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1. Kapitel

Ein Bewusstsein erwachte, tauchte geradewegs aus dem Nichts auf. Wellenrauschen. Das Krähen eines Hahns. Sonne schien auf nasse Haut. Hände tasteten umher und Finger vergruben sich in feinem Sand. Augen öffneten sich zögerlich und blinzelten.

Die namenlose Gestalt, die zum Schluss kam, dass es sich um ihre Haut, Hände und Augen handelte, blieb auf dem Bauch liegen und rührte sich nicht. Sie fühlte sich schwach und konnte sich auf ihre Situation keinen Reim machen.

Rufe erklangen. Es dauerte nicht lange und braungebrannte Füße in Flip-Flops umzingelten die Gestalt. Hände drehten sie vorsichtig auf den Rücken und pumpten ihr das Salzwasser aus den Lungen. Husten. Ein befreiendes Gefühl.

Ein Kreis neugieriger Gesichter sah auf die Gestalt herab und alle lächelten freundlich. Die Gestalt versuchte, sich einen Eindruck zu verschaffen doch die Sonne blendete. Sie waren weder hell- noch dunkelhäutig und mit mehr oder weniger asiatischen Zügen. Mehrere Kindergesichter befanden sich darunter. Alle trugen sie schwarzes Haar und schlichte, der tropischen Temperatur angemessene Kleidung.

Wo um alles in der Welt bin ich? Wie bin ich hierher gekommen? Wurde ich an Land gespült? Woher?

Sie wollte die Fragen aussprechen, aber kein Wort kam über ihre Lippen. Nicht, weil sie zu schwach zum Sprechen war oder beim Versuch husten musste oder sonst was. Es funktionierte einfach nicht. Als wäre ihr Mund nie fürs Sprechen gedacht gewesen.

Über dem Kopf eines alten Mannes erschien aus dem Nichts eine weiße ovale Tafel. "In Aufbruchhausen. Am Tutorial-Strand", stand in schwarzen Lettern darauf geschrieben. Sie waren leicht verzerrt, um die Gebrechlichkeit des Mannes zu verdeutlichen. Sobald die Worte gelesen waren, verschwand die Tafel so plötzlich wie sie aufgeploppt war. "Keine Sorge, wir kümmern uns um dich! Sei willkommen in unserem bescheidenen Zuhause." Sein Lächeln offenbarte, dass er kaum noch Zähne im Mund hatte, doch sein furchiges Gesicht war voller Freundlichkeit und Fürsorge, die Augen leuchteten.

"Willkommen!", hieß es auf mehreren anderen Schildern gleichzeitig, jedes zu einem Kopf gehörend.

Die Gestalt war überfordert und versuchte, sich auf den Alten zu konzentrieren. Obwohl sie ihre Fragen nicht ausgesprochen hatte, erhielt sie auf diese kuriose Weise Antwort. Zumindest spürte sie, dass sie in guten Händen war.

Was ist das über deinem Kopf? Kannst du meine Gedanken lesen?

"Na eine Sprechblase. Wir hier kommunizieren auf diese Weise, während du nichts sagst und wir dich trotzdem hören. Toll, oder?"

Eine junge Frau kicherte "Keine Sorge, wir können nur die Gedanken lesen, die auch an uns gerichtet sind."

Die Gestalt verstand nicht, was daran so toll sein sollte, aber war erleichtert, überhaupt mit den Leuten kommunizieren zu können.

"Wer bist du?", erschien eine Sprechblase über dem Kopf eines anderen Dorfbewohners, gleich neben dem Alten

Die Gestalt überlegte und überlegte, durchforschte ihre Gedanken, doch fand nichts als Leere.

Ich weiß nicht, ich... kann mich nicht erinnern.

"Das dachten wir uns schon!" Erschien auf mehreren Tafeln gleichzeitig. Die Dorfbewohner klatschten freudig in die Hände.

Warum?

"Ganz einfach, weil hier ständig Leute ohne Gedächtnis an den Strand gespült werden."

Ständig?

"Genau! Keine Ahnung warum, aber wir leben gut damit. Manche schließen Wetten ab, wie lange es dauert, bis der Nächste kommt."

Die Gestalt gewöhnte sich an diese Art der Kommunikation. Was blieb ihr auch anderes übrig.

Der Alte übernahm das Gespräch wieder: "Zuerst die Formalitäten. Damit wir angemessen mit dir umgehen können, wähle bitte Geschlecht, Alter, Aussehen, Name, Berufsklasse und Statuswerte aus den Vorgaben. Für einen Neuanfang. Falls dich das überfordert, kannst du zwischen drei Standartcharakteren wählen."

