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U-Bahn Geflüster

 

Mit dem Kaffee in der einen Hand und meiner vollgepackten Aktentasche, schaffte ich es gerade noch rechtzeitig zwischen die Türen zu springen, ehe sich diese schlossen.

Wie immer nuschelte die rauschende Stimme etwas durch die Lautsprecher und mit einem leichten Ruck setzte sich die U-Bahn in Bewegung.

Für mich war es ein Tag wie immer, nur dass mein eigentlicher Tag schon einige Stunden zuvor anfing.

Aufstehen, joggen, duschen, versuchen etwas zu frühstücken, was allerdings meistens scheiterte. Mir fiel immer wieder etwas ein was ich noch schnell überfliegen könnte. Eine Präsentation, die noch nicht komplett ausgetüftelt war oder die Unterlagen für den aktuellen Tag, die einen letzten Kontrollblick verlangten. Es endete nie bei einem einmaligen Durchblättern, denn in der halben Stunde, die ich jeden Tag in der U-Bahn verbrachte, konnte man noch so viel erledigen, bevor der eigentliche Tag so richtig begann.

Aber ich gehöre eigentlich nicht zu den fanatischen Arbeitsleuten, die ihr Büro zum zweiten Zuhause gestalten und es alle paar Jahreszeiten verlassen. Ich bin einfach eine Perfektionistin, die gern alles geregelt und durchdacht haben will. Mir passieren eigentlich nie unvorhersehbare Dinge und ich lass mich nur selten von etwas überraschen, so wie an diesem Morgen, als ich wie immer sehr vertieft meine Stapel von Blätter durchwühlte, nach etwas hektisch suchte und noch mehr Unordnung reinbrachte als zuvor. Dabei vergaß ich natürlich sogar meinen Kaffee und dieser blieb unangerührt bis zum Ausstieg. Als sich meine Augen endlich von dem Papier Stapel lösten, bemerkte ich genau vor mir an der Metallgriffstange einen kleinen gelben Zettel. So einen den man auch oft am Schreibtisch wiederfindet. Mit einer Klebefläche hinten dran.

 

Gönn dir doch etwas Ruhe so früh am Morgen und genieß erst mal den Kaffee!“

 

Der Zettel war eindeutig an mich andressiert, denn weit und breit war niemand da, der einen Kaffeebecher dabei hatte. Abgesehen davon war ich mir absolut sicher, dass dieser auffällige Zettel vorher nicht an der Stange klebte. Etwas irritiert und unsicher betrachtete ich die Personen in meinem Abteil und suchte nach einem Paar Augen, die mich wiederum beobachteten aber keiner schien sich für mich oder die mysteriöse Nachricht zu interessieren. Ich hörte wieder den Lautsprecher krächzen und verstand, auch eher nur Bruchstückhaft, dass es meine Haltestelle sein musste. Ein Blick auf die Uhr bestätigte es. Eilig packte ich alle meine Sachen zusammen, auch den gelben Zettel, kippte ausversehen auch noch meinen Kaffee um, wofür ich zahlreiche mürrische Blicke erntete. Der Kaffeebecher musste also auch mit raus, ehe dieser den ganzen Ärger abbekommen würde. Den restlichen Tag über dachte ich nicht mehr an die sonderbare Botschaft nach und beschäftigte meinen Kopf mit anderen Dingen. Erst als ich wieder spät abends meine Wohnungstür hinter mir schloss und endlich daheim war, kam mir die Frage auf wer mir die Nachricht wohl hin geklebt hatte?

Die Schrift von dem Zettel war wahnsinnig schwungvoll und hatte etwas sehr elegantes an sich. Ich deutete deshalb darauf, dass es sich um eine Frau handeln musste. Selbstverständlich war das nur eine vage Vermutung. Als Ziel setzte ich mir, am kommenden Tag, den Täter zu entlarven. Aber vorher wartete ein Stapel voller Arbeit auf mich.

