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„Kindchen, warum hast Du eigentlich immer noch keinen Mann?

Ungläubig starre ich auf die Zeitangabe meines Handys. Hat meine Oma heute wirklich mehr als fünf Minuten gebraucht, bevor sie mir die Frage nach meinem desolaten Privatleben gestellt hat? Diese Frage ist nämlich nicht besonders überraschend für mich. Oma stellt sie mir bei jedem Besuch. Trotzdem habe ich schon seit Jahren keine richtige Antwort darauf.

„Weißt Du“, fährt meine Oma unbarmherzig fort und stapelt mir Vanillewaffeln auf den Teller;“ selbst in dem winzigen Dorf in Ostpreußen in dem ich aufgewachsen bin, hatte ich jede Menge Verehrer. Da kann es für Dich doch nicht so schwer sein in einer Großstadt wie Essen nur einen einzigen Mann zu finden!“

„Ach Oma“, seufze ich frustriert,“ in der Großstadt ist es doch aber viel schwieriger einen Mann aufzutreiben als in einem ostpreußischen Dorf. Immerhin gab es in Eurem Dorf überhaupt echte Kerle. Also so Männer mit richtigen Männerberufen. So wie Bauer, Schreiner und Schmied. Das gibt es hier ja alles nicht. Leider. Denn einen Schmied fände ich sogar besonders toll.“

„Wieso denn jetzt einen Schmied?“ ruft Oma aus der Küche, wo sie gerade den Kaffee in die Porzellankanne umfüllt und gleichzeitig die Aldi-Sprühsahne sucht.

„Bitte Oma! Das ist ja wohl superheiß, wenn der da so schwitzend über seinem Amboss steht und diesem riesigen Hammer, den er in seinen großen, schwieligen Händen hält unermüdlich auf den glühenden Stahl einhämmert, während sich seine imposanten Muskeln unter seiner straff gespannten Haut deutlich abzeichnen. Wenn der Schweiß ihm in dicken Rinnsalen über seinen gut gebauten Körper läuft, sich seinen Weg über den muskulösen Rücken und die definierten Brustplatten sucht und dann…

„Ich habe jetzt wohl verstanden was Du meinst. Schließlich bin ich damals der Faszination des körperlich hart arbeitenden Mannes ja auch erlegen. Denk bitte daran, dass Dein Opa ein echter Bergmann war.“

Himmel, das hatte ich wirklich schon fast vergessen! Doch jetzt fällt es mir jetzt wie Schuppen von den Augen: Bergmänner, die Legenden des Ruhrgebietes, haben ja auch einen körperlich superanstrengenden Job. Denn unter Tage, da ist es heiß. Sehr heiß sogar. Aber den Kumpels macht das gar nichts aus, Unermüdlich trotzen sie den harten Arbeitsbedingungen und entreißen dem harten Gestein das schwarze Gold. Ihren Schweiß lassen sie dafür als Blutpfand in den engen, dunklen Schächten zurück. Meine Güte, das ist so sexy, was da im Schacht abgeht! Dagegen wirkt jede Schmiede wie ein Ballettsaal...

Ich kann es kaum fassen, aber offensichtlich ist meine persönliche Situation nicht annähernd so hoffnungslos, wie ich es jahrelang vermutet hatte. Schließlich ist das Ruhrgebiet komplett von Stollen untergraben, in denen abertausende von supermännlichen Kumpels ihr kräftezehrendes und gleichzeitig muskelaufbauförderndes Tagewerk verrichten.

Gütiger, also wühlen sich nur wenige Meter unter mir Legionen von Traummännern durchs Erdreich! Das erklärt natürlich auch, wieso die mir noch nicht aufgefallen sind. Bisher habe ich eben fälschlicherweise immer nur auf

der Erde nach ihnen gesucht.

