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We will die ...


In Bunkern sollen wir uns verstecken.
Schon vor einem Jahr behaupteten Sie, man solle sich darauf vorbereiten. Nahrung horten, Waffen.
Waffen … wozu? Um das eigene Hab und Gut vor der Gier der anderen Überlebenden zu schützen? Sie vielleicht erschießen? Oder damit jagen? Unser Leben verteidigen?
Klar war definitiv, die Welt würde ins Chaos stürzen …
Klar war auch … wir würden es nicht überleben. Keiner!
Die Betriebsamkeit auf den internationalen Nachrichtensendern, die uns Sterbliche dazu aufforderten, ruhig zu bleiben, wurde geringer, bis sie schließlich ganz erstarb.
Es interessiert niemanden mehr, ob jemand uninformiert dem Untergang entgegen sieht oder, Dank des Fernsehens, die Flugbahn eines Meteoriten, der die sechsfache Größe des Mondes haben könnte, beobachten kann.
Er wird aufschlagen.
Die Kontinentalplatten werden bersten wie ein bröselnder Keks. Die Welt wird überschwemmt werden. Und selbst jene, die das überleben sollten, werden von den tödlichen Sonnenstürmen, die anschließend unseren Planeten in einen glimmenden Himmelskörper verwandeln, in null Komma nichts verschmort. Die Ausrottung verspricht kein Entkommen!
Es gibt keine Beschönigung für das, was mit uns allen passieren wird. Der Meteorit ist nicht Amargeddon-mäßig abwendbar. Man wird die Sonne nicht einfach abschalten und die anderen Naturgewalten davon abhalten können uns auszurotten. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Dennoch, jahrelang hatten sie es verharmlost. Diejenigen, die sich in der Abhängigkeit der Logik suhlten und jene verhöhnten, die uralten Kulturen mehr Aufmerksamkeit schenkten, als sie sollten.
So viele Kulturen hatten etwas vorhergesehen und in den meisten gibt es nicht einfach nur einen Börsencrash, einen Tsunami oder einfach nur eine weltweite Rebellion, geschweige denn einen klimatischen Umschwung.
Die Erde wird untergehen … und das in sechs Monaten.
Ich hatte geträumt nach Japan zu reisen, mir Boston in Massachusetts mit eigenen Augen ansehen zu dürfen. Ich wollte nach Neuseeland und Schottland, um in die Fußstapfen des Herrn der Ringe und Harry Potters zu steigen. Ich wollte den Mariengraben unter meinen Füßen spüren, die mörderische, unfassbar dunkle Tiefe in mich aufnehmen. Ich wollte sehen und gesehen werden. Leben … das wollten wir alle.
Aber nun hat man den Meteoriten entdeckt, die Sonnenruptionen sind stärker geworden. Japan ist verstrahlt, Haiti dem Untergang gleich. Der Himalaya, der Schwarzwald, das Uralgebirge, die Anden, alle wurden sie von Beben erschüttert, Küstengebiete überschwemmt. Menschen bekamen Panik, Bürgerkriege brachen aus.
Nun ist es nur noch ein Kampf ums Überleben.
Was wenige Monate zuvor als dämlicher Aberglaube abgetan wurde, ist nun Realität, und keiner vermag damit umzugehen. Habgierig sind sie, egoistisch im Kampf um Lebensmittel. Menschen verlieren in einem Streit um eine Dose Ananas ihre Hände, lassen ihr Leben im Kampf um einen Schlafplatz auf einem Hochhaus, in der Hoffnung, einer Sintflut zu entkommen. Ein roter Faden zieht sich durch unser aller Leben und zum ersten Mal wird deutlich … Alle für einen, einer für alle … gab es nie und wird es niemals geben.
Jetzt kämpfen sie alle ums nackte Überleben, ahnungslos, dass das frühe Morden keinen Sinn hat, keine sichere Zukunft, keinen Schutz bietet. Wir werden alle sterben … doch im Gegensatz zu der wütenden, hassgetränkten, verzweifelten Masse dort unten auf den Straßen … werde ich mein Leben selbst in die Hand nehmen!