 

* * *

 

So früh am Morgen so voller Sorgen? Das lässt die Falten walten!“

 

Dieses Mal lag der Zettel vor meinen Füssen und hatte einige Fußabdrücke abbekommen. Vielleicht war er abgefallen oder die Person hatte ihn extra so platziert, denn ich erhob meinen Kopf nur wenige male bei der gesamten Fahrt. Schuld daran war allerdings der neue Auszubildende in der Firma, der bereits einige Sachen selbstständig bearbeiten durfte und ich hatte das große Los gezogen seine Werke zu verbessern. Es war sehr erfreulich in der Früh eine E-Mail zu öffnen mit einem mehrseitigen Anhang. Die Hälfte von dem Text konnte man allerdings sofort in die Gedanken-Mülltonne verfrachten und der Rest verursachte nur derbes Kopfschütteln bei mir. Mit dieser Arbeit würden uns die Kunden massenweiße abhandenkommen und die Firma strengstens meiden. Kein Wunder also, dass ich wie ein gefalteter Mops die halbe Stunde lang seine Seiten hin und her wälzte und mit Mühe und Not wenigstens etwas Gelungenes raussuchte. Ich wollte ja schließlich nicht, dass er komplett niedergeschlagen den ganzen Tag im Büro rumgeisterte. Wer weiß, wie lange der Bursche gebraucht hatte, um die Informationsbroschüre zu erstellen.

Somit war aber nun der zweite Tag verstrichen und auch die Möglichkeit darauf herauszufinden wer mir diese sonderbaren Botschaften hinterließ.

Ich habe zwar eine gesunde Portion an Geduld, die ich für meine Bedürfnisse gut einteilen kann aber dieses Wochenende. Welches nun dazwischen lag, machte mir doch sehr zu schaffen. Ich wollte unbedingt in Erfahrung bringen wer die unbekannte Person sein könnte.

Am Sonntag war ich letztendlich sogar mehr besorgt als erfreut über den kommenden Tag, denn im Grunde wusste ich absolut nichts über die Person. Womöglich war es ein Serienkiller und ich sein nächstes Opfer oder irgendein Verrückter. Die Chance darauf, dass es sich dabei um eine Frau handelte, die noch dazu selbst den Frauen zugeneigt war, lag irgendwo weit unten im Kellerbereich der Wahrscheinlichkeit.

 

* * *

 

Das ist aber ein sehr hektischer Start in die neue Woche. Versuchs mal mit Gemütlichkeit…“

 

Na die Person hatte aber auch leicht reden. Sie wurde sicherlich nicht aus dem Bett geklingelt von der jüngeren Schwester, die am Montag früh, wenn sogar noch die Vögel keinen Pieps von sich geben, anrufen muss und der großen Schwester die Frage stellt „Wie genau funktioniert eine Abtreibung?“

Ich war in weniger als einer Sekunde wach und schaffte es sogar aus meinem Bett zu fallen, welches meine Wenigkeit mindestens 4-mal beherbergen könnte.

Wie reagiert man auf so eine Frage oder allgemein auf die Erkenntnis, dass die jüngste in der Familie, die kurz vor ihren Abiturprüfungen stand, womöglich selber bald Mutter werden könnte.

Ich war noch nie ein Familienmensch und der einzige Langzeit Partner, den ich wirklich aus tiefstem Herzen verehrte ist und bleibt mein leicht übergewichtiger Kater Maurice.

Wie sich kurz darauf rausstellte, bezog sich die Frage auf eine Hausarbeit und ich wurde als Ansprechperson auserwählt, weil meine letzte Freundin eine Frauenärztin war und ein persönliches Interview würde sehr gut bei der Arbeit ankommen. Das bedeutete, dass ich meine Ex kontaktieren sollte und erfragen, ob und wann sie dazu Lust hätte. Man kann sich wohl vorstellen, dass meine ganze U - Bahnfahrt dafür drauf ging und ich in Eifer des Gefechts nicht im Geringsten daran dachte mal umherzublicken, ob doch irgendwo eine reizende junge Frau saß und mich mit Blicken verschlang. Oder ob dieser Blick eher einem komischen Typen gehörte und ich mir ab dem kommenden Tag lieber eine andere U Bahn aussuchen sollte.