„Oma,“ rufe ich und meine Stimme überschlägt sich fast vor Aufregung. Nur mit größter Mühe gelingt es mir, vor Freude nicht total hysterisch zu werden: „Ich werde auch einen Bergmann heiraten!“

„Hm,“ sagt meine Oma und stapelt mir noch mehr Waffeln auf den bereits bedrohlich wackelnden Waffelturm auf meinem Teller,“ und wo willst Du den finden?“

„Ja, wo wohl? Ich werde jetzt umgehend zu irgendeiner Zeche fahren und dort ein bisschen vor dem Tor herumspazieren. Früher oder später treffe ich da einen Bergmann, dem ich nach seiner langen, harten Schicht den Feierabend auf meine ganz eigene Art versüßen kann. Logischerweise wird er sich dann sofort in mich verlieben und dann kann ich ihn heiraten. Mensch Oma, wahrscheinlich komme ich zum nächsten Kaffeetrinken dann schon mit meinem Mann!“

„Im Prinzip ist das mit dem Bergmann eine gute Idee, Liebling. Aber es gibt doch fast keine Zechen im Ruhrgebiet mehr.“

Mir wird ganz plötzlich schwarz vor Augen. Alles dreht sich immer schneller um mich herum. Die Wohnküche, die Eckbank, das Blümchengeschirr, alles kreist und kreist, immer schneller, immer schneller. Nur der Waffelturm auf meinem Teller, der dreht sich nicht. Der wackelt nur hin und her. Dann – wie in Zeitlupe - kippt er um, genau wie ein Förderturm bei der Sprengung. Er reißt die sich immer noch drehende Kaffeekanne erbarmungslos mit sich und in einem Schwall ergießt sich die unappetitliche Matsche aus Kaffee, Sprühsahne und Vanillewaffeln über die liebevoll bestickte Tischdecke. Unter dieser Matsche wird meine Hoffnung auf eine baldige Heirat begraben.

Das darf ja wohl nicht wahr sein! Da habe ich meinen Traummann endlich schon fast an den Altar gezerrt und muss dann erfahren, dass schon wieder etwas dazwischen gekommen ist. Gut, dass wenigstens die Hochzeitseinladungen noch nicht raus sind. Das wäre ja total peinlich geworden.

Wieso muss immer gerade dann, wenn es mal gut für mich läuft so ein blödes Hindernis auftauchen? Warum ist in meinem Leben eigentlich nie etwas einfach mal einfach?

Diese Fragen stelle ich mir immer und immer wieder, als ich viel später an meinem Schreibtisch sitze und durch das Fenster böse ins Dunkel der Nacht starre.

Obwohl es auch in der tiefsten Nacht in Essen eigentlich nie richtig dunkel wird. Das liegt daran, das hier tausende von Menschen auf engstem Raum zusammenleben und alle elektrisches Licht haben. Gott sei Dank! Denn ohne Licht, könnte ich am Abend ja überhaupt nicht am Privatleben meiner Nachbarn teilnehmen. Aber genau das ist es, was ich mache. Eigentlich sogar jeden Abend. Ich habe ja viel Zeit – so ganz ohne Bergmann…

Diese Zeit verbringe ich ungefähr ab 19 Uhr an meinem Schreibtisch und beobachte durch die hell erleuchteten Fenster schamlos meine Nachbarn Die meisten kenne ich aber offiziell nicht, obwohl ich eine Menge über sie weiß.

Der Mann, der in der Dachgeschosswohnung schräg gegenüber lebt, hat zum Beispiel zwei feste Freundinnen und weitere, ständig wechselnde Sexualbekanntschaften. Herr Hartmann (ich weiß seinen Namen, weil ich mal auf die Klingelschilder geguckt habe und so dann errechnet habe, wie dieser Hardcorepolygamist heißt) genießt wegen dieser eindrucksvollen Leistung meinen vollen Respekt.

Dabei sieht Herr Hartmann noch nicht einmal so besonders gut aus. Doch manchmal gilt eben nomen est omen. Bei Herrn Hartmann trifft das uneingeschränkt zu. Nach nächtelangen Beobachtungen seiner Wohnung kann ich das auf jeden Fall bestätigen. Ich vermute, dass das auch gleich sein Erfolgsgeheimnis ist….

Auch heute abend hat Herr Hartmann Besuch. Ich kenne die Dame noch nicht, weiß aber schon nach wenigen Minuten, dass sich die Anfahrt für sie absolut gelohnt hat. Selbst, wenn sie aus Berlin kommen sollte.

Während sich also Herr Hartmann wieder einmal äußerst eindrucksvoll seiner offensichtlichen Lieblingsbeschäftigung widmet, langweilen sich die anderen Nachbarn entweder mit ihrem Ehepartner oder ihrem Fernseher.

