh, dass nicht die Polizei vorgefahren ist. Zu wem wollen sie denn?“

„Zu Frau Bollinger!“

„Zu wem? Zu meiner Verlobten?

Was haben sie mit meiner Verlobten zu schaffen?“ Drehte mich um und ging auf ihn zu. Er war verunsichert, wirkte fast ängstlich.

„Sagte ich doch schon, meine Verlobte ist zu Gast bei Frau Bollinger!“

„Ja und das gibt ihnen das Recht, beiden Frauen entsetzliche Angst einzujagen? Sie scheuen sich nicht an der Terrassentüre zu poltern und Sekunden später die Klingel am Hauseingang zu malträtieren? Sie machen das seit den frühen Morgenstunden. Wissen sie, wie man das nennt? Meine Verlobte hat mich deshalb angerufen.“
Beide sitzen sie verängstigt in einem Lokal hier in Eschborn.
Ich hätte große Lust sie wegen Ruhestörung und Hausfriedensbruch anzuzeigen!“

„Es tut mir leid, es ist meine Eifersucht, sie macht mich blind!
Bitte zeigen sie mir, wo ich ihre und meine Verlobte finden kann. Ich möchte mich entschuldigen!“
Sichtlich zerknirscht zog er sich einige Schritte zurück, den Blick gesenkt, die Hände in seinen Hosentaschen. Verlegen versuchte er einen kleinen Kieselstein mit dem Fuß wegzukicken.

„Bitte warten sie einen Moment!
Ich bringe meine verschmutzten Sportsachen in die Wohnung meiner Verlobten.
Heidi wäscht sie für mich!“

© Towradi 2009




Die Neunte

Es ist ein herrlicher Sommertag, früher Morgen, sie gießt die Blumen auf dem großen Balkon.
Ein zartes Etwas umhüllt den Körper, eben vom Schlaf erwacht. Die wärmende Sonne auf dem Rücken, sie fühlt sich unendlich wohl.

Schräg über ihr, das Atelier des Malers, die raumhohe Fenstertüre ist weit geöffnet.
Sie hört die Neunte, Beethoven in ihrer Urgewalt und sieht sein Bild vor den Augen.

Es ist förmlich zu spüren, wie er über die Musik kommuniziert, sie soll sie mitnehmen in diesen prachtvollen Sommertag, ihre Sinne wecken!

Nach oben blickend, erkennst sie den Maler hinter der offenstehenden Türe. Ein Lächeln auf ihren Lippen.

Mit verstärktem Lächeln trinkt sie Schluck für Schluck ihren Kaffee, sie wird ihn herausfordern!

Es waren wenige, wortlose Begegnungen bisher. Seine Zurückgezogenheit war bekannt im Hause, aufgefallen war ihr die Leichtfüßigkeit seiner Bewegungen und sein Blick aus den blaugrauen Augen.

Und heute? Diese Matinee, der musikalisch überdeutlich zu hörende Nachweis seiner Existenz? Extrovertiert seine direkte Umgebung mit einbeziehend..?

Unter der Dusche entstehen Bilder , Phantasien lasziver Erotik. Sie begreift die zu hörende Musik, als für sie dargeboten, als Botschaft des Mannes, schräg oberhalb ihres Balkons.

Sie wird ihn überraschen! Das Lächeln auf ihren Lippen kehrt zurück.
Wird er erkennen mit welchen Signalen sie sein Vorhaben beantwortet?

Sie greift in den Schrank nach ihrer Wäsche. Ein kurzer Moment des Zögerns, dann der griff zu knallgelb orange.. - malerisch!

Das Sonnenöl glänzt auf der Haut, die dunkle Brille lässt sie sehen, ohne gesehen zu werden.

Die Liege auf dem Balkon, sie ist zur Sonne ausgerichtet und zum Fenster des Ateliers.

Ihre langen Beine, züchtig überkreuzt. Genießend zurückgelehnt in die weichen Polster, die wärmenden Strahlen der Morgensonne auf dem Gesicht, dem Busen, ihren Beinen.
Sich umfassend streckt sie die Arme nach hinten, spannt den Körper der Sonne und seinen Blicken entgegen.

Erkennbar, halb hinter der großen Leinwand verdeckt arbeitet er an einem Bild, einen Schritt hinter der weit geöffneten Fenstertüre. Er ist bei ihr, mit seinen wiederkehrenden Blicken, seinen Empfindungen, seinem Mannsein und er wird dies auch bleiben, solange, wie sie sich ihn herbeisehnt...

Ihre Hände liegen locker auf ihrem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht.
Er ist da, sieht sie in ihrer Fraulichkeit, erkennt jede ihrer kleinen und kleinsten Bewegungen.

Die wärmende Sonne genießend lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf.

Es sind lediglich zehn Meter, die sie trennen, den ruhig und bedacht arbeitenden Maler und sein heutiges Modell der vormittäglichen Szene.

Ihre Hände streicheln, als wären sie die seinen, mit geschlossenen Augen verkürzt sie die zehn Meter des realen Abstandes auf null.

Er ist bei ihr, sie will es und sie weiß es.
Sie spürt seine Hände fast körperlich, wie sie die Innenseite ihre Schenkel berühren, hinabwandern zum Knie, streichelnd über ihre Wade bis zur Spitze ihrer Zehen.

Sie lässt es geschehen, nein sie sehnt es herbei mit all ihrer Vorstellungskraft, verdichtet es zum lustvoll erotischen Geschehen vor ihrem geistigen Auge.
Küsse auf ihren Fußsohlen jagen wonnige Schauer in ihr Becken, in den Bauch, in das Gehirn.
Seine Lippen, auf dem Weg zurück, die feinen Härchen aufrichtend, lassen sie leise stöhnen, in ihrer Vorstellung berühren sie ihren Bauch, küssend, liebkosend.
Fast willenlos schiebt sich ihre Hand unter den Rand des knappen Höschens , sie liebt sich, schamhaft verborgen unter dem knalligen orange, den Kopf zur Seite gedreht, mit geschlossenen Augen den inneren Bildern folgend.
Ihr Atem stoßweise, die Welt beginnt in ihrem Kopf zu zerplatzen, sie hört sein Stöhnen, dicht neben ihr, dreht sich zu ihm und sein Kuss raubt ihr alle Beherrschung.

Über ihr die Schlussakkorde der Neunten von Beethoven mit großem Orchester...
Sie öffnet ihre Augen und sieht ihn, den Maler schräg über ihr. Er lächelt, löst sich mit einem kleinen Ruck vom Türstock, kehrt zurück zur Staffelei...
Das Bild, wann wird es gemalt sein?
Und wird sie es sehen?

© Towradi



Die Rippe


„Das hat der Herrgott damals falsch gemacht!“ Mein Freund Reiner eröffnet tiefgründig.

„Was hat er falsch gemacht?“ meine zwanghafte Nachfrage.

„Er hätte dem Adam keine Rippe klauen sollen, um daraus die Eva zu erschaffen!“

„Ein schwerer Fehler und nebenbei, es ist durch keine Logik der Welt nachvollziehbar, erklärbar!“

„Wieso?“

„Ganz einfach! Der Herrgott konnte den Adam erschaffen, praktisch aus dem Nichts.....!

„Und?“

„Und bei der Eva, da konnte er es plötzlich nicht mehr?“

„Merkst Du nichts? Es musste etwas gewesen sein, das ihn veranlasste, die Eva aus der Rippe des Adams zu kreieren, er hat das bewusst gemacht, hier liegt eine wohlüberlegte, gezielte Absicht zu Grunde!“

„Meinst DU?- Aber welche?“

„Mensch denk doch mal nach! Erinnerst Du Dich an DOLLY?“

„Moment,- DOLLY? DOLLY?- Ich erinnere mich an viele, wenn ich etwas nachdenke, dann kann ich sie dir alle aufzählen, aber DOLLY?- Neeee, ich bin mir ganz sicher, eine DOLLY war nicht dabei!“

„Was bist du für ein Einfaltspinsel, ich meine nicht deine Verflossenen, nein ich meine das Schaf, das Klonschaf DOLLY!