 

* * *

 

Betrachte deine Mitmenschen, dann würdest du mich auch endlich wahrnehmen!“

 

Ganz ehrlich genau das hatte ich auch vorgehabt an diesem Morgen. Ich hatte es mir felsenfest vorgenommen und stellte im meinem Gedanken einen Abend zuvor bereits einen Schlachtplan auf, wie ich diesen seltsamen Zettelverfasser endlich erwischen könnte. Ich kam sogar auf die glorreiche Idee mich zu verkleiden und dann so unauffällig wie möglich meinen Wagon zu observieren aber leider hatte ich weder die nötigen Utensilien noch die Zeit mich als Spion aufzuführen. Ich bekam einen wichtigen Auftrag von der obersten Leitung höchstpersönlich zugeteilt, weil ein anderer Kollege, der nun nicht mehr mein Kollege war, es eindeutig vermasselt hatte. Er konnte zwar absolut nichts dafür, dass seine Kinder gerne Papierflugzeuge bastelten und einen Stapel voller bunter Diagramme und komischer Balken als das perfekte Muster für die Papier Jets hielten. Blöd nur, dass es niemanden interessiert. Ja so ist nun mal die Welt in der wir leben. Ein einziger falscher Schritt kann dich jahrelange Bemühungen kosten und letztendlich alles zerstören wofür du je geschuftet hast. Diese arme Seele wird mir gewiss noch mal über den Weg laufen in irgendeiner Fastfood - Filiale.

Aber ich schweife mal wieder ab von der eigentlichen Geschichte, denn es geht hier ja um den U - Bahn Flüsterer, der mir nun insgesamt vier Nachrichten hinterlassen hatte ohne, dass ich ihn jemals bemerkt hatte. Wie konnte das eigentlich sein? Normalerweise merkte ich immer alles, was in meiner nahen Umgebung geschah. Da wäre zum Beispiel der ständig schmatzende alte Opa, der sich auch immer neben mich platzieren muss. Er steigt eine Station später ein. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie sehr ich mich breit gemacht habe oder wie schön meine Unterlagen neben mir liegen. Er räuspert sich mehrmals lautstark und alle Blicke wandern auf mich. Es ist schlichtweg peinlich, vor allem wenn der Alte dann noch die „ich breche gleich zusammen“ Schiene fährt. Also gewähre ich ihm einen Platz neben mir, zu meinem Nachteil. Er kaut ununterbrochen auf etwas herum. Wahrscheinlich auf seinen künstlichen Zähnen und lutscht die Reste vom Frühstück noch aus. Und genau dieses Geräusch macht mich innerlich immer so wahnsinnig. Heute war es ebenfalls der Fall, eigentlich ist es jeden Montag, Dienstag und Mittwoch so aber inzwischen habe ich mich etwas an ihn gewöhnt, wäre da nicht dieser verdammt wichtige Auftrag, der mir einfach so zugeschoben wurde. Ich war weder mit den Einzelheiten vertraut, noch wusste ich welche Konditionen vom Kunden gefordert wurden. Das reinste Chaos also und dann schmatzte und klapperte der Alte neben mir genüsslich rum und grunzte auch noch dabei gelegentlich. Kein Wunder also, dass ich keine Zeit fand, um die geheimnisvolle Person zu suchen. Als wäre das nicht schon schlimm genug auch noch so eine direkte und freche Botschaft. Als würde sie sich über mich lustig machen. Etwas Neues kam allerdings dazu. Unter dem üblichen Spruch war noch ein Buchstabe zu sehen. Ein J mit drei Punkten.

 

* * *

 

Das Leben ist schon ein komischer Gefährte. Es macht gern Scherze auf Kosten anderer, besonders gern auf meine. Mein Tag startete an diesem Morgen nicht so wie immer, denn mein lieber Nachbar sorgte wieder mal dafür, dass unsere Etage einen kompletten Stromausfall hatte. Ich weiß nicht was er in seiner Bude anstellt und ich will es auch gar nicht so genau wissen, denn der Typ hat schon an sich so einen gewissen seltsamen Blick. Jedes Mal, wenn er mir im Treppenhaus über den Weg schleicht, kommen mir immer Ausschnitte auf diversen Horrorfilmen in den Sinn. Der Grund hierfür ist eindeutig seine Art. Einmal hatte er eine große Tüte dabei und ich könnte schwören drinnen lag ein ganzer Arm. Also ein wirklich echter Arm. Als ich wieder zu Hause war, konnte ich mein Erlebnis nicht hundert-prozentig bestätigen und entschloss mich gegen einen Anruf bei der Polizei. Ein anderes Mal lief er gerade in den Keller und trug ein weißes T Shirt in der Hand, welches sehr blutig aussah. Seit diesem Zeitpunkt vermied ich ein Zusammentreffen mit ihm, so gut es ging. Bis heute. Nachdem ich also drei Stunden nicht verdienten Schlaf zu viel hatte, wachte ich geschockt und verwirrt auf und sah meine lustig blinkenden Uhr, die es nicht begreifen konnte, dass sie schon längst hätte klingeln sollen. Wutentband, marschierte ich aus meiner Wohnung, gleich in die nächste Türe links und hämmerte erst mal mit Elan gegen die Wohnungstür des vermeidlichen Täters. Ein ebenso verschlafener Gesichtsausdruck begrüßte mich leicht gähnend und fragte was den los sei. Es war wirklich seltsam den Typen mal als Mensch zu betrachten und nicht als eine Horrorfilm Figur. In so einer Aufmachung würde er nicht einmal ein Eichhörnchen verschrecken. Jetzt erst dämmerte es ihm, dass auch er verpennt hatte und schon sprintete er wieder in seine düstere Wohnung, um hastig sich fertig zu machen. Ich traute mich weder ihn herauszurufen, da er so in Eile war, noch wollte ich dieses Mysterium von Wohnung betreten. Wer wusste den schon genau, was er da trieb.