Nur Roger, der direkt gegenüber wohnt und aus der ehemaligen DDR kommt (das habe ich aus seiner Wohnungseinrichtung geschlossen, die ich mir mit meinem eigens zur Nachbarschaftsbeobachtung angeschafften Fernglas detailiert angesehen habe)

surft bei „youporn.de “ und holt sich dabei einen runter. Allerdings macht er das so dermaßen unmotiviert, dass meine schlechte Laune durch diese Beobachtung auch nicht unbedingt besser wird.

In der Wohnung unter Roger brennt wie immer kein Licht. Dort wohnt eine junge Frau, die jeden Abend erst sehr spät nach Hause kommt und dann sofort erschöpft ins Bett fällt. Ich vermute, dass sie sich die Nächte im Büro um die Ohren schlägt. Schade nur, dass sie trotzdem in ein paar Jahren entsetzt erkennen wird, dass sie nicht befördert werden wird. Entweder, weil ein beliebiger fauler, aber umtriebiger Mann sich an ihr vorbeigeschleimt hat, oder eine andere Frau mit weitaus wirksameren Waffen als Fleiß und Ordnungssinn die Schlacht für sich entschieden hat. Das unscheinbare Mädchen in dem spießigen Kostüm von gegenüber tut mir angesichts dieser trostlosen Zukunftsaussichten oft ein bisschen leid.

Irgendwie kann ich mich heute aber einfach nicht auf meine Forschungen in der Nachbarschaft konzentrieren. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Es muss doch möglich sein irgendwie an einen Bergmann heranzukommen? Aber Oma hat natürlich recht, so ohne Zechen ist das nicht so einfach. Egal wie stark ich nachdenke, ich komme einfach nicht weiter. Deshalb beobachte ich dann doch wieder Ost-Roger mit meinem Fernglas.

Der ist inzwischen fertig und hat nun die Homepage von Schalke 04 angeklickt. Das ist sein Lieblingsfussballverein. So phlegmatisch Roger beim Onanieren auch erscheinen mag, wenn es um Schalke geht, gibt er alles. Ich habe beobachtet, dass er sogar einen eignen Unterfanverein gegründet hat. Wahrscheinlich um sich und alle Fans, die genau so fanatisch ticken wie er, vom pöbligen Normalfan abzugrenzen. Soweit ich es beurteilen kann, beantwortet Roger jetzt die Anfragen der Unterfanvereinmitglieder per Massenmail. Eigentlich unfassbar, was der für einen Aktionismus in seinen bekloppten Unterfanverein investiert. Kein Wunder, dass der keine Freundin hat.

Doch gerade als Roger den „Send all“ Button drückt, habe die eine Eingebung, die wahrscheinlich mein Leben komplett verändern wird! Auch ich werde einen Verein gründen! Den aussagekräftigen Namen habe ich auch schon: „Verein zur Rettung der Zechen und vor allem der gutgebauten, schwitzenden Kumpels unter Tage“. Die Hoffnung auf meine baldige Eheschließung mit einem Bergmann keimt wie ein Silberstreif am Horizont wieder auf. Jetzt kann ich beruhigt schlafen gehen.

Schon am nächsten Tag arbeite ich hocheffizient an meinem großartigen Vereinsprojekt weiter. Um zehn Uhr habe ich bereits das erste Vereinsmitglied rekrutiert. Das bin ich selbst. Um halb elf habe ich mich schon zur ersten Vereinsvorsitzenden gewählt und um elf mache ich mich aus Gründen der Praktikabilität auch gleich zur Kassenwartin. Das geht ja alles Schlag auf Schlag. Das einzige Problem, das ich sich mir stellt ist mein fehlendes Wissen über den Bergbau im Ruhrgebiet. Für die Vereinsarbeit wäre dieses Wissen aber wahrscheinlich sehr förderlich. Trotzdem habe ich keine Lust mich jetzt wochenlang in der trostlosen Stadtbücherei einzulesen. Außerdem fehlt mir da auch der praktische Bezug. Da bleibt mir wohl nur noch eines übrig….

