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dunkle Vorboten

 

 

 

Angst hüllt das Land ein, 

liegt mit bleierner Schwere auf den Gemütern.

Leichen verwesen auf dem Feld,

vertreiben den letzten Funken Hoffnung mit ihrem Gestank.

Seelen sind mit Blut befleckt,

die sich nie wieder reinwaschen lassen.

Bande werden durch das Schwert getrennt,

so dass nur gegenseitiger Hass die Menschen noch verbindet.

Ein Aufschrei entringt sich dem aufrichtigen Herz, 

der unerwidert in der Trostlosigkeit verhallt.

Die Finsternis hat ihre Flügel ausgebreitet,

und herrscht erbarmungslos über die endlose Nacht.

 

 

 

 

"Gar nicht wahr!" unterbrach plötzlich eine Stimme hinter ihr den Schreibfluss.

Ein paar Tropfen schwarzer Tinte hatten sich durch das Zittern ihrer Hände auf dem Papier verteilt. Sie unterstrichen wie stumme Zeugen die apokalyptischen Visionen.

"Hast du in letzter Zeit mal aus dem Fenster geschaut?"

Völlig aus ihren Gedanken gerissen und von der unerwarteten Störung ruckartig in die Welt zurück geholt, versuchte sie sich zu orientieren. Sie schaute verwirrt in Richtung Licht.

Von der Helligkeit geblendet, blinzelte sie ein paar mal gegen die Sonne und ließ ihren Blick über den Garten schweifen, den man von ihrem Zimmer aus wunderbar überschauen konnte.

Die grauen Bilder verschwammen und wurden durch saftige Farben ersetzt. Ein buntes Blumenmeer, umrahmt vom facettenreichen Grün der angrenzenden Bäume, bot sich ihr dar. Man konnte sehen, wie der Wind mit den sonnenwarmen Blättern spielte, wie sich scheinbare Wellen durch das dichte Kronenwerk bewegten und ein rhythmisches Rauschen erzeugen mussten.

Langsam sickerte das Erkennen der Situation in ihr Bewusstsein. Mit einer ruckartigen Bewegung verdeckte sie die Schriftstücke und wandte ihren Blick der Besucherin zu. Darin erkannte diese das Aufkeimen von glitzernder Wut und fühlte sich nun doch etwas unwohl in ihrer Haut.

"Du sollst mich doch nicht stören! Und was fällt dir ein, einfach mitzulesen. Hast du denn völlig deine Erziehung vergessen und überhaupt..."

Beschwichtigend hob die Angesprochene ihre Hände und ein versöhnliches Lächeln überzog ihr Gesicht.

"Ich wollte dich eigentlich nur zum Essen holen. Aber als du auf meine Rufe nicht reagiertest, konnte ich mich nicht zurückhalten und wollte sehen, was dich da wohl gerade so fesselt. Mutter sagt zwar immer, es geht uns nichts an, was die Leute in ihren Privaträumen tun, aber du bist doch meine Schwester und ich hasse es, wenn wir Geheimnisse voreinander haben." Ohne sich von dem Schweigen der anderen beirren zu lassen, fuhr sie in ihrem Redefluss einfach fort.

"Nun schau doch nicht so grimmig. Ich glaube im übrigen, es schadet dir nicht, wenn man dich ab und zu aus deinen trüben Gedanken reißt und dir stattdessen die Realität vor Augen führt. Wie kannst du denn nur so furchtbare Dinge schreiben und noch dazu sind sie so weit hergeholt, dass ich mich ernstlich frage wie du auf derlei Phantasien überhaupt kommst."

"Es sind keine Phantasien!" murmelte sie verdrießlich, während sie die Blätter sorgfältig zusammen legte und in einem verschließbaren Schubfach verstaute. Man konnte hier einfach nie vor neugierigen Blicken sicher sein.

Unter weiterem Geplapper zog ihre Schwester sie nun vom Stuhl und mit sich hinaus der Treppe entgegen.

"Sei nicht so weltentrückt. Es gibt gar keinen Grund, sich hier in deinem Kämmerlein zu vergraben und vor sich hin zu brüten. Da draußen, da spielt sich das Leben ab." Mit einer ausholenden Geste unterstrich sie das Gesagte und ließ bereits die nun kommende, lange Ansprache vermuten. 

"Und es ist so voller aufregender Möglichkeiten. Stell dir nur mal vor, wie schön es wäre, eines Tages die Insel zu verlassen und die Welt dahinter zu erkunden. Ich will noch so vieles entdecken und kennen lernen."

Ophelia liebte Abenteuergeschichten und träumte ständig von aufregenden Reisen in ferne Länder, exotische Kulturen und unberührte Natur. Am liebsten wäre sie zu Orten aufgebrochen, die noch kein Mensch vor ihr gesehen hatte.

"Du hast dich mal wieder in der Bibliothek an den Reiseberichten von Vater vergriffen, nicht wahr?"

Das kurze Aufflackern eines schlechten Gewissens auf ihrem Gesicht zeugte vom stillen Eingeständnis. Aber sofort wurde es wieder mit vorfreudiger Erwartung erfüllt und verlieh ihren Augen einen fast fiebrigen Glanz, als sie weiter in wilden Vorstellungen schwelgte.

Arm in Arm gingen sie so in den Speisesaal, wo die restliche Familie sie bereits erwartete.

 

 

"Was ist das nur für ein seltsames Kind. Ich habe es noch nie lachen gesehen."

"Hmm... Wir glauben, dass sie die Gabe hat, in die Zukunft zu sehen."

"Wenn man sie so anschaut, muss man sich fragen, ob es eine Gabe oder ein Fluch ist."

"Das hängt vermutlich davon ab, was es in der Zukunft zu sehen gibt."

"Hat sie euch schon einmal davon erzählt?"

"Nein, aber sie schreibt Gedichte. Einmal habe ich zufällig eins lesen können, als sie ihre Notizen liegen gelassen hat. Und wenn es das ist, was sie ständig träumen und sehen muss, dann kann ich verstehen, dass ihr das Lachen vergangen ist."

"So schlimm? Dann wollen wir hoffen, dass es nur bedeutungslose Träume sind."

Die beiden Frauen blickten nachdenklich in Richtung des jungen Mädchens, das sich in die Schatten der Bäume zurück gezogen hatte. 

Von dort aus schien sie ihre Geschwister zu beobachten, wie diese lachend und feixend über die Wiese rannten, um Schmetterlinge mit ihren kleinen wirbelnden Köchern zu fangen.

Es war das perfekte Wetter für ein Picknick und so hatte die Familie kurzentschlossen die Sachen gepackt und war zur Lichtung aufgebrochen. Hier breitete man bunte Decken aus, auf denen allerlei Speisen verteilt lagen und darauf warteten, dass die Kinder von ihrem Treiben erschöpft zurück kommen würden und mit einem Bärenhunger darüber herfielen.

Nur Felicia bevorzugte wie gewöhnlich ihre eigene Gesellschaft und suchte sich einen Platz abseits der anderen. Sie war das ständige Sorgenkind ihrer Eltern, obwohl sie sich nie beklagte. Aber sie ließ auch niemanden an ihrem Innenleben teilhaben und blockte alle Versuche in diese Richtung rigoros ab. So gaben es die anderen bald auf, sie verstehen oder gar aufheitern zu wollen. Gelegentlich zeigte ihr Blick einen solchen Schmerz, dass es ihrer Mutter im Herzen weh tat. Wenn sie sie nachts schreiend im Bett vorfand und dann mit sanften Worten oder wiegenden Bewegungen zu trösten versuchte, bekam sie eine Ahnung von den schrecklichen Bildern, die ihre Tochter quälten. Dass Fabricia nicht darüber sprechen wollte, verletzte sie zusätzlich und so hatten die beiden trotz der Familienbande kein sehr inniges Verhältnis. 