„Der Herrgott, er hat geklont, schlicht und einfach!“

„Eine ganze Rippe von Adam, da stecken Abermillionen Klone drin, theoretisch natürlich!“

„Ich sage dir was! Dem ist einfach die Arbeit zuviel geworden!“

„Den ganzen Tag nur klonen und klonen und immer wieder klonen, das war mühselig und irgendwie auch ohne Reiz. Noch dazu starben ihm nach ein paar Jahren die ersten Klone wieder weg und er durfte noch mehr schuften, um diese Verluste auszugleichen.!“

„Also, ich weiß nicht so recht, so ganz kapiere ich es immer noch nicht!“

„Ich glaube, ich hab es jetzt. Er hat gemerkt, dass er etwas falsch gemacht hat.“

„Der Adam, ein schöner Mann, er hing den ganzen Tag nichtsnutzig im Paradies herum, weder langweilte er sich, noch hatte er eine wirkliche Aufgabe. Das Produkt der Schöpfung war einfach nur da, freute sich seines Lebens, kannte keine Sorgen, keine Eifersucht, keine Zankereien, keine Intrigen, keine Klamotten von Dior, keine Parfüms von Chanel, keine Make-ups von Elizabeth Arden, keine teuren Restaurants, keine Theater, Opernhäuser, Klavierkonzerte, Kunstausstellungen, Golfturniere, Rolexuhren, power-boats, Luxusvillen, Reitvereine und Spielcasinos.“

Zu gut deutsch, sein Gehirn arbeitete nicht, oder nur in dem Maße, wie es zur Aufrechterhaltung seines Stoffwechsels unbedingt erforderlich war.

„Den Herrgott ärgerte dies und er erkannte seine Konstruktionsfehler.“

„Eines Nachts wachte er schweißgebadet auf, denn vor seinem geistigen Auge schwirrten sieben Milliarden geklonte Adams in dieser seiner schönen Spielwiese herum, er musste sie alle jeden Tag ernähren. Selbst ihm, dem Allmächtigen erschien dies eine Aufgabe, die er nicht bereit war, zu schultern.“

„Er baute den Adam um!
Als erstes ergänzte er den linken Gehirnlappen um das Prinzip LUST, heute würde man das CHIPTUNING nennen!“

„Adam begann zu merken, dass seine Hände, seine Lippen fühlen konnten, seine Augen Schönheit erkannten, seine Ohren lieblichste Klänge aufnahmen, seine Nase Gerüche wahrnehmen konnte.“

„Und „wundersame“ Phantasien, begannen, sich vom Gehirnlappen aus in seine Lenden , auszubreiten. Unruhe überkam ihn, das „Herumgehhänge“ wandelte sich in aggressives Imponiergehabe, er schritt gleich den Pfauen durch den Garten Eden..... !“

„Dies war aber nur die Einleitung des zweiten Schrittes im genialen Plan unseres Herrgottes.“

„Er formte sie, die GÖTTLICHE, gab ihr weiche Formen, eine hellere Stimme, sog. Hochtöner, einen verführerischen Augenaufschlag, eine etwas kleinere Figur mit reduzierter Muskelkraft, aber mit leicht überlegener Gehirnmasse und er flüsterte ihr ins Ohr:

„Ich habe dich schöner und intelligenter geschaffen als Adam, setze sie ein, deine Schönheit und Intelligenz, er wird dir aus der Hand fres......., äh, den „Apfel aus deiner Hand annehmen!“

„Ihr werdet euch lieben und Kinder haben.....!“

„Merkst du immer noch nichts?“

„Mensch, er war die Arbeit los!“

„Das tagtägliche klonen!“

„Und er hat dem Adam nicht nur eine Rippe geklaut,

nein, viel, viel mehr..........!“

„Jetzt, jetzt sagst nix mehr, gell ?


© Towradi 24.07.2009



KUR

Sie waren nach dem Abendessen losgelaufen. Es war der Tisch einunddreißig der Kurklinik im winterlichen Allgäu. In den letzten drei Wochen hatten sie viel Spaß miteinander, drei mal am Tag.
Frühstück, Mittagessen, Abendessen.
Eine witzig, hitzige Atmosphäre ließ die vier Menschen ihre weitere und nähere Umgebung völlig vergessen. Sie waren sich selbst genug.
Hatti der Student der Ökonomie, der sich beim Fußball die Bandscheibe ruiniert hatte und mit unglaublicher Naivität und anerzogener Nettigkeit die beiden Damen am Tisch zu begeistern wusste.
Die Damen – eine groß, schlank, blond ruhig im Wesen, eine Gabi, geschieden von einem Lehrer- mit sichtbaren Bandscheibenproblemen.
Die zweite Dame am Tisch, Ute, um die fünfzig, bebrillt, mit sehr fraulicher Figur, schwarzhaarig, hintergründig, Hausfrau und Ehefrau eines sicher angesehenen, wohlhabenden Unternehmers.
Ute hatte das Selbstverständnis einer Frau, der das Wort Geldsorgen fremd waren, auch sie hatte Probleme mit der Bandscheibe.
Der vierte, männlich, Manfred hatte eine bei Operation vermurkste Hüfte, einen verkürzten Fuß, dessen Länge er aber durch eine Schuherhöhung fast unmerklich ausglich.
Manfred war der rethorische Anführer am Tisch. Er sprühte vor Ideen und Witz, meist war Hatti der Naive, sein Opfer, die Damen amüsierten sich.
Man spürte förmlich das Knistern am Tisch einunddreißig. Oft reichte das Wort „Mahlzeit“ um Gelächter und Hintergründiges zu generieren. Sie verstanden sich!

Das Jägerstüberl, etwa zwanzig Minuten zu Fuß von der Klinik entfernt war das Ziel vom Tisch einunddreißig. Hier gab es einen runden Tisch im Eck hinter der Garderobe und wenn genügend Gäste kamen, dann hing die Garderobe voller Mäntel und Jacken und machte aus dem runden Tisch im Eck ein lauschiges Plätzchen, gemütlich und warm und fast nicht mehr einsehbar.

Die vier tranken Kaiserstühler Wein, einen Weißherbst und der verfehlte seine Wirkung nicht.
Die Stimmung war ausgelassen, unbeschwert, Manfred erzählte Geschichten aus vergangenen Tagen, Hatti quittierte mit offenem Mund und fassungslos. Erneut waren es die Damen am Tisch, die sich bogen vor lachen und nicht mehr beruhigen wollten.

Doch gab es kleine Anzeichen der jeweils persönlichen Interessen und Neigungen. Wer hilft wem in den Mantel und warum?
Wer erweist sich ritterlich in den kleinsten Dingen, hält die Türe auf für wen? Ein leises Hinterfragen .“Na wie geht es heute, besser? Vertrautheiten zu zweit schlichen sich ein, zufällige Berührungen, zuvorkommendes Verhalten, mal da mal dort – Unsicherheiten.
Hatti war neutralisiert, das Problem hatte Manfred. Vom Alter her passte er exakt zwischen die beiden Frauen. Eine, Gabi war vier fünf Jahre jünger, Ute drei vier Jahre älter.
Manfred näherte sich Gabi, unbemerkt aber emotional.– zunächst. Es gab entsprechende Blickkontakte bei Tisch und auch sonst. Gabi begann, Manfred in Schutz zu nehmen, sie dachte für ihn voraus. Ein kleiner suchender Blick von Manfred am Frühstückstisch genügte und Gabi fragte: „Suchst du den Zucker Manfred?“ Später erfolgte dies bereits wortlos. Man hatte den Eindruck, Gabi begann erst dann ihre eigenen Bedürfnisse zu entdecken, wenn bei Manfred alles perfekt organisiert war. Ute, die ältere und erfahrenere hielt sich demonstrativ zurück, registrierte aber alles.
Manfred genoss den herausgehobenen Status der kleinen aber unübersehbaren Aufmerksamkeiten seiner Person gegenüber.