„Hallo, hier spricht Tjalda. Bin ich mit der Verwaltung der Stadt Essen verbunden?“
„Ja, sind Sie. Sie sprechen mit Frau Schleicher. Was kann ich für Sie tun?“
„Hallo Frau Schleicher. Hören Sie, Essen soll ja im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas werden und da habe ich gedacht, dass ich als echte Essenerin auch mal war für unsere Kultur tun sollte.“
„Das ist aber eine gute Idee. Und wie kann ich Ihnen dabei helfen?“
„Also, das Ruhrgebiet, das gibt es doch eigentlich nur wegen der Kohle. Deshalb habe ich mir gedacht, dass es doch ganz gut wäre, wenn ich mal ein Praktikum unter Tage machen könnte um so einen richtigen Einblick in unsere Kultur zu bekommen.“
„Ehrlich gesagt, wird die Kohle im Rahmen des Kulturhauptstadtprojektes nur noch so etwas wie folkloristische Beigabe sein.“
„Wie bitte?“
„Ja, ich persönlich finde das auch sehr schade. Aber wenn Sie sich über unsere Stadt informieren möchten, dann kann ich Ihnen gerne einen Praktikumsplatz in der Stadtverwaltung anbieten. Das ist sehr interessant und Sie würden bestimmt eine Menge lernen. Da gibt es zum Beispiel auch die Arbeitsgruppe…"
„Äh, das ist bestimmt superinteressant, aber leider nicht ganz das, was ich suche. Also, ich überlege es mir dann doch noch mal.“

Entnervt lege ich auf und denke nach. Ich denke und denke und es wird später und später. Wie lange ich eigentlich nachgedacht habe, wird mir erst klar, als bei Herrn Hartmann das Licht angeht und er sich mit Freundin Nummer zwei intensiv seiner üblichen Abendbeschäftigung widmet.

Auch Roger ist inzwischen zu Hause und bastelt an den T-Shirts für seinen Unterfanverein. Dazu hat er sich ein paar Textilmalstifte gekauft und schreibt nur irgendwelche markigen Fansprüche auf die Shirts, die er letzte Woche bei Ebay aus China bestellt hat.

In der Wohnung unter Roger bleibt es wie immer dunkel.

Dort bleibt es auch dunkel, als Herr Hartmanns Freundin Nummer zwei schon wieder nach Hause gefahren ist und Freundin Nummer eins die Nachtschicht übernimmt

Es bleibt auch dunkel, als Roger die Mitglieder des Unterfanvereins per Mail darauf aufmerksam macht, dass man bei ihm jetzt endlich auch die handgefertigten Unterfanverein-T-Shirts kaufen kann. Diese T-Shirts, so schreibt er den Mitgliedern, sollen dann alle beim nächsten Vereinsaktionstag zur Werbung neuer Mitglieder tragen.

Werbung neuer Mitglieder… Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Ich muss auch einen Vereinsaktionstag machen um neue Mitglieder zu rekrutieren. Dann können die sich ja das erforderliche Bergbaufachwissen in der Stadtbibliothek anlesen, während ich auf den verbleibenden Zechen selbst intensive Lobbyarbeit betreibe. Nicht zu glauben, dass ich auf diese Idee noch nicht selbst gekommen bin, sondern mich von diesem Fußballproll inspirieren lassen musste.

Da ich keine Zeit mehr vergeuden will reiße ich mein Bettlaken von der Matratze und schreibe mit Edding schon mal groß den Vereinsnamen drauf:
„Verein zur Rettung der Zechen und vor allem der gutgebauten, schwitzenden Kumpels unter Tage“. Geschrieben sieht das noch viel besser aus.Gerade als ich an jedem Ende einen Besenstiel befestige um mein Transparent fertig zustellen, geht in der Wohnung unter Roger das Licht an. Die junge Frau kommt nach Hause, geht kurz ins Bad und fällt dann sofort ins Bett. Genau das mache ich auch. Schließlich habe ich am nächsten Tag eine Menge vor.