Bei ihrem Vater sah das schon etwas anders aus. Mit seiner unaufdringlichen Art konnten die beiden sich nahe sein ohne miteinander sprechen zu müssen. Er versuchte nie weiter in sie zu dringen als sie es ihm gestattete und genoss es scheinbar auch einfach nur, in ihrer Nähe zu sein oder gemeinsam in die selbe Richtung zu schauen. Oft saßen sie schweigend auf einer Bank, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend und darauf bedacht den Zauber des Moments nicht durch unnötige Konversation zu zerstören. Dabei hätte er eine Menge zu erzählen gewusst. Durch seine zahlreichen Geschäftsreisen ergaben sich so manch lustige Anekdoten, die bei den anderen stets ein offenes Ohr fanden und in den Augen seiner ältesten Tochter ein freudiges Feuer entfachten. Mit der ihr eigentümlichen Begeisterung wurde er immer und immer wieder von Ophelia nach Einzelheiten über Land und Leute ausgefragt, antwortete stets geduldig und mit nachsichtigem Schmunzeln. Zur Zeit trieb er sich wieder einmal auf dem Festland in geschäftlicher Angelegenheit herum und man erwartete sehnsüchtig seine Rückkehr.

 

 

Völlig aufgelöst fand sie Isabel halb auf dem Bett, halb auf dem Boden davor liegend. Ihre Schultern bebten unter dem Ansturm ehrlicher Verzweiflung und man konnte gequälte Schluchtzer dem kindlichen Mund entweichen hören. Dieser herzzerreißende Anblick hätte wohl tiefes Mitgefühl geweckt, wäre der Auslöser für den ganzen Aufstand nicht ein Kleid gewesen.

"Sag mal, hast du eigentlich keine anderen Sorgen?" Überrascht hob das kleine Häufchen Elend ihr tränennasses Gesicht und vergaß für einen Moment völlig das Schluchtzen.

"Du führst dich auf wie ein Kleinkind und heulst hier herum wegen solch einer Belanglosigkeit, nur wegen eines albernen Stück Stoffs, dessen Farbe dir nicht gefällt. Du tust als würde es nichts wichtigeres als einen Ball geben, während die Welt um uns herum..." Sie unterbrach sich. Noch immer sprühten ihre Augen kleine Blitze und musterten unbarmherzig das Kind vor sich. Doch sie liebte ihre nervige kleine Schwester auf eine unerklärliche Weise und spürte plötzlich einen Stich im Herzen. 

"Was meinst du Schwester? Ich kann mir wirklich nichts schlimmeres vorstellen. Es ist doch zu Ehren von Papa, den wir alle so vermissen. Ich will doch gut aussehen, wenn er wieder kommt!"

Trotzig hob sie ihr Kinn, wollte Felicias Blick stand halten, doch erneut quollen dicke Träne aus ihren rotgeweinten Augen und ein heftiges Zittern durchlief ihren Körper.

Die Stehende atmete einmal tief durch und seufzte: "Du hast recht. Für dich gibt es nichts, worüber du dir sonst Sorgen machen müsstest." Mit einem weichen Ausdruck in den Augen, die von ihrer starken Zuneigung sprachen, bückte sie sich und nahm nun Isabel sacht in den Arm, wischte ihr behutsam die Tränenspuren vom Gesicht und streichelte zart über ihren Lockenkopf. Diese war von dem abrupten Gefühlswechsel der Großen nun vollends verstört und ließ sich widerstandslos tätscheln.

"Ich werde schon darauf achten, dass dir in deiner kleinen heilen Welt nichts geschieht und du unbeschwert die Zeit hier genießen kannst, einschließlich deiner großen und kleinen Dramen." Isabel wollte etwas erwidern, aber Fabricia schüttelte den Kopf und fügte nachsichtig schmunzelnd hinzu:

"Bitte, denk nicht weiter darüber nach, was ich dir vorhin an den Kopf geworfen habe. ..... Ich hab dich lieb."

"Ich... ähm... ich dich auch." kam es stammelnd als Antwort.

"Es wird Zeit, dass wir uns nun deinem Problem stellen, damit wir schnell wieder das so vertraute glückliche Lachen von dir hören können. Es wäre doch wirklich schade, wenn der Ball ohne dich stattfinden müsste. Papa wäre sicher todunglücklich ohne seinen kleinen Sonnenschein." Verschmitzt zwinkerte sie ihr zu, erhob sich entschlossen und schon war sie aus dem Zimmer verschwunden, um eine verdutzte Isabel zurück zu lassen.

dunkle Offenbarung

 

 

Du von der Erde Verfluchte

wirst vom Giftzahn der Nacht gebissen.

Für dich kommt kein Morgen mehr.

Du arme von der Hitze entfachte Seele.

Der Geist des Lichtes wird dich nicht mehr 

mit seinem verführerischen Lächeln begünstigen.

Hör auf meine Worte, du Verfluchte der Erde.

Deine Welt, die dir so lieb ist,

wird nie wieder aus ihrem Schlummer erwachen

und wird durch Selbstaufgabe in eine ewige Finsternis geführt,

die in ihrer Lichtlosigkeit über die Nacht weit hinaus geht.

 

 

 

 

Schweißgebadet schrak sie hoch, blickte sich suchend nach einem Anhaltspunkt um.

Alles war ruhig, die dunkle Stille umhüllte sie tröstend. Das Haus schlief noch und mit ihm seine ahnungslosen Bewohner.

Aber sie war nicht länger fähig sich etwas vorzumachen. Das Grauen hatte die Insel erreicht und rief nach ihr.

"Nun ist es also so weit."

Das heftige Beben ihres Körpers verschwand bei der Erkenntnis, dass es keinen Aufschub mehr gab und wurde von einem trügerischen, inneren Frieden abgelöst. Die Zeit des bangen Wartens war vorbei.

Sie atmete tief ein und wusste plötzlich, was zu tun war. Sie hatte es schon immer gewusst

und es schien ihr, als hätte sie nur auf diesen Augenblick hin gelebt, wo sich ihr Schicksal

nicht mehr drohend in der Ferne zeigte, sondern zu erfüllen begann.

Sie war bereit!

"Mutter! Ich möchte mich von euch verabschieden." Verschlafen öffnete sie die Augen.

"Was? Wieso? Gehst du fort?"

"Ja, ich werde fortgehen. Und vorher wollte ich mich noch entschuldigen... Für all die Sorgen der vergangenen Jahre. Wenn ich mich von euch zurück gezogen habe, dann nur um euch Leid zu ersparen. Ich wollte euch immer nur beschützen."

"Aber wovor denn, mein Kind?" Sie hob verwirrt den Blick, wollte die Müdigkeit von sich abschütteln, um zu verstehen was hier gerade gesagt wurde.

"Vor mir!"

Aus den Augenwinkeln konnte sie das kurze Aufblitzen einer Klinge wahrnehmen, bevor ein stechender Schmerz in der Brust ihr die Luft weg nahm.

Überrascht sah sie in die traurigen Augen ihrer Tochter.

"Keine Angst, es ist gleich vorbei und dann wirst du nie wieder Schmerzen ertragen müssen."

Sie sank zurück in ihre Kissen, die Augen mit verständnislosem Blick weiterhin auf ihre Tochter gerichtet, aus denen langsam das Leben entwich. 

 

"Wach auf, Schwesterherz. Ich werde dich auf eine Reise schicken. Das hast du dir doch immer gewünscht, nicht wahr?"

Ein verträumtes Lächeln glitt über die schlafmüden Züge von Ophelia. "Oh ja, das wäre so schön. Wo wird es denn hingehen?"

"An einen ganz wunderbaren Ort, wo nur noch Glückseligkeit auf dich wartet. Kein Unheil kann dir dort widerfahren und du wirst all deine Lieben um dich haben."

"Versprichst du das?"

"Ich verspreche es dir. Und nun schließe wieder die Augen, ich werde alles für dich vorbereiten."

Mit zufriedenem Seufzer glitt sie erneut hinüber in die Traumwelt. Sie sah nicht die blutverschmierte Kleidung ihrer Schwester, sah nicht das kleine Messer in deren Hand, sah nicht den Schmerz und die Entschlossenheit auf ihrem Gesicht. Sie würde nicht mehr in dieser Welt erwachen und stattdessen zu einer Reise ins Jenseits und einer neuen, unbekannten Welt dahinter aufbrechen.

 

Als nächstes war ihre liebe kleine Isabel dran...