Sie verließen das Jägerstüberl in Hochstimmung. Seit Stunden hatte es geschneit und es schneite immer noch. Die vier bestaunten einen halben Meter Neuschnee, testeten ihr Schuhwerk für den Heimweg. Gabi war wohl die erste, die einen dicken Ballen frischen Schnee Hatti in den Halskragen verfrachtete. Was folgte, war eine wilde Schneeballschlacht. Einer überraschte den anderen, schlich sich an, stopfte soviel Schnee er tragen konnte in den Mantel oder Jackenkragen des anderen.
Ute erwischte Manfred, der ausgerutscht war und wie ein Käfer am Boden zappelte, mit einer vollen Ladung im Gesicht, rannte davon, versuchte es zumindest. Manfred präparierte einen übergroßen Schneeball, suchte Ute im Mondlicht, hetzte ihr nach, reißt sie zu Boden, beide versinken sie im weichen Schnee.
Ute, auf dem Rücken liegend, im Schnee fast versunken, Manfred keuchend über ihr mit nassem Gesicht und Haaren. Genüsslich zerreibt er den weichen Schnee in Utes Gesicht. Er liegt mit seinem ganzen Gewicht, die Beine gespreizt auf diesem weichen Frauenkörper. Ute ist entspannt, keine Geste der Abwehr, kein Anziehen ihrer Beine, keine Hand die sich gegen den rüden, männlichen Angriff zur Wehr setzt. Nein, ihre Augen sind geschlossen unter der mit Schneewasser bestandenen Brille, kein Laut. Sie ist ohnmächtig, oder sie genießt diese Situation.
Manfred wird jäh aus dieser Attacke zurückgeholt. Mein Gott, die Frau hat Bandscheibenprobleme und du führst dich hier auf wie ein junger Hengst. „Ist dir etwas passiert, hast du Probleme mit deinem Rücken – ich Idiot!“ Manfred streicht ihr den wässerigen Schnee aus dem Gesicht, springt auf und hilft Ute ebenfalls auf die Beine.
Den Rest des Weges gehen sie zu viert, ruhig und entspannt, der Schnee rieselt unaufhörlich.

Manfred liegt im Bett, den Abend nochmals vor Augen. Er schwört innerlich –ein Viertel Wein weniger, hätte auch genügt.
Er spürt den Frauenkörper unter seinen Lenden, draußen im Schnee, wie weich und innig, wie selbstverständlich sie ihn ertragen und aufgenommen hat. Manfred ist durcheinander, was ist da passiert auf dem Nachhauseweg. Warum liegt sie da mit geschlossenen Augen und vollem Bewusstsein ohne jegliche Abwehr?

Die nächsten Tage verlaufen in Harmonie, man genießt die Allgäuer Winterlandschaft, pflegt die üblichen Flachsereien, Manfred war zwischenzeitlich beim Kaffee in Gabis Zimmer, nachmittags und in allen Ehren.
Er versucht die Schneeballszene in den Bereich der Zufälligkeiten abzuschieben, ja in der Zwischenzeit entwickelte sich eine Art platonische Liebesbeziehung zu Gabi, eine Seelenverwandtschaft auf der Basis der Malerei.
An diesem Abend sitzen die vier beim „Herzerln“, einem Kartenspiel mit Zufälligkeiten und Schnelligkeit im Aufenthaltsraum, die Stimmung ist gelöst.
Sie verlassen gegen elf Uhr den Raum, allgemeine Bettruhe in der Klinik.

Bereits auf dem Gang, nimmt Ute Manfred zur Seite, schaut ihn an, sagt ruhig und gelassen: „Was ist, kommst du heute Nacht auf mein Zimmer?
Diese kühl und ohne jegliche Aufregung gestellte Frage einer nicht mehr ganz jungen Frau aus besten Verhältnissen löste bei Manfred erstmalig Fassungslosigkeit aus. Sein Blick wurde unsicher, er konnte das eben gehörte nicht glauben: „Was ist- kommst du heut Nacht auf mein Zimmer?“ Diese konkrete Frage hing bleischwer für Sekunden zwischen den beiden.


Manfred, ohne die Spur einer Chance hört sich selbst sagen: „Gib mir die Zimmernummer!“ „Das ist die „303 und drei mal klopfen – in zehn Minuten“, die Antwort. Sie holen die anderen ein, auf dem langen Flur.

Also, dann Gute Nacht!

Wie in Trance verabschiedet er sich von der Gruppe, ist in wenigen Augenblicken auf seinem Zimmer.
Manfred steht unter der Dusche, nicht wissend, was mit ihm geschieht. Was machst du da, warum gehst du nicht einfach schlafen. Hast du auch alles richtig verstanden? Die Frau ist irre, gehe nicht! Was ist morgen? Kannst du ihr erklären, warum du kneifst? Ok, du bist schwul, das ginge vielleicht, aber das hättest du auch gleich sagen können, oder?
Kannst du dir selbst erklären, warum du diese Frau aufsuchen willst? Ein „Mensch Ärgere Dich Nicht“ wird sie wohl kaum aufgebaut haben.
Sie will dich! Jetzt, heute, in fünf Minuten! Wie war die Zimmernummer – 303- also dritter Stock. Was ist, wenn die Nachtschwester über den Weg läuft? Überhaupt, wenn sie dich erwischen, dann fliegst du, sie auch, soviel ist sicher.
No risk, no fun – du willst es doch, gib es zu, ein Abenteuer. Bist du ein Mann oder ein Waschlappen? Reiß dich zusammen, wird schon schief gehen.
Manfred, im leichten, blauen Addidas Anzug und Turnschuhen huscht über die mit Nadelfilz ausgelegten langen Flure. Zwei Geschosse höher über die Treppe, den Gang zurück 301, 302, 303. Jetzt gilt es. Was ist wenn, du dich verhört hast, könnte es nicht auch 304 oder 305 gewesen sein. Was sagst du wenn, ein Mann die Türe öffnet, oder eine alte Frau „mordio“ schreit?
Drei vernehmliche, dennoch leise Klopfzeichen, die Tür geht auf, Ute hält den Zeigefinger senkrecht vor ihren Mund, er tritt ein, Ute schließt leise die Türe.
Frischer, großer Blumenstrauß auf dem Sideboard, im silbernen Sektkühler ein Moet Chandon der ganze Raum eine Spielwiese. Das Oberbett ausgebreitet auf dem Teppichboden, vereinzelt liegen Kissen darauf. Das stereotype weiß der Laken abgedeckt mit beigefarbenen, schweren Tagesdecken. Kein Zimmer einer Kuranstalt, eine Liebeshöhle – wie ist das möglich?
Manfred steht im Zimmer, unsicher ist untertrieben. Alles was er sieht trägt eine eindeutige Handschrift, die der bevorstehenden Liebesnacht.
Trotzdem, es fehlt etwas Entscheidendes. Es ist die Geschichte davor, die Geschichte einer Eroberung, egal von wessen Seite. Der Flirt, der subtil vorhanden aber dennoch auf vier Menschen verteilt war, der Weg zur Intimität, er war nie gegangen worden. Wie Schuppen vor den Augen erinnert sich Manfred an die Schneeballschlacht, an das sekundenlange Gefühl, mit dieser Frau vereint zu sein im Schnee, ihre Hingabe, ihr offensichtliches Genießen der entstandenen Situation, ihr Beobachten bei Tisch, ihr Schweigen bei emotionalen Situationen.
Hier hat jemand seine eigene Geschichte, seine eigenen Vorstellungen in Szene gesetzt, unbeirrt und sicher, dass es auch klappen würde.
Manfred begriff. Er hatte eine notwendige, aber im Grunde austauschbare Rolle in diesem Spiel. Ein scheinbar geeignetes, brauchbares Medium in dieser Inszenierung. Er versuchte dieser Rolle gerecht zu werden, machte den Schritt nach vorne, küsste Ute zärtlich auf die geschlossenen Lippen, murmelte Unverständliches. Erneut bemerkte er die Innigkeit zu der Ute fähig war, das gleiche unbeschreibliche, wohlige Gefühl völliger Hingabe brachte sie entgegen, wie nachts im tiefen Schnee liegend. Nichts sperrte sich, nichts wehrte ab, Weichheit der Bewegung, Weichheit der Gesten der leise gestammelten Worte.
Zieh dich aus, bitte ziehe dich aus – du kannst dich hier auf den Boden legen, das Bett- es könnte Knarren. Übrigens, habe keine Sorge, die Nachtschwester wird uns nicht stören, sie weiß Bescheid. Ich bin gleich zurück und bitte lösche das Licht, es macht mir Probleme. Ute verschwand im Bad.
Nackt lag er auf der samtweichen Mohairdecke, darunter das Daunenoberbett, er drehte sich auf den Bauch um seine Erregung zu verbergen. Das Licht hatte er gelöscht und schaute auf den Sektkühler, die Blumen, die Vereinbarung mit der Nachtschwester, Ute hatte nichts dem Zufall überlassen. Sie war sich sicher.
Weiche Fingerspitzen berührten seine empfindlichen Nervenbahnen auf dem Rücken, strichen entlang, kehrten zurück. Sie suchten einander, begannen zu erforschen, zunächst langsam, zärtlich, behutsam- ihre Lippen trafen sich, Ihre Zungen begannen ein Spiel der Willenlosigkeit, wie auch der Willensstärke, unendlich lange. Hände tasteten, suchten, wurden abgewiesen um erneut zu erfahren. Zeit der unglaublichen Glückseligkeit.
Ute hatte gespart, lange Zeit gespart ihre Empfindungen jemandem anzuvertrauen. Es brach aus ihr hervor, ähnlich einem Vulkan und die große Schweigerin begann zu erzählen, zu bitten und zu jammern um zum Schweigen zurückzukehren.
Der Champagner, prickelnd auf der Haut und im Gaumen, ein willkommener Begleiter der verbliebenen drei Nächte.
Manfred ging in Richtung Ausgang. Seine Zeit war vorüber. Im Empfang stand Ute, untergehakt bei einem Mann, um die sechzig, abreisefertig.
Manfred, mit einem schüchternen: „Also dann guten Nachhauseweg“ ..., im vorübergehen spürte er ihre
Hand, an der seinen.. für einen Moment.


