Logbuch der Arehucas
Wir schreiben das Jahr 2008 n. Chr. seit nun mehr 13 Tagen, 12 Stunden, 45 Minuten und ein paar Zerquetschten (um sie getrauert wird später).
Aktuelle Koordinaten: minus 248 Seemeilen, Radazul/Teneriffa
Geplante Route:
An Bord befinden sich:
- Häuptling alter Hase
- Copilot J.Lo
- Offizier für Kaffeeangelegenheiten Fritz
- dritter Aushilfs-Ersatz-Maat Jens
- Wenn-Not-am-Mann-ist-Steuermann Olaf
- Gallionsfigur Tony (meine Wenigkeit)
- und jede Menge Fischfutter
Reisebericht:
Nachdem die Crew fachmännisch angedirkt und die Kabel verkabelt waren, heißt es Segel los und ab auf die Piste - so oder so ähnlich im Fachjargon.
Der Kiel wird noch schnell geholt, der Anker für den Notfall schon mal gekappt und die dichten Schotten braucht eh keiner.
Bei besten Windverhältnissen für schwache Mägen verlassen die Landratten den sicheren Hafen in Richtung Horizont.
Man ist sich noch ein wenig fremd, aber auf der 42-Fuß kurzen Jolle ist kein Platz für Schüchternheit. So wird sie kurzerhand einfach über Bord geworfen und was nicht im Meer an Zurück- haltung versinken will, muss eben im Alkohol dran glauben. Der fließt bereits zu Beginn der Reise außerordentlich gut, man will sich ja schnell an den Hochsee-Pegel gewöhnen, der knapp über dem Meeresspiegel und unter meinem Niveau liegt. Auch trocken sind wir eine feucht-fröhliche Truppe!
Durch die betörenden Motorengeräusche angelockt – ja, auch ein Segelboot hat einen Motor, den wir ausgiebig nutzen dürfen -, geben sich bald die seltensten Meeresbewohner ein Stell-dich-ein und posieren für Nahaufnahmen!
So grüßen uns unzählige Verwandte von Flipper, die sich spielerisch über unsere Form der Fortbewegung lustig machen. Man kanns ihnen nicht verdenken, weckt der Anblick fliegender Delfine doch eine unbeschreibliche Sehnsucht in mir.
Eine Walkuh samt Baby schneidet uns von Backbord (oder Steuerbord, jedenfalls eins von beidem) und lässt uns dann links (oder rechts) liegen. Und sogar eine seltene Meeresschildkröte lässt sich völlig teilnahmslos von uns umrunden. Sie alle beleben das sonst eher eintönige Bild der hohen See und animieren den Hobbyfotograf zu wahren Jubelschreien.
Anscheinend wurden auch ohne zu erwartende Seeschlacht gleich die schweren Geschütze aufgefahren, um zu beweisen, dass Segeln nicht ohne Grund die teuerste Art ist, unbequem zu reisen.
Die Sonne scheint den ganzen Tag wie bestellt, was man Abends in 'Mogan' als Tomatenröte auf den Gesichtern der Gestrandeten ablesen kann. Was allerdings zumindest teilweise auch an dem abenteuerlichen Anlegemanöver in drei Akten mit vier Ouvertüren und einem unerwarteten Happy End liegen könnte.
Geschafft aber glücklich wird – für viele zum ersten Mal – das Schlafen in winzigen Kojen erprobt. Trotz oder gerade wegen des beruhigenden Schaukelns beginnt ein allnächtlicher Kampf zwischen den Wänden und meinem Körper, wovon zahlreiche blaue Flecke zeugen. Sogar das Gepäck aus der oberen Liege konnte es nicht lassen sich einzumischen. Und als strahlender Gewinner geht eindeutig mein Schlafmangel daraus hervor.
Am nächsten Morgen verbleibt erst mal genügend Zeit, die Standhaftigkeit der Hafenpromenade zu bewundern, über die Scharen von Rentnern im Namen der Hochsaison einfallen.
Die ausufernde Hotelanlage nebendran und die Trimm-dich-Straße dorthin verlangen ebenfalls den Status einer Hauptattraktion. Man kann den Anblick der sich windenden Autoschlangen auf schmalen Serpentinen vorm Abgrund kaum beschreiben.
Auch am 14. Jänar ist der Wind ziemlich faul und hat wenig Lust dem Schiff den Marsch zu blasen. Da bleibt der Gang zur See gemächlich und zur Reling Gott sei Dank erspart. Wer will auch schon viele Knoten machen außer vielleicht den Knotenmachern, von denen wir aber glaube keinen dabei haben.
Das Meer ist weiterhin blau, blauer als der Himmel sogar, und jeder genießt die malerische Ruhe für sich, obwohl man zusammen eingepfercht ist. Getreu dem Motto: Gemeinsam einsam!
Der Stress eines normalen Alltags scheint plötzlich so weit weg wie das sich entfernende Land. Als Treibende in einer Nussschale auf dem grenzenlosen Ozean fühlt man sich stattdessen winzig klein und unbedeutend, doch gleichzeitig mit allem irgendwie verbunden. Schau einer an, da kommt der Philosoph aus den Tiefen meiner Psyche hervor und nutzt seine Chance.
