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"Die Duschwände sind entkalkt?"
"Japp."
"Was ist mit den Fliesen im Bad? Die auch?"
"Jaaaa."
"Der Müll? Hat den schon einer runtergebracht?"
"Selbstverständlich und die leeren Flaschen haben wir auch mitgenommen."
"Klo is´ sauber?"
"Check!"
"Bitte was?"
"Erledigt!"
"Ah ... okay ..."
Ich warf einen prüfenden Blick auf meine to-do-Liste.
"Hat jemand die Bettwäsche aus dem Keller hochgeholt? Und das Gästebett? Ist das schon bezogen?"
Genervte Blicke durchbohrten meinen Rücken als ich mich umdrehte und mit einem Finger über die Ablagefläche des Schuhschranks wischte. Blitzeblank. Perfekt!
"Gut ..."
Ich kaute auf dem Druckknopf des Kugelschreibers herum und überflog nun schon zum fünften Mal die blöden Aufgaben."Okay ... ich denke das war ´s! Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet." Ich versuchte aufmunternd in die Runde zu lächeln.

Die verbliebenen 30 Minuten vergingen wie im Flug. Mein Herz pochte nervös und in meinem Magen rumorte es gewaltig. Völlig entnervt lief ich ins Schlafzimmer und versteckte die Liste unter dem Bett.
"Wenn sie herein kommen ... dann ... verhaltet euch ganz normal ... sie sollten etwas überrascht sein ... aber ich gehe nicht davon aus, dass sie in Ohnmacht fallen werden..." Ich lachte unsicher und verstummte ganz. Still blickte mein Putzkommando an mir hoch. Und dann klingelte die Tür.
Mein Herz schlug so schnell, dass ich nach Atem rang und glaubte mich übergeben zu müssen. "Danke nochmal für eure Hilfe! Ihr wart echt unglaublich", flüsterte ich verunsichert. Es klingelte erneut. "Ich glaube ich sollte ihnen öffnen." Meine zitternden Finger griffen zur Gegensprechanlage. Ganz langsam nahm ich den Hörer ab und drückte das kalte Teil an meine glühende Ohrmuschel. Ich versuchte krampfhaft etwas zu sagen, doch kein einziges Wort kam mir über die Lippen. Noch langsamer als zuvor legte ich den Hörer wieder auf und blickte schweigend durch den blitzenden Flur.
"Wisst ihr", begann ich an und nestelte an meinem Gürtel herum, "vielleicht ... sollte ich einfach so tun als wäre ich nicht da." Mein Mut war auf die Größe einer plattgedrückten Erdnuss gesunken.
"Wovor hast du denn Angst?"
"Ich ... ich habe keine Angst. Es ist nur ..."
Jemand pochte von außen herrisch gegen meine Wohnungstür. Erschrocken zuckte ich zusammen und schlug die Hände vor den Mund, um dem Schrei den Weg nach draußen zu versperren. "Komm schon... ich kann dich hören. Mach endlich die Tür auf", sprach ´s weniger sanft vom Flur. Seine Stimme hallte durch das ganze Treppenhaus. Wie war er denn so schnell hier hoch gekommen? Und wieso hatte ich den Aufzug nicht gehört? Seine Schritte hätten, wie seine Worte, durch das Treppenhaus schallen müssen bevor er überhaupt hier oben war.
"Verdammt." Ich biss mir auf die Zunge. "Warte einen Augenblick ja? Ich zieh mir nur schnell was an." Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg aus dieser blöden Situation. Warum hatte ich nur so viel Schiss vor dieser Begegnung? Ich hörte meine Mutter auf der anderen Seite irgendetwas murmeln. "Du weißt seit Ewigkeiten, dass wir kommen und du rennst nackt durch deine Wohnung?" Sein Verhalten war wirklich unverschämt.
"Ich habe verpennt“, rief ich, ein bisschen panisch, vom anderen Ende des Flures.

Warum ich Angst die Tür zu öffnen? Ganz klar …
Meine Mutter hatte vor einem Jahr einen neuen Mann kennengelernt, dabei war mein Vater noch keine sieben Jahre tot. Und ausgerechnet diesen Kerl wollte sie mir schon seit einer gefühlten Ewigkeit vorstellen. Was sie allerdings nicht wusste, und was auch er noch nicht ahnte, ich kannte ihn! Allein diese Tatsache ließ mein Herz schmerzhaft schnell pochen. Diesmal würden sie nicht so leicht aufgeben, das wusste ich. Einerseits war ich wirklich daran interessiert, wie er wohl aus der Nähe aussehen würde. Andererseits bekam ich regelrechte Panik davor, dass er spüren könnte, dass ich wusste wer er war, denn ich befürchtete, dass er meiner Mutter die Wahrheit verschwieg. Was redete ich da! Ich WUSSTE, dass er ihr unmöglich die Wahrheit gesagt haben konnte. Meine Mutter besaß einen gesunden Menschenverstand und hätte wahrscheinlich sofort die Typen in den weißen Anzügen angerufen, um ihn einweisen zu lassen.