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DIE FRAU DES ANDEREN

„Klaus ist unser Freund, er lebt alleine hier. Rufe ihn doch einfach an, frage ihn ob er Zeit hat. Wenn ich das mache, wie schaut das aus? Schließlich bin ich eine verheiratete Frau. Du bist sein Chef, ihr seid per du. Komm mache, wenn du mich schon wieder für Tage verlässt, um zu deiner Lieblingsbaustelle zu reisen. Frag den Klaus, ob er mit mir am Sonntag ins Kino geht, ob er mich begleitet alleine trau ich mich nicht!“

Walter grinst, greift nach dem Telefon: Hallo Klaus.....

Ich entnehme dem kurzen Telefonat, das Klaus ohne langes Überlegen zugesagt hat. Es wird klappen! Ich werde erstmalig mit ihm alleine sein.
Es ist verrückt, aber ich muss mich zusammennehmen, um mir meine Freude darüber nicht anmerken zu lassen. Ich kenne mich selbst nicht mehr.
In meinen Gedanken drehe ich die Zeit etwa drei Monate zurück.


Walter hatte die Genehmigung einen weiteren Mitarbeiter in seine Projektgruppe integrieren zu können. Die Gruppe erstickte in Arbeit. Die Stellenausschreibung bringt dreiundzwanzig Bewerbungen. Walter schiebt seine Entscheidung, wen er denn nun einstellen soll, vor sich her. Es ist nicht sein Ding! Der „Alte“ setzt ihm unumstößlich ein Ultimatum. Sieben Wochen vor Quartalsende. „Überlegen sie doch Braun, die Leute müssen auch rechtzeitig kündigen können, oder wollen sie einen, der seit Jahren ohne Job ist, den können sie gleich vergessen, nur die Besten, Braun, wir wollen die Besten!“

Walter schnappt sich den dicken Ordner mit den Bewerbungen, nimmt ihn mit nachhause, will sichten, prüfen, entscheiden. Er muss!

Gabi und er, sie liegen bereits im Bett. Walter hatte die Bewerbungen vor sich ausgebreitet, kommt zu keinem Ergebnis. Sein Wunsch war es, denjenigen herauszufinden, der vermutlich auch der loyalste sein würde, denn Loyalität, sie war wichtig im hektischen, wenig subtilen Arbeitstag des Machers Braun.
Klar war, sieben Bewerber schieden wegen mangelnder Qualifikation aus. Sie lagen fein säuberlich gestapelt am Rande der Bettdecke. Die restlichen brachten fachlich gleiche Voraussetzungen mit, bei unterschiedlichen Biographien.

„Das ist eine Aufgabe für dich, Gabi, du kennst mich und somit solltest du den neuen aussuchen. Nimm denjenigen, der deiner Meinung nach das mitbringt, um mit mir auf längere Zeit auszukommen. Frauen haben ein feineres Gespür für zwischenmenschliche Verträglichkeit, ich bin überfordert!“ Spricht es, schiebt den Stapel auf die Bettdecke von Gabi, holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und genießt Fußballberichte vor dem Fernseher.

Gabi protestiert, nimmt sich aber doch mit der natürlichen Neugier den Stapel von sechzehn in Frage kommenden Bewerbungen.
Sie wird prüfen und sie wird entscheiden, der Sympatischte, er wird es werden.

Zunächst sind es die kleinen vier auf sechs Zentimeter großen Passfotos, immer oben rechts angeheftet.
Schon bei der ersten schnellen Sichtung stockt ihr bei einem Bild der Atem. Wie kann das sein, der sieht aus, wie jenes Jungmädchenwunschbild, der ihr Herz erobern sollte, durfte.
Sie überblättert erschrocken, sucht weiter, kehrt verstohlen zurück, studiert die Gesichtszüge, liest den Lebenslauf, ihre Augen wandern zurück zum Foto.

Gabi war relativ glücklich verheiratet, aber das eben gesehene Gesicht verursacht Stiche in der Herzgegend, übt eine magische Anziehungskraft auf sie aus, verwirrt sie. Sie wird diesen Mitarbeiter vorschlagen, sie wird ihn vorschlagen, als wäre es die Kandidatenmappe eines Eheanbahnungsinstitutes. Er wird IHR neuer Mitarbeiter, sie muss leise lachen. - Er sonst keiner!

Aber sie muss sich Zeit lassen, vier Minuten pro Bewerbung mindestens, sonst wird es unglaubwürdig. Vier Minuten mal sechzehn Bewerbungen, also eine Stunde in etwa, vorher durfte sie ihre Wahl nicht bekannt geben.

Sie kehrt zurück zu ihm, er ist gleichaltrig, kommt aus Süddeutschland, vielleicht einhundert Kilometer entfernt, er wird ähnlich wie sie, schwäbisch eingefärbtes Deutsch sprechen, er ist unverheiratet. Gabi erkennt in Sekundenbruchteilen die Irrwitzigkeit ihrer Idee. „Warum eigentlich nicht?“ Sie lächelt vor sich hin. Es wird Spaß machen, sie wird es versuchen!


Ein elfenbeinfarbener 2CV rauscht durch die Einfahrt. Es ist Klaus. Gabi beobachtet ihn vom Fenster aus, wie er mit Bartke, dem Fahrer von Walter flachst, jugendlich, beweglich, lachend.

„Jetzt besuchst du deinen Chef schon am Sonntag, hast du nichts besseres zu tun? Wir sind in ein paar Minuten weg hier, müssen in den Schwarzwald! Von deinem Boss wirst du nicht mehr viel haben!“ Sagt Bartke, in der Annahme Klaus Stocker über Neues zu informieren.

„Besuche nicht den Chef heute, sondern die Chefin, Bartke, aber das verstehst du eh nicht, warum auch?“
„Nein, das verstehe ich nicht, der Herr ist noch nicht ganz aus dem Haus und die Jungfüchse umkreisen es schon, wer soll das denn verstehen, oder?“ Bartke grinst eine Spur zu unverschämt.

Er hat ja recht, Klaus ist in den vergangenen Monaten zum Freund von Walter geworden. Er hat ihm das „DU“ angeboten. Es folgten Einladungen in der Freizeit, gemeinsames Ausgehen und es dauerte nicht sehr lange, als auch „Frau Braun“ durch einen jovialen Vorschlag von ihm, im „Dauth Schneider“ in Sachsenhausen, in „Servus Gabi“ umgewandelt wurde.

Klaus war Bestandteil der Kleinfamilie Braun geworden. Er war nett, er war loyal und tüchtig im Büro, er war ein eloquenter Unterhalter, er belebte.

Was beide Männer nicht bemerkten, alle Initiativen zur Gemeinsamkeit wurden durch Gabi gesteuert. Sie benutzte Walter als Sprachrohr Ihrer Ideen, die dieser gedankenlos umsetzte.
Klaus hingegen, ordnete alles seinem Boss zu, überrascht und natürlich angetan von dessen Interesse an seiner Person.
Gabi steuerte ihre Marionetten an dünnen Schnüren und ließ sie tanzen!

Walter war fertig, begrüßte Klaus im Hofraum, gab noch Kurzanweisungen für die Arbeit im Büro und verabschiedete sich: „Geh rein, Gabi wartet auf dich!“ Bartke, noch vor dem Wagen stehend trug sein listiges Grinsen.
Der schwere Mercedes verließ die Einfahrt in Gräfenhausen.