Die Gestalt war irritiert, doch musste sich eingestehen, dass es sich wahrlich um einen Neuanfang handelte. Warum nicht die Chance nutzen und Wünsche anbringen?

"Für einen Anfänger würden wir Ritter oder Krieger empfehlen."

Die Umstehenden nickten eifrig.

Wie auf Kommando tauchten verschiedene Persönlichkeiten vor dem inneren Auge der Gestalt auf, die sie nach Gutdünken genauer betrachten konnte. Nebst den genannten Empfehlungen standen Magier, Paladin, Heiler, Barbar, Mönch, Hexenmeister, Waldläufer, Dieb, Druide, Wissenschaftler, Schamane, Assassine und Totenbeschwörer zur Auswahl. Jede Klasse verfügte über verschieden gewichtete Eigenschaften wie Kraft, Geschicklichkeit, Magie Intelligenz, Intuition, Verstohlenheit, Gesundheit und Glück. Ein Dieb oder eine Diebin kam für die Gestalt nicht in Frage und unter den anderen Klassen konnte sie sich nichts konkretes vorstellen. Warum also nicht Krieger? Entsprechend wählte die Gestalt einen männlichen Charakter von 24 Jahren mit imposanter Statur. Geraume Zeit spielte sie an Frisur und Haarfarbe herum, suchte nach etwas besonders verwegenem. Ja, grüne Rastalocken! Und ein Bart sollte es sein!

Beinah musste der frisch gebackene Krieger über seine Kreation lachen und bei der Namensvergabe entschied er sich einer blöden Eingebung folgend für den Namen Haudrauf.

Er schaute an sich herunter und war nicht schlecht zufrieden. So ließ es sich leben! Halt, was war das? Auf seinem linken Handrücken entdeckte er ein Symbol, eine schwach blau schimmernde Spirale, die er sich ganz bestimmt nicht ausgesucht hatte. Er fuhr mit den Fingern seiner anderen Hand darüber. Die Konturen hoben sich leicht ab – vergleichbar mit Narbengewebe – doch fühlten sich warm und weich an, wie ein natürlicher Teil seines Körpers. Er schaute sich um und stellte fest, dass niemand sonst ein solches Mal trug. Es gefiel ihm aber ganz gut und so beließ er es dabei.

Als Anfangsausrüstung erhielt er Flip-Flops, Badeshorts, Strohhut, Bauchtasche und Bambusstock. Zu Letzt drückte ihm der Alte mit verheissungsvoller Geste ein Smartphone in die Hand.

Ein Bambusstock?

"Was wäre ein Krieger ohne Waffe? Gegen die Monster. Soll ich dich in die Kampfkunst einweisen? Schliesslich befinden wir uns am Tutorial-Strand."

Ein was?

"Eine Einführung, deine zur Verfügung stehenden Kampfbewegungen und so weiter. Am besten übst du mit ein paar Ameisen. Die sind ungefährlich, geben aber auch wenig Erfahrungspunkte. Lass trotzdem keinen Zweifel daran aufkommen, dass diese Monster abgrundtief böse sind. Sie würden dir sofort den Kopf abbeissen, wenn sie gross genug wären. Du bist der Gute, sie die Bösen. Alles klar?"

Haudrauf stöhnte und schüttelte den schweren Kopf. Verstanden, aber ich fühle mich so schwach, kann kaum die Augen offen halten, geschweige denn aufstehen.

Eine Frau drängte sich in den Vordergrund, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet. "Kein Problem, hier hast du ein Glas Wasser und ein paar Erdnüsse um deine Gesundheit aufzufüllen."

Haudrauf wusste nicht, dass sich Gesundheit auffüllen ließ wie einen Krug. Er setzte sich auf, kaute die Erdnüsse und spülte sie mit dem Wasser runter. Es fühlte sich an wie eine Explosion in seinem Inneren, schoss vom Herzen in die Fingerspitzen. Er fühlte sich kerngesund und voller Tatendrang, kam mit einer schwungvollen Bewegung auf die Beine.

"Immer, wenn du dich schwach fühlst oder verletzt bist, kannst du dich mit Wasser oder Erdnüssen heilen. In der linken oberen Ecke deines Blickfeldes siehst du deine Herzanzeige", verkündete ein zerzauster Junge mit einem Spielzeugauto in Händen. Ist sie voll, bist du gesund. Ist sie dreiviertelvoll, bist du dreiviertelgesund. Ist sie zweidrittelvoll, bist du zweidrittelgesund. Ist sie halbvoll, bist du halbgesund. Verstehst du, oder soll ich weitererklären?" Er steckte so voller kindlichem Stolz, als wäre der Vorgang seine Idee gewesen.