Einen Augenblick später rannte er mir wieder entgegen mit einer großen Tüte voller Gliedmaßen und anderem ekeligen Kram.

„Vielen Dank für das Wecken. Wirklich sehr nett von Ihnen. Beinahe hätte ich nun wirklich verschlafen und wäre zu spät zum Filmset gekommen.“

Wie es sich am Abend bei einem gemeinsamen Kaffee in seiner unheimlichen Wohnung rausstellte, war er neben seinem Studium für die Filmindustrie tätig. Irgendwelche „Low Budget“ Horror Reihen. Welche Anstellung er da genau hatte, wollte ich nicht in Erfahrung bringen. Leute die in ihren privaten Räumen Requisiten für die Kulissen herstellen mussten, wo endete den so was?

Fazit des Ganze war natürlich, dass ich meine U – Bahn zu der gewohnten Zeit verpasst hatte und auch meinen Zettelschreiber nicht entdecken konnte. Von dem Ärger in der Arbeit fange ich erst gar nicht an. Erst als ich wieder auf dem Heimweg war und in den Wagon einstig, sah ich im oberen rechten Eck der Fensterscheibe einen gelben Zettel.

 

Schade, dass du nicht da warst. Aber vielleicht hattest du endlich einen freien Tag.“

 

Drunter war ein weiterer Buchstabe. Ein A… .

War es nun das Leben, welches sich auf diese Art und Weise entschuldigte oder pures Glück?

 

* * *

 

Dieser Morgen sollte nun wirklich anders verlaufen. Mir stand nichts im Weg und es gab keine unangenehmen Überraschungen, wären da nicht diese besonderen Tage unter der Woche. Ich weiß nicht, ob es schon jemanden aufgefallen ist aber an bestimmten Wochentagen schien die U - Bahn vollkommen überfüllt zu sein. Dies war in meinem Fall meistens ein Mittwoche oder ein Donnerstag. Wahrscheinlich lag es an den plötzlichen Erkrankungen, die sich anfangs der Woche ausbreiteten. In der Mitte der Woche eine plötzliche Genesung auftauchte und zum Wochenende kam der bösartige Infekt unerwartet wieder zurück. Wobei Anfang und Ende der Woche in diesem Fall durchaus noch ein Arbeitstag sein konnte.

Nun ich hatte wieder mal Pech und erwischte ausgerechnet den Tag, an dem die Bevölkerung meiner Stadt komplett gesund war und eifrig zu ihren Arbeitsstellen eilte.

Eine Beobachtung war schlichtweg unmöglich und ich hatte sogar Mühe meine eigene Hand in der Menschenmenge zu erkennen.

Ziemlich frustriert startete ich meinen Arbeitstag und dachte in jeder freien Minute daran, ob die geheimnisvolle Person ebenfalls in dem Überfüllten Wagon war und Ausschau nach mir hielt. Womöglich stand diese ja direkt neben mir ohne, dass ich irgendetwas gemerkt hatte. Angestrengt versuchte ich mich an die Menschen zu erinnern, die sich am Morgen neben mir befanden und das näher als mir lieb war. Da war ein Mann, der ständig niesen musste und einmal es sogar tatsächlich geschafft hatte mir ins Ohr zu niesen. Keine schöne Aktion. Irgendjemand grapschte mir mehrfach an den Hintern und ich war mir nicht sicher, dass es keine Absicht war. Letztendlich wendete ich mich leicht, um meinen Körper in Sicherheit zu bringen. Ich hoffte inständig, dass keiner von diesen Gestalten zu meinem geheimnisvollen Schreiber gehörte. Und dann war da noch eine Frau. Ich konnte sie allerdings nicht genau erkennen. Nur die wunderschönen Locken blieben mir in Erinnerung und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich diese Frau bereits irgendwo getroffen hatte. Vielleicht war sie aber auch nur öfters in derselben U - Bahn wie ich unterwegs.