Gabi trug Sonntagsgammellook. Schwarze Mokassins aus Stoff, einen rosefarbenen, knöchellangen Bademantel aus Frottee. Die Haare hochgesteckt, das Gesicht geschminkt. Man konnte nicht behaupten, sie sei ausgehfertig.

Gabi hatte den Tag, den Moment herbeigesehnt. Seit dem ersten Blick auf das Passfoto.
„Er ist da, ich bin alleine mit ihm, erstmals mit ihm alleine und dennoch, ist er soweit weg.
Er ist Mitarbeiter und ehrlicher Freund von Walter. Er ist loyal, furchtbar nett, aber er sieht mich als Hündchen, das er Gassi führen soll. Er besteht nur aus Pflichterfüllung, Korrektheit, ein Freundschaftsdienst für Walter!
Und ich, ich werde halb verrückt nach seinem Lachen, seinen Berührungen, den kleinen Gesten, in denen ich erkenne, dass er mich als Frau wahrnimmt.
Was ist dran an diesem großen, schlaksigen Jungen? Ist es seine Unbeschwertheit, die Leichtigkeit mit der ihm die Frauenherzen entgegenschlagen? Bin ich enttäuscht dass er in mir nur die Frau seines Chefs sieht, mich praktisch geschlechtsneutral als Anhängsel von Walter betrachtet?

Nein, da ist mehr! Seine Blicke, für Momente zu lange, zu tief in mich hineinstarrend, seine kleinen, rücksichtsvollen, beschützenden Kommentare bei Frotzeleien, seine Zuvorkommendheit die nicht nur erziehungsbedingt sein Wohlwollen mir gegenüber demonstriert, seine verbale Flachserei und immer wieder seine stahlblauen Augen, auf mir ruhend.
Ich täusche mich nicht, nein, er hat längst bemerkt, dass mein Interesse an ihm ein frauliches, ein auf ihn ausgerichtetes Geschehen ist. Er spürt es, er will es nicht wahrhaben, er verdrängt und überspielt es, er ist schüchtern!“

Es ist Abend geworden in der Villa in Gräfenhausen. Klaus wartet. Gabi immer noch im Frotteebademantel hat Tournedos gebraten, etwas Baguette und Salat dazu.
„Sage mal, eigentlich sollten wir jetzt auf dem Weg ins Kino sein? Du wolltest doch, dass ich dich in das Kino begleite, hinfahre, nachhause bringe, oder täusche ich mich?“ Klaus kaut genüsslich das zarte Fleisch.

„Ich glaube nicht, dass ich heute abends noch in das Kino möchte, nein, ich möchte eigentlich nicht mehr aus dem Haus gehen, wir sitzen doch so gemütlich beisammen und ich kann mich mit dir unterhalten, mal ganz alleine, wann hatten wir das denn schon mal?“ Ich höre mir selbst zu und kann es kaum glauben, dass ich es bin, die da spricht.
Da ist er wieder, der lange Blick aus seinen stahlblauen Augen der mir durch den ganzen Körper fährt. Warum ertrage ich den Blick nicht, warum wühlt er in mir? Warum bin ich wie paralysiert und nur von dem Wunsch beseelt, ihn zu berühren, zu streicheln von ihm in den Arm genommen zu werden und davonzufliegen, dorthin, wo keine Fragen gestellt werden und kein Erwachen von mir verlangt wird!“
Wir räumen den Tisch ab, trage das Geschirr in die Küche, Klaus hilft, stellt die zwei Teller auf die Anrichte, sich leicht über mich beugend. Für Sekundenbruchteile spüre ich seinen Körper leicht auf mir lehnend und ich stütze mich auf die Küchenplatte, schließe die Augen.

„Verzeihung, jetzt bin ich dir zu sehr auf die Pelle gerückt!“ Scherzhaft versucht Klaus den Moment der Berührung zu entschuldigen, dreht sich, geht in das Wohnzimmer.
Ich bleibe für Momente wie erstarrt stehen.

„Warum hast du ihn mit großem Aufwand eingeladen, zu dir geholt heute abends? Du träumst Wochen von diesem Kerl um ihn dann abzufüttern und mit belanglosem Gerede den Abend tot zu schlagen? Warum unternimmt dieser Idiot nichts? Gerade eben, das wäre es gewesen, er hätte seine Arme um mich legen können, mir Zärtlichkeiten in das Ohr flüstern können, mich sanft in den Nacken küssen können, meine Brüste streicheln können, sich eng an mich pressen können. Nein, ich hätte mich nicht gewehrt, ich hätte meine Augen geschlossen und wäre mit ihm durch den Abend geschwebt, suchend, findend, liebend.
Er wird es nie tun, egal was er für dich empfindet. Sein Ehrgefühl verbietet es, gegenüber einer Verheirateten, ich bin die Frau seines Chefs, was denkst du, der Junge hat Moral, ein Gewissen, das dir wohl gänzlich fehlt?
Und ich? Ich habe mir den erstbesten gekrallt, in der Hoffnung Liebe sei eine Frage der Zeit, sie würde kommen, nur erst mal weg von dem Ort der Schmach und der Öffentlichkeit dieser muffigen, verkorksten und doppelmoraleigen kleinbürgerlichen Gesellschaft.
Hier bei dir sitzt der Mann, der dein Herz in Wallung bringt, ungeahnte Gefühle seit Monaten in dir wachsen lässt, ihr seid alleine, auf was wartest du?“

Klaus schaut gedankenverloren in den Fernseher, erkennt weder das Programm, noch registriert er gezeigte Inhalte. Der Moment, vorhin in der Küche, die körperliche Berührung, die oberflächliche, flapsige Entschuldigung, der kleine Augenblick, das einen Tick zu weit nach vorne beugen, die Berührung dieser ihm nicht gehörenden Frau, die ihm seit langem alles andere als egal ist? Warum geht sie nicht ins Kino? Was erzähle ich Walter, wenn er fragt, wie mir der Film gefallen hat, ob wir nachher noch Pizzaessen waren, oder auf einen Kaffee? Ich werde die Wahrheit sagen, sie heißt Fernsehen im Hause Braun, Gesellschaft leisten, Gedanken an Alternativen verdrängen, mir fällt der Bibelspruch ein: „Begehre nicht deines Nächsten Weib!“ Eigentlich bist du doch Atheist, wieso kommt dieser Spruch in deinen Kopf?

Also, doch, in Wirklichkeit willst du sie, du begehrst sie! Gestehe es ein, du bist lediglich ein Angsthase, fürchtest dich vor dem, was daraus folgen könnte, bist bequem und ein Spießer? In Wirklichkeit buhlst du um die Gunst dieser Frau, subtil um sie werbend, in Gesten in Blicken in Zufälligkeiten, an ihrem Wohlwollen orientiert!“

Gisela kommt zurück, zwei Gläser mit schwerem Glasboden in den Händen, darin zweifingerdick, goldfarbener Scotch, etwas Eis. Ein Glas reicht sie Klaus, setzt sich neben ihn auf der Coach, ihr linker Arm ruht oben auf der Rückenlehne. Ein kurzes Zuprosten und der Scotch verbreitet sich feurig in Gaumen und Magen. „Sag mal Klaus, eine feste Freundin hast du wohl nicht? Ich meine hier in Frankfurt?“
„Nein, bis jetzt nichts ernstes, Geplänkel, aber zuhause wartet jemand, so hoffe ich, aber wir haben zur Zeit mehr oder weniger Funkstille, es wird sich zeigen, was daraus wird. Ablenkung gibt es genügend in Frankfurt, da erzähle ich dir nichts neues, nehme ich an!“
„Erzähle mir von deiner Zuhausegebliebenen, wie lange kennt ihr euch? Wie heißt sie?
Sie heißt Karin, ist gerade achtzehn geworden und ist im Moment etwas zu experimentierfreudig. Wir haben uns gestritten, bevor ich hierher kam, eigentlich war es vorbei, aber sie schreibt, sie schreibt fünf DIN A 4 Seiten lange Briefe, wir telefonierten, es scheint sich etwas geändert zu haben, sie will mich sehen, mich treffen. Mal sehen!“
Gisela stellt ihr Glas ab, rückt etwas näher und fragt schelmisch: “sag mal, bist du kitzlig?
„Nein, wieso?“