Was sie noch an Menschlichkeit besaß, starb zusammen mit ihrer kleinen Schwester.

Eine unglaublich angenehme Leere ersetzte jedes weitere Gefühl. In ihrem Inneren herrschte nur noch kalte Berechenbarkeit und sie war froh darum.

Ihr würde kein Geschehen mehr nahe gehen und sie brauchte sich nicht mit Gewissensbissen oder Trauer herum zu schlagen. Nun konnte sie befreit von ihrem früheren Selbst auch die weiteren schweren Aufgaben, die noch auf sie warteten, angehen.

Die letzte Träne, die sie je vergossen haben sollte, glitzerte wie ein wertvolles Andenken an frühere Zeiten auf ihrer Wange. In ihr brach sich das Mondlicht, welches durch die breiten Fenster hinein schien, bevor dicke Wolken sich davor schoben und den Bann des Moments brachen. 

Es legte sich ein Schatten auf das Haus und auf ihre Seele, der sie nie wieder freigeben würde. Das letzte Leuchten ihrer Augen erlosch und ihre Miene wurde hart, entschlossen, undurchdringlich.

Sie legte den Leichnam behutsam zurück aufs Bett, bedeckte ihn vollständig mit einem Lacken und verschwand ohne sich umzuschauen aus dem Haus ihrer Kindheit. Die Familie war tot, sie eingeschlossen.

dunkles Erwachen

 

 

 

Trümmer säumten seinen Weg und Leichen stapelten sich in seinem Rücken. Wo er ging erlosch das Leben. Wo er verweilte herrschte Dunkelheit. Sein Ruf eilte ihm weit voraus und die bloße Erwähnung seines Namens sorgte für Angst und Schrecken. 'Fürst der Finsternis', 'Diabolus', 'Gottes Widersacher', 'Ausgeburt der Hölle', 'Teuflischer Dämon' nannte man ihn. Oh, er hatte viele Spitznamen. Kein Sterblicher traute sich, seine wahre Herkunft zu erwähnen oder auch nur daran zu denken. Als ob das Vergessen ihm hätte etwas anhaben können.

Er grinste nur hämisch über die Naivität der Menschen. Es gab nichts, was ihn hätte dabei aufhalten können, in seinem grenzenlosen Hass über das Land und seine Bewohner herzufallen.

Ihm zur Seite stand eine Armee von Verdammten: seelenlose Kreaturen, die der Höllenschlund ausgespien hatte und die sich wie eine Seuche vermehrten. Monster, der übelsten Sorte, ohne Gewissen, ohne Furcht und ohne Skrupel. Sie wälzten alles nieder, das sich auf ihrem Weg befand; nur ein Ziel vor Augen: den unbändigen Blutdurst zu stillen, der ihnen mitgegeben wurde.

Es waren düstere Zeiten, in denen so etwas wie Hoffnung Mangelware war und Zuversicht nur noch in der Erinnerung existierte.

Auch vor der kleinen ehemals idyllischen Insel machten seine Horden keinen Halt. Plündernd und tötend ergoss sich die ehrlose Streitmacht über das Eiland. Sie zündeten Häuser an, in denen die Familien eingeschlossen waren, schlachteten das gesamte Vieh um ihren wachsenden Hunger zu stillen und schreckten auch nicht vor wahlloser Folter und Vergewaltigung zurück, nur aus Spaß an den verzweifelten Schreien ihrer Opfer. Bald schon lag kein Stein mehr auf dem anderen. Nichts zeugte mehr von den einst fruchtbaren Feldern, dem friedlichen Dorfleben, dem unbeschwerten Miteinander

Stattdessen zog ein dicker Nebel über die verwüstete Landschaft und hüllte alles in einen Schleier des Grauens.

Keiner wagte es, sich dem Kriegsherrn entgegen zu stellen und seiner ausufernden Brutalität Einhalt zu gebieten. Man war seinem Willen restlos und wie es schien auf unbegrenzte Zeit ausgeliefert.

 

 

"Hast du keine Angst?"

"Wovor genau sollte ich Angst haben?"

"Na vor mir. Vor dem, was ich dir alles antun könnte.", kam es höhnisch zurück.

Sie schaute ihm weiterhin unumwunden in die Augen und zeigte keine Spur von Ängstlichkeit, was ihn verwirrte.

Mit einer schnellen Bewegung erhob er sich vom Stuhl, zog sein Schwert und schwang es in ihre Richtung, um kurz vor ihrem Hals zu stoppen und sie nun erneut fragend anzuschauen.

"Wenn ihr mich jetzt tötet, werdet ihr nie erfahren, ob ich euch nicht hätte nützlich sein können.", war die emotionslose Antwort.

Tatsächlich strahlte sie eine so unheimliche Ruhe und Selbstsicherheit aus, dass ihm bewusst wurde, warum wohl keiner seiner Männer gewagt hatte Hand an sie zu legen.

Was wusste sie, was die anderen nicht wussten? Welche Macht war es, die sie wie eine unsichtbare Aura umgab? 

"Wie könntest du unwürdiges Weib mir schon nutzen? Was hast du anzubieten, das ich mir nicht auch mit Gewalt von dir holen könnte?" Ein anzügliches Grinsen umspielte seine Mundwinkel, als er sie nun aufmerksam musterte. Aber die wirren Haare verdeckten fast vollständig ihr Antlitz. Nur die Augen leuchteten dunkel. Und die zerrissene Kutte mit dem schweren langen Mantel verbarg jeden weiblichen Reiz, der sich eventuell darunter befinden mochte. Sie war wahrlich keine interessante Beute für ihn und doch machten ihn diese merkwürdigen Augen neugierig.

"Ich stelle mein Leben und meine seherischen Fähigkeiten in eure Dienste. Außerdem biete ich euch meine unsterbliche Seele an." Sie verbeugte sich tief und konnte den überraschten Ausdruck in seinem Gesicht nicht sehen.

Zunächst wollte er Lachen über dieses alberne Angebot und schaute grinsend in die Runde seiner umstehenden Krieger. Doch diese zeigten zumeist ehrfürchtiges Staunen und so überdachte er seine Reaktion.

"Du sagst, du könntest in die Zukunft sehen und bist bereit mich in meinem Sinne dieses Wissen nutzen zu lassen?"

"Jawohl, ganz nach Eurem Belieben!" Sie beugte sich noch ein Stück tiefer.

"Nun. Ich verlange zunächst einen Beweis für diese Behauptung und darüber auch einen Beweis deiner Loyalität." Sie schaute ihm nun wieder direkt in die Augen und sagte noch bevor er seine genauen Befehle hätte äußern können:

"Wie ihr wünscht. Ich werde euch die abgeschlagenen Köpfe meiner nächsten Verwandten beim morgigen Sonnenuntergang präsentieren." Damit drehte sie sich um und bewegte sich dem Ausgang entgegen.

Etwas überrumpelt winkte er den Wachen, sich ihr in den Weg zu stellen. So schnell war er noch nicht mit ihr fertig. Diese zögerten aber und wichen schließlich vor ihrem Blick zurück.

Er ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und ergab sich in Grübeleien.

 

 

Die Stille in ihrem Kopf explodierte in tausend kleine Funken und dehnte sich für die Dauer eines Augenblicks ins Grenzenlose. Die Welt um sie herum verschwand im Nichts. Sie fiel ins Bodenlose, fühlte sich schwerelos, verlor jegliches Verständnis von Raum und Zeit.

Die Dunkelheit hatte sie verschluckt und war dabei sie zu verdauen. Sie löste sich auf und alle weltlichen Belange fielen von ihr ab. 

Für den Bruchteil einer Sekunde erfuhr sie, was es bedeutete sich selbst zu überwinden und in die Quelle allen Ursprungs hinabzusteigen, um anschließend erneut in das Reich der Materie zurück gerissen zu werden.

In diesem Moment war sie der Unsterblichkeit so nah, wie es nie ein Mensch zuvor hätte sein können.