Haudrauf blickte in die besagte Richtung und tatsächlich schwebte da ein knallrotes Herz. Wie konnte ihm das entgangen sein?

Der Alte lachte. "Die Wirkung von Erdnüssen und Wasser ist beschränkt, aber erfüllt vorerst ihren Zweck. Wenn du ein wenig Geld verdienst, kannst du dir stärkere Heilgegenstände leisten."

"Meine Schwester hat einen Laden!", rief ein Mann im Hintergrund.

"Mein Onkel auch!", erklang die Stimme eines Mädchens.

Haudrauf verstand nur die Hälfte, aber war zuversichtlich, dass er die Regeln dieser Welt nach und nach verstehen würde. Schliesslich hatte er vor seinem Gedächtnisverlust auch ein Leben geführt.

"Dort hinten, eine Ameise!" Der Junge mit dem Spielzeugauto rannte zu einer Palmengruppe, die sich ein gutes Stück vom Dorf entfernt befand. Immer wieder drehte er sich um und winkte. Haudrauf ging in die Richtung und die Anwesenden begleiteten ihn, selbst zwei Hunde und eine Katze folgten der Menschentraube neugierig.

"Hiermit verlassen wir die kampffreie Zone", dokumentierte der Alte. Sie bildeten einen Kreis um das Tier, auf das der Junge deutete und weitere strömten herbei, als handle es sich um ein aussergewöhnliches Ereignis.

Haudrauf betrachtete das Tier zu seinen Füssen. Obwohl er nicht hätte sagen können, was er erwartet hatte, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. Der Kopf der Ameise ragte ihm bis Mitte Schienbein und sie verfügte über eine Länge von 30 Zentimetern. Handelte es sich um ein Tier oder eine Maschine? Oder eine Mischung aus beidem? Teile des Rückenpanzers glitzerten in metallischem Türkis, der Rest des Körpers war schwarzweiss gestreift. Kopf und Unterleib wippten geschmeidig, während die Beine an Ort und Stelle verharrten. Rot leuchtende Äuglein starrten ihn an und zwischen den Fühlern flitzte ein kaum sichtbarer Blitz hin und her. Ihre Beißzangen zuckten nervös, doch die Ameise wich nicht zurück, als wäre der Kampf beschlossene Sache.

Nun denn. Haudrauf packte seinem Bambusstock mit beiden Händen und nahm eine Angriffshaltung ein von der er gar nicht wusste, dass er sie kannte. Sie fühlte sich einfach richtig an. Als hätte er sie damit ausgelöst, erklang eine nervöse Melodie aus allen Richtungen, unterlegt mit wilden Trommeln. Haudrauf wunderte sich, denn er sah niemanden mit einem Instrument.

"Immer, wenn diese Musik erklingt, befindest du dich in einem Kampf", erklärte der Junge mit dem Spielzeugauto und vollführte Faustschläge gegen imaginäre Monster.

Gut zu wissen, aber der Konzentration nicht gerade förderlich. Haudrauf umklammerte seinen Stock fester.

Der alte Mann ergriff wieder das Wort: "Also hör mir gut zu. Sicher ist dir der orange Streifen am unteren rechten Rand deines Blickfeldes aufgefallen. Er ist nur während eines Kampfes zu sehen und es handelt sich dabei um nichts geringeres, als deine Aktionsleiste, unabdingbar für einen vernünftigen Kampf."

Haudrauf musste ein wenig die Augen verdrehen, doch erblickte, wovon der Dorfbewohner sprach. Hat jeder so etwas in seinem Sichtfeld?

"Nein, wir nicht, aber wir sind auch keine Helden."

"Oder Monster", warf ein anderer Dorfbewohner ein. Schallendes Gelächter erklang. "Na jedenfalls, sobald deine Aktionsleiste voll ist, kannst du wählen zwischen Angriff, Magie, Gegenstand benutzen oder Flucht. Also Magie nicht, du bist ja ein Krieger. Gleich ist es so weit. Jetzt! Wähle Angriff und schlag mit deinem Bambusstock auf die Ameise!"

Alle Zuschauer taten zwei Schritte zurück und hielten Sicherheitsabstand.

Also los! Haudrauf entschied sich in Gedanken für den Angriff. Automatisch machte er zwei Schritte auf die Ameise zu und schwang seinen Stock. Die Ameise wich geschickt zur Seite aus und der Schlag traf auf Sand. Damit hatte er nicht gerechnet, das Ganze war schwieriger als gedacht. Haudrauf wollte nochmals zuschlagen, doch trat einem inneren Drang folgend wieder zwei Schritte zurück und befand sich in seiner Ausgangsposition. Er biss verärgert die Zähne zusammen.