„Das glaube ich dir nicht!“

Bevor ich mich besinnen kann, liegen meine beiden Hände auf seinen Rippenbögen, malträtieren seine sensiblen Bereiche. Klaus mit wildem überraschtem Gezappel versucht meine Hände zu fassen, was ihm erst nach langen jauchzenden Sekunden gelingt.
Er hat meine beiden Hände um die Handgelenke gefasst, hält sie eisern umklammert. „Was war dass denn? Du wirst das bitteschön sein lassen!“ Sagt es, nach Luft ringend.
Seine, meine umklammerten Hände hat er bis zur Höhe meiner Brust zurückgeschoben, entlässt sie jedoch nicht aus dem Klammergriff. Unsere Augen sind nicht mehr sehr weit auseinander, ich schweige, suche in seinen Augen. Unendliche lange verharrend in dieser Position, höre ich von Weitem meine Stimme: „Sag mal Klaus, wie wäre es, wenn du mich einfach in den Arm nehmen würdest, anstatt mir weh zu tun?“

Klaus, mit trockenem Mund, war für Augenblicke wie versteinert, sein Blick ging zu seinen klammernden Händen, deren Haut an der Oberfläche weiß geworden war vor Anstrengung. In seinem Kopf purzelte alles durcheinander. Der Moment, den er so fürchtete, gleichzeitig herbeigesehnt hatte, er war da!
All seine Gefühle und Gedanken wurden durch einen Satz bestätigt: „Wie wäre es, wenn du mich einfach in den Arm nehmen würdest?“

Klaus löst seinen Griff beschämt, blickt in die fragenden Augen, beugt sich vor, seine Hände umgreifen den Nacken und sanft zieht er Gabi zu sich, sucht ihre Augen, ihre Lippen, bedeckt ihr Gesicht mit einem Stakkato kleiner, hektischer Küsse, hält ihren Kopf zwischen seinen Händen um mit der Leidenschaft seiner durchlebten Zurückhaltung, ihre Lippen zu öffnen.
Gisela erwidert sein Drängen, ihre Finger durchwühlen sein Nackenhaar, zerren am hinderlichen Sakko das leicht von seinen Schultern rutscht.
Ihr Kuss findet keine Unterbrechung, gleich Ertrinkenden erleben sie das Spiel ihrer Zungen, sich aufeinander schmiegend.
Klaus spürt ihren kleinen, festen Busen in seiner Hand, leises Stöhnen dringt an sein Ohr. Behutsam suchen seine Finger den Reißverschluss des knöchellangen Bademantels. Seine Küsse auf ihrem Hals im Ansatz zu ihrer Schulter. Seine Hand schiebt das kleine Stück Metall bis zu ihren Hüften. Darunter der Körper einer atemberaubenden schönen Frau, das blasse Rossee der Haut im Kontrast zu dem nun seitlich umrahmenden roten Stoff des Bademantels. Die Lippen erobern den Körper dieser Frau. Sie nimmt mit geschlossen Augen, ihre Hand auf seinem Oberschenkel ruhend, seine Zärtlichkeiten in sich auf.

Sie sind angekommen, Gisela ist angekommen, Klaus, hat sich entschieden. Er hat seine Ängste über Bord geworfen, diesem Erleben nicht mehr entsagen wollend. Monate kleiner und kleinster Schritte in der Verborgenheit des Zweifels lösen sich in Erleben und befreiender Liebe.
Es ist die Nacht der Zärtlichkeiten, der zurückkehrenden Leidenschaft, des Geflüsters zweier Verliebter über ihre lange zurück gehaltenen Träume. Es sind die Stunden der gegenseitigen Geständnisse, der Aufforderungen, des sich wiederkehrenden Enddeckens.
Es wird nichts mehr so sein, morgen Früh, wie es gestern noch war. Sie wissen es! Sich noch in den Armen liegend entstehen Bilder der Sehnsucht nach Wiederholung in ihren Köpfen. Sie lieben sich ein letztes mal, Gisela schütteln Weinkrämpfe Tränen auf seiner Brust vergießend. Eng umschlungen erleben sie wortlos den heraufziehenden Morgen unter der leichten Tagesdecke im Wohnzimmer der Villa in Gräfenhausen, dem stummen Zeugen dieser Nacht.

Klaus ist abgelenkt. Er baut eine Mansarde im fünften Stock zu einer modernen Wohnung um. Er stürzt sich in diese Aufgabe, begründet sie mit den irrwitzigen Mietkosten im Großraum Frankfurt. Seine Eigenleistung sichert ihm auf Jahre einen spottbilligen Mietzins.
Gabi besucht ihn, zusammen mit Walter. Meist an Samstagen. Sie helfen Klaus, der es dankbar annimmt. Sie suchen sich in diesen Stunden, ihre Blicke, kleine, wie zufällige Berührungen, entfachen das Feuer erneut, kurze Augenblicke des Alleinseins nutzen sie, um sich begierig in den Armen zu liegen.
Über allem liegt die fast unerträgliche Spannung ihres Geheimnisses.

Klaus besitzt nicht ein einziges Möbelstück. Die Wohnung, ist nach mehr wie drei Monaten endlich fertiggestellt, gleicht einem Adlerhorst, hoch oben über den Dächern von Offenbach. In Wirklichkeit ist es das geworden, was im Hinterkopf seit langem den Takt vorgab, das perfekte Liebesnest zweier verrückter, liebestoller Seelen.

Gabi, hatte ein einfaches Bett aus ihrem Gästezimmer kurzerhand zu ihm geschafft, es stand verloren im größten Raum der Wohnung. Klaus hatte einige Tage Baustellenurlaub genommen, Gabi kam an den Nachmittagen, Walter war ahnungslos! Er verhalf Klaus zu einem zinslosen Firmenkredit. Klaus hatte nun ein großes französisches Bett, eine Schrankwand für Kleider, Bücher, Getränke im Wohnzimmer, einen kleinen Tisch, zwei Stühle in der Küche.
Klaus hatte Gabi! Sie besuchte ihn jeden Mittwoch, am frühen Abend. Walter hatte diesem Jour fixe zugestimmt, ihn seiner Frau aus nicht nachvollziehbaren Gründen eingeräumt.
Gabi zelebrierte die Mittwochabende zur Einabendehe, zum Höhepunkt ihrer Woche. Alle hatten sich an diese Aufteilung der Woche gewöhnt, es war zur Selbstverständlichkeit geworden. Die darauf folgenden Donnerstage im Büro, die Begegnungen der beiden Männer verliefen schweigend, nichts hinterfragend.
Für Klaus jedoch wurde die Zusammenarbeit mit Walter mehr und mehr zur Belastungsprobe. Es gab keine augenscheinlichen Veränderungen, Business as usuall, Schweigen!

Klaus ließ sich firmenintern in den Bereich Bauleitung versetzen, trotz der Proteste und des Widerstandes von Walter. Er bestand darauf, wollte weg von den tagtäglichen Begegnungen mit seinem personifizierten, schlechten Gewissen.
Gabi und Klaus fieberten Woche für Woche ihrem Mittwochabend entgegen, diskutierten nun auch ihre Situation. Klaus spricht es an: „Was ist, wenn du dich scheiden lässt, es wäre fair, auch Walter gegenüber?“

„Ach komm, es ist doch schön, so wie es ist! Du siehst Gespenster, Walter und ich wir kommen klar, oder hast Du Probleme? Wichtig ist, du bist für mich erreichbar, du bist da, komm, liebe mich!“

Klaus liebt, sein Druck, sein Problem weicht nicht. Es ist besser geworden, seit er Walter nicht jeden Tag im Büro begegnet.

Gabi wird sich nicht scheiden lassen, Klaus spürt es, weiß es, ist sich sicher. Mit dem Ende des Projektes wird Klaus Frankfurt den Rücken kehren. Er wird sich von ihr verabschieden und räumliche Distanz schaffen. Es ist der einfachste Weg seinem Inneren Ruhe zu geben, den unsäglichen Druck von seinen Schultern zu nehmen.
Klaus Stocker verhandelt mit der Konkurrenz, er verhandelt sehr erfolgreich, man schätzt ihn und seine Arbeitsweise. Ein großes Projekt in Augsburg, es war sein Wunsch in heimatlichen Gefilden zu arbeiten. Bauzeit zweieinhalb bis drei Jahre, es wird ausreichen um Frankfurt vergessen zu können, Gabi, Walter und all das, was ihn so bedrückt.
Klaus informiert Gabi, nachdem er den Vertrag in Mainz unterzeichnet hatte. Sie ist äußerlich unbeeindruckt, Sie sprechen auch nicht mehr über ein gemeinsames Leben. Sie tun das, was sie seit eineinhalb Jahren machen, es ist Mittwochabend, er gehört ihrer leidenschaftlichen Liebe, ohne die Frage nach dem Morgen.
*

„Ich frage nicht mehr, wann er geht. Es ist klar, dass er geht. Ich spüre es seit langem. Klaus ist für mich jemand, der die Zeit anhält, der meinem Herzen Ruhe gibt. Ich denke und fühle nur diese Momente, Stunden, die Begegnungen. Bin ich bei ihm, schrumpft meine Welt auf diese kleine Mansarde, das Zimmer mit dem buntfarbenen Französischen Bett, auf ihn, seine Zärtlichkeiten und sein Einfühlungsvermögen, das er mir entgegenbringt.