Jedes Teilchen ihres Daseins bröckelte von ihr ab, durchlief eine Metamorphose und setzte sich anschließend neu zusammen zu einer menschenähnlichen Gestalt. Nur dass dieses Wesen, zu dem sie wurde, keine Seele mehr besaß. Den wertvollsten Schatz, den inneren Lebensfunken, die Verbindung zu Gott, den unsterblichen Teil ihrer Selbst hatte sie an den Fürsten der Finsternis abgetreten.

Alles was von ihrem früheren Sein übrig blieb, waren blasse Erinnerungen an so seltsame Dinge wie Empfindungen, Wünsche, Hoffnungen, Ziele und Träume, die keinen Sinn mehr ergaben.

Stattdessen war sie erfüllt von einem Urinstinkt, der sie zu früheren Lebzeiten verängstigt hätte. Das Entbehren eigener Gefühle, versetzte sie nun in die Lage, ihren emotionalen Körper mit den Gedanken und Gefühlen anderer Wesen zu füllen und somit zu wissen, was sie wussten, zu denken, was sie dachten, zu spüren, was sie spürten.

Ohne die bindende Kraft einer Seele, die das Ich zusammen hielt, war es ihr möglich jederzeit in die Ebene des Feinstofflichen zu wechseln und mit bloßer Gedankenkraft wieder daraus hervor zu kommen.

Auch ihr genetischer Fingerabdruck verschwand und ließ die typischen Eigenschaften, die sie vererbt bekommen hatte, verwaschen. Ihre Haare und ihre Augen verloren die Farbe, nachdem sie den Glanz längst eingebüßt hatten. Entsprach ihr Äußeres jetzt einer Engelsgestalt, konnte ihr kalter Blick doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich in eine Kriegerin des Teufels verwandelt hatte.

 

„Wie lautet dein Name?“

„Ich habe keinen Namen mehr, Meister.“ Ein zufriedenes Grinsen überzog sein Gesicht. Das hatte er sich wahrlich nicht träumen lassen, als ihm dieses runtergekommene Mädchen vor ein paar Tagen das erste Mal gegenüber stand. Aber er war zufrieden mit seiner Schöpfung und musterte sie erneut.

„Du wirst mir ab sofort nicht mehr von der Seite weichen, außer ich erteile dir den Befehl dazu. Haben wir uns verstanden?“

„Jawohl, Herr.“ Sie stand auf und blickte ihm direkt ins Gesicht. Für einen Moment war er gefesselt von dem Anblick. Die farblosen Augen schienen in eine andere Dimension sehen zu können, sie schienen Dinge zu erkennen, die noch nicht geschehen waren. Und er konnte sich diese Fähigkeit zu Nutzen machen. Ein kribbelndes Gefühl von freudiger Erwartung überkam ihn. Er würde sich rächen und die Genugtuung bis zum letzten Auskosten. Er würde die ganze Welt das Fürchten lehren und es ihnen tausendfach heimzahlen, was man ihm angetan hatte. Jetzt war der Weg dafür geebnet. Der Schlüssel zur gewünschten Zukunft stand direkt vor ihm.

 

Auch sie bekam im Volksmund schnell einen Spitznamen. Man sah den Kriegsherrn nicht mehr ohne seine weibliche Begleitung, von der man ehrfürchtig als „des Teufels Geliebte“ sprach.

 

 

dunkle Zeiten

 

 

Das Vorgehen seiner Truppen änderte sich. Wenn sie zuvor noch chaotisch und mit bloßer Zerstörungslust über das Land wüteten, so wurden sie nun zielgerichteter.

Ihr Anführer begann eine konkrete Absicht zu entwickeln und in seinem Kopf reifte langsam der Plan zur Durchführung seiner Rache, nun da er die beste Waffe an seiner Seite wusste.

Das Monster in ihm hatte seine helle Freude daran, in ahnungslose Dörfer einzufallen und die völlig unvorbereiteten Bewohner zur puren Verzweiflung zu treiben. So sandte er seine Geliebte zunächst aus, um Erkundigungen einzuholen über den nächsten Ort auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel, bevor er dann den für sie ungünstigsten Zeitpunkt abwartete, um über sie zu kommen wie der Rachegott höchstpersönlich.

Seine aus erbärmlichem Abschaum bestehenden Soldaten (wenn man sie denn so nennen wollte) war ein Haufen undisziplinierter, skrupelloser Barbaren. Sie folgtem ihm nicht aus Überzeugung oder Unterwürfigkeit, sondern weil er ihnen erlaubte den niederen Gelüsten freien Lauf zu lassen und jeglichen Vorlieben zu fröhnen. Sie hielten sich an keine Regeln des ehrbaren Krieges, außer der einen: dass dem Sieger alles gebührte.

Gleichzeitig verlangte er von seiner weiblichen Begleitung in den Köpfen der armen Kreaturen nach ihren schlimmsten Ängsten zu forschen. Diese allein zu töten war ihm nicht genug. Sie sollten leiden, möglichst jeder einzelne von ihnen sollte Höllenqualen durchstehen, so dass sie sich nach der Erlösung durch den Tod sehnten. Doch vorher wollte er ihren Geist brechen. So wie man es mit ihm getan hatte - viele Male.

 

 

Sie hatten ihr Lager aufgeschlagen auf einer kleinen Anhöhe, von wo man die Verwüstung, die mit ihnen einher ging, gut überblicken konnte. Es bot sich ein Bild wie auf einem anderen Planeten, auf dem es nichts als verbrannte Erde und Trümmerreste gab.

Noch in weiter Ferne waren Rauchwolken zu sehen, wo früher einmal Behausungen gestanden haben mochten. 

Die einzig weibliche Person in seiner Gefolgschaft stand am Rande des Lagers und ließ ihren Blick gleich ihren Gedanken schweifen. Sie konnte die Trostlosigkeit fühlen wie kein anderer. Der Erdboden selbst schrie förmlich vor Schmerzen, dort wo er mit dem Blut zahlreicher , verendeter Menschen und Tiere getränkt war. Es lag so viel Angst in der Luft, dass sie vor ihren Augen flimmerte. Und diese Angst hatte einen Ursprung von der aus sie sich über das Land ergoss und die sich gleichzeitig von der wachsenden Angst der Bewohner nährte. Diese Quelle bewegte sich auf sie zu in Gestalt des menschlichen Herrführers.

"Was sehen deine weisen Augen, wenn du sie auf die Zukunft dieses Landes richtest?" 

Er hatte sich neben sie gestellt und schaute ebenso in die Richtung, in die sie bald weiter ziehen würden. Dort hinten in der Ferne lag irgendwo das Ende. Das Ende seiner Rache und seines ganzen Strebens.

"Ich sehe Dunkelheit!"

Das war gut. Das war was er wollte. Für sie alle.

"Und was siehst du für deine eigene nahe Zukunft?"

Nun blickten sie sich gegenseitig ins Gesicht, ein schwarzes und ein weißes Paar Augen, ein jeder mit dem Versuch, in den anderen hinein zu schauen. Doch beide waren sie fest versiegelt.

"Ich weiß, dass Ihr mich erneut losschicken werdet, um den nächsten Angriff besser vorbereiten zu können, Herr. Dafür muss ich keine besondere Gabe aufwenden." 

Es behagte ihm nicht, dass er ihr keine Spur von Respekt einflößen konnte. Sie entzog sich ihm so gänzlich, dass er sie nie zu fassen bekam. Automatisch hob er seine Hand und berührte die Zeichen auf ihrer Stirn. Es war sein Brandzeichen, das er ihr aufgedrückt hatte, das seinen Besitzanspruch auf sie verdeutlichte, sowohl auf ihre Fähigkeiten, ihre Seele und ihren Körper.

Sein Blick schweifte von dem engelhaften Gesicht, dessen kalter, durchdringenden Blick den ersten Eindruck Lügen strafte, über die weißen Haare, die trotz des Windes ruhig auf ihren Schultern lagen, als würde sie der Natur und den Naturgesetzen nicht unterworfen sein.

Der Umhang flatterte allerdings leicht und ließ immer wieder die Überreste eines zarten Gewandes darunter erkennen. Es war genauso farblos wie ihre Haut, die es nur unzureichend verdeckte. Dieses Wesen schien nicht von dieser Welt zu stammen und doch hatte es eindeutig menschliche Formen. Er konnte einen großzügigen Teil ihrer Brüste sehen, die deutlich zu einem schlanken weiblichen Körper gehörten. Er war neugierig.