Nach den alltäglichen neun Stunden im Büro war ich endlich soweit die Arbeitswelt zu verlassen und schnappte mir meinen Mantel, als von diesem ein kleiner gelber Zettel hinuntersegelte. Er war die ganze Zeit an meinem Rücken gewesen. Und wieder gab es einen Zusätzlichen Buchstaben. Ein N… .

 

Lass uns doch morgen mit der U - Bahn um 6:43 fahren, wie immer im letzten Wagon?“

 

* * *

 

Ich betrachtete aufmerksam meinen Abteil in der Hoffnung die geheimnisvolle Person endlich zu finden aber da ich nicht wusste wie diese aussah, konnte das ganze ja gar keine faire Angelegenheit sein. Meine Neugier war allerdings deutlich größer als die Vernunft.

Die Abteilung wirkte ziemlich leer zu dieser Uhrzeit und dabei machte es gerade Mal eine halbe Stunde unterschied aus. Es war aber schon fast Wochenende, was die Leere möglicherweise erklären könnte.

Tief in meinen Überlegungen versunken, entfiel mir komplett die Tatsache, dass wir bereits bei der ersten Haltestation angekommen waren und einige verschlafene Gesichter sich zu den wenigen anderen dazugesellten. Ich sah mit leichtem Herzklopfen umher, in der Hoffnung, dass endlich ein Lächeln meine Blicke erreichen würde, aber keine der geistig abwesenden Arbeitstiere schaute zurück. Jeder war vertieft in die aktuelle Zeitung, Unterlagen oder starrt in die Leere. Manche nutzten die Zeit um etwas Schlaf nachzuholen und schnarchten bereits leise vor sich hin. Ich fragte mich sogleich, ob die zwei Herrschaften womöglich ihren Ausstieg verschlafen würden, als ein paar Lockige Strähnen meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Frau stand fast am anderen Ende des Wagons. Ihr Gesicht lehnte sich leicht an das Metall, an dem sie sich festhielt obwohl es genug freie Plätze gab. Ihr Ausdruck war wesentlich frischer als der von den anderen und schon sendete sie mir ein leichtes Lächeln.

War das etwa meine Zettelschreiberin? Der Schrift nach zu urteilen konnte ich mir es ganz gut vorstellen, denn auch diese Dame hatte etwas wirklich traumhaft Elegantes an sich. Bestimmt trank sie gerne Wein und schwenkte dabei immer sanft das Glas.

Wieso ausgerechnet diese Vorstellen, dachte ich mir und merkte sofort, wie unzählige Falten meine Stirn belagerten. Ich bekam das Gefühl einfach nicht los, sie irgendwo bereits getroffen zu haben oder war sie einfach jeden Tag in meinem Abteil. Bis jetzt zumindest zeigte sie keinerlei Reaktion.

 

Und dann unerwartet dämmerte es mir. Ich sprang beinahe von meinem Sitz, denn ich erinnerte mich nun endlich wo ich diese elegante Schönheit bereits getroffen hatte.

Es war sicherlich nun zwei Monate her, als ich in einer anderen Stadt, die etliche Kilometer von meiner entfernt war abends wegging. Die ganze Idee zettelte natürlich meine jüngere Schwester an, die dort unbedingt einige Freunde und ein Konzert besuchen wollte und das auf eine möglichst günstige Art. Ich war lediglich das Mittel zum Zweck aber was tut man nicht alles für das verwöhnte Küken der Familie. Es handelte sich übrigens auch um dieselbe Schwester, die erst vor Tagen mir in aller Früh fast einen Herzinfarkt bescherte. Jedenfalls willigte ich ein damals, denn ich wollte schon immer mal in eine andere größere Stadt hin, die etwas weiter weg von uns lag. Die etlichen Stunden Autofahrt nahm ich in Kauf und das Gerölle einer Rockband aus meinem Auto-CD-Playern inbegriffen.