Ich liebe ihn, ich liebe ihn so, dass ich ihn gehen lassen werde, denn ich spüre, das es mir nicht gegeben ist, ihn zu halten, ihn bei mir zu halten. Er will dass ich mich scheiden lasse, will mich heiraten und er weiß nicht von was er spricht.
Ich habe ihn enttäuscht mit meiner Ablehnung und dem Festhalten an dem Vorhandenen. Sicher, sein Stolz, sein Ehrgefühl, sie leiden darunter, sein Wesen, aber wird vergessen und es wird auch für ihn die Zeit der wirklichen Bindungsfähigkeit kommen.

Ich habe die Pille abgesetzt, mit dem Tag, an dem er mich informierte, Frankfurt zu verlassen. Es war keine Überlegung, nein, sie war nicht notwendig.
Es waren meine Gedanken, meiner Liebe einen Sinn zu geben.

*

In Augsburg läutet das Telefon im Baubüro des SP-Neubauvorhabens. „ Bauleitung „Schlössle, Stocker?“

„Ich bin in Ellwangen für ein paar Tage, bei meiner Familie, lieber Klaus, ich habe Sehnsucht nach dir, du Schuft! Können wir uns treffen?“

Klaus, unvorbereitet, auch freudig erregt: „Gabi, sage mir wo und wann?“

„Du kennst Harburg, nach Donauwörth? Gleich nach dem Tunnel in Richtung Nördlingen kommt ein großer Parkplatz, ich warte dort auf dich um drei, heut Nachmittag! Ich kann nicht länger sprechen, telefoniere vom Haus meiner Eltern, klappt das?“

„Ich bin da um drei, wir sehen uns!“

Klaus parkt seinen Porsche neben dem S-Klasse Daimler. Gabi hat sich das Auto von Papa ausgeliehen. Sie bleibt bei seiner Ankunft im Wagen sitzen. Klaus steigt zu ihr in den Mercedes.

Sie fallen sich um den Hals, als wären sie nie getrennt gewesen. Klaus streichelt ihren Körper mit seiner rechten Hand, Gabi ergreift sie, legt sie auf ihren vorgewölbten Bauch: „Sie ist zur Zeit sechs Monate alt, sie wird INA heißen, gefällt Dir der Name?“.....


PS. Um vorzubeugen – Es ist eine Kurzgeschichte, kein autobiographischer Lebensabschnittsbericht, wobei er sich durchaus so zugetragen haben könnte in den frühen Siebzigern.

© Towradi 2008




Männersauna oder „Ottokars“ kleine Welt (Satire)

Ein fester Termin. Donnerstag von 14 Uhr bis 22 Uhr, Oktober bis Ostern.

Die Sauna befindet sich örtlich gesehen im Keller eines Landhotelgasthofes.
Man verlässt quasi die Welt dort oben um sich in die Katakomben des Konspirativen zurückzuziehen.

Dicke Betonwände schotten diese Stunden der Entspannung gegen die Einflüsse von Kälte, Unbill, allgemeiner Sichtbarkeit, zurückgelassenen Problemen und der eigenen Unwichtigkeit derart konsequent ab, dass es durchaus gestattet ist von „seccond live“ zu sprechen.

Schichtbetrieb

Im schamhaft katholischen Dorfleben in bayerisch Schwaben, sind die Grenzen des Schamgefühles ausgeschöpft, wenn Mann sich dem anderen Mann in all seiner Herrlichkeit, von sämtlichen Statussymbolen befreit, nackt und blos gegenübertritt.

Bliebe da noch eines – aber gnädigerweise lässt das doch schon beachtliche Durchschnittsalter der Potentaten diesen Aspekt in den Hintergrund treten.

Gemischte Sauna? Nein, das ginge wohl nicht! Müsste man doch die in langen Ehejahren etwas rundlich gewordene Gattin überreden, sich den Blicken anderer Männer, viel schlimmer, den Blicken der Rivalinnen auszusetzen. Nein, eine geradezu unvorstellbare Situation.
Und vor allem, „Mann“ müsste schweigen!

Ergo „Mann“ genießt seine „Eingeschlechtlichkeit“, abseits jeder weiteren Öffentlichkeit im Kreise derer, die zumindest wissen, dass man vor dem Saunagang zunächst mal zum Pinkeln geht, sich anschließend ausgiebigst dem körperlichen Reinigungsprozess zu unterziehen hat, nicht ohne Badelatschen seinen Fußpilz verteilt und last but not least, ein mindestens körpergroßes, saugfähiges Frotteehandtuch sein eigen nennt.

Zeitgenossen, die ersatzweise zum Saunahandtuch ein Bettlaken kunstvoll vor Publikum in der Saunakabine zurechtfalten, jegliche Schamdistanz hierbei überschreiten, zuviel Wind machen, sie werden mit eisigem Schweigen auf ihren Platz begleitet.

Es hat sich ergeben, dass der Andrang in die Katakomben des Schwitzens derart groß geworden ist, dass die Männersauna sich in zwei, zeitlich voneinander getrennte Gruppen aufteilte.
Vierzehn Uhr bis siebzehn Uhr – Pensionäre, Rentner, Unternehmer, der eine oder andere schwitzende Beamte, meist gehobener Dienst. Die Creme de la Creme, erkennbar an der Tatsache, bereits um die Mittagszeit und an einem normalen Werktag, dem Müßiggang frönen zu können.

Siebzehn bis einundzwanzig Uhr, das noch arbeitende Jungvolk, gestresst und bemüht das Überstundenkonto um einige Stunden zu entlasten.

Zwischen sechzehn Uhr und achtzehn Uhr kommt es zu Überschneidungen dieser beiden Gruppen.

Es ist sozusagen die „rush hour“ im Saunabetrieb!
Man sollte sie meiden!

Die Bedingungen werden rapide schlechter, um nicht zu sagen, „sauschlecht“!

Die Saunakabine ist vollgepfropft wie ein Bullenkloster, die Temperatur sinkt durch ständiges hin und her Gerenne, die aromareiche Feuchtigkeit in derselben erhöht sich sprunghaft, die Enge ist bedrückend.

Um diese Zeit sehr wichtig, die verbale Zurückhaltung!
Nie genau wissend, was man dem „Unbekanntem“ Teil der Belegschaft anvertrauen darf, oder nicht...
Diese Zeitspanne ist zu meiden, oder sie wäre Sinnvollerweise bereits mit Wiederherstellungsmaßnahmen, sprich Ankleiden zu nutzen.

Hierarchie (auf schwäbisch-bayerisch)

Sie spielt im Balzgeschehen einer Männersauna die entscheidende Rolle. Hierarchische Strukturen sind vorhanden, trotz manch eklatantem Missverhältnis zwischen gesellschaftlicher Bedeutung und dem figürlichen Erscheinungsbild, nackt und blos mit den behäbigen Bäuchen und den über die Jahre verkümmerten, baumelnden Anhängseln.

Ottokar unser einziger wirklich Prominenter, Ex-Bürgermeister einer Kleinstadt und Ex-Vizelandrat mit der jovialen Mimik, Gestik und Gönnerhaftigkeit eines Landesvaters hält seit vielen Jahren der donnernstäglichen Runde die Treue. Wilfried, er ist der Freund und meist auch Chauffeur von Ottokar, kein Riese, aber mit hoher Intelligenz und Wachsamkeit ausgestattet, ohne sich vorzudrängen.

Das Auditorium besteht aus dem Leiter des Kreditwesens der örtlichen Bank, einem freischaffenden Statiker, einem Außendienstmitarbeiter, einem Polizisten, zwei Jung- Pensionären ansässiger Behörden, ein Restaurantbesitzer. Der harte Kern sozusagen, ergänzt durch den einen, oder anderen Gelegenheitssaunierer.