"Würdest du dich mir verwehren?" 

Er schaute ihr wieder in die Augen, in denen es einfach keine Regung zu entdecken gab. 

"Natürlich nicht, Herr." Sie wussten beide, dass sie ihm gehörte. "Wenn ihr es wagen würdet."

Er ließ die Hand sinken. Denn auch wenn sie unverkennbar eine Frau war und eigentlich eine süße Versuchung darstellen sollte, kamen keine Gelüste in ihm auf. Und genauso wenig in all den anderen Männern des Lagers. Es war ihr Schutz, dass sie Gefühle anderer nicht nur erfühlen sondern auch zu beeinflussen vermag. Und es machte sie um so gefährlicher - auch für ihn.

Er zog sich ein Stück zurück.

"Wir werden in ein paar Tagen die Stadt der Wissenschaften erreichen. Ich will wissen, wie gut sie bewacht wird und ob sich dort zur Zeit außer den Schülern auch die Lehrer des alten Ordens aufhalten." 

Sie nickte knapp und war im nächsten Moment verschwunden. Nur ein schwacher Dunststreifen war noch an seiner Seite und verflüchtigte sich schnell.

Sein Gesicht war wieder der Ferne zugewandt und seine gespannte Körperhaltung ließ erkennen, dass er nachdachte. 

 

 

 

"Das Wesen, das ihr einst Felicia nanntet, existiert nicht mehr, alter Mann. Selbst ihre Hülle, die hier vor euch steht, ist nicht mehr die ihre."

Sie war so plötzlich vor ihm aufgetaucht wie ein Gedanke im Bewußtsein erschien. Und nach einem kurzen Augenblick der Verblüffung, hatte er die Gesichtszüge und ihre Haltung einer Person zuordnen können, die ihm nur all zu vertraut war.

"W ... w... wie...?" Er brachte kaum ein Wort heraus, so sehr zitterte seine Stimme. Man hätte sicher Mitleid mit ihm haben können, wenn man dazu genug Gefühl aufgebracht hätte. 

"Das ist nicht von Bedeutung, alter Mann." Das Zittern hatte von seinem gesamtem Körper Besitz ergriffen und er konnte sich kaum noch auf seinen Beinen halten. Die Angst um sein eigenes Leben war längst einem Ausdruck von tiefster Bestürzung gewichen. Die Erkenntnis, dass es seine geliebte Tochter nicht mehr gab, traf ihn schwerer als jede körperliche Folter es vermocht hätte.

"Es gibt weit aus wichtigere Dinge als das Leben und das Leid eines einzelnen Menschen." Damit wurde ihm unmissverständlich klar gemacht, dass auch sein eigenes Leben nichts mehr wert war. Er würde bald seinem Schöpfer gegenüber treten und so kehrte ein wenig Ruhe in ihn ein.

"Sagt mir nur, bitte, ob es dem Rest meiner Familie  ...!?" Er traute sich kaum, die Frage zu Ende zu stellen und er blickte mit flehendem Blick in die einst so wunderschönen braunen Augen seiner Zweitgeborenen, die ihn nun kühl durchdrangen. Es ist wahr, er konnte keine Ähnlichkeit mehr darin entdecken.

"Auch dies ist nicht von Bedeutung." Doch bevor sie die Szene beendete und ihn mit seinem Schmerz allein zurück ließ, bückte sie sich noch einmal zu dem inzwischen zusammen gesacktem Mann. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und die Schultern hingen in hilfloser Geste herab. Alles an ihm verdeutlichte die Ausweglosigkeit, in der er sich glaubte zu befinden. 

Sie legte eine schmale, fast durchscheinende Hand auf seine Schulter und er blickte erneut in ihr Antlitz. Der letzte Funke Hoffnung war aus seinen Augen verschwunden, der so jäh aufgeleuchtet war, beim ersten Anblick dieser all zu vertrauten jungen Frau.

"Du wirst bald wieder mit ihnen vereint sein.'" Daraufhin verflüchtigte sich ihre Gestalt und für einen langen Moment starrte er noch auf die schemenhaften Umrisse, die sich in seine Netzhaut eingebrannt hatten. Dann entdeckte er den silbernen Dolch, der an ihrer Stelle nun vor ihm auf dem Boden lag und er griff unsicher danach. Dies war wohl der Ausweg aus den Schrecken dieser Zeit, den sie ihm gewehrt hatte.

Von draußen drangen erneut Schreie und höhnisches Gegrunze zu ihm herein. Der Lärm von metallischen Waffen und anderen Gegenständen, die auf wehrlose Körper nieder fuhren und Knochen zu zerschmettern vermochten während die Krieger sich an dem verursachten Schmerz und Chaos labten, ließ ihn nicht länger zögern. Mit dem Bild von seiner Heimatinsel vor Augen, wo seine geliebte Familie ihn lächelnd willkommen hieß, stieß er sich die scharfe Klinge in den Hals. Erst mit dem letzten Atemzug seines Daseins in dieser Welt erkannte er, dass die Gestalt seiner Tochter Felicia nicht unter den Wartenden war. Diese würde er nie wieder sehen, auch nicht im Jenseits.

dunkle Vergangenheit

 

 

"Bitte verzeih mir!"

Die Frau, in einfache wenn auch saubere Kleidung gehüllt, hatte sich neben ihren Mann nieder gekniet, der bereits nicht mehr atmete. Glitzernde Tränen hinterließen eine feuchte Spur auf ihren Wangen, die einer nicht versiegen wollenden Quelle entsprangen. Ihren Blick hatte sie flehend auf den Krieger in drohender Haltung vor sich gerichtet, dabei waren ihre Hände wie zum Gebet gefaltet.

Sie hatte ihn also erkannt, trotz der Jahrzehnte, die inzwischen vergangen sein mochten. Eine Zeit, in der unzählige Narben auf seinem Körper zu den Narben auf seiner Seele hinzugekommen waren. Vielen davon waren ihr zu verdanken.

"Niemals!"

Unter dem einen Wort zuckte sie zusammen, wie unter einem Peitschenhieb. Sie konnte seinem Blick nicht länger stand halten und brach schluchzend über dem Leichnam ihres Mannes zusammen. Sie hatte ihr Leben schon vor einer Weile verwirkt und nun war es an der Zeit, die offene Rechnung zu begleichen bevor er sie aus seiner Gefangennahme und dem damit einhergehendem Leid entlassen würde. Doch es war noch ein hoher Soll, den sie zu leisten hatte.

Er empfand im Angesicht ihrer Zerbrechlichkeit nichts als Abscheu und verzog seinen Mund in einer verächtlichen Geste.

Mit einer knappen Gebärde befahl er diejenige heran, die das Werkzeug seiner Rache sein würde. Des Teufels Geliebte wusste bereits was von ihr erwartet wurde.

Mit einer Hand packte sie die wimmernde Frau am Oberarm und die andere bohrte sich erbarmungslos in deren Gesicht. Die Alte schrie auf, während sie all ihre Geheimnisse ungewollt an den Todesengel preis gab.

"Sie hat zwei ... weitere ... Söhne." Kurz zuckte etwas im Gesicht des Kriegsherrn.

"Und sie fürchtet sich vor den Ratten in der Dunkelheit."

Ein unheimliches Lachen kam nun von ihm, als er zwei seiner Soldaten heran winkte.

"Dann wissen wir ja, wo sie die nächste Zeit verbringen wird."

Bevor man sie abführen und in die Zelle ihrer schlimmsten Folter bringen konnte, strich die junge Frau ihr noch über die Augen, woraufhin die Alte ihre Sehkraft verlor. Blind und stammelnd hing sie wie ein zitternder Sack in den Armen der Männer. Doch ihre erbärmlichen Rufe verschollen ohne eine Spur von Mitleid zu erwecken.

"Bring meine beiden Brüder hierher!"

Daraufhin verneigte sich die zierliche Gestalt und verschwand. Das Monster blieb allein zurück in dem Gebäude, das einst sein zu Hause hätte sein sollen.

