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Der junge Giraffenbulle Sansibar ging in die vierte Klasse der Serengeti - Grundschule.
Er war natürlich der Größte in seiner Klasse oder besser gesagt, der Größte an der ganzen Schule. Meistens machte ihm das auch nichts aus, nur manchmal, wenn Arthur und seine Hyänenkumpels ihn damit aufzogen.
Sansibar ging wirklich gerne zur Schule. Seine liebsten Fächer waren Pflanzenkunde und Geschichtenhören bei Frau Mähne.
Frau Mähne war eine schon etwas ältere Löwin mit einer samtweichen Stimme. Sie erzählte den Tierkindern von fernen Länder und allerlei Wissenswertes über deren Bewohner.
Dann kam der Tag, an dem sich für Sansibar alles änderte. Wie üblich hatte er neben seinem besten Freund Tilo Platz genommen.
Tilo war ein Erdmännchen und auch der Größenunterschied konnte nichts daran ändern, dass die beiden unzertrennlich waren. Sie hatten sich kennengelernt, als Sansibar einmal mit seinem Huf in Tilos Eingangstür, also einem kleinem Erdloch, stecken geblieben war.
Nun saßen sie gespannt im Unterricht und warteten darauf, dass Frau Mähne mit der heutigen Geschichte begann. Und was für eine Hammergeschichte das war. Frau Mähne erzählte vom Winter und von so komischem Zeug, das sie Schnee nannte.

Sansibar war ganz fasziniert von der Erzählung und lauschte aufmerksam, damit ihm auch nichts entging. Wie sich die Kälte wohl anfühlte? Ob man Schnee wirklich essen konnte? Fragen über Fragen. Sansibar konnte an gar nichts anderes mehr denken, selbst als der Unterricht bereits zu Ende war.
Tilo bemerkte, dass sein großer Freund ganz in seine Gedanken versunken war. Er kannte das schon. Es war dann völlig sinnlos, mit ihm zu reden, denn er hörte ja doch nicht zu.
Nach der Schule, düste Sansibar ihm Eiltempo nach Hause. Er musste unbedingt noch mehr über den Winter erfahren. Ohne zu Mittag zu essen, stürmte er an den Computer und begann im Internet Nachforschungen anzustellen.
Seine Mutter schaute nur entgeistert. „Was machst du denn da?“, fragte sie ihn. Ohne den Blick vom Computer zu nehmen, murmelte Sansibar: „Hausaufgaben.“ Er hatte gerade ein fantastisches Foto mit schneebedeckten Bergen angeklickt.
Und so ging es die nächsten Tage weiter. Sansibar redete nur noch von Schnee, Eis und dem Winter.
Als Tilo und er zusammen in der Pause unter einem der riesigen Affenbrotbäume Schatten suchten, redete er gerade mal wieder davon, wie gerne er Schlitten fahren wollte.
Da hatte Tilo genug vom Winter gehört. „He, Großer“, rief er zu Sansibar hinauf. Sein Freund neigte den Kopf zu ihm hinunter und strahlte ihn an. Tilo holte tief Luft, denn das, was er zu sagen hatte, würde seinem Freund bestimmt nicht gefallen.
„Ich weiß ja nicht, ob es dir schon aufgefallen ist? Aber wir leben in Afrika. An einem der heißesten Orte der Erde. Hier hat es noch nie geschneit, und es wird auch nie schneien.“
Plötzlich veränderte sich Sansibars Gesichtsausdruck. „Oh!“, sagte er, als er feststellen musste, dass Tilo Recht hatte. Daran hatte er in seiner Begeisterung gar nicht gedacht. Traurig ließ er den Kopf hängen. Und Tilo bekam ein schlechtes Gewissen, weil er seinem Freund den Spaß verdorben hatte.
„He, wollen wir uns heute Mittag am Wasserloch treffen und baden gehen?“, versuchte er ihn aufzumuntern, doch ohne Erfolg.
„Ich glaube nicht. Wir sehen uns dann morgen. Tschüss.“ Sansibar wartete gar nicht mehr auf Tilos Antwort, sondern drehte sich einfach um und trottete niedergeschlagen nach Hause.
Seine Mutter bemerkte gleich, dass etwas nicht in Ordnung war.
Deshalb fragte sie: „Was ist denn los, mein Schatz?“
„Nicht, nichts“, antwortete Sansibar, doch seine Mutter ließ nicht locker.
„Wenn du mir erzählst, was du hast, kann ich dir vielleicht helfen.“
Traurig druckste Sansibar herum: „Naja,… weißt du,… wir haben keinen Winter.“
„Winter?“, fragte sie überrascht. „Zum Glück haben wir keinen. Stell dir mal vor, wenn hier überall Eis wäre, wie leicht du mit deinen langen Beinen ausrutschen könntest. Von den schlimmen Halsschmerzen, wenn du dich auch noch erkältest, will ich erst gar nicht anfangen.“ Energisch schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein, nein, es ist schon besser so, wie es ist.“ Liebevoll gab sie ihm einen Schmatzer auf die Backe.
Sansibar sagte nichts. Er war einfach nur traurig.
Seine schlechte Laune besserte sich auch in den nächsten Tagen nicht und Tilo begann sich langsam Sorgen um seinen Freund zu machen. Selbst Arthur und seiner Hyänengang war Sansibars komisches Verhalten aufgefallen. Und so machten sie sich in Frau Mähnes nächster Unterrichtsstunde über ihn lustig.
„Och, schaut euch mal diese Giraffe an! Sollen wir dir einen Schlitten bauen und dich die nächste Sanddüne hinunterschubsen?“ Die Hyänen lachten laut auf.

