GEDICHTE AUS ZWEI KOMISCHEN JAHREN
VON TOBIAS SCHWARZ
Nacht über Rom
Die Nacht tropft wie Wachs aus den Sternen
die Schatten streichen über Beton
Die Stille flackert in den Laternen
und dümpelt verlegen durch die Gassen von Rom
Ein Schatten sitzt an die Mauer gelehnt
Das Licht schleicht verstohlen vorbei
Sie betrachten einander wie alte Bekannte
Sie treffen sich täglich zur gleichen Zeit
Die Felder schlafen im Freien und flüstern
die Sonne versinkt hinter Krügen voll Wein
Es wird warm in den Mauern die Tische murmeln
der Tag rollt sich in die Dunkelheit ein.
„Die Gesellschaft“
Routinierte Belanglosigkeit
schnappt nach Gesprächsfetzen
und kalt grinsend
schweigt der Marmor
zur geselligen Einsamkeit.
Gebrechliche Empfangskleider
klammern sich an Sektglashälse
und kreischen einstudierte Glücksgesten
während die großen Spiegel
ihre Gegenüber verhöhnen.
Lippenstift-verschmierte Kopfkissen
würgen Eau de Cologne
und dumpfes Klaviergemurmel
wärmt die im kalten Rauch erstarrten Räumlichkeiten.
Den Kopf ins Genick werfend
sprudeln Worthülsen
und die in den Proseccogläsern taumelnden
Sprechblasen platzen dann im Aspirin-Strudel
beim morgendlichen Brunch.
Man sieht sich!
Hinter der Bibliothek
Die schwarze Nacht schweigt dunkelblau
die Bäume sind tiefschwarz,
so manche eine Laterne wirft
ein’ Lichtschein durch die Parks.
Die Winde schweigen es ist still
man hört nur den Gesang,
der Strassen, die entfernt von uns
verlaufen hinterm Hang.
Tief in den Himmel eingetaucht ein
glutgeschmiedetes Boot,
das Dach über der dunklen Nacht
ein apokalyptisches rot.
Die alten Gemäuer der Bibliothek
beobachten ohne ein Wort,
die Alleen der Vergänglichkeit
tragen die Sprache hinfort.
Ein Blatt im Herbst
Ein altes Blatt tanzt
hin und her gerissen
geführt von den Winden
an den Fäden der Luft.
Ein altes Blatt taumelt
verwirrt und unentschlossen
an den Händen des Sturms
über Asphalt.
Ein altes Blatt fällt
in einer Schaukel getragen
von einer Eiche
im Herbst.
Ein altes Blatt fliegt
im Atem der Zeit
über eine Brücke
und geht mit dem Fluss.
Ihr Schweigen
Ihr Schweigen ist ein Fels in der See bei Brest,
ummantelt von Algen, gewaltig und fest.
Unter gurgelnden Austern, unter Lanzen aus Schaum,
schweigt sie in sich hinein und aus ihrem Raum.
Ihr Schweigen ist der Rumpf einer Eiche im Sturm,
eine Kammer aus Angst im hölzernen Turm.
Umspült von Sirenen in der knackenden Luft,
schweigt sie in sich hinein und aus ihrer Gruft.
Ihr Schweigen ist ein Bach, so still und so schwarz,
er kriecht über Äste zwischen Blättern im Harz.
Im Schatten des Waldes streicht er über die Steine,
sie sitzt auf dem Schweigen gebrochener Beine.
Ihr Schweigen ist ein Tümpel, dunkel und tief,
unter Weiden aus Trauer schreibt sie diesen Brief.
Zwischen Fliegen im Dampf der Hitze aus Leiden,
bricht sie ihr Schweigen und schreibt diese Seiten.
Der Frühling
Brachial und fast schon unverschämt
wälzt sich das grelle Licht
durch die schmalen Schlitze im Rolladen.
Vor der Tür auf dem Trottoir
treffen die glühenden Lichtschwerter
auf das feuchte abgestoßene Laub
und die letzten dampfenden Atemzüge des Winters
steigen im Sonnenlicht empor.
Motoren rülpsen, kleine Kinder grillen Ameisen
und der Achselschweiß tätowiert die feinen Anzughemden.
Cabriolets aus Wachs verschmelzen im Blechtreiben.
Armleuchter werden wieder geduzt und die sanfte Zurückhaltung
des Winters vertrocknet auf dem Grill.
Bald ist Sommer.
Die Hundescheiße
im Würgegriff der Sonne trocknet und stinkt.
Der Schnee ist geschmolzen.
Jetzt kommt alles nach oben.
Kranke Liebe
Ihr Lachen spannt sich
In völliger Hingabe
Über den Kopf
Aus Knochen und Haut.
Vom Besitz besessen
Vergisst sie zu essen
Die Liebe der Teufel
Und Sie ist die Braut.
Sie kratzt sich wund
Wenn er sie nicht beachtet
Und tippt die Zahlen
Zornig ins Brett.
Sie blickt ihm nach
Und hasst sich selbst
Bald kommt er wieder
Bald ist sie weg.
Ach, Pack!
Starke Luft steht in den Adern des Kanals
er teilt seine Stille mit dem gurgelnden Nass.
Seine Tage sind dunkler noch als die Nächte,
denn im Licht erkennt er die Blicke voll Hass
Er murmelt gebeugt mit Sprit in der Faust
trinkt mit Ratten und trinkt aus Rinnen.
Vom Gaumen der Gosse in die Nacht gewürgt
streift er durch Gärten aus Scherben die singen.
Sein Schorf splittert auf alte Reklame
Mit Pack lungert er inmitten der Plätze
Sein Körper ist ein Käfig, rostig und verbeult
kaum noch zu öffnen - sucht eh keiner Schätze.
„Sie“
Ihr Atem ist Neonreklame,
ihre Augen wie Marmor poliert.
Ihr Arsch aus Mahagoni sitzt trabend,
auf einem Dildo aus Habsucht und Gier.
Ihre Schultern aus Glas sind zerbrechlich,
ihre Stoffuniform ist lackiert,
mit Schweiß und Speichel von Menschen
auf die sie verbal onaniert.
Sturm über Barcelona
Der Bordstein dampft im Sommergewitter
Am Himmel zucken gläserne Splitter.
Der Asphalt keucht und würgt Wasser in Pfützen
Schatten hechten sich duckend und schützend.
Der Himmel ist schwarz und bedeckt die Alleen
und feuchte Winde peitschen über die Seen.
Das Meer ist wütend und zieht sich zusammen
und kracht an den schwarzen Stränden entlang.
Die Stadt atmet im Regendunst schwer
der Ramblas flieht feucht schnaubend ins Meer.
Der Donner schreit und Wolken wie Riesen
schlagen sich blutig um sich dann zu ergiesen.
Trauernde Blöcke
Trostlose grau uniformierte
Riesen
reihen sich schweigend
ineinander
resignierend abwartend
und starr
scheinbar zeitlos schweigend
Und gewaltig
Auge in Auge starren sie
einander an
ihre Gesichter
gegerbt von Vergänglichkeit
Neue alte hässliche
und saubere
in einer Reihe
ineinander verhakt
Alle gleich unterscheiden sich nur
in ihrer Einfallslosigkeit
Texte: c.o. 2008 tost
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2008
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