Ein Sprichwort sagt, die Familie sei ein Abbild der Seele. Das würde sich sehr bald zeigen.

 

 

 

 

 

Dunkelheit sei mein Reich,

Dass der Schatten mein Verbündeter werde.

Tod sei mein ewiger Begleiter,

Der das Blut mit Angst erfüllt.

Mein Herz als Pfand für die Verdammnis,

Verschreibe ich mich der Quelle der Finsternis.

 

Mit einer schnellen, fließenden Bewegung zückte jemand einen kleinen Opferdolch, hielt ihn für einen kurzen Moment in die Höhe, wo es das kalte Mondlicht einfing, und stieß das funkelnde Metall in die schmächtige Brust des gefesselten Jungen.

Nachdem er sich von der ersten Schockwelle einigermaßen erholt hatte, die wie ein Blitz durch seinen verkrüppelten Körper gefahren war, und der erwartete Schmerz überraschenderweise ausblieb, erkannte der Junge, dass etwas um ihn herum in Bewegung geriet.

Seine Härchen stellten sich merklich auf und ein nur all zu bekanntes Gefühl kroch in ihn hinein: die Angst.

Die Luft um ihn herum schien in einen Wirbel zu geraten und sich zu verdichten, dort an einer Stelle genau vor ihm. Wenn er mit dem Blick über die Bäume dahinter strich, konnte er an einem Punkt die Verzerrung des Raumes deutlich sehen.

Langsam floss beinah schwarzes Blut aus seiner Wunde den nackten, entstellten Körper hinab auf die Erde, bildete mehrere schmale Rinnsale, die in Richtung des Wirbels vor ihm über den Boden krochen, als wären es schlanke Finger.

Von dem Zentrum der Luftverwirbelung breitete sich plötzlich eine Dunkelheit über den Wald aus und verschluckte jedes Licht, das durch die zuvor noch stark flackernden Kerzen die Umgebung erhellt hatte.

Wie ein schwarzes Loch sog es die Farben und die Geräusche der Welt in sich auf, bis es nichts mehr zu sehen und zu hören gab. Für einen kurzen Moment dachte der Jüngling darüber nach, ob er nun wohl für immer blind und taub sein würde und er fuhr sich erschrocken mit der Hand über das Gesicht. Doch er konnte auch diese Berührung nicht spüren. Es gab kein Gesicht mehr, dort wo er mit den Fingern entlang fuhr.

Er fühlte sich von der Dunkelheit beobachtet.

Zwei kleine schwarz glänzend Punkte formten sich vor seinem inneren Auge, die ihn zu durchbohren schienen. Erneut fiel die Angst wie ein Ungeheuer mit Krallen über ihn her, die ihn völlig erstarren ließ. Ein unbändiger Druck wurde auf ihn ausgeübt und presste, das was von ihm noch übrig war, zusammen. Seine Existenz verdichtete sich auf einen kleinen Klumpen menschlicher Überreste, kalt und leblos. Er bestand aus nichts als purer Verzweiflung, die sich im Reich der Dunkelheit zu verlieren schien. Doch sein Hass war größer als die Angst.

Mit einer plötzlichen Erkenntnis wurde ihm bewusst, dass nicht er dieses Gefühl war. Er war das Bewusstsein, welches die Angst wahrnehmen konnte. Und es fühlte sich richtig an, sich davon abzugrenzen. Die Dunkelheit war nicht länger ein Fremdkörper, denn er selbst hatte schon immer eine tiefe Finsternis in sich getragen, die ihn nun willkommen hieß.

Er konnte die Angst förmlich als wabernde Energie erkennen, die aus verschiedenen Quellen in die Schwärze sickerte. Er sog diese Empfindungen in sich auf und gelangte zu neuer ungeahnter Kraft. Die Angst schmeckte ihm gut.

Gedanklich folgte er einem dieser Ströme zu seinem Ursprung und erblickte die schemenhaften Umrisse eines Menschen. Es war einer der Männer, die sich um ihn - sein altes Ich - im Kreis eines verbotenen Rituals versammelt hatten. Sie standen noch immer in dunkelbraune Roben gehüllt auf der Lichtung und ihren Gesichtern war abzulesen, dass sie nicht verstanden, was da gerade passierte. Verachtung auf diese unwürdigen, nichtswissenden Dinger überkam ihn.

Die Dunkelheit zog sich zurück und die Welt erhielt erneut ihre Konturen.

Doch in der Mitte des Kreises stand nicht länger ein gebrochener Junge. Etwas anderes war statt seiner zurück gekehrt in menschlicher Form und dieses Wesen bleckte nun grinsend die Zähne, bevor es sich mit einem plötzlichen Ruck auf die Männer stürzte und sie mit seinen bloßen Händen zerfleischte. Dies sollten seine ersten Opfer sein und sie bezahlten einen hohen Preis dafür, dass sie sich den dunklen Mächten verschrieben hatten. Niemand betete den Gott des Todes an und kam lebend davon. Er brauchte keine Anhängerschaft. Was er brauchte und wollte, das war lediglich deren Angst.

Das Monster, das die Welt in den Abgrund führen sollte, war geboren.

 

 

 

Nebel schwebte über dem Boden, der so dicht war, dass man nicht erkennen konnte, was sich darunter verbarg. Jeder Schritt erzeugte ein schmatzendes Geräusch, als sich zwei Gestalten ängstlich aneinander schmiegend durch den Schleier kämpften.

Tiere der Nacht krochen aus ihren Verstecken und nahmen deren Begleitung auf. Die Geräusche des Waldes wurden zu einer verführerischen Melodie des bevorstehenden Todes, dem sie sich zu ergeben verlockte. Sie sprach von der Aussichtslosigkeit ihrer Flucht, dass es kein Entrinnen gab vor dem bitteren Ende. Und doch trieb die von der grausamen Realität hervorgerufene Verzweiflung die beiden immer weiter in das Labyrinth der Bäume. Und die Lust an der Jagd ließ den Verfolger in gebührendem Abstand seine Beute genüsslich beobachten.

"Ihr könnt mir nicht entkommen.", wehte es zu den beiden armen Geschöpfen herüber mit einem Echo aus allen Richtungen, auf dass deren Köpfe hin und her zuckten.

"Wollt ihr mich denn nicht in eurer Mitte willkommen heißen, euren eigenen BRUDER?" Das letzte Wort wurde mit Blut und Galle hervor gewürgt, als wäre es ein unverdaulicher Brocken.

"Du bist nicht wie unseres Gleichen!" , Getraute sich einer von ihnen zu antworten.

Plötzlich schälte sich ein schwarzer Schatten aus dem Nebel vor ihnen und formte sich zu den Umrissen ihrer größten Angst. Das Monster, wie es in ihm wohnte, hatte sich in die Gestalt ihrer schlimmsten Befürchtungen gewandelt, mit vom Speichel triefenden Fangzähnen in einer diabolischen Fratze, der ganze Leib von schmutzigem Fell überzogen und tierische Krallen anstelle von menschlichen Händen.

"Das weiß ich wohl.", kam es verdächtig ruhig von diesem.

Ein lautloser Schrei bahnte sich seinen Weg durch die Kehlen der jungen Männer. Mit stummen Entzetzen musterten sie, was sich vor ihnen entblößte. Und das Ungetüm genoss, was es in den Augen der beiden sehen konnte: die Erkenntnis, dass das, was ihre eigene Mutter zur Welt gebracht hatte und mit kaltblütiger Berechnung im Wald verscharren wollte, von der Kälte nicht dahingerafft worden war sondern die schlimmste Prüfung überlebt hatte. Es war eine Prüfung für Leib und Seele in der Einsamkeit der Wälder, die ihn mehr noch als das Verstoßenwerden vom eigenen Blute geformt hatte.

"Wie ihr seht, habe ich mich gut entwickelt in dieser fruchtbaren Umgebung." Mit höhnischer Geste umschrieb er die nähere Natur, die sich im Dunstschleier nur erahnen ließ. Wie zur Bestätigung krochen undefinierbare, schwarze Viecher über die Schuhe der Männer. Angeekelt wollten sie sich davon los machen und schüttelten erschrocken die Beine.