Diese Gruppe ist ganz ohne Zweifel rechts konservativ ausgerichtet, was kein Hinderungsgrund ist, dem Maximilianeum und den darin agierenden hin und wieder verbal das Fell zu waschen.
Ottokar ist meist sehr gut informiert, seine Beziehungen natürlich!
Der Rest, der lauscht gespannt, auch wenn es so aussieht, als würde nur der direkte Nachbar von Ottokar gemeint sein.

Die Tatsache, dass Ottokar in dieser Runde sein Wissen in Teilen, sozusagen, in angemessenen, gut verdaulichen Häppchen an den Kreis von Auserwählten, mit demonstrativ ernster Mine verteilt, unterstreicht die Brisanz der politischen Botschaft. Geheimes Wissen! Schon immer ein Privileg von Logen, wir sind eine und die Politik sollte uns nicht unterschätzen.

Nun gut, das eine oder andere steht Tage später auch in der Zeitung, aber natürlich wieder einmal von einem linken Schmierfinken vollkommen verzerrt dargestellt. Damit muss ein Mann der Öffentlichkeit wohl leben! Schwamm drüber!

Ottokar, hat neben den bereits geschilderten Qualitäten auch einen kleinen Nachteil, den er regelmäßig in die Saunanachmittage mit einbringt.
In seinen schwer erarbeiteten Pausen im Ruheraum kippt die Gartenliege mit einem „Klack“ nach hinten, somit werden die Beine hochgelagert wegen der besseren Durchblutung des Bauch, Brust und Kopfbereiches.

Diese sicherlich gesundheitsfördernde Position, sowie das spontane Schlafbedürfnis ermöglichen es, dass Ottokar nach Minuten, was sage ich, manches mal nur nach Sekunden, eben jene drei Regionen (Bauch, Brust und Kopf) in ein „infernalisches“ Tonstudio verwandelt.

Nein, um Gottes Willen! Nein, es ist keine Absicht, keine Boshaftigkeit, kein sich Gehen lassen seinerseits damit verbunden, nein, ich glaube, es wäre ihm außerordentlich peinlich, wüsste er davon!

Ottokar „schnarcht“!

Dies in einer Klangfülle, die alle anderen derart fasziniert, dass sie mit weit geöffneten Augen gegen die vom Maler künstlerisch gestaltete Decke starren, bewegungslos, kein Räuspern, kein vorzeitiges Aufstehen aus der Liege, nein, diese fünfzehn Minuten, die sollte ihnen Ottokar wert sein!

„Es ist ja eine Ruheraum, kein Schlafraum. So steht es draußen an der Türe!“ – ein Ahnungsloser!

„Ja, in Gottes Namen, wenn Ottokar dabei, beim Ruhen, einschläft, wer will es ihm verdenken?“ – ein Wissender!

Wilfried, Ottokars Freund und Schatten, erhebt sich nach genau vierzehn Minuten und fünfzig Sekunden.
Er darf das!
Ottokar erwacht!

„Pack `mer no a Runde, Wilfried?

Das Signal zum kollektiven zweiten Einmarsch in das schummerige Licht der Sauna, wo es keine nummerierten Plätze gibt, aber doch jeder weiß, wo Ottokar und Wilfried, an seiner Seite, gerne sitzen.......

© Towradi


FLIRT



Nein, glaube mir, es ist so wie ich sage.

Du lernst sie kennen, ein kleiner Flirt, eine nette Unterhaltung, Gemeinsamkeiten werden isoliert, herausgearbeitet. Die gegenseitigen Augenkontakte, sie werden länger, etwas mutiger, verharrender, hungriger und suchender. Sie werden häufiger, begleitet von Lächeln, von Lachen, die Distanz verkürzt sich.

Urplötzlich betrachtest du ihren, auf dem Tisch liegenden Unterarm mit anderen Augen. Die dezente Bräune der Haut, die blonden kecken Härchen schimmern goldfarben.
Die lässig sich hin und wieder, gestenreich bewegende Hand, die grazilen Finger, sehnig, schlank, knochig.

Sie beginnen ihr Eigenleben vor deinen Augen zu entwickeln.

Sie erzählen, locken, betören, schmeicheln, öffnen und schließen sich. Du findest sie schön, nein nicht nur schön, weiblich, aufregend, verlockend und sexy.

Es ist doch nur eine Hand die sich bewegt und dennoch die Anmut der Bewegung, die Grazie, der Liebreiz, die Wohlgeformtheit, die Zartheit.

Es entsteht der Wunsch diese Hand mit der deinen zu umschließen, sie zu streicheln zu drücken sie zu betrachten, ihre Wärme in dir aufzunehmen, sie mit deinen Küssen zu verwöhnen, sie zu halten und nicht mehr freizugeben.

Sie scheint deine Begehrlichkeit zu spüren, deine Blicke zu beobachten und du bildest dir ein, dass sie, diese Hand von nun an nur noch für dich da ist, für deinen Überschwang der Gefühle, für den Zustand deiner Seele, deiner Gedanken deines Wollens, die du in diese Frauenhand hineininterpretierst.

Deinen Stuhl hast du zur Verkürzung der Distanz längst soweit zum Tisch herangezogen, dass die Tischkante bereits auf deinen Bauchnabel drückt. Auch dein Gegenüber das leuchtende Paar dunkler Augen, der leicht ironische Ausdruck ihrer Lippen, die zeitweise kurz bebenden Nasenflügel, all dies empfindest du als eine gewaltige Woge der über dir hereinbrechenden Gefühle.


Die allernächste Umgebung löst sich auf in unscharf skizzierte Bilder, der Geräuschpegel des an der Hauptverkehrsstrasse liegenden Cafes tritt zurück in das dämmerige Summen des Nachmittags. Zeit und Raum werden unwichtig. Was zählt ist der Moment und der nächste und noch ein weiterer.


Sie hat längst ihren rechten Ellenbogen undamenhaft auf die Tischplatte stützend deinem Annäherungsbestreben Rechnung getragen, in ihren Augen jenen unbeschreiblichen Glanz der Verliebtheit, deine rethorische Fähigkeit, auch die allerletzten Ecken ihrer Kleinmädchenseele auszuleuchten, verträumt, gerührt in sich einsaugend.

Ihr linker Arm liegt scheinbar unbewegt locker gelöst auf der Tischplatte. Es scheint dir, er läge nicht mehr so weit entfernt, wie vor wenigen Minuten. All dies erkennst du aus den Augenwinkeln, denn zwischenzeitlich hast du deinen Blick in den ihrigen vergraben und es ist sicher, du wirst diesen Blick in den nächsten dreißig Minuten nicht nachhaltig verändern.

Es geschieht mit der Macht der Ohnmacht. Die Fingerkuppe deines rechten Zeigefingers erreicht die sorgfältigst manikürte, gelackte Oberfläche ihres linken Zeigefingers.

Das überwältigende Gefühl, dein Ziel erreicht zu haben durchströmt deinen Körper.

Alles bleibt ruhig, sie zuckt nicht, zieht nicht zurück.

„Junge, bleib ruhig!“ Wenn du jetzt deine vermeintlich gute Kinderstube zum besten geben willst und ein“ Oh, verzeihen sie!“ herausquetschst, dann reihst du dich ein in die Gruppe der Hoffnungslosen, derer, die, die Liebe verraten, in die Gruppe der Tränensäcke und der Zerstörer sämtlicher hoffnungsvoller Frauenträume dieser Erde.

Aber nein, du scheinst begriffen zu haben. Sanft gleitet deine Fingerkuppe über den lackierten Nagel, klettert schon dreist den feingliederigen Zeigefinger entlang um mit Entschlossenheit die ruhende Hand zu umschließen.

Ströme wundervollster Gefühle durchpulsen deine Adern. Sieg! Triumph! Deine Augen suchen die ihrigen voll innigster Rührung. Deine Hand drückt, presst, spricht mit ihr und du spürst erstmalig, dass auch ihr die Sprache der Hände wichtig ist.

Du darfst jetzt bezahlen, mit ihr gehen, in das Land deiner Träume. Du wirst ihre Hand halten, drücken, sie sprechen lassen. Doch vergiss nicht – es ist nur der Anfang.

© Towradi


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Texte: Malerei und Text unterliegen dem copy right, um Beachtung wird gebeten.
Tag der Veröffentlichung: 14.02.2010

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