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fallen gelassen

Der Wind ist schneidend scharf in dieser Höhe. Ich lehne mich gegen ihn, fühle die wilde, lebendige Wand an meinem Körper. Er drückt und schiebt, zerrt an meiner Kleidung, lässt das Haar mich peitschen.

Die Naturgewalt steht in starkem Kontrast zu meiner inneren Starre.

Ein einzelner Schweißtropfen rinnt wie eine salzige Träne über meine Schläfe. Ich wünschte, ich könnte Weinen und all die aufgestauten Emotionen in einem befreienden Akt ungezügelten Aufbegehrens von mir los reißen.

Doch sie haben sich zu einem harten Klumpen zusammen geballt, drücken mir beinahe den Atem ab. 

Nachdem es anfangs zu viele Empfindungen waren, zu viele Gedanken, zu viele offene Wunden, und ich an ihnen fast erstickt wäre, sind es nun zu wenige. Ich fühle mich gefühlskalt, erfriere in der Hitze der beißenden Scham an meiner eigenen kalten Berechnung.

 

Der Ausblick ist unbeschreiblich. Am Rande meiner Existenz bewundere ich die Schönheit des Lebens, seine Vergänglichkeit und seinen unbändigen Willen nach Entfaltung.

Vor mir breitet sich die Welt aus, von der Sonne wach geküsst und ich hoffe, dass es ihr ohne mich besser geht. 

 

Ich genieße so gut ich kann den Augenblick. Nur die schrecklichen Gewissensbisse durch all die Menschen, die ich im Laufe meines Lebens gewollt und ungewollt berührt habe, lassen mich zögern.

Wenn ich doch wenigstens abgebrüht genug sein könnte, um die Tat ungeniert zu genießen. Aber die innere Hemmschwelle erscheint mir riesig. Wie viel größer muss die Verzweiflung erst werden, um diese zu überwinden, frage ich mich.

Ich habe die Zerbrechlichkeit des Glücks am eigenen Leib erfahren und daraus die Erkenntnis gewonnen, wie wertvoll gerade diese Unbeständigkeit die seltenen Freuden machen. Aber genug, um den Schmerz des Verlustes darüber in Kauf zu nehmen?

 

Blasse Gesichter schreien mir stumm entgegen, ich kann nicht sagen, in welche Richtung sie mich rufen wollen. Sie verschwimmen vor meinen Augen, werden unbedeutend als winzig kleine Punkte vor dem endlosen Horizont.

 

Dann tue ich es doch. Ich gebe nach, der Angst vor den Konsequenzen, dem nagenden Schuldgefühl; und mache den letzten entscheidenden Schritt, dem schwierigsten überhaupt, dessen Bedeutung ich gerade nur im Ansatz erahnen kann. Doch mir ist bewusst, welch wichtige Wegkreuzung hier und jetzt von mir beschritten wird. Die Entscheidung ist unumkehrbar.

 

Ich springe und der letzte Zweifel verglüht im Rausch von Endorphinen. Endlich wieder fühlen, frei von den selbst erschaffenen Gitterstäben vor den schmerzenden Erinnerungen.

Ich lasse los, lasse sie alle sein, was auch immer sie waren.

Ich koste von der süßen Freiheit, meine eigenen Entscheidungen treffen zu können. In diesem Moment bin ich stärker als ich es je gedacht hätte. 

 

Und ziehe die Reißleine. Dies ist mein Sprung zurück ins Leben, komme was wolle.

 

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Tag der Veröffentlichung: 14.02.2017

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