"Schade! Jetzt ist die Ameise dran", erklärte der Alte. Die Umstehenden hielten den Atem an. Haudrauf stand da wie angewurzelt und konnte sich nicht rühren. Er bekam es mit der Angst zu tun, kniff die Augen zusammen und machte sich auf den kommenden Schmerz gefasst.

Kann ich auch ausweichen?

"Das Ausweichen geschieht nach dem Zufallsprinzip. Gutes Schuhwerk erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit."

Na toll! Die Ameise krabbelte auf ihn zu, stellte sich auf die Hinterbeine und biss ihn ins Knie. Das Zwicken konnte kaum als Schmerz bezeichnet werden. Eine Drei blitzte vor seinem Auge auf und er sah, wie sich das Herz in seinem Blickfeld ein winziges bisschen leerte. Die eingebüsste Lebenskraft war nicht der Rede wert. Die Ameise zog sich ebenfalls in ihre Ausgangsposition zurück und beendete so ihre Runde. Haudrauf entspannte sich. Er wartete, bis sich seine Aktionsleiste wieder gefüllt hatte und schlug zu. Eine 17 blitzte über der Ameise auf.

"Kritischer Treffer!", jubelten die Dorfbewohner.

Die Ameise stiess ein Todesquiken gen Himmel und löste sich mit einem "Puff" in einer Wolke auf. An Stelle der Ameise lagen ein Schokoriegel und 17 Bronzemünzen auf dem Boden. Das war ja einfach! Er sammelte die Sachen auf und verstaute sie in seiner Bauchtasche.

"Gut gemacht!" Die Leute applaudierten.

Der Alte klopfte ihm auf die Schulter. "Bravo! Du kannst nun weitere Monster besiegen, um dich mit allen Möglichkeiten vertraut zu machen und deine Fähigkeiten auszubauen, Stärke, Ausdauer, Geschicklichkeit, usw. Jeder besiegte Feind hinterlässt dir Erfahrungspunkte und Beute. Wenn du jedoch so schnell wie möglich in der Stufe aufsteigen willst, gibt es eine bessere Variante als nur zu kämpfen: Quests erfüllen. Schau dich mal um, dort bei den Häusern. Sicher fällt dir auf, das bei vereinzelten Dorfbewohnern ein goldenes Ausrufezeichen über dem Kopf schwebt. Diese Leute haben eine Aufgabe, eine sogenannte Quest für dich. Natürlich werden sie dich für deine Hilfe belohnen und innerhalb dieser Quests wirst du obendrein genug Gelegenheit zum Kämpfen haben. Aber handle überlegt und erwarte keine Wunder. Held sein ist kein Zuckerschlecken. Lass dir Zeit, momentan kannst du das Dorf sowieso nicht verlassen. Eine Räuberbande treibt im Dschungel ihr Unwesen. Jetzt gibt's nur noch ein paar Kleinigkeiten, die du wissen musst. Bereit?"

Bevor Haudrauf nicken konnte, fingen alle Dorfbewohner gleichzeitig zu reden an. Eine Informationsflut brach über ihn herein, die er unmöglich verarbeiten konnte. Er schnappte Begriffe wie Statuseffekt, Speicherpunkt, Talentbaum, Hinterhalt und automatische Kartenaufzeichnung auf, mit denen er nicht das Geringste anfangen konnte.

"Sollte dir jetzt noch etwas unklar sein, so sind all diese Informationen auf deinem Handy gespeichert."

Noch mal Glück gehabt.

Eine Frage hätte ich aber noch, wenn wir gerade dabei sind.

"Ja?"

Warum habe ich eine leuchtende Spirale auf dem Handrücken? Er hielt den Arm hoch.

Der Alte kniff die Augen zusammen. "Keine Ahnung. Ich denke am besten findest du das selber raus. Wo bliebe sonst die Spannung?" Sein ernstes Gesicht löste sich in ein Grinsen auf.

Also gut. Haudrauf sprach den Anwesenden seinen Dank aus und machte sich auf den Weg. Abseits der Leute hielt er jedoch inne um durchzuatmen und sich zu sammeln. Zum ersten Mal alleine und ohne Leistungsdruck. Natürlich spürte er auch jetzt Blicke auf sich und ihm war etwas mulmig zumute. An diesem fremden Ort musste er noch so vieles lernen.

Von nichts kommt nichts! Wozu bin ich denn ein Krieger?