Obwohl ich herzlich eingeladen war mit den anderen um die Häuser zu ziehen, entschied ich mich lieber alleine das Nachtleben dieser Stadt zu erkunden. Die anderen wollten sich erst die Band ansehen, die bereits Tinnitus in meinen Ohne verursacht hatte bei der Autofahrt und dann einige Kneipen abklappern, die wohl eine ebenso ohrenbetäubende Musik spielten.

Mich zog es dagegen in einen Club das ausschließlich von Frauen besucht wurde. Ich hatte bereits einiges an Lob darüber gelesen und freute mich sehnsüchtig darauf, womöglich dort einer reizenden Dame zu begegnen, zu mindestens für eine Nacht.

Aber wie es immer so bei den Erwartungen ist, sie zerbrechen spätestens dann in kleine Scherben, wenn man davor steht und der Realität ins Auge blicken muss. Ausgerechnet an diesem Abend, an dem ich stundenlang unterwegs war und die Freude immer größer und größer wurde, hatte die Veranstaltung das Motto „Butch Night“.

Es ist nicht so, dass ich eine komplette Abneigung gegenüber männlich auftretenden Frauen habe. Sie können durchaus reizvoll sein aber an diesem Abend reizte es mich so gar nicht danach.

Wie auch erwartet verlief der Abend recht trocken und etliche, meist billige, anmachspräche später verzog ich mich an die Bar um dort Trübsal zu blasen. Es dauerte nicht lange, als plötzlich ein Glas vor meinen Augen abgestellt wurde. Der runde Rand des Glases verlief in einem spitzen Winkel nach unten und ähnelte einem Partyhüttechen, welches auf dem Kopf stand. Die aufgespießten Oliven vollendeten die Optik des bekannten Aperitifs.

Ohne, dass ich meine Frage stellen konnte warum ausgerechnet dieser Drink, bekam ich bereits eine Antwort. Meine Erscheinung war wohl so Niedergeschlagen, dass meiner Stimmung gleich etwas bitteres, aufgrund des Wermuts im Getränkes, eine einheitliche Note verleihen würde. Ich erinnerte mich noch wie sie „Es war wohl bitter nötig“ hinzufügte und dezent über ihren Satz lachte. Dann schwenkte sie sanft ihr Glas Wein und trank einen Schluck.

Wir hatten nicht wirklich viele Worte gewechselt. Im Prinzip blieb nur mein Satz im Raum zurück, in dem ich vom Wunsch sprach auf eine abenteuerliche, unheimlich untypische Art und Weise jemanden kennenzulernen und nicht auf diesen „0815“ Veranstaltungen. Sie nickte nur und schwieg einen Moment lang. Um die Gesprächsstille etwas aufzulösen, stellte ich mich vor und fragte auch nach ihrem Namen. Ich glaubte mich daran zu erinnern, dass sie gerade etwas sagen wollte als mein Handy klingelte. Es war wiedermal meine kleine Schwester, die nicht mehr in der Lage war auch nur einen Satz auszusprechen mit der Verwendung aller Buchstaben. Es hatte schon Ähnlichkeit mit Katzen Gejaule was an mein Ohr drang. Fazit war, dass ich mich hastig verabschiedete und Hals über Kopf, wie Cinderella, hinausstürmte. Auch einige Woche nach dem Abend dachte ich an die Schönheit mit dem Weinglas.

 

Ich richtete mich auf und sah zu der Dame am anderen Ende des Wagons hinüber, die mir ein bezauberndes Lächeln schenkte. Wir hatten gerade angehalten und weitere Personen stiegen in unser Abteil. Für einen kurzen Augenblick hatte ich sie nicht mehr im Visier. Als die Massen sich endlich verzogen hatten, stand sie immer noch da und hielt einen etwas größeren Zettel in der Hand.

 

Abenteuerlich genug?“

 

Drunter war ebenfalls ein Buchstabe platziert. Ein A. Dieses Mal gab es keine Punkte mehr und ich begriff nun endlich was dieser Buchstabensalat zu bedeuten hatte.

JANA.

Impressum

Texte: AJ Fox
Bildmaterialien: AJ Fox
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An meinen größten Fan, Alex! ;)

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