Direkt am nächsten Morgen gehe ich mit meinem neuen Banner, einem Tapeziertisch, dem Waffeleisen, einer Kiste Sprühsahne und meiner Oma auf den Marktplatz von Essen Frohnhausen Dort stellen wir unseren Infotisch auf. Während meine Oma schon mal anfängt die Waffeln für die interessierten Bald-Vereinsmitglieder zu backen, entrolle ich hinter uns das Transparent. Zusammen begutachten wir dann zufrieden unseren Stand. Sieht alles ganz schön professionell aus. Man darf nie vergessen, dass „Die Grünen“ vor ein paar Jahren auch mal so angefangen haben…

Die Interessenten lassen nicht lange auf sich warten. Noch während ich die Sprühsahne auspacken, taucht Roger in einem T-Shirt seines Unterfanvereins an unserem Stand auf.
„Hey“; sagt Roger zu mir. „Du wohnst doch gegenüber, oder?“
Oma strahlt Roger an, als sei er ein Geschenk des Himmels. Wahrscheinlich ist sie total froh, dass sich überhaupt irgendein Mann auf dieser Welt für mich interessiert. Selbst wenn es nur youporn- Roger ist…

„Möchten Sie eine Waffel haben, junger Mann?“ fragt sie ihn dann auch gleich und Roger nickt begeistert.
„Coole Aktion, dass mit dem Zechenrettungsverein“, sagt er und langt auch bei der Sprühsahne ganz schön zu. „ich habe ja schon gesehen, dass Du da gestern Nacht irgendein Transparent gebastelt hast. Also, ich spanne jetzt nicht rüber zu Dir oder so, aber es ist echt auffällig, dass Du offensichtlich am Abend so gar nichts zu tun hast. Hast Du keinen Freund?“

„Nein, hat sie nicht. Sie ist frei wie ein Vogel. Und das schon seit vielen, vielen Jahren“, flötet meine Oma. Nur weil ich gerade Herrn Hartmann über den Marktplatz schlendern sehe, verzichte ich darauf Roger wegen seiner unverschämten Frage die Waffel wieder zu entreißen,. Aber der Kontakt zu Herrn Hartmann ist im Moment einfach ungleich viel wichtiger als die Bestrafung von Roger.

„Hallo. Wohnen Sie eventuell auch in der Gegend und interessieren sich für den Erhalt unsere Zechen im Ruhrgebiet?“ frage ich Herrn Hartmann atemlos und starre ihn ungläubig an. Aus der Nähe betrachtet sieht er nämlich viel besser aus als ich es bisher angenommen hatte. Vielleicht hat er einfach nur ein ungünstiges Beleuchtungssystem in seiner Wohnung.

„Hallo“, Herr Hartmann schenkt mir ein strahlendes Lächeln und reicht mir seine riesige Pranke. Perplex schüttele ich seine Hand. „Hartmann mein Name. Zechen finde ich super. Was genau machen Sie denn hier?“
„Also, ich habe den „Verein zur Rettung der Zechen und vor allem der gutgebauten, schwitzenden Kumpels unter Tage“ gegründet und jetzt werben wir hier neue Mitglieder. Bisher sind wir nämlich nur zwei. Also meine Oma und ich.

„Drei“, ruft Roger von hinten, während Oma ihm noch Waffeln nachreicht“, bei den Vereinstreffen gibt es dann doch auch immer Waffeln, oder?“ fragt er dann etwa leiser meine Oma.
„Natürlich, mein Junge,“ Oma nickt heftig. „Sie können sich ja mit meiner Enkelin auch mal außerhalb der Vereinstreffen treffen. Im Moment kocht sie zwar selbst noch nicht so gut, aber ich könnte es ihr beibringen, wenn das für Sie wichtig wäre.“
„Ja, also ich finde das ganz gut, wenn Frauen gut kochen können. Putzen ist aber auch wichtig.“
„Ach, das lernt die Tjalda bestimmt auch schnell. Nehmen Sie noch ein bisschen Sahne?“
„Sehr gerne.“

Herr Hartmann wirft Roger einen irritierten Blick zu. Dann wendet er sich endlich wieder an mich.
„Das ist ja eine tolle Idee mit dem Verein. Wurde ja auch mal Zeit, dass sich jemand für uns Bergmänner einsetzt.“
„Sie sind ein… Bergmann?“ meine Stimme ist auf einmal total heiser und ich verschlucke mich fast an meiner eigenen Zunge.
„Klar! Und stolz drauf. Wir sind ja nicht mehr viele.“
„Ja, das ist sehr, sehr…. äh, schade.“
„Genau. Deshalb ist es ja auch super, dass Sie jetzt diesen Verein gegründet haben.“