Er nahm das Handy zur Hand, rief nach einigen Ausprobieren die Kartenfunktion auf und tat ein paar Schritte in verschiedene Richtungen. Tatsächlich wurde jedes Detail im Radius von fünf Metern aufgezeichnet während er ging. Auch die Himmelsrichtung wurde angezeigt. Demzufolge schaute der Strand Richtung Süden. Wie praktisch! Gleich schien ihm alles halb so kompliziert und seine Neugier war geweckt. Anstelle weiterer Kämpfe entschied er sich vorerst für das Erkunden des Dorfes, dessen Kern sich in nordwestlicher Richtung befand.

Wie sich zeigte, bestand es aus nicht mehr als zwei Parallelstrassen der Küste entlang und vier Querverbindungen, die allesamt zum Strand führten. Die Häuser waren einfach und zum grössten Teil aus Bambus gebaut, hier und da mit Wellblech verstärkt. Manche waren nicht mehr als ein Dach auf Pfählen. Dazwischen standen verstreut eine einfache aber instand gehaltene Kirche, ein Schulhaus und ein Basketballplatz. Jung und alt ging unter freiem Himmel seinen Geschäften nach, schwatzte miteinander oder genoss einfach nur die Sonne. Immer wieder fuhr ein Motorrad vorbei und hinterliess eine Wolke aus Abgas. Hahnengekrähe war allgegenwärtig.

Das machte alles einen stimmigen Eindruck, nur er selbst kam sich Fehl am Platz vor. Wenn hier ständig Leute angespült wurden, handelte es sich bei ihnen auch um Helden? Würde er welchen begegnen? Einem direkten Erfahrungsaustausch konnten die Infos auf dem Handy sicher nicht das Wasser reichen.

Ein Junge vor einem der Häuser winkte. "Hierher, hierher!", stand in besonders dicken Lettern geschrieben. Niemand beachtete ihn. Als Haudrauf genauer hinsah, entdeckte er tatsächlich ein goldenes Ausrufezeichen über dem Kopf des Jungen. Obwohl dieser nicht in seine Richtung schaute, wollte Haudrauf einen Versuch wagen.

Er stellte sich vor den Jungen und versuchte, seinen Blick einzufangen. Meinst du mich?

Jetzt sah er ihn an. "Na klar, wen denn sonst?" erschien auf seiner Sprechblase.

Nun, da bin ich. Worum geht's?

"Mein Grossvater braucht dringend Hilfe! Er wurde heute Morgen von einer Qualle angegriffen und ist seither gelähmt. Zum Glück haben ihn aufmerksame Fischer aus dem Wasser gezogen und hergebracht. Kannst du helfen?"

Ich will mein Bestes versuchen!

"Sehr gut, folge mir!" Das Ausrufezeichen über dem Kopf des Jungen verwandelte sich in ein Fragezeichen, also war die Quest aktiviert. Er führte Haudrauf ins Innere des Hauses und tatsächlich lag ein alter Mann auf einer Liege und rührte sich halsabwärts nicht. Seine Augen weiteten sich voller Hoffnung.

"Ah, mein guter Junge, du hast einen Heiler gefunden."

Haudrauf überlegte. Ich bin kein Heiler, sondern ein Krieger. Aber ich habe einen Schokoriegel! Er klaubte den Riegel – von der Hitze halb geschmolzen – aus seiner Bauchtasche und streckte ihn dem Alten hin."

"Oh weh! Danke für dein Angebot, aber das wird nicht reichen. Damit ich wieder gehen kann ist mindestens eine Auberginenpizza vonnöten."

So etwas habe ich nicht.

"Jammerschade, aber versprich mir, wieder zu kommen, wenn du eine hast. Folge dem blinkenden roten Punkt auf deiner Karte. Er führt dich zum Pizzabäcker. Wie soll ich mich in diesem Zustand um den Jungen kümmern? Sprich einfach wieder mit ihm, er steht immer an gleicher Stelle und winkt."

Das Ausrufezeichen erschien wieder über dem Kopf des Jungen und er verliess ohne ein Wort das Haus. Auch der alte Mann ignorierte ihn nun und starrte an die Decke. Es schien nicht die Zeit und der Ort für Plaudereien zu sein.

Er trat raus auf die Strasse und holte sein Handy hervor. Der blinkende Punkt auf der Karte befand sich gar nicht so weit von seiner jetzigen Position entfernt. Haudrauf setzte seine Erkundungen fort, nun mit einem Ziel vor Augen. Die Karte führte ihn auf einen Markt und tatsächlich stand dort ein rundlicher Mann vor seinem fahrbaren Pizzaofen.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 01.05.2018
ISBN: 978-3-7438-6718-5

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