"Nun seid doch nicht so unfreundlich zu meinen liebsten Gespielen. Sie haben mir die Zeit hier wesentlich erträglicher gemacht."

Eines von ihnen krabbelte dem Biest am Bein hinauf und schlängelte sich um seinen behaarten Körper bis hinauf zum Hals und schließlich hinein in sein geöffnetes Maul und wieder hinaus.

Ekel überkam die Männer und der Jüngere von beiden musste sich geräuschvoll übergeben.

"Aber aber. Wir gehören doch alle zu einer großen, glücklichen Familie." Er berührte das Getier mit einer fast sanften Geste, bevor er es zwischen seinen Klauen zerquetschte und gelblicher Schleim dazwischen hervor quoll.

"Du warst bereits halb tot, als du geboren wurdest." Der Ältere versuchte sich auf die Augen seines Gegenübers zu konzentrieren und ignorierte den kalten Angstschweiß in seinem Nacken. Die Erinnerung an das kleine blutige Bündel, das er als Junge zu Gesicht bekommen hatte, nachdem er zuvor stundenlang den gequälten Schreien seiner Mutter lauschen musste, verfolgte ihn noch immer in seinen Träumen.

"Doch so einfach machte ich es euch nicht!" Ein fast stolzer Ausdruck erschien in seinen verzerrten Gesichtszügen. Der Jüngere lauschte ungläubig dem Wortwechsel und sein Körper erzitterte unter einem weiteren Anflug von Ekel. Dieses Getier sollte mit ihm verwandt sein?

"Nein. Du hast die ersten Tage unerwarteterweise überlebt. Und Mutter versuchte sich deiner anzunehmen, doch..."

"Sie konnte den Anblick irgendwann nicht mehr ertragen.", Vervollständigte er den Satz, dabei spritzte ein feiner Nebel aus Speichel aus seinem Mund. In den Augen loderte erneut blanker Hass auf.

"Du warst ein Krüppel! Du hättest es nie geschafft, dir den Respekt oder gar die Zuneigung irgendeines Menschen zu verdienen." Die Stimme des Älteren wurde erstaunlich laut und mutig im Angesicht seines unausweichlichen Schicksals. Noch einmal begehrte sein Stolz auf, der es ihm verbot, kampflos aufzugeben und so wollte er zumindest die Handlung seiner Mutter verteidigen auch wenn er tief in seinem Inneren wusste, dass es nicht zu rechtfertigen war.

Sie hatte ein hilfloses Kind, noch dazu ihr eigenes, dem sicheren Tod ausgesetzt, um sich selbst der Bürde zu entledigen, es weiterhin aufziehen zu müssen und das nur aus dem einen Grund, weil es mit seinen entstellten Beinen nicht in ihre Vorstellung einer perfekten Familie gepasst hatte. Ja, sie konnte seinen bloßen Anblick nicht ertragen.

"Dafür habe ich mir die Furcht der Menschen nun um so mehr verdient."

Ein Knurren entwich seiner Kehle, das die beiden in eine augenblickliche Starre versetze. Das Tier, das vor einer scheinbaren Ewigkeit einmal ihr Bruder hätte sein können, scharrte bereits mit den Füßen auf dem Erdreich und verfolgte jede ihrer Regungen mit angespannten Muskeln. Sein kampferprobter Körper war zum Sprung bereit, von der einstigen Behinderung war nichts mehr geblieben. Und es erinnerte auch nichts mehr daran, aus welchem Hause er ursprünglich einmal abstammte. Hier vor ihnen befand sich die Folge einer unbedachten Handlung der gemeinsamen Mutter in Gestalt ihres schlimmsten Albtraums. Die Haare an seinem Kopf und auf dem gekrümmten Rücken standen ihm zu Berge, während er auf eine unbedarfte Bewegung der Gegenüber wartete. Nur ein kurzes Zucken des jüngeren Mannes, als dieser seiner Angst erlag und davonrennen wollte, genügte, um die blutige Hetzjagd zu beginnen. Er würde sich Zeit lassen mit ihnen, sehr viel Zeit. Schließlich gehörten sie zur Familie und verdienten ein angemessenes Ende.

dunkle Rache

 

Das nächste Ziel seiner Rache galt einem kleinen Orden, der halb im Geheimen agierte.

Die Männer versteckten sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft und rechtfertigten ihre grausamen Experimente mit einem scheinheiligen Bedürfnis nach Kenntnis über die Grenzen der menschlichen Natur.

Zu diesem Zweck sammelten sie zumeist ungewollte Kinder aus den Gossen der Städte und in wenigen Fällen auch ausgesetzte Krüppel in den Wäldern des Landes.

Von der Krone wurde ihr Handeln schweigend gebilligt und man hüllte sich in den höheren Positionen in Unwissenheit über die Gräueltaten, die sich das gemeine Volk nur mit vorgehaltener Hand zu erzählen wagte. Es gab selten einen Überlebenden, der es aus erster Hand hätte bestätigen können.

Doch genau solch ein seltenes Exemplar sollte ihrem Treiben nun Einhalt gebieten und sich für die einstigen Versuche revanchieren.

Es war für die weiße Frau nicht schwer ihr Versteck aufzuspüren und den Kriegsherrn direkt in Ihre heiligen Hallen zu führen.

 

Unbändiger Zorn überrollte ihn beim Anblick der allzu bekannten Räumlichkeiten und ließ ihn in einen Wahn verfallen.

Blind vor Wut konnte er sich nicht länger zügeln und fiel wie der Tod höchstpersönlich mit seiner Sense über diese niederen Kreaturen in Ordensgewändern her, die nichts besseres verdient hatten.

Sein Urteilsspruch war längst gefallen.

Panische Schreie hallten durch das Gebäude gepaart mit seinem gluturalen Gebrüll, als er sein Schwert schwingend einen nach dem anderen nieder metzelte.

Immer und immer wieder fand seine scharfe Klinge das weiche Fleisch seiner Opfer und bohrte sich unbarmherzig in sie hinein. Das Blut spritze um ihn herum, verschleierte seinen Blick, während er weiter auf sie einstach.

Ein kräftiger Hieb trennte den Kopf eines Mannes vom Rest seines Körpers. Die Gliedmaßen zuckten noch im letzten Kampf bevor der Lebensfunke aus ihm heraus floss.

Er fletschte die Zähne, schaute sich nach der nächsten armen Seele um. Doch es gab nur noch Leichen, die sich auf dem Boden und den Tischen verteilten. Die Wände waren rot beschmiert, einige Spritzer hatten es bis zur Decke geschafft. Ihm bot sich ein Bild der Verwüstung, ein abstraktes Gemälde seiner ungezügelten Lust am Zerstören.

Auf einmal herrschte eine unnatürliche Stille, nur noch das Rauschen in seinen Ohren war zu vernehmen.

Am Rande nahm er die blasse Gestalt seiner Begleiterin war. Ihre unergründlichen Augen waren auf ihn geheftet. Sie folgten jeder seiner Bewegungen als er sich schweratmend aufrichtete.

Doch sein Hunger war noch nicht gestillt. Seine Hass auf das Leben verlangte nach einer weiteren Möglichkeit, sich abzureagieren.

So ließ er das Schwert fallen, welches klirrend in einer roten Lache aus Blut landete.

Sein getränkter Umhang hinterließ eine rote Spur als er sich auf sie zu bewegte.

 

Mit wenigen kräftigen Bewegungen riss er ihr Mantel und Kleider vom Leib und entblößte die weiße Haut darunter, die er grob erforschte. Sein Blick bohrte sich in ihren, doch konnte er noch immer nicht die geringste Regung darin entdecken. Er griff in Ihre Haare und riss den Kopf brutal nach hinten während er ihren Körper an seine lederne Rüstung presste. Seinen Mund drückte er widerstandlos auf ihre weichen Lippen. Sie war überraschend warm in seinen Armen.

Über ihn spülte eine Welle der Begierde hinweg, er wollte die Angst unter seinen Fingern spüren. Doch ihre Teilnahmslosigkeit stachelte erneut seinen Zorn an.