„Schönen guten Tag. Bin ich hier richtig beim „Verein zur Rettung der Zechen"?" Herr Hartmann und ich drehen uns um und schauen direkt in das Gesicht der jungen Frau, die unter Roger wohnt.
"Genau genommen heißt unser Verein "Verein zur Rettung der Zechen und vor allem der gutgebauten, schwitzenden Kumpels unter Tage“," kläre ich meine Nachbarin hilfsbereit auf.
„Frau Schleicher“, ruft Herr Hartmann fast euphorisch dazwischen,“ das ist ja eine Freude!“
„Herr Hartmann. Wie schön Sie hier zu treffen.“
„Ja, seit Sie mit Ihren Kollegen von der Stadtverwaltung unsere Zeche besucht haben, sind Sie ja kaum noch zu Hause.“ Herr Hartmann blinzelt ihr verschwörerisch zu, während Frau Schleicher zart errötet.

„Sie sind Frau Schleicher?“ frage ich ungläubig,“ ich glaube, wir hatte wegen meines Praktikums unter Tage miteinander telefoniert.“
„Ach Sie waren das! Stimmt, wir hatten telefoniert. Aber Sie haben ja leider so schnell aufgelegt. Dabei wollte ich Ihnen noch anbieten, bei der Arbeitsgruppe “Rettet unsere Kumpels“ mitzumachen. Diese Arbeitsgruppe hat die Stadtverwaltung Essen ins Leben gerufen und ich leite sie. Wir machen da sehr interessante Sachen. Zum Beispiel haben wir vor einiger Zeit mal die Kumpels auf der Zeche besucht.“

„Genau. Und jetzt besucht Frau Schleicher immer die Kumpels nicht mehr unter Tage, sondern in der Nacht!“
„Herr Hartmann!“ Frau Schleicher kichert wie ein kleines Mädchen, während meine Kinnlade runterfällt. Frau Schleicher knechtet also gar nicht die ganze Nacht in irgendeinem Büro, sondern wühlt sich durch die Betten sämtlicher Bergmänner unserer Stadt, während ich Roger bei youporn gucken zusehe? Das kann ja wohl alles nicht wahr sein!

„Also, Frau Schleicher, soll das heißen, dass sie jetzt einen echten Bergmann als Freund haben?“ frage ich ungläubig nach.
„Einen eigenen Bergmann, nur für mich, das wäre natürlich ein Traum. Aber es gibt doch nur noch so wenige Bergmänner und so viele Frauen, die verständlicherweise meine Begeisterung für diese supermännlichen Ruhrgebietslegenden teilen. Aber wenn Ihr Verein und meine Arbeitsgruppe erfolgreich sind, dann gibt es hier bestimmt bald wieder genug Bergmänner für alle Frauen im Pott!“
„Das wäre natürlich super. Bergmänner für alle! Wollen Sie vielleicht schon mal einen Mitgliedsantrag ausfüllen?“ beflissen reiche ich Frau Schleicher einen Antrag.

„Aber ich brauche auch noch welche für meine Freundinnen. Die finden das bestimmt auch super. Und für die ganzen Kumpels auf der Zeche nehme ich natürlich auch noch welche mit.“ Herr Hartmann greift sich hochmotiviert gleich einen Riesenstapel Anträge, „ und, Ihr beiden Süßen, die erste Vereinssitzung, die machen wir dann schön bei mir zu Hause. Also die Vereinsmitglieder und meine ganzen Kumpels von der Zeche - und dann lernen wir uns alle mal so richtig gut kennen…“
Herr Hartmann zwinkert anzüglich und Frau Schleicher und ich hüpfen vor Freude aufgeregt auf der Stelle.

„Oma“, rufe ich euphorisch, “ mach mal bitte noch mehr Waffeln und schick Roger zum Fußball. Unser Verein ist echt ein voller Erfolg!“
„Heißt das, dass Du bald heiraten wirst, Kindchen?“
„So ähnlich, Oma. So ähnlich…“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.03.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Kumpels des Ruhrgebiets

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