Krank gemacht hatte mich deren Anblick schon damals, vor zehn Jahren. Ich ertrug sie nicht. Ihr hochgestelztes Gerede, ihr Gehabe bezüglich ihre Besitztümer. Sie stellen sich über andere, jene, deren Geldbörsen beinahe barsten, während der Rest hungerte. Das vermeintliche Mitgefühl, all die Spendenaktionen für ärmere Länder, die Reisen dorthin, das Betüdeln jener, die kein Dach über dem Kopf hatten und Brackwasser trinken mussten - Alles nur eine Farce.
Sie machen sich selbst etwas vor, doch endlich, endlich entbrennt der Kampf, der das Innere aller Menschen nach außen kehrt. Doch sie sind zu beschäftigt damit sich ihr Überleben zu sichern, als zu realisieren, wie weit sie dafür gehen.
Erst gestern erschoss in einem Supermarkt ein Mann einen kleinen Jungen, der ihm den letzten Spaten vor der Nase weggeschnappt hatte. Einen Bunker wolle sich der Bengel graben, für seine Mama und seinen Papa. „Lieber ich, als ihr!“ hatte der Mann geschnauft und versucht dem Jungen den Spaten zu entreißen. Er verlor die Geduld, denn die Zeit verrann … und niemand hielt ihn auf, niemand klagte ihn an, niemand schenkte der schluchzenden Mutter, die ihren blutüberströmten Sohn an sich drückte, Aufmerksamkeit.
So waren sie schon immer … nur bekamen sie erst jetzt, kurz vor dem Untergang, die Möglichkeit, sich zu zeigen … all den Hass auf die Mitmenschen , all die Undankbarkeit und das Wissen darüber, dass andere „Nichts“ waren, während sie selbst und nur SIE SELBST überleben sollten.
Über Leichen gehen sie nun, nicht ahnend, dass sie ein noch viel qualvollerer Tod ereilen würde. Glück für jene, die schon früher ihr Leben gelassen hatten, die nicht den Horror der Vernichtung miterleben müssen.
Zu jenen werde ich gehören.
Einen letzten Blick wage ich auf das Chaos unter mir, auf die brennenden Läden, die Schüsse in der Ferne, die schreienden, verzweifelten Menschen … dabei würde die Welt erst in sechs Monaten untergehen. Sie bringen sich alle selber um. Es bedarf keiner Naturkatastrophen mehr, keiner Sonnenstürme oder Meteoriten … würde man das alles nun doch abwenden, aus welchem Grund auch immer … ein Rechnungsfehler, oder die Erkenntnis der Falschdeutung der Maya, die Tatsache, dass Nostradamus sturzbetrunken war, als er seine Vorhersehung niederschrieb … es ist nichtig. Die Menschen haben ihre Untergang selbst in die Hand genommen … nur eine Flut, ein Feuer, ein Beben … ein letzter Stoß ins Herz, würde endlich Frieden über diese verdammten Egoisten bringen … endlich Frieden für den Planeten. Ein Neubeginn, den er sich mehr als alles andere verdient hat.
Frei von uns … frei von dieser selbstzerstörerischen Last.
Ich schließe die Augen, nachdem ich sicher gehe, dass ich auf den kleinen Rasen unten vor dem Haus aufschlagen werde. Ein letztes Mal sauge ich die brennende Luft in meine Lungen, schmecke Asche auf meiner Zunge und vernehme das schauderhafte Gewirr der Sterblichen unter mir. So froh bin ich, so froh, so glücklich, nicht mehr zu ihnen gehören zu müssen.
Frei von ihnen …
Und ich lasse los, springe kopfüber vom zehnten Stock. Siegessicher und vor Freude fast trunken. Ich sterbe mit einem Lächeln auf den Lippen
Frei!

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Texte: ©J.T.L.
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2012

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