Unser Skipper versucht durch ausgeklügeltes Kochen auf einem freischwingenden Herd die Mann- und Frauschaft von einigen technischen Problemen abzulenken, was hinreichend funktioniert.
Das Ziel dieser Etappe wird spontanerweise auf 'Las Gallettas' verlegt. Ein Schelm, wer beim Anblick des Pico del Tides an weibliche Anatomie denkt!
Man läuft gemächlich in den Hafen ein - natürlich erst an Land zu Fuß -, was sich aber schnell als wenig lohnenswert herausstellt. Selbst der große Jens als Profi-Fallenleger muss in der Früh von erfolgloser Brötchenjagd zurück kehren.
Wenigstens bleibt sich das Wetter selbst treu und das Wasser ist überraschenderweise immer noch blau. Diesmal allerdings nicht annähernd so blau wie die Seeleute, die sich auf wackligen Beinen erneut in sein Reich vorwagen.
Mit viel blendendem Licht und wenig sich bewegender Luft setzt das Schiffchen über zu den nicht so fernen Ufern der Insel 'La Gomera'.
Zu Gunsten einer spontanen 2-Schiff-Regatter, an der die Lust mit zunehmendem Vorsprung des Gegners schwindet, verändert man kurzerhand mal den Kurs. Wir haben ja sonst nichts zu tun.
Durch die Begegnung mit einem monströsen Kreuzfahrtschiff, das erst als winziger Punkt am Horizont auftauchte und sich dann rasend schnell zu seiner wahren Größe aufblähte, um nur knapp an unserem Bug vorbei zu rauschen, so dass wir kräftig auf die nicht vorhandene Bremse treten müssen, wird das ungeschriebene Gesetz der See (das hiermit auch ein geschriebenes ist) deutlich: Der Größere hat immer Vorfahrt. Und hat er einmal nicht Vorfahrt, so nimmt er sie sich einfach.
Von jenem Tage an plagen mich des öfteren Alpträume, in denen ich ungewollter Verursacher von Massenkarambolagen auf dem Wasser bin. Aber das ist ein anderes Buch...
Vom heiligen Sebastian mehr schlecht als recht bewacht, verliert so mancher seine Unschuld in dieser Nacht und andere die Brieftasche oder gar ganze Bekleidungsstücke. Ich werde meine Jacke wirklich vermissen!
Obs am Moskovskaya, den spendablen Mitseglern der Nachbar- boote oder einfach am netten Plausch mit der Gendarmerie liegen mag, der Folgetag zieht sich träge wie das Öl auf dem brackigen Hafenwasser dahin.
Ein weiteres Mal wird nun die Südspitze von 'Teneriffa' angepeilt, auch ohne Drehzahlmesser und unter Einsatz der Ersatz- Positionslichter. Freundlicherweise gab uns das Schicksal die Chance selbige zu testen, sonst wüsste man ja gar nicht, dass die Ersatzlichter genauso aussehen wie die Originalen.
Auf dem Wasser hat man ein Hindernisparcour aus verlorenen Containern und unbemannten Booten für uns aufgebaut, den wir wenig geschickt aber mit viel Spaß an der Sache zu meistern versuchen.
Schließlich erfüllen auch die angeheuerten Delfine ihre Aufgabe, uns zu begeistern, mehr als befriedigend: Mit doppeltem Lutz, 3-fachem Rittberger rückwärts und Telemark-Landung überbieten sie einander und haben als einziges im atemberaubenden Sonnenuntergang einen echten Konkurrenten.
Wie schwimmendes Platin breitet sich das Meer in alle Richtungen vor uns aus. Und als die Sonne mit viel Zischen und Getöse darin versinkt, erwartet uns nachts ein Anblick, den sich ein Stadtmensch kaum vorstellen kann. Der Himmel ist derart von Sternen und anderen nicht näher definierbaren Himmelskörpern übersät, dass wir nur ehrfürchtig staunen. Die Milchstraße lässt sich deutlich erkennen, während ich kein einziges Sternzeichen mehr aus dem Einheits-Leuchten zu unterscheiden vermag – deprimierend und für das Navigieren eher unförderlich. Sogar die blinkenden Hafenlichter entgehen meinen ungeübten Augen. Aber auf meine Anweisungen hört zum Glück sowieso niemand.
Mittlerweile ist man in der Crew (der männliche Teil davon zumindest) dazu übergegangen, ein Anlegebier für das eigene Anlegen und eins für jedes andere Schiff zu trinken, das im Hafen landet, ganz zu schweigen vom Ablege-, Wende-, Dichtholen-, UnsfälltkeinGrundmehrein-Bier.
Ein Erfolg des nächsten Morgens stellt die Enttarnung der schlecht vertuschten Verfolgung durch die Polen dar, vermutlich immer noch von die Hoffnung auf einen Frauentausch angespornt. Sie hätten dabei wirklich viel zu gewinnen, da niemand so gut die Klappe(n) halten kann wie ich. Aber wir sind schließlich nicht bei RTL2 und unsere Besatzung ist sich einig: Es gibt für sie keine Kapern und auch nichts zu erbeuten.