"Komm schon Schätzchen. Ich weiß, dass du mit der Situation noch immer nicht ganz klar kommst. Aber er ist wirklich nett. Er wird dir sicher gefallen."
"Oh ja, mit Sicherheit", murmelte ich.
Ich erinnerte mich noch genau an dem Tag, an dem meine Mutter mich besuchte und dieses wahnsinnige Leuchten in den Augen hatte. Mir war sofort klar, dass sie sich neu verliebt hatte und es unbedingt loswerden wollte. Als sie mir dann endlich sein Bild präsentierte, fiel mir die Kinnlade runter. Ich nahm ihr vorsichtig das Fotohandy aus der Hand.
"Du machst Witze?" Ich sah sie forschend an.
"Er sieht unglaublich gut aus. Ich weiß! Ich kann selbst kaum glauben, dass ER sich für MICH interessiert!", sie gluckste vergnügt.

Mir wurde ganz schlecht, als ich daran dachte, wie ich sein Foto angestarrt hatte. Unglaublich gutaussehend, war wirklich untertrieben. Der Typ sah aus als hätte ihn jemand aus den schönsten Körperteilen aller Männer dieser Welt zusammengeflickt. Er hatte strahlend blaue Augen und schwarzes glänzendes Haar. Er trug es schulterlang, hatte sie jedoch im Nacken zusammengebunden. Ein Paar Strähnen hingen ihm im Gesicht, dessen markante äußerst männliche Züge ihm etwas Wildes und Verwegenes verliehen. Auf dem Bild hatte er einen Drei-Tage-Bart und sah unglaublich sexy damit aus. Allein sein Gesicht war verboten hübsch und ich fragte mich, wie meine Mutter ihre Rivalinnen von ihm fernhalten konnte.
Ich hatte das Foto aber nicht aus dem Grund angestarrt, dass er einfach fantastisch aussah, sondern der beunruhigenden Tatsache wegen, dass unter meinem Bett ein Buch aus einem Antiquariat in London lag - es war, laut dem großzügigen Schenker, fast 200 Jahre alt – dass eine Ölzeichnung aus dem 13. Jahrhundert zeigte, auf dem haargenau der selbe Typ abgebildet war. Das Bild auf der Cam, das meine Mutter immer wieder verschmitzt angrinste, sah diesem im Buch dermaßen ähnlich, dass ich keine Sekunde daran zweifelte, dass es sich dabei um ein und dieselbe Person handelte. Damals hatte ich mich gefragt wann auf der Welt die Menschen angefangen hatten Bücher zu drucken.

"Warum machst du ihnen nicht einfach auf? Er wird dich schon nicht umbringen."
Ich sah aus zusammengekniffenen Augen nach unten. Ich musste völlig verrückt gewesen sein, als mir der Gedanke gekommen war, die Gartenzwerge meiner Vermieterin zu klauen. Einfach nur, weil ich mich einsam gefühlt hatte. Während ich über die Zimmerböden robbte und selbst die Ecken mit einer Zahnbürste polierte, hatte ich angefangen so zu tun, als wären sie lebendig und mit ihnen gesprochen. NATÜRLICH redeten sie nicht wirklich mit mir. Ich versuchte nur krampfhaft davon abzulenken, dass ich unheimlich gern Selbstgespräche führte. Aus Angst, dass ich selbst irgendwann davon überzeugt sein könnte, nicht mehr alle Latten am Zaun zu haben. Und dann sowas! Jetzt standen diese blöden Dinger, Zehn an der Zahl, in meinem Flur - aufgereiht wie kleine Soldaten. Und ich hatte das Gefühl, dass sie mich vorwurfsvoll anstarrten.