Doch Sansibar hatte überhaupt nicht zugehört. Er schaute aus dem Fenster hinauf zum Himmel und stellte sich vor, die weißen Wolken wären riesige Schneeflocken. Aber Tilo hatte die Gemeinheit mitbekommen und verteidigte seinen Freund. „Ach, halt die Klappe, Arthur“, sagte er wütend.
Daraufhin funkelte ihn der Hyänenjunge zornig an. „Sei mal nicht so vorlaut, du Hanswurst. Sonst verspeis ich dich zum Mittagessen.“ Und dabei ließ er seine Zähne gefährlich aufblitzen. Tilo musste bei diesem Anblick dann doch schwer schlucken.
„Na, na, Arthur“, kam ihm plötzlich eine Stimme zu Hilfe. Frau Mähne hatte das Klassenzimmer betreten. „Wie heißt unsere wichtigste Regel?“, fragte sie den Hyänenjungen streng.
„Wir fressen nicht unsere Mitschüler“, leierte er die Antwort herunter.
„Gut, dass du sie nicht vergessen hast. Und nun entschuldigst du dich bei Tilo.“ Bei Frau Mähne gab es keine Widerrede, also murmelte Arthur ein kleines „Tut mir leid“. Aber so wirklich ernst gemeint, hörte es sich nicht an. Damit war das Thema abgehakt und Frau Mähne begann mit dem Unterricht.
Doch Tilo bekam nicht wirklich viel davon mit, denn er überlegte fieberhaft, wie er seinem Freund helfen konnte. Aber leider war er ja kein Wettergott oder so was... Da machte es auf einmal klick in seinem Kopf und Tilo hatte die zündende Idee. Aufgeregt verabschiedete er sich von Sansibar, der Tilos plötzliche Unruhe überhaupt nicht verstehen konnte, und jagte davon.
Die Wochen vergingen und es passiert nichts. Doch eines Tages, es war schon später Nachmittag, besuchte Tilo Sansibar zu Hause. Im Schlepptau hatte er eine große Kiste. Er war völlig außer Atem. „Hier für dich“, schnaufte er schwer.
Sansibar senkte den Kopf und betrachtete neugierig die vielen Stempel auf dem Deckel. Er schaute zu Tilo, dann meinte er verwundert: „Aber ich hab doch noch gar nicht Geburtstag.“ Tilo verdrehte ein wenig die Augen. „Jetzt mach schon endlich auf.“
Vorsichtig begann Sansibar, den Karton aufzureißen. Darin kamen eine große, blaue Box zum Vorschein und daneben ein ganz kleines Paket. Tilo konnte vor Spannung nicht mehr still stehen. „Aufmachen, aufmachen“, drängelte er. „Aber erst das Große“, setzte er hinzu und machte einen kleinen Hüpfer.