Darüber hinaus konnte Felix das erlernte Handwerk als Rettungs- sanitäter nicht lassen und verarztete in Ermangelung anderer Patienten eben mal sich selber.
Ebenfalls aufregend ist zu manch armer Seele Unglück auch die See an diesem verhängnisvollen Tag.
Der Wind zaubert weiße Kronen aufs Wasser, welches inzwischen alle Farbnuancen von Grau über Tiefblau bis hin zu Schwarz in sich vereint.
Die entfesselten Naturgewalten und das Farbspiel wird von ängstlichen Gesichert beobachtet, während man krampfhaft um Stand und vor allem Haltung bemüht ist.
Reges Handeln findet auch auf dem Schiff statt: Der Eine übergibt sich, der Andere übergibt die Verantwortung. Manch einer nimmt nichts mehr wahr, während andere die Gelegenheit wahr nehmen um tolle Aufnahmen zu machen.
Wir können zwar so am bisher reichlich verbrannten Diesel sparen und Gottes herrliche Windkraft nutzen, aber auch die schönste Schräglage des Mastes wird auf Dauer einseitig.
Also entscheidet man sich zu einem Zick-Zick-Kurs, der jede Zick-Zack-Näherin neidisch gemacht hätte.
Zusätzlich zum steten Auf und Ab, nähert sich nun im rhythmischen Intervall das Ufer und entfernt sich wieder, um erneut von Nahem betrachtet werden zu können an der fast gleichen Stelle wie schon zuvor, was reichlich frustrierend ist.
Alle Dinge haben ein Ende, manche bekanntermaßen auch zwei und manche einfach viel zu spät. Der Wunsch dieses Karussell anzuhalten oder auszusteigen wird fast übermächtig.
Der Heimathafen ist endlich, nicht mehr ganz trockenen Fußes, kurz vor der morgendlichen Dämmerung erreicht und zum feierlichen Abschluss gibt es auf den strapazierten Magen noch ein Nach-Mitternachts-Imbiss an Bord. Am meisten bekommen davon aber wohl die Fische ab. So kann man auch einen bleibenden Eindruck hinterlassen!
Der letzte Tag wird recht gemütlich angegangen bzw. angesegelt, das Gefühl von Freiheit nochmal ausgekostet, sowie die letzten Sonnenstrahlen auf die Haut gebannt.
Gespräche drehen sich um das wenig bedauerliche Versäumnis, die Rettungsringe getestet zu haben und um das Abenteuer der beiden Jens, als sie unter Einsatz ihres Lebens unser kleines Boot vor einem schlechten Abgang bewahrt haben.
Wir entschließen uns, noch einige Seemeilen für den Schein dazu zu gewinnen und etwas unkontrolliert am Ufer entlang zu schippern unter dem Vorwand, Neuling Olaf hat zu üben.
Es endet am Ende so, wie es auch am Anfang begann: mit einem Plausch in einer der Hafenkneipen und dem einzig wichtigen im Gesichtsfeld: der blauen See.
Wer jetzt nicht an seiner Schifftauglichkeit zweifelt, der ist tatsächlich zum Seemann geboren, nur leider nicht in Zeiten der großen Seefahrerei.
Schlussbilanz:
- J-Lo hat einen wetterunabhängig kühlen Kopf bewahrt, er war seiner Unzufriedenheit über den aktuellen Stand der Windverhältnisse stets und gegen jeden Versuch des Wettergottes treu.
- Jens hat gut ausgesehen und am Schluss seine gestohlen geglaubte Brieftasche dort wieder gefunden, wo er sie todsicher auch nicht suchen würde.
- Fritz hat seiner Herkunft alle Ehre gemacht und sich urschwäbisch verhalten, also kaum Worte veräußert und dafür um so mehr vom Bier verinnerlicht. Das Fehlen eines Sturmfeuerzeugs ließ allerdings an seinen Seebär-Erfahrungen zweifeln.
- Helge hat perfekt an den Navigationstisch gepasst und diesen nur äußerst selten und widerwillig verlassen.
- Olaf hat gekonnt Wenden und Halsen eingeleitet (ob beabsichtigt oder nicht sei dahingestellt) und sich auch nur ein bisschen in den Tauen verheddert, was ihm hoch angerechnet wird.
- Tony hat die Seetaufe erfolgreich über- und bestanden; sie rettete mit ihrer bloßen Anwesenheit die Frauenquote. Juhu!
Nur der Pinguin auf dem Rücken eines Eisbären fehlte. Das klappte trotz Buchung organisatorisch nicht, da die beiden seit ihrem Streit auf größtmöglicher Distanz leben.
Aber vielleicht geben wir ihnen einfach eine zweite Gelegenheit und sehen uns alle bald wieder!?
Tschüss...
Tony
Texte: Die Texte sind mein geistiges Eigentum, jedwede Verwendung (auch von Ausschnitten) nur nach Rücksprache!
Bildmaterialien: Die Fotos sind von mir gemacht und unterliegen dem Copyright.
Tag der Veröffentlichung: 27.08.2012
Alle Rechte vorbehalten