"Komm schon Liebling", versuchte meine Mutter erneut mich zu motivieren die Tür aufzuschließen.
"Sofort", rief ich aus dem Bad, drehte den Wasserhahn auf und verfilzte meine Haare. Mit den Fingern knautschte ich in meinem Gesicht herum und versuchte sehr müde auszusehen. Ich betrachtete meine klaren grünen Augen im Spiegelbild und fragte mich zum wiederholten Male wieso ich tatsächlich glaubte, dass er der Typ in dem Buch war? Er könnte genauso gut ein Nachkomme von ihm sein! Seufzend drehte ich das Wasser ab. Es gab selbstverständlich nur eine Möglichkeit das herauszufinden.
Mit heftigem Herzklopfen öffnete ich schließlich die Tür. Meine Mutter stürzte sofort in meine Arme und presste mich an sich. Ich guckte vorsichtig über ihre Schulter. Unsere Blicke trafen sich und ich wusste sofort, dass er wusste was ich wusste. Er zog eine Augenbraue überrascht nach oben und das Blau seiner Iris wurde dunkler. Ich schluckte ängstlich und drückte mich noch fester an meine Mutter.
"Wenn du ihr weh tust, mach ich dich kalt", formten meine Lippen die Worte. Er legte den Kopf auf die Seite und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.
Meine Mum schob mich von sich.
"Lass dich mal ansehen." Ihr Blick flog besorgt über meinen Körper und dann wieder zu meinem Gesicht. "Du hast abgenommen!", stellte sie fest. "Das ist schön. Machst du wieder Sport?"
"Oh ja ... ich gehe jagen", entschlüpften mir die unüberlegten Worte, bevor ich sie runterschlucken konnte. Jetzt hob er beide Augenbrauen an. Als er grinste blitzten seine schneeweißen, spitzen Zähne auf.
"Was für ein interessantes Hobby", murmelte er.
"Oh ... Vince ... entschuldige, dich hab ich ganz vergessen ..." Meine Mutter lief knallrot an, streckte die Hand nach ihm aus und zog ihn in meine Wohnung. Er schloss die Tür mit einem Seitenblick auf mich.
"Vince?", fragte ich irritiert. "Hast du nicht gesagt er heißt..."
"Vincent Alexander Egon Alabaster Adam Blade...", dabei verbeugte er sich förmlich und ich unterdrückte den Drang einen Knicks zu machen.
"Wow ... das ist ... Alabaster?" Ich grinste schief. "Netter Name. Und wie wollen Sie nun angesprochen werden? Oder darf ich mir einen aussuchen?" meiner Mutter entging mein spöttischer Unterton nicht.
"Vicky!"
"Entschuldige Mum. Wollt ihr vielleicht etwas trinken?", lenkte ich ab.
"Sehr gern ... ich bin nur mal schnell auf der Toilette. Am Flughafen wollte ich nicht gehen. Da sitzen ja tagtäglich Milliarden von Menschen drauf." Meine Mutter verschwand mit einem angewiderten Blick auf dem Klo. Ihr Freund folgte mir in die Küche. Da war sie wieder, die Nervosität, die meine Knie zum Wegknicken bringen konnte.

"Trinken Sie Rotwein, Dominik?" Ich hielt in der Bewegung inne und fluchte innerlich. Räuspernd drehte ich mich um. "Ich meinte... Vincent." Dominik Blade, hatte über dem Bild in dem Buch gestanden. Seine Reaktion war alles andere als beruhigend. Seine Hand griff ziemlich ungestüm in mein Haar und riss meinen Kopf nach hinten. Erschrocken rutschte mir die Weinflasche aus der Hand. Das erwartete Zersplittern von Glas blieb allerdings aus. "Viktoria Johnson ... hm?" Seine Lippen berührten flüchtig meine Halsschlagader, die wild unter meiner Haut pochte. "Dein Blut riecht wirklich sehr köstlich." Er ließ mich wieder los und ich starrte ihn mit wabbeligen Knien an, eine Hand an die Anrichte gekrallt. "Jetzt weiß ich auch endlich wo du wohnst." Er grinste mich boshaft an. Mir wurde kotzübel.
Zwischen zusammengekniffenen Lippen presste ich meine Drohung hervor: "Wenn du ihr..." Er drückte mir zischend den Finger auf die Lippen und seine Augen funkelten belustigt als ich ihn empört wegdrücken wollte. Er streckte mir die Weinflasche entgegen, die ich fallen gelassen hatte. Da schien sich ja jemand köstlich zu amüsieren.
"Warum hast du denn Gartenzwerge im Flur stehen, Schatz?" Meine Mutter kam stirnrunzelnd in die Küche gelaufen, schlang einen Arm liebevoll um ihren Vampir und sah mich fragend an.
"Ich ... ehm ... hab sie für die Nachbarin ... eh ... geputzt. Die waren ganz schön ... schmu... schmutzig", stammelte ich nervös und fuhr mir ununterbrochen durch das Haar und über meinen Hals.
"Die sind wirklich hübsch." Ich lächelte halbherzig und starrte in den Flur. "Ja... hmm ... jetzt seid ihr ja da ... und ... nun?"
Meine Mutter grinste plötzlich breit. "Ich habe in ..." Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. "Oh." sie riss erschrocken die Augen auf und lief zurück in den Flur. "Ich muss los Schatz. Ich habe einen Termin bei diesem tollen Friseur in der Stadt. Du weißt schon ... der, bei dem man so schlecht einen Termin bekommt ... ich hab gehört, er hat sogar mal Keanu Reeves die Haare geschnitten."
Sie warf sich ihren weißen Mantel über und lächelte. "Ich hoffe ihr amüsiert euch!" Flüsternd fügte sich an mich gewandt hinzu: "Sei nett zu ihm." Dann schmatzte sie mir auf die Wange und verschwand, bevor ich irgendetwas erwidern konnte. Die Tür schloss sich leise und wir waren allein. Scheiße!!!!!
Eine tonnenschwere Hand legte sich auf meine Schulter und drückte leicht zu. Panik wallte in mir auf. Oh Gott! Langsam drehte ich den Kopf. Ich starrte ihn ängstlich an. Er lächelte mit zusammengekniffenen Augen und beugte sich grinsend vor.
"Jetzt sind wir ganz allein!", stellte er unnötigerweise fest.


Impressum

Texte: ©J.T.L.
Bildmaterialien: © J.T.L.
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die bescheuerten Vampirfans ^^

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