Sansibar hob ganz langsam den dicken Deckel der blauen Box an. Und was da raus kam, sah aus wie Nebel. Neugierig steckte er seine Nase tiefer hinein, um besser sehen zu können. Doch erschrocken fuhr er zurück. Auf einmal hatte er ein ganz komisches Gefühl an der Schnauze. Sansibar schielte auf seine Nase und sah gerade noch, wie sich die weißen Schneekristalle in Wasser auflösten.
Mit großen Augen schaute er zu Tilo und fragte: „Ist es das, wofür ich es halte?“
Tilo nickte so eifrig, dass Sansibar Angst hatte, sein Kopf könnte dabei abfallen.
„Ist das nicht unglaublich cool“, kreischte dann sein Erdmännchen Freund.
Sansibar war einfach nur sprachlos. Da standen sie mitten in Afrika vor einem kleinen Haufen Schnee. Schnell steckte er erneut den Kopf in die Box, um ganz vorsichtig mit seiner Zunge von dem Schnee zu kosten. Brr, war der kalt. Aber es war auch lustig, wie der Schnee im Mund zu Wasser schmolz.
Tilo hatte sich ganz groß gemacht, um über den Rand der Kiste schauen zu können. „Oh, ist das toll!“, staunte er. Sansibar lachte übers ganze Gesicht. Dann nahm er ein bisschen Schnee auf seine Schnauze und schleuderte ihn auf Tilo. Der sah nach dieser Attacke aus, als hätte er einen weißen Vollbart. „Ah, das ist ja kalt. Na warte, das wirst du mir büßen.“ Mit seiner kleinen Tatze fasste er in den Schnee und warf damit nach Sansibar. Und ehe man sich versah, veranstalteten die beiden eine Minischneeballschlacht.
Doch leider war das Vergnügen nur von kurzer Dauer. Schnell hatte die Hitze den ganzen Schnee geschmolzen und es blieb nur noch eine kleine Pfütze Wasser in der blauen Box übrig.
„Ach, wie schade“, meinte Sansibar, „das hat so viel Spaß gemacht.“ Aber im selben Moment fiel ihm noch etwas ein. Er schaute zu seinem kleinen Freund und fragte: „Sag mal, wo hast du den Schnee eigentlich her?“
Tilo grinste breit, als er antwortete: „Tja, weißt du, ich hab einen Onkel, der wohnt in einem Zoo, und der ist sehr gut mit einem Pinguin befreundet. Also hab ich ihm geschrieben und ihn gebeten, mir zu helfen. Und ta ta…“, Tilo zeigte auf die Kiste, „das hat ja auch wunderbar geklappt.“
Sansibar schenkte seinem Freund einen bewundernden Blick. „Du bist wirklich unglaublich. Der beste Freund, den man überhaupt haben kann. Vielen Dank für die tolle Überraschung.“
Tilo wurde ganz verlegen und sagte: „Ach, das hab ich doch gern gemacht. Jetzt musst du aber noch das andere Paket aufmachen.“
Ja richtig, das hatte Sansibar beinah vergessen. Ganz langsam löste er erst die Paketschnur und dann das Papier. Und zum Vorschein kam eine Glaskugel mit einem kleinen Schneemann darin.
„Was ist denn das?“, fragte Sansibar erstaunt. Ohne zu antworten, nahm Tilo vorsichtig seinem Freund die Kugel ab und dreht sie um.
Sansibar fiel vor Überraschung die Kinnlade runter. In der Kugel hatte es doch tatsächlich angefangen zu schneien. Tilo erklärte: „Ich wusste, dass der echte Schnee sehr schnell schmelzen würde. Deshalb hab ich dir die Schneekugel besorgt. Zur Erinnerung.“
Da gab es für Sansibar kein Halten mehr und er schnappte sich das kleine Erdmännchen und drückte es ganz fest an sich. Dann sagte er: „Tilo, du bist echt der Größte.“
„Ja, ich weiß“, gab der frech zur Antwort. Es freute ihn, dass seine Überraschung Sansibar so gut gefiel.

Am Abend vor dem Schlafengehen nahm Sansibar die Kugel vom Nachttisch und drehte sie um.
Leise tanzten die kleinen weißen Kunstflocken, um den Schneemann herum. Glücklich betrachtete Sansibar sein Geschenk. Und bevor ihm müde die Augen zufielen, nahm er sich noch ganz fest etwas vor: Wenn er einmal groß ist, reist er in ein Land mit ganz viel Schnee.
Und dort lernt er dann Ski fahren.

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Texte: alle Rechte liegen beim Autor
Bildmaterialien: alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2012

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Widmung:
Für meine zwei Mäuse: Philip und Melissa

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