Mit ruckartigen Bewegungen, versuchte er sich von seinem Umhang zu befreien. Ihre Hände kamen ihm zur Hilfe und öffneten die Verschlüsse seiner Kleidumg an Schultern und Hüften.

Ohne darüber nachzudenken, befreite er sich vollständig von der störenden Umhüllung und zog sie mit sich auf den Boden.

Dort verharrte er nur für einen kurzen Moment bevor er ihr brutal die Beine spreitzte und wild in sie eindrang.

Er schloss die Augen, fühlte sich berauscht von einem Gefühl der Macht und des Triumphes, verlor jede Orientierung während sich mit jedem weiteren Stoß die Spannung in seinen Muskeln aufbaute. Er wollte das Gefängnis seines Körpers sprengen, wollte völlig in dem süßen Rausch versinken, wollte den Moment des Sieges auskosten.

Als er ihre Finger auf seinen Schultern spürte, die sich zu seinem Gesicht bewegten und ihn schließlich mit festem Griff dazu zwangen, sie anzuschauen. Ihre Augen bannten seinen wilden Blick und ließen ihn sich in ihrer Tiefe verlieren.

Sein Körper bäumte sich auf und mit einem letzten kräftigen Stoß, ergoß sich sein Samen in sie hinein. Und mit ihm floss aller Zorn aus ihm heraus. Sie sog ihn in sich auf. Und noch bevor er verstand, was mit ihm geschah, brachen all die sonst so sorgsam hinter der Wut versteckten Gefühle aus ihm heraus. Sie hatte eine Tür zu seinem innersten geöffnet und legte den Kern seiner selbst bloß. Und sie war dort, direkt in seinem Geist und konnte all das fühlen, was er in diesem Leben und all den anderen Leben davor getan hatte. Sie konnte ihn endlich sehen.

dunkles Erkennen

 

 

Zunächst nahm sie nichts anderes wahr als Dunkelheit. Eine Schwärze, die mehr als die Augen berührte. Es war ein dunkles Loch, das jeden Gedanken, jede Empfindung so völlig verhinderte, dass man sich darin hätte selbst vergessen können ohne es überhaupt zu bemerken.

Doch sie konnte spüren wie etwas sich ihrer bemächtigen wollte, etwas nach ihr griff und nicht zu fassen bekam. Sie bot keine Angriffsfläche. Auch sie war Nichts.

So standen sich zwei Existenzlosigkeiten gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Die eine war aus dem Geben entstanden, als sie sich selbst opferte. Und die andere aus dem Nehmen, als er sich alles einverleibte.

Die Grenzen zwischen ihnen verschwammen, sie wurden fließend, beweglich, kreisend. Ein ewiger Kreislauf, bei dem es kein Anfang und kein Ende mehr gab. Mit einem kurzen Aufflackern von Bewusstsein, wurde ihnen beiden klar, dass sie sich nicht gegenseitig zerstören konnten, denn sie waren Teil des anderen.

Nein, es gab keine zwei von einander getrennten Wesen. Sie beide gehörten zu einem großen Ganzen, das noch viel mehr umfasste als die Summe der beiden Einzelteile. Gemeinsam bildeten sie die Substanz, aus dem sich des Leben formen konnte. Aus ihnen entstanden Welten, die im Moment der Geburt bereits wieder begannen zu zerfallen. Die ewige Sterblichkeit war ihr Geschenk, eine unendliche Vergänglichkeit. Es war das Versprechen, wiedergeboren werden zu können und aus der Asche des Alten etwas Neues zu erschaffen.

Dazu bedarf es beider Seiten der Medaille. Nur dies brachte die nötige Beweglichkeit des Seins.

Sie erblickten sich selbst im Negativ des anderen, als würde ihnen ein Spiegel hingehalten. Die Dunkelheit erkannte seine Bestimmung und zum ersten Mal konnte es ein Licht in sich selbst entdecken, das schon immer da gewesen sein mochte. Und der Selbsthass löste sich in dieser Erkenntnis auf, als wäre er verbrannt.

 

 

Plötzlich spürte er einen Stich in seiner Brust. Er drehte sich auf den Rücken und blickte überrascht auf den Griff eines kleinen Dolches, der dort steckte. Sie hatte ihn direkt in sein dunkles Herz gebohrt.

Er wurde völlig ruhig und nahm seine Umgebung mit neuer Klarheit war.

In der Mitte des Saales lag er nackt auf dem steinernen Boden, Arme und Beine mit Blut getränkt, das Gesicht mit roten Strähnen verklebt. Um ihn herum verteilten sich die Überreste seiner Feinde als stumme Zeugen seiner Rache.

Und neben ihm hockte ein überirdischen Wesen mit milchig blasser Haut, farblosen Haaren und Augen, auf denen sich im starken Kontrast die roten Blutspuren abhoben. Er hatte sie besudelt, ihre Reinheit mit seinen dreckigen Händen beschmutzt.

"Was...?" Er versuchte seine Gedanken zu ordnen und etwas Sinnvolles in seinem Kopf zusammen zu setzen. Doch er fühlte nur stumpfe Leere darin.

"Es ist Zeit!" Sie legte eine Hand auf seine Brust und erzeugte eine schwache Ahnung in ihm, was nun geschehen musste.

"Diese Welt hat dir nichts mehr zu bieten. Du hast dir bereits alles genommen."

Langsam sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein.

Mit einer erstaunlich liebevollen Geste, die man ihr nicht zugetraut hätte, strich sie ihm über das dunkle Haar. Seine Gesichtszüge entspannten sich merklich und sie glättete die letzten Falten auf seiner Stirn mit den Fingern. Nie zuvor hatte sein Gesicht etwas so menschliches. Man hätte ihn beinahe schön nennen können, wären da nicht die blutigen Überreste seiner bestialischen Natur als dunkelrote Schlieren auf dem ganzen Körper verteilt.

"Ich habe dir meine Seele versprochen...", sie legte seine schwere rauhe Hand auf das Zeichen, das sich in ihre Stirn gebrannt hatte. "Und sie wird dich durch das Labyrinth deiner eigenen Dunkelheit leiten."

Er konnte sich daran erinnern, wie er seine Schutzmauern für einen kurzen Moment der Unachtsamkeit los gelassen hatte und wie sie diesen Moment ausnutze, um in seinen Geist einzudringen. Es gab kein Geheimnis mehr, das sie nicht kannte. All die Schwärze seiner eigenen verkommenen Natur hatte sich ihr offenbart und ließ ihn nackt zurück.

Er versuchte seine Gefühle zu ergründen. Doch da war eine unbekannte Leichtigkeit anstatt der gewohnten Aggressivität, genährt aus Wut und Hass. Es war eine Befreiung, sich nicht mehr verstecken zu können.

"Es wird Zeit.", wiederholte sie und brachte seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Nur eine Frage drängte sich ihm auf und verlangte nach einer Antwort. Ein großes unausgesprochenes 'Warum?' lag in seinem Blick. Warum hatte sie sich geopfert? Warum war sie ihm freiwillig gefolgt? Warum war sie bei ihm geblieben?

"Einer musste es dir ja zeigen."

Seine Augen wurden trübe, die Hand erschlaftte und fiel auf den Boden. Er versuchte sich auf ihre Worte zu konzentrieren, bevor er sich ganz der Erlösung hingeben würde, die nur sie ihm zu bereiten im Stande war.

"Was? Was zeigen?" Noch einmal runzelten sich seine Brauen beim Versuch, sie klar zu erkennen.

"Die Bedingungslosigkeit der Liebe."

Es war nur ein leichter Hauch, als sie mit ihren Lippen die seinen berührte. Nie zuvor hatte er diese Art der Liebe erfahren dürfen. Und ein schwaches Lächeln umspielte seinen Mund, als er endlich los lassen konnte.

Impressum

Texte: Die Rechte der Bilder liegen nicht bei mir. Die Texte hingegen sind mein geistiges Eigentum, jedwede Verwendung (auch von Ausschnitten) nur nach Rücksprache!
Bildmaterialien: @ Luis Royo
Tag der Veröffentlichung: 24.08.2012

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